WD 2 - 3000 - 090/17 (27. September 2017) © 2017 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Zu der Frage nach dem Bestehen möglicher Reparationsforderungen Polens gegen Deutschland sind die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages am 28. August 2017 im Rahmen des Sachstandes „Völkerrechtliche Grundlagen und Grenzen kriegsbedingter Reparationen unter besonderer Berücksichtigung der deutsch-polnischen Situation“ (WD 2 - 3000 - 071/17, vgl. Anlage 1) zu folgenden Ergebnissen gelangt: Zunächst kann vertretbar argumentiert werden, dass Reparationsansprüche nach dem Stand des Völkerrechts bis 1945 erst durch eine endgültige, friedensvertragliche Konkretisierung begründet werden konnten,1 welche nach dem Zweiten Weltkrieg2 nicht existierte. Weder das Pariser Abkommen von 19453 noch die Charta von Paris für ein neues Europa von 19904 oder der Deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag von 19915 hatten die Regelung von zwischenstaatlichen Reparationsansprüchen zum Gegenstand. Vielmehr betrachteten die Parteien des Zwei-Plus-Vier-Vertrags von 1990 den Vertrag als Schlussstrich unter die Reparationsfrage.6 Man war sich einig, dass es in Bezug auf Deutschland keine vertragliche Regelung mehr über Reparationen geben sollte. Daher sperrt der Zwei-Plus-Vier-Vertrag bis heute jegliche Reparationsforderungen gegen Deutschland. 1 Sachstand „Völkerrechtliche Grundlagen und Grenzen kriegsbedingter Reparationen unter besonderer Berücksichtigung der deutsch-polnischen Situation“ vom 28. August 2017, WD 2 - 3000 - 071/17, S. 6. 2 Zu den geschichtspolitischen Hintergründen und der polnischen Erinnerungskultur, siehe Ausarbeitung, „Geschichtspolitik und Erinnerungskultur in Polen“ vom 20. April 2016, WD 1 - 3000 - 018/16 (Anlage 2). 3 Sachstand „Völkerrechtliche Grundlagen und Grenzen kriegsbedingter Reparationen (Fn. 1), S. 9. 4 Ibid., S. 15. 5 Ibid., S. 16. 6 Ibid., S. 12. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Zum Sachstand „Völkerrechtliche Grundlagen und Grenzen kriegsbedingter Reparationen unter besonderer Berücksichtigung der deutsch-polnischen Situation“ (WD 2 - 3000 - 071/17) Kurzinformation Völkerrechtliche Grundlagen und Grenzen kriegsbedingter Reparationen unter besonderer Berücksichtigung der deutsch-polnischen Situation Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Vertritt man die neuere Rechtsauffassung, nach welcher Reparationsansprüche im Völkerrecht bereits mit dem schadensstiftenden Ereignis begründet werden, so sind etwaige Reparationsansprüche mit der 1953 abgegebenen (und 1970 bestätigten), ausdrücklichen Verzichtserklärung Polens untergegangen.7 Die Verzichtserklärung ist auch für die heutige polnische Regierung verbindlich (Grundsatz der Vertragstreue, pacta sunt servanda). Gründe für eine völkerrechtliche Unwirksamkeit des Verzichts sind nicht ersichtlich. Das Vorbringen , die Erklärung sei unter Druck abgegeben worden, bedürfte einer weiteren inhaltlichen Substantiierung, da selbst in der polnischen Rechtswissenschaft Kommentatoren von der Wirksamkeit der Verzichtserklärung ausgehen.8 Überdies kann sich Polen aus völkerrechtlicher Sicht nicht darauf berufen, der Verzicht habe die damalige polnische Verfassung verletzt, weil gegen innerstaatliche Zuständigkeitsnormen verstoßen wurde. Denn nach Art. 46 Abs. 1 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge ist einem Staat die Berufung auf staatliche Interna grundsätzlich verwehrt, insbesondere wenn Zuständigkeitsvorschriften betroffen sind und die Verletzung nicht offenkundig war. Im Übrigen dürften etwaige Reparationsansprüche spätestens 1990 mit Abschluss des Zwei-Plus- Vier-Vertrages untergangen sein, da Polen im Rahmen der Vertragsverhandlungen zumindest stillschweigend auf deren Geltendmachung verzichtet hat.9 Schließlich wäre eine Durchsetzung etwaiger Reparationsansprüche wegen Verjährung ausgeschlossen,10 die auch im Völkerrecht über die allgemeinen Rechtsgrundsätze (Art. 38 Abs. 1 lit. c) Statut des Internationalen Gerichtshofs ) Anwendung findet. *** 7 Ibid., S. 18. 8 Czapliński, „The Concept of War Reparations in International Law and Reparations after World War II“, (2005) The Polish Quarterly of International Affairs, Vol. 14, Nr. 1, S. 69 (78 f.). 9 Sachstand „Völkerrechtliche Grundlagen und Grenzen kriegsbedingter Reparationen (Fn. 1), S. 20. 10 Ibid., S. 22.