WD 2 - 3000 - 086/20 (1. Oktober 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Anders als Privatunternehmen können Staaten andere Staaten vor nationalen Gerichten nicht verklagen. Es gilt der auf den bedeutendsten Rechtslehrer des Mittelalters – Bartolus de Saxoferrato (1313-1357) zurückgehende Grundsatz im Völkerrecht: Par in parem non habet iurisdictionem („Gleiche dürfen übereinander nicht zu Gericht sitzen“).1 1. Unterwerfung unter die Jurisdiktion des IGH Für Streitigkeiten zwischen Staaten ist grundsätzlich der Internationale Gerichtshof (IGH) zuständig. Voraussetzung für die Jurisdiktion des IGH ist aber, dass sich beide Staaten seiner Gerichtsbarkeit unterworfen haben (Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut). Die USA hatten – was rechtlich zulässig und in der Staatenpraxis auch nicht ungewöhnlich ist – ihre generelle Unterwerfungserklärung (compulsory jurisdiction) im Jahre 1985 wieder zurückgezogen,2 nachdem sie von Nicaragua wegen der Unterstützung der Contras im nicaraguanischen Bürgerkrieg verklagt und vom IGH wegen Völkerrechtsverletzungen verurteilt wurden. Staaten können sich der IGH-Gerichtsbarkeit zwar theoretisch auch ad hoc, d.h. nur für einen bestimmten Fall, unterwerfen. Das geschieht in der Praxis aber nur sehr selten, denn meist wird eine der Parteien in einer juristisch schlechteren Position sein und deshalb – oder aus politischen Gründen – der Streitbeilegung vor dem IGH ad hoc nicht zustimmen. Dies betrifft auch die gerichtliche Überprüfung etwaiger US-Sanktionen wegen Nordstream 2. 1 Andreas v. Arnauld, Völkerrecht, Heidelberg: Müller, 4. Aufl. 2019, Rdnr. 323. 2 Erklärung vom 7. Oktober 1985, UN Treaty Series, Vol. 1408, Annex A, S. 270, https://treaties.un.org/doc/Publication/UNTS/Volume%201408/v1408.pdf. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Klagemöglichkeiten gegen US-Sanktionen wegen Nordstream 2: Zur Jurisdiktion des Internationalen Gerichtshofs Kurzinformation Klagemöglichkeiten gegen US-Sanktionen wegen Nordstream 2: Zur Jurisdiktion des Internationalen Gerichtshofs Fachbereich WD 2: (Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 2. Streitbeilegungsklauseln Abgesehen davon gibt es Streitbeilegungsklauseln, die Staaten in bestimmte Sachverträge aufnehmen können. Diese Klauseln legen fest, Streitigkeiten über den jeweiligen Vertrag dem IGH zur Entscheidung vorzulegen. Ein Beispiel ist dafür der sog. Freundschaftsvertrag zwischen den USA und Deutschland vom 29. Oktober 1954:3 „Streitigkeiten zwischen den Vertragsteilen über die Auslegung oder Anwendung dieses Vertrags, für die auf dem diplomatischen Wege oder auf einem anderen vereinbarten Wege keine befriedigende Lösung gefunden wird, sind einem Schiedsgericht oder nach Vereinbarung beider Vertragsteile dem Internationalen Gerichtshof zu unterbreiten.“ (Art. XXVII Abs. 2) In einem dem deutsch-amerikanischen Freundschaftsvertrag beigefügten Protokoll vom 29. Oktober 1954 wurde die Option, im Falle von Streitigkeiten ultima ratio den IGH einzuschalten , noch einmal deutlich präzisiert und insbesondere nicht mehr von einer entsprechenden Vereinbarung beider Vertragsparteien abhängig gemacht: „Es besteht Einvernehmen darüber, dass nach dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen oder zum Statut des Internationalen Gerichtshofs die in Artikel XXVII Absatz 2 genannten Streitigkeiten dem Internationalen Gerichtshof zu unterbreiten sind, sofern sie nicht auf diplomatischem oder auf anderem vereinbarten Wege beigelegt werden.“ (Protokoll Nr. 24) Der Deutsch-amerikanische Freundschaftsvertrag von 1954 deckt inhaltlich aber nicht alle Aspekte ab, die in Zusammenhang mit den angedrohten US-Sanktionen wegen Nordstream 2 zwischen den USA und Deutschland streitig werden können. Überdies erscheint es nicht ausgeschlossen , dass bilaterale Verträge mit den USA, die eine entsprechende Jurisdiktionsklausel vorsehen , von der Trump-Administration kurzerhand aufgekündigt werden könnten,4 wenn sich abzeichnet, dass eine Klage vor dem IGH droht. 3 Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, BGBl. II 1956, S. 487, Text abrufbar unter: https://www.hjrverlag .de/out/pictures/wysiwigpro/Download/978-3-8114-6054-6_Download_118.pdf. 4 Art. XXIX Nr. 3 des Freundschaftsvertrages von 1954 sieht vor: „Jeder der beiden Vertragsteile kann diesen Vertrag unter Einhaltung einer einjährigen Kündigungsfrist schriftlich (…) zu jedem Zeitpunkt kündigen.“ Kurzinformation Klagemöglichkeiten gegen US-Sanktionen wegen Nordstream 2: Zur Jurisdiktion des Internationalen Gerichtshofs Fachbereich WD 2: (Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 3. Rechtsgutachten Schließlich bleibt die Möglichkeit, den IGH – über einen entsprechenden Antrag der VN- Generalversammlung gem. Art. 96 Abs. 1 VN-Charta – um ein (völkerrechtlich allerdings nicht bindendes) Rechtsgutachten zu ersuchen. Mit der Möglichkeit eines IGH-Rechtsgutachtens setzt sich ein aktueller Beitrag in einem Völkerrechtsblog5 auseinander: “An alternative approach to challenge US secondary sanctions would be to have the UN General Assembly request an advisory opinion from the ICJ pursuant to article 96 of the UN Charter and article 65 of the ICJ Statute . Such approach would make it possible to ‘circumvent’ conventional security exceptions and to obtain a broader assessment of the legality secondary sanctions under general international law (not confined to their compatibility with specific treaty clauses). Given the broad opposition to US secondary sanctions throughout the international community, an attempt to trigger the advisory procedure before the ICJ is likely to muster the necessary votes among UN General Assembly members (a single majority would do the trick). Still, caution is warranted. (…) The implication is that the precise phrasing of a possible request for an advisory opinion should be considered carefully if one wishes to avoid ending up with an opinion that actually legitimates far-reaching secondary sanctions. (…) It follows that, while the advisory procedure offers a potentially useful instrument, it may also be a ‘blunt’ instrument, and one which may take a life of its own in light of the divergent legal convictions and political agendas of UN members. (…) For those that question the relevance or wisdom of a non-legally binding opinion – even one emanating from the highest judicial organ of the UN – one might wonder, by way of further thought experiment, whether there are any other treaties containing a broadly framed compromissory clause and that do not contain a security exception.” *** 5 Tom Ruys / Cedric Ryngaert, “Secondary Sanctions: A Weapon out of Control? Part III: Looking beyond the WTO – possible avenues to raise a Judicial Challenge against Secondary Sanctions”, in: Blog of the European Journal of International Law, 1. Oktober 2020, https://www.ejiltalk.org/secondary-sanctions-a-weapon-out-ofcontrol -part-iii-looking-beyond-the-wto-possible-avenues-to-raise-a-judicial-challenge-against-secondarysanctions /?utm_source=mailpoet&utm_medium=email&utm_campaign=ejil-talk-newsletter-post-title_2.