© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 - 085/16 Straftaten gegen ausländische Staaten (§§ 102-104 StGB) im Lichte des völkerrechtlichen Prinzips der „Staatenehre“ Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 085/16 Seite 2 Straftaten gegen ausländische Staaten (§§ 102-104 StGB) im Lichte des völkerrechtlichen Prinzips der „Staatenehre“ Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 085/16 Abschluss der Arbeit: 20. Juni 2016 (auch letzter Zugriff auf die Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 085/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Völkerrechtliche Grundlagen der „Staatenehre“ – staatliche Schutzpflichten zugunsten der Ehre von Repräsentanten ausländischer Staaten 6 2.1. Völkerrechtslehre 6 2.2. Völkervertragsrecht 7 2.3. Rechtsprechung 9 2.4. Ergebnis 10 3. Völkerrechtliche Verpflichtung zur Pönalisierung von Angriffen gegen Repräsentanten ausländischer Staaten (Strafpflicht) 10 3.1. Angriffe gegen Leib und Leben 10 3.2. Verunglimpfung von Hoheitszeichen und Flaggen 11 3.3. Ehrangriffe 12 3.4. Ergebnis 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 085/16 Seite 4 1. Einführung Das politische und juristische „Nachspiel“ zur Erdoǧan-Schmähkritik des Journalisten Böhmermann im April 2016 betraf insbesondere die Frage einer strafrechtlichen Verfolgung nach § 103 StGB, wonach die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts strafbar ist.1 Diese Strafrechtsnorm gehört zu den auf das Preußische Allgemeine Landrecht zurückgehenden Straftaten gegen ausländische Staaten (§§ 102 ff. StGB) und weist damit auch völkerrechtliche Bezüge auf – es handelt sich bei den §§ 102 ff. StGB um sog. völkervertragsgestützte Delikte.2 Das Strafgesetzbuch schützt dabei nicht nur die Ehre ausländischer Staatenoberhäupter (sog. „Majestätsbeleidigungsparagraph“, § 103 StGB), sondern stellt zudem Angriffe gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten (§ 102 StGB)3 sowie die Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten (§ 104 StGB)4 unter Strafe. Diese Straftaten werden nur verfolgt, wenn die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält , die Gegenseitigkeit verbürgt ist (…) und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt (§ 104a StGB). Zweck dieser Sonderstraftatbestände ist nicht allein der Schutz ausländischer Rechtsgüter, sondern vielmehr das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an einem Mindestbestand funktionierender diplomatischer Beziehungen zu auswärtigen Staaten (= inländische Rechtsgüter).5 1 § 103 StGB lautet: (1) Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft (…). 2 Vgl. zur Begrifflichkeit Kreß, Völkerstrafrecht und Weltrechtspflegeprinzip, in: ZStW 114 (2002), S. 818 (828 f.). 3 § 102 StGB lautet: (1) Wer einen Angriff auf Leib oder Leben eines ausländischen Staatsoberhaupts, eines Mitglieds einer ausländischen Regierung oder eines im Bundesgebiet beglaubigten Leiters einer ausländischen diplomatischen Vertretung begeht, während sich der Angegriffene in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe, in besonders schweren Fällen mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (…). 4 § 104 StGB lautet: (1) Wer eine auf Grund von Rechtsvorschriften oder nach anerkanntem Brauch öffentlich gezeigte Flagge eines ausländischen Staates oder wer ein Hoheitszeichen eines solchen Staates, das von einer anerkannten Vertretung dieses Staates öffentlich angebracht worden ist, entfernt, zerstört, beschädigt oder unkenntlich macht oder wer beschimpfenden Unfug daran verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (…) 5 Vgl. zu den gesetzlichen Schutzzwecken näher Schelzke, Ricarda Christine, „Ändert Jan Böhmermann das Strafgesetzbuch? Über die Abschaffung des § 103 StGB“, in: HRRS – Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht, Mai 2016, S. 248-253 (249), verfügbar unter: https://www.hrrstrafrecht .de/hrr/archiv/16-05/index.php?sz=9, sowie Kreß, in: Münchener Kommentar zum StGB, Bd. 3, München : Beck, 2. Aufl. 2012, Vorbemerkung zu §§ 102 ff., Rdnr. 5 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 085/16 Seite 5 Die Bundesregierung hatte am 15. April 2016 die nach § 104a StGB erforderliche Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt.6 Gleichzeitig strebt die Bundesregierung nach eigenen Angaben die Abschaffung des § 103 StGB bis zum Jahr 2018 an. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat bereits einen Gesetzesentwurf zur Streichung des § 103 StGB vorgelegt.7 Im Folgenden soll geprüft werden, ob das Völkerrecht der geplanten Abschaffung des „Majestätsbeleidigungsparagraphen “ entgegensteht. In diesem Zusammenhang werden zunächst die völkerrechtlichen Grundlagen der sog. „Staatenehre“8 und die Frage einer völkerrechtlichen Schutzpflicht zugunsten der Ehre erörtert (dazu 2.) und sodann geprüft, ob und inwieweit eine völkerrechtliche Pflicht der Staaten zum strafrechtsbewehrten Schutz vor „Ehrangriffen“ gegen Repräsentanten ausländische Staaten (Strafpflicht) besteht und ob für Deutschland daraus eine Pflicht zur Beibehaltung der Sonderstraftatbestände gegen ausländische Staaten aus den §§ 102 ff. StGB folgt (dazu 3.). Sowohl der Gesetzesentwurf der GRÜNEN-Fraktion9 als auch das Bundesministerium der Justiz gehen davon aus, dass „Sonderstrafnormen zugunsten Repräsentanten ausländischer Staaten“ und insbesondere der bisherige „erhöhte Strafrahmen“ völkerrechtlich nicht geboten seien.10 Die Frage der Abschaffung des § 103 StGB ist unter Rechtswissenschaftlern auch in völkerrechtlicher Hinsicht kontrovers diskutiert worden.11 6 https://www.tagesschau.de/eilmeldung/merkel-erklaerung-zu-boehmermann-101.html. 7 Gesetzentwurf zur Änderung des StGB zur Streichung des Majestätsbeleidigungsparagraphen (§103 StGB), BT-Drs. 18/8123 vom 14.4.2016, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/081/1808123.pdf. 8 Der Begriff findet sich vor allem in der älteren völkerrechtlichen Literatur, vgl. Wilhelm Gröne, Staatenehre als Völkerrechtsbegriff (1933), wird aber heute immer seltener verwendet (vgl. noch Kunig, Philip, Staatenehre im Völkerrecht, in: Jura 1998, S. 160-163). Ehrschützende Regelungen werden in Teilbereichen des Völkerrechts (wie dem Diplomaten- und Konsularrecht) praktiziert und sind dort auch kodifiziert. 9 BT-Drs. 18/8123 vom 14.4.2016. Dort heißt es: „Völkerrecht steht der Streichung des § 103 StGB nicht entgegen. Den kraft (teils geschriebenen, teils ungeschriebenen) Völkerrechts geltenden, Ehrenschutz einschließenden Grundsätzen der Unverletzlichkeit der Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder und Diplomaten fremder Staaten (zu Letzteren siehe Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen) ist bereits durch die allgemeine deutsche Rechtsordnung Rechnung getragen. Das Völkerrecht verlangt keine darüber hinausgehenden Sondertatbestände.“ 10 http://www.nwzonline.de/politik/maas-treibt-abschaffung-des-paragrafen-103-voran_a_6,1,2705355641.html. 11 Vgl. Müller, Reinhard, „Majestätsbeleidigung abschaffen?“, in: FAZ vom 15.4.2016, http://www.faz.net/aktuell/politik/nach-boehmermanns-erdogan-gedicht-majestaetsbeleidigung-streichen- 14178612.html; Talmon, Stefan, „Muss am Ende Deutschland haften?“, in: FAZ vom 14.4.2016, http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/staatenbeschwerde-gegen-deutschland-nicht-ausgeschlossen- 14176519.html; Klein, Hans Hugo, „Neue Umgangsformen“, in: FAZ vom 28.4.2016, http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/gastbeitrag-fall-boehmermann-neue-umgangsformen- 14203000.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 085/16 Seite 6 2. Völkerrechtliche Grundlagen der „Staatenehre“ – staatliche Schutzpflichten zugunsten der Ehre von Repräsentanten ausländischer Staaten Bereits im klassischen Völkerrecht des 18. und 19. Jahrhunderts (Vattel, Triepel) hatte die „Ehre des Staates“ einen hohen Stellenwert. Der völkerrechtliche Anspruch eines Staates auf Achtung seiner Repräsentanten, seiner Symbole und seiner Ehre wird – obwohl als Rechtsprinzip in der VN-Charta oder der VN-Prinzipiendeklaration12 nicht erwähnt – traditionell als Ausfluss des völkerrechtlichen Grundsatzes der territorialen Unversehrtheit und politischen Unabhängigkeit des Staates anerkannt (sog. „Recht auf ideelle Selbstbehauptung“).13 Staaten können insoweit verpflichtet sein, Beeinträchtigungen von Rechten eines fremden Staates durch Privatpersonen oder durch Institutionen, die ihrer Hoheitsgewalt unterliegen, zu unterbinden, soweit diese völkerrechtswidrig sind.14 Welche Beeinträchtigungen im Einzelnen dazu zählen, ist umstritten. Zur Ermittlung einer völkerrechtlichen Verpflichtung zum „Ehrschutz“ von Repräsentanten ausländischer Staaten lassen sich die völkerrechtliche Literatur (dazu 2.1.), die einschlägigen völkerrechtlichen Verträge (2.2.) und die Rechtsprechung nationaler oder internationaler Gerichte (2.3.) heranziehen.15 2.1. Völkerrechtslehre Relativ eindeutig zeigt sich die völkerrechtliche Literatur hinsichtlich von Angriffen auf Leib und Leben des Repräsentanten eines fremden Staates.16 Diese Auffassung findet Widerhall in dem Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen, einschließlich Diplomaten vom 14. Dezember 1973 (sog. Diplomatenschutzkonvention ).17 12 Erklärung der VN-Generalversammlung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen, 2625 (XXV) v. 24.10.1970, http://www.un.org/depts/german/gv-early/ar2625.pdf. 13 Berber, Friedrich, Völkerecht Bd. I, München, 2. Aufl. 1975, S. 207; Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München: Beck, 6. Aufl. 2014, § 5, Rdnr. 262; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht 1984, § 455; Talmon, a.a.O (Anm. 11); Mückl, Stefan, Der Schutz der staatlichen Ehre und der religiösen Gefühle in Deutschland, in: Depenheuer (Hrsg.), Der Schutz staatlicher Ehre und religiöser Gefühle und die Unabhängigkeit der Justiz, Berlin: LIT-Verlag 2008, S. 9 ff. (17). 14 Ipsen, a.a.O. (Anm. 13), § 5, Rdnr. 263. Dies entspricht der Schutzverpflichtung im Grundrechtsbereich. 15 Die „Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtler“ gehört gem. Art. 38 d) des Statuts des Internationalen Gerichtshofes (IGHSt) neben völkerrechtlichen Verträgen, Gewohnheitsrecht und Gerichtsentscheidungen zu den anerkannten Rechtsquellen des Völkerrechts. 16 Kreß, in: Münchener Kommentar zum StGB, Bd. 3, München: Beck, 2. Aufl. 2012, Vorbemerkung zu §§ 102 ff., Rdnr. 2; Watts, A., in: Recueil des Cours (RdC) 247 (1994-III), S. 9 (48 f.); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl. 1989, S. 251. 17 BGBl. II 1976, S. 1745 ff., http://www.un.org/Depts/german/uebereinkommen/ar3166-dbgbl.pdf. Vgl. dort Art. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 085/16 Seite 7 Weniger eindeutig sieht es dagegen im Bereich des staatlichen „Ehrschutzes“ aus.18 Zum Teil wird – vor allem in der älteren Literatur – die Auffassung vertreten, der Grundsatz der Staatenehre schließe den Anspruch ein, dass Symbole und Organe eines Staates (dazu zählt auch das Staatsoberhaupt) von einem anderen Staat nicht missachtet oder herabgewürdigt werden.19 Diese Auffassung begegnete im anglo-amerikanischen Schrifttum20 schon frühzeitig Zweifeln, zumal der Konflikt einer solchen Pflicht mit der völkerrechtlich geschützten Meinungsfreiheit21 vorprogrammiert ist. So wird heute auch in der deutschen Völkerrechtsliteratur zum Teil vertreten, dass Schmähungen gegen einzelne staatliche Repräsentanten nicht mehr als Begehung eines völkerrechtlichen Unrechts betrachtet werden können, mithin ein unmittelbarer Eingriff in die Rechtsposition des betroffenen Staates nicht erfolgt.22 Arnauld spricht in diesem Zusammenhang etwa von „unfreundlichen aber nicht rechtswidrigen Akten.“23 2.2. Völkervertragsrecht Die völkervertraglichen Regelungen zum Schutz von Repräsentanten auswärtiger Staaten knüpfen regelmäßig an deren Tätigkeit im Inland (Gastland) an. Gem. Art. 29 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 (sog. Wiener Diplomatenkonvention )24 behandelt der Empfangsstaat den Diplomaten mit gebührender Achtung und trifft alle geeigneten Maßnahmen, um jeden Angriff auf seine Person, seine Freiheit oder seine Würde zu verhindern.“ Zwar wird man Art. 29 der Wiener Diplomatenkonvention über den Wortlaut hinaus („Person des Diplomaten“) auch auf das Amt eines Staatsoberhaupts anwenden können. Doch dient die Diplomatenkonvention in erster Linie dem Schutz der Arbeitsfähigkeit eines akkreditierten Diplomaten im Gastland und bezieht sich nicht auf Beeinträchtigungen von Repräsentanten fremder Staaten, die sich in ihrem Heimatland aufhalten. 18 Kreß, a.a.O. (Anm. 16), Vorb. zu §§ 102 ff., Rdnr. 2, der in diesem Zusammenhang von einer „Unsicherheit hinsichtlich der Ehrangriffe“ spricht. Zweifelnd auch v. Arnauld, Andreas, Völkerecht, Heidelberg: Müller, 2. Aufl. 2014, Rdnr. 317. 19 Partsch, Karl Josef, Von der Würde des Staates, Tübingen 1967, S. 17 ff.; Simson, Gerhard, Der Ehrenschutz ausländischer Staatsoberhäupter, Diplomaten und Staatssymbole im Licht der Rechtsvergleichung, in: Lüttger (Hrsg.), Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag, 1972, S. 737 [738 f]; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht , Bd. I/1, 2. Aufl. 1989, S. 251, dem noch folgend Ipsen, a.a.O. (Anm. 14), Rdnr. 262. 20 Stowell, Ellery C., Respect due to Foreign Sovereigns, in: AJIL 31 (1937), S. 301 ff., Oppenheim, Francis Laurence , International Law. A Treatise I, 7. Aufl. 1948, S. 251 f. 21 Vgl. z.B. Art. 19 des Internationalen Pakts für Bürgerliche und Politische Rechte von 1966. 22 Kunig, Philip, Staatenehre im Völkerrecht, in: Jura 1998, S. 160-163 (162); ähnlich Watts, in: RdC 247 (1994-III), S. 9 (43). Dies gilt umso mehr, wenn sich der staatliche Repräsentant (z.B. das Staatsoberhaupt) gar nicht im Gastland (etwa auf Staatsbesuch oder in diplomatischer Funktion), sondern im Heimatland aufhält. 23 Arnauld, a.a.O. (Anm. 18), Rdnr. 317. 24 BGBl. 1964 II, S. 959; Text verfügbar unter https://www.admin.ch/opc/de/classifiedcompilation /19610070/201406120000/0.191.01.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 085/16 Seite 8 Die Diplomatenschutzkonvention von 1973 schützt neben den Diplomaten auch sonstige „völkerrechtlich geschützte Personen.“ Dazu zählt gem. Art. 1 Abs. 1a auch das Staatsoberhaupt, allerdings nur, wenn es sich – etwa zu Staatsbesuchen – in einem fremden Staat aufhält.25 Die Konvention statuiert insoweit eine Art „Schutzpflicht“ jedes Vertragsstaates, der im Interesse der internationalen diplomatischen Beziehungen den reibungslosen Aufenthalt ausländischer Staatsorgane im Gastland zu garantieren hat. In diesem Sinne schützt die Diplomatenschutzkonvention primär vor solchen Beeinträchtigungen, die eine Anwesenheit der „völkerrechtlich geschützten Person“ im Gastland praktisch voraussetzen (Art. 2 Abs. 1a erwähnt explizit die „Tötung , Entführung oder sonstige Angriffe auf die Person oder Freiheit“). Die „Person und Freiheit“ des ausländischen Repräsentanten wird gewissermaßen sogar doppelt geschützt: Gem. Art. 2 Abs. 1a der Diplomatenschutzkonvention müssen Angriffe auf die Person und Freiheit vom nationalen Recht unter Strafe gestellt werden (= repressiver strafrechtsbewehrter Schutz); gem. Art. 2 Abs. 3 der Konvention muss der Staat alle geeigneten Maßnahmen treffen , um solche Angriffe zu verhindern (= präventiver Schutz). Fraglich bleibt, wo der Schutz der Würde ausländischer Repräsentanten (= Schutz vor „Ehrangriffen “) in der Konvention verortet ist. Ob ein „Ehrangriff“ als „sonstiger Angriff auf die Person“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1a der Diplomatenschutzkonvention zu werten ist, erscheint angesichts der expliziten Erwähnung des Wortes „Würde“ in Art. 2 Abs. 3 der Konvention zweifelhaft.26 Vielmehr wird man den Begriff des „sonstigen Angriffs“ in einer Reihe mit den in Art. 2 Abs. 1a erwähnten Gewaltdelikten (Tötung oder Entführung) interpretieren müssen – dazu passt etwa die Körperverletzung, nicht aber der „Ehrangriff “. Die Würde eines staatlichen Repräsentanten wird also (nur) über Art. 2 Abs. 3 der Konvention geschützt. Die Vertragsstaaten trifft danach die völkerrechtliche Verpflichtung, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um sonstige Angriffe auf die Person, Freiheit oder Würde einer völkerrechtlich geschützten Person zu verhindern. Zwar kann die Würde eines ausländischen Repräsentanten via Internet, TV oder Presse auch dann verletzt werden kann, wenn sich die geschützte Person in ihrem Heimatland aufhält. Systematik und Telos der Diplomatenschutzkonvention (insbesondere Art. 1 Abs. 1a) sprechen indes dafür, dass die Schutzpflicht zugunsten der Würde eines ausländischen Repräsentanten nur für den Fall relevant wird, dass sich dieser im Gastland aufhält.27 25 Die authentische englische Fassung der Konvention lautet: A Head of State (…), a Head of Government or a Minister for Foreign Affairs, whenever any such person is in a foreign State, (…). 26 So auch Kreß, a.a.O. (Anm. 16), Vorb. zu §§ 102 ff., Rdnr. 3. 27 In diese Richtung wohl auch Schelzke, a.a.O. (Anm. 5), S. 250. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 085/16 Seite 9 2.3. Rechtsprechung Das BVerwG hatte sich in einer älteren Entscheidung aus dem Jahre 1981 mit dem Ehrschutz von staatlichen Repräsentanten zu befassen.28 In dem Fall ging es um die polizeiliche Beschlagnahmung eines Spruchbandes mit einem für die ausländischen Repräsentanten beleidigenden Inhalt („Kein Geld für eine Mörderbande“), das von deutschen Demonstranten vor der chilenischen Botschaft in Bonn gezeigt wurde. Das Gericht bestätigte im Grundsatz die Unverletzlichkeit der Würde eines Staates und dessen Bedeutung für den zwischenstaatlichen Verkehr und führte aus: „Die Vorschrift des § 103 StGB und die in ihrem Rahmen ggf. außerdem anzuwendenden Bestimmungen des Strafgesetzbuches (…) stellen für die von ihnen geregelten Sachverhalte die konkrete innerstaatliche Ausprägung der schon kraft ungeschriebenen Völkerrechts geltenden Grundsätze der Unverletzlichkeit der Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder und Diplomaten fremder Staaten dar“ (Rz. 40). „Ebenso wie für die Beziehungen zwischen einzelnen Personen das durch Art. 5 Abs. 2 GG geschützte Recht der persönlichen Ehre die unabdingbare Voraussetzung eines friedlichen Zusammenlebens darstellt, ist die Unverletzlichkeit der Würde der (…) am internationalen völkerrechtlichen Verkehr beteiligten Staaten (…) die notwendige unverzichtbare institutionelle Mindestvoraussetzung für das friedliche Zusammenleben der Staaten“ (Rz. 51). Auf die zentrale Frage dieser Untersuchung – ob eine völkerrechtliche Strafpflicht im Bereich des Ehrschutzes von Staatsoberhäuptern unabhängig von deren Aufenthaltsort existiert – gibt die Gerichtsentscheidung keine eindeutige Antwort. Ihr lag vielmehr die „klassische“ Konstellation des Schutzes diplomatischer Missionen im Gaststaat (Art. 29 Wiener Diplomatenkonvention) zugrunde. Ein englisches Berufungsgericht29 hatte 2007 in einem Fall betreffend den Ehrschutz des Sultans von Brunei dagegen eine Auffassung vertreten, die nicht zuletzt die bereits erwähnte unterschiedliche Bewertung der „Staatenehre“ in der anglo-amerikanischen und der deutschen Völkerrechtslehre widerspiegelt. The obligations of the UK under Art 29 of the Vienna Convention on Diplomatic Relations 1961 (…) applied equally to the foreign head of state in his personal capacity as they applied in his public capacity. (…) There was no doubt that a state was obliged to take steps to prevent physical attacks on, or physical interference with, a foreign head of state who was in the UK. But, outside physical attack or interference, to the extent there was any uniform practice – which was doubtful – it amounted to no more than courtesy or comity. 28 BVerwG, Urteil vom 08.09.1981, Az.: 1 C 88/77, https://www.jurion.de/Urteile/BVerwG/1981-09-08/BVerwG-1- C-88_77. 29 Mariam Aziz v Aziz and others [2007] EWCA Civ 712, [2007] All ER (D) 168 (Jul) Court of Appeal, Civil Division , Entscheidung vom 20.7.2007, http://www.newlawjournal.co.uk/nlj/content/law-reports-191. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 085/16 Seite 10 Where a foreign head of state has been publicly insulted, the remedy lies in the law of defamation , subject to constitutional guarantees of free speech. It was extremely difficult, if not impossible, to envisage any situation in which speech, otherwise permitted under English law, could be prohibited on the ground that it was an attack on the dignity of a foreign head of state. 2.4. Ergebnis Im Ergebnis lässt sich eine staatliche Schutzverpflichtung zugunsten von Ehre und Würde eines ausländischen Staatsoberhaupts völkervertraglich aus Art. 2 Abs. 3 der Diplomatenschutzkonvention von 1973 entnehmen. Auch Teile der Literatur und der Rechtsprechung gehen traditionell von einem solchen völkerrechtlichen Anspruch aus. Nimmt man eine staatliche Schutzverpflichtung im Bereich der „Staatenehre“ an, bleibt gleichwohl zweifelhaft, ob dieser auch jene Fälle umfasst, in denen sich ein ausländisches Staatsoberhaupt im eigenen Land aufhält, d.h. keine Berührungspunkte zum Gastland (z.B. Staatsbesuch) aufweist. Geht der Staat gegen „Ehrangriffe “ seitens Privater vor, muss in jedem Fall eine Abwägung mit der völkerrechtlich geschützten Meinungsfreiheit erfolgen.30 3. Völkerrechtliche Verpflichtung zur Pönalisierung von Angriffen gegen Repräsentanten ausländischer Staaten (Strafpflicht) Bei der Frage der Umsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz ausländischer Repräsentanten, die in Deutschland durch die Sonderstraftatbestände der §§ 102 ff. StGB (Straftaten gegen ausländische Staaten) erfolgt ist, ergibt sich folgendes Bild: 3.1. Angriffe gegen Leib und Leben Bei Angriffen auf Leib und Leben von Repräsentanten ausländischer Staaten wird ohne weiteres eine völker(gewohnheits)rechtliche Strafpflicht angenommen.31 In diesem Sinne verpflichtet auch die Diplomatenschutzkonvention von 1973 die Vertragsstaaten, folgende Straftaten im innerstaatlichen Recht unter Strafe zu stellen: 30 So auch Ipsen, a.a.O. (Anm. 13), § 5, Rdnr. 263. 31 Kreß, a.a.O. (Anm. 16), Vorb. zu §§ 102 ff., Rdnr. 2; Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O. (Anm. 16), S. 251. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 085/16 Seite 11 Die vorsätzliche Begehung – einschließlich des Versuchs und der Teilnahme an – einer a) Tötung, Entführung oder eines sonstigen Angriffs auf die Person oder Freiheit einer völkerrechtlich geschützten Person sowie b) eines gewaltsamen Angriffs auf die Diensträume, die Privatwohnung oder die Beförderungsmittel einer völkerrechtlich geschützten Person (…). Gem. Art. 2 Abs. 2 der Konvention bedroht jeder Vertragsstaat diese Straftaten mit angemessenen Strafen, welche die Schwere der Tat berücksichtigen (= völkerrechtliche Strafpflicht). Betreffend die Höhe der Strafandrohung macht die Konvention keine Vorgaben. Das deutsche Strafgesetzbuch kommt mit § 102 StGB der völkerrechtlichen Strafpflicht mit Blick auf die in Art. 2 Abs. 1a der Diplomatenschutzkonvention genannten Straftaten („Tötung, Entführung“ etc.) nach. § 102 StGB erfasst dagegen nicht die in Art. 2 Abs. 1b der Konvention aufgelisteten Straftaten („Angriff auf Diensträume“ etc.). Hier hat sich der deutsche Gesetzgeber dafür entschieden, die Umsetzung der Diplomatenschutzkonvention durch die allgemeinen Strafgesetze (etwa Hausfriedensbruch §§ 123, 124 StGB, Sachbeschädigung § 303 StGB) zu erfüllen. Das bedeutet: Der völkerrechtlichen Strafpflicht ist regelmäßig schon dadurch Genüge getan, dass die in der Diplomatenschutzkonvention genannten Straftatbestände durch die allgemeinen Straftatbestände pönalisiert werden.32 Sonderstraftatbestände sind nicht erforderlich. 3.2. Verunglimpfung von Hoheitszeichen und Flaggen § 104 StGB stellt die Verunglimpfung von Hoheitszeichen und Flaggen ausländischer Staaten – insbesondere von diplomatischen Missionen – unter Strafe. Die deutsche Strafnorm korrespondiert mit der völkerrechtlichen Verpflichtung aus Art. 20 i.V.m. Art. 22 Abs. 2 der Wiener Diplomatenkonvention , auch wenn letztere lediglich verlangt, dass der Empfangsstaat alle „geeigneten Maßnahmen“ zu treffen hat, „um zu verhindern, dass der Friede der Mission gestört oder ihre Würde beeinträchtigt wird.“ Eine Pönalisierung der Tat mit den Mitteln des Strafrechts wird völkerrechtlich nicht gefordert. Vielmehr könnte auch die Bedrohung der Tat als Ordnungswidrigkeit eine „geeignete Maßnahme“ im Sinne der Wiener Diplomatenkonvention darstellen. Der Staat hat hier einen Ermessensspielraum, wie er die Konvention umsetzen will. 32 Für die Straftaten in Art. 2 Abs. 1a der Diplomatenschutzkonvention kämen also die § 212 StGB (Tötung) und § 239 StGB (Freiheitsberaubung) in Betracht. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 085/16 Seite 12 3.3. Ehrangriffe Die Diplomatenschutzkonvention verlangt in Art. 2 Abs. 3, „alle Maßnahmen zu treffen, um Angriffe auf die Würde einer geschützten Person zu verhindern“. Gefordert ist hier zunächst einmal die Polizei und nicht das nationale Strafrecht. Die Diplomatenschutzkonvention sieht für den Schutz der Würde – anders als für den Schutz von Leib und Leben des ausländischen Repräsentanten – im Prinzip gar keine Strafpflicht vor. Ebenso wenig besteht – mangels hinreichend konsistenter Staatenpraxis – eine entsprechende völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung.33 Der Staat hat auch hier einen Ermessensspielraum, wie er die Diplomatenschutzkonvention umsetzen will. So kann eine Kriminalisierung von Beleidigungen ausländischer Staatsoberhäupter durchaus die „geeignete Maßnahme“ im Sinne der Konvention sein, um die Würde und die Ehre ausländischer Repräsentanten zu schützen. Doch bedarf es hier keine Sonderstraftatbestände (leges speciales). Auch jene Teile der Literatur, die eine völkerrechtliche Verpflichtung von Staaten im Bereich des staatlichen „Ehrschutzes“ annehmen, räumen ein, dass die innerstaatliche Umsetzung einer solchen völkerrechtlichen Verpflichtung auch im Wege der allgemeinen strafrechtlichen Bestimmungen (Beleidigungsdelikte) erfolgen kann.34 Insbesondere bestehe keine Verpflichtung, den Strafrahmen bei Straftaten gegen fremde Staatsoberhäupter höher anzusetzen als bei Beleidigungen von „Normalpersonen“.35 Die Regelung in § 103 StGB geht folglich über das hinaus, was völkerrechtlich geboten ist. Der deutsche „Majestätsbeleidigungsparagraph“ überrascht zudem dadurch, dass er den Schutz des Staatsoberhauptes – einer deutschen Rechtstradition folgend – gewissermaßen „überhöht“ und unabhängig von seinem Aufenthalt im Gastland gewährt, während der Schutz von Mitgliedern einer ausländischen Regierung nur dann greift, wenn sich diese „in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhalten“. Diese Differenzierung findet in der Diplomatenschutzkonvention (Art. 1 Abs. 1a) keine Entsprechung. 33 Vgl. Schelzke, a.a.O (Anm. 5), S. 250; Kreß, a.a.O. (Anm. 16), Vorb. zu §§ 102 ff., Rdnr. 2; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, a.a.O. (Anm. 16), S. 251; ebenso Heinen, Holger, Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes: historische Entwicklung und aktuelle Gesetzeslage in den Niederlanden und in Deutschland, Münster 2005, S. 87. 34 Mückl, a.a.O. (Anm. 13), S. 18. 35 Heinen, a.a.O (Anm. 33), S. 85; Talmon, a.a.O. (Anm. 11). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 085/16 Seite 13 3.4. Ergebnis Während die klassische Völkerrechtslehre noch von einer völkerrechtlichen Pflicht zum strafrechtsbewehrten Schutz der Ehre ausländischer Staatsoberhäupter ausging, wird heute eine völkerrechtliche Strafpflicht durchweg verneint. Die Ehre eines ausländischen Staatsoberhaupts als „natürliche Person“ (nicht als staatlicher Repräsentant) bleibt über die allgemeinen Beleidigungsvorschriften (§ 185 StGB) strafrechtlich geschützt. Eine völkerrechtliche Pflicht der Staaten , Ruf und Ehre eines ausländischen Staatsoberhauptes durch besondere Straftatbestände zu schützen, besteht nicht. § 103 StGB geht damit über das hinaus, was völkerrechtlich geboten ist. Eine Streichung des „Majestätsbeleidigungsparagraphen“ (§ 103 StGB) wäre daher völkerrechtlich unbedenklich. § 102 StGB korrespondiert dagegen mit der völkerrechtlichen Pflicht Deutschlands aus der Diplomatenschutzkonvention von 1973, wonach Angriffe gegen Leib und Leben eines Repräsentanten eines ausländischen Staates unter Strafe zu stellen sind. Dies kann allerdings auch durch die allgemeinen Strafvorschriften geschehen – Sonderstraftatbestände wären auch hier nicht erforderlich . Ende der Bearbeitung