© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 080/16 Zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Durchführungsprotokolle zur Alpenkonvention Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 080/16 Seite 2 Zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Durchführungsprotokolle zur Alpenkonvention Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 080/16 Abschluss der Arbeit: 4. Juli 2016 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 080/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Grundsätze der unmittelbaren Anwendbarkeit völkervertragsrechtlicher Bestimmungen 5 3. Anwendung dieser Grundsätze auf die Durchführungsprotokolle zur Alpenkonvention 8 4. Auslegungskriterien 9 4.1. Wortlaut 9 4.2. Systematik 10 4.3. Ziel und Zweck 11 5. Schlussbetrachtung 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 080/16 Seite 4 1. Einführung Das Übereinkommen vom 7. November 1991 zum Schutz der Alpen (kurz: Alpenkonvention)1 ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den Alpenländern Deutschland, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Monaco, Österreich, Schweiz und Slowenien sowie der EU, das zum einen den Schutz der Alpen, zum anderen eine nachhaltige Entwicklung im Alpenraum zum Ziel hat. Das Übereinkommen umfasst unter anderem eine Rahmenkonvention und (derzeit acht) Durchführungsprotokolle (kurz: DP). Die DP sehen – nach Themenbereichen gesondert – spezifische Maßnahmen zur Umsetzung der in der Rahmenkonvention festgelegten Grundsätze vor. Als völkervertragsrechtliche Bestimmungen sind die DP durch ihre innerstaatliche Ratifikation Bestandteil der nationalen Rechtsordnung geworden und damit für innerstaatliche Verwaltungsbehörden und Gerichte verbindlich.2 Sie können beispielsweise im Rahmen der völkerrechtskonformen Auslegung innerstaatlicher Vorschriften, als ermessenslenkender Gesichtspunkt oder in Form eines beachtenswerten Interesses bei Abwägungsprozessen Berücksichtigung finden. Von der innerstaatlichen Verbindlichkeit der DP zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit sie unmittelbar anwendbar, d.h. ohne vorherigen „Umsetzungsakt“3 innerstaatlicher Normgeber von den innerstaatlichen Behörden und Gerichten anzuwenden sind. Zu beachten ist dabei, dass das innerstaatliche Recht neben Vorschriften, die umsetzungsbedürftige Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge „umsetzen“ sollen, auch solche Vorschriften umfasst , die den gleichen Regelungsgehalt haben wie unmittelbar anwendbare völkervertragsrechtliche Bestimmungen. Im ersten Fall tritt die Regelungswirkung der völkervertragsrechtlichen Bestimmungen nur auf Grund der „Umsetzungsvorschriften“ ein. Im zweiten Fall tritt die Regelungswirkung unabhängig von innerstaatlichen Bestimmungen ein; allerdings erübrigt sich die unmittelbare Anwendung, soweit die innerstaatlichen Bestimmungen deckungsgleiche Regelungen enthalten . Das Herzstück der Alpenkonvention, die Rahmenkonvention, stellt nach einhelliger Auffassung kein unmittelbar anwendbares Recht dar.4 Der vorliegende Sachstand befasst sich daher nur mit der Frage, inwieweit die DP unmittelbar anwendbar sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die 1 BGBl. 1194 II S. 2539. 2 Siehe Heintschel von Heinegg in: Epping/Hillgruber, Beck´scher Online-Kommentar Grundgesetz, 28. Edition, Stand: 01. März 2015, Art. 25 Rn. 17. 3 Nach der in der bayerischen Justiz herrschenden Auffassung sind die Bestimmungen der DP zur Alpenkonvention grundsätzlich durch die existierenden Vorschriften des Bundes- bzw. des Freistaates Bayern umgesetzt, siehe Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 13. September 2012 – Vf. 16-VII-11 –, juris Rn. 89; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 16. März 2010 – 15 N 04.1980 –, juris Rn. 77. 4 Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 13. September 2012 – Vf. 16-VII-11 –, juris Rn. 85; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 16. März 2010 – 15 N 04.1980 –, juris Rn. 77; Fischer-Hüftle in: Engelhardt /Brenner/Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt, 36. Auflage 2014, Art. 2 BayNatSchG Rn. 6; Norer, Die Alpenkonvention aus rechtlicher Sicht Ein Beitrag zum Jahr der Berge 2002, AgrarR 2002, 205, 206; Schroeder, Die Alpenkonvention - Inhalt und Konsequenzen für das nationale Umweltrecht, NuR 2006, 133, 137; Söhnlein, 20 Jahre Alpenkonvention - Bilanz und Perspektiven aus juristischer Sicht, BayVBl 2013, 105. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 080/16 Seite 5 Beurteilung, ob eine völkervertragsrechtliche Bestimmung unmittelbare Anwendung zu finden hat, regelmäßig eine ausführliche Analyse – unter anderem des Wortlauts, der systematischen Stellung, der erkennbaren Zielsetzung und der Entstehungsgeschichte der betreffenden Bestimmung – erfordert.5 Hinzu kommt, dass die Beurteilung nicht selten kontrovers ausfällt. So spricht etwa das höchste französische Zivilgericht sämtlichen Bestimmungen des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes6 die direkte Anwendbarkeit ab, wohingegen das höchste französische Verwaltungsgericht von der unmittelbaren Anwendbarkeit zumindest einiger dieser Bestimmungen ausgeht.7 Und während der Bayerische Verfassungsgerichtshof die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 11 Abs. 1 S. 2 des DP Naturschutz und Landschaftspflege ablehnt ,8 wird sie von Teilen der Literatur bejaht.9 Daher können die Bestimmungen der DP im Rahmen des vorliegenden Sachstandes nicht vollumfänglich auf ihre unmittelbare Anwendbarkeit untersucht werden. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich vielmehr darauf, darzulegen , welchen Grundsätzen die Beurteilung der unmittelbaren Anwendbarkeit völkervertragsrechtlicher Bestimmungen in Frankreich, Österreich und Deutschland folgt (2.), wie diese Grundsätze im Bereich der DP zur Alpenkonvention allgemein angewendet werden (3.) und welche Indizien bei der Beurteilung der unmittelbaren Anwendbarkeit der DP fruchtbar gemacht werden können (4.). 2. Grundsätze der unmittelbaren Anwendbarkeit völkervertragsrechtlicher Bestimmungen Nach der in Österreich herrschenden Ansicht ist dann von der unmittelbaren Anwendbarkeit einer völkervertragsrechtlichen Bestimmung auszugehen, „wenn sie sich an die Rechtsunterworfenen oder an die Vollzugsorgane des Staates richtet, […] also unmittelbare Grundlage für einen (generellen oder individuellen) Verwaltungsakt oder ein Urteil sein kann“.10 Umgekehrt „mangelt es an der unmittelbaren Anwendbarkeit, wenn [die Vertragsbestimmung] objektiv oder aus […] 5 Veranschaulicht wird dies z.B. in den Analysen zu Art. 7 Abs. 1 und 3 DP Energie, Art. 11 Abs. 1 und 2 DP Verkehr und Art. 11 Abs. 1 DP Naturschutz und Landschaftspflege bei Söhnlein, 20 Jahre Alpenkonvention - Bilanz und Perspektiven aus juristischer Sicht, BayVBl 2013, 105, 107 ff. 6 BGBl. 1992 II S. 122. 7 Daillier / Pellet, Droit international public, 7. Auflage 2002, Paris: L.G.D.J., Rn. 149 m.N. 8 Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 13. September 2012 – Vf. 16-VII-11 –, juris Rn. 89. 9 Söhnlein, 20 Jahre Alpenkonvention - Bilanz und Perspektiven aus juristischer Sicht, BayVBl 2013, 105, 109. 10 Österreichischer Verfassungsgerichtshof, Erkenntnis vom 30.11.1990 – V 78/90 –, Rn. II. B 2. b), VfSlg. 12558/1990, online abrufbar unter https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente /Vfgh/JFT_10098870_90V00078_00/JFT_10098870_90V00078_00.pdf (letzter Abruf am 1. Juni 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 080/16 Seite 6 subjektiven Gründen ungeeignet ist, unmittelbare Grundlage für einen Verwaltungsakt oder ein Urteil zu sein“.11 Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang Art. 50 Abs. 2 des österreichischen Bundesverfassungsgesetzes (kurz: B-VG) zu. Nach dieser Vorschrift kann der Nationalrat anlässlich der Genehmigung bestimmter Arten völkerrechtlicher Verträge beschließen, in welchem Umfang diese durch Erlass von Gesetzen zu erfüllen sind (Erfüllungsvorbehalt). Ein entsprechender Beschluss ist im Bundesgesetzblatt bekanntzugeben. Die Bestimmungen des betreffenden völkerrechtlichen Vertrages erlangen dann nur auf Grund innerstaatlicher Erfüllungsnormen Wirkung in Österreich . Oftmals wird allerdings davon abgesehen, gesonderte Erfüllungsnormen zu erlassen, weil das innerstaatliche Recht bereits Bestimmungen mit entsprechendem Regelungsgehalt aufweist. Nach der Rechtsprechung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs ergibt sich aus dieser verfassungsrechtlichen Situation Folgendes:12 Wird ein Erfüllungsvorbehalt beschlossen, ist der betreffende völkerrechtliche Vertrag „von vornherein nicht unmittelbar anwendbar“, da er „ohne Hinzutreten eines (schon vorhandenen oder noch zu erlassenen) Gesetzes nicht unmittelbare Grundlage für einen Verwaltungsakt oder ein Urteil bilden“ kann. Wird demgegenüber kein Erfüllungsvorbehalt eingelegt, kann dies „als Ausdruck der Auffassung gewertet werden, dass der betreffende [Vertrag] zu seiner Anwendbarkeit keines weiteren Aktes der staatlichen Gesetzgebung bedarf, sei es, weil der Vertrag bzw. einzelne seiner Bestimmungen die objektive Eignung zur innerstaatlichen Anwendung aufweisen und daher zur Schaffung einer Grundlage für individuelle Akte der Vollziehung kein Gesetz erforderlich ist, sei es, weil [solche Gesetze] bereits in Geltung sind“. Ein fehlender Erfüllungsvorbehalt nährt dabei zunächst eine „Vermutung für die unmittelbare Anwendbarkeit“. Allerdings kann sich aus Inhalt und Zweck des Vertrags ergeben, dass dieser nicht unmittelbar anwendbar ist, etwa dann, wenn dies im Vertrag ausdrücklich so angeordnet oder der Wille der Vertragsparteien darauf gerichtet ist, ein nicht der unmittelbaren Vollziehung zugängliches Vertragswerk zu schaffen (subjektive Gründe). Gleiches gilt, wenn unter Heranziehung der übrigen Rechtsordnung das zur Vollziehung zuständige Organ nicht bestimmt werden kann oder wenn es gänzlich an einer inhaltlichen Bestimmung des Vollzugshandelns mangelt (objektive Ungeeignetheit). Letzteres ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots (Art. 18 Abs. 1 B-VG). 11 Österreichischer Verfassungsgerichtshof, Erkenntnis vom 30.11.1990 – V 78/90 –, Rn. II. B 2. b), VfSlg. 12558/1990, online abrufbar unter https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente /Vfgh/JFT_10098870_90V00078_00/JFT_10098870_90V00078_00.pdf (letzter Abruf am 1. Juni 2016). Siehe dazu auch Blecha, Die Umsetzung und Anwendung der Alpenkonvention unter besonderer Berücksichtigung touristischer Infrastruktur, Dissertation, Wien 2009, S. 27 m.w.N., online abrufbar unter http://othes.univie .ac.at/8267/ (letzter Abruf am 1. Juni 2016). 12 Grundlegend: Österreichischer Verfassungsgerichtshof, Erkenntnis vom 30.11.1990 – V 78/90 –, Rn. II. B 2. c), VfSlg. 12558/1990, online abrufbar unter https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente /Vfgh/JFT_10098870_90V00078_00/JFT_10098870_90V00078_00.pdf (letzter Abruf am 1. Juni 2016). Für weitere Nachweise siehe Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg.), Die Alpenkonvention: Handbuch für ihre Umsetzung, 1. Auflage 2007 S. 150, online abrufbar unter http://www.alpconv.org/en/publications/other/Documents/Alpenkonvention_Umsetzungshandbuch3.pdf (letzter Abruf am 1. Juni 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 080/16 Seite 7 Nach der in Frankreich herrschenden Auffassung ist eine völkervertragsrechtliche Bestimmung unmittelbar anwendbar, wenn sie hinreichend bestimmt ist und es zu ihrer Anwendung keiner zwischengeschalteten innerstaatlichen Maßnahme bedarf.13 Nach dem in Deutschland herrschenden Verständnis sind die Bestimmungen eines innerstaatlich ratifizierten völkerrechtlichen Vertrags unmittelbar anwendbar, soweit sie nach Wortlaut, Zweck und Inhalt geeignet und hinreichend bestimmt sind, wie eine innerstaatliche Vorschrift rechtliche Wirkung zu entfalten, also ohne weitere normative Ausfüllung ausgeführt werden können.14 Mangels einer mit Art. 50 Abs. 2 des österreichischen B-VG vergleichbaren Regelung im Grundgesetz hat der Bundesgesetzgeber nicht die Möglichkeit, der Beurteilung der unmittelbaren Anwendbarkeit durch Beschluss eines Erfüllungsvorbehalts eine verbindliche Richtung vorzugeben. Auch der bayerische Landesgesetzgeber hat mit Art. 2 S. 2 BayNatSchG keine grundsätzliche Richtungsentscheidung getroffen.15 13 Daillier / Pellet, Droit international public, 7. Auflage 2002, Paris: L.G.D.J., Rn. 149. 14 BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1991 – 1 C 42/88 –, BVerwGE 88, 254, juris Rn. 14), Landessozialgericht Baden- Württemberg, Urteil vom 18. Juli 2013 – L 7 SO 4642/12 –, juris Rn. 57 m.w.N. Vgl. auch Heintschel von Heinegg in: Epping/Hillgruber, Beck´scher Online-Kommentar Grundgesetz, 28. Edition, Stand: 1. März 2015, Art. 25 Rn. 17. 15 Siehe dazu Faßbender, Rechtsgutachten vom 11. März 2016 zur Vereinbarkeit der geplanten Verbindung der Skigebiete Grasgehren und Balderschwang am Riedberger Horn mit dem Bodenschutzprotokoll der Alpenkonvention und zu den rechtlichen Konsequenzen eines Verstoßes, S. 12. Danach bringt der bayerische Gesetzgeber mit der Vorschrift zum Ausdruck, dass sich die Vorschriften der Alpenkonvention und ihrer Protokolle nicht nur an die Legislative wenden, sondern von den bayerischen Verwaltungsbehörden zumindest dann im Verwaltungsvollzug zu beachten sind, wenn sie unmittelbar anwendbar sind. Das Gutachten ist online abrufbar unter http://bayernspd-landtag.de/workspace/media/static/gutachten-prof-fassbender-zum-56e68be256915.pdf (letzter Abruf: 22. Juni 2016). Missverständlich dagegen Söhnlein, 20 Jahre Alpenkonvention - Bilanz und Perspektiven aus juristischer Sicht, BayVBl 2013, 105, 106: Aus Art. 2 S. 2 BayNatSchG ergibt sich nicht, dass im Verwaltungsvollzug im Zweifel von der unmittelbaren Anwendbarkeit der DP auszugehen ist. Wenn die Vorschrift bestimmt , dass Bayern seinen Naturschutzverpflichtungen „auch durch den Vollzug (…) der Alpenkonvention“ nachkommt, so wird diesem Vollzug nur den Stellenwert einer von mehreren grundsätzlich in Betracht kommenden Möglichkeiten beigemessen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 080/16 Seite 8 3. Anwendung dieser Grundsätze auf die Durchführungsprotokolle zur Alpenkonvention Ausweislich eines im Auftrag des Auswärtigen Ausschusses der französischen Nationalversammlung erstellten Bericht geht man in Frankreich davon aus, dass die DP insgesamt nicht unmittelbar anwendbar sind.16 Nach dem in Österreich vertretenen Ansatz spricht eine widerlegliche Vermutung für die unmittelbare Anwendbarkeit sämtlicher Bestimmungen der DP, da diese den Nationalrat passiert haben , ohne dass ein Erfüllungsvorbehalt beschlossen wurde.17 Dementsprechend ist für jede Bestimmung gesondert zu prüfen, ob diese Vermutung durch objektive oder subjektive Umstände (s.o.) widerlegt wird. Der österreichische Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, dass jedenfalls in Bezug auf das DP Bodenschutz kein der unmittelbaren Anwendung entgegenstehender Wille der Vertragsschließenden erkennbar sei.18 In Bezug auf Deutschland wird in Literatur19 und Exekutive20 angenommen, dass Teile der DP unmittelbar angewendet werden können. Im Folgenden werden Kriterien erörtert, die nach der deutschen Sichtweise bei der Beurteilung der unmittelbaren Anwendbarkeit der DP fruchtbar gemacht werden können. 16 Bericht des Ausschussmitgliedes Destot mit dem Titel „Rapport sur le projet de loi autorisant l’approbation des protocoles d’application de la convention alpine du 7 novembre 1991“, Dokument Nr. 1634 der 12. Legislaturperiode , online abrufbar unter http://www.assemblee-nationale.fr/12/rapports/r1634.asp (letzter Abruf am 1. Juni 2016). Darin ist Folgendes ausgeführt (Hervorhebungen durch den Verfasser): „En vertu de la conception de la Convention alpine et de ses protocoles d’application, il incombe aux Etats signataires de réaliser les mesures et les objectifs fixés en recourant à des moyens appropriés. De ce fait, ni les dispositions de la Convention ni celles de ses neuf protocoles ne sont directement applicables. Au plan national, elles n’ont donc pas d’influence directe sur les droits et devoirs de chacun. Dans la mesure où le droit national ne satisfait pas aux exigences de la Convention, les Etats signataires sont tenus de procéder aux adaptations qui s’imposent .” 17 Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg.), Die Alpenkonvention: Handbuch für ihre Umsetzung, 1. Auflage 2007 S. 150, online abrufbar unter http://www.alpconv.org/en/publications /other/Documents/Alpenkonvention_Umsetzungshandbuch3.pdf (letzter Abruf am 1. Juni 2016). 18 Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg.), Die Alpenkonvention: Handbuch für ihre Umsetzung, 1. Auflage 2007 S. 14 Fn. 1, online abrufbar unter http://www.alpconv.org/en/publications/other/Documents/Alpenkonvention_Umsetzungshandbuch3.pdf (letzter Abruf am 1. Juni 2016). 19 So etwa Fischer-Hüftle in: Engelhardt/Brenner/Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt, 36. Auflage 2014, Art. 2 BayNatSchG Rn. 6; Schroeder, Die Alpenkonvention - Inhalt und Konsequenzen für das nationale Umweltrecht, NuR 2006, 133, 137. 20 Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz / Bundesministerium für Umwelt , Naturschutz und Reaktorsicherheit, Die Alpenkonvention Leitfaden für ihre Anwendung, S. 5, 8, 22 – 36, online abrufbar unter http://www.bmub.bund.de/fileadmin/bmu-import/files/pdfs/allgemein/application /pdf/alpenkonvention_leitfaden_2008.pdf (letzter Abruf am 16. Juni 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 080/16 Seite 9 4. Auslegungskriterien Wie bereits dargelegt (s.o. 1.), setzt die Beurteilung der unmittelbaren Anwendbarkeit einer konkreten Bestimmung der DP eine ausführliche Analyse voraus. Deren wichtigstes Element ist die Auslegung der betreffenden Bestimmung gemäß den in Artt. 31 - 33 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 196921 geregelten Auslegungsmethoden. Maßgebend sind danach in erster Linie der Wortlaut der Bestimmung, ihre systematischen Stellung und ihr Ziel und Zweck.22 4.1. Wortlaut Bei der Auswertung des Wortlauts kann beispielsweise auf folgende Anhaltspunkte zurückgegriffen werden: Gegen die unmittelbare Anwendbarkeit einer Bestimmung der DP spricht es in der Regel, wenn nach dieser explizit innerstaatliche Normen zu schaffen sind. Denn dies zeigt, dass es nach Auffassung der Vertragsparteien noch einer normativen Ausfüllung der Bestimmung bedarf. Beispielhaft sind Formulierungen, wonach die Vertragsstaaten in einem bestimmten Bereich „Bestimmungen zu erlassen“ haben (z.B. Art. 5 Abs. 3 DP Energie). Für die unmittelbare Anwendbarkeit einer Vertragsbestimmung dürfte es sprechen, wenn die Vertragsparteien ihr zufolge für einen präzise definierten Erfolg einzustehen haben, etwa - bestimmte Zustände „sicherzustellen“ (z.B. Art. 7 Abs. 1 DP Energie) zu „erhalten“ (z.B. Art. 7 Abs. 3 DP Energie) oder zu „gewährleisten“ (z.B. Art. 8 Abs. 1 des DP Energie) haben , oder - in einem bestimmten Zeitraum einen bestimmten Bericht zu erstellen haben (z.B. Art. 6 des DP Naturschutz und Landschaftspflege). Dass eine Bestimmung der DP offene Rechtsbegriffe enthält, ist grundsätzlich kein Umstand, der gegen ihre unmittelbare Anwendbarkeit spricht, da diese Regelungstechnik auch im Bereich der innerstaatlichen Normgebung angewandt wird und dort zulässig ist, solange das Bestimmtheitsgebot gewahrt bleibt.23 Dies dürfte auch dann gelten, wenn eine Bestimmung offen lässt, welche Mittel zur Erfüllung der in ihr festgelegten Verpflichtungen einzusetzen sind. Beispielhaft für letzteres sind Bestimmungen, wonach die Vertragsparteien - für bestimmte Zustände zu „sorgen“ haben (z.B. Art. 5 Abs. 1 DP Energie), - bestimmte Umstände oder Ziele zu „berücksichtigen“ haben (z.B. Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 2, Art. 15 Abs. 2 DP Energie), 21 BGBl. 1985 II S. 927. 22 Ausführlich dazu Cuypers, in: CIPRA Deutschland (Hrsg.), Leitfaden zur Umsetzung der Alpenkonvention, 2008, Berlin: Erich Schmidt, S. 42 ff. 23 Cuypers, in: CIPRA Deutschland (Hrsg.), Leitfaden zur Umsetzung der Alpenkonvention, 2008, Berlin: Erich Schmidt, S. 33 mit Ausführungen zur Variabilität des Bestimmtheitsgebots. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 080/16 Seite 10 - bestimmte Ziele oder Zwecke zu „fördern“ haben (z.B. Art. 2 Abs. 2 und Abs. 5 S. 2, Art. 4 Abs. 3, Art. 6 Abs. 1 und 4, Art. 15 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1 DP Energie), - bestimmte Zustände zu „bewahren“ haben (z.B. Art. 2 Abs. 4 DP Energie), - bestimmte Verhaltensweisen zu „unterstützen“ haben (z.B. Art. 6 Abs. 2 und 3 DP Energie ), oder - mit bestimmten Stellen oder den anderen Vertragsparteien „zusammenzuarbeiten“ (z.B. Art. 2 Abs. 6 DP Energie) oder diese zu „beteiligen“ haben (z.B. Art. 4 Abs. 2 DP Energie). Allerdings dürften in solchen Fällen erhöhte Anforderungen an die Bestimmtheit des mit der Bestimmung verfolgten Ziels zu stellen sein. Illustrieren lässt sich dieser Zusammenhang an Art. 14 Abs. 1 3. Anstrich des DP Bodenschutz. Die Bestimmung, die nach Auffassung der deutschen Bundesregierung und der Bayrischen Landesregierung unmittelbar anwendbar ist,24 räumt den Vertragsparteien bei der Wahl des Mittels einen gewissen Spielraum ein, formuliert das Ziel aber eindeutig: Die Parteien „wirken in geeignetster Weise darauf hin“, dass „Genehmigungen für den Bau und die Planierung von Skipisten in Wäldern mit Schutzfunktionen nur in Ausnahmefällen und bei Durchführung von Ausgleichsmaßnahmen erteilt und in labilen Gebieten nicht erteilt werden.“ Dass eine Bestimmung der DP den Vertragsparteien die Entscheidung überlässt, ob sie überhaupt tätig werden wollen, dürfte ihre unmittelbare Anwendbarkeit ebenfalls nicht ausschließen. Derartige Konstruktionen finden sich auch im innerstaatlichen Recht, das die staatlichen Behörden in zahlreichen Bereichen dazu ermächtigt, nach ihrem Ermessen zur Verfolgung bestimmter Ziele einzuschreiten. Beispielhaft sind Bestimmungen, wonach - die Vertragsparteien bestimmte Maßnahmen ergreifen „können“ (z.B. Art. 7 Abs. 2 und Abs. 5, Art. 14 DP Energie), oder - es den Vertragsparteien „erlaubt ist“, bestimmte Lenkungswirkungen zu prüfen (z.B. Art. 7 Abs. 5 DP Energie). Allerdings dürfte vorauszusetzen sein, dass sich die betreffende Bestimmung nicht auf legislative , sondern auf exekutive Maßnahmen bezieht und dass sich aus dem innerstaatlichen Recht ergibt, welche Behörden für die betreffenden Maßnahmen zuständig sind. Denn sowohl dann, wenn Regelungsgegenstand das Ergreifen legislativer Maßnahmen ist, als auch dann, wenn zu einem Tätigwerden der nationalen Behörden zunächst eine Zuständigkeitsvorschrift oder gar eine zuständige Behörde geschaffen werden müsste, kann die betreffende Bestimmung nicht ohne vorheriges Einschreiten der innerstaatlichen Normgeber ausgeführt werden. 4.2. Systematik In systematischer Hinsicht kann beispielsweise die Stellung der Bestimmung innerhalb des betreffenden DP Berücksichtigung finden: Sämtliche DP setzen sich aus mit einer Präambel, einem 24 Siehe Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz / Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Die Alpenkonvention Leitfaden für ihre Anwendung, S. 8, online abrufbar unter http://www.bmub.bund.de/fileadmin/bmu-import/files/pdfs/allgemein/application/pdf/alpenkonvention _leitfaden_2008.pdf (letzter Abruf am 16. Juni 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 080/16 Seite 11 Kapitel I mit der Überschrift „Allgemeine Bestimmungen“, einem Kapitel II mit der Überschrift „Spezifische Maßnahmen“, einem Kapitel III mit der Überschrift „(Koordination)25, Forschung, Bildung und Information“ einem Kapitel IV mit der Überschrift „(Durchführung)26, Kontrolle und Bewertung“ und einem Kapitel V mit der Überschrift „Schlussbestimmungen“ zusammen. Bestimmungen aus Kapitel II, das konkrete Rechte und Pflichten der Vertragsstaaten vorsieht, dürften einer unmittelbaren Anwendung eher zugänglich sein als Bestimmungen aus den anderen Teilen der DP.27 Weiteren Aufschluss kann die Beziehung zum übrigen Inhalt des Artikels, in dem sich die Bestimmung befindet, geben. 4.3. Ziel und Zweck Bei Erforschung von Ziel und Zweck völkerrechtlicher Bestimmungen sind unter anderem die Ausführungen in der Präambel sowie die Entstehungsgeschichte des Vertrags bedeutsam. Hat beispielsweise eine Partei den Fortgang der Verhandlungen von der Aufnahme einer bestimmten Regelung in den Vertrag abhängig gemacht, spricht dies dafür, dass die betreffende Bestimmung unbedingt, d.h. unabhängig von innerstaatlichen Umsetzungsakten, gelten sollte.28 5. Schlussbetrachtung Legt man die oben erörterten Maßstäbe an, dürfte die Mehrheit der Bestimmungen der DP nach dem in Deutschland herrschenden Verständnis nicht unmittelbar anwendbar sein. Die Bundesregierung und die bayerische Landesregierung bezeichnen die folgenden Bestimmungen ausdrücklich als unmittelbar anwendbar: 29 - Art. 11 Abs. 1 S. 1 DP Naturschutz und Landschaftspflege, - Artt. 12 Abs. 2 und 16 DP Tourismus, - 14 Abs. 1, 3. Anstrich und 14 Abs. 3 DP Bodenschutz, - Art. 11 Abs. 1 und 2 DP Verkehr. 25 Das Wort „Koordination“ ist lediglich beim DP Verkehr Bestandteil der Überschrift. 26 Das Wort „Durchführung“ ist beim DP Verkehr nicht Bestandteil der Überschrift. 27 So auch Söhnlein, 20 Jahre Alpenkonvention - Bilanz und Perspektiven aus juristischer Sicht, BayVBl 2013, 105, 107. 28 Siehe Söhnlein, 20 Jahre Alpenkonvention - Bilanz und Perspektiven aus juristischer Sicht, BayVBl 2013, 105, 108 mit instruktiven Ausführungen zum Gang der Verhandlungen zu Art. 11 Abs. 1 und 2 DP Verkehr. 29 Siehe Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz / Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Die Alpenkonvention Leitfaden für ihre Anwendung, S. 8, 25, 30 online abrufbar unter http://www.bmub.bund.de/fileadmin/bmu-import/files/pdfs/allgemein/application /pdf/alpenkonvention_leitfaden_2008.pdf (letzter Abruf am 16. Juni 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 080/16 Seite 12 In Bezug auf Art. 7 Abs. 4 S. 1 DP Energie ist eine vergleichbar eindeutige Erklärung nicht ersichtlich . Jedoch deuten die Ausführungen in einer Synopse zum DP Energie30 darauf hin, dass auch diese Bestimmung als unmittelbar anwendbar angesehen werden könnte. Es spricht aber auch einiges für die unmittelbare Anwendbarkeit weiterer Bestimmungen wie beispielsweise - Art. 8 Abs. 2 DP Energie, wonach die Vertragsparteien die technische und wirtschaftliche Machbarkeit sowie die ökologische Zweckmäßigkeit des Ersatzes von thermischen Anlagen , die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, durch Anlagen, in denen erneuerbare Energieträger zum Einsatz gelangen, und durch dezentrale Anlagen prüfen, - Art. 18 Abs. 1 S. 1 DP Energie, wonach die Vertragsparteien dem Ständigen Ausschuss regelmäßig Bericht über die aufgrund dieses DP getroffenen Maßnahmen erstatten, wobei sie auch deren Wirksamkeit darzulegen haben, - Art. 6 DP Bodenschutz, wonach Boden- und Felsbildungen von besonders charakteristischer Eigenart oder von besonderer Bedeutung für die Dokumentation der Erdgeschichte zu erhalten sind, oder - Art. 8 Abs. 2 S. 1 DP Bodenschutz, wonach bei Abbau, Aufbereitung und Nutzung von Bodenschätzen Belastungen der anderen Bodenfunktionen möglichst gering zu halten sind.31 Ende der Bearbeitung 30 Diese ist online abrufbar unter http://www.bmub.bund.de/fileadmin/bmu-import/files/pdfs/allgemein/application /pdf/protokoll_energie.pdf (letzter Abruf am 22. Juni 2016). 31 So auch Markus, ZUR 2015, 214, 217, der sich für die unmittelbare Anwendbarkeit etlicher Bestimmungen des DP Bodenschutz ausspricht.