© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 077/20 Völkerrechtliche Einschätzung der Aufhebung von VN-Sanktionen des Iran-Nuklearabkommens durch die US-Administration („Snapback“-Mechanismus) Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 077/20 Seite 2 Völkerrechtliche Einschätzung der Aufhebung von VN-Sanktionen des Iran- Nuklearabkommens durch die US-Administration („Snapback“-Mechanismus) Aktenzeichen: WD 2 - 3000 – 077/20 Abschluss der Arbeit: 4. September 2020 (zugleich letzter Zugriff auf Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 077/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Rechtscharakter und –verbindlichkeit des Nuklearabkommens der E3/EU + 3 mit dem Iran 5 2.1. Joint Comprehensive Plan of Action/JCPOA 5 2.2. VN-Sicherheitsrats-Resolution 2231 (2015) 6 3. Wiedereinsetzung der Iran-Sanktionen durch die USA 6 3.1. Unilaterale Reaktivierung ausgesetzter VN-Sanktionen 6 3.2. Regelung der Reaktivierung ausgesetzter Iran-VN-Sanktionen in SR-Resolution 2231 (2015) 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 077/20 Seite 4 1. Einleitung 2015 haben sich die E3/EU +3 (Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich, die EU sowie die drei ständigen VN-Sicherheitsratsmitglieder USA, VR China, Russland) und der Iran auf ein Nuklearabkommen geeinigt, dass dem Iran eine friedliche Nutzung der Kernkraft gestattet (Gemeinsamer umfassender Aktionsplan/ Joint Comprehensive Plan of Action/JCPOA). Bestehende nationale und Internationale Sanktionen gegen den Iran sollten gemäß einem Zeitplan und den Modalitäten des JCPOA ausgesetzt werden, solange sich der Iran an die Vereinbarungen des Nuklearabkommens hält. Am 8. Mai 2018 haben die Vereinigten Staaten von Amerika ihren Rückzug aus dem JCPOA erklärt und die nationalen US-Sanktionen wieder aufleben lassen bzw. deren befristete Aussetzung nicht verlängert. In der Folgezeit haben sie sich nicht mehr an Verfahren im Rahmen des JCPOA beteiligt.1 Am 14. August 2020 wurde ein von den USA in den VN-Sicherheitsrat (SR) eingebrachter Resolutionsentwurf mit dem Ziel einer Verlängerung des VN-Embargos für konventionelle Waffensysteme (vgl. Ziff. 5 und 6 lit. b der Anlage B der SR-Res. 2231 von 2015) - das am 18. Oktober 2020 ausläuft - abgelehnt (zwei Ja-Stimmen, zwei Nein-Stimmen und 11 Enthaltungen).2 Am 19. August 2020 hat Präsident Donald Trump daraufhin angekündigt, auch die Aufhebung von VN-Sanktionen gegen den Iran nicht weiter verlängern und den sog. Snapback (Zurückschnappen)-Mechanismus des Nuklearabkommens (gem. Ziff. 11 der SR-Resolution 2231 (2015) auslösen zu wollen.3 Am 20. August 2020 haben die USA durch eine Notifikation gegenüber dem Vorsitzenden des VN-SR das Verfahren der Wiedereinsetzung von VN-Sanktionen eingeleitet.4 Nach Ansicht des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, der auch EU-Koordinator des JCPOA ist, sind die USA aufgrund ihres einseitigen Rückzugs aus dem Nuklearabkommen im Mai 2018 nicht dazu berechtigt, die Wiedereinsetzung der VN-Sanktionen 1Siehe dazu auch Wissenschaftliche Dienste/Deutscher Bundestag/WD 2-3000-003/20 vom 15. Januar 2020, “Streitschlichtungsmechanismus des Nuklearabkommens mit dem Iran“, https://www.bundestag.de/resource /blob/685102/6bbfd26c90e2bc462b4b6ec9186b7e6e/WD-2-003-20-pdf-data.pdf S. 6f. (abgerufen am 20. August 2020). 2 https://www.un.org/press/en/2020/sc14277.doc.htm; https://www.un.org/Depts/german/sr/sr_sonst/s20-797.pdf. 3https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/sicherheitsrat-trump-will-wieder-sanktionen-gegen-iran-16913015.html; (abgerufen am 20.August 2020). https://www.tagesspiegel.de/politik/streit-um-atomabkommen-usa-wollen-wiedereinsetzung-von-un-sanktionen-gegen -iran-erzwingen/26111502.html (abgerufen am 20.08.2020). 4 https://www.welt.de/politik/ausland/article213985926/UN-Sicherheitsrat-USA-verlangen-Sanktionsmechanismusgegen -Iran-UN-droht-Krise.html. https://vovworld.vn/de-DE/politische-aktualitat/diplomatiekrise-usa-verhangen-einseitige-sanktionen-gegen-iran- 894149.vov. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 077/20 Seite 5 gegen den Iran über den sogenannten Snapback-Mechanismus zu erzwingen.5 Dieser Mechanismus sei den JCPOA-Teilnehmers vorbehalten. Diese wollten ebenso wie Deutschland an dem Nuklearabkommen mit Iran weiter festhalten.6 Damit stellt sich die Frage, inwieweit die Rückzugserklärung der USA als eine formell wirksame Kündigung des JCPOA zu bewerten ist mit der möglichen Folge, dass diese nicht mehr befugt sind, über den Snapback-Mechanismus auf eine Wiedereinführung der VN-Sanktionen bzw. einer Nichtverlängerung von deren Aufhebung gegen den Iran hinzuwirken. 2. Rechtscharakter und –verbindlichkeit des Nuklearabkommens der E3/EU + 3 mit dem Iran 2.1. Joint Comprehensive Plan of Action/JCPOA Das Nuklearabkommen zwischen den E3/EU+3 (Deutschland, Frankreich, das Vereinigte Königreich , die EU sowie die Russische Föderation, die VR China und die Vereinigten Staaten von Amerika) mit dem Iran (Joint Comprehensive Plan of Action/JCPOA, abgeschlossen am 14. Juli 2015)7 stellt keinen verbindlichen völkerrechtlichen Vertrag im Sinne der Wiener Vertragsrechtskonvention , sondern lediglich eine politisch bindende Vereinbarung zwischen Staaten dar und ist damit Teil des völkerrechtlichen „soft law“. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Text des Ab- 5Dazu https://www.rnd.de/politik/eu-topdiplomat-borrell-zum-iran-deal-usa-konnen-snapback-nicht-auslosen- 2QCRSJTSZXDHKLFLAZ74ECLJ7M.html (abgerufen am 20.August 2020); https://www.watson.ch/international /irak/518178022-eu-topdiplomat-zum-iran-deal-usa-koennen-snapback-nicht-ausloesen (abgerufen am 20. August 2020). 6 https://www.rferl.org/a/iran-eu-snapback-sanctions-nuclear-russia/30787434.html; https://www.gov.uk/government /news/e3-foreign-ministers-statement-on-the-jcpoa-19-june; https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom /presse/regierungspressekonferenz; https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/e3-aussenminister-usasnapback -mechanismus/2376382. 7https://www.consilium.europa.eu/de/policies/sanctions/iran/jcpoa-restrictive-measures/ (abgerufen am 20.08.2020); https://www.un.org/securitycouncil/content/2231/background (abgerufen am 20. August 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 077/20 Seite 6 kommens, sondern auch aus seinem systematischen Aufbau und dem Verhalten der Vertragsparteien im Zusammenhang mit seinem Abschluss, insbesondere der rechtlichen Verknüpfung mit Resolution 2231 des VN-Sicherheitsrats vom 20. Juli 2015.8 2.2. VN-Sicherheitsrats-Resolution 2231 (2015) Gemäß Ziff. 34 lit. ii des JCPOA sieht eine Annahme des JCPOA die Billigung durch den VN- Sicherheitsrat vor, wodurch diese dann 90 Tage nach seiner Billigung in Kraft tritt.9 Die VN-Sicherheitsratsresolution 2231 (2015) wurde am 20. Juli 2015 verabschiedet (Inkrafttreten JCPOA am 18. Oktober 2015). Hiermit werden konkrete Festlegungen und Rechtspflichten in Bezug auf seine Implementierung statuiert und der politische Vertrag dadurch erst rechtsverbindlich . Dabei berief sich der Sicherheitsrat ausdrücklich auf seine Befugnis zu rechtsverbindlichem Handeln nach Art. 41 VN-Charta und auf die bindende Wirkung seiner Beschlüsse gemäß Art. 25 VN-Charta. Rechtlich lässt sich der JCPOA daher als Anhang zur verbindlichen SR-Resolution 2231 (2015) bezeichnen und wird von dieser somit materiell umfasst. In der SR-Resolution wird gänzlich Bezug genommen auf den JCPOA und dieses Abkommen in seiner Gesamtheit gebilligt (vgl. Präambel und Ziff. 1 der Resolution). Durch die enge rechtliche Verknüpfung des JCPOA mit der SR- Resolution 2231 (2015) wird der JCPOA somit quasi in die Resolution „inkorporiert“. 3. Wiedereinsetzung der Iran-Sanktionen durch die USA 3.1. Unilaterale Reaktivierung ausgesetzter VN-Sanktionen Ein wesentlicher Aspekt der Resolution 2231 ist die Aufhebung früherer nationaler Sanktionen (Ziff. 2) und JCPOA (Ziff. 21ff.) sowie Sanktionen des Sicherheitsrats gegen den Iran (Ziff. 5-9 der 8Siehe dazu auch Wissenschaftliche Dienste/Deutscher Bundestag/WD2 2-3000-09/19 vom 22. Juli 2019 "Völkerrechtsfragen im Zusammenhang mit der Wiener Nuklearvereinbarung", https://www.bundestag.de/resource /blob/662190/e9d1b9dcde90f1d472cc4851410ac194/WD-2-097-19-pdf-data.pdf, S. 4f. (abgerufen am 24. August 2020); ferner Wissenschaftliche Dienste/Deutscher Bundestag/WD 2-3000-074/18 vom 5. Juni 2018, “Völkerrechtliche Bewertung der Aufkündigung des Iran-Nuklearabkommens durch die US-Administration“, S. 2 m.w.N. https://www.bundestag.de/resource/blob/563348/e50a08010717c3e740ca75502deedb07/WD-2-074-18-pdf-data.pdf (abgerufen am 20. August 2020); Dörr, Oliver, Völkerrechtliche Grenzen des Populismus? Der amerikanische Präsident und das geltende Völkerrecht, in: JZ 2018, S. 224-231, hier S. 226, https://www.doerr.jura.uni-osnabrueck.de/fileadmin /user_upload/Bilder/Aktuelles/Sonderdruck_JZ_2018_224-231.pdf (abgerufen am 20. August 2020); Fischer, Paula/Scholl, Bernd, „Rückzug aus dem Atomabkommen: Drohen die USA mit einem Völkerrechtsbruch? Verfassungsblog vom 7. März 2018, https://verfassungsblog.de/rueckzug-aus-dem-atomabkommen-drohen-die-usa-mit-einem-voelkerrechtsbruch / (abgerufen am 20. August 2020). 9 Siehe dazu auch Ziff. 1 der Präambel und Allgemeinen Bestimmungen des JCPOA: "Der Aktionsplan, der einem stufenweisen Ansatz folgt, enthält die in diesem Dokument und seinen Anlagen festgelegten gegenseitigen Verpflichtungen und muss vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gebilligt werden.“ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 077/20 Seite 7 Resolution) sowie JCPOA (Ziff. 18). Hierbei ist also zu unterscheiden zwischen der Aufhebung nationaler sowie EU-Sanktionen und VN-Sanktionen. Nicht behandelt wird in diesem Zusammenhang die Frage, ob die USA nach ihrem Rückzug aus dem JCPOA im Mai 2018 und ihrer Nichtverlängerung der Aussetzung der nationalen US-Sanktionen gegen den Iran am 12. Mai 2018 gegen Verpflichtungen aus der SR-Resolution 2231 (2015) i.V. mit dem JCPOA verstoßen haben. Mit diesem Themenaspekt haben sich frühere Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags beschäftigt, auf deren Ergebnisse insoweit verwiesen wird.10 Bei der Ankündigung und kurz darauffolgenden Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, auch die Aufhebung von (multilateralen) VN-Sanktionen nicht weiter verlängern und den sog. Snapback-Mechanismus des Nuklearabkommens auslösen zu wollen, geht es im Wesentlichen um die Frage, ob die USA die Sanktionen gegen den Iran einseitig in Kraft setzen können und sich damit unilateral von den Verpflichtungen aus der SR-Resolution 2231 (2015) i.V. mit dem JCPOA lösen dürfen. Insoweit ist zunächst zu klären, ob die Rückzugserklärung der USA vom JCPOA als eine formell wirksame Kündigung dieser Vereinbarung zu werten ist und die USA damit möglicherweise nicht mehr Vertragspartner dieses Abkommens sind. In diesem Fall würden ihnen die entsprechenden Mitspracherechte zur Reaktivierung ausgesetzter VN-Sanktionen möglicherweise nicht mehr zustehen. Der JCPOA sieht eine Bestimmung zur Kündigung oder zu einem Rücktritt explizit nicht vor. Das bedeutet zunächst, dass die USA weiterhin formal Teilnehmer des JCPOA sind und ihre Teilnahme durch den Rücktritt im Mai 2020 lediglich ausgesetzt bzw. suspendiert haben .11 Wenn ihnen somit kein Austrittsrecht zusteht, können sie auch jederzeit die völkerrechtliche Gestaltungsentscheidung treffen, wieder am JCPOA teilzunehmen. Im Hinblick auf das auf zehn 10 Siehe dazu Wissenschaftliche Dienste/Deutscher Bundestag/WD2 2-3000-09/19 vom 22. Juli 2019 "Völkerrechtsfragen im Zusammenhang mit der Wiener Nuklearvereinbarung", https://www.bundestag.de/resource /blob/662190/e9d1b9dcde90f1d472cc4851410ac194/WD-2-097-19-pdf-data.pdf, S. 5ff. (abgerufen am 24. August 2020); ferner Wissenschaftliche Dienste/Deutscher Bundestag/WD 2-3000-074/18 vom 5. Juni 2018, “Völkerrechtliche Bewertung der Aufkündigung des Iran-Nuklearabkommens durch die US-Administration“, https://www.bundestag .de/resource/blob/563348/e50a08010717c3e740ca75502deedb07/WD-2-074-18-pdf-data.pdf, S. 6f. (abgerufen am 20. August 2020) 11 Fischer, Paula/Scholl, Bernd, „Rückzug aus dem Atomabkommen: Drohen die USA mit einem Völkerrechtsbruch? Verfassungsblog vom 7. März 2018, https://verfassungsblog.de/rueckzug-aus-dem-atomabkommen-drohen-die-usa-miteinem -voelkerrechtsbruch/ (abgerufen am 20. August 2020); Dupont, Pierre-Emmanuel, Invitation to sign: Note on the United States` Claim to activate the snapback mechanism under Security Council Resolution 2231, Verfassungsblog vom 3. September 2020 mit einem beigefügten Memorandum verschiedener Völkerrechtswissenschaftler, S. 1f., argumentiert hingegen unter Berufung auf den Wortlaut der seinerzeitigen Beendigung der Teilnahme der USA am JCPOA, dass diese ihren Status als Teilnehmer des JCPOA aufgegeben hätten (On 8 May 2018, the US-President stated „ (…) I am today making good on my pledge to end the participation of the United States in the JCPOA“), https://voelkerrechtsblog .org/invitation-to-sign-note-on-the-united-states-claim-to-activate-the-snapback-mechanism-under-securitycouncil -resolution-2231/ (abgerufen am 4. September 2020). Diese nahezu gänzlich auf den Wortlaut abstellende Interpretation lässt indes die Endgültigkeit dieses Schritts, ferner Regelungsaspekte der JCPOA-Vereinbarung (kein Kündigungsrecht ) und die spezifische rechtliche Ausgestaltung des Gesamtkonstrukts (SR-Resolution 2231 (2015) i.V. mit dem JCPOA) außer Betracht. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 077/20 Seite 8 Jahre angelegte Gesamtkonstrukt zur Gewährleistung der friedlichen Nutzung der Kernenergie durch den Iran erscheint diese "Bindungswirkung" der Teilnehmer auch sinnvoll und zweckmässig . Ergänzt wird diese Deutung dadurch, dass es sich bei dem JCPOA nicht um eine unverbindliche Vereinbarung handelt, sondern diese gerade durch die Verknüpfung mit der SR-Resolution 2231 (2015) völkerrechtliche Verbindlichkeit erworben hat. Die Einfügung eines effektiv durchsetzbaren JCPOA-Mechanismus für die Reaktivierung aufgehobener VN-Sanktionen, der auch von den USA einseitig ausgelöst werden kann, war wesentliche Grundbedingung für deren Teilnahme am Zustandekommen des JCPOA 2015.12 Vorstellbar ist, den JCPOA nicht ausschließlich als einen Annex zur Resolution 2231 (2015) anzusehen , sondern ihm darüber hinaus eine rechtliche Eigenständigkeit zuzubilligen. Damit könnte auf die allgemeinen Regelungen über den Rücktritt einer Vertragspartei vom Vertrag zurückgegriffen werden. Der JCPOA stellt für sich genommen zwar keinen völkerrechtlicher Vertrag i.S. von Art. 2 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) dar, wohl aber eine – mittels SR-Resolution 2231 (2015) rechtsverbindlich gewordene – Vereinbarung zwischen Staaten. Daher ließen sich insoweit die allgemeinen völkerrechtlichen Regeln über die Beendigung von Verträgen - zumindest analog – anwenden. Allerdings scheidet ein unilaterales Rücktrittsrecht der USA aus dem JCPOA gemäß Art. 54 WVRK schon aus formalen Gründen aus, da es sich bei der im JCPOA festgelegten „Zehnjahresfrist “ (vgl. Ziff. 34 JCPOA) um eine abschließende Vertragsbestimmung i.S. v. Art. 54 lit a) WVRK handelt: „ Die Beendigung eines Vertrags oder der Rücktritt einer Vertragspartei vom Vertrag können erfolgen a) nach Maßgabe der Vertragsbestimmungen (…).“. Nach dem Willen der Teilnehmer des JCPOA ist das Abkommen auf zehn Jahre angelegt und soll den Konflikt um das iranische Nuklearprogramm dauerhaft lösen. Eine vorzeitige Aufkündigung würde insofern dem Sinn und Zweck des JCPOA - insbesondere auch durch Unterlaufen des 12 Fischer, Paula/Scholl, Bernd, „Rückzug aus dem Atomabkommen: Drohen die USA mit einem Völkerrechtsbruch? Verfassungsblog vom 7. März 2018, https://verfassungsblog.de/rueckzug-aus-dem-atomabkommen-drohen-die-usa-miteinem -voelkerrechtsbruch/ (abgerufen am 20.08.2020); Kahn, Tzvi and Gaines, Allyson, Obama officials support U.S. unilateral snapback of Iran sanctions, Memo 14. Mai 2020, S. 1, https://www.fdd.org/analysis/2020/05/14/obama-officials -support-us-unilateral-snapback-of-iran-sanctions/https://www.fdd.org/analysis/2020/05/14/obama-officials-support -us-unilateral-snapback-of-iran-sanctions/ (abgerufen am 20. August 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 077/20 Seite 9 Streitbeilegungsmechanismus (vgl. Ziff. 36f. JCPOA) - widersprechen, so dass der Grundsatz "pacta sunt servanda" gilt (Art. 26 WVRK).13 Denkbar ist eine Beendigung des JCPOA nach Maßgabe des Art. 60 WVRK in dem Fall, dass dem Iran eine erhebliche Verletzung des Abkommens nachzuweisen wäre. Die zur Beurteilung notwendigen tatsächlichen Sachverhaltsfeststellungen entziehen sich den Ermittlungs- und Feststellungsmöglichkeiten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags. Ob den Vereinigten Staaten von Amerika möglicherweise ein Recht zur Beendigung des JCPOA infolge einer vermeintlichen Verletzung der Vereinbarung durch den Iran zukommt, kann daher nicht abschließend beurteilt werden.14 3.2. Regelung der Reaktivierung ausgesetzter Iran-VN-Sanktionen in SR-Resolution 2231 (2015) Die SR-Resolution 2231 (2015) hat die Aufhebung von VN-Sanktionen rechtsverbindlich angeordnet (vgl. Ziff. 7a). Für die Nichtverlängerung dieser aufgehobenen VN-Sanktionen sieht Ziff. 11 einen komplexen Mechanismus vor (sog. Snapback-Mechanismus). Mit Blick auf die Wiederanwendung von Bestimmungen früherer Resolutionen kann jeder am JCPOA beteiligte Staat „eine erhebliche Nichterfüllung von Verpflichtungen“ aus dem JCPOA geltend machen. Der Sicherheitsrat wird dann innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt einer solchen Mitteilung über den Entwurf einer Resolution abstimmen, die Aufhebungen in Ziff. 7a dieser Resolution in Kraft lassen . Er beschließt ferner, dass wenn innerhalb von 10 Tagen nach der genannten Mitteilung kein Mitglied des Sicherheitsrats einen solchen Resolutionsentwurf zur Abstimmung vorgelegt hat, der Präsident des Sicherheitsrats innerhalb von 30 Tagen nach der genannten Mitteilung einen solchen Resolutionsentwurf vorlegt und zur Abstimmung bringt. Ziff. 12 sieht für den Fall, dass der Sicherheitsrat keine Resolution gemäß Ziff. 11 des Inhalts verabschiedet , die Aufhebung der VN-Sanktionen (weiter) in Kraft zu lassen, vor, dass dann 30 Tage nach erfolgter Mitteilung an den Sicherheitsrat alle aufgehobenen VN-Sanktionen wieder in Kraft treten. 13Fischer, Paula/Scholl, Bernd, „Rückzug aus dem Atomabkommen: Drohen die USA mit einem Völkerrechtsbruch? Verfassungsblog vom 7. März 2018, https://verfassungsblog.de/rueckzug-aus-dem-atomabkommen-drohen-die-usa-miteinem -voelkerrechtsbruch/ (abgerufen am 20. August 2020); Dörr, Oliver, Völkerrechtliche Grenzen des Populismus? Der amerikanische Präsident und das geltende Völkerrecht, in: JZ 2018, S. 224-231, hier S. 226, https://www.doerr .jura.uni-osnabrueck.de/fileadmin/user_upload/Bilder/Aktuelles/Sonderdruck_JZ_2018_224-231.pdf, S. 225 (abgerufen am 20. August 2020). 14 Siehe dazu auch Wissenschaftliche Dienste/Deutscher Bundestag/WD2 2-3000-09/19 vom 22. Juli 2019 "Völkerrechtsfragen im Zusammenhang mit der Wiener Nuklearvereinbarung", https://www.bundestag.de/resource /blob/662190/e9d1b9dcde90f1d472cc4851410ac194/WD-2-097-19-pdf-data.pdf, S. 8f. (abgerufen am 24. August 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 077/20 Seite 10 Gemäß Ziff. 10 werden die Vereinigten Staaten von Amerika als "am Gemeinsamen umfassenden Aktionsplan Beteiligte" bezeichnet, mit der Konsequenz, dass sich der VN-Sicherheitsrat mit etwaigen Beschwerden Beteiligter, also auch der USA, über eine erhebliche Nichterfüllung seitens eines anderen am JCPOA Beteiligten befassen wird Die Ingangsetzung des Snapback-Mechanismus durch die völkerrechtlich hierzu befugten USA setzt also zunächst voraus, dass diese in einer Mitteilung an den Sicherheitsrat geltend machen, dass der Iran tatsächlich seine Verpflichtungen aus dem JCPOA in erheblicher Weise missachtet hat.15 Im JCPOA und in der SR-Res. 2231 (2015) findet sich keine Definition dessen, was unter „einer erheblichen Nichterfüllung von Verpflichtungen“ gefasst werden kann. Ob die bloße Behauptung einer solchen Pflichtverletzung durch einen Teilnehmerstaat der JCPOA – d. h. ohne die Präsentation entsprechender belastbarer Beweise – in diesem Kontext ausreicht, erscheint nach dem Wortlaut in Ziff. 11 möglich. Eine solche Interpretation des JCPOA, wonach lediglich die „Behauptung“ einer Vertragsverletzung für die Einleitung solcher weitreichenden Folgen, insbesondere die Wiederinkraftsetzung früherer VN-Sanktionen bis möglicherweise zur de facto Beendigung des JCPOA, genügen soll, erscheint jedoch zweifelhaft. Dies würde erkennbar auch dem Willen der Teilnehmerstaaten, den JCPOA trotz aller bekannten Schwierigkeiten durch eine SR-Resolution für 10 Jahre rechtsverbindlich zu machen (vgl. 34 lit. v JCPOA), zuwiderlaufen. Ob eine gravierende Verletzung des Nuklearabkommens durch den Iran vorliegt, ist letztlich eine Tatsachenfrage, die von den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestags nicht beantwortet werden kann. Rechtlich ungeklärt ist des Weiteren, welcher Beweisumfang, d.h. Grad an Gewissheit hinsichtlich eines – eventuellen – vertragswidrigen Verhaltens eines Teilnehmerstaates (hier des Iran) vorliegen muss. Letztlich bleibt es eine zu belegende Einschätzung des "Beschwerdeführers ".16 Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO), der gemäß Prämbel X (JCPOA) die Aufgabe obliegt, die im JCPOA ausgeführten freiwilligen nuklearbezogenen Maßnahmen zu überwachen 15Siehe dazu auch Wissenschaftliche Dienste/Deutscher Bundestag/WD 2-3000-074/18 vom 5. Juni 2018, “Völkerrechtliche Bewertung der Aufkündigung des Iran-Nuklearabkommens durch die US-Administration“, https://www.bundestag .de/resource/blob/563348/e50a08010717c3e740ca75502deedb07/WD-2-074-18-pdf-data.pdf, S. 8 (abgerufen am 20.08.2020), wenn also gemäß Ziff. 12 der SR-Resolution 2231 der Sicherheitsrat keine entsprechende Resolution verabschiedet , treten die aufgehobenen Sanktionen des Sicherheitsrats automatisch wieder in Kraft. Insoweit kann bereits das Veto eines ständigen Sicherheitsratsmitglieds dafür sorgen, dass die VN-Sanktionen reaktiviert werden; Dazu auch eingehend Fischer, Paula/Scholl, Bernd, „Rückzug aus dem Atomabkommen: Drohen die USA mit einem Völkerrechtsbruch ? Verfassungsblog vom 7. März 2018, https://verfassungsblog.de/rueckzug-aus-dem-atomabkommen-drohen-dieusa -mit-einem-voelkerrechtsbruch/ (abgerufen am 20. August 2020); Mulligan, Stephen P., Withdrawal from international agreements: Legal framework, the Paris agreement, and the Iran Nuclear agreement, S. 30f., https://fas.org/sgp/crs/row/R44761.pdf. 16 Goldberg, Richard, FAQ: The "Snapback" of UN Sanctions on Iran, S. 3, What constitutes "significant performance of commitments under the JCPOA"?, https://www.fdd.org/in-the-news/2020/07/09/faq-the-snapback-of-un-sanctions-oniran /. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 077/20 Seite 11 und zu verifizieren sowie den Sicherheitsrat der VN regelmäßig über den Sachstand zu unterrichten , hat zuletzt in einem Bericht vom Juni 2020 festgestellt, dass der Iran seine Verpflichtungen nicht umfassend erfüllt hat, u.a. aufgrund zu hoher Anreicherungsmengen von Uran.17 Bei der IAEA handelt es sich indes nicht um ein internationales (Schieds-) Gericht, das einen Vertragsbruch verbindlich feststellen könnte. Die Frage nach einem erheblichen iranischen Verstoß gegen den JCPOA kann damit hier nicht definitiv geklärt werden. Trotz aller Bedenken und Indizien hinsichtlich einer Verletzung des JCPOA scheinen die weiteren Teilnehmerstaaten - mit Ausnahme der USA – dazu entschlossen, an dem Abkommen politisch und rechtlich festzuhalten und gemeinsam im Dialog mit dem Iran eine multilaterale Lösung der Krise finden zu wollen . Im Falle, dass die USA beweiskräftige Angaben zu erheblichen Vertragsverletzungen vorlegen - auch unter Bezug auf IAEO-Feststellungen - ist der weitere Verfahrensablauf wie folgt vorstellbar: Der VN-SR kann die US-Beschwerde ignorieren und innerhalb von 30 Tagen eine durch einen Mitgliedstaat des VN-SR eingebrachte Resolution annehmen, die der Verlängerung der Aufhebung der VN-Sanktionen zustimmt. Eine solche Zustimmung kann jedoch durch ein Veto des ständigen Sicherheitsratsmitglieds USA verhindert werden. Sollte allerdings kein Mitglied des VN-SR einen solchen VN-Resolutionsentwurf zur Abstimmung eingebracht haben, ist der Vorsitzende des VN-SR nach 10 Tagen seit der Mitteilung bzw. Beschwerde verpflichtet, dies innerhalb von 30 Tagen zu tun und zur Abstimmung zu bringen. Gegen einen solchen VN-Resolutionsentwurf hat indes jedes ständige Mitglied des VN-SR, also auch die USA, die Möglichkeit, ein Veto einzulegen. Sollten die USA bei dieser Fallvariante also widersprechen, dann würden die VN- Sanktionen nach 30 Tagen seit der Mitteilung automatisch wieder in Kraft treten.18 *** 17https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-06/iaea-bericht-atomabkommen-iran-verletzung-auflagen Zugriff am 20.08.2020); Bericht der IAEO vom Juni 2020, https://www.iaea.org/sites/default/files/20/06/gov2020-26.pdf; ferner zur Position der E3-Außenminister (Deutschlands, Frankreichs und des Vereinigten Königreichs) hierzu in Pressemitteilung des Auswärtigen Amts vom 20. August 2020 (...). „Wir sind der Auffassung, dass wir die aktuelle Problematik der systematischen Verstöße Irans gegen seine Verpflichtungen aus dem JCPOA im Wege eines Dialogs der JCPOA-Teilnehmer angehen sollten, (...).“, https://www.auswaertiges -amt.de/de/newsroom/e3-aussenminister-usa-snapback-mechanismus/2376382. 18 Goldberg, Richard, FAQ: The "Snapback" of UN Sanctions on Iran, S. 2, How does snapback work?, die Wirksamkeit dieses Verfahrens setzt gerade kein "Konsensus-Erfordernis" der ständigen VN-SR-Mitglieder voraus, https://www.fdd.org/in-the-news/2020/07/09/faq-the-snapback-of-un-sanctions-on-iran/; Meier, Oliver/Zamirirad, Azadeh , Die Atomvereinbarung mit Iran, August 2015, S. 5, https://www.swp-berlin.org/publikation/die-atomvereinbarung -mit-iran/.