© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 081/19 Internationale menschenrechtliche Standards bei Inhaftierung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 081/19 Seite 2 Internationale menschenrechtliche Standards bei Inhaftierung Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 081/19 Abschluss der Arbeit: 26. Juli 2019 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 081/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 4 2. Die Verhältnismäßigkeit von Haftstrafen aus menschenrechtlicher Sicht 4 3. Die Haftfähigkeit von psychisch kranken Häftlingen aus menschenrechtlicher Sicht 6 3.1. Die Vereinbarkeit der Haftbedingungen mit der Achtung der Menschenwürde 6 3.2. Das Recht auf angemessene Gesundheitsversorgung in der Haftanstalt 7 3.3. Die Unterbringung psychisch kranker Häftlinge und das Folterverbot 8 3.4. Besondere Anforderungen der Einzelhaft 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 081/19 Seite 4 1. Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist gemäß Art. 32 Abs. 1 Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)1 für die Auslegung und Anwendung der EMRK im Zusammenhang mit Individualbeschwerden (Art.34 EMRK) und Staatenbeschwerden (Art. 33 EMRK) zuständig. Soweit eine natürliche Person geltend macht, dass ein EMRK-Vertragsstaat2 (wie zum Beispiel das Vereinigte Königreich) sie durch die geplante Auslieferung an einen anderen Staat (wie zum Beispiel die Vereinigten Staaten) in ihren Konventionsrechten verletzt, fällt eine entsprechende Individualbeschwerde in den Zuständigkeitsbereich des EGMR. Bei Auslieferungen kann die Opfereigenschaft im Sinne des Art. 34 EMRK bereits im Vorfeld des Vollzugs der Auslieferungsmaßnahme gegeben sein.3 Die Zulässigkeit eines Individualbeschwerdeverfahrens vor dem EGMR hängt von weiteren rechtlichen Voraussetzungen ab.4 2. Die Verhältnismäßigkeit von Haftstrafen aus menschenrechtlicher Sicht Nach der Rechtsprechung des EGMR verstößt ein extremes Missverhältnis zwischen der Höhe des Strafmaßes und der Schwere der vorgeworfenen Straftat möglicherweise gegen Art. 3 EMRK, der sowohl Folter als auch andere Formen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verbietet .5 Der EGMR stellt hohe Anforderungen an das erforderliche Ausmaß des Missverhältnisses , wenn eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu bejahen sein soll. Demnach soll nur in „sehr außergewöhnlichen “ Fällen, in denen eine „evidente Unverhältnismäßigkeit“ („gross disproportionality “) anzunehmen ist, eine Verletzung von Art. 3 EMRK vorliegen6. So sah der EGMR z.B. bei einer Verurteilung zu einem Freiheitsentzug von fünf Jahren und sechs Monaten wegen Zuwiderhandlung gegen eine Bewährungsauflage (Einhaltung der Sperrstunde) zwar eine gewisse Unverhältnismäßigkeit , konnte darin jedoch keine Verletzung des Art. 3 EMRK erkennen7. Den EMRK- 1 BMJV, Deutsche Übersetzung der EMRK unter Berücksichtigung des Protokolls Nr. 141, Stand: 1. Juni 2010, https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF/Themenseiten/EuropaUndInternationaleZusammenarbeit /EuropaeischeKonventionMenschenrechte.pdf?__blob=publicationFile&v=1. 2 Europarat, Unterschriften und Ratifikationsstand der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten “, Stand 19. Juli 2019, https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/005/signatures ?p_auth=3G6MvZMT. 3 Karpenstein/Mayer/Schäfer, 2. Aufl. 2015, EMRK Art. 34 Rn. 71. 4 Siehe im Einzelnen EGMR, https://www.echr.coe.int/Documents/COURtalks_Inad_Talk_DEU.PDF. 5 EGMR, Gatt v. Malta, Urteil vom 27. Juli 2010, Nr. 28221/08, Rn. 29; EGMR, Soering ./. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 7. Juli 1989, Nr. 14038/88, Rn. 104; EGMR, Gengoux v. Belgien, Urteil vom 17. Januar 2017, Nr. 76512/11, Rn. 49. HK-EMRK/Jens Meyer-Ladewig/Matthias Lehnert, 4. Aufl. 2017, EMRK Art. 3 Rn. 58; Karpenstein /Mayer/Sinner, 2. Aufl. 2015, EMRK Art. 3 Rn. 10; Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG Konkordanzkommentar , Kapitel 11, Rn. 70; van der Berg, Folter, unmenschliche und erniedrigende Behandlung in der Rechtsprechung des EGMR und die strafprozessualen Konsequenzen, Baden Baden, 1. Aufl. 2019, S. 244. 6 EGMR, Willcox u. Hurford ./. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 8. Januar 2013, Nr. 43759/10 u. 43771/12, Rn. 74; EGMR, Harkins u. Ewards ./. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 17. Januar 2012, Nr. 9146/07 u. 3265/07, Rn. 133; EGMR, Babar Ahmad u. Others ./. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 10. April 2012, Nr. 24027/07, Rn. 237. 7 EGMR, Gatt, v. Malta Rn. 29. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 081/19 Seite 5 Vertragsstaaten steht somit nach der Rechtsprechung des EGMR im Bereich der Strafzumessung ein weiter Beurteilungsspielraum zu.8 Auch nach der Spruchpraxis des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen (VN- MRA)9 kann eine offensichtlich überzogene („manifestly excessive“) Haftstrafe grundsätzlich eine Verletzung der Rechte aus dem Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbp R)10 darstellen.11 Die Verurteilung zu einer solchen Strafe bewertet der VN-MRA als „willkürlich “ im Sinne des Art. 9 Abs.1 IPbpR12, insbesondere wenn sie im Zusammenhang mit dem Fehlen einer ordnungsgemäßen Begründung oder mit einem Mangel an Verfahrensgarantien steht. Art. 49 Abs. 3 der Charta der Grundrechte (GRC) der Europäischen Union (EU)13 regelt ausdrücklich , dass das Strafmaß nicht unverhältnismäßig zur Straftat sein darf. Dies wird in der wissenschaftlichen Literatur dahingehend ausgelegt, dass der GRC ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einerseits der Dauer der Haftstrafe und andererseits der Schwere der Tat verlange14. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Strafen insoweit konkretisiert, dass strafrechtliche Maßnahmen „nicht über den Rahmen des zur Erreichung der verfolgten Ziele unbedingt Erforderlichen hinausgehen“15 dürfen, sondern vielmehr „durch zwingende Erfordernisse der Strafverfolgung und der Vorbeugung unter Berücksichtigung der Schwere des Verstoßes notwendig geworden“16 sein müssen. Im Einzelfall 8 Vgl. Dyer, (Grossly) Disproportionate sentences: Can charters of rights make a difference?, Monash University Law Review 195 (2017), S. 221 f. 9 Der VN-MRA überwacht als Expertengremium die Umsetzung des IPbpR, siehe im Einzelnen https://www.ohchr .org/EN/HRBodies/CCPR/Pages/CCPRIndex.aspx. 10 International Covenant on Civil and Political Rights, Adopted and opened for signature, ratification and accession by General Assembly resolution 2200A (XXI) of 16 December 1966, Entry into force 23 March 1976, in accordance with Article 49, https://www.ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages/CCPR.aspx. Deutsche Übersetzung : BGBl. 1973 II 1553, https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien /Pakte_Konventionen/ICCPR/iccpr_de.pdf. 11 VN-MRA, Dean ./. Neuseeland, Stellungnahme vom 17. März 2009, UN Doc. CCPR/C/95/D/1512/2006, Rn. 7.3; Joseph/Castan, 3. Aufl. 2013, ICCPR, Rn. 11.40, 11.43. 12 VN-MRA, A. ./. Australien, Stellungnahme vom 03. April 1997, UN Doc. CCPR/C/59/D/560/1993, Rn. 9.2; VN-MRA, Allgemeine Bemerkungen Nr. 35, Art. 9, 16. Dezember 2014, UN Doc. CCPR/C/GC/35, Rn. 12. 13 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Der Europäischen Gemeinschaften C 364/01 vom 18. Dezember 2000, https://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf. 14 Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV/Schröder, 1. Aufl. 2017, GRC Art. 49 Rn. 20; Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Charta Art. 49 Rn. 38. 15 EuGH, Louloudakis, Urteil vom 12. Juli 2001, C-262/99, Rn. 67; vgl. a. EuGH, Kommission ./. Griechenland, Urteil vom 16. Dezember 1992, C-210/91, Rn. 20; EuGH, Urbán, Urteil vom 9. Februar 2012, C-210/10, Rn.24. 16 EuGH, Louloudakis, Rn. 78. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 081/19 Seite 6 kann ein Strafmaß auch unverhältnismäßig im Sinne des Art. 49 Abs. 3 GRC sein, wenn das Gericht „die Besonderheit der Situation“ 17 des Betroffenen außer Acht gelassen hat. Im Ergebnis lässt sich aus Sicht der einschlägigen Menschenrechtsinstrumente und -verfahren zusammenfassen: Soweit das Gericht bei der Strafzumessung die Schwere der Tat, die Schuld des Angeklagten, den entstandenen Schaden und schließlich auch alle beachtlichen mildernden Umstände berücksichtigt, wird eine Haftstrafe innerhalb des gesetzlich zulässigen Strafrahmens nicht als unverhältnismäßig anzusehen sein. 3. Die Haftfähigkeit von psychisch kranken Häftlingen aus menschenrechtlicher Sicht Die tatsächliche Haftfähigkeit eines Häftlings ist eine Sachverhaltsfeststellung, die die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags mangels Ermittlungsbefugnissen und medizinischen Untersuchungsmöglichkeiten nicht im Einzelfall beurteilen können. In rechtlicher Hinsicht hängt die Vereinbarkeit der Unterbringung eines psychisch kranken Gefangenen von der Einhaltung bestimmter , nachfolgend skizzierter menschenrechtlicher Standards ab. 3.1. Die Vereinbarkeit der Haftbedingungen mit der Achtung der Menschenwürde Vertragsstaaten der EMRK und des IPbpR sind verpflichtet, Haftbedingungen zu schaffen, welche die Menschenwürde der Häftlinge achten. So müssen nach ständiger Rechtsprechung des EGMR die EMRK-Vertragsstaaten sicherstellen, dass ein Gefangener unter Bedingungen festgehalten wird, die mit der Achtung seiner Menschenwürde vereinbar sind.18 Dabei sind die Bedingungen in den Haftanstalten so auszugestalten, dass die der Haft naturgemäß innewohnenden Nachteile nicht überschritten werden, d.h. dass das Leiden nicht über das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß hinausgeht.19 Art. 10 Abs. 1 IPbpR verlangt, dass jeder, dessen Freiheit entzogen ist, menschlich und mit Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde behandelt wird. Art. 10 Abs. 3 IPbpR legt fest, dass der Strafvollzug eine Behandlung der Gefangenen erfordert, die in erster Linie auf ihre Besserung und gesellschaftliche Wiedereingliederung abzielt. Von den gleichen Grundgedanken ließ sich auch die VN-Generalversammlung bei der Verabschiedung der „Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung der Gefangenen“ (VN-Mindestgrundsätze) leiten.20 Als Resolution der VN-Generalversammlung sind die VN-Mindestgrundsätze allerdings nicht rechtlich verbindlich. 17 EuG, Voestalpine, Urteil des Gerichts vom 15. Juli 2015, T-418/10, Rn. 442, vgl. auch Rn.427. 18 Vgl. EGMR, Kudla ./. Polen, Urteil vom 26. Oktober 2000, Nr. 30210/96, Rn. 94; EGMR, Kalashnikov ./. Russland , Urteil vom 15. Juli 2002, Nr. 47095/99, Rn. 95; EGMR, Onoufriou ./. Zypern, Urteil vom 07. Januar  2010, Nr. 24407/04, Rn. 68; EGMR, Mozer ./. Republik Moldau, Urteil vom 23. Februar 2016, Nr. 11138/10, Rn. 178. 19 Vgl. EGMR, Kudla, Rn. 94; EGMR, Kalashnikov, Rn. 95; EGMR, Onoufriou, Rn. 68; EGMR, Mozer, Rn. 178. 20 VN-Generalversammlung, Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung der Gefangenen (Nelson -Mandela-Regeln), 17. Dezember 2015, UN Doc. A/RES/70/175, Präambel und Regel 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 081/19 Seite 7 3.2. Das Recht auf angemessene Gesundheitsversorgung in der Haftanstalt Aus der EMRK und dem Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR)21 ergeben sich verbindliche Leistungspflichten des Staates zur Gewährleistung einer angemessenen medizinischen Versorgung von Häftlingen. Dies bestätigen die ständige Rechtsprechung des EGMR22 sowie die allgemeinen Bemerkungen des VN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.23 Staatliche Schutzpflichten gegenüber psychisch erkrankten Gefangenen können aufgrund deren besonderer Verletzbarkeit erhöht sein.24 Bei psychischen Erkrankungen der Häftlinge können Hafteinrichtungen verpflichtet sein, angemessene Behandlungsangebote zur Verfügung zu stellen.25. Detaillierte Anforderungen an die Gesundheitsdienste werden in den rechtlich nicht-bindenden VN-Mindestgrundsätzen aufgeführt.26 Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe27 (Europäisches Antifolter-Komitee) rät zu umfassender Gesundheitsversorgung in Haftanstalten und nimmt dabei die Ausstattung mit psychiatrisch qualifiziertem Personal besonders in den Blick.28 Das Qualitätsniveau der medizinischen Versorgung in den Haftanstalten soll dabei demjenigen entsprechen, das in der Gesamtgesellschaft verfügbar ist.29 Dies wird zum Teil als den Grundrechten innewohnenden „allgemeiner Grundsatz“ bezeichnet.30 21 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966, Bundesgesetzblatt (BGBl) 1976 II, 428, https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien /Pakte_Konventionen/ICESCR/icescr_de.pdf. 22 EGMR, Kudla, Rn. 94; EGMR, Kalashnikov, Rn. 95; EGMR, Onoufriou, Rn. 68; EGMR, Mozer, Rn. 178. 23 WSK-Ausschuss, Allgemeine Bemerkungen Nr. 14, Art. 12, 11.08.2000, UN Doc. E/C.12/2000/4, für den Zugang von Gefangenen siehe Rn. 34; für den allgemeinen Anspruch auf ein Gesundheitsschutzsystem siehe Rn. 8. 24 EGMR, Rivière ./. Frankreich, Urteil vom 11. Juli 2006, Nr. 338304/03, Rn. 63, 25. 25 Vgl. WSK-Ausschuss, Abschließende Bemerkungen zu Australien vom 12.06.2009, UN Doc. E/C.12/AUS/CO/4, Rn.29 f. 26 VN-Mindestgrundsätze, Regel 24 ff; für Fachkräfte auf dem Gebiet der Psychologie und Psychiatrie insb. Regel 25, Abs.2. 27 Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe wurde 1987 auf der Grundlage von Art. 1 des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe geschaffen, welches alle 47 Mitgliedstaaten des Europarats ratifiziert haben, Ratifikationsstand des Vertrags 126, 22. Juli 2019, https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/126/signatures?p_auth=MAkrjskq . 28 Europäisches Antifolter-Komitee, Auszug aus dem 3. Jahresbericht 1993, Gesundheitsfürsorge in Gefängnissen, CPT/Inf(93)12-part, bezüglich Zugang zu Gesundheitsversorgung siehe Rn. 34, 38, hinsichtlich psychiatrischer Betreuung siehe Rn. 41 ff. 29 VN-Mindestgrundsätze, Regel 24 Abs.1 Satz 2; Europäisches Antifolter-Komitee, s. Fn. 28, Rn. 31, 38; VN-Generalversammlung , Basisprinzipien für die Behandlung von Gefangenen (Basic Principles for the Treatment of Prisoners ), 14. Dezember 1990, Annex zu Resolution 45/111, UN Doc. A/RES/43/173, Prinzip 9. 30 Europäisches Antifolter-Komitee, s. Fn. 28, Rn. 31. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 081/19 Seite 8 Zusammenfassend ist festzustellen, dass die menschenrechtlichen Standards zur Unterbringung in Haftanstalten es notwendig machen, Häftlingen bei Bedarf medizinische, einschließlich psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten anzubieten. Soweit ein psychisch kranker Häftling bei Haftantritt eingehend auf körperliche und psychische Erkrankungen untersucht wird, er bei Bedarf medizinische Behandlung erhält und diese dem gesellschaftlichen Qualitätsniveau entspricht , kann medizinische Versorgung in der Haft menschenrechtlichen Standards genügen. Aus der Krankheit erwächst somit nicht automatisch ein menschenrechtlicher Anspruch auf Haftverschonung. 3.3. Die Unterbringung psychisch kranker Häftlinge und das Folterverbot Nach Auffassung des Europäischen Antifolter-Komitees kann ein inadäquates Niveau der Gesundheitsfürsorge zu Situationen führen, die in den Bereich unmenschlicher und erniedrigender Behandlung fallen31. Entsprechende Haftbedingungen können jedoch allenfalls dann als unmenschliche und erniedrigende Behandlung zu qualifizieren sein, wenn der Mangel an medizinischer einschließlich psychiatrischer Versorgung ein Mindestmaß an Schwere erreicht. Das Ausmaß der Beeinträchtigung infolge medizinischer Versorgungslücken hängt nicht zuletzt vom Gesundheitszustand des jeweiligen Betroffenen ab.32 Während das Fehlen angemessener medizinischer und psychologischer Behandlungsangebote also grundsätzlich gegen Art. 3 EMRK verstoßen kann, so ist doch aus der EMRK keine „grundsätzliche Verpflichtung zur Entlassung eines Gefangenen aus Gesundheitsgründen“ ableitbar.33 Der EGMR hatte bisher nicht die Gelegenheit sich dazu zu äußern, ob die Unterbringung in einem Hochsicherheitsgefängnis bei psychisch Erkrankten per se eine Verletzung des Art. 3 EMRK mit sich zieht. Zumindest bei der Unterbringung in Einzelhaft ist es nach Ansicht des EGMR jedoch erforderlich, den physischen und psychischen Zustand des Gefangenen regelmäßig zu überprüfen , um sicherzustellen, dass die Haft nach wie vor angemessen ist.34 Für den Fall eines chronisch depressiven Strafgefangenen hat der EGMR anerkannt, dass die Haft seine „Gefühle des Leidens (…) in einem gewissen Grade verstärkt haben mag“.35 Gleichwohl ist das Gericht der Auffassung, dass die Haftunterbringung nicht das erforderliche Mindestmaß erreiche , um als Verstoß gegen Art. 3 EMRK bewertet werden zu können.36 Die Regelungen für psychisch erkrankte Häftlinge auf regionaler und globaler Ebene des Völkerrechts verdeutlichen, dass eine psychische Erkrankung nicht per se zur Haftunfähigkeit führt und 31 Europäisches Antifolter-Komitee, s. Fn. 28, Rn. 30. 32 Vgl. EGMR, Assenov ./. Bulgarien, Urteil vom 28. Oktober 1998, Nr. 24760/94, Rn. 94; EGMR, Priebke ./. Italien, Urteil vom 5. April 2001, Nr. 48799/99. 33 Vgl. EGMR, Kalashnikov, Rn. 95; EGMR, Kudla, Rn. 93. 34 EGMR, Onoufriou s. Fn. 18, Rn. 70; EGMR, Ramirez Sanchez ./. Frankreich, Urteil vom 04. Juli 2006, Nr. 59450/00, Rn. 139; EGMR, Khider ./. Frankreich, Urteil vom 9. Juli 2009, Nr. 39364/05, Rn. 104. 35 EGMR, Kudla, s. Fn. 18, Rn. 99. 36 A.a.O. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 081/19 Seite 9 eine Haftunterbringung nicht generell gegen das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung verstößt. Vielmehr kann auch die Inhaftierung eines psychisch kranken Häftlings den Anforderungen von Art. 3 EMRK und Art. 7 IPbpR entsprechen, soweit die Haftbedingungen seine besondere Schutzbedürftigkeit berücksichtigen. 3.4. Besondere Anforderungen der Einzelhaft Während die Isolierung eines Häftlings nicht zwangsläufig als eine unmenschliche Behandlung zu bewerten ist,37 so darf sie doch aufgrund der Eingriffsintensität nur in Ausnahmefällen angewandt werden.38 Wird Isolationshaft verhängt, so muss der physische und psychische Zustand des Häftlings fortwährend kontrolliert werden39. Besonders besorgt zeigen sich der VN-Sonderberichterstatter über Folter40 und der VN-Ausschuss gegen Folter41 über die Auswirkungen der Einzelhaft auf die psychische Gesundheit42. Dauert die Einzelhaft über einen längeren Zeitraum an, kann sie gegen das Folterverbot aus Art. 7 IPbpR43, aus Art. 16 Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe und aus Art. 3 EMRK44 verstoßen. Nach den VN-Mindestgrundsätzen soll bei Gefangenen mit psychischen Behinderungen die Verhängung von Einzelhaft generell verboten sein, wenn ihr Zustand sich dadurch verschlimmern würde.45 Teile der Literatur leiten aus dem Folterverbot ab, dass Einzelhaft grundsätzlich abgebrochen werden muss, wenn die Isolation schwerwiegende negative Auswirkungen auf den Häftling hat.46 *** 37 EGMR, Khider, s. Rn. 34, Rn. 103. 38 EGMR, Khider, s. Rn. 34, Rn. 104; VN-Ausschuss gegen Folter, Abschließende Bemerkungen zu Frankreich vom 24. November 2005, UN Doc. CAT/C/FRA/CO/3, Rn. 19; VN-Mindestgrundsätze, s. Fn. 20, Regel 45; Zwischenbericht des VN-Sonderberichterstatters über Folter an die VN Generalversammlung, 28. Juli 2008, UN Doc. A/63/175, Rn.83. 39 Vgl. EGMR, Onoufriou s. Fn. 18, Rn. 70; EGMR, Ramirez Sanchez, s. Fn. 34, Rn. 139; EGMR, Khider, s. Rn. 34, Rn. 104. 40 Zwischenbericht des VN-Sonderberichterstatters über Folter an die VN-Generalversammlung, 05. August 2011, UN Doc. A/66/268, Rn.62 ff. 41 Der VN-Ausschuss gegen Folter der VN überwacht als Expertengremium die Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, siehe im Einzelnen https://www.ohchr.org/en/hrbodies/cat/pages/catindex.aspx. 42 Nowak/McArthur, UN Convention against Torture Commentary, 1. Aufl. 2008, Art. 16 Rn. 22. 43 VN-MRA, Allgemeine Bemerkungen Nr. 20, Rn. 6. 44 EGMR, Ramirez Sanchez, s. Fn. 34, Rn. 123; van der Berg, s. Fn. 5, S. 222. 45 VN-Mindestgrundsätze, Regel 45 Abs. 2. 46 Van der Berg, s. Fn. 5, S. 224.