WD 2 - 3000 - 081/20 (11. September 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Die menschenrechtliche Überprüfung von Bonitätsbewertungen durch Wirtschaftsauskunfteien gestaltet sich komplex: Menschenrechtlich verpflichtet ist allein der Staat. Menschenrechtlich geschützt ist der Bürger (etwa in Gestalt eines Mieters, über den ein potentieller Vermieter eine Bonitätsbewertung bei einer Wirtschaftsauskunftei einholt). Der Mieter genießt den menschenrechtlichen Schutz seines Privatlebens, einschließlich seiner Daten,1 sowie das Recht auf Unterbringung (right to housing).2 Der private Vermieter genießt hingegen am Wohnungsmarkt Vertragsfreiheit . Die Bundesregierung geht dazu in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE3 ein: „Grundsätzlich besteht in der Bundesrepublik Deutschland Vertragsfreiheit. Tritt eine Partei in Vorleistung, so ist es legitim, dass sie sich danach erkundigt, ob die andere Partei wahrscheinlich im Stande sein wird, die vereinbarte Gegenleistung zu erbringen. Bei der Kreditvergabe ist dies beispielsweise in § 18a Abs. 3 des Kreditwesengesetzes und bei Verbraucherdarlehnsverträgen in § 505a Abs. 1 BGB gesetzlich vorgeschrieben. Die Normen dienen dem Schutz des Kredit- bzw. Darlehensgebers und dem Schutz der Verbraucher vor Überschuldung “ (BT-Drs. 19/18641 vom 17. April 2020, Antwort auf Frage 35). 1 Das Privatleben wird auf internationaler Ebene durch Art. 12 AEMR von 1948 geschützt, https://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf. Art. 17 des VN-Zivilpaktes von 1966 schützt das Privatleben, wobei der VN-Menschenrechtsausschuss in seinem General Comment No. 16 vom 8. April 1988 (Rn. 10) den Schutz des Privatlebens auch auf den Datenschutz ausgedehnt hat https://www.refworld.org/docid/453883f922.html. Auf regionaler Ebene besteht ein deutlich höheres Datenschutzniveau im Rahmen von Art. 8 EMRK sowie speziell durch die Europarats-Konvention Nr. 108 (sog. Datenschutzübereinkommen vom 28. Januar 1981, https://rm.coe.int/1680078b38). Vgl. zum Ganzen Breuer, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, München: Beck, 2. Aufl. 2020, § 25 Rdnr. 2 ff. 2 Art. 11 Abs. 1 VN-Sozialpakt (Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966). 3 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, „Vereinbarkeit von Bonitätsbewertungen durch die Schufa und andere Wirtschaftsauskunfteien mit den Menschenrechten“, BT-Drs. 19/18641 vom 17. April 2020, https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/186/1918641.pdf. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Vereinbarkeit von Bonitätsbewertungen durch Wirtschaftsauskunfteien mit den Menschenrechten Kurzinformation Vereinbarkeit von Bonitätsbewertungen durch Wirtschaftsauskunfteien mit den Menschenrechten Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Maßgeblicher Akteur ist ferner die Wirtschaftsauskunftei (z.B. die privatwirtschaftlich in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft organisierte Schufa Holding AG, = Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung), die Daten erheben und bei Anfragen zur Kreditwürdigkeit auch Bonitätsbewertungen erstellen darf, ohne die Kriterien dafür offenlegen zu müssen. In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage (BT-Drs. 19/18641 vom 17. April 2020, Antwort auf Frage 12) heißt es dazu: „Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 28. Januar 2014, VI ZR 156/13) hat festgestellt, dass Betroffene die bei der Schufa gespeicherten Daten und die daraus resultierenden Score-Werte als Auskunft erhalten, jedoch nicht die dem Score-Wert zugrundeliegende Formel und die allgemeinen Rechengrößen. Bei diesen handele es sich um Geschäftsgeheimnisse. Die gegen dieses Urteil eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde zurückgewiesen (unbegründeter Nichtannahmebeschluss vom 29. Mai 2017, 1 BvR 756/14)“. In ihrer Funktion als Abwehrrechte werden menschenrechtliche Ansprüche des einzelnen gegen den Staat kaum durchdringen: Denn nicht der Staat greift in die menschenrechtlich geschützte Sphäre des einzelnen ein, sondern diese wird erst durch das vielfältige Handeln Dritter, die selbst nicht grundrechtsverpflichtet sind, beeinträchtigt (z.B. kommt der Mietvertrag aufgrund einer ungünstigen Bonitätsbewertung nicht zustande etc.). Dem Staat obliegen insoweit menschenrechtliche Schutzpflichten (sog. „Drittwirkung der Grundrechte “). Dabei muss er sich grundsätzlich schützend vor die Rechte des Einzelnen stellen, aber dabei gleichzeitig die Grundrechte anderer, insb. die Vertragsfreiheit und die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit sowie die Sozial- und Wirtschaftsordnung im Auge behalten und die widerstreitenden Interessen und Grundrechtspositionen zu einem gerechten Ausgleich bringen. Dieser Ausgleich gelingt durch vielfältige gesetzliche Regelungen und staatliche Kontrollmechanismen (z.B. im Datenschutzrecht, im Kreditvergaberecht, im Mietrecht usw.). Mit Blick auf den grundrechtlichen Datenschutz des einzelnen gegenüber Wirtschaftsauskunfteien muss der Staat sicherstellen, dass Datenschutzbestimmungen eingehalten und durch unabhängige Gremien kontrolliert werden. Die Bundesregierung führt in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage insoweit aus: „Für die Bundesregierung ist nicht erkennbar, warum Schufa-Scores gegen Artikel 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verstoßen sollen. Nach Artikel 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte darf niemand willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, sein Heim oder seinen Briefwechsel noch Angriffen auf seine Ehre und seinen Ruf ausgesetzt werden. Danach hat jeder Mensch Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen derartige Eingriffe oder Anschläge. Für den Fall, dass an der Rechtmäßigkeit der einbezogenen Informationen Zweifel bestehen sollte und dies nicht mit der Auskunftei geklärt werden kann, besteht für Betroffene die Möglichkeit, sich an den zuständigen Landesdatenschutzbeauftragten zu wenden und die Angelegenheit überprüfen zu lassen“ (BT-Drs. 19/18641 vom 17. April 2020, Antwort auf Frage 30). Im Hinblick auf das in Art. 11 VN-Sozialpakt verankerte Recht auf Unterbringung ist der Staat völkerrechtlich (lediglich) verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur schrittweisen Realisierung dieses Rechts zu ergreifen. Welche Maßnahmen dies konkret sein sollen, schreibt der Sozialpakt nicht vor. Kurzinformation Vereinbarkeit von Bonitätsbewertungen durch Wirtschaftsauskunfteien mit den Menschenrechten Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Ein datenschutzrechtliches, mietrechtliches oder kreditrechtliches „Mikromanagement“ im Sinne konkreter Forderungen oder gesetzlich zu treffender Regelungen lassen sich aus dem VN- Sozialpakt nicht ableiten. Dieser belässt den Staaten vielmehr einen weiten Handlungsspielraum. Doch auch die Paktrechte entfalten eine Ausstrahlungswirkung auf das nationale Recht. So lässt sich – analog zur Grundrechtsdogmatik – argumentieren, dass „geeignete Schritte“ i.S.d. Art. 11 Abs. 1 VN-Sozialpaktes letztlich einen Ausgleich zwischen den Interessen von Mietern und Vermietern erfordern. Dienen also die Bonitätsbewertungen einer Wirtschaftsauskunftei vor allem den legitimen finanziellen Interessen von Vermietern, so muss der Staat im Gegenzug dafür Sorge tragen, dass solche Auskunfteien datenschutzrechtlich kontrolliert werden, dass Beschwerde- und Klagemöglichkeiten bestehen und dass keine Diskriminierung stattfindet. Mit Blick auf das Problem möglicher Diskriminierungen beim Recht auf Unterbringung hat der VN-Sonderberichterstatter in einem Bericht aus dem Jahre 20024 vor allem das Recht von Kindern hervorgehoben, durch den Status ihrer Eltern nicht in ihren Rechten auf Unterbringung diskriminiert zu werden. “Ensure in particular that no child will be subjected to discrimination with regard to his or her right to adequate housing on the grounds of his or her parents’ (…), property or other status.” (Rdnr. 46 lit. h) Dabei betont der VN-Sonderberichterstatter auch die Bedeutung des Zugangs zu Krediten. “In the context of adequate housing, it is essential that policies (…) be aimed at assisting States to develop strategies for social justice (…) including (…) well-targeted social spending on essential civic services such as access to credit.” (Rdnr. 35) *** 4 Report of the Special Rapporteur on adequate housing as a component of the right to an adequate standard of living, Mr. Miloon Kothari, E/CN.4/2002/59 vom 1. März 2002, https://www.refworld.org/docid/45377abf0.html.