© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 082/19 Zum völkerrechtlichen Status Hongkongs Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Rechtsstatus und wesentliche Inhalte der gemeinsamen Erklärung zu Hongkong von 1984 Die chinesisch-britische gemeinsame Erklärung zu Hongkong (Joint Declaration of the Government of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland and the Government of the People’s Republic of China on the Question of Hong Kong, im Folgenden: Gemeinsame Erklärung )1 wurde am 19. Dezember 1984 von Premierminister Zhao Ziyang der Volksrepublik China (VR China) und Premierministerin Margaret Thatcher des Vereinigten Königreichs unterzeichnet. Sie ebnete den Weg für die Übergabe Hongkongs unter chinesische Souveränität am 1. Juli 1997 und legte Grundsätze fest, nach denen Hongkong als Sonderverwaltungsregion Chinas geführt werden sollte. Sie wurde durch drei Anlagen ergänzt (Annex I-III), die gemäß Artikel 8 S. 2 der Gemeinsamen Erklärung ebenso verbindlich sind wie das Hauptdokument. Artikel 8 der Gemeinsamen Erklärung bestimmt: This Joint Declaration is subject to ratification and shall enter into force on the date of the exchange of instruments of ratification, which shall take place in Beijing before 30 June 1985. This Joint Declaration and its annexes shall be equally binding. Die Gemeinsame Erklärung und die drei Anlagen bilden einen internationalen Vertrag, der am 27. Mai 1985 mit Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft getreten ist und am 12. Juni 1985 von den Regierungen der VR China und des Vereinigten Königreichs bei den Vereinten Nationen registriert wurde.2 Nach Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Wiener Vertragsrechtskonvention3 ist ein völkerrechtlicher Vertrag „eine in Schriftform geschlossene und vom Völkerrecht bestimmte internationale Übereinkunft zwischen Staaten, gleichviel ob sie in einer oder in mehreren zusammengehörigen Urkunden enthalten ist und welche besondere Bezeichnung sie hat“. Für die rechtliche Einordnung als völkerrechtlicher Vertrag kommt es somit nicht auf die jeweilige Bezeichnung an. Dass es sich um eine „gemeinsame Erklärung“ („Joint Declaration“) handelt, steht der Einordnung als völkerrechtlicher Vertrag somit nicht entgegen.4 1 Joint Declaration of the Government of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland and the Government of the People’s Republic of China on the Question of Hong Kong, https://treaties.un.org/doc/Publication /UNTS/Volume%201399/v1399.pdf, N°23391, englische Fassung ab S. 61 ff. 2 Ibid. 3 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (Wiener Vertragsrechtskonvention) vom 23. August 1969, BGBl. 1985 II, S. 927 ff. 4 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 7. Auflage, 2018, § 12 Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 082/19 Seite 5 In Artikel 7 der Gemeinsamen Erklärung kommen die Regierungen des Vereinigten Königreichs und der VR China überein, die Gemeinsame Erklärung und die Anlagen zu dieser Erklärung umzusetzen („ ... agree to implement the preceding declarations and the annexes to this Joint Declaration .“). In der Gemeinsamen Erklärung heißt es, dass China beschlossen habe, die Ausübung der Souveränität über ganz Hongkong mit Wirkung vom 1. Juli 1997 wieder aufzunehmen (Art. 1 der Gemeinsamen Erklärung). Das Vereinigte Königreich wiederum erklärt, Hongkong an diesem Tag wieder in China einzugliedern (Art. 2 Gemeinsame Erklärung). Der Hauptteil der Gemeinsamen Erklärung enthält in Artikel 3 sowie in Anlage I die „grundlegenden Richtlinien“ („basic policies“) der VR China in Bezug auf Hongkong. Diese grundlegenden Richtlinien umfassen 14 Themen, darunter Regelungen betreffend die Verfassung und die Regierungsstruktur von Hongkong, das Rechtssystem, den öffentlichen Dienst, das Finanzsystem, das Wirtschaftssystem und die Außenwirtschaftsbeziehungen, das Währungssystem, Kultur und Bildung, die Außenbeziehungen, Verteidigung, Sicherheit und öffentliche Ordnung sowie insbesondere auch die Rechte und Freiheiten des Einzelnen.5 Nach Artikel 3 Abs. 2 der Gemeinsamen Erklärung soll Hongkong ein „high degree of autonomy, except in foreign and defence affaires which are the responsibilities of the Central People’s Government“ zukommen. Obwohl diese grundlegenden Richtlinien in Form einer einseitigen Erklärung der VR China formuliert sind (Art. 3 der Gemeinsamen Erklärung bestimmt: „The Government of the People’s Republic of China declares …“) wird aus Art. 7 der Gemeinsamen Erklärung, der wie oben ausgeführt , die Umsetzung der Erklärung durch die britische und chinesische Regierung festschreibt, sowie aus Art. 8 deutlich, dass es sich jeweils um rechtsverbindliche Erklärungen handelt.6 Die VR China hat die rechtliche Bindungswirkung der Gemeinsamen Erklärung in der Vergangenheit immer wieder angezweifelt und sich darauf berufen, dass sie lediglich ein historisches Dokument sei und seit 1997 keine Gültigkeit mehr habe.7 Die Gemeinsame Erklärung begründe keine internationalen Verpflichtungen. China stützt diese Argumentation auf die in der Gemeinsamen Erklärung enthaltene Bestimmung, dass deren Inhalt im sog. Basic Law Hongkongs umgesetzt 5 Vgl. diesbezüglich Malanczuk, Hong Kong, in: Max Planck Encyclopedia of Public International Law (MPEP-IL), February 2010, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1296, Rn 39. 6 ibid, Rn. 37; Dörr, Declaration in: Max Planck Encyclopedia of Public International Law (MPEP-IL), April 2006, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1397?rskey=RYR4rx&result =4&prd=EPIL, Rn.2- 7 Brooke-Holland, Hong Kong: The joint Declaration, House of Commons Library, Briefing Paper, N° 08616, 5 July 2019, S. 3, https://researchbriefings.files.parliament.uk/documents/CBP-8616/CBP-8616.pdf; https://www.reuters .com/article/us-hongkong-anniversary-china-idUSKBN19L1J1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 082/19 Seite 6 werden muss. Aus chinesischer Sicht ist damit nur das später erlassene Basic Law rechtsverbindlich .8 Das britische Foreign and Commonwealth Office hat hingegen wiederholt die Rechtsauffassung vertreten, dass die Gemeinsame Erklärung ein rechtsverbindlicher Vertrag, bei den Vereinten Nationen als solcher registriert und nach wie vor ebenso gültig wie bei seiner Unterzeichnung vor mehr als dreißig Jahren sei.9 Die Rechtswirkung der Gemeinsamen Erklärung ist auch nicht etwa dadurch erloschen, dass sie als völkerrechtlicher Vertrag beendet worden wäre. Die Beendigung eines völkerrechtlichen Vertrages richtet sich zunächst grundsätzlich nach den vertraglichen Bestimmungen. Demnach können die Beendigung eines Vertrages oder der Rücktritt einer Vertragspartei vom Vertrag gemäß Art. 54 der Wiener Vertragsrechtskonvention nur nach Maßgabe der Bestimmungen des jeweiligen Vertrages oder im Einvernehmen aller Vertragsparteien erfolgen. Die Gemeinsame Erklärung enthält keine Vertragsbestimmung, nach welcher der Vertrag bereits ausgelaufen sei. Eine einvernehmliche Aufhebung oder ein einvernehmlicher Rücktritt vom Vertrag ist ebenfalls nicht erfolgt . Anhaltspunkte für eine anderweite Beendigung oder Suspendierung im Sinne der Art. 54 ff. Wiener Vertragsrechtskonvention sind nicht ersichtlich. 2. Handlungsmöglichkeiten der Vertragsparteien im Falle eines Verstoßes gegen die gemeinsame Erklärung Die Gemeinsame Erklärung enthält keine ausdrücklichen Bestimmungen zu Handlungsmöglichkeiten im Falle eines Verstoßes durch eine der Vertragsparteien. Bis zum 1. Januar 2000 war eine sog. „Sino-British Joint Liaison Group“ dafür zuständig, in der Übergangsphase bis zur Übergabe Hongkongs an China die Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung durch die Vertragsparteien zu erleichtern.10 Ihre Funktion bestand darin, für einen Informationsaustausch zwischen den Vertragsparteien zu sorgen und Konsultationen durchzuführen. Eine darüber hinausgehende Stellung im Sinne eines Vertragsorgans wurde ihr ausdrücklich nicht zugewiesen. Insbesondere sollte sie auch keine Aufsichtsfunktion über die Verwaltung Hongkongs übernehmen.11 8 Rühling, How China approaches international law: Implications for Europe, European Institute for Asian Studies , May 2018, S. 13, http://www.eias.org/wp-content/uploads /2016/03/EU_Asia_at_a_Glance_Ruhlig_2018_China_International_Law.pdf. 9 Schriftlichen Stellungnahme des Foreign and Commonwealth Office auf eine Anfrage über den Status der Gemeinsamen Erklärung im Januar 2018 http://data.parliament.uk/writtenevidence/committeeevidence.svc/evidencedocument /foreign-affairs-committee/china-and-the-international-rulesbased-system/written /76411.html#_Toc501023273. 10 Siehe Art. 5 und Anlage 2 der Gemeinsamen Erklärung. 11 Siehe Artikel 6 Anlage 2 der Gemeinsamen Erklärung. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 082/19 Seite 7 Die britische Regierung sieht sich selbst aber in der Pflicht, die Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung zu überwachen: The Sino-British Joint Declaration is a legally binding treaty, registered with the UN that remains in force. We believe that the UK has an obligation and a right to monitor its implementation closely, and we are strongly committed to doing so.12 Zu diesem Zweck legt der Außenminister dem Parlament halbjährlich einen Bericht über den Stand der Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung vor.13 Da die Gemeinsame Erklärung keine Regelungen für Handlungsmöglichkeiten im Falle eines Verstoßes durch eine der Vertragsparteien vorsieht, beurteilen sich diese nach den allgemeinen völkerrechtlichen Regelungen. Demnach sind zunächst gemäß dem Grundsatze pacta sunt servanda 14 (Art. 26 Wiener Vertragsrechtskonvention) rechtsverbindliche Verträge einzuhalten und nach Treu und Glauben zu erfüllen. Ein Staat, der gegen seine vertragliche Verpflichtungen verstößt , muss sich nach dem Regime der Staatenverantwortlichkeit15 gegenüber seinem Vertragspartner verantworten. Demnach verpflichtet ein Verstoß gegen eine internationale Verpflichtung grundsätzlich zur Beseitigung des völkerrechtswidrig herbeigeführten Zustandes und zur Wiedergutmachung .16 In der völkerrechtlichen Praxis ist heute allgemein anerkannt, dass eine Wiedergutmachungspflicht gegenüber dem verletzten Staat besteht. Art. 34 der ILC-Artikelentwürfe zur Staatenverantwortlichkeit nennt dabei als Formen der Wiedergutmachung die Naturalrestitution (restitution), den Schadensersatz (compensation) und die Genugtuung (satisfaction).17 3. Rechtsstellung der Sonderverwaltungsregion Hongkong und ihrer Einwohner Wie bereits festgestellt, ist die Gemeinsame Erklärung nach internationalem Recht als völkerrechtlicher Vertrag im Sinne der Wiener Vertragsrechtskonvention anzusehen. Dieser Vertrag ist für die Vertragsparteien, das Vereinigte Königreich und die VR China, rechtlich bindend. Die 12 Antwort des Foreign and Commonwealth Office auf parlamentarische Anfrage vom 20. Juni 2019, https://www.parliament.uk/business/publications/written-questions-answers-statements/written-question/Commons /2019-06-20/267231/. 13 https://www.gov.uk/government/collections/six-monthly-reports-on-hong-kong. 14 Aust, Pacta sunt servanda, in: Max Planck Encyclopedia of Public International Law (MPEP-IL), February 2007, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1449?rskey=8dvqRY&result =1&prd=OPIL. 15 Vgl. diesbezüglich den Entwurf der VN-Völkerrechtskommission (International Law Commission, ILC) zur Kodifizierung der Regelungen über die Staatenverantwortlichkeit, Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, 2001, http://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english/commentaries /9_6_2001.pdf. 16 Vgl. weitergehend Dörr, in: Ipsen, Völkerrecht, 7. Auflage, 2018, § 30, Rn. 76 ff. 17 Besondere Voraussetzungen finden sich in Art. 35-37 DARS. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 082/19 Seite 8 Sonderverwaltungsregion Hongkong sowie ihre Einwohner können aus der Erklärung selbst aber keine direkten Rechte ableiten und diese nicht direkt gerichtlich durchsetzen. Internationales Recht hat in Hong Kong nach der englischen Tradition des Common Law keine direkte Wirkung im nationalen Recht, bis es durch nationale Gesetze in die nationale Rechtsordnung umgesetzt wird.18 Die Gerichte in Hong Kong haben daher festgestellt, dass die Gemeinsame Erklärung selbst keine Rechte im Hongkonger Rechtssystem gewährt.19 Allerdings kann die Gemeinsame Erklärung als Leitfaden für die Auslegung innerstaatlicher Rechtsvorschriften herangezogen werden und garantiert insbesondere den Schutz grundlegender Rechte und Freiheiten, die ihre Umsetzung im sogenannten Basic Law20 gefunden haben. Demnach ist für Hongkong und seine Bewohner insbesondere Art. 3 Abs. 5 der Gemeinsamen Erklärung von grundlegender Bedeutung, der bekräftigt, dass das derzeitige Sozial- und Wirtschaftssystem sowie der bisherige Lebensstil in Hongkong unverändert bleiben. Darüber hinaus wird der Schutz grundlegender Rechte und Freiheiten zuerkannt: Rights and freedoms, including those of the person, of speech, of the press, of assembly , of association, of travel, of movement, of correspondence, of strike, of choice of occupation, of academic research and of religious belief will be ensured by law in the Hong Kong Special Administrative Region. Private property, ownership of enterprises, legitimate right of inheritance and foreign investment will be protected by law. Art. 13 der Anlage I der Gemeinsamen Erklärung legt der Regierung der Sonderverwaltungsregion die Verpflichtung auf, diese Rechte und Freiheiten der Einwohner Hongkong sowie anderer Person gesetzlich zu schützen. Artikel 3 Abs.12 der Gemeinsamen Erklärung legt fest, dass die in Art. 3 genannten grundlegenden Richtlinien der Volksrepublik China in Bezug auf Hongkong in einem sog. Basic Law vom Nationalen Volkskongress der Volksrepublik China festgelegt werden und 50 Jahre lang unverändert bleiben sollen. Artikel 1 der Anlage 1 zu der Gemeinsamen Erklärung führt weiterhin aus, dass der Nationale Volkskongress der Volksrepublik China dieses Basic Law für Hongkong erlässt und darin festlegt, dass das sozialistische System und die sozialistische Politik in der Sonderverwaltungsregion Hongkong nicht praktiziert werden dürfen.21 18 Malanczuk, Hong Kong, (Fn. 3), Rn. 79. 19 Ibid., m.w.N. 20 Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region of the People's Republic of China, https://www.basiclaw .gov.hk/en/basiclawtext/images/basiclaw_full_text_en.pdf 21 Dieses Prinzip wird allgemein als das sog. „One Country, Two Systems“ bezeichnet. Aktuelle Überlegungen hierzu beispielsweise von Chan, Demise of “One Country, Two Systems“: Reflections on the Hong Kong Renditions Saga, Verfassungsblog, 2019/6/28, https://verfassungsblog.de/demise-of-one-country-two-systems/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 082/19 Seite 9 Das Basic Law22, das für Hongkong Verfassungscharakter hat, wurde am 4. April 1990 verabschiedet und ist am 1. Juli 1997 in Kraft getreten. Es räumt der Sonderverwaltungsregion Hongkong weitgehende exekutive, legislative und judikative Unabhängigkeit ein.23 Artikel 5 des Basic Law bekräftigt das sog. „One Country, Two Systems“- Prinzip und wiederholt die in der Gemeinsamen Erklärung festgelegte Vereinbarung, wonach das sozialistische System in der Sonderverwaltungsregion Hong Kong nicht praktiziert werden darf und das bisherige kapitalistische System und die geltende Lebensweise 50 Jahre lang unverändert bleiben. Abschnitt 3 des Basic Law regelt die „fundamental rights and duties of the residents”. Demnach werden beispielsweise die Meinungs- und Pressefreiheit, die Versammlungsfreiheit (Art. 27), die Freiheit der Person (Art. 28) und die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz (Art. 25) garantiert. Hongkong hat eine von China nur eingeschränkt unabhängige Gerichtsbarkeit. Insbesondere kann das Basic Law nur in bestimmten Fällen von Hongkonger Gerichten ausgelegt und interpretiert werden. In allen übrigen Fällen ist der Ständige Ausschuss des chinesischen Nationalen Volkskongresses für die Auslegung des Basic Law zuständig. Artikel 158 des Basic Law sieht diesbezüglich vor, dass die Gerichte Hongkongs Bestimmungen des Basic Law selbstständig auslegen , die innerhalb der Autonomie der Sonderverwaltungsregion liegen. Fallen die Bestimmungen aber in die Zuständigkeit der zentralen Volksregierung oder betreffen sie das Verhältnis zwischen den Zentralen Behörden und der Sonderverwaltungsregion, müssen die Gerichte den Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses um Auslegung bitten. Diese Auslegung ist verbindlich: The courts of the Hong Kong Special Administrative Region may also interpret other provisions of this Law in adjudicating cases. However, if the courts of the Region, in adjudicating cases, need to interpret the provisions of this Law concerning affairs which are the responsibility of the Central People’s Government, or concerning the relationship between the Central Authorities and the Region, and if such interpretation will affect the judgments on the cases, the courts of the Region shall, before making their final judgments which are not appealable, seek an interpretation of the relevant provisions from the Standing Committee of the National People’s Congress through the Court of Final Appeal of the Region. When the Standing Committee makes an interpretation of the provisions concerned, the courts of the Region, in applying those provisions, shall follow the interpretation of the Standing Committee . However, judgments previously rendered shall not be affected.24 Dieser Status des Basic Law hat erhebliche rechtliche Auswirkungen: In China hat der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses (bestehend aus chinesischen Parlamentariern) das Recht auf endgültige Auslegung des Basic Law von Hongkong. Die letztinstanzlich verbindliche 22 Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region of the People's Republic of China, https://www.basiclaw .gov.hk/en/basiclawtext/images/basiclaw_full_text_en.pdf. 23 https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/hongkong-node/-/200956. 24 Malanczuk, Hong Kong, (Fn. 3), Rn. 69 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 082/19 Seite 10 Auslegung des Basic Law erfolgt damit durch ein chinesisches politisches Organ, nicht durch die unabhängige Justiz Hongkongs.25 4. Rechtsverstöße der Vertragsparteien Als Verstoß gegen die Gemeinsame Erklärung hat die britische Regierung bisher nur einen Vorfall im Jahr 2015 gewertet: Im Halbjahresbericht des Foreign and Commonwealth Office für den Zeitraum von Juli bis Dezember 2015 hat sie einen schweren Verstoß („serious breach“) durch die unfreiwillige Abschiebung des britischen Staatsbürgers und Hongkonger Buchhändlers Lee Po von Hongkong nach China festgestellt.26 Die Verbindlichkeit der Gemeinsamen Erklärung und der in ihr enthaltenen Garantien sind jüngst auch angesichts der massiven Demonstrationen in Hongkong und den damit einhergehenden gewaltsamen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit einem Gesetzesentwurf in Hongkong, wonach verdächtige Personen von Hongkong nach China ausgeliefert werden dürfen, erneut in den Fokus geraten. Auf eine parlamentarische Anfrage hin, inwieweit das umstrittene Auslieferungsgesetz gegen die Gemeinsame Erklärung verstoße, erklärte das Foreign and Commonwealth Office: We do not assess that the extradition proposals themselves breach the Sino-British Joint Declaration, as the Treaty did not explicitly deal with extradition arrangements . If at some stage in the future we were to take the view that China had breached its obligations under the Joint Declaration, this would, under international law, be a bilateral matter between us and China and we would pursue it accordingly .27 Da die Gemeinsame Erklärung keine ausdrücklichen Regelungen zu Auslieferungsfragen enthält, verstößt das Gesetz selbst nicht gegen die Gemeinsame Erklärung. In einer gemeinsamen Stellungnahme des britischen Außenministers Jeremy Hunt und der kanadischen Außenminister Chrystia Freeland äußerten diese aber Befürchtungen in Bezug auf den 25 Malanczuk, Hong Kong, (Fn. 3), Rn. 69 ff.; Rühling, How China approaches international law: Implications for Europe, European Institute for Asian Studies, May 2018, S. 11 ff., http://www.eias.org/wp-content/uploads /2016/03/EU_Asia_at_a_Glance_Ruhlig_2018_China_International_Law.pdf. 26 Foreign and Commonwealth Office, Six-monthly report on Hong Kong: July to December 2015, https://assets .publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment _data/file/500119/Six_Monthly_Report_on_Hong_Kong_-_1_July_to_31_December_2015.pdf; Brooke-Holland , Hong Kong: The joint Declaration, House of Commons Library, Briefing Paper, N° 08616, 5 July 2019, S. 3, https://researchbriefings.files.parliament.uk/documents/CBP-8616/CBP-8616.pdf. 27 Antwort des Foreign and Commonwealth Office auf parlamentarische Anfrage N° 266293 vom 18.06.2019, https://www.parliament.uk/business/publications/written-questions-answers-statements/written-question/Commons /2019-06-18/266293/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 082/19 Seite 11 Schutz der Grundrechte und Freiheiten in Hongkong, die in der Gemeinsamen Erklärung garantiert werden: [W]e believe that there is a risk that the proposals could impact negatively on the rights and freedoms set down in the Sino-British Joint Declaration. It is vital that extradition arrangements in Hong Kong are in line with ‘One Country, Two Systems ’ and fully respect Hong Kong’s high degree of autonomy.28 Auch die Hohe Vertreterin der Europäischen Union hat sich zu den gewaltsamen Vorfällen im Zusammenhang mit den jüngsten Demonstrationen in Hongkong geäußert und dazu aufgerufen, die im Basic Law und internationalen Übereinkünften festgeschriebenen Grundfreiheiten, wie das Recht auf friedliche Versammlung, sowie Hongkongs hohen Grad an Autonomie weiterhin aufrechtzuerhalten.29 *** 28 https://www.gov.uk/government/news/uk-and-canada-joint-statement-on-hong-kong. 29 Erklärung der Hohen Vertreterin im Namen der Europäischen Union zu Hongkonghttps://www.auswaertigesamt .de/de/newsroom/eu-erklaerung-hongkong/2239362.