© 2018 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 074/18 Völkerrechtliche Bewertung der Aufkündigung des Iran- Nuklearabkommens durch die US-Administration Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 074/18 Seite 2 Völkerrechtliche Bewertung der Aufkündigung des Iran-Nuklearabkommens durch die US-Administration Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 074/18 Abschluss der Arbeit: 5. Juni 2018 (zugleich letzter Zugriff auf die Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 074/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Rechtscharakter und Rechtsverbindlichkeit des Nuklearabkommens mit dem Iran 4 1.1. Joint Comprehensive Plan of Action 4 1.2. Sicherheitsrats-Resolution 2231 (2015) 4 2. Wiedereinsetzung der Iran-Sanktionen durch die USA 5 2.1. Regelung in der Resolution 2231 (2015) hinsichtlich der Aufhebung von Iran-Sanktionen 6 2.2. Verstoß des Irans gegen Verpflichtungen aus dem JCPOA ? 7 3. Aufkündigung des „Iran-Deals“ 9 3.1. Unilaterale Vertragsbeendigung nach den allgemeinen Vorschriften über das Recht der Verträge 10 3.2. Aufhebung der Resolution 2231 (2015) 10 4. Extraterritoriale US-Sanktionen gegen ausländische Unternehmen 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 074/18 Seite 4 1. Rechtscharakter und Rechtsverbindlichkeit des Nuklearabkommens mit dem Iran 1.1. Joint Comprehensive Plan of Action Das in Wien abgeschlossene Nuklearabkommen zwischen den „P5“ (den ständigen Sicherheitsratsmitgliedern ) sowie Deutschland und der EU mit dem Iran (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) vom 14. Juli 20151 ist kein verbindlicher völkerrechtlicher Vertrag im Sinne der Wiener Vertragsrechtskonvention,2 sondern lediglich eine politisch bindende Vereinbarung zwischen Staaten3 und damit Teil des völkerrechtlichen „soft law“.4 Dies ergibt sich aus Text und Wortwahl des Abkommens sowie aus dem systematischen Aufbau und dem Verhalten der Unterzeichnerstaaten.5 Der JCPOA ist den Parlamenten der Unterzeichnerstaaten – darunter dem US-Senat – nicht zur Ratifikation vorgelegt worden. 1.2. Sicherheitsrats-Resolution 2231 (2015) Ziff. 34 (ii) des JCPOA sieht eine „Annahme“ durch den VN-Sicherheitsrat (Annahmeklausel) vor, wodurch die in Wien getroffenen JCPOA-Vereinbarungen rechtlich verbindlich gemacht werden sollen. 1 Abkommen ist abrufbar unter: https://www.ukpandi.com/fileadmin/uploads/ukpi /Latest_Publications/Circulars/2015/iran_joint-comprehensive-plan-of-action.pdf. 2 Verträge sind gem. Art. 2 WVRK definiert als „eine in Schriftform geschlossene und vom Völkerrecht bestimmte internationale Übereinkunft zwischen Staaten“. Diese Definition trifft zwar keine Aussage darüber, ob das Übereinkommen rechtsverbindlich sein muss – dies wird aber implizit vorausgesetzt (vgl. für viele Ipsen, Völkerrecht , München, 6. Aufl. 2014, § 10 Rdnr. 3). 3 So im Ergebnis einhellig Dörr, Oliver, Völkerrechtliche Grenzen des Populismus? Der amerikanische Präsident und das geltende Völkerrecht, in: JZ 2018, S. 224-231 (226), abrufbar unter: https://www.doerr.jura.uniosnabrueck .de/fileadmin/user_upload/Bilder/Aktuelles/Sonderdruck_JZ_2018_224-231.pdf; Meier/Zamirirad, Die Atomvereinbarung mit Iran, SWP-Aktuell 70 (2015), S. 1, abrufbar unter: https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A70_mro_zmd.pdf. Dies entspricht auch der Auffassung der U.S.-Administration, vgl. dazu näher Goldsmith, Jack, The Contributions of the Obama Administration to the Practice and Theory of International Law“, in: Harvard Int. Law Journal 57 (2016), S. 455, 465-467, abrufbar unter: http://www.harvardilj.org/wp-content/uploads/Vol.-592- Goldsmith.pdf. Vgl. überdies die Rechtsauffassung des US-State Departments in einem Schreiben v. 19.11.2015, zitiert bei David French, National Security & Defence Review vom 10.5.2018, abrufbar unter: https://www.nationalreview.com/corner/iran-nuclear-deal-not-signed-document-not-binding/: “The Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) is not a treaty or an executive agreement, and is not a signed document. The JCPOA reflects political commitments between Iran, the P5+1 (the United States, the United Kingdom, France, Germany, Russia, China), and the European Union.” 4 Dazu näher Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München, 6. Aufl. 2014, § 20 Rdnr. 20 ff. 5 Dörr, JZ 2018, S. 226 (a.a.O., Anm. 3). Eine eingehende Auslegung des JCPOA findet sich im blog-Beitrag von Paula Fischer / Bernd Scholl, „Rückzug aus dem Atomabkommen: Drohen die USA mit einem Völkerrechtsbruch ?, Verfassungsblog vom 7.3.2018, https://verfassungsblog.de/rueckzug-aus-dem-atomabkommen-drohendie -usa-mit-einem-voelkerrechtsbruch/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 074/18 Seite 5 Dies ist mit der Sicherheitsratsresolution 2231 (2015) vom 20. Juli 2015 geschehen.6 Dabei berief sich der Sicherheitsrat ausdrücklich auf seine Befugnis zu rechtsverbindlichem Handeln nach Art. 41 VN-Charta und auf die bindende Wirkung seiner Beschlüsse gemäß Art. 25 VN-Charta. Der JCPOA lässt sich daher rechtlich als „Annex“ zur Resolution 2231 (2015) bezeichnen,7 die konkrete Festlegungen und Rechtspflichten in Bezug auf seine Implementierung statuiert. Jedenfalls bleibt der JCPOA durch seine „Inkorporierung“ in die Resolution 2231 (2015) rechtlich mit dieser verknüpft.8 Dieses spezifische rechtliche „Konstrukt“ macht deutlich, dass der JCPOA als Vereinbarung „inter partes“ im Wege der VN-Resolution zu einem „international concern“ der Staatengemeinschaft geworden ist.9 2. Wiedereinsetzung der Iran-Sanktionen durch die USA Zentrale Teile des JCPOA (Ziff. 18 ff.) sowie der Resolution 2231 (Ziff. 5 ff.) regeln die Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran. Bei der sog. Aufkündigung des „Iran-Deals“ durch die US-Administration geht es im Kern um die Frage, ob die USA die Sanktionen gegen den Iran unilateral reaktivieren10 und sich damit einseitig von den Verpflichtungen aus dem JCPOA i.V.m. Sicherheitsrats-Resolution 2231 (2015) lösen dürfen.11 6 S/RES/2231 (2015), http://www.un.org/depts/german/sr/sr_15/sr2231.pdf. Damit ist der JCPO mit Wirkung vom 16. Januar 2016 rechtlich verbindlich geworden. 7 Der JCPOA ist der Sicherheitsratsresolution als „Anlage A“ beigefügt. Vgl. zum Ganzen “Remarks by High Representative Mogherini on the latest developments regarding the implementation of the Joint Comprehensive Plan of Action”, https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage/33922/remarks-highrepresentativevice -president-federica-mogherini-latest-developments-regarding_fr. 8 Ziff. 8 der Resolution 2231 (2015) bestimmt in diesem Zusammenhang: “(…) that on the date ten years after the JCPOA Adoption Day, as defined in the JCPOA, all the provisions of this resolution shall be terminated (…)”. 9 Sinngemäß erklärte die EU-Außenbeauftragte Mogherini: „Der Deal gehört uns allen“, vgl. Welt online v. 8.5.2018, „EU will an Atomdeal mit Iran festhalten“, https://www.welt.de/politik/ausland/article176196918/Trotz-US-Ausstieg-EU-will-an-Atomdeal-mit-Iranfesthalten .html. 10 Vgl. zum Thema „Sanktionen“ die Analyse des Congressional Research Service, Kenneth Katzman, Iran Sanctions, 11. Mai 2018, https://fas.org/sgp/crs/mideast/RS20871.pdf. 11 Bejahend insoweit Iulia E. Padeanu, Is the Trump Administration Bound by the Iran Deal?, Yale Journal of International Law 2016, abrufbar unter: http://www.yjil.yale.edu/is-the-trump-administration-bound-by-the-irandeal /. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 074/18 Seite 6 Ob die USA mit ihrem einseitigen In-Kraft-Setzen des US-Sanktionsregimes gegen das Völkerrecht verstoßen haben, hängt also zunächst davon ab, inwieweit (auch) die Aufhebung nationaler US-Sanktionen verbindlich gewesen ist. Dabei ist grundsätzlich zu beachten, dass der JCPOA für sich genommen keine rechtlichen Verpflichtungen enthält. Vielmehr sind nur diejenigen Bestimmungen des JCPOA völkerrechtlich verpflichtend, die auch in der Resolution 2231 (2015) als entsprechend verbindlich formuliert worden sind. 2.1. Regelung in der Resolution 2231 (2015) hinsichtlich der Aufhebung von Iran-Sanktionen Zu unterscheiden ist zwischen der im JCPOA (Ziff. 18) und in der Resolution 2231 (Ziff. 5 ff.) beschlossenen Aufhebung der VN-Sanktionen12 und der – im JCPOA (vgl. Ziff. 21 ff.) ebenfalls vereinbarten – Aufhebung nationaler US- und EU-Sanktionen. Während die Resolution 2231 (2015) explizit die Aufhebung der VN-Sanktionen rechtsverbindlich anordnet (vgl. Ziff. 7a), ist dies hinsichtlich der nationalen (US-)Sanktionen angesichts des Wortlauts der Resolution nicht ganz so eindeutig. So verwendet der operative Teil der Resolution 2231 (2015) in Bezug auf die Aufhebung nationaler US-Sanktionen (vgl. Ziff. 21 JCPOA) eine andere Formulierung als bei der Aufhebung der VN-Sanktionen.13 Gem. Ziff. 2 der Resolution „fordert [der Sicherheitsrat] alle Mitgliedstaaten auf [engl.: calls upon], die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Umsetzung des Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplans zu unterstützen, (…) indem sie Maßnahmen unterlassen, die die Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Aktionsplan untergraben.“ Anders als bei der Aufhebung der VN-Sanktionen handelt der Sicherheitsrat auch nicht nach Art. 41 der VN-Charta. Beides sind jedoch keine wirklich zwingenden Argumente für die Unverbindlichkeit von Ziff. 2 der Resolution 2231 (2015):14 So hat der IGH in seinem Namibia-Gutachten15 klargestellt, dass Art. 25 VN-Charta, der die Mitgliedstaaten zur Ausführung der Sicherheitsratsbeschlüsse verpflichtet, was in der Präambel der Resolution 2231 (2015) noch einmal besonders hervorgehoben wird, nicht auf Entscheidungen nach Art. 41 und 42 VN-Charta beschränkt ist. Zudem hat der IGH den Absatz einer Resolution mit der Formel „calls upon“ für verbindlich gehalten. 12 Dabei handelt es sich um Bestimmungen der Resolutionen 1696 (2006), 1737 (2006), 1747 (2007), 1803 (2008), 1835 (2008), 1929 (2010) und 2224 (2015). 13 Dort heißt es in Ziff. 7 der Resolution 2231: The Security Council „decides … acting under Article 41 of the UN- Charter“ 14 So Fischer/Scholl, „Rückzug aus dem Atomabkommen“, a.a.O. (Anm. 5). 15 IGH, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa), Gutachten v. 21. Juni 1971, ICJ Rep. 1971, 42 ff., abrufbar unter: http://www.icj-cij.org/files/case-related/53/053- 19710621-ADV-01-00-EN.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 074/18 Seite 7 Im Ergebnis lässt sich die Resolution 2231 (2015) also in der Weise interpretieren, dass der JCPOA auch im Hinblick auf die nationalen (US-)Sanktionen völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen enthält. Zum Teil jedoch wird diese Sichtweise von amerikanischen Juristen wie dem ehemaligen Völkerrechtsberater des US-State Departments, John B. Bellinger, nicht geteilt.16 Die Resolution 2231 (2015) fordert von den USA, „Maßnahmen zu unterlassen, die die Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Aktionsplan untergraben“. Mit Wirkung vom 12. Mai 2018 hat der US-Präsident die Aussetzung der nationalen US-Sanktionen gegen Iran, die bislang durch präsidentiellen Beschluss regelmäßig erneuert wurden, nicht verlängert.17 Die US-Administration pochte dabei jedoch weniger auf die fehlende Rechtsverbindlichkeit der JCPOA-Vereinbarungen, sondern, “ (…) President Trump withdrew from the deal for a simple reason: it failed to guarantee the safety of the American people from the risk created by the leaders of the Islamic Republic of Iran. No more (…).“18 Ob das In-Kraft-Setzen der US-Sanktionen einen Verstoß gegen den JCPOA i.V.m. der Resolution 2231 (2015) darstellt,19 hängt nicht nur von der rechtlichen Verbindlichkeit der JCPOA- Verpflichtungen i.V.m. Ziff. 2 der Resolution 2231 (2015) ab – entscheidend ist überdies die Frage, ob die Voraussetzungen für ein Wiedereinsetzen des Sanktionsregimes nach Maßgabe der Resolution 2231 (2015) vorliegen oder nicht (dazu sogleich 2.2.). 2.2. Verstoß des Irans gegen Verpflichtungen aus dem JCPOA ? Resolution 2231 (2015) sieht in Ziff. 11 einen komplizierten Mechanismus (sog. „snapback- Mechanismus“) hinsichtlich der Wiedereinsetzung der Iran-Sanktionen vor. Danach kann jeder am JCPOA beteiligte Staat eine „significant non-performance of commitments“ aus dem Abkommen geltend machen. 16 John B. Bellinger, “The new UNSCR on Iran: Does it bind the United States (and future presidents)?”, Brookings Institution Washington v. 21.7.2015, https://www.brookings.edu/blog/markaz/2015/07/21/the-new-unscr-oniran -does-it-bind-the-united-states-and-future-presidents/. 17 „USA kündigen Iran Deal“, Spiegel-online v. 8.5.2018, http://www.spiegel.de/politik/ausland/donald-trumpkuendigt -iran-abkommen-der-wortbruch-analyse-a-1206912.html. 18 Vgl. Rede des US-Außenministers Mike Pompeo vor der Heritage Foundation vom 21. Mai 2018, „After the Deal: A New Iran Strategy”, abrufbar unter: https://www.state.gov/secretary/remarks/2018/05/282301.htm. 19 So auch Max Jürgens, „Das Ende des ´worst deal ever`: Hat der Iran-Deal noch eine Zukunft?“, JuWiss-blog v. 25.5.2018, https://www.juwiss.de/49-2018/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 074/18 Seite 8 Dies setzt voraus, dass der Iran tatsächlich seine Verpflichtungen aus dem JCPOA in erheblicher Weise missachtet hat.20 Ob die bloße Behauptung einer solchen Verletzung der Vereinbarung durch einen Unterzeichnerstaat – d.h. ohne die Vorlage entsprechender Beweise – in diesem Zusammenhang ausreicht, lässt sich angesichts der Formulierung in Ziff. 11 des JCPOA21 nicht völlig von der Hand weisen. Eine Lesart des JCPOA, wonach die „bloße Behauptung“ einer Vertragsverletzung genügen soll, würde indes dem erklärten Willen der Unterzeichnerstaaten, den JCPOA durch eine Sicherheitsratsresolution für 10 Jahre rechtsverbindlich zu machen (vgl. Ziff. 34 JCPOA), zuwiderlaufen.22 Gegen eine solche Lesart spricht auch die Staatenpraxis: Immerhin sahen Israel und die USA eine Notwendigkeit, der Weltöffentlichkeit geheimdienstliche Belege für vermeintliche Verletzungen des Nuklearabkommens durch den Iran zu präsentieren.23 Ob eine Verletzung des Nuklearabkommens durch den Iran vorliegt, ist letztlich eine Tatsachenfrage , die von den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestags nicht beantwortet werden kann.24 Abgesehen davon ist – ähnlich wie im Fall „Skripal“ – rechtlich ungeklärt, welches Beweismaß, d.h. welcher Grad an Gewissheit hinsichtlich eines – vermeintlich – vertragswidrigen Verhaltens eines Unterzeichnerstaates (hier: des Irans) vorliegen muss. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) hat mehrfach festgestellt, dass der Iran seine Verpflichtungen aus dem JCPOA erfüllt.25 Doch handelt es sich bei der IAEO nicht um ein 20 In diesem Fall müsste der VN-Sicherheitsrat dann binnen 30 Tagen darüber abstimmen, ob die von Resolution 2231 aufgehobenen VN-Sanktionen aufgehoben bleiben. Verabschiedet der Sicherheitsrat keine entsprechende Resolution, treten die aufgehobenen Sanktionen des Sicherheitsrates automatisch wieder in Kraft. Insoweit kann bereits das Veto eines ständigen Sicherheitsratsmitglieds dafür sorgen, dass die VN-Sanktionen wieder eingesetzt werden (vgl. näher Fischer / Scholl, „Rückzug aus dem Atomabkommen“, a.a.O. (Anm. 5)). 21 Ziff. 11 JCPOA sieht vor: „(…) notification by a JCPOA participant State of an issue that the JCPOA participant State believes constitutes significant non-performance of commitments.” (Herv. durch Verf.). 22 So auch Fischer / Scholl, „Rückzug aus dem Atomabkommen“, a.a.O. (Anm. 5). 23 „Netanjahu: ´Haben Beweise für iranisches Atomprogramm`“, SZ-online vom 30. April 2018, http://www.sueddeutsche.de/politik/israel-netanjahu-haben-beweise-fuer-iranisches-atomprogramm-1.3962628; „Netanjahu präsentiert Beweise für das iranische geheime Atomwaffenprogramm“, in: Israel heute vom 1. Mai 2018, http://www.israelheute.com/Nachrichten/Artikel/tabid/179/nid/33450/Default.aspx. 24 Zurückhaltung geboten ist dann auch bei rechtlichen Schlussfolgerungen, die eine klare Beantwortung der Tatsachenfrage voraussetzen. 25 Francois Murphy, „Iran hints at seaborne reactors while respecting nuclear deal”, abrufbar unter: https://www.reuters.com/article/us-iran-nuclear-report/iran-hints-at-seaborne-reactors-while-respectingnuclear -deal-idUSKCN1G625G. “ IAEA: Iran hält Atomabkommen ein“, RP online v. 24.5.2018, https://rponline .de/politik/ausland/iaea-iran-haelt-atomabkommen-ein_aid-22851173. Der JCPOA regelt in Ziff. 74 ff. Verifikationsmaßnahmen durch die Internationale Atomenergie-Organisation. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 074/18 Seite 9 internationales (Schieds-)Gericht, das einen Vertragsbruch rechtsverbindlich feststellen könnte. Die Frage nach einem iranischen Verstoß gegen den JCPOA bleibt damit letztlich ungeklärt.26 Die EU ließ sich von den „Beweisen“ Israels für eine Verletzung des Nuklearabkommens durch den Iran nicht überzeugen.27 In der Folge haben sich die Unterzeichnerstaaten des JCPOA – mit Ausnahme der USA – dazu entschlossen, an dem Abkommen politisch und rechtlich festzuhalten und gemeinsam mit dem Iran eine multilaterale Lösung der Krise zu finden.28 Auch wurde der sog. „snapback-Mechanismus“ nach Ziff. 11 der Resolution 2231 (2015) nicht weiter ins Werk gesetzt. Umgekehrt ist die unilaterale Aufkündigung des JCPOA durch die USA seitens der Unterzeichnerstaaten zwar politisch harsch kritisiert worden – der Vorwurf eines regelrechten Völkerrechtsbruchs ist jedoch, soweit ersichtlich, von keiner Seite offiziell erhoben worden. 3. Aufkündigung des „Iran-Deals“ Um sich aus dem Iran-Abkommen rechtlich „verabschieden“ zu können, lassen sich zwei weitere Wege diskutieren: • Sieht man den JCPOA nicht ausschließlich als einen Annex zur Resolution 2231 (2015), sondern billigt ihm darüber hinaus eine rechtliche Eigenständigkeit zu, so könnte man – unabhängig von den speziellen Regelungen der Resolution – auf die allgemeinen völkerrechtlichen Regelungen über den Rücktritt einer Vertragspartei vom Vertrag zurückgreifen (dazu 3.1). • Schließlich ließe sich daran denken, dem JCPOA seine rechtliche Grundlage – die Resolution 2231 (2015) – zu entziehen (dazu 3.2). 26 Vgl. etwa die Analyse von Max Fisher, in der New York Times vom 23.5.2018, “Deep in the Desert, Iran Quietly Advances Missile Technology”, abrufbar unter: https://www.nytimes.com/2018/05/23/world/middleeast/iranmissi - les.html?rref=collection%2Ftimestopic%2FIran%27s%20Nuclear%20Program&action=click&contentCollection =timestopics®ion=stream&module=stream_unit&version=latest&contentPlacement=1&pgtype=collection. 27 „EU sieht Atomabkommen mit Iran durch angebliche Beweise Israels nicht berührt“, Die Welt vom 1.5.2018, https://www.welt.de/newsticker/news1/article175968441/Atom-EU-sieht-Atomabkommen-mit-Iran-durchangebliche -Beweise-Israels-nicht-beruehrt.html. „IAEA widerspricht Israels Anschuldigungen gegen Iran“, ZEIT online vom 1.5.2018, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-05/atomabkommen-iran-eu-aussenbeauftragtefederica -mogherini. 28 „Europäer wollen Atomabkommen beibehalten“, ZEIT online vom 9.5.2018, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-05/iran-deal. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 074/18 Seite 10 3.1. Unilaterale Vertragsbeendigung nach den allgemeinen Vorschriften über das Recht der Verträge Der JCPOA ist für sich genommen zwar kein völkerrechtlicher Vertrag i.S.v. Art. 2 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK), wohl aber eine – rechtsverbindlich gewordene – Vereinbarung zwischen Staaten. Insoweit ließen sich die allgemeinen völkerrechtlichen Regeln über die Beendigung von Verträgen29 – zumindest analog – anwenden. Auch dann scheidet ein unilaterales Rücktrittsrecht der USA aus dem JCPOA nach Maßgabe des Art. 54 WVRK schon aus formalen Gründen aus, da es sich bei der im JCPOA vereinbarten „Zehnjahresfrist“30 um eine abschließende „Vertragsbestimmung“ i.S.v. Art. 54 lit. a) WVRK handelt.31 Das Abkommen ist nach dem Willen der Beteiligten auf zehn Jahre angelegt und soll den Konflikt um das iranische Nuklearprogramm dauerhaft lösen. Eine vorzeitige Aufkündigung widerspräche daher dem Sinn und Zweck des JCPOA.32 Eine Beendigung des JCPOA nach Maßgabe des Art. 60 WVRK käme nur dann in Betracht, wenn dem Iran eine erhebliche Verletzung des JCPOA nachzuweisen wäre (vgl. dazu 2.2.). 3.2. Aufhebung der Resolution 2231 (2015) Die rechtliche Verbindlichkeit der Vereinbarungen des JCPOA könnte allein der VN-Sicherheitsrat wieder aufheben. Gem. Ziff. 8 der Sicherheitsrats-Resolution 2231 (2015) tritt diese ohnehin zehn Jahre nach dem Tag der Annahme des JCPOA außer Kraft, also am 17.10.2025. Überdies wäre es theoretisch möglich, die Resolution 2231 (2015) noch vor ihrem „Verfallsdatum “ und ohne eine nachgewiesene Pflichtverletzung des Irans im Wege einer „Aufhebungsresolution “ außer Kraft zu setzen und dem JCPOA gewissermaßen durch einen actus contrarius seine rechtliche Wirkung (wieder) zu entziehen.33 Da die übrigen ständigen Sicherheitsratsmitglieder das Nuklearabkommen mit dem Iran jedoch weiterhin befürworten, erscheint dieser Weg politisch derzeit nicht realistisch. 29 Die Regeln der WVRK haben gewohnheitsrechtliche Geltung. 30 Vgl. Ziff. 34 JCPOA sowie Ziff. 8 der Sicherheitsrats-Resolution 2231 (2015). 31 Danach kann ein Rücktritt einer Vertragspartei vom Vertrag nur „nach Maßgabe der Vertragsbestimmungen“ erfolgen. 32 Vgl. näher Fischer / Scholl, „Rückzug aus dem Atomabkommen“, a.a.O. (Anm. 5). 33 Fischer / Scholl, „Rückzug aus dem Atomabkommen“, a.a.O. (Anm. 5). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 074/18 Seite 11 4. Extraterritoriale US-Sanktionen gegen ausländische Unternehmen Abschließend soll – obwohl nicht Gegenstand der parlamentarischen Anfrage an die Wissenschaftlichen Dienste – das Problem der angedrohten US-Sanktionen gegen (europäische) Unternehmen , die im Iran investiert haben,34 angeschnitten werden. Solche Sanktionen, die extraterritoriale Geltung beanspruchen, schreiben ausländischen Staaten nicht nur vor, mit welchen Staaten ihre Unternehmen Handel betreiben dürfen; die USA wollen bei Zuwiderhandeln gegen entsprechende Unternehmen auch Strafmaßnahmen verhängen. Dies wäre ein Eingriff in die Außenhandelsfreiheit und die Autonomie ausländischer Wirtschaftssysteme . Max Jürgens hat in einem aktuellen Beitrag35 die extraterritoriale Sanktionspolitik der USA völkerrechtlich in Frage gestellt. So verbietet Art. 2 Ziff. 7 der VN-Charta Staaten, in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzugreifen. Zu den inneren Angelegenheiten gehören auch die Wahl eines Wirtschaftssystems und die Ausgestaltung der eigenen Außenpolitik;36 völkerrechtswidrig ist die Intervention, wenn ein Nötigungselement hinzutritt. *** 34 Vgl. dazu Stefan Buchen / Rainer Hermann, „Vom Westen im Stich gelassen“, in: FAZ v. 30.5.2018, S. 6. 35 Max Jürgens, „Das Ende des ´worst deal ever`: Hat der Iran-Deal noch eine Zukunft?“, JuWiss-blog v. 25.5.2018, https://www.juwiss.de/49-2018/. 36 Vgl. Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen der VN-Generalversammlung vom 24.10.1970, A/RES/2625 (XXV), abrufbar unter: http://www.un.org/depts/german/gv-early/ar2625.pdf.