WD 2 - 3000 - 082/20 (10. September 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Anfang August 2020 hat das Auswärtige Amt die zuvor für die gesamte Türkei bestehende Corona-Reisewarnung teilweise für vier südliche Provinzen, die üblicherweise von vielen deutschen Touristen besucht werden, aufgehoben.1 Hintergrund war, dass die türkische Regierung in Absprache mit Deutschland ein neues Hygiene-Konzept vorgestellt hat: Danach ist jeder Besucher aus Deutschland vor der Ausreise verpflichtet, sich auf eigene Kosten einem Corona-Test zu unterziehen, und darf erst ausreisen, wenn ein negatives Testergebnis vorliegt. Bei einem positiven Ergebnis ist die Person verpflichtet, eine zweiwöchige Quarantäne in der Türkei zu absolvieren bzw. sich in ärztliche Behandlung zu begeben und darf erst danach nach Deutschland ausreisen . Soweit ersichtlich, sind diese Regelungen informell zwischen Vertretern von Deutschland und der Türkei vereinbart worden. Rechtlich zu klären ist, inwieweit die deutsch-türkische Vereinbarung mit den Menschenrechten, insbesondere mit den Freizügigkeitsrechten der Art. 2 Nr. 2 (Ausreisefreiheit) und Art. 3 Nr. 2 (Einreisefreiheit) des IV. Zusatzprotokolls zu der Europäischen Menschenrechtskonvention (ZP IV/EMRK) vereinbar ist. Deutschland hat dieses Zusatzprotokoll unterzeichnet und ratifiziert – die Türkei hat es lediglich unterzeichnet, sodass es für die Türkei noch nicht in Kraft getreten ist.2 Weitgehend gleichlautende Gewährleistungen enthält Art. 12 Abs. 2 und 4 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR), an den sowohl Deutschland als auch die Türkei völkerrechtlich gebunden sind.3 1 Siehe Auswärtiges Amt, Türkei: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 10. September 2020, https://www.auswaertiges -amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/tuerkeisicherheit/201962. 2 Europarat, Ratifikationsstand, Stand: 10. September 2020, https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/- /conventions/treaty/046/signatures?p_auth=cHM6wMRn. 3 United Nations Treaty Collection, International Covenant on Civil and Political Rights, New York, 16. Dezember 1966, Stand: 9. September 2020, https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TRE- ATY&mtdsg_no=IV-4&chapter=4&clang=_en. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Verpflichtende Corona-Tests und Quarantäne in der Türkei im Lichte des Menschenrechts auf Ausreise und Heimkehr Kurzinformation Verpflichtende Corona-Tests und Quarantäne in der Türkei im Lichte des Menschenrechts auf Ausreise und Heimkehr Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Art. 3 Nr. 2 ZP IV/EMRK lautet: „Niemandem darf das Recht entzogen werden, in das Hoheitsgebiet des Staates einzureisen, dessen Staatsangehöriger er ist.“ Art. 12 Abs. 4 IPBPR lautet: „Niemand darf willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes Land einzureisen.“ Beide Normen bieten schon vom Wortlaut her lediglich Schutz vor Entzug des Rechts auf Einreise , nicht aber vor jedweder zeitlich begrenzter Beschränkung dieses Rechts.4 Vorübergehende Beschränkungen wie etwa eine Quarantäne fallen daher nicht in den Schutzbereich der Einreisefreiheit . Die aktuellen Quarantäne-Vorschriften der Türkei stellen somit keinen Eingriff in die Einreisefreiheit deutscher Staatsbürger nach Deutschland dar.5 Ferner garantiert Art. 12 Abs. 2 IPBPR jedermann das Recht, jedes Land, einschließlich des eigenen zu verlassen (Ausreisefreiheit). Die gleiche Garantie enthält Art. 2 Abs. 2 ZP IV/EMRK, welcher jedoch nicht für die Türkei gilt. Art. 12 Abs. 3 IPBPR erlaubt ausdrücklich Einschränkungen, die gesetzlich vorgesehen (es reicht auch eine Verordnung) und zum Schutz der Volksgesundheit notwendig sind. Darunter fallen typischerweise Quarantäne-Verpflichtungen und zwangsweise Testreihen während einer Pandemie . Die Einschränkungen müssen ferner verhältnismäßig sein.6 Mit Blick auf die in der Corona- Krise weltweit verhängten Quarantäne-Vorschriften7 erscheint eine zweiwöchige Quarantäne international üblich und im Ergebnis nicht unverhältnismäßig, um die Corona-Pandemie einzudämmen . Die Ausreisefreiheit deutscher und türkischer Staatsbürger ist durch die neue Regelung in der Türkei nicht verletzt. *** 4 Giegerich, Thomas, in: Dörr/Grothe/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG Konkordanz-Kommentar, Band II, 2. Aufl. 2013, Kap. 26 Rn. 101. Hoppe, Michael, in: Karpenstein/Mayer, EMRK Kommentar, München, 2. Aufl. 2015, Art. 3 ZP IV Rn. 4 f. 5 Zur Einreisefreiheit nach Art. 11 Grundgesetz vgl. Kurzinformation der Wissenschaftlichen Dienste vom 27. März 2020, „Einreisebeschränkungen für Saisonarbeitskräfte und Erntehelfer“, WD 3 - 3000 - 078/20, https://www.bundestag.de/resource/blob/696604/dd8eb1b1f8ce086f80205204bd2b593e/WD-3-078-20-pdfdata .pdf. 6 Siehe zur Rechtfertigung nach EMRK und IPBPR Giegerich, a.a.O. (Fn. 4), Kap. 26 Rn. 112. 7 Siehe etwa SRF News vom 6. September 2020, Corona-Virus weltweit, Die internationale Lage in der Übersicht, https://www.srf.ch/news/international/coronavirus-weltweit-die-internationale-lage-in-der-uebersicht-3.