Deutscher Bundestag Gewinnung von Telekommunikationsinformationen durch ausländische Nachrichtendienste aus völkerrechtlicher Sicht Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 2 – 3000 - 083/13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 2 Gewinnung von Telekommunikationsinformationen durch ausländische Nachrichtendienste aus völkerrechtlicher Sicht Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 – 3000 - 083/13 Abschluss der Arbeit: 11. November 2013 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Spionagepraxis unter befreundeten Staaten in der Vergangenheit 4 3. Spionage in Friedenszeiten nach allgemeinem Völkerrecht 5 4. Völkerrechtliche Reaktionsmöglichkeiten auf Spionagetätigkeit 7 4.1. Recht zur Bestrafung von Spionage 7 4.2. Völkerrechtswidrige Gegenmaßnahmen 7 4.3. Retorsion 8 5. Verstoß gegen Diplomatenrecht 9 5.1. Rechte und Pflichten im diplomatischen Verkehr 9 5.2. Zulässige diplomatenrechtliche Sanktionen 10 5.3. Rechtsmittel 12 6. Verstoß gegen NATO-Vertrag und NATO-Truppenstatut 12 7. Verstoß gegen Internationale Menschenrechte 14 8. No-Spy-Abkommen 16 8.1. Staatenpraxis 16 8.2. Deutsch-Amerikanisches No-Spy-Abkommen 16 8.3. Erfolgsaussichten und Konsequenzen einer Vereinbarung über einen Spionageverzicht 16 9. Literatur 19 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 4 1. Einleitung Die mutmaßliche Überwachung von Telekommunikation in Deutschland einschließlich des Handys der Bundeskanzlerin durch den amerikanischen Nachrichtendienst NSA hat für politische Verstimmungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis gesorgt. Presseberichten zufolge soll auch die amerikanische Botschaft in Berlin in die Abhör-Affaire verstrickt sein.1 Die Gewinnung von Telekommunikationsdaten durch Nachrichtendienste befreundeter Staaten wirft vielfältige Fragen auf. Im folgenden soll geklärt werden, ob und inwieweit Spionagetätigkeiten befreundeter Staaten völkerrechtswidrig sind und welche Reaktionsmaßnahmen ggf. zulässig wären. Dabei wird die Spionagepraxis unter befreundeten Staaten beleuchtet (unter 2.), weiter wird die Frage eines Verbot von Spionagehandlungen im allgemeinen Völkerrecht erörtert (unter 3.) und schließlich die rechtlichen Reaktions- und Sanktionsmöglichkeiten bewertet (dazu unten 4.). Insbesondere aus dem Diplomatenrecht ergeben sich spionagerelevante Verpflichtungen sowie ein begrenzter Handlungsspielraum des Empfangsstaates im Falle von völkerrechtlichten Pflichtverletzungen (dazu unten 5.). Nachrichtendienstliche Abhörtätigkeiten werfen überdies Fragen in Zusammenhang mit dem NATO-Truppenstatut (dazu 6.) und den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen (dazu 7.) auf. Abschließend wird das geplante „No Spy“- Abkommen hinsichtlich seiner praktischen Konsequenzen rechtlich bewertet (dazu 8.). 2. Spionagepraxis unter befreundeten Staaten in der Vergangenheit Presseberichten zufolge scheint den deutschen Behörden seit Beginn der 1990er Jahre bekannt zu sein, dass auch befreundete Staaten Spionage in Deutschland betreiben.2 Ebenso sollen der Bundesanwaltschaft seit dieser Zeit Dokumente über US-Überwachungssysteme in Westeuropa vorliegen.3 Bundesgrenzschutz und das Bundesamt für Verfassungsschutz haben im Jahr 1 http://www.rp-online.de/politik/eu/welche-rolle-spielt-berliner-us-botschaft-1.3769970 2 „Dinner for two“, in: Der Spiegel 12/1997, S. 36. Betroffen davon sei insbesondere die Wirtschafts- und Industriespionage . Im Herbst 1994 soll das Kanzleramt eine Arbeitsgruppe eingesetzt haben, um die Spionagetätigkeit befreundeter Dienste „besser in den Griff zu bekommen“. Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe sind allerdings nie bekannt geworden. Näher zum ganzen Sule, Völkerrechtliche Bewertung staatlicher Spionagehandlungen, S. 32 f. 3 http://www.focus.de/politik/ausland/tid-32232/goffart-spionage-2-ueberschrift_aid_1036116.html Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 5 2000 in einer geheimen Studie auf die grundsätzliche Gefahr des Abhörens von Handys von Regierungsmitgliedern – auch durch befreundete Staaten – hingewiesen.4 Auch gab es Presseberichten zufolge Hinweise, wonach der amerikanische Geheimdienst NSA die gesamte Kommunikation innerhalb Europas mithilfe des globalen Abhörsystems ECHELON abgehört haben soll.5 Zwar hatte das Europäische Parlament nach Bekanntwerden dieser Vorwürfe Empfehlungen zum Schutz der europäischen Bürger und Unternehmen sowie zur Kontrolle nachrichtendienstlicher Maßnahmen vorgeschlagen, die jedoch nicht offiziell verabschiedet wurden. Spekulationen gab es zudem über Abhörmaßnahmen unter befreundeten Staaten im Vorfeld von EU-Ratsgesprächen oder G-20-Treffen,6 die allerdings regelmäßig dementiert wurden und nie wirklich bewiesen werden konnten. 3. Spionage in Friedenszeiten nach allgemeinem Völkerrecht Anders als für Spionage in Kriegszeiten7 enthält das allgemeine Völkerrecht für Spionageaktivitäten in Friedenszeiten keine Regelungen. Weder ist Spionage ausdrücklich erlaubt, noch ist sie durch irgendein völkerrechtliches Abkommen explizit verboten. Auch im Gewohnheitsrecht hat sich kein besonderer Rechtssatz gebildet, der geheimdienstliche Tätigkeit in anderen Staaten erlaubt, untersagt oder auf andere Weise limitiert.8 Der Freiburger Historiker Josef Foschepoth hat in Zusammenhang mit der NSA-Affaire eine Diskussion über die Frage angestoßen, ob die Überwachung der deutschen Telekommunikation durch amerikanische Geheimdienste auf der Grundlage von (geheimen) Abkommen, Verwaltungsvereinbarungen bzw. den Austausch diplomatischer Noten gerechtfertigt ist, die Deutschland im Zuge der NATO-Truppenstationierung in den 1950er und 1960er Jahren mit den USA geschlossen hatte.9 Aus den genannten Verwaltungsabkommen, soweit sie öffentlich 4 So die Informationen aus dem Spiegel 13/2003: „Sauerei der Sonderklasse“, S. 162. 5 http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+REPORT+A5-2001- 0264+0+DOC+PDF+V0//DE. 6 Dazu Sule, a.a.O. (Anm. 2). So wurden britische Diplomaten in Brüssel von Sicherheitsexperten gewarnt, dass ihre Kommunikation von befreundeten Staaten überwacht würde. 7 Vgl. insoweit Art. 46 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen von 1949. 8 Gusy, NZWehR 1984, S. 187, 198. 9 Foschepoth, Überwachtes Deutschland, 2012. Vgl. dazu etwa die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion – BT-Drs. 17/14560 v. 14.8.2013, S. 10 sowie FAZ vom 7.7.2013 („Amerika darf Deutsche abhören“). Zur Frage des fortbestehenden Besatzungsrechts vgl. ausführlich Wolf, JZ 2013, S. 1044 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 6 bekannt geworden sind, lässt sich eine allgemeine Rechtfertigung von Abhörmaßnahmen gleichwohl nicht ohne weiteres entnehmen. Allerdings wird in den Notenwechseln bekräftigt, dass der militärische Oberbefehlshaber im Falle einer unmittelbaren Bedrohung seiner Streitkräfte alle notwendigen Maßnahmen – darunter auch Abhörmaßnahmen – ergreifen darf, um die Gefahr zu beseitigen.10 Durch diplomatische Verhandlungen im Juli und August 2013 sind die geheimen Verwaltungsabkommen im beiderseitigen Einvernehmen mittlerweile aufgehoben worden.11 Bei der Frage nach der Völkerrechtswidrigkeit von Überwachungsmaßnahmen ist zu unterscheiden zwischen Fernaufklärung, welche direkt vom ausländischen Territorium aus betrieben wird, und Spionageakten, welche die Territorialhoheit des ausgespähten Staates verletzen . Solange also die Spionage direkt von ausländischem Territorium aus, also ohne physischen Inlandsbezug – d.h. über Spionagesatelliten – erfolgt, liegt keine völkerrechtliche Rechtsverletzung vor. Bloße Fernaufklärung, so das Argument, sei kein unzulässiger Eingriff in die inneren Angelegenheiten des überwachten Staates. Diese Auffassung wird gestützt durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser hatte im Jahre 2006 in einem Fall gegen Deutschland im Hinblick auf die internationale Überwachung des drahtlosen Fernmeldeverkehrs durch den deutschen Bundesnachrichtendienst festgestellt, dass das Abhören von Telefonaten im Ausland, die nicht über das Festnetz, sondern über Satellit oder Richtfunkstrecken abgewickelt werden, sowie die Verwendung der dadurch erlangten Informationen nicht gegen die völkerrechtlich geschützte territoriale Souveränität anderer Staaten verstößt.12 In der aktuellen Diskussion über die NSA-Affaire sind jedoch vereinzelt Überlegungen angestellt worden, ob nicht das Abhören der Regierungskommunikation als genuiner Teil der inneren Angelegenheiten eines Staates (domaine réservée) einen Verstoß gegen das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten (Art. 2 Nr. 1 VN-Charta) darstellen könnte.13 Eine andere völkerrechtliche Bewertung von Spionagehandlungen ergibt sich jedenfalls dann, wenn diese geheimdienstlichen Tätigkeiten Territorialbezug zum ausgespähten Staat auf- 10 Foschepoth, Überwachtes Deutschland, S. 275 ff.; dazu Peters, Surveillance without borders, EJIL: Talk 4.11.2013, Part I. 11 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion – BT-Drs. 17/14560 v. 14.8.2013, FAZ v. 7.8.2013. 12 EGMR, Entscheidung vom 29. Juni 2006 - Weber und Saravia gegen Deutschland, Beschwerde Nr. 54934/00, EGMR-Reports 2006-XI, para. 88. 13 Peters, Surveillance without borders, EJIL: Talk 4.11.2013, Part I. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 7 weist14 – also aus den Räumlichkeiten einer Auslandsvertretung15 (dazu unten 5.) oder aus Militäreinrichtungen von Stationierungstruppen erfolgt (dazu unten 6.). 4. Völkerrechtliche Reaktionsmöglichkeiten auf Spionagetätigkeit Allein die Tatsache, dass es Spionage zwischen den Staaten schon immer gegeben hat und nach allgemeinem Völkerrecht auch nicht als verboten gilt, hat nicht zur Folge, dass ein Spion sich auf einen entsprechenden völkerrechtlichen Rechtfertigungsgrund berufen könnte.16 Es besteht auch keine (völkergewohnheitsrechtliche) Pflicht eines ausgespähten Staates, Spionagetätigkeiten eines anderen Staates klaglos hinzunehmen. Gleichwohl bleibt das Instrumentarium an Reaktions- und Sanktionsmaßnahmen überschaubar. 4.1. Recht zur Bestrafung von Spionage Einem ausgespähten Staat steht es frei, Spionagetätigkeit für ausländische Nachrichtendienste unter Strafe zu stellen.17 Dies gilt nicht nur für befreundete Staaten, sondern auch im Sonderfall der deutschen Einigung. In seinem Beschluss vom 15. Mai 1995 zur Strafbarkeit von DDR- Spionen führte das BVerfG dazu aus: „Eine allgemeine Regel des Völkerrechts als Bestandteil des Bundesrechts (Art. 25 GG), nach der die strafrechtliche Ahndung nachrichtendienstlicher Tätigkeiten ausgeschlossen ist, die im Auftrag und vom Territorium eines Staates aus begangen wurden, der danach dem ausgespähten Staat friedlich und einvernehmlich beigetreten ist, kann nicht festgestellt werden.“18 4.2. Völkerrechtswidrige Gegenmaßnahmen Spionagehandlungen (insbesondere die Fernaufklärung) stellen für sich genommen kein völkerrechtliches Delikt des ausspähenden Staates dar, das einen Anspruch auf Entschädigung nach sich ziehen könnte. Ein ausgespähter Staat hat deshalb weder einen rechtlich einklagba- 14 Vgl. insoweit Gusy, NZWehrR 1984, S. 192 f. 15 Diplomatische oder konsularische Missionen stellen – entgegen oft vertretener Auffassung – kein „extraterritoriales “ Gebiet dar. Art. 4 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen von 1963 bestimmt: „Eine konsularische Vertretung kann im Hoheitsgebiet des Empfangsstaats nur mit dessen Zustimmung errichtet werden .“ Vgl. ebenso Art. 21 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen von 1961. 16 Kunig, in: Vitzthum, Wolfgang Graf (Hrsg.), Völkerrecht, Berlin, New York: Gruyter, 5. Aufl. 2010; Doehring, ZRP 1995, 293 ff.; Peters, Surveillance without borders, EJIL: Talk 4.11.2013, Part I. 17 Vgl. z.B. § 99 StGB – Geheimdienstliche Agententätigkeit. 18 BVerfGE 92, 227, 328 ff., Beschl. vom 15. Mai 1995 – DDR-Spione. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 8 ren Anspruch auf eine förmliche Entschuldigung als Wiedergutmachung, noch darf er – technisch gesprochen – völkerrechtliche Gegenmaßnahmen (Repressalien) ergreifen.19 Als Reaktion auf die Späh-Aktionen der NSA hat das Europäische Parlament die zeitweilige Suspendierung des SWIFT-Abkommens von 2010 zwischen den USA und der Europäischen Union gefordert.20 Eine Suspendierung des Abkommens ist im Ergebnis aber unzulässig21 weil vertragswidrig. Art. 21 des SWIFT-Abkommens setzt nämlich insoweit einen Vertragsbruch des Vertragspartners voraus,22 welcher sich nicht schon aus der Überwachung der Telekommunikation eines Vertragspartners ergibt. 4.3. Retorsion Spionage unter befreundeten Staaten ist zwar kein völkerrechtliches Delikt, wohl aber ein unfreundliches Verhalten gegenüber dem ausgespähten Staat.23 Unter unfreundlichem Verhalten versteht man eine schädigende Handlung, die selber keine Völkerrechtsverletzung darstellt . Als Reaktion bzw. „Sanktions“-Maßnahme auf einen unfreundlichen Akt wäre die sog. völkerrechtliche Retorsion zulässig – verstanden als unfreundliche, aber nicht rechtswidrige Maßnahme , mit der der Zweck verfolgt wird, einen anderen Staat zur Beendigung eines unfreundlichen Verhaltens zu bewegen.24 19 Hobe, Stefan, Einführung in das Völkerrecht, Tübingen: UTB, 9. Aufl. 2008, S. 244; Talmon, SSRN 2013, S.2 unter Verweis auf die völkerrechtlichen Regelungen über die Staatenverantwortlichkeit. 20‘Europaparlament verlangt Aussetzung des Swift-Abkommens’, in: FAZ v. 24.10.2013, S. 5; http://www.faz.net/aktuell/politik/bankdaten-austausch-mit-amerika-eu-parlament-will-swift-abkommenaussetzen -12630641.html; http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/eu-parlament-stimmt-gegen-das-swiftabkommen -a-929561.html. Das Abkommen erlaubt US-Terrorfahndern den Zugriff auf Kontobewegungen von Verdächtigen in der EU. 21 So auch Talmon, SSRN 2013, S. 2. 22 Art. 21 des SWIFT-Abkommens (abgedruckt unter: http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/10/st11/st11222- re01.de10.pdf.) lautet: „Die Anwendung dieses Abkommens kann von jeder Partei im Falle eines Verstoßes gegen Pflichten aus diesem Abkommen durch die andere Partei durch Notifizierung auf diplomatischem Weg mit sofortiger Wirkung suspendiert werden. Vor einer etwaigen Suspendierung oder Kündigung konsultieren die Parteien einander in einer Weise, die ausreichend Zeit lässt, um zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen.“ 23 So explizit auch Prof. Martin Nettesheim im Interview mit der Rhein-Neckar-Zeitung vom 5. November 2013. 24 Zur Retorsion vgl. Ipsen, Knut (Hrsg.), Völkerecht, München: Beck, 5. Aufl. 2004, S. 1098; Schröder, in: Vitzthum, Wolfgang Graf (Hrsg.), Völkerrecht, Berlin, New York: Gruyter, 5. Aufl. 2010, S. 632. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 9 Die Staaten sind in der Auswahl ihrer Retorsionsmaßnahmen frei; die Retorsion bedarf keiner vorherigen Ankündigung und braucht nicht verhältnismäßig zu sein.25 Die Retorsion kann auch in einem völlig anderen Sachgebiet liegen als der sie auslösende unfreundliche Akt. Die Retorsion bedeutet letztlich nur die Ausübung von völkerrechtlich zulässigem Druck. In Betracht kommen z.B. die Nichtverlängerung eines auslaufenden Vertrages oder die Nichtgewährung eines erbetenen Kredits sowie Maßnahmen des Diplomatenrechts26 (z.B. Personagrata -Erklärung von Diplomaten). 5. Verstoß gegen Diplomatenrecht 5.1. Rechte und Pflichten im diplomatischen Verkehr Abhöraktivitäten, d.h. die Gewinnung von Telekommunikationsinformationen des Gastlandes aus einem Botschaftsgebäude heraus, können das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD) verletzen.27 Zwar gehört es gem. Art. 3 Abs. 1 d WÜD zu den Aufgaben einer diplomatischen Mission, „sich über Verhältnisse und Entwicklungen im Empfangsstaat zu unterrichten und darüber an die Regierung des Entsendestaats zu berichten.“ Die Nachrichtengewinnung über den Empfangsstaat darf jedoch nur mit rechtmäßigen Mitteln erfolgen. In Deutschland ist aber das heimliche Abhören von Telefongesprächen ein Straftatbestand (vgl. §§ 201, 202a, 202b StGB). So gehört es nach einhelliger Auffassung nicht zu den Aufgaben einer Botschaft, nachrichtendienstlich tätig zu ein und die Regierung des Empfangsstaates auszuspähen.28 Die Mitglieder der diplomatischen Mission sind vielmehr verpflichtet, die „Gesetze des Empfangsstaates zu beachten und sich nicht in seine inneren Angelegenheiten einzumischen“ (Art. 41 Abs. 1 WÜD). Darüber hinaus dürfen die Räumlichkeiten der Mission „nicht in einer Weise benutzt werden, die unvereinbar ist mit den Aufgaben der Mission, wie sie in diesem Übereinkommen oder in besonderen, zwischen dem Entsendestaat und dem Empfangsstaat in Kraft befindlichen Übereinkünften niedergelegt sind“ (Art. 41 Abs. 3 WÜD). Überwachungstä- 25 Stein / v. Buttlar, Völkerecht, Köln, München: Heymanns, 13. Aufl. 2012, Rdnr. 562. 26 Zu den Reaktionsmaßnahmen vgl. Schröder, in: Vitzthum, Wolfgang Graf (Hrsg.), Völkerrecht, Berlin, New York: Gruyter, 5. Aufl. 2010, S. 632. 27 Wiener Diplomatenkonvention vom 18.4.1961, BGBl. 1964 II, S. 959. 28 So explizit Richtsteig, WÜD, S. 20; Wagner/Raasch/Pröpstl, WÜD, S. 70; Talmon, SSRN 2013, S. 5. Ein klassischer Beispielsfall aus der Praxis für nicht mit Art. 3 WÜD vereinbare Ermittlungen seitens des Botschaftspersonals betrifft z.B. geheime Fotoaufnahmen von militärischen Anlagen in China durch den 2. Sekretär der indischen Botschaft in Peking (vgl. AJIL 1968, S. 205). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 10 tigkeiten der diplomatischen Mission stellen mithin eine Verletzung des völkerrechtlichen Diplomatenrechts dar. Insbesondere ist das Errichten und Betreiben einer Funksendeanlage in der Mission des Entsendestaates nur mit Zustimmung des Empfangsstaates gestattet (Art. 27 Abs. 1 WÜD).29 Die Installation von Abhöranlagen stellt daher eine Verletzung der Wiener Diplomatenkonvention dar. Gleiches gilt für Abhöraktionen zum Nachteil des Empfangsstaates.30 Die Vorschrift des Art. 27 WÜD, die eine nicht unerhebliche Durchbrechung des Grundsatzes der Unverletzlichkeit der Mission (Art. 22 WÜD) darstellt, beinhaltet jedoch nicht das Recht des Empfangsstaates, Inspektionen in der Auslandsvertretung vorzunehmen, um sich von der Einhaltung der Verpflichtung zu überzeugen.31 Schwierig gestaltet sich für die Empfangsstaat insoweit der Nachweis von Abhörtätigkeiten durch Auslandsvertretungen. Dies führt zur Frage, welche Kontroll-, Reaktions- und Sanktionsmaßnahmen im Falle eines Bruchs der Diplomatenkonvention zulässig sind. 5.2. Zulässige diplomatenrechtliche Sanktionen Das völkerrechtliche bzw. straf- und diplomatenrechtliche Instrumentarium des Empfangsstaates gegenüber dem Entsendestaat ist begrenzt. Selbst ein offensichtlicher Bruch völkerrechtlicher Verpflichtungen seitens des Entsendestaates gibt des Empfangsstaat kein Zutrittsrecht zur Mission des Entsendestaates. Vertreter des Empfangsstaates dürfen die Mission nur mit Zustimmung des Missionschefs betreten (Art. 22 Abs. 1 WÜD). Die Räumlichkeiten der Mission und die darin befindlichen Gegenstände genießen Immunität vor jeder Durchsuchung oder Beschlagnahme (Art. 22 Abs. 3 WÜD). Fraglich ist, ob der Empfangsstaat – gewissermaßen nach dem Talionsprinzip – die der Spionage verdächtigte Auslandsvertretung selber heimlich überwachen und die in der Mission geführten Telefongespräche abhören dürfte. Ein Lauschangriff durch Behörden des Empfangsstaates wird gemeinhin als unzulässig angesehen, da sie die Wahrnehmung diplomatischer Aufgaben ebenso beeinträchtigt wie die Durchsuchung der Räumlichkeiten der Mission 29 Nicht zuletzt die US-amerikanische Praxis verlangt eine ausdrückliche Zustimmung für das Betreiben ausländischer Funksendeanlagen in Washington. Großbritannien dagegen hat auf das Erfordernis einer ausdrücklichen Erlaubnis verzichtet (Wagner/Raasch/Pröpstl, WÜD, S. 266). 30 Richtsteig, WÜD, S. 60 f. mit Beispielen für Abhöraktionen aus der Staatenpraxis. 31 Wagner/Raasch/Pröpstl, WÜD, S. 225 f. Eine solche weitergehende Verpflichtung konnte sich auf der Staatenkonferenz zur Ausarbeitung der WÜD nicht durchsetzen (UN Doc.A/Conf.20/14, S. 17). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 11 des Entsendestaates.32 Als Instrument der Erkenntnisgewinnung, um den Sachverhalt der Spionage aufzuklären und einen Beweis für die völkerrechtswidrigen Aktivitäten der Auslandsvertretung erst zu erbringen, scheidet der Lauschangriff – als völkerrechtswidriger Akt – aus. Aber auch als Repressalie mit der Zielrichtung, den Entsendestaat zur Aufgabe seines völkerrechtswidrigen Verhaltens (Telefonüberwachung) zu bewegen, wäre der Lauschangriff unzulässig. Gem. Art. 50 Ziff. 2 b) des ILC-Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit33 dürfen Gegenmaßnahmen nicht die Unverletzlichkeit der diplomatischen Vertreter sowie der Räumlichkeiten der Mission beeinträchtigen. Sinn des Verbots von Repressalien gegen die Institution der diplomatischen Beziehungen ist gerade die Aufgabe einer diplomatischen Mission, mit der Regierung des Empfangsstaates zu verhandeln und zerstörtes Vertrauen wiederherzustellen – insbesondere wenn durch Völkerrechtsverletzungen ein Spannungszustand entstanden ist, den es wieder abzubauen gilt.34 Das Diplomatenrecht als sog. self-contained régime (in sich abgeschlossenes Vertragswerk)35 sieht z.B. in Art. 9 WÜD vielmehr eigene Methoden und Maßnahmen der Rechtsdurchsetzung vor. Gem. Art. 9 WÜD kann der Empfangsstaat dem Entsendestaat „jederzeit ohne Angabe von Gründen notifizieren, dass der Missionschef oder ein Mitglied des diplomatischen Personals der Mission Persona-non-grata ist. In diesen Fällen hat der Entsendestaat die betreffende Person entweder abzuberufen oder ihre Tätigkeit bei der Mission zu beenden. Weigert sich der Entsendestaat oder unterlässt er es innerhalb einer angemessenen Frist, seinen Verpflichtungen nachzukommen, so kann der Empfangsstaat es ablehnen, die betreffende Person als Mitglied der Mission anzuerkennen.“ Im Kalten Krieg wurde von der Persona-non-grata-Erklärung insbesondere bei Spionageverdacht mehrfach Gebrauch gemacht, wobei als Begründung zumeist auf Aktivitäten hingewiesen wurde, die mit dem Diplomatenstatus nicht vereinbar sind.36 Überdies kann der Empfangsstaat vom Entsendestaat verlangen, den Umfang des Personalbestandes in der Mission mit Blick auf die im Empfangsstaat vorliegenden „Umstände und Ver- 32 BGH. Beschl. v. 4.4.1990, NJW 1990, S. 1799; Richtsteig, WÜD, S. 181. 33 ILC-Entwurf vom Juli 2001 (http://untreaty.un.org/ilc/texts/instruments/english/commentaries/9_6_2001.pdf). 34 So Schweisfurth, Völkerrecht, Tübingen: Mohr Siebeck, 2006, 7. Kap., Rdnr. 104. Im übrigen ergibt sich das Verbot von Gegenmaßnahmen aus der Einstufung der Normen des WÜD als self-contained régime. 35 Schweisfurth, Völkerrecht, Tübingen: Mohr Siebeck, 2006, 6. Kap., Rdnr. 25. Der Terminus des self-contained régime für das Diplomatenrecht ist vom IGH im Teheraner Geiselfall (ICJ-Reports 1980, S. 3 ff., Ziff. 86) geprägt worden. 36 Unter befreundeten Staaten erfolgte dieses diplomatische Mittel in der Vergangenheit jedoch eher dezent – so etwa im Fall von Horn (Bonner Ministerialbeamter im Bundeswirtschaftsministerium) und Plant / Humphries (US-Diplomaten im Dienst der CIA) aus den 1990er Jahren; vgl. weitere Beispiele aus der Staatenpraxis bei Richtsteig , WÜD, S. 30. Frey, History of Dipomatic Immunity, S. 498 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 12 hältnisse“ – dies umfasst auch jede Art von außenpolitischen Interessen des Empfangsstaates – zu reduzieren (Art. 11 Abs. 1 WÜD). Begrenzungen im Personalbestand wurden in der Vergangenheit vor allem dann vom Empfangsstaat vorgenommen, wenn die Mission in Spionagebzw . terroristische Aktivitäten verwickelt war. Abgesehen von der Erklärung zur Persona-non-grata ist die Person des diplomatischen Vertreters unverletzlich – selbst wenn er die Gesetze des Empfangsstaates missachten sollte (Art. 29 WÜD). Er unterliegt keiner Festnahme oder Haft irgendwelcher Art. Solange der Entsendestaat nicht ausdrücklich auf die Immunität ihres Diplomaten verzichtet (vgl. Art. 32 WÜD),37 genießt dieser gem. Art. 31 WÜD Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates. Ein Strafverfahren gegen Diplomaten wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit scheitert daher an dessen diplomatischer Immunität. Der Diplomat ist auch nicht verpflichtet, als Zeuge in einem Verfahren des Empfangsstaates auszusagen (Art. 31 Abs. 2 WÜD). 5.3. Rechtsmittel Klagen gegen die Botschaft als solche verbietet die Unverletzlichkeit der Mission.38 Der Empfangsstaat kann jedoch den Entsendestaat nach Maßgabe des Fakultativprotokolls zum WÜD39 vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Verletzung der Diplomatenrechtskonvention verklagen. Die Erfolgsaussichten einer solchen Klage werden mit davon abhängen , inwieweit hier eine Beweislastumkehr in Bezug auf die Abhöraktivitäten der Botschaft angenommen werden kann. 6. Verstoß gegen NATO-Vertrag und NATO-Truppenstatut In der rechtswissenschaftlichen Diskussion um die NSA-Affaire ist der Vorwurf der Spionage unter befreundeten Staaten im Lichte von Loyalitätsverpflichtungen diskutiert worden. Insbesondere der NATO-Vertrag mit seiner Verpflichtung zum gegenseitigem Beistand erscheint dabei in besonderer Weise Ausdruck des völkerrechtlichen Prinzips von Treu und Glauben (good faith), wie es in Art. 26 der Wiener Vertragsrechtskonvention niedergelegt ist. Hieraus ließe sich unter den NATO-Partnern eine besondere Loyalitätsverpflichtung in den zwischenstaatlichen Beziehungen ableiten.40 37 Der Empfangsstaat kann den Entsendestaat zur Abgabe einer solchen Verzichtserklärung auffordern. 38 Richtsteig, WÜD, S. 75. Diplomatische Missionen sind zwar Organe des Entsendestaates, haben aber keine eigene Rechtspersönlichkeit. 39 Fakultativprotokoll zum WÜD betreffend die obligatorische Beilegung von Streitigkeiten vom 18. April 1961, BGBl. 1964 II, S. 1018 ff. Sowohl die USA (seit 1972) als auch Deutschland (seit 1964) sind Vertragsparteien dieses Protokolls. 40 So Peters, Surveillance without Borders, EJIL: Talk 4.11.2013, Part I. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 13 Eine Überwachung der Telekommunikation in Deutschland durch ausländische Militäreinrichtungen kann allerdings gegen das NATO-Truppenstatut von 1951 (NTS) verstoßen.41 Art. II des NTS bestimmt: „Eine Truppe und ihr ziviles Gefolge, ihre Mitglieder sowie deren Angehörige haben die Pflicht, das Recht des Aufnahmestaates zu achten und sich jeder mit dem Geiste dieses Abkommens nicht zu vereinbarenden Tätigkeit, insbesondere jeder politischen Tätigkeit im Aufnahmestaat, zu enthalten.“ Dies beinhaltet den Respekt vor den Normen des Aufenthaltsstaates. Streitigkeiten über die Anwendung und Auslegung des Truppenstatuts sind jedoch durch Verhandlungen ohne Inanspruchnahme außenstehender Gerichte zu regeln (vgl. Art. XVI NATO-Truppenstatut), so dass eine Rechtsverletzung auf diesem Wege nicht effektiv geltend gemacht werden kann.42 An der technischen Kapazität von US-Einrichtungen in Deutschland zu flächendeckenden Abhörmaßnahmen bestehen nach Einschätzungen in der Literatur keine Zweifel.43 Die fortdauernde Präsenz amerikanischen Überwachungseinrichtungen in Deutschland findet ihre Rechtsgrundlage im Stationierungsrecht. Grundlage für den dauernden Aufenthalt von U.S.- Streitkräften in Deutschland (das sog. ius ad praesentiam) ist bis heute der sog. Aufenthaltsvertrag vom 23. Oktober 1954.44 Stationierungsrechtliche Fragen (das sog. ius in praesentia) wurden dagegen zunächst im sog. Truppenvertrag45 von 1955 und später im Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut (NTS-ZA) von 1959 geregelt.46 Die USA haben danach Zugang zu Post- und Fernmeldeeinrichtungen in Deutschland. Gem. Art. 6o Abs. 2 des NTS-ZA können amerikanische Streitkräfte Fernmelde- und Funkanlagen für bewegliche Funkdienste und Ortungsfunkdienste sowie sonstige Funkempfangsanlagen errichten, betreiben und unterhalten . Überdies können die Streitkräfte gem. Art. 60 Abs. 4 NTS-ZA Fernmeldeanlagen, die vor Inkrafttreten des NTS-ZA in Betrieb genommen wurden, auch weiterhin betreiben und unterhalten. Aus dem NTS-ZA ergibt sich damit ein – bis in die Besatzungszeit zurückrei- 41 Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom 19. Juni 1951 (BGBl. 1961 II S. 1190). 42 Talmon, SSRN 2013, S. 5. 43 So Wolf, JZ 2013, S. 1042. 44 BGBl. II 1955, S. 253 45 Vertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland“ zwischen den drei Westmächten und der Bundesrepublik Deutschland, BGBl. II 1955, 321 ff. Der Truppenvertrag wurde auf der Grundlage von Art. 8 des Deutschlandvertrages vom 26.5.1952 geschlossen. 46 Zusatzabkommen zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 03.08.1959 (BGBl. 1961 II 1183, 1218 ) in der durch die Änderungsabkommen vom 21.10.1971 (BGBl. 1973 II 1022) und vom 18.03.1993 (BGBl. 1994 II 2594) geänderten Fassung. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 14 chender – Bestandsschutz für amerikanische Fernmeldeanlagen. Inwieweit diese noch in Betrieb und für eine Überwachung technisch überhaupt geeignet sind, ist jedoch eine ganz andere Frage. 7. Verstoß gegen Internationale Menschenrechte Die Überwachung der Telekommunikation deutscher Politiker durch ausländische Nachrichtendienste könnte gegen internationale Menschenrechtspakte verstoßen.47 Art. 17 des Internationalen Pakts für Bürgerliche und Politische Rechte (IPBürgPR)48 von 1966 bestimmt insoweit: „Niemand darf willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben (…) und seinen Schriftverkehr (…) ausgesetzt werden.“ Der mit der Überwachung des Zivilpaktes betraute Genfer Menschenrechtsausschuss hat die datenschutzrechtliche Relevanz des Art. 17 IPbürPR bereits in seinem General Comment 16 von 1988 präzisiert.49 Deutschland und Brasiliens arbeiten derzeit an einem Resolutionsentwurf für die VN- Generalversammlung, um den Zivilpakt für die digitalisierte Welt zu ergänzen und die Privatsphäre des Einzelnen gegen geheimdienstliche Ausspähaktionen zu schützen.50 Zwar genießen auch deutsche Politiker und Amtsträger als Privatpersonen den Schutz des Zivilpaktes; doch sind die Vertragsparteien – zu denen sowohl die USA als auch Deutschland gehören – lediglich verpflichtet, den Schutz allen in ihrem Gebiet befindlichen und ihrer Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen gegenüber zu gewährleisten (Art. 2 Abs. 1 IP- BürgPR). Die Frage, ob „Herrschaftsgewalt über einem Grundrechtsträger“ zwingend einen physisch-territorialen Bezug voraussetzt oder – im Sinne einer „digitalen Herrschaftsgewalt“ – auch die globale Überwachung der virtuellen Welt (und digitalen Privatsphäre) durch einen Staat einschließt, bedürfte weiterer Diskussion. 47 Zur menschenrechtlichen Problematik ausführlich Peters, Surveillance without borders, EJIL: Talk 4.11.2013, Part II. 48 BGBl. 1973 II S. 1534. 49 Human Rights Committee, General Comment 16 vom 23. März 1988, UN Doc. A/43/40 http://www1.umn.edu/humanrts/gencomm/hrcom16.htm. Dort heißt es: “The gathering and holding of personal information on computers, databanks and other devices, whether by public authorities or private individuals or bodies, must be regulated by law. Effective measures have to be taken by States to ensure that information concerning a person's private life does not reach the hands of persons who are not authorized by law to receive, process and use it, and is never used for purposes incompatible with the Covenant” (Rz. 10). 50 FAZ v. 28.10.2013, S. 2. Der Resolutionsentwurf ist abgedruckt unter http://statewatch.org/news/2013/oct/undraft -resolution-on-privacy-us-surveillance.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 15 Darüber hinaus wäre die Frage der Willkür und der Rechtswidrigkeit eines Eingriffs in das Recht auf Privatsphäre (z.B. in Form von Überwachungsmaßnahmen) am Recht des Staates zu messen, dessen Nachrichtendienste für die Überwachung verantwortlich zeichnen.51 Das Recht der USA verbietet die Auslandsspionage der eigenen Geheimdienste nicht. Auf dem globalen Weg – beispielsweise über das Netzsystem der USA – kann die Telekommunikation in Deutschland jederzeit abgehört, gespeichert und ausgewertet werden. Eine solche Praxis mag nach deutschem Rechtsverständnis als rechtswidrig empfunden werden. Tatsächlich wird man die Überwachung der Telekommunikation ausländischer Regierungschefs durch die NSA – soweit der Vorgang im Hoheitsgebiet der USA stattfindet – nach amerikanischem Recht als legal ansehen müssen.52 Aber auch in Deutschland werden fremde Staatsgeheimnisse strafrechtlich nicht geschützt und nur die Agententätigkeit für fremde Mächte sanktioniert (vgl. § 99 StGB). In Zusammenhang mit nachrichtendienstlichen Überwachungsmaßnahmen ist kritisiert worden , dass viele Rechtsordnungen unter dem Vorwand von Generalklauseln („Kampf gegen den internationalen Terrorismus“) weitgehende Eingriffe in die Grundrechte gestatteten und im Extremfall sogar eine verdachtsunabhängige Massenüberwachung erlaubten.53 Das deutsche Datenschutzrecht, das die informationelle Selbstbestimmung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Verbindung mit der Menschenwürde ableitet, findet im internationalen Vergleich so gut wie keine Nachahmung.54 Dies wird insbesondere am Beispiel des USA Patriot Act von 2001 deutlich.55 51 Talmon, SSRN 2013, S. 7. 52 Wolf, JZ 2013, S. 1040 f.; vgl. auch das Interview vom 30.10.2013 mit Prof. Russel Miller, Verfassungsblog, http://www.verfassungsblog.de/de/ein-gewisses-mass-an-heuchelei-in-der-deutschen-sorge/#.UnfZ56yLE2w. Über die Befugnisse der US-Geheimdienste nach innen, also bei der Ausspähung der US-Bürger im eigenen Land, bestehe dagegen Unklarheit. Die einschlägigen US-Gesetze begrenzten in gewissem Umfang die Möglichkeiten, auf Amerikaner zuzugreifen. Aber keine dieser Beschränkungen gelte für Ausländer. 53 So etwa der UN-Sonderberichterstatter für den Schutz der Meinungs- und Informationsfreiheit Frank La Rue – vgl. Report of the Special Rapporteur vom 17. April 2013, A/HRC/23/40, Rz. 38 ff., abrufbar unter: http://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/RegularSession/Session23/A.HRC.23.40_EN.pdf. 54 Zu den Unterschieden im deutschen und US-amerikanischen Grundrechts- und Datenschutzverständnis vgl. auch Wolf, JZ 2013, S. 1040. 55 18 USC § 2339A (Public Law 112-283). USA Patriot Act = Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act vom 25. Oktober 2001. Nach dessen Section 215 wird den US-Geheimdiensten ein weitreichender Spielraum für Informationen eröffnet, die für Untersuchungen im Rahmen der Terrorismusbekämpfung relevant sind. Obwohl der Patriot Act die flächendeckende Überwachung des Internets oder einen Zugang zu den Metadaten aus Telefonverbindungen nicht ausdrücklich gestattet, hat die Obama-Administration in der heutigen Lesart dieser Bestimmung eine Ermächtigung zum flächendeckenden Abhören und Speichern aller Telefongespräche von amerikanischen Bürgern abgeleitet (näher dazu Wolf, JZ 2013, S. 1040). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 16 8. No-Spy-Abkommen Ein völkerrechtliches Spionageverbot kann sich aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen ergeben. 8.1. Staatenpraxis Ein so genanntes „No Spy“-Abkommen, worin sich die Vertragsparteien verpflichten, sich nicht gegenseitig auszuspähen, existiert ansatzweise in Gestalt der britisch-amerikanischen Fernmeldeaufklärungsvereinbarung vom 5. März 1946, der später auch Australien, Kanada und Neuseeland beigetreten sind.56 Ein Ausspähverbot wird in der Vereinbarung nicht ausdrücklich erwähnt; vielmehr geht es um den umfassenden Austausch von Geheimdienstinformationen , der ein gegenseitiges Ausspähen wohl überflüssig macht. Bei dieser „Vereinbarung “ scheint es sich jedoch eher um eine politische Abmachung – ein Gentlemen’s Agreement oder ein Memorandum of Understanding – zwischen den Geheimdiensten als um einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zwischen den Staaten zu handeln.57 8.2. Deutsch-Amerikanisches No-Spy-Abkommen Darüber hinaus scheinen die Staaten bislang noch keine „No Spy“-Abkommen eingegangen zu sein. Derzeit wird zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland über ein Geheimdienst-Abkommen verhandelt, das bis Anfang 2014 zum Abschluss gebracht werden soll.58 Details über Inhalte sind bislang nur in Grundzügen der Öffentlichkeit bekannt geworden. Zu den deutschen Forderungen gehören neben der verbindlichen Festlegung eines Spionageverzichts gegenüber den Regierungsstellen („no spy“- Abkommen) auch eine Zusicherung über den Verzicht auf Industrie- und Wirtschaftsspionage. 8.3. Erfolgsaussichten und Konsequenzen einer Vereinbarung über einen Spionageverzicht Stimmen in der Literatur haben sich eher skeptisch über ein „No-Spy“-Abkommen geäußert.59 56 Die sog. Allianz der Fünf Augen („Five Eyes“). Der Text des British-U.S. Communication Intelligence Agreement findet sich auf der Webseite der NSA unter http://www.nsa.gov/public_info/_files/ukusa/agreement_outline_5mar46.pdf. 57 So Talmon, SSRN 2013, S. 3. 58 FAZ vom 4. November 2013, S. 1. Spiegel Online v. 13.8.2013 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundesregierung-benennt-erste-no-spy-massnahmen-a-916380.html. 59 Müller, Reinhard, No Spy ?, in: FAZ v. 15.08.2013; Talmon, SSRN 2013, S. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 17 Problematisch gestalten würde sich zum einen die mögliche Kontrolle einer solchen „No- Spy“-Abkommens. Weiterhin wäre zu überlegen, private Firmen, die in Deutschland für das US-Militär arbeiten,60 in geeigneter Weise in das „No Spy“-Abkommen einzubeziehen. Zu den umstrittenen Punkten bei den Geheimdienst-Verhandlungen zählt die Rechtsverbindlichkeit eines solchen Abkommens. Für eine rechtliche Bewertung kommt es u.a. darauf an, ob das Abkommen nur zwischen den Geheimdiensten oder auch zwischen den Regierungen vereinbart wird. Der US-Präsident kann in den auswärtigen Beziehungen auch ohne den Senat völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen für die Vereinigten Staaten eingehen. Zum Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags, der gem. Art. 59 Abs. 2 GG die Zustimmung des Bundestages („hochpolitische Verträge“) und gemäß Art. 2, Sec. 2, Clause 2 der US.- Verfassung die Zustimmung (Zweidrittelmehrheit) des US-Senats benötigt, wird es aller Voraussicht nach nicht kommen. So hat der US-Abgeordnete Frank Sensenbrenner deutlich gemacht , dass „die Rechte von Personen, die in keiner Verbindung zu den Vereinigten Staaten stehen, nur durch die Gesetze der Länder geschützt werden können, in denen sie leben.“61 Für den Schutz der Privatsphäre von Ausländern sei der US-Kongress rechtlich auch nicht zuständig . Die vom Abgeordneten Sensenbrenner mit-initiierte Gesetzesinitiative zur Reform der Nachrichtendienste (sog. USA Freedom Act) 62 sieht folglich nur den Schutz der Privatsphäre von US-Bürgern vor. Ob sich die Obama-Administration auf einen völkerrechtlich verbindlichen Auslandsspionageverzicht einlassen wird, ist unwahrscheinlich: Ein rechtsverbindlicher Spionageverzicht würde nämlich entsprechende Forderungen auch anderer Verbündeter nach sich ziehen. Inhaltlich stellt sich schließlich die Frage, ob der Tatbestand der Spionage im Hinblick auf die nationalen Sicherheitsinteressen der Staaten einer vertraglichen Verbotsregelung überhaupt zugänglich ist. Ein solches Verbot stünde wohl von Anfang an unter dem Vorbehalt der nationalen Interessen, des Rechts zur Selbstverteidigung, des Notstandes oder anderer möglicher Rechtfertigungen eines potentiellen Vertragsbruchs.63 60 Im April 2011 erklärte die Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion, 207 Unternehmen führten für die USA "analytische Dienstleistungen" aus. Darunter finden sich Beschreibungen wie "Signal Intelligence" und "Intelligence Analyst" - also Geheimdienstarbeit. 61 Interview mit Frank James Sensenbrenner in: FAZ vom 9.11.2013, S. 7 („Der Kongress wird der NSA die Flügelstutzen “). 62 http://sensenbrenner.house.gov/legislation/theusafreedomact.htm. Die ambitionierte Gesetzesinitiative sieht mehr Transparenz sowie eine Reform der Nachrichtendienste vor. 63 Talmon, SSRN 2013, S. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 18 Vor dem Hintergrund der NSA-Affaire dürfte nicht zuletzt der Umstand von Gewicht sein, dass der amerikanischen Öffentlichkeit immer noch bewusst ist, dass einige der Attentäter des 11. Septembers an Hamburger Hochschulen studiert haben. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 083/13 Seite 19 9. Literatur Doehring, Karl, Zur Ratio der Spionenbestrafung – Völkerrecht und nationales Recht, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 1995, S. 293-297. 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November 2013, Part I und II, http://www.ejiltalk.org/surveillance-without-borders-the-unlawfulness-of-the-nsapanopticon -part-i/. Richtsteig, Michael, Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen . Kommentierung, Praxis, Baden-Baden: Nomos, 2. Aufl. 2010. Sule, Satish: Völkerrechtliche, nationalrechtliche und europarechtliche Bewertung staatlicher Spionagehandlungen unter besonderer Berücksichtigung der Wirtschaftsspionage, Baden- Baden: Nomos 2006. Wagner, Niklas / Raasch, Holger / Pröpstl, Thomas, Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961. Kommentar für die Praxis, Berlin 2007. Wolf, Joachim, Der rechtliche Nebel der deutsch-amerikanischen „NSA-Abhöraffaire“. US- Recht, fortbestehendes Besatzungsrecht, deutsches Recht und Geheimabkommen, in: Juristenzeitung (JZ) 2013, S. 1039-1046.