WD 2 - 3000 - 080/20 (28. August 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Rüstungsexportgenehmigungen können gem. Art. 7 Abs. 1 KWKG1 jederzeit widerrufen werden.2 Gem. § 7 Abs. 2 KWKG ist eine Genehmigung zu widerrufen (Ermessensreduzierung auf Null), „wenn einer der in § 6 Abs. 3 KWKG genannten Versagungsgründe nachträglich offenbar geworden oder eingetreten ist“. Nach § 6 Abs. 3 KWKG ist eine Genehmigung zu versagen, wenn … 1. die Gefahr besteht, dass die Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden, 2. Grund zu der Annahme besteht, dass die Erteilung der Genehmigung völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde 3. (…). Der Widerruf von Rüstungsexportgenehmigungen3 fällt gem. § 7 Abs. 1 KWKG also in das Ermessen der Genehmigungsbehörde (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, BAfA). Freilich darf eine Genehmigung nicht willkürlich (z.B. aufgrund sachwidriger Erwägungen) widerrufen werden, sondern sie muss nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgen.4 Ein sachgerechter Grund wäre z.B. die nachhaltige Veränderung der politischen Verhältnisse im Ausfuhrland.5 1 Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. November 1990 (BGBl. I S. 2506), das zuletzt durch Artikel 36 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist, https://www.gesetze-im-internet.de/krwaffkontrg/KrWaffKontrG.pdf. 2 Da eine gesetzliche Regelung des Widerrufsregimes bei Rüstungsexporten besteht, bedarf es der rechtlichen Konstruktion eines „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ nicht. 3 „Widerruf“ bedeutet Aufhebung eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes. 4 Klaus Pottmeyer, Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG). Kommentar, Köln: Heymanns u.a., 2. Aufl. 1994, § 7 Rdnr. 5. Dabei ist auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. 5 Ebda., § 7 Rdnr. 6. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Zum Widerruf von deutschen Rüstungsexporten in die Türkei vor dem Hintergrund einer möglichen Eskalation der Lage im Mittelmeer Kurzinformation Zum Widerruf von deutschen Rüstungsexporten in die Türkei vor dem Hintergrund einer möglichen Eskalation der Lage im Mittelmeer Fachbereich WD 2: (Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Gründe, die den Widerruf einer bereits erteilten Genehmigung rechtlich zwingend erforderlich machen (§ 7 Abs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 3 KWKG, insbesondere die konkrete Gefahr friedensstörender Handlungen), sind nicht ersichtlich: Die aktuelle Lage im östlichen Mittelmeer, insb. die Präsenz türkischer, griechischer und französischer Kriegsschiffe birgt zweifelsohne Eskalationspotential, beschränkt sich aber derzeit auf ein sog. „show of force“, welches die rechtliche Schwelle zu § 6 Abs. 3 Nr. 1 KWKG (erforderlich ist hierbei die konkrete Gefahr einer friedensstörenden Handlung seitens der Türkei, z.B. ein „Angriffskrieg“6) indes noch nicht erreicht. Politische Gründe dafür, dass die Bundesregierung an der bereits erteilten Genehmigung von Rüstungsexporten in die Türkei festhalten könnte,7 erscheinen vielfältig (z.B. NATO-Partner, EU/Türkei-Flüchtlingsdeal, Versuch der De-Eskalation im Mittelmeer, Verpflichtung zur Entschädigung von Rüstungsunternehmen nach § 9 KWKG etc.). Eine eingehende Analyse der rechtlichen Bestimmungen zum Widerrufsregime bei Rüstungsexporten einschließlich der Entschädigungsfrage findet sich in den Gutachten: WD 2 - 3000 - 044/19 vom 30. April 2019, „Zum Widerruf von Rüstungsexportgenehmigungen bei Änderung der sicherheitspolitischen Lage im Empfängerland“8 WD 2 – 3000 – 009/16 vom 26. Januar 2016, „Entschädigung beim Widerruf von Rüstungsexportgenehmigungen “9 *** 6 Ebda., § 6 Rdnr. 72. 7 Über die politische Einschätzung der Lage durch die Bundesregierung können die Wiss. Dienste keine Aussage machen. 8 https://www.bundestag.de/resource/blob/650674/a793c8dd6520c4454a30e3eb05d7e7ec/WD-2-044-19-pdfdata .pdf. 9 https://www.bundestag.de/resource/blob/412798/1889bd849d3b02af915fb9b098b66621/WD-2-009-16-pdfdata .pdf.