© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 – 084/16 Zur Vereinbarkeit der Wohnsitzregelung nach dem Integrationsgesetzentwurf der Koalitionsfraktionen mit völkerrechtlichen Freizügigkeitsvorgaben Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 084/16 Seite 2 Zur Vereinbarkeit der Wohnsitzregelung nach dem Integrationsgesetzentwurf der Koalitionsfraktionen mit völkerrechtlichen Freizügigkeitsvorgaben Aktenzeichen: WD 2 - 3000 – 084/16 Abschluss der Arbeit: 14. Juni 2016 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 084/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Europäische Menschenrechtskonvention / Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 4 2.1. Voraussetzungen 4 2.2. Einschränkungen 5 2.3. Zwischenergebnis 7 3. Genfer Flüchtlingskonvention 7 3.1. Voraussetzungen 7 3.1.1. Flüchtlingseigenschaft 7 3.1.2. Rechtmäßiger Aufenthalt 8 3.2. Einschränkungen 8 3.3. Zwischenergebnis 9 4. Fazit 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 084/16 Seite 4 1. Einführung Gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), der für alle Drittstaatsangehörigen1 gleichermaßen gilt, werden Aufenthaltstitel für das gesamte Bundesgebiet erteilt. Gemäß § 12 Abs. 2 S. 2 AufenthG kann der Aufenthaltstitel mit Auflagen, insbesondere mit einer räumlichen Beschränkung , verbunden werden. Ermessensleitende Verwaltungsvorschriften konkretisieren, in welchen Fällen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden soll. Der aktuell diskutierte Entwurf der Koalitionsfraktionen für ein Integrationsgesetz2 beinhaltet unter anderem die Einführung eines § 12a AufenthG, der eine Wohnsitzregelung ausschließlich für anerkannte Asylberechtigte, Flüchtlinge im Sinne von § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes, subsidiär Schutzberechtigte und erstmalige Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis gemäß §§ 22, 23 oder 25 Abs. 3 AufenthG vorsieht. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, ob der Entwurf des § 12a AufenthG (im Folgenden: § 12a AufenthGE) mit völkerrechtlichen Freizügigkeitsregelungen vereinbar ist. Untersucht werden insoweit das 4. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention (ZP4-EMRK) (s.u. 2.), der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) (s.u. 2.) und die Genfer Flüchtlingskonvention (s.u. 3.). 2. Europäische Menschenrechtskonvention / Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Nach den – wörtlich übereinstimmenden – Artt. 2 Abs. 1 ZP4-EMRK und 12 Abs. 1 IPBPR3 hat jedermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. 2.1. Voraussetzungen Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist bei Ausländern, denen vorläufig – d.h. bis zur Entscheidung darüber, ob ihnen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird – gestattet wurde, sich im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates aufzuhalten, dieser Aufenthalt nur dann als „rechtmäßig“ anzusehen, wenn sie die Bedingungen, an die diese Gestattung nach dem innerstaatlichen Recht geknüpft ist, erfüllen. Hat ein Ausländer eine räumlich beschränkte Aufenthaltsgestattung erhalten, ist ein behördlich nicht erlaubter Aufenthalt 1 D.h. Nicht-EU-Ausländer. 2 BT-Drs. 18/8615. 3 Art. 12 Abs. 1 IPBPR übernimmt im Wesentlichen die Formulierung des Art. 13 Abs. 3 der von der Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, wonach jeder das Recht hat, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. Die betreffende Resolution 217 A (III) ist online abrufbar unter http://www.un.org/depts/german /menschenrechte/aemr.pdf (letzter Abruf am 13. Juni 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 084/16 Seite 5 außerhalb des betreffenden Gebietes danach nicht „rechtmäßig“.4 Diese Rechtsprechung kann jedoch nicht unbesehen auf den – von § 12a AufenthG allein erfassten – Zeitraum nach Erteilung eines Aufenthaltstitels übertragen werden. Bliebe es den Vertragsstaaten nämlich überlassen, den Anwendungsbereich der Freizügigkeitsgewährleistung auch für die Zeit nach Erteilung eines gültigen Aufenthaltstitels durch innerstaatliche Regelungen einzuschränken, liefe diese Gewährleistung faktisch leer. Eine solche Aushöhlung erschiene aber mit dem Sinn und Zweck von Art. 4 Abs. 2 ZP4-EMRK / Art. 12 Abs. 1 IPBPR nicht vereinbar.5 2.2. Einschränkungen Die genannten Vorschriften gewährleisten keine grenzenlose Freizügigkeit. Gemäß Art. 4 Abs. 3 ZP4-EMRK dürfen Einschränkungen erfolgen, die gesetzlich vorgesehen6 und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Danach können z.B. Auflagen , den Wohnsitz nicht zu verlassen, bei Verdacht der organisierten Kriminalität bzw. im Rahmen von Strafverfahren oder Bewegungsbeschränkungen in Insolvenzverfahren gerechtfertigt sein.7 Wie sich aus der Formulierung der Vorschrift ergibt, muss jede Einschränkung der Freizügigkeit verhältnismäßig sein, d.h. eines der dort näher genannten (legitimen) Ziele verfolgen und zur Erreichung dieses Ziel „notwendig“ sein. Letzteres ist anzunehmen, wenn die Einschränkung zur Erreichung des Ziels geeignet ist und sich im Hinblick auf dieses als angemessen erweist. Hierzu gilt Folgendes: Es ist davon auszugehen, dass der Zweck, den § 12a AufenthGE nach seinem Wortlaut und der offiziellen Gesetzesbegründung verfolgt, nämlich die Förderung einer nachhaltigen Integration bestimmter Ausländergruppen in die Lebensverhältnisses der Bundesrepublik Deutschland, von den zur Anwendung dieser Vorschrift berufenen Gerichten als legitimes Ziel im Sinne des Art. 4 Abs. 3 ZP4-EMRK angesehen werden wird. 4 EGMR, Entscheidung vom 20. November 2007, S.E.O. gegen Deutschland, Beschwerdenummer 44294/04, BeckRS 2008, 07615 m.w.N., beck-online. Zur Frage, wie diese Rechtsprechung des EGMR zu verstehen ist, wenn es nicht um die direkte Anwendung der EMRK, sondern um ihre Anwendung als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts geht, siehe EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts vom 06.10.2015 – Rs. C-443/14, Beck EuRS 2015, 447102, Rn. 78 ff., beck-online. 5 So auch Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (Regionalvertretung für Deutschland, Österreich und die Tschechische Republik), UNHCR-Stellungnahme zu Maßnahmen zur Beschränkung der Wohnsitzfreiheit von Flüchtlingen und subsidiär geschützten Personen, S. 4 f. m.w.N., online abrufbar unter http://www.unhcr.de/fileadmin/rechtsinfos/fluechtlingsrecht/3_deutschland/3_2_unhcr_stellungnahmen /FR_GER-HCR_Wohnsitzauflage_072007.pdf (letzter Abruf am 10. Juni 2016). 6 Näher dazu Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Auflage 2011, Art. 2 Rn. 8 m.w.N., beck-online. 7 Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Auflage 2011, Art. 2 Rn. 8 m.w.N., beck-online. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 084/16 Seite 6 In Anbetracht der Gesetzesbegründung spricht einiges dafür, dass die vorgesehene Wohnsitzregelung zur Erreichung des genannten Ziels geeignet ist. Jedoch lassen sich auch gute Argumente dagegen anführen. So wird unter anderem vorgebracht, Wohnsitzregelungen könnten die betroffenen Ausländer fernab der Ballungsgebiete isolieren und so soziale Probleme vertiefen.8 Die Angemessenheit einer Freizügigkeitseinschränkung ist anhand der Umstände des konkreten Einzelfalles zu beurteilen.9 Im Rahmen dessen kann z.B. zu berücksichtigen sein, dass viele (Bürger -)Kriegsflüchtlinge unter Traumatisierungen leiden, deren Linderung besser in Gegenwart von Freunden oder Leidensgenossen gelingen mag als in einem großteils unbekannten persönlichen Umfeld.10 Auch kann zu berücksichtigen sein, ob sich am Wohnsitzort ausreichende Spracherwerbs -, Ausbildungs- oder Arbeitsmöglichkeiten bieten. Unabhängig von den Einzelfallumständen ist zu beachten, dass § 12a Abs. 1 S. 1 AufenthGE grundsätzlich – d.h. wenn keine Ausnahme i.S.d. § 12a Abs. 1 S. 2 AufenthGE greift – eine zwingende Wohnsitzregelung vorsieht. Anders als in den Fällen des § 12a Abs. 2, 3 und 4 AufenthGE haben die Behörden also keinen Spielraum auf der Rechtsfolgenseite (sog. Ermessen). Insbesondere können sie einer eventuellen Unangemessenheit im Einzelfall nicht dadurch begegnen, dass sie von der Anordnung einer Wohnsitzregelung absehen. Als Korrektiv dient § 12a Abs. 5 AufenthGE. Danach ist sowohl eine (zwingende) Wohnsitzregelung nach § 12a Abs. 1 AufenthGE als auch eine (ermessensgebundene ) Wohnsitzregelung nach § 12a Abs. 2 – 4 AufenthGE unter bestimmten Umständen auf Antrag aufzuheben.11 Die zahlreichen Aufhebungstatbestände des § 12a Abs. 5 AufenthGE decken viele denkbare Fälle unangemessener Ergebnisse ab. Besonders hervorzuheben sind die Tatbestände , welche unbestimmte Rechtsbegriffe („angemessener Wohnraum“, „Härte“, „dringende persönliche Gründe“, „sonstige Gründe“, „vergleichbare unzumutbare Einschränkungen“) enthalten , da diese den Behörden breite Möglichkeiten eröffnen, unangemessene Ergebnisse zu vermeiden . Da die behördlichen Aufhebungsentscheidungen gemäß § 12a Abs. 5 AufenthGE gebundene Entscheidungen darstellen und als solche – im Gegensatz zu den Ermessensentscheidungen gemäß § 12a Abs. 2, 3 und 4 AufenthGE – gerichtlich voll nachprüfbar sind, steht den Betroffenen zudem eine besonders effektive Überprüfungsmöglichkeit zur Verfügung. 8 So Pelzer/Pichl, Wohnsitzauflage und Residenzpflicht: Aktuelle Einschränkungen der Freizügigkeit von Flüchtlingen , ZAR 2016, 96, 98. 9 Nach der Rechtsprechung des EGMR ist es bei Individualbeschwerden nicht dessen Aufgabe, die maßgeblichen Rechtsvorschriften oder die Praxis abstrakt zu prüfen; vielmehr beschränkt er sich so weit wie möglich auf die Prüfung der durch die ihm vorliegende Rechtssache aufgeworfenen Fragen, ohne dabei den allgemeinen Kontext außer Acht zu lassen, siehe EGMR, Entscheidung vom 20. November 2007, S.E.O. gegen Deutschland, Beschwerdenummer 44294/04, BeckRS 2008, 07615, beck-online. 10 Siehe Pelzer/Pichl, Wohnsitzauflage und Residenzpflicht: Aktuelle Einschränkungen der Freizügigkeit von Flüchtlingen, ZAR 2016, 96, 98. Soweit die Autoren allerdings anführen, Wohnsitzregelungen könnten zur erzwungenen Trennung von Familienmitgliedern führen, lassen sie die Möglichkeit einer Familienzusammenführung gemäß §12a Abs. 5 Nr. 1 b AufenthGE außer Acht. 11 Fraglich erscheint, wie die erstere Variante rechtstechnisch zu verstehen ist, da es sich insoweit nicht um einen von den Behörden „aufhebbaren“ Verwaltungsakt, sondern um eine unmittelbar durch das Gesetz angeordnete Verpflichtung handelt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 084/16 Seite 7 Art. 12 Abs. 3 IPBPR12 sieht mit Art. 4 Abs. 3 ZP4-EMRK vergleichbare Einschränkungsmöglichkeiten vor, für die das dazu Dargelegte entsprechend gilt. 2.3. Zwischenergebnis Es kann nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass die zur Anwendung von Art. 12a Aufenth GE berufenen Gerichte einen Verstoß gegen Artt. 2 Abs. 1 ZP4-EMRK bzw. 12 Abs. 1 IPBPR annehmen, da nicht vorherzusagen ist, ob sie Wohnsitzregelungen als geeignetes Mittel zur Förderung einer nachhaltigen Integration ansehen werden. Unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit erscheint Art. 12a AufenthGE dagegen unbedenklich . Die in § 12a Abs. 5 AufenthGE enthaltenen zahlreichen Aufhebungstatbestände und unbestimmten Rechtsbegriffe dürften ausreichen, um unangemessene Einzelfallergebnisse zuverlässig zu vermeiden. 3. Genfer Flüchtlingskonvention Gemäß Art. 26 GFK hat jeder Vertragsstaat Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in seinem Gebiet befinden, das Recht zu gewähren, dort ihren Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen. 3.1. Voraussetzungen 3.1.1. Flüchtlingseigenschaft Die Genfer Flüchtlingskonvention13 (GFK) gilt – anders als die Richtlinie 2011/95/EU (Anerkennungsrichtlinie , kurz: ARL)14 – nur für Flüchtlinge i.S.v. Art. 1 GFK. 12 Die Vorschrift lautet: „Die oben erwähnten Rechte dürfen nur eingeschränkt werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen und zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit , der öffentlichen Sittlichkeit oder der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist und die Einschränkungen mit den übrigen in diesem Pakt anerkannten Rechten vereinbar sind.“ 13 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, BGBl. 1953 II S. 560. 14 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/Lex UriServ.do?uri=OJ:L:2011:337:0009:0026:de:PDF (letzter Abruf am 8. Juni 2016). Siehe dazu EuGH, Urteil vom 1. März 2016, verb. Rs. C-443/14 und C-444/14, Rn. 31, online abrufbar unter http://curia.europa.eu/juris /document/document.jsf;jsessionid =9ea7d2dc30d5451e451625744341ac10ac581670a103.e34KaxiLc3qMb40Rch0Saxu Tahn0?text=&docid=174657&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=715617 (letzter Abruf am 8. Juni 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 084/16 Seite 8 3.1.2. Rechtmäßiger Aufenthalt Wie etliche andere Vorschriften der GFK (z.B. Artt. 15, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1, 19, 21, 23, 24 Abs. 1, 28 Abs. 1, 32 Abs. 1) setzt Art. 26 GFK den rechtmäßigen Aufenthalt des Flüchtlings im betreffenden Vertragsstaat voraus. Schon um eine Aushöhlung der Freizügigkeitsgarantie zu vermeiden (s.o. 2.1.), muss jedenfalls der Aufenthalt im Zeitraum nach erfolgter Erteilung eines Aufenthaltstitels ohne Rücksicht auf dessen örtliche Beschränkungen als rechtmäßig angesehen werden.15 Neben der Aushöhlungsgefahr spricht hierfür zusätzlich Folgendes: Die GFK unterscheidet zwischen Beschränkungen der Freizügigkeit von Flüchtlingen, deren Rechtsstellung noch nicht geregelt ist (Art. 31 Abs. 2 GFK), und solchen, bei denen - etwa durch Erteilung eines Aufenthaltstitels - geklärt ist, dass sie sich rechtmäßig im Aufnahmestaat befinden (Art. 26 GFK). Aus der Tatsache , dass Art. 31 Abs. 2 GFK - anders als Art. 26 GFK - ausdrücklich zum Erlass aller notwendigen Wohnsitzbeschränkungen ermächtigt, ist zu schließen, dass derartige Beschränkungen im Rahmen von Art. 26 GFK nicht ohne Weiteres zulässig sind, sondern als Eingriff in das Freizügigkeitsrecht nur unter den hierfür geltenden Voraussetzungen erfolgen dürfen.16 3.2. Einschränkungen Auch Art. 26 GFK gewährt die Freizügigkeit nicht unbegrenzt, sondern „vorbehaltlich der Bestimmungen , die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Umständen Anwendung finden“. Damit verfolgt Art. 26 eine andere Regelungstechnik als etliche andere Vorschriften der GFK, z.B. Artt. 13, 15, 16 Abs. 2, 17 Abs. 1, 18.17 Während letztere die Vertragsstaaten dazu verpflichten, Flüchtlingen eine – im Verhältnis zu einer bestimmten Vergleichsgruppe – (wenigstens) gleich günstige „Behandlung“ zu gewähren, verpflichtet Art. 26 GFK die Vertragsstaaten zur Gewährung von Freizügigkeit und gestattet Einschränkungen derselben nur, sofern diese auf Bestimmungen beruhen, die auch für eine bestimmte Vergleichsgruppe gelten. Dabei stellt Art. 26 GFK insoweit auf diejenigen Bestimmungen ab, die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Umständen 15 So auch Marx / Machts in: Zimmermann (Hrsg.), The 1951 Convention Relating to the Status of Refugees and its 1967 Protocol, 2011, Oxford University Press, S. 1157 f. 16 BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2008 – 1 C 17/07 –, juris Rn. 17. 17 Nach den genannten Vorschriften müssen die Vertragsstaaten Flüchtlingen - hinsichtlich Rechten an Eigentum eine „möglichst günstige und jedenfalls nicht weniger günstige Behandlung gewähren, als sie Ausländern im Allgemeinen unter den gleichen Umständen gewährt wird“ (Art. 13 GFK), - hinsichtlich des Vereinigungsrechts „die günstigste Behandlung wie den Staatsangehörigen eines fremden Landes unter den gleichen Umständen gewähren“ (Art. 15 GFK), - hinsichtlich des Zugangs zu den Gerichten „dieselbe Behandlung wie ein eigener Staatsangehöriger“ angedeihen (Art. 16 Abs. 2 GFK), - hinsichtlich der Ausübung nichtselbstständiger Arbeit „die günstigste Behandlung gewähren, die den Staatsangehörigen eines fremden Landes unter den gleichen Umständen gewährt wird“ (Art. 17 Abs. 1 GFK), - hinsichtlich der Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit in Landwirtschaft, Industrie, Handwerk und Handel sowie der Errichtung von Handels- und industriellen Unternehmen „eine möglichst günstige und jedenfalls nicht weniger günstige Behandlung gewähren, als sie Ausländern im Allgemeinen unter den gleichen Umständen gewährt wird (Art. 18 GFK). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 084/16 Seite 9 Anwendung finden. Gemäß einer in Art. 6 GFK enthaltenen Definition ist der Ausdruck “unter den gleichen Umständen” dahingehend zu verstehen, dass die betreffende Person alle Bedingungen erfüllen muss (einschließlich derjenigen, die sich auf die Dauer und die Bedingungen des vorübergehenden oder des dauernden Aufenthalts beziehen), die sie erfüllen müsste, wenn sie nicht Flüchtling wäre, um das in Betracht kommende Recht in Anspruch zu nehmen, mit Ausnahme der Bedingungen, die ihrer Natur nach ein Flüchtling nicht erfüllen kann.“ Wie sich aus der Entwicklung der historischen Beratungen zu Art. 6 GFK ergibt, sollte diese Definition dafür sorgen, dass hinsichtlich der Konventionsrechte für Flüchtlinge dieselben Bestimmungen gelten wie für sämtliche sonstigen Ausländer, mit Ausnahme derjenigen Bedingungen, die Flüchtlinge auf Grund ihrer Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllen können.18 Dementsprechend dürften Einschränkungen der durch Art. 26 GFK gewährleisteten Freizügigkeit nur auf Vorschriften gestützt werden können, die für sämtliche Drittstaatsangehörigen gleichermaßen gelten. 3.3. Zwischenergebnis § 12a AufenthGE sieht Einschränkungen der gemäß Art. 26 GFK garantierten Freizügigkeit vor, die nur auf bestimmte Ausländergruppen – darunter Flüchtlinge i.S.v. Art. 1 GFK – Anwendung finden. Da Art. 26 GFK nur Einschränkungen zulassen dürfte, die sich aus den für sämtlichen Drittstaatsangehörigen geltenden Bestimmungen ergeben, dürfte § 12a AufenthGE insoweit nicht mit Art. 26 GFK vereinbar sein.19 Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar stellte dieses in einer Entscheidung aus dem Jahr 2008 fest, Art. 26 GFK verbiete es nicht, mit aufenthaltsrechtlichen Beschränkungen migrationspolitische Ziele zu verfolgen.20 Jedoch stellte auch das Bundesverwaltungsgericht dies ausdrücklich unter die Prämisse, dass die übrigen Voraussetzungen des Art. 26 GFK erfüllt sind. Dazu gehört – wie dargelegt –, dass die in 18 Marx / Machts in: Zimmermann (Hrsg.), The 1951 Convention Relating to the Status of Refugees and its 1967 Protocol, 2011, Oxford University Press, S. 708 ff., 711 ff., 1160 f. 19 So im Ergebnis auch Pelzer/Pichl, Wohnsitzauflage und Residenzpflicht: Aktuelle Einschränkungen der Freizügigkeit von Flüchtlingen, ZAR 2016, 96, 97. In eine ähnliche Richtung gehen die Ausführungen des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (Regionalvertretung für Deutschland, Österreich und die Tschechische Republik) in einer Stellungnahme von Juli 2007, die allerdings auf der Rechtslage im Jahr 2007 aufbauen und sich auf Bestrebungen der Verwaltung beziehen, Sozialleistungslasten gleichmäßig zu verteilen, siehe UNHCR-Stellungnahme zu Maßnahmen zur Beschränkung der Wohnsitzfreiheit von Flüchtlingen und subsidiär geschützten Personen, S. 2 f., online abrufbar unter http://www.unhcr.de/fileadmin/rechtsinfos /fluechtlingsrecht/3_deutschland/3_2_unhcr_stellungnahmen/FR_GER-HCR_Wohnsitzauflage_072007.pdf (letzter Abruf am 10. Juni 2016). 20 BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2008 – 1 C 17/07 –, juris Rn. 23. Die Entscheidung betraf die Rechtmäßigkeit einer konkret erteilten Wohnsitzauflage. Nach Auffassung des Gerichts obliegt es insoweit der Behörde, im Rahmen der Ermessensausübung die integrationspolitischen Probleme zu beschreiben, mögliche soziale Brennpunkte zu benennen und die Eignung einer Wohnsitzauflage, einen Beitrag zur Lösung dieser Probleme zu leisten , jedenfalls in Umrissen anzugeben. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 084/16 Seite 10 Rede stehenden Beschränkungen auf Vorschriften beruhen, die für sämtliche Drittstaatsangehörigen gleichermaßen gelten. In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall war dies gegeben, da die dortige Beschränkung auf § 12 Abs. 2 AufenthG beruhte. Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) steht dem genannten Ergebnis nicht entgegen. Zwar stellte dieser in einer Entscheidung aus dem Jahr 201621 fest, dass eine Wohnsitzauflage, durch welche die in Art. 33 ARL22 garantierte Freizügigkeit subsidiär Schutzberechtigter eingeschränkt werde, nur dann unzulässig sei, wenn sich die subsidiär Schutzberechtigten in einer Situation befänden, die – hinsichtlich des verfolgten Ziels – mit der Situation anderer Drittstaatsangehöriger objektiv vergleichbar sei. Jedoch ist auch diese Entscheidung zu § 12 AufenthG ergangen, sodass die Problematik einer „Sonderregelung“ für bestimmte Ausländergruppen darin keine Berücksichtigung finden konnte. Hinzu kommt, dass die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs auf der speziellen Systematik des Unionsrechts beruhen, die nicht ohne weiteres auf die GFK übertragen werden kann. 4. Fazit Im Hinblick auf die untersuchten völkerrechtlichen Freizügigkeitsregelungen erscheint § 12a AufenthGE nicht unbedenklich. Insbesondere dürfte die Vorschrift, soweit sie Flüchtlinge i.S.v. Art. 1 GFK betrifft, gegen Art. 26 GFK verstoßen. Dem könnte Abhilfe geschaffen werden, indem Flüchtlinge i.S.v. Art. 1 GFK vom Anwendungsbereich des § 12a AufenthGE ausgenommen werden und damit der für alle Drittstaatsangehörigen geltenden Regelung des § 12 AufenthG unterstellt bleiben. Alternativ könnte der Anwendungsbereich des § 12a AufenthGE auf sämtliche Drittstaatsangehörigen ausgedehnt werden.23 Ein Verstoß gegen Art. 26 GFK wäre justiziabel. Da der GFK von Verfassung wegen der Rang eines einfachen Bundesgesetzes zukommt, ist sie von den deutschen Verwaltungsbehörden zu befolgen. In Anbetracht des recht eindeutigen Wortlautes des § 12a Abs. 1 und 5 AufenthGE dürften die Behörden kaum Spielraum haben, eine GFK-konforme Auslegung dieser Vorschriften vorzunehmen . Daher ist davon auszugehen, dass die Behörden die Pflicht zur Wohnsitznahme mit den Mitteln des Verwaltungszwanges durchsetzen würden. Gegen entsprechende Verwaltungsakte stünde Flüchtlingen i.S.d. Art. 1 GFK der Verwaltungsrechtsweg offen. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren würde Art. 12a AufenthGE sodann an Art. 26 GFK gemessen. Da die Pflicht 21 EuGH, Urteil vom 1. März 2016, verb. Rs. C-443/14 und C-444/14, online abrufbar unter http://curia.europa .eu/juris/document/document.jsf;jsessionid =9ea7d2dc30d5451e451625744341ac10ac581670a103.e34KaxiLc3qMb40Rch0Saxu Tahn0?text=&docid=174657&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=715617 (letzter Abruf am 8. Juni 2016). 22 Die Vorschrift lautet: „Die Mitgliedstaaten gestatten die Bewegungsfreiheit von Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, in ihrem Hoheitsgebiet, unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten.“ 23 Zu prüfen wären dann allerdings die – im Rahmen dieses Sachstandes nicht zu erörternden – verfassungsrechtlichen Grenzen dieser beiden Varianten, insbesondere ihre Vereinbarkeit mit Art. 3 GG. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 084/16 Seite 11 zur Wohnsitznahme gemäß § 12a Abs. 1 AufenthGE unmittelbar aus dem Gesetz folgt, käme daneben eine Gesetzesverfassungsbeschwerde in Betracht. Auch eine abstrakte Normenkontrolle wäre denkbar. Ende der Bearbeitung