© 2017 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 075/17 Rechtsfragen bei Seenotrettungseinsätzen innerhalb einer libyschen SAR-Zone im Mittelmeer Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 075/17 Seite 2 Rechtsfragen bei Seenotrettungseinsätzen innerhalb einer libyschen SAR-Zone im Mittelmeer Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 075/17 Abschluss der Arbeit: 25. August 2017 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 075/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. SAR-Zonen und Meereszonen nach dem VN-Seerechtsübereinkommen 4 2. Befugnisse des Küstenstaates und der nationalen SAR- Rettungsleitstelle sowie Rechtspositionen ausländischer Seenotrettungsschiffe im Küstenmeer und in der SAR- Zone 5 2.1. Küstenmeer 5 2.2. SAR-Zone jenseits des Küstenmeeres 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 075/17 Seite 4 1. SAR-Zonen und Meereszonen nach dem VN-Seerechtsübereinkommen Auf der Grundlage des Übereinkommens über Seenotrettung (Convention on Maritime Search and Rescue, SAR-Konvention)1 können Küstenstaaten bestimmte Meereszonen eingrenzen („search and rescue regions“, sog. SAR-Zonen), um dafür die seenotrettungsrechtliche Verantwortung zu übernehmen.2 Damit einher geht etwa die Verpflichtung der Küstenanrainer, Rettungsleitstellen (rescue coordination centres) einzurichten, Rettungsoperationen zu koordinieren und entsprechende Pläne auszuarbeiten.3 Mit der Ausweisung und Inanspruchnahme einer SAR-Zone von 74 nautischen Meilen sowie der Notifizierung einer nationalen Rettungsleitstelle gegenüber der zentralen Koordinierungsstelle in Rom nimmt Libyen, welches der SAR-Konvention 2016 beigetreten ist, zunächst einmal seine völkerrechtlichen Verpflichtungen aus diesem Abkommen wahr. Die einseitige Inanspruchnahme einer SAR-Zone durch einen Küstenstaat (gewissermaßen „nach Gutdünken“) ist dabei allerdings nicht vorgesehen. Nach Maßgabe der SAR-Konvention soll die SAR-Zone in Abstimmung mit den anderen Vertragsparteien errichtet werden (Annex, Punkt 2.1.4). Eine konsensuale Lösung – ggf. unter Vermittlung der International Maritime Organisation – soll dabei Überschneidungen zwischen den SAR-Zonen verhindern und eine effektive und lückenlose Seenotrettung sicherstellen (Annex zur SAR-Konvention, Punkt 2.1.8). SAR-Zonen sind rechtlich zu unterscheiden von den im VN-Seerechtsübereinkommen (SRÜ) klassifizierten Meereszonen. Das SRÜ unterscheidet dabei zwischen dem Küstenmeer (Territorialgewässer , bis max. 12 Seemeilen), der sog. Anschlusszone (bis max. 24 Seemeilen), der ausschließlichen Wirtschaftszone (bis 200 Seemeilen) und der Hohen See. SAR-Zonen reichen regelmäßig weit über das Küstenmeer bis in die Hohe See hinaus, um möglichst alle Meeresgebiete für die Seenotrettung abzudecken. Innerhalb der SAR-Zonen gelten neben den Regeln der SAR-Konvention auch die des SRÜ, welches insoweit das Seevölkergewohnheitsrecht abbildet.4 1 Übereinkommen über Seenotrettung (unterzeichnet am 27. April 1979, in Kraft getreten am 22. Juni 1985), U.N.T.S., Vol. 1405, S. 118. 2 Eine dahingehende Pflicht ergibt sich bereits aus Art. 98 Abs. 2 des VN-Seerechtsübereinkommens von 1982. 3 Vgl. Kapitel 2 und 3 des Annexes zur SAR-Konvention sowie das International Aeronautical and Maritime Search and Rescue Manual, Quebec, 2013 Edition (Punkte 2.3. und 5.2). 4 Unerheblich ist insoweit, dass etwa Libyen die Seerechtskonvention bis heute nicht ratifiziert hat, vgl. insoweit auch das Gutachten WD 2 – 3000 – 053/17 v. 19.6.2017, „Die völkerrechtliche Pflicht zur Seenotrettung“, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 075/17 Seite 5 2. Befugnisse des Küstenstaates und der nationalen SAR-Rettungsleitstelle sowie Rechtspositionen ausländischer Seenotrettungsschiffe im Küstenmeer und in der SAR-Zone Die Rechte von Seenotrettungsschiffen auf See (z.B. von NGO wie „Ärzte ohne Grenzen“ oder „Sea-Eye“) sowie die Befugnisse des jeweiligen Küstenstaates richten sich weitgehend nach dem Standort des Schiffes. 2.1. Küstenmeer Die Grenze des Küstenmeeres markiert die unveränderliche Staatsgrenze des Küstenstaates. Die Einrichtung einer SAR-Zone hat keinerlei Auswirkungen auf die Staatsgrenzen im Meer.5 Das Recht zur Ausübung von territorialer Hoheitsgewalt, welches den Küstenanrainern innerhalb des Küstenmeeres – und unter gewissen Einschränkungen auch noch in der sog. Anschlusszone (Art. 33 SRÜ)6 – zusteht, gilt damit nicht für die SAR-Zone jenseits des Küstenmeeres. Im Küstenmeer – also in den Territorialgewässern eines Staates – besteht ein ungehindertes Recht ausländischer Schiffe zur friedlichen Durchfahrt (Art. 17 und 24 Abs. 1 SRÜ); einschließlich des Rechts zum Ankern für den Fall einer Hilfeleistung für Personen in Seenot anlässlich einer Durchfahrt (Art. 18 Abs. 2 SRÜ). Vielschichtig und problematisch erscheint in diesem Zusammenhang die Frage, ob das Recht auf Durchfahrt auch die Ein- und Ausfahrt in das Küstenmeer allein zum Zwecke der Seenotrettung umfasst.7 Nach dem Wortlaut des Art. 18 SRÜ dient das Durchfahrtsrecht allein dem Zweck, das Territorialgewässer ohne Unterbrechung zügig zu durchqueren oder eine Hafenanlage anzulaufen. Art. 17 SRÜ begründet also nur ein Transit- und kein Aufenthaltsrecht ausländischer Schiffe im Küstenmeer – auch nicht zu Seenotrettungszwecken. 5 „The delimination of search and rescue regions is not related to and shall not prejudice the delimination of any boundaries between States“ (Annex, Punkt 2.1.7). 6 Zu den Kontrollbefugnissen in dieser Grenzkontrollzone vgl. näher Graf Vitzthum, Handbuch des Seerechts, München 2006, Kap. 2, Rdnr. 181 ff. (188 ff.). Die Anschlusszone darf sich nicht mehr als 24 Seemeilen über die Basislinie hinaus erstrecken (Art. 33 Abs. 2 SRÜ). 7 Problematisierend Honniball/Schatz, “The C-Star`s Odyssey and the International Law of the Sea”, Völkerrechtsblog v. 21.8.2017, http://voelkerrechtsblog.org/the-c-stars-odyssey-and-the-international-law-of-the-sea/: “The question under which circumstances unwanted SAR operations would be non-innocent certainly warrants further analysis (…).” Art. 19 Abs. 1 SRÜ begründet gesetzessystematisch eine Vermutung für die “Friedlichkeit” der Durchfahrt, die nur durch eine der Ausnahmetatbestände des Art. 19 Abs. 2 lit. a-l SRÜ – diese reichen von Militärmanövern über Propagandahandlungen, Fischereitätigkeiten bis hin zu Forschungs- und Vermessungsarbeiten – widerlegt werden kann. Die Seenotrettung wird in Art. 19 Abs. 2 SRÜ bezeichnenderweise nicht aufgeführt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 075/17 Seite 6 Ein Patrouillieren ausländischer Seenotrettungsschiffe im libyschen Küstenmeer wäre demnach als Verletzung des Territorialitätsprinzips zu werten.8 Liegt ein konkreter Seenotfall vor,9 greift allerdings die allgemeine Pflicht zur Seenotrettung aus Art. 98 SRÜ. Diese ist nicht auf die Gewässer der Hohen See beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf das Küstenmeer.10 Die Pflicht zur Seenotrettung überlagert – ebenso wie das Recht auf friedliche Durchfahrt – das Territorialitätsprinzip. Die Seenotrettungspflicht würde leerlaufen, wenn sie begrifflich nicht grundsätzlich auch das Recht umfasste, zur Seenotrettung vorübergehend in fremde Territorialgewässer einzufahren.11 In diesem Sinne empfiehlt die SAR-Konvention den Vertragsparteien, die spontane Einfahrt ausländischer Schiffe in das nationale Küstenmeer allein mit dem Ziel, Schiffbrüchige zu retten, zu genehmigen. Dazu müssen ausländische Schiffe der nationalen Küstenwache allerdings ein entsprechendes Ersuchen übermitteln, welches die genauen Umstände und die Notwendigkeit der Einfahrt ins Küstenmeer offenlegt. „A Party should authorize (…) immediate entry into or over its territorial sea (…) solely for the purpose of searching for the position of maritime casualties and rescuing the survivors of such casualties (Annex, Punkt 3.1.2).12 The authorities of a Party which wishes its rescue units to enter into the territorial sea solely for the purpose of (…) rescuing the survivors of such casualties, shall transmit a request, giving full details of the projected mission and the need for it, to the rescue co-ordination center of that other Party” (Annex, Punkt 3.1.3). 8 In der Praxis patrouillieren die ausländischen Seenotrettungsschiffe privater Hilfsorganisationen indes knapp vor der Grenze des Küstenmeeres. 9 Wann Seenot vorliegt, ist weder völkervertraglich noch gewohnheitsrechtlich definiert. Generell wird jedoch von Seenot ausgegangen, wenn die begründete Annahme besteht, dass ein Schiff und die auf ihm befindlichen Personen ohne Hilfe von außen nicht in Sicherheit gelangen können und auf See verloren gehen. Hierzu gehören etwa eine Manövrierunfähigkeit des Schiffes, ein Mangel an Bordrettungsmitteln, eine die Gesundheit der Passagiere oder die Sicherheit des Schiffes gefährdende Überbelegung oder eine mangelnde Versorgung der Passagiere mit Nahrung, Trinkwasser und notwendigen Medikamenten. Irrelevant ist, ob die Notlage von den zu rettenden Personen selbst und/oder schuldhaft herbeigeführt wurde. Denn die Pflicht zur Seenotrettung ist eine unbedingte Verpflichtung, die lediglich an das Schutzbedürfnis der in Seenot geratenen Menschen anknüpft (vgl. zum Begriff der Seenot Sachstand, „Rechtliche Konsequenzen einer Behinderung von Seenotrettern“ v. 11. November 2016, WD 2 - 3000 - 138/16, S. 7; Proelss, United Nations Convention on the Law of the Sea: A Commentary , München, 2017, Art. 98, Rn. 9; Rah, Asylsuchende und Migranten auf See (2007), S. 102). 10 Art. 98 Abs. 1 lit. a) SRÜ verlangt eine Hilfeleistung gegenüber „jede(r) Person, die auf See in Lebensgefahr angetroffen wird (…).“ Vgl. insoweit auch das Gutachten WD 2 – 3000 – 068/17 v. 31.7.2017, „Der italienische Verhaltenskodex für private Seenotretter im Mittelmeer“, S. 9. 11 Dieses Recht verdeutlicht Art. 18 Abs. 2 SRÜ, wonach die Durchfahrt ohne Unterbrechung und zügig zu erfolgen hat, aber im Seenotfall unterbrochen werden darf. 12 Die Formulierung verwendet hier das Wort „should“ (und nicht „shall“), um deutlich zu machen, dass es sich hier nur um eine (unverbindliche) Empfehlung handelt – a provision recommended in the interest of safety of life at sea“ (Annex zur SAR-Konvention, Punkt 1.2). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 075/17 Seite 7 Liegt Gefahr im Verzug vor, weil die Behörden des Küstenstaates nicht reagieren oder die Rettung der Schiffbrüchigen durch die nationale Küstenwache zu spät kommen würde, wird man in einer Seenotrettungsoperation im Küstenmeer trotz fehlender Zustimmung des Küstenanrainerstaates wohl keinen Völkerrechtsverstoß erkennen können. Ob der Küstenstaat in einem solchen Fall die Einfahrt von ausländischen Schiffen ins Küstenmeer , die in friedlicher Absicht allein mit dem Ziel der Seenotrettung unterwegs sind, unter Androhung von Waffengewalt verhindern darf, muss bezweifelt werden,13 soll an dieser Stelle aber nicht näher untersucht werden. 2.2. SAR-Zone jenseits des Küstenmeeres Vergleichsweise eindeutig stellt sich dagegen die Rechtslage in den Gewässern jenseits des Küstenmeeres dar. In der sog. Anschlusszone kann der Küstenstaat lediglich gewisse Kontrollrechte ausüben, um Verstöße gegen Einreise-, Steuer- oder Gesundheitsgesetze in seinem Hoheitsgebiet zu verhindern. Die Behinderung von Seenotrettungsoperationen fällt nicht darunter. Keine einschlägigen Regelungen enthält das Regime über die ausschließliche Wirtschaftszone (Art. 55 ff. SRÜ). Schiffe unter ausländischer Flagge – darunter also auch solche privater Seenotrettungsorganisationen – können sich daher jenseits des Küstenmeeres auf den Grundsatz der Freiheit der Hohen See berufen (Art. 58 Abs. 1, 87 Abs. 1 a) und 90 SRÜ). Hier erscheint auch das Patrouillieren von Seenotrettungsschiffen zweifellos zulässig. Das Recht auf freie Schifffahrt gilt auch für eine SAR-Zone jenseits des Küstenmeeres. Eine Beeinträchtigung dieses Rechts, z.B. durch Reglementierung der Einfahrt in die Gewässer der SAR- Zone,14 womöglich unter Androhung / Anwendung von Zwangsmitteln, stellt einen Verstoß gegen das Seevölkerrecht dar. Solche Zwangsbefugnisse ergeben sich weder aus dem SRÜ noch aus der SAR-Konvention. Das SAR-Regime trifft im Wesentlichen operative Vorkehrungen im Bereich von Planung, Organisation, Ausbildung, Informationsaustausch und Koordinierung, um Seenotrettungsoperationen zu steuern und zu optimieren.15 13 Insoweit auch Honniball/Schatz, “The C-Star`s Odyssey and the International Law of the Sea”, Völkerrechtsblog v. 21.8.2017, http://voelkerrechtsblog.org/the-c-stars-odyssey-and-the-international-law-of-the-sea/: “The legality of a complete ban followed by potentially violent enforcement measures seems doubtful at best.” 14 Über derartige Maßnahmen der libyschen Küstenwache gegenüber ausländischen Seenotrettungsschiffen berichtet der Artikel von Oliver Meiler, „Wo sind sie?“, in: SZ v. 16.8.2017, S. 2. 15 Näher dazu International Aeronautical and Maritime Search and Rescue Manual, 2013 Edition, Punkte 2.3. u. 5.5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 075/17 Seite 8 Die Notifizierung einer libyschen SAR-Zone begründet auch keine exklusive Rettungskompetenz der libyschen Küstenwache in diesen Gewässern – ausländische Seenotrettungseinheiten können also innerhalb einer libyschen SAR-Zone weiterhin humanitär tätig werden.16 Doch ergeben sich aus dem SAR-Regime für die Praxis von Seenotrettungseinsätzen innerhalb der libyschen SAR-Zone gewisse operative Koordinierungsbefugnisse der nationalen libyschen Rettungsleitstelle in Tripolis. So kann die libysche Rettungsleitstelle etwa Schiffe der libyschen Küstenwache zum sog. on-scene-commander designieren (Annex zur SAR-Konvention, Punkt 5.7.2). Diesem obliegt es, für den konkreten Seenotrettungseinsatz z.B. Aufgaben zu verteilen und den beteiligten Rettungskräften entsprechend zuzuweisen („making arrangements for the separation for safety purposes of units engaged in the search; assigning search areas to units or groups of units; designating appropriate units to effect rescue“).17 Im Falle eines (möglichen) zeitgleichen Zusammentreffens von libyscher Küstenwache und ausländischen Seenotrettern am Einsatzort könnte der on-scene-commander (in Gestalt der libyschen Küstenwache) dann in Ausübung seiner Koordinationsbefugnisse ein „erstes Zugriffsrecht “ auf die Schiffbrüchigen für sich in Anspruch nehmen und ausländischen Seenotrettungsschiffen entsprechend andere Aufgaben zuweisen. Eine zwangsweise Durchsetzung der Koordinierungsanordnungen des on-scene-commanders gegenüber ausländischen Seenotrettungseinheiten sieht das SAR-Regime zwar nicht vor. Gleichwohl bestehen – wenn auch eher allgemein formulierte – Kooperationspflichten der Beteiligten untereinander,18 die von den ausländischen Seenotrettungsschiffen mit Blick auf die völkerrechtlich vereinbarten Mechanismen des SAR-Regimes zu respektieren sind. 16 Insoweit gilt das „first come, first serve-Prinzip“ (Punkt 5.7.3 des Annexes zur SAR-Konvention): Wer als erster am Einsatzort eintrifft, kann (und muss) die in Seenot geratenen Menschen an Bord nehmen. 17 Siehe Annex zur SAR-Konvention, Punkt 5.7.4. 18 „Parties (…) should, whenever necessary, co-ordinate search and rescue operations with those of neighboring States. (…) Search and rescue operations shall, as far as practicable, be coordinated by the appropriate rescue co-ordination center” (Annex zur SAR-Konvention, Punkte 3.1.1 und 3.1.2). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 075/17 Seite 9 Die libysche Küstenwache kann die Geretteten dann wieder zurück nach Libyen befördern19 – eine Möglichkeit, die ausländischen Seenotrettungsschiffen aufgrund des refoulement-Verbots weitgehend verwehrt ist. Die für die in Seenot geratenen Menschen folglich entscheidende Frage, von wem sie gerettet werden, hängt damit nicht nur vom Zufall ab, sondern – ironischerweise – auch von den Mechanismen des SAR-Regimes, das allerdings von seiner Intention her nur dem Zweck effektiver Seenotrettung und nicht der Flucht- und Migrationssteuerung dient. *** 19 Gutachten WD 2 – 3000 – 053/17 v. 19.6.2017, „Die völkerrechtliche Pflicht zur Seenotrettung“, S. 11. In diesem Zusammenhang wird allerdings das Recht auf Ausreise diskutiert (dazu Markard, „The Right to Leave by Sea: Legal Limits on EU Migration Control by Third Countries“, in: (2016) The European Journal of International Law, Vol. 27, Nr. 3. S. 591, 596 f.). Danach würde das Menschenrecht auf Ausreise (Art. 12 Abs. 2 des Internationalen Zivilpaktes von 1966) verletzt, sobald ein Schiff die libyschen Küstengewässer verlassen habe und von der Küstenwache aus internationalen Gewässern nach Libyen zurückgezogen werde (sogenannte pull-backs).