WD 2 - 3000 - 087/18 (19. Juni 2018) © 2018 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Die Schließung maltesischer und italienischer Häfen für das Seenotrettungsschiff „Aquarius“,1 das mit 629 Flüchtlingen bzw. Migranten und Migrantinnen den Hafen von Valencia / Spanien ansteuerten musste, wirft sowohl seevölkerrechtliche als auch menschenrechtliche Fragen auf. Die Bootsinsassen wurden auf Hoher See außerhalb der von Italien notifizierten SAR-Zone aufgegriffen und an Bord der „Aquarius“ genommen. Italien hat neben der eigenen SAR-Zone faktisch auch die Kontrolle über jenen Bereich des Mittelmeeres übernommen, der zur libyschen SAR- Zone gehört; Libyen hingegen hat seine SAR-Zone bis heute nicht offiziell notifiziert und hat damit noch keine seevölkerrechtliche Verantwortung für dieses Meeresgebiet nach der SAR- Konvention übernommen. Die Zuständigkeit Italiens nach der SAR-Konvention beinhaltet indes allein Kontroll- und Koordinierungsbefugnisse innerhalb der SAR-Zone. Die SAR-Konvention enthält keine Verpflichtung zur Aufnahme von Flüchtlingen / Migranten auf eigenem Territorium .2 Seevölkerrechtlich ist – als Ausnahme vom Territorialitätsprinzip – auf das sog. Nothafenrecht hinzuweisen,3 welches im Fall „Aquarius“ mangels Seenotlage allerdings nicht greift. 1 Das Schiff gehört zur deutschen Nichtregierungsorganisation SOS Méditerranée und fährt unter der Flagge Gibraltars . 2 Vgl. dazu näher Gutachten WD 2 - 3000 - 075/17 vom 25.8.2017, „Rechtsfragen bei Seenotrettungseinsätzen innerhalb einer libyschen SAR-Zone im Mittelmeer“, S. 7 f. 3 Vgl. dazu die Kurzinformation WD 2 – 3000 – 082/18 vom 11. Juni 2018 (Anlage 1) Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Der Fall der Seenotrettungsoperation „Aquarius“ im Mittelmeer Kurzinformation Der Fall der Seenotrettungsoperation „Aquarius“ im Mittelmeer Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Menschenrechtlich wirft der Fall „Aquarius“, der sich auf Hoher See abspielt, Fragen der extraterritorialen Anwendung der EMRK-Rechte auf. In einem Völkerrechtsblog4 wird dargelegt, dass weder die maltesischen noch die italienischen Behörden die erforderliche effektive Kontrolle ausgeübt haben, um eine extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK zu begründen. Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass die Frage der Jurisdiktion auf Hoher See vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof 5 noch nicht abschließend und konsistent entschieden ist – vor allem mit Blick auf die Rolle des Maritime Rescue Coordination Centre (MRCC) in Rom. Im Ergebnis ist die Schließung der italienischen Häfen völkerrechtlich nicht zu beanstanden. *** 4 Melanie Fink / Kristof Gombeer: „The Aquarius incident: navigating the turbulent waters of international law”, EJIL-talk vom 14. Juni 2018, verfügbar unter: https://www.ejiltalk.org/the-aquarius-incident-navigating-theturbulent -waters-of-international-law/ (Anlage 2). 5 Vgl. dazu grundlegend den Fall Hirsi Jamaa and Others v Italy [GC], Application No. 27765/09, http://www.asylumlawdatabase.eu/en/content/ecthr-hirsi-jamaa-and-others-v-italy-gc-application-no-2776509.