© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 - 075/20 US-Sanktionen gegen den Bau der Pipeline Nord Stream 2 aus völkerrechtlicher Sicht Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Die US-Sanktionen im Lichte allgemeiner Völkerrechtsprinzipien 9 4.1. Das völkergewohnheitsrechtliche Nichteinmischungsgebot 9 4.2. Extraterritorialität von Sanktionen 10 4.2.1. Anknüpfungspunkte für extraterritoriale Sanktionen 11 4.2.2. Zur Sanktionspraxis der USA 12 4.2.3. US-Sanktionen gegen das Nord Stream 2-Projekt 12 5. Fazit 14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 075/20 Seite 4 1. Einführung und Fragestellung Für Aufsehen hat ein offener Brief der drei US-Senatoren Ted Cruz, Tom Cotton und Rohn Johnson vom 6. August 2020 gesorgt, in dem den Vorstandsmitgliedern, Aktionären und Arbeitnehmern der Fahrhäfen Sassnitz GmbH rechtliche und wirtschaftliche Sanktionen für die weitere Unterstützung des Nord Stream 2-Projekts ausdrücklich angedroht wurden.1 Das Schreiben der US-Senatoren stellt gewissermaßen einen folgerichtigen Schritt in der US-Politik dar, die darauf gerichtet ist, die Erweiterung der direkten Ostsee-Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland zu verhindern.2 Die Motivation der USA dürfte vielfältig sein: Von der langfristigen wirtschaftlichen Schwächung Russlands und Stärkung der wirtschaftlichen Position der osteuropäischen Transitländer wie Polen und Ukraine bis hin zu den eigenen wirtschaftlichen Interessen, Europa als Absatzmarkt für den Verkauf vom amerikanischen Flüssiggas zu sichern.3 Bereits 2017 hatte der US-Kongress den Countering Americas’s Adversaries Through Sanctions Act (CAATSA) verabschiedet, in dem neben Sanktionen gegen den Iran und Nordkorea auch Sanktionen gegen Personen und Unternehmen beschlossen wurden, die Russland beim Bau von Export-Energiepipelines unterstützen.4 Ende 2019 beschloss der US-Kongress den Protecting Europe ’s Energy Security Act (PEESA), in dem Sanktionen gegen Personen und Unternehmen vorgesehen sind, die an der Bereitstellung von Schiffen zur Verlegung der Nord Stream 2-Pipeline beteiligt sind.5 Im Juli 2020 wurden schließlich durch den Protecting Europe’s Energy Security Clarification Act (PESCAA) die Sanktionen auf Personen und Unternehmen ausgeweitet, die 1 Der Brief im Volltext ist auf der offiziellen Internetseite des Senators Ted Cruz verfügbar: https://www.cruz.senate.gov/files/documents/Letters/2020.08.05%20Final%20Mukran%20Port%20Letter.pdf; zur Rezeption in Deutschland siehe insbesondere: Süddeutsche Zeitung vom 18. August 2020, „Zwei Häfen gegen die USA“, https://www.sueddeutsche.de/politik/nord-stream-2-lubmin-sassnitz-sanktionen- 1.5001962?reduced=true; vgl. auch New York Times vom 25. August 2020, German Town Fears Ruin by U.S. Effort to Stop Russian Pipeline, https://www.nytimes.com/2020/08/25/world/europe/nord-stream-2-germany-usrussia .html. 2 Vgl. zur Darstellung des Projekts Handelsblatt vom 7. September 2020, Nord Stream 2, https://www.handelsblatt.com/themen/nord-stream-2. 3 Siehe etwa Deutsche Welle vom 15. Juli 2020, Nord Stream 2 drohen neue US-Sanktionen, https://www.dw.com/de/nord-stream-2-drohen-neue-us-sanktionen/a-54189465; einige deutsche Kommentatoren sehen den letztgenannten Grund als vorrangig an, etwa Sommer, Theo, Verbündete, behandelt wie Schurkenstaaten, Zeit Online vom 18. August 2020, https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-08/nord-stream-2- donald-trump-wladimir-putin-russland-sassnitz-erdgas. 4 Siehe Sec. 232, 235 CAATSA. Der Volltext von CAATSA sowie die Übersicht der dazugehörigen Ausführungsvorschriften sind auf der offiziellen Seite des US-Finanzministeriums zu finden, U.S. Department of the Treasury , https://home.treasury.gov/policy-issues/financial-sanctions/sanctions-programs-and-countryinformation /countering-americas-adversaries-through-sanctions-act. 5 Siehe Sec. 3 PEESA. Der Volltext ist auf der offiziellen Seite des US-Kongresses verfügbar, https://www.congress.gov/bill/116th-congress/house-bill/4818/text. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 075/20 Seite 5 auch in sonstiger Weise das Nord Stream 2-Projekt unterstützen: Vorbereitende Arbeiten ausführen , die Schiffe warten oder aufrüsten, Risiken versichern.6 Damit fallen die deutschen Häfen Mukran-Sassnitz auf Rügen sowie auch Lubmin, an dem die Anschlussstelle von Nord Stream 2 am deutschen Festland vorgesehen ist, in den Geltungsbereich der US-Sanktionen. Juristischen Personen, deren Geschäftsführern und Arbeitnehmern drohen Einreiseverbote, Einfrierungen ihres Vermögens und der Ausschluss von der öffentlicher Auftragsvergabe in den USA. Zugleich kann US-Bürgern und Unternehmen verboten werden, mit den sanktionierten Personen und Unternehmen Geschäftsbeziehungen zu unterhalten. Sogar die Abwicklung der Geschäfte in US-Dollar kann für die Betroffenen unmöglich werden, denn diese erfordert zumeist eine – jedenfalls formelle – Mitwirkung einer US-Clearingstelle, die durch die Sanktionsgesetze jedoch untersagt wird.7 Gegenstand dieser Ausarbeitung ist die Frage, ob die US-Sanktionen mit dem Völkerrecht vereinbar sind. Dies wird zunächst anhand der bestehenden internationalen Vertragswerke geprüft (2.). Dann wird untersucht, ob die US-Sanktionen als Gegenmaßnahmen i.S.d. ILC-Artikelentwürfe zur Staatenverantwortlichkeit gerechtfertigt werden können (3.). Schließlich erfolgt die Prüfung von extraterritorialen Sanktionen anhand der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts (4.). 2. Internationale Vertragswerke 2.1. Freundschaftsvertrag zwischen Deutschland und den USA von 1954 Die Verhängung der Sanktionen durch die USA gegen deutsche Bürger und Unternehmer könnte zunächst gegen den Freundschaftsvertrag zwischen Deutschland und den USA8 verstoßen. Dieser enthält in Art. V Abs. 4 die Eigentumsgarantie, die für Deutsche in den USA gilt und durch eine Vermögenseinfrierung im Sinne der US-Sanktionen verletzt werden könnte. Art. XII Abs. 3 gewährt die Freiheit des Zahlungsverkehrs, Art. XIV Abs. 2 enthält die Freiheit vor Warenexportbeschränkungen , Art. XVII Abs. 2 das Recht an den öffentlichen Aufträgen teilzunehmen . 6 Siehe Sec. 2 PEESCA. Der Volltext ist auf der offiziellen Seite des US-Kongresses verfügbar, https://www.congress.gov/bill/116th-congress/housebill /7361/text?q=%7B%22search%22%3A%5B%22Protecting+Europe%27s+Energy+Security+Act++clarificatio n%22%5D%7D&r=1&s=1. 7 Vgl. kritisch zu der Anknüpfung der US-Sanktionen an die Mitwirkung der US-Clearingstelle bei der Abwicklung der Geschäfte in US-Dollar Gött, Henner, „Wirtschaftliche Vernichtung unter Freunden“, Verfassungsblog vom 25. August 2020, https://verfassungsblog.de/wirtschaftliche-vernichtung-unter-freunden/. 8 Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29. Oktober 1954, BGBl. 1956 II S. 487, https://www.hjrverlag .de/out/pictures/wysiwigpro/Download/978-3-8114-6054-6_Download_118.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 075/20 Seite 6 Allerdings können diese Freiheiten gem. Art. XIV Nr. 1 d) durch Maßnahmen eingeschränkt werden , die zum Schutz der wesentlichen Sicherheitsinteressen einer der Vertragsparteien notwendig sind. Das in den US-Sanktionsgesetzen zum Ausdruck kommende weite Verständnis der USA hinsichtlich ihrer nationalen Sicherheitsinteressen lässt sich kaum objektiv überprüfen.9 Auch wenn Deutschland argumentiert, dass Nord Stream 2 keine Gefahr für die Sicherheit der USA darstellt und überhaupt keinen Bezug zu den USA aufweist, so ist jedes Land grundsätzlich berechtigt , die eigenen Sicherheitsinteressen eigenständig zu definieren. Ein Verstoß gegen den Freundschaftsvertrag liegt aus diesem Grund eher fern. Art. XVII eröffnet beiden Parteien das Recht, im Falle der Streitigkeiten über die Vertragsauslegung Konsultationen zu verlangen und die Streitigkeit einem Schiedsgericht oder einvernehmlich dem Internationalen Gerichtshof zu unterbreiten. Ob die USA hierzu bereit sind, bleibt abzuwarten . 2.2. WTO-Recht Sowohl Deutschland als auch die EU und die USA sind Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO). Die von den USA beschlossenen Sanktionen könnten deswegen gegen die WTO- Bestimmungen, insbesondere das in Art. I GATT10 verankerte Meistbegünstigungsprinzip, verstoßen . Denn die deutschen Unternehmen, die das Projekt Nord Stream 2 unterstützen, werden an ihrer Wirtschaftstätigkeit in den USA durch die Sanktionen gehindert. Allerdings können die verhängten Beschränkungen durch eine Ausnahmeklausel zum Schutz der nationalen Sicherheit, Art. XXI GATT, gerechtfertigt werden. Nach den Vorstellungen der Urheber der Norm sollte jeder Staat im Zweifel selbst Herr über die Entscheidung sein, ob die eigene Sicherheit gefährdet sei, sodass diese Klausel ebenfalls weit ausgelegt werden kann.11 Sollten Deutschland bzw. andere betroffene europäische Staaten, bzw. die EU als WTO-Mitglied, die US-Sanktionen als nicht gerechtfertigt nach dem WTO-Recht ansehen, so steht ihnen der WTO-Streitbeilegungsmechanismus zur Verfügung.12 Allerdings ist zu bemerken, dass eine abschließende Entscheidung der vorgesehenen Berufungsinstanz gegenwärtig und in der näheren 9 Siehe hierzu auch Gött, Henner (Fn. 7). 10 Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen vom 30. Oktober 1947, Stand 12. August 2003, https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19470239/index.html. 11 Siehe ausführlich zu der weiten Auslegung des Art. XXI GATT den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste vom 15. Juni 2018, Auslegung des Artikel XXI GATT (Ausnahmen zur Wahrung wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen ) durch den Dispute Settlement Body der Welthandelsorganisation, WD 2 – 3000 – 073/18, S. 4 ff., https://www.bundestag.de/resource/blob/568260/a49a1c6e972e4f9852d8a0d6ef536646/WD-2-073-18-pdfdata .pdf. 12 Vgl. hierzu Europäisches Parlament, Die Europäische Union und die Welthandelsorganisation, Stand: November 2019, https://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/161/die-europaische-union-und-diewelthandelsorganisation . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 075/20 Seite 7 Zukunft aufgrund der Blockadehaltung der USA bei der Nachbesetzung der Richterstellen kaum zu erwarten ist.13 2.3. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die beschlossenen US-Sanktionen durch weite Ausnahmeklauseln im Freundschaftsvertrag bzw. in den WTO-Bestimmungen gerechtfertigt werden können. Es bestünde auch kaum eine effektive Möglichkeit für Deutschland, einen etwaigen Verstoß auf internationaler Ebene gerichtlich geltend zu machen, da hierfür stets eine Mitwirkung der USA erforderlich ist. 3. Rechtfertigung nach ILC-Entwürfen zu Staatenverantwortlichkeit Die US-Sanktionen könnten nach Maßgabe der von der Völkerrechtskommission der Vereinigten Nationen ausgearbeiteten Artikelentwürfe zur Staatenverantwortlichkeit (ILC-Artikelentwürfe)14 gerechtfertigt sein. Diese sind kein völkerrechtlicher Vertrag, sondern wurden lediglich von der VN-Generalversammlung zur Kenntnis genommen;15 jedoch spiegeln sie im Wesentlichen den gegenwärtigen Stand des Völkergewohnheitsrechts.16 Nach Art. 49 Abs. 1 ILC-Artikelentwürfe kann der verletzte Staat Gegenmaßnahmen (Sanktionen) gegen den Staat verhängen, der für die Völkerrechtsverletzung verantwortlich ist, um diesen Staat zur Erfüllung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen anzuhalten. Im Sinne dieses Artikels könnte man die beschlossenen US-Sanktionen als Gegenmaßnahmen verstehen, die eine Reaktion der USA auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim sowie den von Russland ge- 13 Siehe etwa Handelsblatt vom 2. September 2019, Blockade bei der WTO: Trump bleibt im Richterstreit hart, https://www.handelsblatt.com/politik/international/richterposten-blockade-bei-der-wto-trump-bleibt-imrichterstreit -hart/25320766.html?ticket=ST-7286944-3Kl51Ifp5iURcEWusLQm-ap3. 14 International Law Commission, Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, 2001, https://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english/commentaries/9_6_2001.pdf; in deutscher nichtamtlicher Übersetzung verfügbar unter: http://eydner.org/dokumente/darsiwaev.PDF. 15 United Nations, General Assembly, Resolution A/RES/56/83 vom 28. Januar 2002, https://documents-ddsny .un.org/doc/UNDOC/GEN/N01/477/97/PDF/N0147797.pdf?OpenElement. 16 Ausführlich zu Entstehungsgeschickte und Inhalt der ILC-Artikelentwürfe: Crawford, James R., Max Planck Encyclopedia of Public International Law (MPEPIL), State Responsibility, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1093#law- 9780199231690-e1093-div1-3; Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste vom 8. Juli 2019, Rechtsfragen zu völkerrechtlichen Sanktionen, WD 2 – 3000 – 071/19, S. 6 f., https://www.bundestag.de/resource/blob/657444/ae4d7f74e93145b7ca5e8aa8c8042bdf/WD-2-071-19-pdfdata .pdf Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 075/20 Seite 8 steuerten Krieg in der Ostukraine darstellen.17 Allerdings wäre insoweit nur die Ukraine als verletzter Staat berechtigt, Gegenmaßnahmen zu ergreifen – nicht dagegen die USA, die von den völkerrechtswidrigen Handlungen Russlands nicht unmittelbar betroffen sind. Zwar enthält der Art. 48 Abs. 1 b) ILC-Artikelentwürfe eine Bestimmung, wonach jeder Staat zum Remonstrieren berechtigt ist, sofern eine völkerrechtliche Pflicht verletzt wurde, die der internationalen Gemeinschaft als Ganzes gegenüber besteht (Prinzip des „Weltpolizisten“). Als Rechtsfolge berechtigt Art. 48 ILC-Artikelentwürfe jedoch nicht zur Verhängung von Gegenmaßnahmen. Auch der Rückgriff auf Art. 41 der ILC-Artikelentwürfe, der von der Zusammenarbeit aller Staaten „durch rechtmäßige Mittel“ („lawful means“) bei einer schwerwiegenden Völkerrechtsverletzung spricht, führt nicht weiter: Denn diese rechtmäßigen Mittel werden im Art. 41 der ILC- Artikelentwürfe nicht definiert, es handelt sich gerade um ein anderes Instrumentarium als die Gegenmaßnahmen nach Art. 49-54 der ILC-Artikelentwürfe.18 Auch Art. 54 der ILC- Artikelentwürfe spricht ebenfalls lediglich von den „sonstigen rechtmäßigen Maßnahmen“ („lawful measures“) eines jeden Staates, ohne Voraussetzungen für deren Rechtmäßigkeit zu definieren .19 Insofern ist festzuhalten, dass die Bestimmungen der ILC-Artikelentwürfe keine völkerrechtliche Rechtfertigung für die beschlossenen US-Sanktionen vorsehen. 17 So insbesondere Luchterhandt, Otto, „Russland, Nord-Stream 2 und die neuen US-Sanktionen“, in: Ost/Letter- 3-2007 (Dezember 2017), https://www.ostinstitut.de/documents/Luchterhandt_Russland_Nord_Stream_2_und_die_neuen_US_Sanktione n_OL_3_2017.pdf; zur völkerrechtlichen Einordnung der Krim-Annexion siehe Peters, Anne/Marxen, Christian, „Die Krimkrise und die Reterritorialisierung internationaler Konflikte“, Forschungsbericht 2014 – Max Planck Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, https://www.mpg.de/8906607/MPIL_JB_20151. 18 So aber wenig überzeugend Luchterhandt, Otto (Fn. 17), S. 7, der von deswegen von der grundsätzlichen Berechtigung der USA ausgeht, nach ILC-Artikelentwürfen Sanktionen gegen Russland zu verhängen und dann aufgrund des Verstoßes gegen Art. 49 der ILC-Artikelentwürfen zum Ergebnis kommt, die US-Sanktionen seien deswegen völkerrechtswidrig. 19 Vgl. hierzu ausführlich Hafner, Gerhard, Völkerrechtliche Grenzen und Wirksamkeit von Sanktionen gegen Völkerrechtssubjekte, ZaöRV 76 (2016), S. 391, 405 ff. mit weiteren Nachweisen https://www.zaoerv.de/76_2016/76_2016_2_a_391_414.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 075/20 Seite 9 4. Die US-Sanktionen im Lichte allgemeiner Völkerrechtsprinzipien 4.1. Das völkergewohnheitsrechtliche Nichteinmischungsgebot Ausgangspunkt der Beurteilung ist das völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Nichteinmischungsgebot (Interventionsverbot). Dieses untersagt einem Staat, sich in Angelegenheiten anderer Staaten mit politischen, wirtschaftlichen, finanziellen oder sonstigen Mitteln einzumischen.20 Das Nichteinmischungsgebot gilt aber nicht absolut: Gerade bei wirtschaftlichen Maßnahmen ist zu berücksichtigen, dass in der modernen Welt die internationale wirtschaftliche Verflechtung weit vorangeschritten ist, sodass eine ökonomische Entscheidung eines Staates automatisch die Wirtschaftsverhältnisse in einem anderen Staat beeinflussen und ihn dadurch unter Druck setzen kann.21 Dabei kann es nicht primär auf das vom sanktionierenden Staat verfolgte Ziel ankommen, denn dieses ist oft schwer zu bestimmen: Zwar verbinden Staaten oft bestimmte Ziele mit der Verhängung von Sanktionen,22 jedoch können Maßnahmen, die die Wirtschaft eines anderen Staates beeinflussen, auch ohne eine solche ausdrückliche Zielsetzung erfolgen. Eine verlässliche Beurteilung der Zwecksetzung in der Praxis wäre deswegen kaum möglich und mit äußerster Rechtsunsicherheit verbunden.23 Entscheidend ist daher nicht die – offizielle oder tatsächliche – Zielsetzung des sanktionierenden Staates, sondern vielmehr die Mittel, mit denen auf den sanktionierten Staat eingewirkt wird, sowie die Intensität der Auswirkungen der Maßnahmen, die eine bestimmte Erheblichkeitsschwelle überschreiten muss.24 Hierbei gilt aber auch, dass das Völkerrecht grundsätzlich kein Recht eines Staates auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit25 bzw. kein individuelles Menschenrecht auf die Einreise in ein 20 Krajewski, Markus, Völkerrecht, 1. Aufl. 2017, § 8 Rn. 37 ff.; umfassend zum Interventionsverbot Kunig, Philip, in: Max Planck Encyclopedia of Public International Law (MPEPIL), https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1434#law- 9780199231690-e1434-div2-4. 21 Hierzu Kunig, Philip, MPEIL (Fn. 21), Rn. 25 f. Heintschel von Heinegg, Wolff, in: Ipsen, Völkerrecht, 7. Aufl. 2018, § 55 Rn. 48. 22 So haben die USA bereits in der Begründung zu dem CAATSA-Akt von 2017, nämlich in der Sec. 257 Punkte 7- 10 angegeben, dass die Sanktionen dazu verhängt werden, um der Ukraine und anderen US-Verbündeten dabei zu helfen, die Abhängigkeit vom russischen Gas zu reduzieren und auch den Export aus den USA anzukurbeln, um Jobs in den USA zu schaffen, vgl. hierzu Luchterhand, Otto (Fn. 17), S. 3 ff. 23 Heintschel von Heinegg, Wolff, in: Ipsen, Völkerrecht, (Fn. 21), § 55 Rn. 48. 24 Heintschel von Heinegg, Wolff, in: Ipsen, Völkerrecht (Fn. 21), § 55 Rn. 48. Kewenig, Wolfang, Die Anwendung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen im Völkerrecht und im internationalen Privatrecht, BDGVR 22 (1982), http://www.dgfir.de/workspace/media/documents/berdgvr-1981-kewenigthesen .pdf. 25 So Lohmann, Sascha, Extraterritoriale US-Sanktionen, SWP-Aktuell Nr. 31 vom 31. Mai 2019, S. 6 https://www.swp-berlin.org/publikation/extraterritoriale-us-sanktionen/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 075/20 Seite 10 anderes Land kennt, sodass der Abbruch von Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, der Ausschluss von öffentlichen US-Aufträgen oder die Verweigerung der Einreise deutscher oder EU- Bürger für sich genommen nicht völkerrechtswidrig erscheinen.26 Selbst wenn man das erklärte Ziel der USA berücksichtigen würde, auf die deutsche und die europäische Energiepolitik einzuwirken, so erscheint es sehr zweifelhaft, ob die übrigen US- Sanktionen wie zum Beispiel Vermögenseinfrierungen bzw. auch die US-Sanktionen in ihrer Gesamtheit, die erforderliche Schwelle des Interventionsverbots erreichen.27 Zwar mag es für die betroffenen Personen und Unternehmen ein belastender wirtschaftlicher Einschnitt bis hin zum Verlust der wirtschaftlichen Existenz bedeuten, sollten etwa ihr Vermögen in den USA eingefroren bzw. die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit US-Unternehmen unmöglich gemacht werden. Hinsichtlich der Auswirkung auf die deutsche (und europäische) Wirtschaft ist jedoch anzumerken , dass die US-Sanktionen keinen spürbaren Effekt hinterlassen dürften: Weder ist die Energiesicherheit der EU nachhaltig gefährdet, da Alternativrouten für Gaslieferungen, einschließlich der bestehenden Route über die Ukraine und Polen möglich bleiben, noch ist das Kontrahierungsverbot für die betroffenen deutschen Unternehmen und Personen so kostspielig, als dass die entstehenden Schäden nicht etwa durch staatliche Hilfen abgefedert werden könnten. Die US-Sanktionen dürften also im Ergebnis nicht gegen das völkerrechtliche Nichteinmischungsgebot verstoßen. 4.2. Extraterritorialität von Sanktionen Im Rahmen seiner Hoheitsgewalt ist jeder Staat berechtigt ist, das Verhalten von Personen und Unternehmen zu regulieren und auch zu sanktionieren. Problematisch ist die Reichweite von Sanktionen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten (Extraterritorialität). Entscheidend ist ob ein hinreichend enger Anknüpfungspunkt (genuin link) zwischen dem sanktionierenden Staat und dem zu sanktionierenden Verhalten besteht.28 Der Wirtschaftsvölkerrechtler Werner Meng beurteilte die Rechtslage schon vor über 20 Jahren wie folgt:29 „Der Befund ist ernüchternd: Das Völkerrecht hat im Bereich extraterritorialer Jurisdiktion keine ausreichenden funktionalen Regeln, um Konflikte der hier erörterten Art im Bereich 26 So Hafner, Gerhard (Fn. 19), S. 397 f. 27 Ebenfalls sehr zurückhaltend hinsichtlich der Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle des Interventionsverbots Gött, Henner (Fn. 7). 28 Siehe hierzu Heintschel von Heinegg, in: Beck´scher Kommentar zum StGB, 46. Edition, Stand 1. Mai 2020, § 3 Rn. 12; Gött, Henner (Fn. 7). 29 Meng, Werner, Wirtschaftssanktionen und staatliche Jurisdiktion – Grauzonen im Völkerrecht, ZaöRV 1997, 317, https://www.zaoerv.de/57_1997/57_1997_2_3_a_269_328.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 075/20 Seite 11 von Wirtschaftssanktionen zu verhindern. Grauzonenbereiche, in denen allgemeine Prinzipien vom Normsetzer nicht weiter konkretisiert werden und auch vom Richter oder Wissenschaftler nur ad hoc konkretisiert werden können, beherrschen die Rechtslage.“ Auch 20 Jahre später ist festzustellen, dass sich an diesem Befund nicht viel geändert hat. Sanktionen werden immer mehr als Instrument der Außenpolitik genutzt, nicht nur durch die USA, sondern zunehmend auch durch die EU,30 durch Russland31 oder China.32 Die extraterritoriale Wirkung dieser Sanktionen lässt sich, wenn überhaupt, nur vor den nationalen Gerichten des jeweiligen Staates überprüfen, der die Sanktionen erlässt.33 Extraterritoriale Sanktionen spielen sich daher zumeist in einer „völkerrechtlichen Grauzone“ ab.34 4.2.1. Anknüpfungspunkte für extraterritoriale Sanktionen Klassischer Anknüpfungspunkt ist das Territorium, sodass es einem Staat freisteht, innerhalb der eigenen Grenzen alle Sachverhalte verbindlich zu regeln (Territorialitätsprinzip). Ferner darf ein Staat an die Staatsangehörigkeit anknüpfen und sowohl den eigenen Staatsangehörigen im Ausland Sanktionen für ein bestimmtes Verhalten androhen (aktives Personalitätsprinzip) als auch Fehlverhalten gegenüber eigenen Staatsangehörigen im Ausland sanktionieren (passives Personalitätsprinzip ). 35 In ihrer Reichweite umstritten sind dagegen das Auswirkungsprinzip,36 bei dem ein Staat ein Verhalten im Ausland mit Sanktionen belegt, um erheblichen Auswirkungen auf dem eigenen Staatsgebiet entgegen zu wirken, sowie das Schutzprinzip, bei dem ein Verhalten 30 Siehe Rat der Europäischen Union, Sanktionen: Wann und wie die EU restriktive Maßnahmen verhängt, https://www.consilium.europa.eu/de/policies/sanctions/. 31 Siehe Deutsch-Russische AHK, Sanktionen/Gegensanktionen Russlands, https://russland.ahk.de/infothek/sanktionen. 32 Siehe BBC-News vom 10. August 2020, “China imposes sanctions on US senators over Hong Kong”. 33 So ist es etwa dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska gelungen, von der US-Sanktionsliste zu kommen, nachdem er sich nach einer entsprechenden Klage außergerichtlich mit dem US-Finanzministerium einigte und wohl Kontrolle über Teile seiner Unternehmen abgeben musste, siehe NTV vom 28. Januar 2019, Deripaska gibt Kontrolle ab, Trump hebt Sanktionen gegen Rusal auf, https://www.n-tv.de/politik/Trump-hebt-Sanktionengegen -Rusal-auf-article20831597.html. 34 So bereits ausdrücklich Meng, Werner (Fn. 29); auch Lohmann, Sascha (Fn. 25), so im Grundsatz auch Luchterhandt, Otto (Fn. 17), S. 9; vgl. Gött, Henner (Fn. 7); vgl. auch den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste vom 8. Juli 2019, Rechtsfragen zu völkerrechtlichen Sanktionen, WD 2 – 3000 – 071/19, S. 16 mit weiteren Nachweisen, https://www.bundestag.de/resource/blob/657444/ae4d7f74e93145b7ca5e8aa8c8042bdf/WD-2- 071-19-pdf-data.pdf. 35 Siehe hierzu die Übersicht bei Lohmann, Sascha (Fn. 25), S. 6. 36 Vgl. zur dogmatischen Herleitung und geschichtlicher Entwicklung des Auswirkungsprinzips, Ambos, Kai, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, Vorbemerkung zu § 3, Rn. 21 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 075/20 Seite 12 im Ausland sanktioniert wird, welches die Sicherheitsinteressen eines Staates gefährdet.37 4.2.2. Zur Sanktionspraxis der USA Die USA legen bereits seit Jahrzehnten die Anknüpfungspunkte für extraterritoriale Sanktionen extensiv aus und verhängen weitreichende Sanktionen für ein Verhalten im Ausland, welches für sich genommen nur einen eher losen Bezug zu den USA aufweist. So gab es bereits Anfang der 1980er Jahre einen Streitfall zwischen den USA und den europäischen Unternehmen, bei dem es ebenfalls um einen Pipeline-Bau von der damaligen Sowjetunion nach Europa ging und die USA darauf mit Sanktionen gegen die beteiligten Unternehmen antworteten.38 Damals argumentierten die USA eher mit der weiten Auslegung des Personalitätsprinzips, wonach auch Unternehmen, die durch US-Unternehmen oder US-Bürger beherrscht wurden, ebenfalls als US-Unternehmen behandelt wurden. Aber auch Waren, die ihren Ursprung in den USA hatten oder die mit der in den USA lizensierter Technologie hergestellt waren, wurden sanktioniert.39 Die damalige EWG protestierte gegen diese Sanktionen und hielt sie für völkerrechtswidrig. Schließlich konnten die Sanktionen nach den Verhandlungen zwischen den USA und der EWG aufgehoben und die Pipeline durch das Territorium der heutigen Ukraine und Polens gebaut werden.40 Bezeichnenderweise wird heute durch die neuen Sanktionen der USA gerade diese Pipeline in ihrem Bestand indirekt geschützt. Auch in den folgenden Jahren verhängten die USA Sanktionen im Zusammenhang mit der Situation in Kuba, Libyen, Iran und einigen weiteren Ländern, um die Unternehmen und Personen aus dritten Ländern, die mit den genannten Ländern wirtschaftliche Beziehungen unterhielten, vom Handel mit den USA auszuschließen. 4.2.3. US-Sanktionen gegen das Nord Stream 2-Projekt Die US-Sanktionen gegen das Nord Stream 2-Projekt sind Bestandteil der „traditionellen“ Rechtspraxis der USA, die eigene Sanktionsgewalt möglichst weit auszulegen. Die von den Sanktionen betroffenen Staaten, allen voran die EU, haben diese Sanktionen in der Vergangenheit stets als völkerrechtswidrig bezeichnet.41 37 Lohmann, Sascha (Fn. 25), S. 6; Gött, Henner (Fn. 7). 38 Hierzu ausführlich, Werner, (Fn. 29), S. 269, 277 ff. 39 Meng, Werner (Fn. 29), S. 278. 40 Meng, Werner (Fn. 29), S. 279. 41 Siehe hierzu Meng, Werner (Fn. 29), S. 279 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 075/20 Seite 13 Auch aktuell hat der EU-Außenbeauftragte Josep Borell die von den USA beschlossenen Sanktionen gegen Nord Stream 2 ausdrücklich als völkerrechtswidrig bezeichnet.42 Auch die EU-Energie- Kommissarin Kadri Simson hielt die extraterritoriale Anwendung von US-Sanktionen für völkerrechtswidrig .43 Bundesaußenminister Heiko Maas hat sich bereits im Dezember geäußert und die US-Sanktionen wegen deren extraterritorialer Wirkung abgelehnt.44 Entgegen der eindeutigen Positionierung der EU ist aber die Argumentation der USA zum Schutzprinzip45 nicht ganz von der Hand zu weisen. Auch wenn eine direkte Auswirkung des Nord Stream 2-Projekts auf die nationale Sicherheit der USA fern liegt, so sind mittelbare Auswirkungen nicht auszuschließen. Den USA steht es bereits nach den Ausnahmeklauseln im Freundschaftsvertrag und in den WTO-Bestimmungen frei, ihre nationalen Sicherheitsbelange eigenständig zu definieren.46 Die von den USA vorgetragenen Argumente zur Gefährdung der nationalen Sicherheit könnten zwar als „vorgeschoben“ empfunden werden, sind aber letztlich Ausfluss eines politischen Ermessensspielraums, der sich praktisch kaum justitiabel machen lässt. Auch existieren keine objektiven völkerrechtlichen Kriterien, um die Auslegung und Anwendung des Schutzprinzips rechtlich einzuhegen. Das Schutzprinzip wird einmal mehr seinem Ruf als „Brutstätte für Jurisdiktionskonflikte“ gerecht.47 Auch das Auswirkungsprinzip könnte die extraterritoriale Sanktionsgewalt der USA jedenfalls in den Fällen begründen, in denen die Unterstützungshandlungen für das Nord Stream 2-Projekt eine Abwicklung in US-Dollar erfordern und insoweit direkte Auswirkungen auf das US- Territorium (US-Clearingstelle) entfalten. 42 Meldung bei FAZ online vom 18. Juli 2020, „EU-Außenbeauftragter kritisiert Amerikas Sanktionspolitik“, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/eu-aussenbeauftragter-kritisiert-amerikas-sanktionspolitik- 16866154.html. 43 Meldung bei Focus online vom 14. August 2020, EU-Kommission zu Nord Stream 2: US-Sanktionen würden gegen Völkerrecht verstoßen, https://www.focus.de/finanzen/boerse/es-fehlen-nur-noch-die-letzten-kilometereu -kommission-zu-nord-stream-2-us-sanktionen-verstossen-gegen-voelkerrecht_id_12281666.html. 44 Meldung bei Welt.de vom 12. Dezember 2019, Nord Stream 2 – Heiko Maas verurteilt US-Sanktionen, https://www.welt.de/politik/ausland/article204246094/Repraesentantenhaus-Nord-Stream-2-Heiko-Maasverurteilt -US-Sanktionen.html. 45 Siehe Ambos, Kai, in: Münchener Kommentar zum StGB (Fn. 30), Vorbemerkung zu § 3 Rn. 36 ff. 46 Siehe hierzu oben unter II. 47 So Ambos, Kai, in: Münchener Kommentar zum StGB, (Fn. 30), Vorbemerkung zu § 3, Rn. 37 Fn. 305 mit weiteren Nachweisen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 075/20 Seite 14 5. Fazit Die US-Sanktionen gegen das Nord Stream 2-Projekt machen einmal mehr die völkerrechtlichen „Baustellen“ des internationalen Sanktionsrechts deutlich. Wirtschaftlich starke Staaten haben immer schon danach getrachtet, ihre wirtschaftspolitischen Ziele gegenüber anderen Staaten durch Ausübung von wirtschaftlichem Druck durchzusetzen. Bleiben die sanktionierenden Staaten dabei „maßvoll“ unterhalb der Intensitätsschwelle, die das Völkerrecht – wenn auch nur sehr vage – für die Verletzung des Interventionsverbotes aufstellt, und berufen sie sich dabei auf den Schutz nationaler Sicherheitsinteressen und die negativen Auswirkungen auf die eigene Wirtschaft, so kann das Völkerrechts dem Ergreifen von extraterritorialen Sanktionen nur wenig entgegensetzen. Nicht zuletzt die Berufung eines Staates auf das – völkergewohnheitsrechtlich anerkannte – Auswirkungs- und Schutzprinzip eröffnet legitime Anknüpfungspunkte (genuin links) für extraterritoriale Regelungen, die zwar als „vorgeschoben“ bzw. als territoriale Überdehnung einer Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt politisch kritisiert werden können, rechtlich aber nur eingeschränkt justitiabel sind. Eine völkerrechtliche Eingrenzung solcher Anknüpfungspunkte haben u.a. die internationalen Spruchkörper der WTO zwar immer wieder vorgenommen , doch landen beileibe nicht alle extraterritorialen Sanktionen vor internationalen oder nationalen Gerichten. Umso bedeutsamer erscheinen rechtliche Reaktionen der Staatengemeinschaft, welche die nationale Sanktionspolitik wirtschaftlicher Supermächte kommentieren und mit guten Argumenten kritisieren. Wenn es um die Zulässigkeit extraterritorialer Sanktionsgesetzgebung geht, können solche Reaktionen – neben ihren politischen Wirkungen – durchaus aber auch zur rechtlichen Schärfung strittiger bzw. interpretationsoffener Anknüpfungspunkte beitragen. Deutschland bleibt es unbenommen, im Rahmen unterschiedlicher Formate (z.B. dem bilateralen Freundschaftsvertrag oder im Rahmen der WTO) weiterhin eine diplomatische Lösung mit den USA anzustreben. Überdies können betroffene deutsche Firmen vor den zuständigen US- Gerichten gegen die amerikanischen Sanktionsmaßnahmen klagen.48 Die Frage nach staatlichen Entschädigungen für die von US-Sanktionen betroffenen deutschen Unternehmen ist vor deutschen Gerichten zu klären. *** 48 So die ausdrückliche Empfehlung von Lohmann, Sascha (Fn. 25); in diesem Sinne offen auch Gött, Henner (Fn. 7).