© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 072/20 Die Verfolgbarkeit von Auslandsstraftaten eines Deutschen, der sich in Deutschland aufhält Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 072/20 Seite 2 Die Verfolgbarkeit von Auslandsstraftaten eines Deutschen, der sich in Deutschland aufhält Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 072/20 Abschluss der Arbeit: 6. August 2020 (zugleich letzter Zugriff auf Internet-Quellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 072/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Auslieferungsmöglichkeit 4 3. Grundsätzliche Systematik 5 3.1. Regelungen im Strafgesetzbuch 5 3.2. Regelungen im Völkerstrafgesetzbuch 7 4. Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft 8 4.1. Auslandsstraftaten allgemein 8 4.2. Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch 10 4.3. Auslandsverkehr-Strafrechtsrichtlinien 11 5. Fazit 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 072/20 Seite 4 1. Einleitung Gefragt wird, ob es eine rechtliche Handhabe oder möglicherweise sogar Verpflichtungen gebe, einen Deutschen bzw. Doppelstaater wegen einer Auslandstat nach deutschem Strafrecht zu verfolgen , wenn er in seiner ausländischen Heimat mutmaßlich „politische Morde oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ begangen oder an diesen zumindest teilgenommen hat. Geklärt wird die strafrechtliche und strafverfolgungsrechtliche Bewertung eines ehemaligen Drogenhändlers . Dieser wurde nach Verbüßung einer langjährigen Gefängnisstrafe aus US-amerikanischer Haft nach Deutschland abgeschoben. Er besitzt die kolumbianische Staatsangehörigkeit und hat wegen seiner Abstammung (Vater war Deutscher), das Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft . Mit einem temporären deutschen Reisepass soll er nach Deutschland eingereist sein, wo er sich weiter aufhält. Es bestehen Indizien für eine Beteiligung an politischen Auftragsmorden in Kolumbien, u.a. der Ermordung des damaligen Justizministers. Diese wird von der kolumbianischen Staatsanwaltschaft als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. 2. Auslieferungsmöglichkeit Geht man davon aus, dass der ehemalige Drogenhändler Deutscher ist, kommt eine mögliche Auslieferung an Kolumbien – auch im Falle einer weiteren Staatsangehörigkeit - gemäß Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG nicht in Betracht.1 Denkbar ist eine Auslieferung an einen internationalen Gerichtshof gemäß Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG, z.B. an den Internationalen Strafgerichtshof/IStGH in Den Haag, wobei Art. 17 des Statuts des IStGH2 allerdings die Möglichkeit eröffnet, die Auslieferung eigener Staatsangehöriger durch geeignete nationale Strafverfolgung abzuwenden. Bei grundrechtskonformer Anwendung der Eingriffsbefugnis aus Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG dürfte von dieser Möglichkeit vorrangig Gebrauch zu machen sein3. Grundsätzlich käme also eine Auslieferungsbefugnis an einen internationalen Gerichtshof in Betracht, wenn ein entsprechendes Auslieferungsersuchen vorläge und dieses auch zulässig wäre. Eine Auslieferung Deutscher an den IStGH dürfte in der Praxis jedoch nicht relevant sein, da eine geeignete nationale Strafverfolgung als vorrangig anzusehen wäre. 1 Maaßen, Hans Georg, in: Epping, Volker/Hillgruber, Christian, Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl. München 2020, Art. 16 Rn 40. 2 Vgl. Text https://www.un.org/Depts/german/internatrecht/roemstat1.html#T218. 3 Maaßen, Hans Georg, in: Epping, Volker/Hillgruber, Christian, Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl. München 2020, Art. 16 Rn 45, 70. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 072/20 Seite 5 3. Grundsätzliche Systematik Das deutsche Strafrecht gilt – entsprechend dem Territorialitätsprinzip4 - generell für solche Taten , die auf deutschem Staatsgebiet begangen werden (§ 3 StGB). Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen eines in Deutschland begangenen Delikts kommt hier nicht in Betracht. Für Taten, die im Ausland begangen werden, gilt das deutsche Strafrecht nur, soweit dies ausdrücklich bestimmt ist. 3.1. Regelungen im Strafgesetzbuch In den §§ 4-7 StGB sind verschiedene Fallgruppen der Anwendung des deutschen Strafrechts auf Auslandstaten normiert: - Nach § 4 StGB gilt das deutsche Strafrecht, unabhängig vom Recht des Tatorts, für Taten, die auf einem Schiff oder in einem Luftfahrzeug begangen werden, das berechtigt ist, die Bundesflagge oder das Staatsangehörigkeitszeichen der Bundesrepublik Deutschland zu führen. Ein solcher Anwendungsbereich ist hier nicht ersichtlich. - Gemäß § 5 StGB gilt das deutsche Strafrecht, unabhängig vom Rechts des Tatorts, für bestimmte Auslandstaten mit besonderem Inlandsbezug, die im Einzelnen in § 5 StGB aufgelistet sind. Eine derartige Auslandstat mit besonderem Inlandsbezug unter Anknüpfung an eines der in § 5 StGB aufgeführten Delikte ist hier ebenfalls nicht erkennbar. Nach dem Weltrechtsprinzip (auch Universalitätsprinzip) ist das nationale Strafrecht auch auf Sachverhalte anwendbar, die keinen spezifischen Bezug zum Inland haben, bei denen also weder der Tatort im Inland liegt (sog. Territorialitätsprinzip) noch der Täter oder das Opfer die Staatsangehörigkeit des betroffenen Staates besitzen (sog. Personalitätsprinzip). Erforderlich ist hierfür aber, dass sich die Auslandstraftat gegen international geschützte Rechtsgüter richtet. - Im deutschen Recht ist das Weltrechtsprinzip zunächst in § 6 StGB festgelegt. Dieser lautet : Das deutsche Strafrecht gilt weiter, unabhängig vom Recht des Tatorts, für Taten die im Ausland begangen werden. Von den aufgelisteten Delikten kommt im hiesigen Fall jedoch keines in Betracht. Denkbar ist eine Anwendung von § 6 Nr. 9 StGB, wonach Taten, die auf Grund eines für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen zwischenstaatlichen Abkommens auch dann zu verfolgen sind, wenn sie im Ausland begangen werden. Grundsätzlich sind von diesem Begriff des zwischenstaatlichen Abkommens alle völkerrechtlichen Verträge erfasst, die die Bundesrepublik Deutschland geschlossen hat. Die Verbindlichkeit setzt die Verabschiedung eines parlamentarischen Zustimmungsgesetzes (Art. 59 Abs. 2 GG) und die Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt 4 Fischer, Thomas, Strafgesetzbuch, Kurz-Kommentar, 67. Aufl., München 2020, Vor §§ 3-7, Rn 3, § 3 Rn 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 072/20 Seite 6 II voraus.5 Ein Abkommen in diesem Sinne liegt jedoch nur vor, wenn es eine Verfolgungspflicht enthält, eine bloße Befugnis zur Verfolgung reicht deswegen nicht aus.6 Jedes in Betracht kommende Übereinkommen ist daher daraufhin zu überprüfen, ob es das Weltrechtsprinzip oder nur das Territorialitätsprinzip begründet – und nur, wo das Weltrechtsprinzip verbindlich festgelegt ist, kann ein Fall von § 6 Nr. 9 StGB vorliegen.7 - § 7 Abs. 1 StGB bestimmt schließlich, dass das deutsche Strafrecht generell auch für Taten gilt, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt. Gemäß § 7 Abs. 2 StGB gilt für andere Taten, die im Ausland begangen werden, das deutsche Strafrecht, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und wenn der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist oder zur Zeit der Tat Ausländer war, im Inland betroffen und obwohl das Auslieferungsgesetz seine Auslieferung nach der Tat zuließe, nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen innerhalb angemessener Frist nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist. Denkbar ist eine Anwendung des § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, wonach das deutsche Strafrecht für andere (als in Abs. 1 aufgeführt) Taten gilt, die im Ausland begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und wenn der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war.8 Die Tat muss am Tatort mit Strafe bedroht sein, auch wenn dies dort unter einem anderen rechtlichen Aspekt erfolgt ist. Die Tatbestände brauchen sich also nicht zu decken; es kommt vielmehr nur auf die Tatidentität, nicht hingegen auf die Identität der auf sie zutreffenden Strafnormen an.9 Es ist davon auszugehen, dass (politischer) Mord auch in Kolumbien strafbar ist, so dass das deutsche Strafrecht grundsätzlich Geltung auch für eine solche Auslandstat hätte. Damit könnten 5 Ambos, Kai, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2017, § 6 Rn 17. 6 Ambos, Kai, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2017, § 6 Rn 17. 7 Fischer, Thomas, Strafgesetzbuch, Kurz-Kommentar, 67. Aufl., München 2020, § 6, Rn 9. 8 Dazu auch Rainbacher, Tobias, Die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts auf Auslandstaten gemäß § 7 StGB, in: http://www.zjs-online.com/dat/artikel/2018_2_1201.pdf, S. 142ff. 9 Fischer, Thomas, Strafgesetzbuch, Kurz-Kommentar, 67. Aufl., München 2020, § 7, Rn 7. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 072/20 Seite 7 strafrechtliche Ermittlungen bis hin zu einer Anklageerhebung und Eröffnung eines Strafprozesses auch in Deutschland durchgeführt werden, wenn nicht Gründe für ein Absehen von der Strafverfolgung vorliegen.10 3.2. Regelungen im Völkerstrafgesetzbuch In Betracht kommt auch ein Delikt aus dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB). Dieses Gesetz basiert auf dem Weltrechtsprinzip. Das VStG hat das nationale Strafrecht an die Regelungen des Völkerstrafrechts , insbesondere an das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, angepasst. Das Gesetz ist am 30. Juni 2002 in Kraft getreten.11 Nach § 1 VStGB gilt dieses Gesetz für alle in ihm bezeichneten Straftaten gegen das Völkerrecht, für Taten nach den §§ 6 bis 12 VStGB auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist.12 Da die kolumbianische Staatsanwaltschaft den politischen Mord an dem damaligen Justizminister als Verbrechen gegen die Menschlichkeit qualifiziert hat und eine Tatbeteiligung durch den ehemaligen Drogenhändler nicht ausgeschlossen erscheint, könnten § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VStGB einschlägig sein. Diese Regelung bestimmt: § 7 Verbrechen gegen die Menschlichkeit (1) Wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung 1. einen Menschen tötet, 2. in der Absicht, eine Bevölkerung ganz oder teilweise zu zerstören, diese oder Teile hiervon unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen , (…) 10 Siehe auch Rainbacher, Tobias, Die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts auf Auslandstaten gemäß § 7 StGB, in: http://www.zjs-online.com/dat/artikel/2018_2_1201.pdf, S. 146f., die Strafbarkeit des Verhaltens nach dem Recht des Tatorts (sog. Lex loci) begründet die Ausübung originär deutscher Strafgewalt. 11 Vgl. BGBl I, S. 2254; ferner Fischer, Thomas, Strafgesetzbuch, Kurz-Kommentar, 67. Aufl., München 2020, Einleitung Rn 13. 12 Zum Text siehe https://www.gesetze-im-internet.de/vstgb/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 072/20 Seite 8 wird in den Fällen der Nummern 1 und 2 mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. 4. Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft Grundsätzlich gilt im deutschen Strafverfahrensrecht für schwere Delikte das so genannte Legalitätsprinzip . Gemäß § 152 Abs. 2 StPO13 ist die Staatsanwaltschaft, soweit nicht gesetzlich etwas anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. 4.1. Auslandsstraftaten allgemein In Durchbrechung dieses Grundsatzes ist als Ausdruck des Opportunitätsprinzips nach geltendem Recht unter bestimmten Voraussetzungen bei Auslandstaten ein Absehen von Verfolgung möglich. So sieht § 153c StPO vor: (1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung von Straftaten absehen, 1. die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes begangen sind oder die ein Teilnehmer an einer außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes begangenen Handlung in diesem Bereich begangen hat, 2. die ein Ausländer im Inland auf einem ausländischen Schiff oder Luftfahrzeug begangen hat, 3. wenn in den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches die Vereinigung nicht oder nicht überwiegend im Inland besteht und die im Inland begangenen Beteiligungshandlungen von untergeordneter Bedeutung sind oder sich auf die bloße Mitgliedschaft beschränken. Für Taten, die nach dem Völkerstrafgesetzbuch strafbar sind, gilt § 153f. StPO 13 https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/BJNR006290950.html; Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 10. Juli 2020 (BGBl. I S. 1648) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 072/20 Seite 9 (2) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, wenn wegen der Tat im Ausland schon eine Strafe gegen den Beschuldigten vollstreckt worden ist und die im Inland zu erwartende Strafe nach Anrechnung der ausländischen nicht ins Gewicht fiele oder der Beschuldigte wegen der Tat im Ausland rechtskräftig freigesprochen worden ist. (3) Die Staatsanwaltschaft kann auch von der Verfolgung von Straftaten absehen, die im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes durch eine außerhalb dieses Bereichs ausgeübte Tätigkeit begangen sind, wenn die Durchführung des Verfahrens die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführen würde oder wenn der Verfolgung sonstige überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. (4) Ist die Klage bereits erhoben, so kann die Staatsanwaltschaft in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1, 2 und des Absatzes 3 die Klage in jeder Lage des Verfahrens zurücknehmen und das Verfahren einstellen, wenn die Durchführung des Verfahrens die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführen würde oder wenn der Verfolgung sonstige überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. (5) Hat das Verfahren Straftaten der in § 74a Abs. 1 Nr. 2 bis 6 und § 120 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichneten Art zum Gegenstand, so stehen diese Befugnisse dem Generalbundesanwalt zu. Der Staatsanwaltschaft wird insofern ein weites Ermessen eingeräumt. Sie kann ohne Beteiligung Dritter auch entscheiden, von der Verfolgung von Straftaten abzusehen, ehe überhaupt Ermittlungen aufgenommen wurden. Nummer 94 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) konkretisiert dieses Ermessen:14 Einstellung nach § 153c Abs. 1 StPO (1) In den Fällen des § 153c Abs. 1 StPO kann der Staatsanwalt nach pflichtgemäßem Ermessen von der Verfolgung absehen. Dies wird insbesondere in Betracht kommen, wenn die in § 153c Abs. 2 StPO bezeichneten Gründe vorliegen können, wenn eine Strafverfolgung zu unbilligen Härten führen würde oder ein öffentliches Interesse an der strafrechtlichen Ahndung nicht oder nicht mehr besteht. (2) Der Staatsanwalt prüft im Einzelfall, ob völkerrechtliche Vereinbarungen die Verpflichtung begründen, bestimmte außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der Strafprozessordnung begangene Taten so zu behandeln, als ob sie innerhalb dieses Bereichs begangen wären. Auskunft über derartige Vereinbarungen erteilt das Bundesministerium der Justiz. 14 https://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_01011977_420821R5902002.htm; Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) vom 1. Januar 1977, geändert mit Wirkung vom 1. Dezember 2018 durch Bekanntmachung vom 26. November 2018 [Fundstelle: BAnz AT 30.11.2018 B3]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 072/20 Seite 10 (3) Bestehen in den Fällen des § 153c Abs. 1 StPO Anhaltspunkte dafür, dass die Gründe des § 153c Abs. 3 StPO gegeben sein könnten, holt der Staatsanwalt unverzüglich die Entscheidung des Generalstaatsanwalts ein, ob die Tat verfolgt werden soll. Der Generalstaatsanwalt berichtet vor seiner Entscheidung unverzüglich der Landesjustizverwaltung. (4) (…) 4.2. Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch In Bezug auf Auslandstaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch hat der Gesetzgeber das sonst bei Auslandstaten bestehende weite Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft eingeschränkt, „um die Straflosigkeit von Völkerstraftaten durch internationale Solidarität bei der Strafvollstreckung zu verhindern“.15 Allerdings soll hier eine „gestufte Zuständigkeitspriorität“ vorliegen: „Bei Verbrechenstaten, die dem uneingeschränkten Weltrechtsprinzip unterliegen, besteht jedoch eine „gestufte Zuständigkeitspriorität“. Primär sind zur Verfolgung der Tatortstaat und der Heimatstaat von Täter oder Opfer, sekundär der Internationale Strafgerichtshof und ggf. sonstige internationale Strafgerichte und tertiär die nach dem Weltrechtsprinzip vorgehenden Drittstaaten berufen. Um Kollisionen und kostspielige und aufwendige Doppelermittlungen im Ausland zu vermeiden, soll über § 153f. StPO eine Überlastung der deutschen Ermittlungsressourcen durch Fälle, die keinen Bezug zu Deutschland aufweisen, vermieden werden, indem die deutschen Strafverfolgungsbehörden ausländischen oder internationalen Strafverfolgungsbehörden den Vortritt lassen. “16 Gemäß § 153 f. Abs. 1 StPO kann die Staatsanwaltschaft dementsprechend von der Verfolgung einer Tat, die nach den §§ 6 bis 15 VStGB strafbar ist, in den Fällen des §153c Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO absehen, wenn sich der Beschuldigte nicht im Inland aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist. Nach § 153 f. Abs. 2 StPO kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Tat, die nach den §§ 6 bis 12, 14 und 15 VStGB strafbar ist, in den Fällen des § 153 c Abs. 1 Nr. und 2 StPO unter anderem dann absehen, wenn kein Tatverdacht gegen einen Deutschen besteht, die Tat nicht gegen einen Deutschen begangen wurde oder kein Tatverdächtiger sich im Inland aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist. 15 Teßmer, Dirk, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., 2016, § 153f. Rn 1. 16 Teßmer, Dirk, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., 2016, § 153f. Rn 3; Dazu auch Gesetzesbegründung zum VStGB, Deutscher Bundestag, Drucksache 14/8524 vom 13. März 2002, S. 37. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 072/20 Seite 11 4.3. Auslandsverkehr-Strafrechtsrichtlinien Nummer 35 (Verdacht einer Auslandsstraftat) der Auslandsverkehr-Strafrechtsrichtlinien (Ri- VASt, für Gerichte, Staatsanwaltschaften und andere Behörden) sieht folgendes vor:17 (1) Stellt eine Behörde fest, dass eine Person, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhält , in dem Verdacht steht, im Ausland eine Straftat begangen zu haben, oder dass sie im Ausland wegen einer solchen Tat zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die sie noch zu verbüßen hat, benachrichtigt sie unverzüglich und unmittelbar die Generalstaatsanwaltschaft, und zwar auch dann, wenn die Person nicht festgenommen wird. Vor der Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft dürfen keine Maßnahmen getroffen werden, die eine Auslieferung des Ausländers unmöglich machen würden. (2) Falls die Generalstaatsanwaltschaft damit rechnet, dass die ausländische Behörde die Auslieferung zur Verfolgung oder Vollstreckung betreiben wird, berichtet sie ihrer vorgesetzten Behörde und wartet deren Weisung ab, sofern sie nicht selbst Bewilligungsbehörde ist. Ist sie Bewilligungsbehörde , so fragt sie bei der ausländischen Behörde an, ob um vorläufige Festnahme ersucht wird. Erfolgt die Anfrage unmittelbar, unterrichtet sie nachrichtlich das Bundeskriminalamt über das Landeskriminalamt. Unter den Voraussetzungen des § 16 Absatz 1 Nummer 2 IRG veranlasst sie – auch ohne ein entsprechendes Ersuchen – die Festnahme der Person und beantragt die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft. 5. Fazit Grundsätzlich beansprucht das deutsche Strafrecht Geltung für im Inland begangene Straftaten. In gewissen, vom Gesetz ausdrücklich umschriebenen Fällen, gilt das deutsche Strafrecht aber auch für im Ausland begangene Taten von Deutschen. Bei der Verfolgung von schweren Straftaten gilt grundsätzlich das Legalitätsprinzip, wonach die Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung verpflichtet ist. Im Falle von Auslandstaten wird dieses Prinzip jedoch zum Teil insofern abgeschwächt , als die Staatsanwaltschaft unter bestimmten Voraussetzungen auch von einer Strafverfolgung absehen kann. 17 Text der Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt), in: https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2Fges%2FRiVASt%2Fcont%2FRiVASt%2EAmtabschnitt %5FNummer%5F35%2Ehtm.