© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 083/19 Völkerrechtliche Zulässigkeit von Verboten nationalsozialistischer und faschistischer Symbole Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Schutzbereich der Meinungsfreiheit im Völkerrecht Aus völkerrechtlicher Sicht wäre ein innerstaatliches Verbot nationalsozialistischer und faschistischer Symbole zulässig, soweit es nicht gegen die auf völkerrechtlicher Ebene geschützte Meinungsfreiheit verstößt. Diese ist zum einen durch universell anwendbare Menschenrechtsinstrumente gewährleistet, insbesondere durch Art. 19 Abs. 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR)1 und Art. 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR).2 Zum anderen gibt es regionale Menschenrechtsinstrumente, die die Meinungsfreiheit stützen, in Europa ist dies insbesondere Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK).3 Der Schutzbereich der einzelnen Gewährleistungen mag in Einzelaspekten leicht divergieren. Alle genannten völkerrechtlichen Garantien umfassen jedoch zumindest auch das Recht, eine Meinung frei und ohne staatliche Behinderung äußern zu können4. Die Äußerung einer Meinung kann auch darin bestehen, dass die sich äußernde Person Symbole zur Schau stellt5. 2. Schranken der Meinungsfreiheit im Völkerrecht Art. 20 IPbpR normiert eine vertragsstaatliche Pflicht, bestimmte Meinungsäußerungen durch innerstaatliches Recht zu verbieten: (1) Jede Kriegspropaganda wird durch Gesetz verboten. 1 International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR), deutsche Übersetzung: BGBl. 1973 Teil II S. 1553, https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/IC- CPR/iccpr_de.pdf. 2 Universal Declaration of Human Rights, Generalversammlung der Vereinten Nationen, 10. Dezember 1948, UN Doc. A/RES/217 (III) A, https://www.ohchr.org/EN/UDHR/Pages/Language.aspx?LangID=ger. 3 Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, deutsche Übersetzung: BGBl. 1954 Teil II S. 14, https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF/Themenseiten/EuropaUndInternationale Zusammenarbeit/EuropaeischeKonventionMenschenrechte.pdf?__blob=publicationFile&v=1. 4 Frowein / Peukert, EMRK-Kommentar, 3.Aufl. 2009, Art. 10, Rn.5; Klein, Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz nach dem IPbpR, MenschenRechtsmagazin 13/1 (2008), S.7., https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/3450/file/mrm13_01_online _2009_24_09.pdf. 5 EGMR, Fáber ./. Ungarn, Urteil vom 24. Juli 2012, Nr. 40.721/08, http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-112446, Rn. 36; EGMR, Vajnai ./. Ungarn, Urteil vom 8. Juli 2008, Nr. 33629/09, http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-87404, Rn. 47; EGMR, Fratanolo ./. Ungarn, Urteil vom 3. November 2011, Nr. 29459/10, http://hudoc.echr.coe.int/fre?i=001- 107307, Rn. 24; VN-MRA, Kivenmaa ./. Finnland, Stellungnahme vom 31. März 1994, UN Doc. CCPR/C/50/D/412/1990, https://undocs.org/CCPR/C/50/D/412/1990, Rn. 9.3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 083/19 Seite 5 (2) Jedes Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch das zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird, wird durch Gesetz verboten. Die mit der staatlichen Verbotspflicht verbundene Beschränkung der Meinungsfreiheit kann sich im Einzelfall auch auf die Verwendung nationalsozialistischer und faschistischer Symbole beziehen , wenn damit die Voraussetzungen des Art. 20 IPbpR erfüllt werden. Zudem sieht Art. 19 Abs. 3 IPbpR Beschränkungsmöglichkeiten vor: (3) Die Ausübung der [Meinungsäußerungsfreiheit] ist mit besonderen Pflichten und einer besonderen Verantwortung verbunden. Sie kann daher bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die erforderlich sind a) für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer; b) für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit. Das Zurschaustellen nationalsozialistischer oder faschistischer Symbole kann, je nach den Umständen des Einzelfalls, die Rechte anderer oder die öffentliche Ordnung beeinträchtigen, so dass auch die Beschränkungsmöglichkeiten der Meinungsfreiheit nach Art 19 Abs. 3 IPbpR einschlägig sein können. Daneben normieren Art. 29 und 30 AEMR Grundpflichten und Auslegungsregeln zur Ausübung der in der AEMR gewährleisteten Menschenrechte. Schranken der Meinungsfreiheit, die sich auf das Verwenden nationalsozialistischer oder faschistischer Symbole beziehen können, ergeben sich z.B. aus dem Verbot gem. Art. 29 Abs. 3 AEMR, Rechte der AEMR im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen auszuüben. Zu den einschlägigen Zielen der VN zählt z.B. die „Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse“ gem. Art. 1 Abs. 3 der VN-Charta.6 Das Zurschaustellen nationalsozialistischer und faschistischer Symbole kann hierzu im Widerspruch stehen. Ein Verbot der Symbole fiele also in den sachlichen Anwendungsbereich der Art. 29 und 30 AEMR. Art. 10 Abs. 2 EMRK definiert für den regionalen (europäischen) Anwendungsbereich der EMRK weitere Schranken der Meinungsfreiheit: Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden ; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung. 6 Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1946, BGBl. 1973 Teil II S. 430, https://www.unric.org/de/charta. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 083/19 Seite 6 Je nach den Umständen des Einzelfalls ist es vorstellbar, dass das Verwenden nationalsozialistischer oder faschistischer Symbole die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder Rechte anderer verletzt. Ein gesetzliches Verbot kann also zulässig sein, soweit es als notwendig und mit den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft vereinbar angesehen wird. 3. Spruchpraxis des VN-MRA und Rechtsprechung des EGMR Sowohl die Spruchpraxis des VN-Menschenrechtsausschusses (VN-MRA), der die Umsetzung des IPbpR überwacht, als auch die Rechtsprechung des Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (EMRK) präzisieren und bestätigen die oben genannten Schranken der Meinungsfreiheit. Danach sind die Rechtsgrundlagen der Einschränkungen restriktiv auszulegen, um der überragenden Bedeutung der Meinungsfreiheit in der Demokratie gerecht zu werden.7 Jede Einschränkung unterfällt dabei einer strengen Prüfung ihrer Rechtfertigung.8 Die Beschränkung kann nur dann gerechtfertigt werden, wenn sie verhältnismäßig zum verfolgten Zweck ist, der Eingriff also notwendig ist, um das Ziel zu erreichen9. Der EGMR verlangt zur Rechtfertigung von Eingriffen einen „dringenden sozialen Bedarf“.10 Zwar bleibt den EMRK-Vertragsstaaten ein gewisser Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Feststellung eines solchen Bedarfs, doch unterliegt die Feststellung der rechtlichen Überprüfung durch den EGMR11. Bei politischen Meinungsäußerungen ist der staatliche Beurteilungsspielraum besonders eng. Einschränkungen sollen nur zulässig sein, wenn das soziale Bedürfnis „klar, dringend und spezifisch“ ist.12 Im Ergebnis fordern sowohl der 7 VN-MRA, Velichkin ./. Weißrussland, Stellungnahme vom 20. Oktober 2005, UN Doc. CCPR/C/85/D/1022/2001, https://undocs.org/CCPR/C/85/D/1022/2001, Rn. 7.3. mit weiteren Nachweisen zur Spruchpraxis des VN-MRA. 8 A.a.O. 9 VN-MRA, Allgemeine Bemerkung Nr.34 zu Art. 19, https://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/docs/gc34.pdf, Rn. 33 f; Nowak, CCPR Commentary, Art. 19, Rn. 47; EGMR, Handyside ./. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 7. Dezember 1976, Nr. 5493/72, http://hudoc .echr.coe.int/eng?i=001-57499, Rn. 49. 10 EGMR, Witzsch ./. Deutschland, Urteil vom 20. April 1999, Nr. 41448/98, http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001- 4868, unter Nr.1; EGMR, Fáber, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 32 f; EGMR, Vajnai, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 43 f. 11 EGMR, Witzsch, a.a.O (Fn. 10), unter Nr.1; EGMR, Handyside, a.a.O. (Fn.9), Rn. 49. 12 Ständige Rechtsprechung des EGMR, siehe statt vieler: Lingens ./. Österreich, Urteil vom 8. Juli 1986, Nr. 9815/82, http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-57523, Rn. 41; EGMR, Handyside, a.a.O. (Fn. 9), Rn. 49.; EGMR, Fáber, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 34; Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 083/19 Seite 7 EGMR als auch der VN-MRA, dass Einschränkungen der Meinungsfreiheit verhältnismäßig sein müssen. Im Hinblick auf Verbote bestimmter Symbole hat der EGMR weitere Anforderungen entwickelt. Dabei betont er, dass pauschale Verbote das Risiko in sich tragen, die Verwendung eines Symbols auch in Kontexten zulässiger Meinungsäußerung zu verbieten.13 Der EGMR berücksichtigt dabei auch die mögliche Mehrdeutigkeit eines Symbols und den Zusammenhang, in dem es verwendet wird.14. Ein allgemeines gesetzliches Verbot, das den Erklärungswert der Verwendung des Symbols im jeweiligen, etwa auch satirischen oder künstlerischen Zusammenhang nicht berücksichtigt , würde den Anforderungen des EGMR an die Verhältnismäßigkeit der Einschränkung der Meinungsfreiheit somit nicht gerecht. Ob ein Verbot im Einzelfall mit der menschenrechtlichen Meinungsfreiheit vereinbar ist, kommt auf die konkreten Umstände im jeweiligen EMRK-Vertragsstaat an. Dabei werden auch historische Besonderheiten in den einzelnen Staaten berücksichtigt .15 So hat der EMRK z.B. im Fall einer Verurteilung nach § 86a des deutschen Strafgesetzbuchs , der das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe stellt,16 die historische Erfahrung in Deutschland entscheidungserheblich berücksichtigt.17 Vor diesem Hintergrund wäre ein innerstaatliches Verbot nationalsozialistischer Symbole in Deutschland sicher eher als verhältnismäßig zu beurteilen, als eine inhaltsgleiche europaweite Regelung, die auch historisch weniger belastete Staaten träfe. 4. Schlussfolgerungen Zusammenfassend ist festzustellen, dass die menschenrechtlich garantierte Meinungsfreiheit sowohl auf universeller Ebene (AEMR, IPbpR) als auch auf regional-europäischer Ebene (EMRK) Einschränkungen unterliegt. Aufgrund der hohen Schutzwürdigkeit der Meinungsfreiheit und ihrer Bedeutung für demokratische Staaten sind Einschränkungen nur in engen Grenzen zulässig. Verbote von nationalsozialistischen und faschistischen Symbolen müssen verhältnismäßig sein, EGMR, Fratanolo, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 24; EGMR, Vajnai, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 51. 13 EGMR, Vajnai, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 51; EGMR, Fratanolo, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 25. 14 EGMR, Vajnai, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 57; EGMR, Fáber, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 58; EGMR, Nix ./. Deutschland, Urteil vom 13. März 2018, Nr. 35285/16, http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001- 182241, Rn. 39. 15 EGMR, Vajnai, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 49 und 57; EGMR, Nix, a.a.O. (Fn. 14), Rn. 47 und 56. 16 Zum Text des § 86 a StGB siehe https://dejure.org/gesetze/StGB/86a.html. 17 EGMR, Nix, a.a.O. (Fn. 14), Rn. 56. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 083/19 Seite 8 die mögliche Mehrdeutigkeit von Symbolen angemessen berücksichtigen und angesichts der sozialen und historischen nationalen Besonderheiten des jeweiligen Vertragsstaats geboten sein. Sofern das öffentliche Zurschaustellen von nationalsozialistischen und faschistischen Symbolen in der Absicht erfolgt, die persönliche Billigung nationalsozialistischer Ideologie zum Ausdruck zu bringen oder für diese Ideologie zu werben, läge darin eine Meinungsäußerung, die außerhalb des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit im Sinne der AEMR, des IPbpR und der EMRK läge. ***