© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 084/20 Aspekte der Entwicklungszusammenarbeit der Volksrepublik China Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 2 Aspekte der Entwicklungszusammenarbeit der Volksrepublik China Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 084/20 Abschluss der Arbeit: 20. Oktober 2020 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die Entwicklungszusammenarbeit der VR China 5 2.1. Handlungsprinzipien chinesischer Außenpolitik 5 2.2. Aktivitäten und Struktur chinesischer Entwicklungszusammenarbeit 8 2.3. Selbstverständnis und Unterschiede zur EZ klassischer Geberländer 11 2.4. Verhältnis der chinesischen EZ zur weiteren Außenpolitik und zur BRI 11 2.5. Kritik an Chinas EZ und der BRI 12 3. Fazit 17 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 4 1. Einleitung Diese Dokumentation beleuchtet einige grundlegende Aspekte der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) der Volksrepublik China. Die chinesische EZ wird weltweit immer relevanter: Innerhalb weniger Jahre hat sich die Volksrepublik von einem Empfängerland zu einem der mutmaßlich größten Geberländer gewandelt. Chinas Entwicklungszusammenarbeit unterscheidet sich jedoch stark von den westlichen Geberländern . Zum einen liegt ihr aus historischen Gründen ein anderer Ansatz (nämlich der der Süd- Süd-Kooperation) zugrunde. Zum anderen ist sie nicht klar von anderen Bereichen der chinesischen Außenpolitik zu trennen. Vielmehr wird beim Studium der Quellen deutlich, dass der Versuch einer exakten Differenzierung wenig zielführend ist. Allenfalls die formellen Strukturen der chinesischen EZ lassen sich klar als solche darstellen, wobei sie bereits Überschneidungen mit den Strukturen anderer Ressorts, insbesondere der Außenhandelspolitik, aufweisen. Zwar existieren zahlreiche chinesische EZ-Projekte, die auch nach den Kriterien der Vereinten Nationen und der OECD als staatliche Entwicklungshilfe (Official Development Assistance, ODA) klassifiziert werden können, doch überwiegt die Zahl der Projekte, bei denen sich nicht mehr klar unterscheiden lässt, ob es sich um EZ oder z.B. „normale“ Direktinvestitionen handelt. Dies wirft auch Fragen im Hinblick auf die westlichen Entwicklungsparadigmata auf: Ist z.B. der Bau von Straßen in Afrika durch chinesische Firmen mit chinesischen Krediten nur deswegen keine ODA, weil er den Kriterien der OECD nicht genügt – obwohl er deutlich messbare Entwicklungsvorteile für die lokale Bevölkerung bringt?1 Was sagt es über westliche Entwicklungsparadigmata , wenn China im Hinblick auf die Entwicklung in Afrika oft viel mehr erreicht hat als westliche Geber in Jahrzehnten? Was bedeutet es für die europäische Wirtschaft, wenn China binnen kurzer Zeit zum größten Handelspartner Afrikas aufgestiegen ist und chinesische Unternehmen dort mehr investieren als europäische? Chinas historisch beispiellos schneller Aufstieg zu einer politischen und wirtschaftlichen Weltmacht 2 hat zu Veränderungen seiner EZ geführt und zugleich die Unterschiede zu westlichen Entwicklungsparadigmata deutlich hervorgehoben. Vor allem seit Amtsantritt von Präsident Xi Jinping hat sich in der Außenpolitik Chinas ein Wandel vollzogen. Statt Integration in die globalen Strukturen und Anpassung an deren Standards versucht China nunmehr, internationale Diskurse zu beeinflussen und Formate und Standards zu entwickeln, die sich an China und sein 1 Siehe dazu die Schlussfolgerungen in: Richard Bluhm, Axel Dreher, Andreas Fuchs, Bradley C. Parks, Austin M. Strange und Michael J. Tierney, Connective Financing: Chinese Infrastructure Projects and the Diffusion of Economic Activity in Developing Countries, Working Paper 103, S.25 ff., AidData, August 2020, http://docs.aiddata.org/ad4/pdfs/WPS103_Connective_Financing__Chinese_Infrastructure_Projects_and_the_Dif fusion_of_Economic_Activity_in_Developing_Countries.pdf (zuletzt abgerufen am 2. Oktober 2020). 2 Aus chinesischer Sicht handelt es sich hierbei jedoch nicht um einen Aufstieg, sondern um eine Rückkehr zu seinem angestammten Platz in der Weltordnung. Siehe Ausführungen zu Chinas Eigenwahrnehmung in: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, China und Südostasien, S. 5, WD 2 – 3000 – 097/18, 25. Oktober 2018, https://www.bundestag.de/resource/blob/586140/d56bca0da18c2d75717865141e3d5c8b/WD- 2-097-18-pdf-data.pdf (zuletzt abgerufen am 1. Oktober 2020). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 5 Einparteiensystem anpassen. Dies wird im ersten Teil der Dokumentation dargelegt und ist für das Verständnis der weiteren Ausführungen wichtig. In den letzten Jahren gab es strukturelle Änderungen in der chinesischen EZ, darunter vor allem die Gründung einer eigenen Behörde für Entwicklungszusammenarbeit. Deren Strukturen und die den Reformen zugrunde liegenden Erwägungen werden im zweiten Abschnitt der Dokumentation erläutert. Das Selbstverständnis der chinesischen EZ ist Thema des dritten Abschnitts. Der vierte Abschnitt nennt Quellen, die die Verwobenheit der chinesischen EZ mit anderen Politikbereichen , vor allem mit der von der Belt-and-Road-Initiative (BRI) dominierten Konnektivitätspolitik , erläutern. Im fünften Abschnitt geht es schließlich um Kritik bzw. um Lob für das chinesische Engagement in Entwicklungs- und Schwellenländern. Zu beachten ist, dass die aufgeführten Quellen sich vielfach thematisch überschneiden. Viele beinhalten z.B. Ausführungen zur Intransparenz der chinesischen EZ sowie zu ihrem Verhältnis zu der Außen- und Geopolitik Chinas. Vor allem die BRI findet in jeder Quelle Erwähnung. 2. Die Entwicklungszusammenarbeit der VR China Chinas Entwicklungszusammenarbeit unterscheidet sich im Hinblick auf Selbstverständnis, Ziele und im Verhältnis zu anderen Bereichen der Außenpolitik erheblich von der EZ klassischer Geberländer. China ist kein Mitglied des wichtigsten Gremiums zur Entwicklung von Kriterien für effektive EZ – dem Entwicklungshilfekomitee der OECD (Development Assistance Committee, DAC), in dem die klassischen Geberländer sowie die relevanten multilateralen Organisationen vertreten sind. Die Evaluierungskriterien des DAC werden weithin als Standard akzeptiert, nicht jedoch von China.3 2.1. Handlungsprinzipien chinesischer Außenpolitik Um dies zu verstehen, muss man sich zunächst mit der chinesischen Außenpolitik im Allgemeinen befassen, die sich unter Xi Jinping in den letzten Jahren deutlich gewandelt hat. 3 Für einen kurzen Überblick über diese Kriterien siehe: OECD, Official Development Assistance – Definition and Coverage, 2020, http://www.oecd.org/development/financing-sustainable-development/development-financestandards /officialdevelopmentassistancedefinitionandcoverage.htm (zuletzt abgerufen am 16. Oktober 2020) sowie OECD, What is ODA?, April 2020, http://www.oecd.org/dac/financing-sustainable-development/development -finance-standards/What-is-ODA.pdf (zuletzt abgerufen am 16. Oktober 2020). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 6 Dies legt Nadine Godehardt in der Studie Wie China Weltpolitik formt – Die Logik von Pekings Außenpolitik unter Xi Jinping für die Stiftung Wissenschaft und Politik vom Oktober 2020 dar.4 Zwar bezieht sich Godehardt kaum auf die EZ im eigentlichen Sinne, doch sind ihre Ausführungen für deren Verständnis höchst relevant. In den erwähnten Quellen wird deutlich, dass sich die verschiedenen Bereiche der chinesischen Außenpolitik sehr schwer „entwirren“ lassen. „Klassische “ Außenpolitik, Außenwirtschaftspolitik, Konnektivitätspolitik und Entwicklungszusammenarbeit erscheinen miteinander verwoben und verschränkt. Das chinesische Verständnis von Prinzipien der internationalen Politik, die aus westlicher Sicht fundamental für die internationale Staatenordnung sind, z.B. Multilateralismus, unterscheidet sich deutlich von dem Verständnis westlicher Staaten, die diese Prinzipien historisch gesehen am stärksten geprägt haben. Godehardt macht deutlich, welche Konzepte der chinesischen Sicht und Herangehensweise zugrunde liegen und wie sie sich in jüngerer Zeit, d.h. seit Amtsantritt Xi Jinpings und parallel zum wirtschaftlichen und politischen Aufstieg Chinas zur Weltmacht, entwickelt haben. Die Kernaussagen von Godehardts Studie lauten: - Die Welt befindet sich in einem Interregnum. Die Weltpolitik, die nach dem Ende des Kalten Krieges von einer „optimistischen“ Perspektive auf Globalisierung und Fortschreiten der Demokratisierung und Liberalisierung geprägt war, ist zutiefst verunsichert. Während die Macht des Westens, allen voran der USA, abnimmt, vollzieht sich ein Aufstieg anderer Weltteile, insbesondere Asiens und hier vor allem Chinas. Dabei sei jedoch noch unklar, ob, und wenn ja, wodurch die primär vom Westen geprägte Weltordnung ersetzt wird. Chinas Aufstieg zeige jedoch, dass Modernisierung nicht mit Verwestlichung im Sinne einer politischen und sozialen Liberalisierung gleichzusetzen sei. Vielmehr stelle er Chinas Weg als Alternative dar. Dies ist umso bedeutender, als China sich den Normen und Konzepten der internationalen Politik „alter Prägung“ nicht zwingend anschlösse. Vielmehr gilt: Chinas Außenpolitik beruht auf zwei Handlungsprinzipien, nämlich 1. „Andocken“ (Duijie) und 2. „Diskursmacht“ (Huayuquan). Andocken steht im politischen Diskurs Chinas für eine politische Beziehung (mit anderen Staaten oder internationalen Akteuren) auf Augenhöhe, die keiner vorherigen Anpassung an etablierte Normen und Regeln der internationalen Gemeinschaft bedarf. Dies ist gerade im Hinblick auf die chinesische EZ klar erkennbar: China ist nicht Teil des DAC und hat seine EZ den Kriterien des DAC, also dem vermeintlich globalen Standard, nicht unterworfen. Ausgehend von Godehardts Ausführungen ist es unwahrscheinlich, dass sich dies ändern wird. Vielmehr wird China auch weiterhin eine Außenpolitik (und damit EZ) betreiben, die den westlichen Vorstellungen nicht ganz oder eventuell auch gar nicht entspricht, dafür aber Chinas eigenem politischen und wirtschaftlichen System. 4 Nadine Godehardt, „Wie China Weltpolitik formt – Die Logik von Pekings Außenpolitik unter Xi Jinping“, SWP-Studie 2020/S 19, Oktober 2020, Volltext online oder als PDF- Download unter https://www.swp-berlin .org/publikation/wie-china-weltpolitik-formt/ (zuletzt abgerufen am, 15. Oktober 2020). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 7 Godehardt führt aus: „[Andocken] wird auf allen Ebenen der chinesischen Außenbeziehungen angewendet, und zwar von einer Vielzahl an Akteuren – Regierungs- und Parteiorganen ebenso wie Medien und Unternehmen aller Art (…) Folglich verändert das Prinzip »Duijie« die chinesische Außenpolitik in zweierlei Hinsicht. Erstens enden damit die Diskussionen über Chinas Integration in die internationale Ordnung, insbesondere sofern diese unter der Voraussetzung einer Transformation des politischen Systems erfolgen sollte. Zweitens wandelt sich mit »Duijie« die Wirkrichtung chinesischer Politik. Das Prinzip impliziert ein proaktiveres Vorgehen chinesischer Akteure mit dem Ziel, dominante (liberale) Normen, Standards und Werte beispielsweise durch die Etablierung von China+X-Mechanismen umzugestalten. Damit soll eine internationale Ordnung geschaffen werden, die besser mit Chinas autoritärem Einparteiensystem vereinbar ist. Entscheidend ist also nicht mehr die Kompatibilität Chinas mit der Welt, sondern jene der Welt mit China.“ Diskursmacht wiederum steht „für einen proaktiveren Auftritt Chinas und für das Ziel, die internationale Politik zu rekonfigurieren (…). Chinesische Experten der Zentralen Parteischule betonen, dass es für den „Sozialismus mit chinesischen Charakteristika“ an der Zeit sei, bei der „Konstruktion eines globalen Diskurssystems“ eine Rolle zu spielen (…). Die Kunst besteht darin, existierende Formulierungen inhaltlich so zu verändern, dass sie von westlichen Regierungen selbst in einem chinesischen Sinne genutzt werden, ohne dass es sofort offensichtlich wäre. Ein solches Vorgehen lässt vermuten, dass chinesische Akteure, gerade unter Xi Jinping, die inhaltliche Ausrichtung von Dialogmechanismen mit externen Akteuren immer häufiger den Vorstellungen der Parteiführung anpassen.“ Daraus folgert Godehardt: „In diesem Sinne wirken die beiden Handlungsprinzipien „Duijie“ und „Huayuquan“ zusammen und begründen so die veränderte Stoßrichtung chinesischer Außen- und Konnektivitätspolitik. Peking drängt also darauf, mithilfe seiner eigenen Ideen und durch ein proaktiveres Auftreten internationale Organisationen inhaltlich zu rekonfigurieren (Huayuquan) und gleichzeitig neue Institutionen, Mechanismen und Wege zu etablieren, um die Welt an China zu binden (Duijie).“ Godehardt beschreibt die Wirkweise von Duijie und Huayuquan anhand mehrerer Beispiele, darunter die chinesische Afrikapolitik und der politische Umgang mit der Covid-19-Pandemie. Sie kommt zu drei Schlussfolgerungen: - Das Interregnum als gegenwärtigen Zustand der internationalen Ordnung begreifen. Politische Werte wie Konnektivität, Globalisierung, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit müssten in neu zu schaffende Rahmenbedingungen eingebettet und als Leitmotive der Politik wiederentdeckt werden. Nur dann lasse sich der „China-Erzählung“ ein eigenständiges europäisches Narrativ entgegensetzen, das auch Auswirkungen auf die Gestaltung der Ordnung nach dem Interregnum haben könnte. - Die direkte und indirekte Auseinandersetzung mit China und seiner Handlungslogik weiter vertiefen. Der Wettbewerb um Deutungshoheit in der internationalen Politik verlange nach stärkerem Feingefühl, einem tiefergehenden Verständnis des Gegenübers und mehr Bestimmtheit, eigene Positionen zu vertreten. Ohne diese Elemente ende die strate- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 8 gische Reaktion in der Pauschalverurteilung aller Zusammenarbeit mit China. Das „Abkoppeln “ mag dabei auf den ersten Blick attraktiv und als „einfache Lösung“ im Umgang mit China erscheinen, gleicht aber einer Kapitulation vor den Herausforderungen des Interregnums . Nötig sei vielmehr die aktive Ausgestaltung einer zukünftigen internationalen Ordnung, ihrer Werte und Normen. Aus diesem Grund sei auch ein tieferes Verständnis chinesischer Handlungslogik wichtig. - Angesichts der veränderten Logik chinesischer Außenpolitik unter Xi Jinping die Zugänge nach China trotz aller Schwierigkeiten weiterhin offen halten. 2.2. Aktivitäten und Struktur chinesischer Entwicklungszusammenarbeit Die chinesische EZ ist berüchtigt für ihre Intransparenz. China gehört – wie bereits betont – nicht dem Entwicklungshilfekomitee der OECD (Development Assistance Committee, DAC) an und hat sich dessen Kriterien nicht zu eigen gemacht. Es veröffentlicht kaum Daten zu seinen EZ-Projekten . Um einen Überblick über konkrete Projekte der chinesischen EZ und TZ (Technische Zusammenarbeit ) in einzelnen Ländern mit einer Fülle zusätzlicher Daten zu erhalten, lohnt ein Blick auf die Webseite von AidData, einem Forschungslabor des Global Research Institute der Universität William & Mary, der zweitältesten Hochschule der Vereinigten Staaten.5 AidData sammelt und veröffentlicht Daten über die chinesische EZ, chinesische Infrastrukturprojekte und chinesische Direktinvestitionen. Seine Datenbank ist mittlerweile die angesehenste und am meisten genutzte Datenquelle für Forschung zu diesen Themen. AidData publiziert darüber hinaus auch eigene Forschungsarbeiten. Die öffentlich zugänglichen Arbeiten sind für jeden Interessierten von großem Wert. Einen Überblick über die aktuellen Methoden, Strukturen, Grundlagen und Ziele der chinesischen EZ geben Leah Lynch, Sharon Andersen und Tianyu Zhu in ihrem Artikel „China’s Foreign Aid: A Primer for Recipient Countries, Donors, and Aid Providers“ vom Juli 2020.6 Da diese Quelle die meisten der im Rahmen dieser Dokumentation aufgeworfenen Fragen streift, soll ihr Inhalt hier ausführlicher dargestellt werden. Die Autoren stellen zunächst die verschiedenen Formen dar, die die chinesische EZ annimmt. Diese unterscheiden sich nicht grundlegend von der EZ klassischer Geberländer, wobei humanitäre Hilfe, anders als in Deutschland, als EZ klassifiziert wird. Auch die Finanzierung von EZ-Projekten unterscheidet sich mit den drei 5 AidData, A Research Lab at William & Mary, About AidData, 2020, https://www.aiddata.org/about (zuletzt abgerufen am 8. Oktober 2020). 6 Leah Lynch , Sharon Andersen und Tianyu Zhu, China’s Foreign Aid: A Primer for Recipient Countries, Donors, and Aid Providers, Center for Global Development. 9. Juli 2020, https://www.cgdev.org/publication/chinas-foreign -aid-primer-recipient-countries-donors-and-aid-providers (zuletzt abgerufen am 1. Oktober 2020). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 9 Hauptformen Zuschuss, zinsloses Darlehen und niedrigverzinstes Darlehen nicht von der westlichen EZ-Finanzierung. Im Unterschied zu westlichen Gebern kombiniert China diese Finanzierungsformen häufig, so dass Teile von ein und demselben Projekt unterschiedlich finanziert werden und manchmal auch innerhalb der Projektlaufzeit von einem Modell zum anderen gewechselt wird. Aus westlicher Sicht führt dies zu Intransparenz – aus chinesischer Perspektive dagegen zu Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. In einem weiteren Abschnitt erläutern die Autoren die Struktur und die institutionelle Stellung der im März 2018 gegründeten Entwicklungsbehörde CIDCA (Chinese International Development Cooperation Agency, Chinesische Behörde für Internationale Entwicklungszusammenarbeit). Vor der Gründung der CIDCA waren der Staatsrat (das höchste politische Gremium der Volksrepublik ), das Handelsministerium sowie das Außenministerium für die Planung und Verwaltung der chinesischen EZ-Projekte zuständig, wobei 90 Prozent der Mittel für bilaterale EZ von der Abteilung für internationale Zusammenarbeit des chinesischen Außenhandelsministeriums kamen. Diese Struktur erwies sich mit steigender Zahl der Projekte und einem immer größeren Finanzvolumen als ineffizient. CIDCA führt zwar selbst keine EZ-Projekte durch, ist aber für die Ausarbeitung der EZ-Strategie Chinas im Allgemeinen, den Abschluss von Vereinbarungen (Memoranda of Understanding, MoUs) mit Partnerländern sowie für die Genehmigung, Koordinierung und Evaluation der Projekte zuständig. Dabei untersteht CIDCA direkt dem Staatsrat, was zeigt, welch hohen politischen Stellenwert die chinesische Führung der EZ beimisst. Die Projekte an sich können von mehr als 20 verschiedenen Ministerien und Behörden geplant und durchgeführt werden, wobei die Federführung beim Handelsministerium (international bekannt unter der Abkürzung MOFCOM, Ministry of Commerce) liegt.7 Die Autoren erwähnen, dass auch nach der Gründung von CIDCA noch große Unklarheiten hinsichtlich der chinesischen EZ bestehen, da die Staatsführung nur relativ spärliche Informationen preisgibt. Überdies ist die CIDCA mit nur 100 Stellen personell schlecht ausgestattet.8 Der Weg, den ein chinesisches EZ-Projekt von der Idee bis zur Evaluierung offiziell nimmt, wird in dem genannten Artikel mittels einer Grafik illustriert. Von den verschiedenen Durchführungsorganisationen sind neun besonders wichtig; diese werden von den Autoren kurz in einer Tabelle dargestellt. In den Empfängerländern obliegt die direkte Aufsicht und Steuerung der chinesischen EZ-Projekte den lokalen Overseas Economic and Commercial Counsellor’s Offices, d.h. Vertretungen des Handelsministeriums (die aber nicht Teil der Botschaften und Konsulate der VR China sind). 7 Verzinste Darlehen (concessional loans) sowie Beiträge zu multilateralen EZ-Vorhaben unterliegen allerdings nicht der Federführung von CICDA und MOFCOM, sondern dem Finanzministerium und der Exim-Bank (Export-Import-Bank). 8 Marina Rudyak, „The Ins and Outs of China’s International Development Agency”, Carnegie Endowment for International Peace am 2. September 2019, https://carnegieendowment.org/2019/09/02/ins-and-outs-of-china-sinternational -development-agency-pub-79739 (zuletzt abgerufen am 5. Oktober 2020). Die Autorin vergleicht die 100 Stellen bei der CIDCA mit den über 1.000 Mitarbeitern des Bundesministeriums für Entwicklung und internationale Zusammenarbeit. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 10 Schon an diesen Strukturen und Prozessen wird deutlich, dass die chinesische EZ zum einen für die Staatsführung von hoher außenpolitischer Bedeutung, zum anderen in den Kontext der außenwirtschaftlichen Interessen Chinas eingebettet ist. Zum Abschluss des Artikels geben die Autoren den klassischen Geberländern folgende Ratschläge : - Entwicklung eines Verständnisses für die Wahrnehmung chinesischer EZ in den Empfängerländern (anstatt die eigene Wahrnehmung und Interpretation absolut zu setzen), - Anerkennung der Komplexität chinesischer EZ-Strukturen und der Schwierigkeit, diese schnell zu ändern, - Frühzeitige Kontaktaufnahme und Zusammenarbeit mit CIDCA. Trilaterale Zusammenarbeit wird von CIDCA koordiniert, weswegen es wichtig ist, Kontakte und Kooperationsformate mit der Behörde auszubauen, um gemeinsam spezifische Ideen und Ziele zu finden. Näheres zu den Entwicklungen, die zur Gründung der CIDCA führten sowie zu den Hoffnungen, die Chinas Führung in sie setzt, erläutert Cheng Cheng in seinem Beitrag „The Logic Behind China’s Foreign Aid Agency“ für die Stiftung Carnegie Endowment for International Peace vom Mai 2020.9 Cheng zufolge setzt die Entwicklung in den 1990er Jahren ein, als Chinas Regierung damit begann, seine Hilfen für Entwicklungsländer zwischen den verschiedenen Ministerien, die damals eigenständig Projekte durchführten, zu koordinieren. Mit der Gründung der Exim-Bank und der Chinesischen Entwicklungsbank wurden zwei Finanzinstitute geschaffen, die auch heute noch das Rückgrat der chinesischen EZ-Finanzierung bilden. Im Jahre 2000 hielt China das erste Forum für chinesisch-afrikanische Zusammenarbeit ab, das auch heute noch das wichtigste Forum der multilateralen Kooperation Chinas mit Afrikas Staaten ist.10 Die im Jahre 2013 vorgestellte BRI führte laut Cheng zu weiteren Umstrukturierungen der chinesischen EZ, und zwar auch aufgrund wachsender Kritik anderer Geberländer. Diese Umstrukturierung dauere laut Cheng an. China sei bestrebt, der internationalen Kritik entgegenzuwirken, indem es sowohl in der eigentlichen EZ als auch im Rahmen der BRI mehr Projekte mit sozialem Anspruch durchführe , d.h. in den Bereichen Bildung, Landwirtschaft und Gesundheit. Die Gründung der CIDCA sei – von den praktischen Erwägungen wie Bürokratieabbau und Effizienz abgesehen – auch eine Reaktion auf internationale Kritik, der zufolge Chinas EZ und vor allem deren Finanzierung nicht den Standards der im DAC der OECD organisierten Geberländer entspreche. Für eine Beurteilung der Arbeit von CIDCA sei es noch zu früh. Die Behörde selbst und damit auch die chinesische EZ würden in den nächsten Jahren noch Anpassungen erfahren. 9 Cheng Cheng, The Logic Behind China’s Foreign Aid Agency, Carnegie Endowment for International Peace, 21. Mai 2020, https://carnegieendowment.org/2019/05/21/logic-behind-china-s-foreign-aid-agency-pub-79154 (zuletzt abgerufen am 1. Oktober 2020), 10 Auch Nadine Godehardt widmet Chinas Verhältnis zu Afrika einen eigenen Absatz (Anm. 4). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 11 2.3. Selbstverständnis und Unterschiede zur EZ klassischer Geberländer Historisch gesehen handelt es sich bei der entwicklungspolitischen und technischen Zusammenarbeit Chinas mit anderen Staaten um ein klassisches Beispiel sogenannter Süd-Süd-Kooperation , d.h. um die Zusammenarbeit zwischen Staaten, die allesamt Entwicklungs- oder Schwellenländer sind bzw. selbst noch Hilfe von den entwickelten Staaten des „globalen Nordens“ empfangen . Dabei soll die Partnerschaft beide Partner stärken und die beteiligten Länder sollen von den Erfahrungen des jeweils anderen profitieren. Im Jahre 2017 bezweifelt Thomas Fues dies im Hinblick auf die EZ des heutigen China in seinem Artikel „Ist die Romanze der Süd-Süd-Kooperationen vorbei?“11 China habe sich von der klassischen EZ abgewandt und konzentriere alle seine Kräfte auf die Belt-and-Road-Initiative. Im Lichte der Ausführungen von Lynch, Andersen und Zhu (s.o.) erscheint diese Schlussfolgerung jedoch zweifelhaft. China hat sich keineswegs von der EZ abgewandt. Vielmehr hat es sie neu strukturiert und ausdrücklich auch (aber eben nicht ausschließlich) in den Dienst der BRI gestellt . Angesichts der politischen und wirtschaftlichen Bedeutung Chinas kann sicherlich nicht mehr von Süd-Süd-Kooperation im klassischen Sinne, d.h. von einer Zusammenarbeit zwischen mehr oder weniger gleich stark entwickelten Entwicklungs- und Schwellenstaaten gesprochen werden. China ist ein Geberland und kann aufgrund seiner Stellung als wirtschaftliche und politische Großmacht nicht mehr als Gleicher unter Gleichen mit Entwicklungsstaaten kooperieren. Diese Komponente der Definition von Süd-Süd-Kooperation lässt sich grundsätzlich nicht mehr beibehalten und erscheint im Lichte der Ausführungen Nadine Godehardts (s.o.) zu Duijie und Huayuquan auch wenig plausibel. Allerdings basiert die chinesische EZ offensichtlich weiterhin auf dem zweiten Grundgedanken der Süd-Süd-Kooperation, nämlich dem des gegenseitigen Nutzens. In weiten Teilen der heutigen westlichen „Geberszene“ ist dagegen der Gedanke, oder zumindest der explizite Anspruch, dass ein EZ-Projekt den Gebern auch wirtschaftlich nutzen sollte, eher verpönt.12 2.4. Verhältnis der chinesischen EZ zur weiteren Außenpolitik und zur BRI Das gewaltige Bündel von Infrastruktur- und Wirtschaftsinvestitionen Chinas in (planmäßig) über 80 Staaten stellt die EZ Chinas klar in den Schatten und übertrifft – sofern das Projekt so, wie geplant , realisiert wird – auch die EZ der klassischen Geberländer. Die potentiellen Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Umwelt und ggf. auch die geostrategische Ausrichtung 11 Thomas Fues, „Ist die Romanze der Süd-Süd-Kooperationen vorbei?“, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik am 11. September 2017, https://www.die-gdi.de/die-aktuelle-kolumne/article/ist-die-romanze-der-suedsued -kooperation-vorbei/. 12 Vgl. dazu die Ausführungen in: OECD, A historical overview of development paradigms, Perspectives on Global Development 2019, Kapitel 4, https://www.oecd-ilibrary.org/sites/persp_glob_dev-2019-8-en/index .html?itemId=/content/component/persp_glob_dev-2019-8-en (zuletzt abgerufen am 2. Oktober 2020). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 12 der beteiligten Staaten sind enorm. Die BRI wird zweifellos stärkere und direktere Effekte zeitigen als die chinesische EZ. Lynch, Andersen und Zhu (s.o.) beleuchten in ihrem Artikel zur CIDCA daher auch das Verhältnis chinesischer EZ zur Belt-and-Road-Initiative. Obwohl die BRI-Infrastrukturprojekte nicht primär als EZ-Projekte definiert werden, ist die Unterstützung der Umsetzung der BRI offiziell Teil des Auftrags der CIDCA. Laut der offiziellen Pressemitteilung der chinesischen Staatsführung ist es die Aufgabe der CIDCA, „die Effektivität der Entwicklungshilfe als ein Schlüsselinstrument der Außenpolitik zu steigern, die strategische Planung und die generelle Koordinierung der Hilfen zu verbessern, die Steuerung der Hilfen zu zentralisieren, die Art der Hilfsleistungen zu reformieren und grundsätzlich Chinas Diplomatie und der Umsetzung der BRI zu dienen.“13 Dies verkompliziert die Analyse der chinesischen EZ noch mehr, da die Bürokratie im Hinblick auf die BRI noch komplexer ist als im Hinblick auf die chinesische EZ. So können beispielsweise auch Regierungen der 31 chinesischen Provinzen BRI-Projekte finanzieren, d.h. Anreize für die in ihren Provinzen beheimateten Unternehmen setzen, sich im Ausland bei BRI-Projekten zu betätigen . Lynch, Andersen und Zhu führen aus, dass die BRI-Projekte zwar offiziell selten EZ-Projekte seien, aber auf demselben Grundgedanken, nämlich dem des gegenseitigen Nutzens, basieren . Angesichts der im Verhältnis zur chinesischen EZ sehr viel größeren Finanzvolumina der BRI sei es die BRI, die in Zukunft das Wesen und die Struktur der chinesischen EZ beeinflusse. Den Autoren zufolge sei es daher sinnvoller, die chinesische EZ im Kontext der BRI, d.h. ihren wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen und Zielen, zu betrachten und nicht umgekehrt . 2.5. Kritik an Chinas EZ und der BRI Chinas EZ ist seit Jahren starker Kritik aus den Industrie-, aber auch Entwicklungsstaaten ausgesetzt . Hierbei kommt noch stärker zum Tragen, dass sich EZ, Direktinvestitionen und andere Formen des finanziellen und wirtschaftlichen Engagements oft nur schwer voneinander abgrenzen lassen, was durch die BRI, die, wie anhand des Mandats der CIDCA ersichtlich, explizit EZ und Wirtschaft beinhaltet, noch verkompliziert wird. Es werden dabei vor allem folgende Kritikpunkte vorgebracht: - für Chinas EZ, TZ, Kredite und Direktinvestitionen seien Menschenrechte, gute Regierungsführung usw. irrelevant; China unterstütze faktisch autoritäre und diktatorische Regime und kooperiere tatsächlich sogar sehr viel mehr mit solchen Regierungen als mit denen demokratischer Staaten 13 Marina Rudyak, „The Ins and Outs of China’s International Development Agency”, The Carnegie Endowment for International Peace, 2. September 2019, https://carnegieendowment.org/2019/09/02/ins-and-outs-of-china-sinternational -development-agency-pub-79739 (zuletzt abgerufen am 5. Oktober 2020, Übersetzung und Fettungen durch den Verfasser). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 13 - China sei in erster Linie an Zugang zu Rohstoffen und nicht an der Entwicklung der Partnerstaaten interessiert - China setze kaum lokale Arbeitskräfte ein, sondern importiere sie aus China; die Menschen vor Ort hätten also nichts von chinesischen Investitionen - die Kreditvergabebedingungen für Infrastrukturprojekte werden von China so gestaltet, dass sie die Empfängerländer in Schuldenfallen treiben - es gehe China primär um geopolitischen Einfluss. Die folgenden Quellen greifen diese Kritikpunkte auf. Im Vergleich zur westlichen EZ sind menschenrechtliche und politische Erwägungen tatsächlich unbedeutend. China macht weder seine EZ noch seine Investitionen abhängig von entsprechenden Reformen in den Empfängerländern. Nicht nur ignoriert China Menschenrechtsverletzungen und Korruption in seinen Kooperationsländern , sondern stärkt in einigen Fällen sogar korrupte, aber chinafreundliche Regierungen. Es gibt Beispiele dafür, dass China in die politischen Prozesse von Ländern mit schlechter Regierungsführung und Menschenrechtsbilanz interveniert hat, um ihm genehme Regime an der Macht zu halten. Ein Beispiel dafür ist Kambodscha.14 Dies entspricht auch den Ausführungen Nadine Godehardts und dem außenpolitischen Prinzip des „Andockens“. Aber auch hier offenbart sich wieder das Problem, dass sich chinesische EZ und chinesische Wirtschaftsinvestitionen oftmals kaum voneinander unterscheiden lassen. Dies liegt schon daran, dass sich viele der größten chinesischen Unternehmen in Staatsbesitz befinden und sich Unternehmer - und Staatshandeln nicht immer klar voneinander trennen lassen. Dies verdeutlicht das Beispiel einer geplanten Mine für den Gold-, Silber- und Kupferabbau in Papua-Neuguinea, die das in Australien registrierte, aber zu einem chinesischen Staatskonzern gehörende Unternehmen PanAust errichten will. Das Projekt hat wegen befürchteter Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden massive Kritik seitens der Vereinten Nationen nach sich gezogen.15 Betrachtet man jedoch die Außenwirtschaftspolitik westlicher Staaten, wird deutlich, dass auch diese nicht zwingend an Bedingungen wie gute Regierungsführung, Menschenrechte oder Rechtsstaatlichkeit gebunden ist – das beste Beispiel sind die Wirtschaftsbeziehungen westlicher Staaten mit China selbst. 14 Siehe Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages (Anm.2). 15 Lyanne Togiba / Ben Doherty, „Plan for largest mine in Papua New Guinea history 'appears to disregard human rights', UN says”, in: Guardian am 8. Oktober 2020, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/08/plan-forlargest -mine-in-png-history-appears-to-disregard-human-rights-un-says (zuletzt abgerufen am 8. Oktober 2020). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 14 Dies legen Axel Dreher, Andreas Fuchs, Brad Parks, Austin M. Strange und Michael J. Tierney in ihrem Artikel „Apples and Dragon Fruits: The Determinants of Aid and Other Forms of State Financing from China to Africa”16 in der Fachzeitschrift International Studies Quarterly vom März 2018 dar. Die Autoren weisen nach, dass ein großer Teil der Kritik an Chinas EZ in Afrika auf der schwierigen Unterscheidbarkeit von chinesischer EZ und „normalen“ Investitionen gründet, aber darüber hinaus zumindest für den untersuchten Zeitraum (2000 – 2012) nicht zutrifft. Chinas „ODA-artige“17 Finanztransfers an afrikanische Länder dienten laut den Autoren empirisch weder hauptsächlich der Sicherung von Rohstoffen, noch gingen sie vor allem an undemokratisch regierte Staaten. Dass es in der westlichen Wahrnehmung anders sei, liegt laut den Autoren zum einen an den verwendeten Kriterien, die eben historisch gesehen allein von westlichen Gebern entwickelt wurden, zum anderen an der fehlenden Transparenz der chinesischen Entwicklungs- und Außenwirtschaftspolitik. Den Autoren zufolge erwachse die Kritik westlicher Journalisten, Politiker und Akademiker vor allem daraus, dass „Äpfel mit Drachenfrüchten“ verglichen werden, d.h. EZ-Projekte gemäß den DAC-Kriterien, die sich sauber von anderen Investitionen trennen lassen, mit chinesischen Projekten, die häufig einen hybriden Charakter haben. Chinas wachsende Rolle sei nicht nur Anlass, China verstärkt unter die Lupe zu nehmen, sondern auch, die eigenen EZ-Kriterien und -Paradigmen zu hinterfragen. Betrachte man EZ, TZ, Investitionen und Handel eines westlichen Staates in und mit einem afrikanischen Land in ihrer Gesamtheit, so träfen viele der China gemachten Vorwürfe auch auf westliche Staaten zu. Hinsichtlich des Vorwurfes, Chinas EZ- und sonstige Projekte brächten den jeweiligen Ländern kaum positive Effekte, kommen Kartik Jayaram, Omid Kassiri und Irene Yuan Sun in einer Untersuchung von Chinas ökonomischem Engagement in Afrika mit dem Titel „Dance of the lions and dragons: How are Africa and China engaging, and how will the partnership evolve?“18 vom Juni 2017 zu differenzierteren und zum Teil gegenteiligen Erkenntnissen. China sei in den letzten zwanzig Jahren zum größten Handelspartner Afrikas aufgestiegen. Darüber hinaus leiste es die größten Investitionen und Finanzierungen von Infrastrukturprojekten und sei darüber hinaus auch zu einem wichtigen Geber für EZ und TZ geworden. Die Autoren fanden heraus, dass die Zahl der in den von ihnen betrachteten acht afrikanischen Staaten um ein Vielfaches höher sei, als offizielle Angaben von MOFCOM. Sie schätzen die Gesamtzahl von 16 Axel Dreher, Andreas Fuchs, Brad Parks, Austin M. Strange und Michael J. Tierney, Apples and Dragon Fruits: The Determinants of Aid and Other Forms of State Financing from China to Africa, in: International Studies Quarterly, Vol. 62, Ausg. 1, März 2018, https://academic.oup.com/isq/article/62/1/182/4841635 (zuletzt abgerufen am 2. Oktober 2020). 17 Da die Datenlage zur chinesischen ODA so schlecht ist, beschränken sich die Autoren auf Finanztransfers, die weitestgehend, aber eben nicht vollumfänglich, den DAC-Kriterien zur ODA entsprechen. 18 Kartik Jayaram, Omid Kassiri und Irene Yuan Sun, The closest look yet at Chinese economic engagement in Africa, 28. Juni 2017, https://www.mckinsey.com/featured-insights/middle-east-and-africa/the-closest-look-yetat -chinese-economic-engagement-in-africa# (zuletzt abgerufen am 5. Oktober 2020). Die eigentliche Studie ist nur gegen Bezahlung erhältlich. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 15 in Afrika tätigen chinesischen Unternehmen auf 10.000. Dabei handele es sich zu 90 Prozent um Privatunternehmen, was die Annahme widerlege, Chinas Engagement in anderen Staaten folge vorrangig einer Art Masterplan der chinesischen Zentralregierung. Darüber hinaus sind folgende Ergebnisse wichtig: - die meisten chinesischen Unternehmen in Afrika zielen vorrangig auf afrikanische Märkte ab und nicht auf den Export, - dabei dominierten sie vor allem den Infrastruktursektor, - die Hälfte der Unternehmen hätten neuartige Produkte auf die lokalen Märkte gebracht, ein Drittel neue Technologien, - 89 Prozent der von chinesischen Unternehmen eingesetzten Arbeitnehmer stammen aus dem jeweiligen Land, allerdings nur 44 Prozent der Manager, - nur 47 Prozent der Zulieferbetriebe seien afrikanische Unternehmen, - es gibt Beispiele für rechtswidriges Handeln chinesischer Unternehmen, z.B. illegalen Holzeinschlag und anderen Raubbau an der Natur sowie unmenschliche Arbeitsbedingungen , doch sei es schwer, hier zu generalisieren, - die Art und Weise des chinesischen Engagements und seine Auswirkungen hängen vom jeweiligen Staat und seiner Politik ab. Staaten wie Äthiopien und Südafrika hätten z.B. ausformulierte China-Strategien und ausgereifte Beziehungen zu Chinas Zentral- und Provinzregierungen . Daher betrachte China sie als vollwertige Partner, und sie zögen den größten Nutzen aus dem chinesischen Engagement. Auf Angola, das eine schwache Regierung ohne klare Strategie habe, wiederum träfe der Vorwurf, China finanziere Infrastruktur , um im Gegenzug Rohstoffe für staatliche Firmen zu erhalten, durchaus zu. In Sambia wiederum gäbe es mehr chinesische Privatunternehmen, aber die Regierung sei nicht in der Lage, diese zu überwachen, weshalb es in dem Land häufig zu Arbeitsrechtsverstößen etc. käme. Einige der häufigsten Kritikpunkte sind also nicht gegenstandslos, doch muss grundsätzlich von Land zu Land und von Wirtschaftssektor zu Wirtschaftssektor differenziert werden. Hinsichtlich der Vorwürfe, China treibe insbesondere durch BRI-Projekte Staaten in Schuldenfallen und mache sie sich so wirtschaftlich und politisch „gefügig“, ist sich die Fachliteratur uneins. Lee Jones und Shahar Hameiri vertreten in ihrem Forschungspapier „Debunking the Myth of ‘Debt-trap Diplomacy’ - How Recipient Countries Shape China’s Belt and Road Initiative” vom August 2020 die Ansicht, dass die Vorwürfe der Realität nicht standhielten, bzw. dass die Fälle, in denen sich Staaten beim Versuch, BRI-Projekte zu finanzieren, tatsächlich in Schuldenfallen begeben Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 16 haben, den Regierungen dieser Staaten zuzuschreiben seien.19 Jones und Hameiri zufolge ist China primär der Vorwurf zu machen, dass die BRI nicht koordiniert und geordnet umgesetzt werde. Gerade in Sri Lanka und Malaysia, die häufig als Beispiele für in Schuldenfallen getriebene Staaten genannt werden, seien die BRI-Projekte, die die Überschuldung gegenüber chinesischen Banken zur Folge hatten, von den jeweiligen Regierungen initiiert worden. Für die Überschuldung an sich seien überdies „westlich dominierte Finanzmärkte und Finanzierungsinstrumente “ mitverantwortlich. Diese hätten Malaysia und Sri Lanka keine andere Wahl gelassen, als eine Finanzierung über chinesische Banken zu organisieren. Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass China das Überschuldungsrisiko Sri Lankas und Malaysias vor Abschluss der Kreditverträge kennen musste. Offensichtlich hat es in einer möglichen Überschuldung der beiden Länder kein Problem gesehen. Dass Sri Lanka gezwungen war, den mittels chinesischer Kredite und chinesischen Unternehmen errichteten Tiefwasserhafen Hambantota für 99 Jahre an China zu verpachten, kommt überdies Chinas strategischen Interessen im Indischen Ozean so sehr entgegen, dass man nicht von einem Zufall ausgehen könne.20 China hat im Hinblick auf den Indischen Ozean und insbesondere die Straße von Malacca vor allem das Interesse, seinen Nachschub an Erdöl und Kohle zu sichern. Über 80 Prozent der für den Energiebedarf Chinas notwendigen fossilen Energieträger werden über die Straße von Malacca und die Meerenge von Singapur verschifft. Im Konfliktfall könnte ein Gegner – z.B. die USA – diesen Seeweg relativ leicht blockieren. China setzt daher seit Jahren alles daran, alternative Transportwege für Kohle, Öl und andere Güter zu etablieren. Dazu gehören auch Tiefwasserhäfen in Kyaukpyu in Myanmar und Karachi in Pakistan, die wiederum mittels neuer Straßen mit China verbunden werden. Der neue Standort in Sri Lanka verschafft China die Möglichkeit, im zentralen Indischen Ozean zu operieren, und er liegt überdies strategisch günstig direkt vor der Haustür des Rivalen Indien. Allerdings weisen Jones und Hameiri schlüssig nach, dass die BRI in ihrer Gesamtheit keineswegs eine Art Masterplan für die Weltherrschaft Chinas ist. Vielmehr sind Planung, Finanzierung und Umsetzung der einzelnen Projekte höchst fragmentarisch. Die Autoren listen zahlreiche BRI-Projekte in Entwicklungsländern auf, die gerade aufgrund der unsicheren Finanzierung verkleinert wurden. Man kann daher der Aussage, China betreibe keine bewusste Schuldenfallendiplomatie , zumindest für den größten Teil der BRI-Projekte zustimmen. Plausibel erscheinen ebenfalls Jones‘ und Hameiris Ratschläge an die Politik in Nicht-BRI-Staaten wie Deutschland: - Sie sollten der Versuchung widerstehen, die realiter fragmentierten BRI-Bemühungen als von Beijing zentral gesteuertes strategisches Projekt wahrzunehmen, 19 Lee Jones und Shahar Hameiri, Debunking the Myth of ‘Debt-trap Diplomacy’ How Recipient Countries Shape China’s Belt and Road Initiative, Chatham House, August 2020, https://www.chathamhouse.org/sites/default/files /2020-08-25-debunking-myth-debt-trap-diplomacy-jones-hameiri.pdf (zuletzt abgerufen am 5. Oktober 2020). 20 Für detailliertere Informationen zu den strategischen Interessen Chinas im Indischen Ozean und in Südostasien siehe auch Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (Anm.2). Alle Informationen dieses Absatzes entstammen dieser Quelle. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 17 - den Empfängerländern echte Alternativen zu chinesischen Finanzierungsoptionen bieten, - sowohl mit Empfängerländern als auch China selbst zusammenarbeiten, um die governance der BRI zu verbessern und Großprojekte transparenter umzusetzen. 3. Fazit Chinas EZ lässt sich nur schwer erfassen. Zum einen hat sich die Volksrepublik nicht denselben Kriterien wie die anderen großen Geberländer verpflichtet. Zum anderen lassen sich EZ sowie Direktinvestitionen in und Kreditvergabe an Entwicklungsstaaten im Falle Chinas kaum trennen. Zwar hat China mit der Gründung einer EZ-Behörde erste Schritte in Richtung Formalisierung der Strukturen seiner EZ unternommen, doch gehört zum Mandat der CIDCA explizit auch die Unterstützung der Belt-and-Road-Initiative, deren Projekte nur zum Teil den international geläufigen Kriterien von EZ entsprechen. Das Selbstverständnis von China als Geber ist immer noch offiziell das eines gleichrangigen Partners im Sinne der Süd-Süd-Kooperation. Angesichts des rasanten Aufstiegs Chinas und seines Status als Weltmacht ist der Gedanke der Gleichrangigkeit an sich nicht mehr haltbar. Beibehalten wurde jedoch der Gedanke des gegenseitigen Nutzens. Es kann festgehalten werden, dass China seine EZ nahezu vorbehaltlos unter ein Primat des Nutzens stellt. Auch dies lässt die Grenze zwischen EZ und Außenwirtschaftspolitik (gegenüber Entwicklungsstaaten ) verschwimmen. Es ist daher sinnvoller und einfacher, die EZ, die Außenwirtschafts -, Konnektivitäts- und Handelspolitik Chinas als Gesamtheit zu betrachten. Dabei lässt sich feststellen, dass dieses „Politikkonglomerat“ im Hinblick auf die Entwicklung von unterentwickelten Staaten in vielen Fällen durchaus erfolgreich ist. Zahlreiche Staaten, insbesondere in Afrika, haben von der entwicklungspolitischen und wirtschaftlichen Kooperation mit China bzw. mit chinesischen Unternehmen profitiert. Anders als westliche Geber stellt China dabei keine politischen Bedingungen an die Regierungen der Partnerländer. Dies ist nachvollziehbar , wenn man den transaktionalen Charakter chinesischer Politik gegenüber Entwicklungsstaaten beachtet. China will aus den Beziehungen mit anderen Staaten Nutzen ziehen und agiert dabei wie ein privatwirtschaftlicher Investor. Wie für andere eigennutzmaximierende Investoren auch sind Stabilität und Berechenbarkeit der Investitionsbedingungen wichtiger als andere Erwägungen. Bietet eine Regierung diese relative Stabilität, ist sie ungeachtet ihrer Menschenrechtsbilanz für China als Partner interessant. Daran entzündet sich die politische Hauptkritik an Chinas EZ. China wird zum Vorwurf gemacht, dass es insbesondere diktatorische und autoritäre Regime stütze und primär mit ihnen kooperiere. Die Kritik verkennt jedoch zumeist, dass die Realität differenzierter ist. China nutzt zwar „menschenrechtliche Schwachstellen“ anderer Staaten aus, doch kooperiert es auch problemlos mit Staaten, in denen die Standards höher sind. Die Gegenüberstellung der Beispiele Angola und Äthiopien zeigt, dass Entwicklungsstaaten mit einer relativ starken Regierung und einem relativ starken Rechtsstaat sowie einer klaren China-Strategie stärker von der Kooperation mit China profitieren als solche ohne China-Strategie, dass sie ferner von China auch als vollwertige Partner Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 084/20 Seite 18 respektiert werden und so eigene Standards und Regeln auch gegenüber China durchsetzen können . Kurzgesagt: China wird die Schwächen von Staaten bzw. ihrer Regierungen opportunistisch ausnutzen – doch diese Schwächen sind im Regelfall schon vorher vorhanden. In einigen Fällen deutet vieles darauf hin, dass China seine jeweilige Politik weniger wirtschaftlichen als geostrategischen Kriterien unterwirft und dabei nicht davor zurückschreckt, den jeweiligen Staat insbesondere durch die sogenannte „Schuldendiplomatie“ gefügig zu machen. Das beste Beispiel hierfür ist Sri Lanka, das gezwungen war, China einen strategisch ausgesprochen günstigen Hafen zu überlassen, nachdem es seine von chinesischen Banken gewährten Kredite nicht mehr bedienen konnte. Dass China mit der BRI auch geostrategische Interessen verfolgt, kann als gesichert gelten – es ist davon auszugehen, dass die potenziellen geostrategischen Vorteile Chinas Führung nicht verborgen geblieben sind. Insgesamt jedoch erscheint die BRI in ihrer Konzeptionierung, Finanzierung und Umsetzung viel zu fragmentiert, um in ihrer Gesamtheit als ausgeklügelter, zentral orchestrierter Plan zur Erlangung der wirtschaftlichen, geostrategischen oder gar militärischen Hegemonie betrachtet werden zu können. Hier wie auch in der eigentlichen EZ kommt es wieder auf die Partnerstaaten an, deren Regierungen faktisch einen erheblichen Einfluss auf die Bedingungen, die Art und den Nutzen der in ihrem Land umzusetzenden chinesischen Projekte haben. Starke Regierungen können China hier sehr wohl Bedingungen stellen und den Nutzen für ihr Land maximieren. Aus der einschlägigen Literatur lassen sich folgende Ratschläge an die westlichen Staaten ableiten : - Eigene Werte aktiver und bestimmter vertreten, ohne dabei die Kooperation und den Dialog mit China zu beenden - Fortgesetzte Zusammenarbeit mit China, um zumindest die technischen Kriterien seiner EZ weiter an internationale Standards anzugleichen - Zusammenarbeit mit Partnerländern Chinas, um deren Regierungen zu stärken, damit sie ihre eigenen Interessen gegenüber China klarer formulieren, diese in Strategien umsetzen und somit einen eigenen Nutzen aus der Kooperation mit China ziehen können - Kritik an bzw. Warnungen vor Fehlentwicklungen wie Schuldenfallen oder Unterwanderung menschen-, umwelt- bzw. arbeitsrechtlicher Standards - Eigene Paradigmen angesichts teils beeindruckender Erfolge der chinesischen Entwicklungspolitik kritisch hinterfragen. ***