© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 079/19 Zur Geltendmachung nationaler Sicherheitsinteressen beim Aufbau des 5G-Netzes Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 079/19 Seite 2 Zur Geltendmachung nationaler Sicherheitsinteressen beim Aufbau des 5G-Netzes Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 079/19 Abschluss der Arbeit: 31. Juli 2019 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 079/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis Einführung 4 Der Regelungsmechanismus des GATT 5 2.1. Allgemein 5 2.2. Die Grundprinzipien des GATT 5 2.3. Rechtfertigungsgründe für beschränkende Maßnahmen 6 2.3.1. Ausnahmen zur Wahrung der Sicherheit, Art. XXI GATT 6 2.3.2. Allgemeine Ausnahmen, Art. XX GATT 9 Schlussfolgerungen 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 079/19 Seite 4 Einführung Der chinesische Telekommunikationsausrüster Huawei hat sich zuletzt verstärkt Vorwürfen hinsichtlich der Sicherheitsvorgaben seiner Produkte ausgesetzt gesehen. So wurde im Rahmen des Aufbaus des 5G-Netzes in Deutschland diskutiert, ob Huawei aus Sicherheitsgründen nicht beteiligt werden sollte. 5G ist die fünfte Generation der drahtlosen Mobilfunktechnologie und als Teil der kritischen Infrastruktur in besonderem Maße schutzwürdig in Bezug auf Angriffe oder Manipulationen von außen. Hintergrund der Debatte sind Befürchtungen, dass China den Einsatz von Huawei-Produkten mit Hilfe von sogenannten „Backdoors“ zu Spionagezwecken und Cyberattacken ausnutzen könnte. Westliche Staaten, insbesondere die Vereinigten Staaten, werfen Huawei enge Verbindungen zur chinesischen Regierung vor. Sie kritisieren die Sicherheitsgesetze in China, die es den Sicherheitsbehörden erlauben, von Wirtschafsunternehmen die Herausgabe von Informationen aus dem Ausland zu verlangen. Die Vereinigten Staaten, Australien, Neuseeland und das Vereinigte Königreich haben bereits die Zusammenarbeit mit Huawei beendet. China weist die Vorwürfe zurück und wirft den Vereinigten Staaten und Australien vor, gegen WTO-Recht zu verstoßen.1 Die Bundesregierung hat sich bisher nicht für einen generellen Ausschluss von Huawei beim Aufbau des 5G-Netzes entschieden, da keine Beweise für einen Missbrauch vorlägen. Ein eventueller Ausschluss Huaweis beim Aufbau des 5G-Netzes in Deutschland betrifft dabei nicht die Frage nach der Vergabe2 der nationalen Frequenzen für die 5G-Technologie. Diese ist bereits im Rahmen der Versteigerung durch die Bundesnetzagentur erfolgt. Vielmehr geht es um die Frage, ob die Nutzung der Produkte von Huawei beim Aufbau des Netzes ausgeschlossen werden darf. Die Vereinbarkeit eines formellen Ausschlusses von Huawei mit den Verpflichtungen Deutschlands aus internationalen Handelsabkommen hängt damit entscheidend von den Regelungen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT)3, insbesondere von der Reichweite der Ausnahmeregelung zur Wahrung wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen, ab.4 1 Siehe diesbezüglich: Treffen des WTO Council for Trade in Goods am 8. Juli 2019 und am 12. November 2018 sowie Treffen des Market Access Commitee im Mai 2019, https://www.wto.org/english /news_e/events_e/events_e.htm; https://www.wto.org/english/news_e/news18_e/good_12nov18_e.htm; https://www.wto.org/english/news_e/news19_e/mark_28may19_e.htm. 2 Auf Fragen zur Gewährleistung eines fairen und transparenten Vergabeverfahrens findet das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen („Government Procurement Agreement“=GPA) Anwendung, https://www.wto.org/english/tratop_e/gproc_e/gpa_1994_e.htm. 3 WTO, General Agreement on Tariffs and Trade, unterzeichnet am 30. Oktober 1947, in Kraft getreten am 1. Januar 1948, in der Fassung von 1994, https://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/gatt47_01_e.htm. 4 Vgl. diesbezüglich auch Shin-yi Peng, „Cybersecurity Threats and the WTO National Security Exceptions“, Journal of International Economic Law, 2015, 18, 449-478. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 079/19 Seite 5 Der Regelungsmechanismus des GATT 2.1. Allgemein Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade: GATT) ist das Kernstück des Welthandelsrechts und bildet die den Warenhandel betreffende Säule des WTO-Rechts. Es enthält die für den internationalen Warenhandel grundlegenden Regelungen über den Abbau von Zöllen und die Beseitigung sonstiger, nichttarifärer Handelshemmnisse. Die Regelungen des GATT beziehen sich auf „Waren“, „Güter“, „Erzeugnisse“ und „Produkte“. Unter den Anwendungsbereich des GATT fallen damit alle physisch greifbaren Sachen, die Gegenstand von Handelsgeschäften sein können.5 Davon abzugrenzen ist der Handel mit Dienstleistungen , der unter den Anwendungsbereich des Allgemeinen Dienstleistungsabkommens (General Agreement on Trade in Services: GATS)6 fällt. Unter Dienstleistungen im Sinne des GATS sind dabei Wertschöpfungen zu verstehen, die von Personen direkt verbraucht werden. In der Praxis orientieren sich die Staaten hinsichtlich des Anwendungsbereichs des GATS an der während der Verhandlungen zum GATS erarbeiteten „Liste zur Klassifizierung der Dienstleistungssektoren“ (Services Sectorial Classification List).7 Die Beteiligung des chinesischen Telekommunikationsausrüsters Huawei bei dem Aufbau des 5G-Netzes betrifft den Umgang mit seinen Produkten und folglich den internationalen Warenverkehr . Das vorliegende Gutachten beschränkt sich daher auf die Regelungen des GATT.8 2.2. Die Grundprinzipien des GATT Die wichtigsten Grundprinzipien des GATT umfassen das Verbot der Diskriminierung im Warenverkehr , den Abbau von Zöllen sowie das Verbot nicht-tarifärer Handelshemmnisse. Sie dienen der Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen zwischen den WTO-Mitgliedern sowie der fortschreitenden Liberalisierung des internationalen Handels. Das Verbot der Diskriminierung im Warenverkehr umfasst das Meistbegünstigungsprinzip (mostfavoured nation treatment, Art. I GATT) und das Prinzip der Inländer(gleich)behandlung (national treatment, Art. III GATT). Das Prinzip der Meistbegünstigung gem. Art.1 Abs. 1 GATT verlangt , dass alle Handelsvorteile, die ein Staat einem anderen Staat gewährt, gleichermaßen allen anderen Vertragsstaaten zu gewähren sind. Das Prinzip der Inländer(gleich)behandlung des Art. III GATT fordert, dass Waren aus einem anderen WTO-Mitgliedstaat im Hinblick auf Abgaben 5 Zum Anwendungsbereich des GATT im Einzelnen Bender, in Hilf/Oeter, WTO-Recht, 2. Auflage, § 10 Rn. 2 ff. 6 WTO, General Agreement on Trade in Services (GATS), https://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/26- gats_01_e.htm. 7 Vgl. Senti/Hilpold, WTO, System und Funktionsweise der Welthandelsordnung, 2. Aufl., 2017, Rn. 715; in Bezug auf Telekommunikationsdienstleistungen vgl. Bender in Hilf/Oeter (Fn.5) § 21 Rn. 18 ff. 8 Für die Regelungssystematik des GATS und des GPA ergeben sich insoweit aber keine großen Unterschiede. Insbesondere finden sich in beiden Verträgen Ausnahmen im Hinblick auf die nationale Sicherheit: Art. XIV bis GATS, Art. XXIII GPA. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 079/19 Seite 6 und innerstaatliche Vorschriften der Marktregulierung nicht schlechter gestellt werden dürfen als Produkte inländischer Herkunft. Das Verbot nicht-tarifärer Handelshemmnisse betrifft demgegenüber Beschränkungen des Warenhandels, die den Marktzugang erschweren oder unmöglich machen. Darunter fallen auch qualitativen Anforderungen an Waren, wie beispielsweise technische Normen und Qualitätsstandards. Gemäß Art XI Abs. 1 GATT sind diese mengenmäßigen Beschränkungen in Form von Einfuhrverboten oder Quotenregelungen generell verboten.9 Ein formeller Ausschluss von Huawei könnte in seiner jeweiligen Ausprägung sowohl gegen das Verbot der Diskriminierung im Warenverkehr als auch gegen das Verbot nicht-tarifärer Handelshemmnisse verstoßen. 2.3. Rechtfertigungsgründe für beschränkende Maßnahmen Das GATT enthält verschiedene Ausnahmevorschriften, nach denen beschränkende, gegen die oben genannten Prinzipien verstoßende Maßnahmen unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt sind. Ziel dieser Ausnahmevorschriften ist es, einen Ausgleich für die Mitgliedstaaten dahingehend zu schaffen, dass ihr aufgrund der GATT-Verpflichtungen notwendigerweise eingegrenzter Handlungsspielraum in Bezug auf den Schutz bestimmter wichtiger Güter bestehen bleibt.10 2.3.1. Ausnahmen zur Wahrung der Sicherheit, Art. XXI GATT Art. XXI GATT regelt drei Ausnahmetatbestände zum Schutz nationaler Sicherheitsinteressen, die in der Staatenpraxis von hoher Relevanz sind. Die Bestimmungen dieses Abkommens hindern eine Vertragspartei nicht daran, a) Auskünfte zu verweigern, deren Preisgabe nach ihrer Auffassung ihren wesentlichen Sicherheitsinteressen zuwiderläuft; b) Maßnahmen zu treffen, die nach ihrer Auffassung zum Schutz ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen notwendig sind i) in Bezug auf spaltbare Stoffe oder die Rohstoffe, aus denen sie erzeugt werden; ii) beim Handel mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial sowie bei dem mittelbar oder unmittelbar zur Versorgung von Streitkräften dienenden Handel mit anderen Waren und Materialien; iii) in Kriegszeiten oder bei sonstigen ernsten Krisen in den internationalen Beziehungen; c) Maßnahmen auf Grund ihrer Verpflichtungen aus der Satzung der Vereinten Nationen zur Erhaltung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit zu treffen. 9 Vgl. Mavroidis, The Regulation of International Trade, Volume 1: GATT, 2016, S. 76 ff. 10 Bender in Hilf/Oeter (Fn.5), §10 Rn 74. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 079/19 Seite 7 Seinem Wortlaut nach greift der Ausnahmetatbestand des Art. XXI lit. b) iii) GATT zum Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen nur ein, wenn diese Maßnahmen notwendig sind in Kriegszeiten oder bei sonstigen ernsten Krisen in den internationalen Beziehungen. Die Beurteilung darüber, ob wesentliche (nationale) Sicherheitsinteressen bedroht sind, belässt Art. XXI lit. b) iii) GATT bei dem jeweiligen WTO-Mitgliedstaat („… nach ihrer Auffassung“). Nach den Vorstellungen der Urheber der Norm sollte jeder Staat im Zweifel selbst Herr über die Entscheidung sein, ob die eigene Sicherheit gefährdet ist.11 So wurde bereits 1949 im Rahmen der Verhandlungen des Handelsstreits zwischen der Tschechoslowakei und den USA festgestellt: „Every country must be the judge in the last resort on questions relating to its own security.“12 Der Begriff der „Sicherheitsinteressen“ meint in der Sache das Interesse eines jeden Staates an der eigenen Verteidigung und dem Bestand des Staates.13 Die Wahrung nationaler Sicherheitsinteressen ist damit eines der Kernelemente staatlichen Handelns. Da Staaten in der Regel nicht bereit sind, in diesem sensiblen Bereich der Sicherheitspolitik auf die Durchsetzung ihrer Interessen zu verzichten, wird der Ausnahmetatbestand des Art. XXI GATT seit jeher weit ausgelegt14 und auf alle im Rahmen des GATT übernommenen Verpflichtungen bezogen.15 Allerdings wird auch die Missbrauchsgefahr einer zu extensiven Interpretation des Art. XXI lit. b) GATT erkannt, die in einer Unterwanderung des GATT-Systems unter dem Deckmantel nationaler Sicherheitsinteressen bestehen könnte. Bei der Anwendung der Ausnahmevorschrift des Art. XXI lit. b) GATT sollen die Staaten daher im Wege einer bona fide-Interpretation einen Ausgleich zwischen der Handelsliberalisierung einerseits und dem erforderlichen Schutz ihrer nationalen Sicherheitsinteressen andererseits finden.16 Die WTO führt dazu aus: „On the other hand, every contracting party should be cautious not to take any step which might have the effect of undermining the General Agreement”.17 11 WTO, GATT Analytical Index: Article XXI: Security Exceptions (2012), https://www.wto.org/english/res_e/publications _e/ai17_e/gatt1994_art21_gatt47.pdf, S. 600 f. 12 Ibid. 13 Alford, The Self-Judging WTO Security Exception (2011), Scholarly Works, Paper 330, https://scholarship .law.nd.edu/cgi/viewcontent.cgi?referer=https://www.google.de/&httpsredir=1&article=1336&context =law_faculty_scholarship, S. 757 f. 14 Senti/Hilpold, a.a.O. (Fn. 7), S.323, Rn. 957. 15 Mavroidis, a.a.O. (Fn. 9), S. 479. 16 Koul, Guide to the WTO and GATT, 2017, S. 352. 17 WTO, GATT Analytical Index: Article XXI: Security Exceptions, (Fn. 11), S. 600. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 079/19 Seite 8 In der Völkerrechtswissenschaft war bisher die Frage umstritten, ob und inwieweit die Auffassung eines Staates, dass die Ausnahmevorschrift des Art. XXI lit. b) GATT eingreife, im Rahmen des WTO-Streitbeilegungssystems justiziabel sei.18 Bislang wurden Streitigkeiten im Zusammenhang mit Art. XXI GATT in aller Regel bereits in der Konsultationsphase des WTO-Streitbeilegungsverfahrens beigelegt. Dieses sieht vor, dass zu Beginn eines jeden Streitbeilegungsverfahrens bilaterale Konsultationen nach Art. 4 der „Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten“ (Dispute Settlement Understanding : DSU)19 aufgenommen werden, um eine einvernehmliche Lösung des Konflikts zu erzielen . Erreichen die Parteien im Konsultationswege binnen 60 Tagen keine Einigung über die Streifrage, kann der Beschwerdeführer nach Art. 4 Abs. 7 des DSU die Einsetzung eines Panels beantragen. Die Panel sind unabhängige Streitschlichtungsgremien, die aus drei oder fünf qualifizieren Experten bestehen und jeweils für den konkreten Streitfall gebildet werden.20 Erstmals hat nun ein Panel in einem von der Ukraine gegen Russland eingeleiteten Rechtsstreit die Berufung Russlands auf die Ausnahmevorschrift des Art. XXI lit. b) GATT bewertet.21 Das Panel wies die Argumente Russlands und der Vereinigten Staaten zurück, wonach die Bewertung des Art. XXI lit. b) GATT „self-judging“ und „non-justiciable“ sei. „The Panel finds that it has jurisdiction to determine whether the requirement of Article XXI (b) (iii) of the GATT 1994 are satisfied.“22 Das Panel definiert eine „sonstige ernste Krise in den internationalen Beziehungen“ im Sinne des Art. XXI lit.b) iii) GATT als „situation of armed conflict, or of latent armed conflict, or of heightened tension or crisis, or of general instability engulfing or surrounding a state.“23 Die Auslegung des Art. XXI GATT ist auch Gegenstand eines zwischen Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten geführten Streits, in dem bereits ein Panel zur Streitbeilegung nach erfolglosen Konsultationen eingesetzt wurde.24 Darüber hinaus steht Art. XXI GATT in mehreren WTO-Streitigkeiten gegen die Vereinigten Staaten zur Verhängung von Stahl- und Aluminiumzöllen zur Debatte. 18 Mit dieser Frage beschäftigt sich der Sachstand WD 2 - 3000 - 073/18. 19 WTO - Dispute Settlement Understanding, https://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/dsu_e.htm. 20 Einen Überblick über das WTO-Streitbeilegungsverfahren gibt Hilf/Salomon in Hilf/Oeter, a.a.O. (Fn. 5), § 7 S. 171 ff. 21 Bericht des Panels vom 5.April 2019, Russia - Measures concerning traffic in transit, WT/DS512/R, https://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/512r_e.pdf. 22 Ibid., S. 103. 23 Ibid., S. 42, Rn. 7.76. 24 WTO, United Arab Emirates — Goods, Services and IP Rights, Fall-Nr. DS526, https://www.wto.org/english /tratop_e/dispu_e/cases_e/ds526_e.htm. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 079/19 Seite 9 Art. XXI GATT soll den Mitgliedstaaten gewährleisten, ihre nationalen Sicherheitsinteressen im Ernstfall wirksam durchzusetzen. Im Falle eines formellen Huawei-Ausschlusses würde eine Berufung auf den Schutz der nationalen Sicherheit aber wohl insoweit eine sehr extensive Auslegung des Art. XXI lit. b) GATT darstellen, als dass der Zusatz „in Kriegszeiten oder bei sonstigen ernsten Krisen in den internationalen Beziehungen“ schwierig zu begründen wäre. 2.3.2. Allgemeine Ausnahmen, Art. XX GATT Art. XX GATT enthält darüber hinaus einen Katalog mit allgemeinen Ausnahmetatbeständen, für deren Beurteilung objektive Maßstäbe gelten. Demnach sind nationale Bestimmungen zulässig, wenn sie (1) dem Schutz eines der in Art. XX GATT abschließend enummerierten Ziele dienen – etwa (a) dem Schutze der öffentlichen Sittlichkeit, (b) dem Schutze des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen oder (d) zur Anwendung von Gesetzen oder sonstigen Vorschriften erforderlich sind, welche nicht gegen das GATT verstoßen, und (2) nicht zu einer willkürlichen und ungerechtfertigten Diskriminierung oder zu einer verschleierten Beschränkung des internationalen Handels führen. Das Schutzgut der öffentlichen Sittlichkeit in Art. XX lit. a) GATT („public morals“) wird von der Spruchpraxis der DSU-Panels als die „standards of right and wrong conduct maintained by or on behalf of a community or nation“ definiert.25 Es handelt sich dabei um einen unbestimmten Begriff , der während der Verhandlungen des GATT Gegenstand heftiger Diskussionen war.26 Die öffentliche Sittlichkeit verweist auf die in einer Gesellschaft vorherrschenden sozialen, kulturellen , ethnischen und religiösen Werte. Bei der Konkretisierung dieser Werte wird den Staaten regelmäßig ein weiter Einschätzungsspielraum zugebilligt.27 Gründe des Datenschutzes im Falle eines Ausschlusses von Huawei unter den Begriff der öffentlichen Sittlichkeit zu subsumieren, würde eine sehr weite Auslegung der „public morals“ darstellen . Darüber hinaus müsste aufgezeigt werden, dass die betreffende Maßnahme notwendig ist. Dies ist nach der bisherigen Rechtspraxis des GATT der Fall, wenn keine weniger einschneidenden Alternativen zur Erreichung des Ziels zur Verfügung stehen, wie beispielsweise verschärfte Sicherheitsvorschriften. Art. XX lit d) GATT erlaubt Maßnahmen, die zur Anwendung GATT-konformer „Gesetze oder sonstiger Vorschriften“ notwendig sind. Davon erfasst sind etwa Zoll- und Steuervorschriften, 25 WTO - Panel, US - Gambling, WT/DS285/R, § 296. 26 Mavroidis, (Fn. 9), S. 427. 27 Ipsen, Völkerrecht, 7. Auflage, München 2018, §49 Rn 48. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 079/19 Seite 10 aber auch Gesetze und Verordnungen des Verbraucherschutzes sowie Datenschutz- und Sicherheitsgesetze .28 Demnach könnte die Einhaltung erhöhter Datenschutz- und Sicherheitsgesetze, soweit diese GATT-konform und nicht diskriminierend angelegt sind, eine Einschränkung von Huawei-Produkten unter bestimmten Umständen eventuell rechtfertigen. Da es sich hierbei um eine rein hypothetische Situation handelt, die von der Maßnahme und den Gesetzen im Einzelfall abhängig ist, kann eine abschließende Beurteilung insoweit nicht vorgenommen werden. Schließlich müssen – wie unter (2) dargestellt – alle unter die geschützten Ziele des Art. XX GATT subsumierten Maßnahmen so angewendet werden, dass sie nicht einer willkürlichen und ungerechtfertigten Diskriminierung oder zu einer verschleierten Beschränkung des internationalen Handels führen. Schlussfolgerungen Eine Aussage, ob ein hypothetischer, formeller Ausschluss von Huawei vom Aufbau des 5G-Netzes mit den Verpflichtungen Deutschlands aus internationalen Handelsabkommen, insbesondere dem GATT, vereinbar wäre, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht treffen. Die Analyse der einschlägigen Vorschriften des GATT zeigt, dass diese größtenteils weite Ermessensspielräume gewähren. Die Ausnahmevorschriften der Art. XX und Art. XXI GATT, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen sollen, in sensiblen Bereichen ihrer (Sicherheits-) Politik soweit erforderlich von den GATT-Vorschriften abzuweichen, belassen den Mitgliedstaaten einen weiten Beurteilungsspielraum hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit. Ein Blick in die Staatenpraxis zeigt, dass die WTO-Mitgliedstaaten diese Ausnahmevorschriften regelmäßig sehr extensiv, über ihren eigentlichen Wortlaut hinaus, auslegen. Dennoch besteht dieser Beurteilungsspielraum nicht uneingeschränkt und darf nicht zu einer Unterwanderung des GATT-Systems führen. Eine Beurteilung hinsichtlich der Vereinbarkeit mit WTO-Recht hängt somit von den bei einem eventuellen Ausschluss im Einzelnen getroffenen Maßnahmen und den damit konkret verfolgten Zielen ab. Da sich die Bundesregierung bisher nicht für einen formellen Ausschluss von Huawei beim Aufbau des 5G-Netzes entschieden hat und es sich insoweit um einen rein hypothetischen Sachverhalt handelt, dessen Einzelheiten unklar sind, kann an dieser Stelle keine abschließende rechtliche Bewertung gegeben werden. *** 28 Voon, Australia’s Huawei ban raises difficult questions for the WTO, 22. April 2019, https://www.eastasiaforum .org/2019/04/22/australias-huawei-ban-raises-difficult-questions-for-the-wto/.