© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 089/19 Zum Fall „Stena Impero“ Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 089/19 Seite 2 Zum Fall „Stena Impero“ Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 089/19 Abschluss der Arbeit: 29. August 2019 (gleichzeitig letzter Zugriff auf die Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 089/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Medienberichte zum Fall Stena Impero 4 2. Gerichtliche Klärung des Falles 5 3. Rechtliche Bewertung 5 3.1. Anwendung des Regimes der Transitdurchfahrt des SRÜ auf den Fall Stena Impero 5 3.1. Rechtliche Möglichkeiten zur Einschränkung der Transitdurchfahrt 6 3.2. Festsetzung des Tankers 7 3.3. Rechtfertigung durch den Iran 7 3.4. Gegendarstellung durch Großbritannien 8 3.5. Das Recht zum Ergreifen von völkerrechtlichen Gegenmaßnahmen 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 089/19 Seite 4 1. Medienberichte zum Fall Stena Impero Die Beschlagnahme des britischen Öltankers Stena Impero und Festnahme der 23 Crewmitglieder durch iranische Revolutionsgarden am 19. Juli 2019 in der Straße von Hormuz hat weltweit für Aufsehen gesorgt.1 Die Crew der Stena Impero befindet sich bis heute im Gewahrsam der Iraner.2 Derzeit laufen offenbar Bemühungen zwischen Großbritannien und dem Iran um eine diplomatische Lösung des Falles.3 Es war fast zu erwarten, dass die Berichterstattung durch deutsche, britische4 bzw. iranische5 Medien bis heute keinen eindeutigen bzw. widerspruchsfreien Sachverhalt zutage gefördert hat. Eine neutrale Überprüfung der Faktenlage ist aus Sicht der Wissenschaftlichen Dienste, die keine „gerichtsähnlichen“ Möglichkeiten zur Aufklärung eines Sachverhalts haben, kaum möglich. Eine rechtliche Bewertung des Falls Stena Impero muss sich daher auf ein paar allgemeine und weitgehend abstrakte Aussagen beschränken. 1 „“Iran stoppt Öltanker in der Straße von Hormus“, SPIEGEL online vom 19. Juli 2019, https://www.spiegel.de/politik/ausland/persischer-golf-iran-stoppt-britischen-oeltanker-a-1278212.html. Von einem weiteren Fall der Festsetzung eines Tankers berichteten die Medien im August 2019 („Iranisches Elitekommando beschlagnahmt erneut Tanker“, SPIEGEL online vom 4. August 2019, https://www.spiegel.de/politik/ausland/iran-beschlagnahmt-erneut-auslaendischen-tanker-im-persischen-golf-a- 1280374.html). 2 „Angehörige sorgen sich um Crew der "Stena Impero", SPIEGEL online vom 22. August 2019, https://www.spiegel.de/politik/ausland/iran-angehoerige-sorgen-sich-um-mannschaft-von-festgesetztembritischen -tanker-a-1283099.html. 3 „London lehnt Tanker-Tausch ab“, SPIEGEL online vom 29. Juli 2019, https://www.spiegel.de/politik/ausland/iran-grossbritannien-lehnt-einen-tanker-tausch-ab-a-1279494.html. “British Oil Tanker Seized By Iran Could Be Released Soon: Report”, NDTV vom 23. August 2019, https://www.ndtv.com/world-news/british-oil-tanker-stena-impero-seized-by-iran-could-be-released-soonreport -2089100. 4 Vgl. Factsheet und Interviews zum Fall Stena Impero in: TIME vom 22. Juli 2019 (Ciara Nugent), “What to Know About the British-Flagged Oil Tanker Seized by Iran Amid Escalating Tensions”, https://time.com/5631460/stena-impero-britain-iran/ Aus Sicht des britischen Außenministeriums lagen dem Fall folgende Fakten zugrunde: “Situation in the Gulf: Foreign Secretary statement to Parliament”, 22. Juli 2019, https://www.gov.uk/government/speeches/situationin -the-gulf-foreign-secretary-statement. 5 FARS new agency vom 25. Juli 2019, “Iran's Letter to UNSC Endorses Seizure of British Tanker to Protect Safety of Strait of Hormuz”, https://en.farsnews.com/newstext.aspx?nn=13980503000226. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 089/19 Seite 5 2. Gerichtliche Klärung des Falles Eine zeitnahe gerichtliche bzw. schiedsgerichtliche Klärung des Vorfalls ist nicht zu erwarten: Eine gerichtliche Klärung vor dem Internationalen Seegerichtshof ist praktisch ausgeschlossen, da der Zugang zum Gericht gem. Art. 291 SRÜ i.V.m. Art. 20 des Statuts des IntSeeGH6 nur den Vertragsstaaten der Seerechtskonvention offensteht. Dies sind nach der Legaldefinition in Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 SRÜ nur die Staaten, die das SRÜ ratifiziert haben – zu denen zählt der Iran nicht. Schiedsverfahren, die auf der Grundlage des SRÜ eingerichtet wurden (vgl. Anlage VII zum SRÜ), setzten nach Art. 287 SRÜ i.V.m. Art. 1 Anlage VII zum SRÜ eine entsprechende Unterwerfungserklärung der Streitparteien voraus.7 Dies ist von iranischer Seite bislang nicht geschehen . Abgesehen davon trifft die Verpflichtung zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des Seerechtsübereinkommens (SRÜ)8 gem. Art. 279 SRÜ nur die Vertragsstaaten des Übereinkommens. Die Art. 279 ff. SRÜ über die friedliche Beilegung von Streitigkeiten lassen sich für den „Fall Stena Impero“ nicht anwenden. Theoretisch möglich bleibt, dass der Iran und Großbritannien sich für den besagten Fall einem anderen freiwilligen Schiedsverfahren unterwerfen. Dafür steht etwa der Ständige Schiedshof in Den Haag (Permanent Court of Arbritation, PCA) zur Verfügung. 3. Rechtliche Bewertung 3.1. Anwendung des Regimes der Transitdurchfahrt des SRÜ auf den Fall Stena Impero Zunächst ist zu klären, inwieweit der Fall „Stena Impero“ überhaupt am Maßstab der Vorschriften des SRÜ über die sog. Transitdurchfahrt (Art. 38 ff. SRÜ) beurteilt werden kann, da der Iran das SRÜ zwar gezeichnet aber nicht ratifiziert hat.9 6 Annex VI zum SRÜ, https://www.itlos.org/fileadmin/itlos/documents/basic_texts/statute_en.pdf. Vgl. Lekkas/Staker, in: Proelß (Hrsg.), UN Convention on the Law of the Sea. A Commentary, München: Beck 2017, Kommentierung zu Annex VI, Art. 20 Rdnr. 5 ff. 7 Dies sind derzeit nur 40 der 168 SRÜ-Vertragsstaaten; vgl. Treves, in: Proelß (Hrsg.), UN Convention on the Law of the Sea. A Commentary, München: Beck 2017, Art. 287 Rdnr. 12. 8 Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dez. 1982, BGBl. 1994 II, S. 1799, (in Kraft seit 16. November 1994), https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:1998:179:0003:0134:DE:PDF 9 Ratifikationsstand SRÜ findet sich in der UN Treaty Collection, https://treaties.un.org/pages/ViewDetailsIII.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXI- 6&chapter=21&Temp=mtdsg3&lang=en. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 089/19 Seite 6 Mit dieser Frage haben sich die wissenschaftlichen Dienste bereits eingehend auseinandergesetzt .10 Staatenpraxis11 und die Stimmen des neueren Schrifttums lassen den Schluss zu, dass das Recht auf Transitdurchfahrt (Art. 38 SRÜ) einschließlich der damit einhergehenden Rechte und Pflichten (insb. das Beeinträchtigungsverbot aus Art. 44 SRÜ) gewohnheitsrechtlich Anwendung finden.12 3.1. Rechtliche Möglichkeiten zur Einschränkung der Transitdurchfahrt Das Recht auf Transitdurchfahrt wird keineswegs „schrankenlos“ gewährt, sondern unterliegt auf den ersten Blick vielfältigen Reglementierungsmöglichkeiten seitens der Meerengenanliegerstaaten . Möglich sind z.B. Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Schiffssicherheit und der Sicherheit auf See, ferner Kontrollen von Umweltschutzbestimmungen sowie der Erlass von Gesundheitsgesetzen für die Transitdurchfahrt.13 Entsprechende nationale Vorschriften und Gesetze kann ein Meerengenanliegerstaat im Einklang mit Art. 42 Abs. 1 SRÜ erlassen. Gleichwohl sind diese Kompetenzen letztlich sehr begrenzt. Denn mit Ausnahme von Art. 233 SRÜ darf der Meerengenanliegerstaat die Einhaltung der nationalen Vorschriften nicht selbst gewaltsam gegenüber dem transitfahrenden Schiff durchsetzen und damit die Transitdurchfahrt praktisch aushebeln.14 Art. 42 Abs. 2 SRÜ bestimmt insoweit, dass die Anwendung dieser Gesetze und Vorschriften „im Ergebnis nicht eine Verweigerung, Behinderung oder Beeinträchtigung des Rechts der Transitdurchfahrt nach diesem Abschnitt bewirken [darf].“ Des Weiteren können Meerengenanliegerstaaten gem. Art. 41 SRÜ Schifffahrtswege festlegen. Eine Verletzung dieser Regelungen (vgl. Art. 41 Abs. 7 SRÜ), also ein Verlassen der Schifffahrtswege , führt zumindest dazu, dass sich der Flaggenstaat nicht mehr auf das Recht auf ungestörte Transitdurchfahrt berufen kann. 10 WD 2 - 3000 - 088/19 vom 27. August 2019, „Rechtliche Spielräume für ein militärisches Engagement zum Schutze von Handelsschiffen und Schifffahrtswegen in der Straße von Hormuz“, S. 9 ff. 11 Vgl. zur Staatenpraxis Mahmoudi, Said, Transit Passage, in: Max Planck Encyclopedia of Public International Law [MPEPIL], Oxford, Stand: März 2008, Rdnr. 24 ff. (30), https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1231 12 Tanaka, Yoshifumi, „The International Law of the Sea“, Cambridge, 3. Aufl. 2019, S. 129. Heintschel v. Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München: Beck 7. Aufl. 2018, § 41 Rdnr. 4. Evans, Malcolm D., International Law, Oxford Univ. Press 3. Aufl. 2010, S. 66. Jia, in: Proelß, UN Convention on the Law of the Sea. A Commentary, München 2017, Art. 38 Rdnr. 3. 13 Vitzthum, Wolfgang Graf, in: Vitzthum (Hrsg.), Handbuch des Seerechts, München 2006, Kap. 2 Rdnr. 170 ff. Heintschel v. Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München: Beck 7. Aufl. 2018, § 41 Rdnr. 13 ff. 14 Jia, in: Proelß, UN Convention on the Law of the Sea. A Commentary, München 2017, Art. 42 Rdnr. 5 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 089/19 Seite 7 Gem. Art. 39 Abs. 2 lit. a) SRÜ müssen Schiffe in der Transitdurchfahrt „die allgemein anerkannten internationalen Vorschriften, Verfahren und Gebräuche für die Sicherheit auf See einschließlich der Internationalen Regeln zur Verhütung von Zusammenstößen auf See befolgen.“ Auch hier führt eine Verletzung der Vorschriften rechtlich nicht zu einem Aussetzen der Transitdurchfahrt (vgl. insoweit Art. 44 S. 2 SRÜ). Im Ergebnis existieren praktisch keine seevölkerrechtskonformen Möglichkeiten, um ein transitfahrendes Schiff aufgrund von Verstößen gegen nationale Vorschriften des Meerengenanliegerstaates gewaltsam an der Transitdurchfahrt zu hindern oder dieses festzusetzen. 3.2. Festsetzung des Tankers Der britische Tanker Stena Impero, der in der Straße von Hormuz unterwegs war, genießt gem. Art. 38 Abs. 1 SRÜ das Recht auf ungestörte Transitdurchfahrt. Der Iran als Meerengenanliegerstaat der Straße von Hormuz hat dagegen gem. Art. 44 SRÜ die Pflicht, diese Transitdurchfahrt „nicht zu behindern“. Die Ausübung des Rechts auf Transitdurchfahrt darf nicht ausgesetzt werden . Die Festsetzung und Beschlagnahme des Tankers durch die iranischen Revolutionsgarden stellt jedenfalls prima facie einen Verstoß gegen Art. 44 SRÜ dar. Dies wird durch die britische Regierung auch so kommuniziert.15 Großbritannien hatte die Festsetzung des britischen Tankers Stena Impero durch den Iran als hostile act bezeichnet, vermied aber den Begriff armed attack und damit den Rekurs auf Art. 51 VN-Charta. In einem Schreiben an den VN-Sicherheitsrat qualifizierte Großbritannien den Vorfall als illegal interference.16 3.3. Rechtfertigung durch den Iran Rechtlich entscheidend wird damit die Frage nach der möglichen Rechtfertigung des iranischen Verhaltens: Iranischen Medienberichten zufolge existiert offenbar ein entsprechendes Schreiben des Iran an den VN-Sicherheitsrat. Danach soll die Stena Impero ein iranisches Fischerboot innerhalb iranischer Hoheitsgewässern gerammt und deren Besatzung verletzt haben. Iranischen Angaben zufolge reagierte der britische Tanker weder auf entsprechende Notrufe des Fischerbootes noch auf Funksprüche der iranischen Behörden, sondern stellte seinen Transponder ab und änderte in einer für die Schifffahrt „gefährlichen“ Weise seinen Kurs. Damit habe der Tanker 15 “Government statement on situation in the Gulf” vom 22. Juli 2019, https://www.parliament.uk/business/news/2019/july/government-statement-on-situation-in-the-gulf/. So führte der britische Außenminister aus: "Let us be absolutely clear, under international law Iran had no right to obstruct the [Stena Impero's] passage, let alone board her. It was an act of state piracy which the House will have no hesitation in condemning." 16 DW, 21.7.2019, https://www.dw.com/en/britain-calls-stena-impero-oil-tanker-seizure-hostile-act-as-iranreleases -video-of-capture/a-49676942. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 089/19 Seite 8 gegen internationale Schifffahrtsregeln verstoßen.17 3.4. Gegendarstellung durch Großbritannien Großbritannien hat in einem Schreiben an den VN-Sicherheitsrat vom 21. Juli 201918 sowie in einem Schreiben an die IMO (International Maritime Organisation) vom 22. Juli 201919 seine Sicht der Dinge dargelegt. Im Schreiben an den VN-Sicherheitsrat heißt es: “(…) The vessel’s owners have confirmed that the STENA IMPERO was in full compliance with all navigation and international regulations, with her Automatic Identification System (AIS) switched on and publicly available and verifiable. The UK authorities confirm that Iranian forces approached the STENA IMPERO in the Western Bound Traffic Lane within Omani territorial waters. The ship was exercising the lawful right of transit passage in an international strait as provided for under international law. International law requires that the right of transit passage shall not be impeded, and therefore the Iranian action constitutes illegal interference. Iran has claimed that the British tanker tried to enter the Strait of Hormuz through the exit route, while not responding to messages or warnings, with her AIS turned off. This is not the case, as set out above. (…)“ Die dem Schreiben an die IMO beigefügte Seekarte zeigt die genaue Route der Stena Impero durch die Straße von Hormuz, auf der zu sehen ist, dass sich der Tanker in omanischen Hoheitsgewässern befunden haben soll.20 Großbritannien stellt überdies die dem britischen Tanker vorgeworfene Kollision mit einem iranischen Fischerboot in Abrede und führt dazu aus: 17 Vgl. FARS new agency vom 25. Juli 2019, “Iran's Letter to UNSC Endorses Seizure of British Tanker to Protect Safety of Strait of Hormuz”, https://en.farsnews.com/newstext.aspx?nn=13980503000226. PressTV-Iran vom 24. Juli 2019, “Iran defends seizure of British tanker in letter to UN Security Council”, https://www.presstv.com/Detail/2019/07/24/601763/Iran-UN-Security-Council-letter-Stena-Impero-seizure. 18 “Letter to the United Nations Security Council President about the Strait of Hormuz incident”, 21. Juli 2019, https://www.gov.uk/government/publications/strait-of-hormuz-incident-uk-government-letter-to-un-securitycouncil -president/letter-to-the-united-nations-security-council-president-about-the-strait-of-hormuz-incident 19 IMO Circular letter No. 4002 vom 22. Juli 2019 (als Anhang). 20 In der Straße von Hormuz stoßen die Hoheitsgewässer des Iran und des Oman direkt aneinander; ein Seegebiet außerhalb nationalstaatlicher Souveränität (also Gewässer der Hohen See) existiert dort nicht. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 089/19 Seite 9 “The vessel's owners have confirmed that the STENA IMPERO was in full compliance with all navigation and international regulations, the vessel’s Automatic Identification System (AIS) was switched on and publicly available. The Government of the UK would like to take this opportunity to confirm that Iranian forces approached the STENA IMPERO in the Western Bound Traffic Lane within Omani territorial waters. As the attached chart illustrates, the ship was exercising the lawful right of transit passage in an international strait as provided under international law. International law requires that the right of transit passage shall not be impeded, and therefore the Iranian action was illegal interference. Iran has claimed that the British vessel entered the Strait of Hormuz through the exit route, while not responding to messages or warnings, with the AIS turned off. The Iranian Director General of Ports and Maritime Organization of Hormozgan province, Allahmorad Afifipour claimed that the British vessel was boarded and detained due to a collision with an Iranian fishing boat. There is no evidence of this, and even if it had occurred the ship’s location within Omani territorial sea means that Iran would not have had jurisdiction to intercept the STENA IMPERO.” 3.5. Das Recht zum Ergreifen von völkerrechtlichen Gegenmaßnahmen Medienberichten zufolge könnte die iranische Führung die Festsetzung der Stena Impero auch als Reaktion auf die Festsetzung des iranischen Öltankers Grace 1 durch die britische Marine vor Gibraltar Anfang Juli 2019 durchgeführt haben.21 Ob sich eine solche rechtliche Einlassung seitens der Iraner bestätigen lässt, bleibt fraglich. Grundsätzlich steht es Staaten frei, nach Maßgabe des Völkerrechts Gegenmaßnahmen unterhalb der Schwelle bewaffneter Gewalt zu ergreifen.22 Die Zulässigkeit von Gegenmaßnahmen ist – im Gegensatz zu „Vergeltungsmaßnahmen“ – gewohnheitsrechtlich verbürgt.23 21 Handelsblatt vom 19. Juli 2019, „Iran: Festgesetzter Tanker als Reaktion auf britische Aktion vor Gibraltar“, https://www.handelsblatt.com/politik/international/persischer-golf-iran-festgesetzter-tanker-als-reaktion-aufbritische -aktion-vor-gibraltar/24681750.html?ticket=ST-3234681-wp6lu0JNe5CRdoLeDiFf-ap2. SZ vom 21. Juli 2019, „Vorsorgliche Entführung“, https://www.sueddeutsche.de/politik/stena-imperovorsorgliche -entfuehrung-1.4533824. 22 So auch Ulfstein, Geir, “How International Law Restricts the Use of Military Force in Hormuz”, EJIL: Talk!, Blog of the European Journal of International Law vom 27. August 2019, http://www.ejiltalk.org/how-internationallaw -restricts-the-use-of-military-force-in-hormuz/. Zum Konzept der Gegenmaßnahmen (counter-measures) vgl. allgemein v. Arnauld, Andreas, Völkerrecht, Heidelberg: Müller, 2. Aufl. 2014, Rdnr. 417. 23 Federica I Paddeu, „Countermeasures“, in: Max Planck Encyclopedia of Public International Law [MPEPIL], Oxford (Stand: Sept. 2015), Rdnr. 10 und 40, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1020. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 089/19 Seite 10 Die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (International Law Commission, ILC) hat in ihren im Jahre 2001 veröffentlichten „Artikelentwürfen über die Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln“ (Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, ILC-Draft Articles)24 die rechtlichen Rahmenbedingungen für Gegenmaßnahmen wie folgt kodifiziert: Art. 22 lautet: „Die Rechtswidrigkeit eines Handelns eines Staates, das nicht im Einklang mit einer völkerrechtlichen Verpflichtung gegenüber einem anderen Staat steht, ist ausgeschlossen , wenn und soweit das Handeln eine Gegenmaßnahme begründet, die gegen den letzteren Staat (…) ergriffen wird.“ Art. 49 lautet: „Ein benachteiligter Staat kann nur Gegenmaßnahmen gegen einen Staat, der für ein völkerrechtswidriges Handeln verantwortlich ist, ergreifen, um diesen Staat zu veranlassen, seine Verpflichtungen (…) einzuhalten.“ Art. 51 lautet: „Gegenmaßnahmen müssen unter Berücksichtigung der Schwere des völkerrechtswidrigen Handelns und der fraglichen Rechte in einem angemessenen Verhältnis zu dem erlittenen Nachteil stehen.“ Gegenmaßnahmen sind also Reaktionen auf vorangegangenes völkerrechtswidriges Handeln des mit der Gegenmaßnahme belegten Staates. Zu der Frage, wie die Festsetzung des – mittlerweile wieder freigelassenen25 – iranischen Öltankers Grace 1 vor Gibraltar in diesem Zusammenhang völkerrechtlich zu bewerten ist, haben die Wissenschaftlichen Dienste im Gutachten vom 2. August Stellung genommen.26 Die Frage ist auch in den Medien diskutiert worden.27 Danach findet die Festsetzung der Grace 1 im Ergebnis keine Rechtsgrundlage im Seevölkerrecht. Weniger eindeutig lässt sich dagegen die Frage beantworten, ob Großbritannien durch eine Festsetzung des iranischen Tankers, der offenbar Öl nach Syrien liefern sollte, EU-Sanktionen gegen Syrien durchsetzen durfte. Von einem eindeutig völkerrechtswidrigen Vorverhalten Großbritanniens – als Voraussetzung für eine zulässige Gegenmaßnahme des Iran – lässt sich also nicht ohne weiteres sprechen. Zweifel bleiben zudem hinsichtlich der Angemessenheit des iranischen Vorgehens, wenn man die fortdauernde Festnahme der 23 Crewmitglieder in Rechnung stellt. *** 24 Artikelentwurf über die Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln (Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts), Anlage zur Resolution Nr. 56/83 der VN- Generalversammlung vom 12. Dezember 2001, abrufbar unter: http://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english/draft_articles/9_6_2001.pdf. 25 „Gibraltar gibt iranischen Öltanker frei,“ ZEIT online vom 15. August 2019, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-08/grace-1-iranischer-oeltanker-gibraltar-freigabe-grossbritannien. 26 „Die Festsetzung eines iranischen Tankers vor Gibraltar im Hinblick auf das Seerechtsübereinkommen und die Charta der Vereinten Nationen“, WD 2 - 3000 - 091/19 vom 2. August 2019, https://www.bundestag.de/resource/blob/654608/1b1cd1581be265e933ab22bb7791dbfc/WD-2-091-19-pdfdata .pdf. 27 „Freie Fahrt auf hoher See“, SZ vom 12. Juli 2019, https://www.sueddeutsche.de/politik/seerecht-hormus- 1.4521591.