© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 071/19 Rechtsfragen zu völkerrechtlichen Sanktionen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 2 Rechtsfragen zu völkerrechtlichen Sanktionen Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 071/19 Abschluss der Arbeit: 8. Juli 2019 (zugleich letzter Zugriff auf die Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Begriff und Arten von Sanktionen 4 2. Völkerrechtliche Schranken unilateraler Maßnahmen 6 2.1. Allgemeines Völkerrecht und Staatenverantwortlichkeit 6 2.2. Verhältnismäßigkeitserwägungen 7 2.3. Rechtsprechung des IGH 8 2.4. Menschenrechtliche Grenzen 9 2.4.1. Resolution 34/13 des VN-Menschenrechtsrats 9 2.4.2. Stellungnahme des VN-Sonderberichterstatters über die negativen Folgen einseitiger Zwangsmaßnahmen 10 2.4.3. Allgemeine Bemerkung des VN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 10 3. Individueller Rechtsschutz gegen Sanktionen des VN- Sicherheitsrats 12 3.1. VN-interne Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Sanktionen des VN- Sicherheitsrats 12 3.2. Internationaler Menschenrechtsschutz durch EGMR und EuGH 13 4. Unilaterale Sanktionen der Vereinigten Staaten 14 4.1. Vollständige Aktivierung des Helms-Burton Act 14 4.2. Individueller Rechtsschutz gegen US-Sanktionen vor nationalen Gerichten 17 4.3. Individueller Rechtsschutz durch VN-Menschenrechtsinstrumente 18 4.4. Rechtsschutz für betroffene Staaten 19 4.4.1. Internationaler Gerichtshof 19 4.4.2. WTO-Streitschlichtungsmechanismus 20 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 4 1. Begriff und Arten von Sanktionen Der Begriff der Sanktion wird je nach Kontext (völkerrechtlich, politisch, alltagssprachlich) unterschiedlich verwendet.1 Für das Völkerrecht hat die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (International Law Commission, ILC) eine Legaldefinition des Begriffs erarbeitet. In den Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts2 bezeichnet sie Sanktionen als reactive measures applied by virtue of a decision taken by an international organization following a breach of an international obligation having serious consequences for the international community as a whole, and in particular for certain measures which the United Nations is empowered to adopt, under the system established by the Charter , with a view to the maintenance of international peace and security.3 Sanktionen sind nach dieser engen Definition Maßnahmen, die auf eine Völkerrechtsverletzung eines einzelnen Staates reagieren und darauf gerichtet sind, diesen mittels Zufügung von (rechtlichen ) Nachteilen zur Einstellung seines völkerrechtswidrigen Verhaltens zu bewegen.4 Die Maßnahmen müssen darüber hinaus von einer internationalen Organisation (i.d.R.: Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, VN-SR) getragen sein, d.h. auf einer kollektiven Entscheidung basieren.5 Zu betonen ist, dass aus der normativen Sicht der ILC Sanktionen per definitionem rechtmäßig auf ein rechtswidriges Handeln reagieren.6 Hiervon abzugrenzen ist der Sanktionsbegriff im Sinne der unilateralen Rechtsdurchsetzung, die häufig auch als Gegenmaßnahme bezeichnet wird.7 Gegenmaßnahmen haben den Zweck, einen 1 Vgl. zum Begriff u.a. Alain Pellet/Alina Miron, Sanctions, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e984?print=pdf; Malcolm D. Evans, International Law, Oxford Univ. Press, 3. Aufl. 2010, S. 548 ff. 2 ILC, Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, Anlage der Resolution Nr. 56/83 der VN-Generalversammlung, 12. Dezember 2001, http://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english/draft_articles/9_6_2001.pdf, deutsche Fassung: http://eydner.org/dokumente/darsiwaev.PDF. 3 A.a.O. (Fn. 2). 4 Ebenso Meinhard Schröder, in: Wolfgang Graf Vitzthum/Alexander Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, Berlin: Gruyter, 7. Aufl. 2016, VII. Abschnitt Rn. 108; Torsten Stein/Christian v. Buttlar, Völkerrecht, München, 13. Aufl. 2012 Rn. 562. 5 Dies betonen auch Nigel White/Ademola Abass in: Malcom D. Evans (Hrsg.), International Law, Oxford Press, 2010, S. 549 f. 6 Gerhard Hafner, Völkerrechtliche Grenzen und Wirksamkeit von Sanktionen gegen Völkerrechtssubjekte, ZaöRV 76 (2016), 391 (394 f.), http://www.zaoerv.de/76_2016/76_2016_2_a_391_414.pdf, mit Verweis auf Art. 49 der ILC-Artikelentwürfe (s.o., Fn 2), http://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english/draft_articles/9_6_2001.pdf. 7 Vgl. Schröder, a.a.O. (Fn. 4) und Alain Pellet/Alina Miron, a.a.O. (Fn. 1). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 5 Staat zu einem bestimmten Verhalten, in der Regel zur Einhaltung von völkerrechtlichen Verpflichtungen zu bewegen. Dabei setzen sie nicht zwingend einen vorherigen Rechtsbruch des sanktionierten Staates voraus. Im politischen sowie im allgemeinen Sprachgebrauch werden sowohl unilaterale als auch kollektive Maßnahmen als Sanktionen bezeichnet. Ob das sanktionierende Verhalten auf einem Beschluss des VN-SR beruht ist begrifflich unerheblich.8 Ebenso wenig wird beim Gebrauch des Begriffs danach unterschieden, ob das sanktionsauslösende Verhalten des sanktionierten Staates völkerrechtswidrig war. Der (extensive) Begriff der Sanktion umfasst unterschiedliche Maßnahmen, so etwa Wirtschaftssanktionen (z.B. Handelsembargos und Strafzölle)9, Retorsionen10, diplomatische Sanktionen wie der Abbruch diplomatischer Beziehungen und die Ausweisung von Diplomaten und Diplomatinnen , Repressalien11 und Zwangsmittel bis hin zu militärischen Gegenmaßnahmen. Sanktionen können sich als Globalsanktionen gegen den Zielstaat selbst oder als Individualsanktionen gegen einzelne Staatsangehörige richten. Personenbezogene Individualsanktionen sind z.B. individuelle Einreiseverbote oder das Einfrieren von Vermögenswerten bestimmter (natürlicher oder juristischer) Personen. Diese selektiven Sanktionen werden oft auch als smart sanctions oder targeted sanctions bezeichnet. Als branchenspezifische Wirtschaftssanktionen (auch Sektorsanktionen) werden im Unterschied zu allgemeinen Wirtschaftssanktionen Sanktionen bezeichnet, die den Handel mit bestimmten Wirtschaftsgütern im Zielland verbieten. Sie beruhen auf der Annahme, dass Konfliktparteien oder bestimmte Bevölkerungsteile, die für das sanktionsauslösende Verhalten in besonderer Wei- 8 Vgl. zum Sprachgebrauch im Französischen Charles Leben, Les contre-mesures inter-étatiques et les réactions à l'illicite dans la société internationale in: Annuaire français de droit international, vol. 28, 1982, S. 9-77, Rn. 8, https://doi.org/10.3406/afdi.1982.2483. Vgl. auch Alain Pellet/Alina Miron, a.a.O. (Fn 1). Zum allgemeinen Sprachgebrauch in deutschsprachigen Medien statt vieler: USA verhängen weitere Sanktionen gegen Venezuela, DW vom 5.4.2019, https://www.dw.com/de/usa-verhängen-weitere-sanktionen-gegen-venezuela/a-48233463; Amerika verhängt weitere Sanktionen gegen Iran, FAZ vom 22.3.2019, https://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/amerika-verhaengt-weitere-sanktionen-gegen-iran- 16103180.html. 9 Siehe im Einzelnen Barry E. Carter, Economic Sanctions, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e1521?rskey=HcW6De&result=1&prd=EPIL. 10 Unter Retorsionen werden staatliche Reaktionen auf ein unwillkommenes Verhalten eines anderen Staates verstanden , die nicht in völkerrechtliche Positionen des Zielstaates eingreifen, vgl. hierzu Thomas Giegerich, Retorsion , in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e983?prd=EPIL#law- 9780199231690-e983-div1-1, Rn. 1 ff. 11 Der Begriff der Repressalie wird uneinheitlich verwendet. Zudem hat sich seine Bedeutung in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Im vorliegenden Kontext sollen Gegenmaßnahmen dann als Repressalien gelten, wenn sie selbst als Gegenmaßnahmen völkerrechtswidrig wären, wenn sie nicht als letztes Mittel auf ein völkerrechtswidriges Verhalten des Zielstaates reagierten, vgl. Thomas Giegerich, a.a.O. (Fn. 10). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 6 se verantwortlich sind, vom Handel in diesem Sektor profitieren. Sie betreffen den Handel mit bestimmten Gütern wie Holz, Öl, Kakao, Gold, Edelmetallen, seltenen Erden, Nuklearmaterial, Rüstungsgütern oder Produktkategorien wie Luxusgütern. Häufig beziehen sie sich auf den Flugverkehr und Transport.12 Neben Sanktionen, die sich auf Völkergewohnheitsrecht oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Völkerrechts berufen, gibt es auch solche, die auf vertraglichen Bestimmungen beruhen. Entsprechende völkervertragsrechtliche Grundlagen von Maßnahmen finden sich z.B. im Rahmen der WTO-Ordnung. Soweit es keine anwendbare Spezialregelung gibt, sind die allgemeinen Artikelentwürfe der ILC zur Staatenverantwortlichkeit als leitend zu betrachten.13 2. Völkerrechtliche Schranken unilateraler Maßnahmen 2.1. Allgemeines Völkerrecht und Staatenverantwortlichkeit Unilaterale Sanktionen – also staatliche Gegenmaßnahmen, die außerhalb des VN-Rahmens getroffen werden – unterliegen völkerrechtlichen Schranken. Wichtigste Schranken sind das Gewaltverbot gem. Art. 2 Ziffer 4 VN-Charta und das in Art. 2 Ziffer 7 VN-Charta für nichtmilitärische Maßnahmen speziell geregelte völkerrechtliche Interventionsverbot.14 Darüber hinaus deuten bereits die gängigen völkerrechtlichen Definitionsansätze (s.o.) an, dass ein völkerrechtswidriges Verhalten nur in rechtlich angemessener Form sanktioniert werden darf. Die rechtliche Einhegung unilateraler Sanktionen erscheint deswegen so wichtig, weil der Staat, der Rechtsdurchsetzung in eigener Angelegenheit betreibt, im Unterschied zu den kollektiven Sanktionsmaßnahmen gewissermaßen als „Richter in eigener Angelegenheit“ handelt.15 12 Vgl. Wissenschaftliche Dienste, Sanktionen der Bundesrepublik Deutschland gegen Drittstaaten, WD 2-3000- 094/18, 9. Juli 2018, https://www.bundestag.de/resource/blob/568274/257a1eb646467e1e33d595696f61c3e1/wd-2-094-18-pdfdata .pdf. 13 Vgl. Art. 55 der Artikelentwürfe über die Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen, a.a.O. (Fn. 2); s.a. Gerhard Hafner, a.a.O. (Fn. 6). 14 Vgl. Philip Kunig, Prohibition of Intervention, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1434#law- 9780199231690-e1434-div2-4, Rn. 7 ff.; Niestedt in: Krenzler/Herrmann/Niestedt, EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, 12. EL Oktober 2018, V. 50. Rn. 10 ff. Niedergelegt ist das Interventionsverbot auch in der Resolution der VN-Generalversammlung 2625 (1970), Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations, https://www.legal-tools.org/doc/e6c77e/pdf/. 15 Noch problematischer stellt sich die rechtliche Bewertung dar, wenn ein vom Primärdelikt nicht-betroffener Drittstaat Maßnahmen ergreift und damit dem herkömmlichen Grundsatz der Reziprozität zuwider handelt. Bei Verletzungen von Völkerrechtsverpflichtungen erga omnes, wie des Gewaltverbots oder der Menschenrechte, wird auch die Sanktionsbefugnis dritter Völkerrechtssubjekte häufig anerkannt, bei der Verletzung sonstiger Schutzgüter sind Staaten nach Art. 54 der Artikel zur Staatenverantwortlichkeit zur Ergreifung von „lawful measures“ berechtigt, dieser Begriff ist in der Staatenpraxis bislang nicht konkretisiert worden. Die Problemstellung wird daher in der vorliegenden Arbeit ausgeklammert unter Verweis auf u.a. Charles Leben, a.a.O. (Fn. 8). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 7 Völkerrechtliche Schranken unilateraler Maßnahmen finden sich auch in den ILC- Artikelentwürfen zur Staatenverantwortlichkeit. Die Artikelentwürfe sind kein völkerrechtlicher Vertrag und als solche rechtlich nicht bindend, spiegeln aber im Wesentlichen den Stand der Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts wider.16 Die ILC-Artikelentwürfe definieren als völkerrechtliche Voraussetzung für die Zulässigkeit der Verhängung von Gegenmaßnahmen u.a., dass der sanktionierende Staat den sanktionierten Staat vorab abmahnt und eine gütliche Einigung anstrebt (Art. 52 der Artikelentwürfe zur Staatenverantwortlichkeit). Weiterhin sehen die ILC-Artikelentwürfe vor, dass der sanktionierende Staat die Beweislast für das vorausgegangene völkerrechtswidrige Verhalten des sanktionierten Staates trägt (vgl. Art. 49 der Artikelentwürfe zur Staatenverantwortlichkeit).17 2.2. Verhältnismäßigkeitserwägungen Zentrale Zulässigkeitsvoraussetzung für Sanktionen dürfte sein, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in seiner völkerrechtlichen Ausprägung beachtet wird (vgl. Art. 51 der Artikelentwürfe zur Staatenverantwortlichkeit). Im gleichen Sinne lassen sich verschiedene Resolutionen der VN-Generalversammlung als Bestätigung sehen, dass extreme Formen der Druckausübung jedenfalls dann unter das Interventionsverbot fallen, wenn sie die Schwelle der Erheblichkeit überschreiten, indem sie vitale Staatsinteressen berühren und den sanktionierten Staat in der Ausübung seiner Souveränität spürbar behindern.18 Formal betrachtet sind diese Resolutionen der VN-Generalversammlung rechtlich nicht bindend, sie können aber zur Entstehung oder Verfestigung von Völkergewohnheitsrecht beitragen.19 Im Einzelnen sind die inhaltlichen Schranken , die der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in diesem Zusammenhang bezeichnet, umstritten. Es 16 Siehe im Einzelnen James Crawford, State Responsibility, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1093#law- 9780199231690-e1093-div1-3. 17 Eckart Klein, Gegenmaßnahmen, in: Berichte DGVR 37 (1997), S. 39 ff. (46 f.). 18 Vgl. Friendly Relations-Deklaration von 1970, GV-Resolution 2625, https://www.legaltools .org/doc/e6c77e/pdf/; Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten von 1974, GV- Resolution 3281, https://zeitschrift-vereintenationen .de/fileadmin/publications/PDFs/Zeitschrift_VN/VN_1975/Heft_4_1975/06_a_Doks_VN_VN_4-75.pdf; Erklärung über die Unzulässigkeit der Intervention und der Einmischung in die inneren Angelegenheiten von 1981, GV-Resolution 36/103, https://www.un.org/depts/german/uebereinkommen/ar36103.pdf). 19 Siehe im Einzelnen Christian Tomuschat, United Nations, General Assembly, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e555?prd=OPIL#law-9780199231690-e555-div1-4, Rz. 22 und passim. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 8 gibt keine einheitliche Position der Staatengemeinschaft, wann rechtmäßig ausgeübter wirtschaftspolitischer Druck die Schwelle zur völkerrechtswidrigen Intervention überschreitet.20 Die Verhältnismäßigkeit wird in der wissenschaftlichen Literatur verneint, wenn die Gegenmaßnahme den Unrechtsgehalt des sanktionierten Delikts weit übersteigt, zeitlich unbeschränkt ist und irreversible Folgen hat, so dass selbst bei Beendigung des sanktionsauslösenden Verhaltens eine Aufhebung der Sanktion die negativen Folgen der Sanktionieren nicht mehr beseitigen würde .21 Es dürfte ein relativ breiter Konsens bestehen, als relevante Umstände, auf deren Grundlage die Verhältnismäßigkeit und somit letztlich die Völkerrechtskonformität von Gegenmaßnahmen beurteilt wird, zumindest auch folgende Punkte in Betracht zu ziehen: - die Schwere der angenommenen Völkerrechtsverletzung des sanktionierten Staates, - die Bedeutung des vom sanktionierten Staat verletzten Rechtsguts, - das Ausmaß der Beeinträchtigung dieses Rechtsguts, - die völkerrechtliche Legitimität der Zielsetzung des sanktionierenden Staates, - der konkrete Regelungsgegenstand, - die Intensität der Maßnahme, - die Tragweite der Folgen für den sanktionierten Staat, - die Beziehung zwischen Mitteln und Zweck im konkreten Einzelfall.22 2.3. Rechtsprechung des IGH In seinem Urteil in Sachen USA v. Nicaragua23 gelangte der Internationale Gerichtshof zu dem Schluss, dass eine völkerrechtswidrige Intervention jedenfalls dann vorliege, wenn die verwen- 20 Ebenso Philip Kunig, a.a.O. (Fn. 14)., Rn. 25 ff.; Der VN-Generalsekretär stellte 1993 fest: „There is no clear consensus in international law as to when coercive measures are improper, despite relevant treaties, declarations , and resolutions adopted in international organizations which try to develop norms limiting the use of these measures”, Note by the Secretary-General, Economic Measures as a Means of Political and Economic Coercion against Developing Countries, 25.10.1993, UN Doc. A/48/535, Abs. 1. Die fehlende Konkretisierung von Anforderungen sowohl auf normativer Ebene als auch in der Staatenpraxis – insbesondere mit Blick auf Sanktionen durch Drittstaaten – kritisiert auch Elena Katselli, Countermeasures by Non-Injured States in the Law on State Responsibility, ESIL, http://www.esil-sedi.eu/sites/default/files/Katselli_0.PDF. 21 Vgl. hierzu Rainer Arnold/Elisabeth Meindl in Manfred Dauses/Markus Ludwigs (Hrsg.), EU-WirtschaftsR-HdB, 47. EL März 2019, Rn. 111. 22 Vgl. Kommentar zu Art. 51 der Artikel zur Staatenverantwortlichkeit in den dazugehörigen Materialien, http://legal.un.org/legislativeseries/book25.html. Unter Nennung verschiedener Fallbeispiele und Darstellung der Entwicklung auch Elena Katselli a.a.O. (Fn. 20); Torsten Stein/Christian v. Buttlar, a.a.O. (Fn. 4), Rn. 651. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 9 deten Sanktionsmittel und -methoden von solcher Intensität seien, dass der betroffene Staat in existenziell wichtigen Belangen zu einem fremdbestimmten Verhalten gezwungen werde bzw. wenn ein Embargo als Druckmittel verwendet werde, um etwas zu erreichen, worauf der verhängende Staat keinen Rechtsanspruch habe.24 2.4. Menschenrechtliche Grenzen 2.4.1. Resolution 34/13 des VN-Menschenrechtsrats Der VN-Menschenrechtsrat (VN-MRR) hat in seiner am 24. März 2017 verabschiedeten Resolution 34/13 betont, dass einseitige Zwangsmaßnahmen gegen das Völkerrecht, das humanitäre Völkerrecht , die VN-Charta und die Normen und Grundsätze für friedliche Beziehungen zwischen Staaten verstoßen und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung eines Staates sowie die Durchsetzung der Menschenrechte beeinträchtigen. Alle Staaten werden aufgefordert, keine einseitigen Zwangsmaßnahmen zu ergreifen und bereits bestehende Sanktionen rückgängig zu machen . Der VN-MRR urged all States to refrain from imposing unilateral coercive measures, also urged the removal of such measures, as they are contrary to the Charter and norms and principles governing peaceful relations among States at all levels, and it should be recalled that such measures prevent the full realization of economic and social development of nations while also affecting the full realization of human rights.25 Resolutionen des VN-MRR sind formal betrachtet Empfehlungen des VN-MRR an die VN- Generalversammlung. Für sich genommen begründen sie keine Rechtspflichten der Staaten, gleichwohl kommt ihnen ein starker appellatorischer Charakter zu, zumal sie zur Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht beitragen können.26 23 IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, https://www.icjcij .org/files/case-related/70/070-19860627-JUD-01-00-EN.pdf, S. 14, 126. 24 Vgl. Marian Niestedt in: Horst Günter Krenzler/Christoph Herrmann/Marian Niestedt (Hrsg.), EU- Außenwirtschafts- und Zollrecht, 12. EL Oktober 2018, V. 50. Rn. 13 f. 25 Resolution 34/13 des VN-Menschenrechtsrates vom 24. März 2017, https://documents-ddsny .un.org/doc/UNDOC/LTD/G17/071/14/PDF/G1707114.pdf?OpenElement . 26 Siehe im Einzelnen Beate Rudolf, United Nations Commission on Human Rights/United Nations Human Rights Council, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e883?rskey=VXr3dN&result=1&prd=OPIL. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 10 2.4.2. Stellungnahme des VN-Sonderberichterstatters über die negativen Folgen einseitiger Zwangsmaßnahmen 2014 setzte der VN-Menschenrechtsrat (MRR) einen Sonderberichterstatter über die negativen Folgen einseitiger Zwangsmaßnahmen (Special Rapporteur on the negative impact of unilateral coercive measures on the enjoyment of human rights) ein.27 Im Mai 2019 brachte der Sonderberichterstatter in einem Bericht an den VN-MRR seine Besorgnis angesichts neuer Zwangsmaßnahmen der US-Regierung zum Ausdruck28 Er führte insbesondere im Hinblick auf Venezuela, Iran und Kuba aus: [T]he use of economic sanctions for political purposes violates human rights and the norms of international behaviour. Such action may precipitate man-made humanitarian catastrophes of unprecedented proportions. “Regime change through economic measures likely to lead to the denial of basic human rights and indeed possibly to starvation has never been an accepted practice of international relations,” said Idriss Jazairy, the UN Special Rapporteur concerned with the negative impact of sanctions. “Real concerns and serious political differences between governments must never be resolved by precipitating economic and humanitarian disasters, making ordinary people pawns and hostages thereof.”29 Der Sonderberichterstatter hat eine rein beratende Funktion, seine Berichte sind rechtlich nicht bindend.30 2.4.3. Allgemeine Bemerkung des VN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Der VN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat sich in einer Allgemeinen Bemerkung (General Comment)31 der Frage angenommen, ob Sanktionen mit Menschenrech- 27 Das auf drei Jahre befristete und bis 2020 verlängerte Mandat des VN-Sonderberichterstatters Mr. Idriss Jazairy (Algerien) ist in der Resolution A/HRC/RES/27/21 des VN-MRR, 3.10.2014 definiert, https://www.rightdocs .org/doc/a-hrc-res-27-21/). 28 Kuba gehört zu den größten Unterstützern des Maduro-Regimes in Venezuela. Vgl. Wie die Venezuela-Krise auch Kuba trifft, DW vom 12. April 2019, https://www.dw.com/de/wie-die-venezuela-krise-auch-kuba-trifft/a- 48297739. 29 UN OHCHR, US sanctions violate human rights and international code of conduct, UN expert says, 6. Mai 2019, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=24566&LangID=E. 30 Siehe im Einzelnen Par. 22 der Resolution A/HRC/RES/27/21 des VN-MRR (a.a.O., Fn. 27). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 11 ten vereinbar sind, wenn infolge der Sanktionen breite Bevölkerungskreise ihre wirtschaftliche Grundlage verlieren und staatliche Infrastruktur, etwa im Gesundheitsbereich, zerstört wird. Allgemeine Bemerkungen und Empfehlungen des VN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sind formal betrachtet rechtlich unverbindlich, gleichwohl kommt ihnen ein starker autoritativer Charakter zu.32 Zur Vereinbarkeit von Sanktionen mit Menschenrechten führt der Ausschuss aus: While the impact of sanctions varies from one case to another, the Committee is aware that they almost always have a dramatic impact on the rights recognized in the Covenant . Thus, for example, they often cause significant disruption in the distribution of food, pharmaceuticals and sanitation supplies, jeopardize the quality of food and the availability of clean drinking water, severely interfere with the functioning of basic health and education systems, and undermine the right to work. In addition, their unintended consequences can include reinforcement of the power of oppressive élites, the emergence, almost invariably, of a black market and the generation of huge windfall profits for the privileged élites which manage it, enhancement of the control of the governing élites over the population at large, and restriction of opportunities to seek asylum or to manifest political opposition. While the phenomena mentioned in the preceding sentence are essentially political in nature, they also have a major additional impact on the enjoyment of economic, social and cultural rights. Although the Committee has no role to play in relation to decisions to impose or not to impose sanctions, it does, however, have a responsibility to monitor compliance by all States parties with the Covenant. When measures are taken which inhibit the ability of a State party to meet its obligations under the Covenant, the terms of sanctions and the manner in which they are implemented become appropriate matters for concern for the Committee. […] Economic, social and cultural human rights must be taken fully into account when designing an appropriate sanctions regime. […] effective 31 Das Deutsche Institut für Menschenrechte führt zum Begriff der Allgemeinen Empfehlungen aus: „Allgemeinen Bemerkungen oder Allgemeine Empfehlungen (General Comments or Recommendations) erklären die in den einzelnen Menschenrechtsverträgen nur sehr kurz genannten Rechte und konkretisieren sie dadurch. Ausgehend von den Staatenberichten legen die Vertragsorgane in den Allgemeinen Bemerkungen einzelne Menschenrechte oder die Rechtsnatur menschenrechtlicher Verpflichtungen aus. Sie geben Staaten Orientierungen für die praktische Umsetzung der Menschenrechte und bilden einen Bewertungsmaßstab für die Beurteilung der Fortschritte von Staaten bei dieser Umsetzung.“, https://www.institut-fuermenschenrechte .de/themen/entwicklungspolitik/oft-gestellte-fragen/was-sind-allgemeine-bemerkungen/. Vgl. zu den General Comments (= Allgemeine Bemerkungen) z.B. Walter Kälin/Jörg Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz , Basel, 2. Aufl. 2013, Rn. 638 ff. 32 DIMR, a.a.O. (Fn. 31). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 12 monitoring, which is always required under the terms of the Covenant, should be undertaken throughout the period that sanctions are in force.33 Im Hinblick auf US-Sanktionen ist zu berücksichtigen, dass die Vereinigten Staaten den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) nicht ratifiziert haben. Die – ohnehin schon rechtlich unverbindlichen – Allgemeinen Empfehlungen und Bemerkungen des VN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sind dadurch für die Verhaltensorientierung der Vereinigten Staaten von geringer Bedeutung. 3. Individueller Rechtsschutz gegen Sanktionen des VN-Sicherheitsrats Die VN-Mitgliedstaaten sind gem. Art. 25 VN-Charta völkerrechtlich verpflichtet, smart bzw. targeted sanctions, die der VN-SR durch Resolution auf der Grundlage von Art. 41 VN-Charta anordnet , umzusetzen.34 Der Rechtsschutz gegen diese vom VN-SR verbindlich angeordneten Sanktionen wird seit vielen Jahren sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch auf politischer Ebene intensiv diskutiert.35 3.1. VN-interne Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Sanktionen des VN-Sicherheitsrats Der VN-SR ist als VN-Organ an das Völkerrecht gebunden. Zu den bindenden Vorgaben zählen u.a. auch die Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf ein faires Verfahren vor einem un- 33 General Comment No. 8 (1997), The relationship between economic sanctions and respect for economic, social and cultural rights, E/C.12/1997/8, 12. Dezember 97, https://www.escr-net.org/resources/general-comment-8, Par. 3 und 9. Vgl. dazu Kälin/Künzli, a.a.O. (Fn. 31), Rn. 755; Nigel White/Ademola Abass, a.a.O. (Fn. 5), S. 553. Vgl. zum Stand der Ratifikation vgl. die UN Treaty Collection (Stand: 28. Juni 2019), https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-3&chapter=4&clang=_en. 34 Infolge der Kollisionsregel des Art. 103 VN-Charta genießen bindende Anordnungen des VN-Sicherheitsrats Vorrang vor den übrigen völkerrechtlichen Verpflichtungen der VN-Mitgliedstaaten (vgl. näher Kälin/Künzli, a.a.O. [Fn. 31], Rn. 247 f.). 35 Grundlegend hierzu siehe Clemens A. Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht: Das 1267-Sanktionsregime der UN und seine rechtliche Fassung, Heidelberg, 2011. S.a. Samuele Scarpelli, Wirtschaftssanktionen gegen private Personen : Verfahren und Rechtsschutz in der europäischen Union und in der Schweiz unter besonderer Berücksichtigung der Rolle und Befugnisse des UN-Sicherheitsrates im Rahmen der Terrorismusbekämpfung, Zürich 2015. Philipp Zündorf, Rechtsschutz gegen Terrorlisten – Aktuelle Entwicklungen anlässlich der Kadi II-Entscheidung des EuGH, in: Juristische Ausbildung 2014(6): 616–623, https://www.degruyter.com/downloadpdf/j/jura.2014.36.issue-6/jura-2014-0071/jura-2014-0071.pdf. Vgl. auch WD 2-3010-121/11, Rechtliche Grundlagen für die Verhängung zielgerichteter Sanktionen („Smart Sanctions“) durch die Vereinten Nationen und die Europäische Union, https://www.bundestag.de/resource/blob/191930/c03572a767d2c1e59bbf96371bce607f/smart_sanctionsdata .pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 13 abhängigen Gericht.36 Mit der SR-Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 200937 wurde daher ein individuelles Rechtsschutzverfahren eingerichtet. Das Verfahren sieht vor, dass betroffene natürliche oder juristische Personen einen Antrag an einen sogenannten Focal Point richten können , über die Gründe der gegen sie gerichteten Sanktionen informiert zu werden und von der Terrorliste des VN-SR gestrichen zu werden (delisting).38 Eine Ombudsperson untersucht den Fall sodann unparteiisch und unabhängig und kann dem Sanktionskomitee des VN-SR Gründe unterbreiten, die für oder gegen eine Streichung von der Liste sprechen. Eine Streichung von der Liste erzwingen kann die Ombudsperson indes nicht.39 Ergänzt werden die VN-internen Rechtsschutzmöglichkeiten durch Verfahren vor den VN-Menschenrechtsausschüssen und dem VN- Menschenrechtsrat (siehe unten, Kapitel 4.3.). 3.2. Internationaler Menschenrechtsschutz durch EGMR und EuGH Mit der Überprüfung der nationalen Umsetzung von VN-Sanktionen war u.a. der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) befasst.40 Die streitgegenständlichen Reisesanktionen kamen nach Auffassung des EGMR einem Hausarrest gleich und verletzten das Recht auf Privatund Familienleben aus Art. 8 EMRK.41 Innerhalb der EU fallen die Maßnahmen zur Umsetzung der Sanktionsentscheidungen des VN-SR in die Außenwirtschaftskompetenz der EU und müssen daher zunächst von der EU im Verordnungswege umgesetzt werden, bevor sie durch nationale (außenwirtschaftsrechtliche) Maßnah- 36 Noah Birkhäuser, Sanktionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen gegen Individuen, Frankfurt u.a.: Lang 2007, S. 261 ff.; Clemens Feinäugle, a.a.O. (Fn 31), S. 75 ff. und S. 205 ff.; Mahdad Mir Djawadi, Individualsanktionen des UN-Sicherheitsrates, Frankfurt u.a.: Lang 2016, S. 196 ff. sowie speziell zum Recht auf rechtliches Gehör S. 292 ff.; Mehrdad Payandeh, Rechtskontrolle des UN-Sicherheitsrates durch staatliche und überstaatliche Gerichte, in: ZaöRV 66 (2006), 41-71, http://www.zaoerv.de/66_2006/66_2006_1_a_41_72.pdf; Alain Pellet/Alina Miron, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 50., unter Berufung auf das Tadić-Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs ; Torsten Stein, Too smart for legal protection? UN Security council’s targeted sanctions and a plaidoyer for another UN tribunal, in: Hestermeyer u.a. (Hrsg.), Coexistence, Cooperation and Solidarity. Liber Amicorum R. Wolfrum, Leiden, Boston: Nijhoff 2012, S. 1527-1541 (1528 f.); Nigel White/Ademola Abass, a.a.O. (Fn. 5), S. 552 f.; Devon Whittle, The Limits of Legality and the United Nations Security Council: Applying the Extra Legal Measures Model to Chapter VII Action, in: EJIL 2015, S. 671-698 (675 f.), http://www.ejil.org/pdfs/26/3/2600.pdf. 37 Deutsche Fassung: Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, https://www.un.org/Depts/german/sr/sr_09- 10/sr1904.pdf. 38 Vgl. näher Gutachten WD 2-3000-121/11, Rechtliche Grundlagen für die Verhängung zielgerichteter Sanktionen („Smart Sanctions“) durch die Vereinten Nationen und die Europäische Union, vom 1. Juni 2011, S. 9. 39 Vgl. näher zum Delisting-Verfahren Mahdad Mir Djawadi, a.a.O. (Fn. 36), S. 95 ff. sowie zusammenfassend: UNO: Ombudsman für Sanktionen-Regime, https://www.swissinfo.ch/ger/politik/uno--ombudsman-fuersanktionen -regime/7929078. 40 EGMR, Nada v. Schweiz, Beschwerde Nr. 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, https://hudoc.echr.coe.int/eng#{%22itemid%22:[%22001-113118%22]}. 41 A.a.O. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 14 men der EU-Mitgliedstaaten42 implementiert werden. Mit seinen Urteilen in den Rechtssachen Kadi v. EU verbesserte der Europäische Gerichtshof (EuGH) den individuellen Rechtsschutz innerhalb der EU gegen Sanktionen auf der Grundlage von SR-Resolutionen. Danach ist die gerichtliche Überprüfung einer EU-Verordnung auch dann möglich, wenn sie eine SR-Resolution zur Verhängung von Individualsanktionen umsetzt. Ungeachtet der Verpflichtungen der EU- Mitgliedstaaten aus der VN-Charta wendet der EuGH bei dieser gerichtlichen Überprüfung die Grundrechtestandards des EU-Rechts an.43 Eine Einschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte lehnte der EuGH in einem zweiten Kadi-Urteil mit dem Argument ab, dass kein effektiver gerichtlicher Rechtsschutz auf VN-Ebene bestehe.44 Auch im Hinblick auf die EU-Sanktionen gegenüber russischen Einzelpersonen im Zusammenhang mit der völkerrechtlichen Annexion der Krim ist der Rechtsweg zum EuGH eröffnet.45 4. Unilaterale Sanktionen der Vereinigten Staaten 4.1. Vollständige Aktivierung des Helms-Burton Act Exil-Kubanerinnen und Kubaner mit US-amerikanischer Staatsbürgerschaft können vor US- Gerichten gem. Teil III des Helms-Burton Act46 auf Schadensersatz für Enteignungen in Kuba im Zuge der Revolution von 1959 klagen. Beklagte können alle Personen sein, die von Geschäften 42 Vgl. Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), Merkblatt Außenwirtschaftsverkehr mit ‚Embargo -Ländern‘, https://www.bafa.de/SharedDocs/Downloads/DE/Aussenwirtschaft/afk_merkblatt_embargo.html. Ermächtigungsgrundlage des Bundeswirtschaftsministers für die Beschränkung von Rechtsgeschäften im Außenwirtschaftsverkehr ist § 2 Abs. 2 des Außenwirtschaftsgesetzes. 43 EuGH, Kadi I-Urteil vom 3. September 2008 (C‑402/05 P), Yassin Abdullah Kadi gegen Rat der EU, http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=77142&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req &dir=&occ=first&part=1. Vgl. hierzu Maximilian Steinbeis, Rechtsschutz gegen UN-Sanktionen: Rudert der EuGH zurück?, Verfassungsblog vom 19. März 2013, https://verfassungsblog.de/rechtsschutz-gegen-unsanktionen -rudert-der-eugh-zuruck/. 44 EuGH, Kadi II-Urteil vom 18.7.2013 (C-584/10 P). Vgl. die Urteilsbesprechung von Rudolf Streinz, Effektiver Rechtschutz gegen EU-Vollzug von UN-Sanktionen, in: JuS 2014, S. 376-378, https://beckonli - ne.beck.de/Dokument?vpath=bibdata%2Fzeits%2Fjus%2F2014%2Fcont%2Fjus.2014.376.1.htm&anchor=Y- 300-Z-JUS-B-2014-S-376-N-1; ferner: Die EU darf Kadis Gelder nicht einfrieren, LTO-newsletter vom 19.7.2013, https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/eugh-urteil-c-584-10-p-c-593-10-p-c-595-10-p-kadi-terrorliste-geldereinfrieren /. 45 Vgl. Unterabteilung Europa/Fachbereich Europa, EU-Sanktionen gegenüber Russland: Rechtsgrundlagen und Rechtmäßigkeit restriktiver Maßnahmen der EU gegenüber dem Vorsitzenden der Staatsduma, PE 6-3000- 164/14, https://www.bundestag.de/resource/blob/407910/e724c51c874fafe92b548e28a2b65e6a/PE-6-164-14- pdf-data.pdf. 46 Cuban Liberty and Democratic Solidarity (Libertad) Act, (Public Law 104–114, 110 Stat. 785, 22 U.S.C. §§ 6021– 6091, https://www.treasury.gov/resource-center/sanctions/Documents/libertad.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 15 mit enteigneten Rechtspositionen profitiert haben.47 Die US-Präsidenten hatte die entsprechenden , völkerrechtlich umstritten Regeln des Helms-Burton Act bis zum Mai 2019 ausgesetzt, um die politischen Beziehungen zu Kuba sowie zu den europäischen Investoren auf Kuba nicht zu belasten.48 Die VN-Generalversammlung zeigte sich in zahlreichen Resolutionen besorgt über nationale Gesetze wie den Helms-Burton Act, die die Souveränität anderer Staaten und die Freiheit von Handel und Schifffahrt beeinträchtigten.49 Der VN-Sonderberichterstatter über die negativen Folgen einseitiger Zwangsmaßnahmen bezeichnete die Aktivierung von Titel III des Helms-Burton Act als direkten Angriff auf europäische und kanadische Unternehmen in Kuba.50 Die EU hatte bereits 1996 auf den Helms-Burton Act mit einer Verordnung des Rates „zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen“ reagiert.51 Die EU und einige weitere Staaten kritisierten die Beendigung der Aussetzung des Helms-Burton Act: 47 Siehe im Einzelnen Cleary/Gottlieb, End of Suspension of Title III of the Helms-Burton Act: Authorization of Claims Under U.S. Law for “Trafficking” In Certain Cuban Properties (Updated), 19 April 2019, https://www.clearygottlieb.com/-/media/files/alert-memos-2019/2019_04_19-end-of-suspension-of-title-iii-ofthe -helms-burton-act-pdf.pdf. 48 Werner J. Marti, Trump will, dass enteignete Exilkubaner nach 60 Jahren entschädigt werden, in: NZZ vom 7. Mai 2019, https://www.nzz.ch/meinung/trump-will-dass-enteignete-exilkubaner-nach-60-jahren-entschaedigtwerden -ld.1479940. 49 Vgl. zuletzt Resolution VN-Generalversammlung A/RES/69/5 vom 28. Oktober 2014, Necessity of ending the economic, commercial and financial embargo imposed by the United States of America against Cuba, https://undocs.org/en/A/RES/69/5. In diesem Zusammenhang forderte die VN-Generalversammlung die Staaten auf “to refrain from promulgating and applying laws and measures of the kind referred to in the preamble to the present resolution, in conformity with their obligations under the Charter of the United Nations and international law, which, inter alia, reaffirm the freedom of trade and navigation” (para 2). 50 UN Human Rights Office to the High Commissioner, US sanctions violate human rights and international code of conduct, UN expert says, 6. Mai 2019, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=24566&LangID=E. 51 Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen, https://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:31996R2271&from=DE. Die Verordnung soll europäische Unternehmen vor den Auswirkungen einer extraterritorialen Anwendung von Rechtsakten eines Drittstaates sowie vor den darauf beruhenden Sanktionsmaßnahmen schützen. Im Anhang der Verordnung sind die zu „blockenden“ Sanktionen aufgeführt. Der Verordnung zufolge werden entsprechende Entscheidungen US-amerikanischer Gerichte und Behörden, welche US-Sanktionen durchführen sollen, in der EU nicht anerkannt bzw. nicht vollstreckt. Die Verordnung untersagt, Forderungen oder Verbote, die auf den im Anhang der EU-Blocking-Verordnung genannten US-Sanktionen beruhen, nachzukommen. Daneben sieht die EU-Blocking-Verordnung einen „Anspruch auf Ersatz aller Schäden, einschließlich von Rechtskosten“ vor, die EU-Unternehmen aufgrund der US-Sanktionen entstehen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 16 Die Europäische Union bedauert zutiefst die vollständige Aktivierung des Helms-Burton- Gesetzes (LIBERTAD Act) von 1996 durch die Vereinigten Staaten. Die Entscheidung, Titel III zu aktivieren und Maßnahmen nach Titel IV den Weg zu ebnen, stellt einen Verstoß gegen die Verpflichtungen aus den Abkommen zwischen der EU und den USA von 1997 und 1998 dar, die bisher von beiden Seiten ohne Unterbrechung geachtet wurden. Dadurch werden unnötige Spannungen verursacht sowie das Vertrauen und die Vorhersehbarkeit in der transatlantischen Partnerschaft untergraben. Die EU vertritt die Auffassung , dass die extraterritoriale Anwendung einseitiger restriktiver Maßnahmen völkerrechtswidrig ist, und wird auf alle geeigneten Maßnahmen zurückgreifen, um auf die Auswirkungen des Helms-Burton-Gesetzes – auch bezüglich ihrer Rechte im Rahmen der WTO sowie durch Anwendung des "Abwehrgesetzes" der EU – zu reagieren. Die EU wird mit ihren internationalen Partnern, die diesbezüglich ebenfalls Bedenken geäußert haben , weiter zusammenarbeiten.52 Auch die Außenbeauftragte der EU erklärte, die EU werde auf alle geeigneten Maßnahmen zurückgreifen , um auf die Auswirkungen des Helms-Burton Act zu reagieren. Dies schließe auch die Wahrnehmung von Rechten im Rahmen der WTO und die Anwendung der bereits genannten Blocking-Verordnung mit ein.53 Die völkerrechtswissenschaftliche Literatur sieht die Ausübung nationaler Hoheitsgewalt54 in Fällen ohne hinreichenden Inlandsbezug als problematisch an.55 Zwar verbietet das Völkerrecht 52 Erklärung der Hohen Vertreterin im Namen der EU zur vollständigen Aktivierung des Helms-Burton-Gesetzes (LIBERTAD Act) durch die Vereinigten Staaten, 02. Mai 2019, https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2019/05/02/declaration-by-the-high-representativeon -behalf-of-the-eu-on-the-full-activation-of-the-helms-burton-libertad-act-by-the-united-states/. 53 Vgl. Rat der EU, Pressemitteilung vom 2.5.2019, Erklärung der Hohen Vertreterin im Namen der EU zur vollständigen Aktivierung des Helms-Burton-Gesetzes (LIBERTAD Act) durch die Vereinigten Staaten, https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2019/05/02/declaration-by-the-high-representativeon -behalf-of-the-eu-on-the-full-activation-of-the-helms-burton-libertad-act-by-the-united-states/; EU will gegen US-Klagen zu Enteignungen in Kuba vorgehen, ZEIT-online vom 2. Mai 2019, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-05/europaeische-union-us-klagen-enteignungen-kuba-helms-burtongesetz . 54 Siehe im Einzelnen Bernard H. Oxman, Jurisdiction of States, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.); MPEPIL, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e1436?rskey=2DquJx&result=3&prd=EPIL, an den sich die nachfolgenden Ausführungen anschließen. 55 Claus Kress/Jochen Herbst, Der Helms-Burton-Act aus völkerrechtlicher Sicht. Zum Gutachten des Inter- Amerikanischen Juristenausschusses vom 23. August 1996, in: RIW 1997, S. 631-641, https://online.ruw.de/suche/riw/Der-Helms-Burton-Act-aus-voelkerrechtlicher-Sicht- 5ccfecc5b3bd4c7c894962e577e64f75?crefresh=1) Schöbener/Herbst/ Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, Heidelberg: Müller, 2010, Rn. 84 ff., Rn. 104. Werner Meng, Wirtschaftssanktionen und staatliche Jurisdiktion – Grauzonen im Völkerrecht, in: ZaöRV 1997, 269-327, http://www.zaoerv.de/57_1997/57_1997_2_3_a_269_328.pdf; A. Lowe, The Problems of Extraterritorial Jurisdiction: Economic Sovereignty and the Search for a Solution, The International and Comparative Law Quarterly (ICLQ) 1985, S. 724-746; Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 17 nicht grundsätzlich, dass Staaten eigene, nationale Hoheitsgewalt außerhalb des eigenen Territoriums ausüben und dabei Sachverhalte mit Auslandsbezug regeln (jurisdiction to legislate oder prescriptive jurisdiction) und ihre Gerichtsbarkeit ausüben (jurisdiction to adjudicate). Um eine Zuständigkeit zur Ausübung von Hoheitsgewalt außerhalb des eigenen Territoriums zu begründen , bedarf es allerdings eines hinreichenden Anknüpfungspunktes an das Inland. Probleme ergeben sich dort, wo die Staaten keinen hinreichenden Bezug zwischen dem normierenden Staat und dem von ihm regulierten Sachverhalt anerkennen. In der Literatur wird Teil III des Helms-Burton Act in diesem Zusammenhang oft als Beispiel angeführt. 4.2. Individueller Rechtsschutz gegen US-Sanktionen vor nationalen Gerichten Sanktionsmaßnahmen – auch wenn sie extraterritorial angewendet werden – sind nationale Hoheitsakte , die vor nationalen Gerichten angefochten werden können. Eine aktuelle SWP-Studie kommt zu dem Schluss, dass eine wirksame Begrenzung des weltweiten Vollzugs von nationalem US-amerikanischem Recht letztlich auch nur durch Verfahren vor nationalen US-Gerichten zu erlangen ist.56 Medienberichten zufolge sind US-Gerichte in letzter Zeit tatsächlich verstärkt mit US-Sanktionen befasst. So hat etwa der russische Oligarch Oleg Deripaska das US-Finanzministerium wegen der gegen ihn verhängten Sanktionen verklagt. Der Kläger führt aus, dass sein Vermögen um 7,5 Milliarden Dollar (6,6 Milliarden Euro) geschrumpft sei, nachdem die Vereinigten Staaten am 6. April 2018 Sanktionen gegen ihn und sechs weitere russische Oligarchen verhängten.57 J.W. Cain, Extraterritorial Application of the United States Trade Embargo against Cuba: The UN General Assembly ’s Call for an End to the US Trade Embargo, in: Georgia Journal of International and Comparative Law 24 (1994), S. 379-396, https://digitalcommons.law.uga.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1436&context=gjicl. Timm Ebner, Streitbeilegung im Welthandelsrecht, Tübingen: Mohr 2005, S. 39 f. Andreas F. Lowenfeld, Congress and Cuba: The Helms-Burton Act, in: American Journal of International Law (AJIL) 1996, S. 419-434, https://www.jstor.org/stable/2204066?origin=crossref&seq=1#page_scan_tab_contents; B. Stern, Vers la mondialisation juridique? Les lois Helms-Burton et D'Amato-Kennedy, in : Revue générale de droit international public (RGDIP) 1996 S. 979 ff.; Hans-Konrad Ress, Das Handelsembargo, Heidelberg: Springer 2000, S. 34 ff. (39, 42). Brice M. Clagett, Title III of the Helms-Burton Act is consistent with international law, in: American Journal of International Law (AJIL) 1996, S. 434-440, https://www.jstor.org/stable/2204067?seq=1#page_scan_tab_contents. 56 Sascha Lohmann, Extraterritorialen US-Sanktionen, in: SWP-Aktuell Nr. 31, Mai 2019, https://www.swpberlin .org/fileadmin/contents/products/aktuell/2019A31_lom.pdf. 57 Russischer Oligarch Deripaska klagt gegen US-Sanktionen, Welt online vom 16. März 2019, https://www.welt.de/newsticker/news1/article190389301/Justiz-Russischer-Oligarch-Deripaska-klagt-gegen-US- Sanktionen.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 18 Auch der chinesischen Technologiekonzern Huawei reichte Klage gegen das US-amerikanische Handelsministerium wegen Sanktionen ein, die nach seiner Auffassung verfassungswidrig seien. Die US-Regierung hatte zuvor mehrere chinesischen Unternehmen, darunter auch Huawei, auf eine „schwarze“ (Sanktions-)Liste gesetzt, weil sie nach eigenen Angaben fürchtet, die Technologie des Konzerns könne zu Spionagezwecken verwendet werden. Damit ist es US-Firmen untersagt , mit den gelisteten Unternehmen Geschäfte zu machen. Laut Klageschrift geht es Huawei um Telekommunikationsausrüstung, die das Unternehmen aus China in ein Testlabor in Kalifornien befördert hatte und von dort wieder in die Volksrepublik zurückbringen wollte. Nach Darstellung von Huawei wurde die Ladung in Alaska von der US-Regierung beschlagnahmt.58 4.3. Individueller Rechtsschutz durch VN-Menschenrechtsinstrumente Sanktionen, die die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten in bestimmten Staaten erheblich beeinträchtigen, können das Recht auf Leben der in diesen Staaten wohnenden Menschen verletzen. Individuelle Wirtschaftssanktionen greifen zudem in zahlreiche weitere Menschenrechte (z.B. Eigentum) ein. Sanktionsfolgen können daher in den Anwendungsbereich von Menschenrechtsinstrumenten fallen. Denkbar sind Verfahren vor den VN-Vertragsausschüssen (insbesondere IPbpR und IPwskR)59 sowie dem VN-Menschenrechtsrat (VN-MRR). Gemäß dem Fakultativprotokoll zum IPbpR darf der VN-Menschenrechtsausschusses Mitteilungen von Einzelpersonen, die behaupten, Opfer einer Verletzung eines in dem Pakt niedergelegten Rechts zu sein, entgegennehmen, prüfen und schließlich seine Auffassungen zu der Angelegenheit dem betroffenen Vertragsstaat und der Einzelperson mitteilen.60 Die Verfahrensmöglichkeiten des VN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte nach dem Fakultativprotokoll zum IPwskR reichen etwas weiter, gewähren im Ergebnis aber ebenfalls nur sehr begrenzt individuellen Rechtsschutz (im Sinne eines vollstreckbaren Urteils).61 58 USA erweitern schwarze Liste, Huawei reicht Klage ein, manager magazin vom 24. Juni 2019, https://www.manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/handelsstreit-china-usa-usa-setzen-huawei-aufschwarze -liste-a-1273989.html. Achim Sawall, Huawei will seine Klage gegen US-Sanktionen beschleunigen, 29. Mai 2019, https://www.golem.de/news/texas-huawei-will-seine-klage-gegen-us-sanktionen-beschleunigen-1905- 141582.html. 59 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR), 19. Dezember 1966 (BGBl. 1973 II 1553), https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF- Dateien/Pakte_Konventionen/ICCPR/iccpr_de.pdf; Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR), 19. Dezember 1966, Bundesgesetzblatt (BGBl) 1976 II, 428, https://www.institut-fuermenschenrechte .de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/ICESCR/icescr_de.pdf. 60 Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, https://www.zivilpakt.de/1-fakultativprotokoll-357/. 61 VN-Generalversammlung Resolution 63/117 vom 10. Dezember 2008, Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte https://www.institut-fuermenschenrechte .de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/ICESCR/icescr_op1_dt.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 19 In der Tat wurden dem VN-Menschenrechtsausschuss für den IPbpR und dem VN- Menschenrechtsrat bereits Fälle vorgelegt, in denen Individuen eine Streichung von Sanktionslisten des VN-SR begehrten.62 Allerdings hatte der VN-Menschenrechtsausschuss bisher keine Gelegenheit , sich zu Art. 6 IPBPR (Recht auf Leben) im Kontext von Sanktionsfolgen zu äußern. Verfahren vor dem VN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, in denen der Ausschuss (individuelle) Sanktionsfolgen einer menschenrechtlichen Prüfung unterworfen hätte, sind nicht bekannt. 4.4. Rechtsschutz für betroffene Staaten Auch von Zwangsmaßnahmen betroffenen Staaten stehen Rechtsschutzmöglichkeiten offen. Zu unterscheiden sind hiervon die Möglichkeiten nicht direkt betroffener Drittstaaten oder der Staatengemeinschaft , Gegenmaßnahmen bzw. Sanktionen im engeren Sinne auf ihre völkerrechtliche Rechtfertigung oder auch ihre Vereinbarkeit mit internationalen Menschenrechtspakten (gerichtlich ) überprüfen zu lassen, wenn beispielsweise humanitäre Katastrophen infolge von Sanktionen zu befürchten sind. 4.4.1. Internationaler Gerichtshof Im Rahmen eines Gutachtens nach Art. 96 VN-Charta könnte der Internationale Gerichtshof (IGH) die menschenrechtlichen Konsequenzen US-amerikanischer Sanktionen untersuchen und etwa zur Frage der Angemessenheit von Sanktionen Stellung beziehen. Ein entsprechendes Gutachten könnte allerdings nur von den in Art 96 VN-Charta bezeichneten Stellen, im Wesentlichen der VN-Generalversammlung oder dem VN-SR, angefordert werden. Iran hat bereits mehrfach den Weg vor den IGH beschritten, um gegen US-Sanktionen zu klagen: 2016 hatte die Islamische Republik Iran vor dem IGH von den Vereinigten Staaten die Rückzahlung von sog. frozen assets begehrt und sich dabei auf den „Vertrag über Freundschaft, Wirtschaftsbeziehungen und Konsularrechte“ von 1955 („Freundschaftsvertrag“) gestützt.63 Die Vereinigten Staaten halten den Freundschaftsvertrag, der mit dem damaligen Schah-Regime geschlossen worden war, für nichtig seit der Islamischen Revolution 1979 und erkannten eine Zuständigkeit des IGH deshalb nicht an.64 Das Gericht entschied im Februar 2019, dass es für weite Teile der Klage zuständig und die Klage somit zulässig sei.65 Zwischen der Klageerhebung im 62 Vgl. Nabil Sayadi und Patricia Vinck v. Belgien, Communication Nr. 1472/2006, 22. Oktober 2008, CCPR/C/94/D/1472/2006, Ziff. 10.7 ff., zitiert bei Kälin/Künzli, a.a.O. (Fn. 31), Fn. 57. 63 ICJ: Iran bid to recover billions in frozen US assets can proceed, DW vom 13. Februar 2019, https://www.dw.com/en/icj-iran-bid-to-recover-billions-in-frozen-us-assets-can-proceed/a-47498602. 64 Iran fordert ein Ende der Sanktionen, Tagesschau vom 27. August 2018, https://www.tagesschau.de/ausland/iran-usa-133.html. 65 Urteil vom 13. Februar 2019, S. 37 f. https://www.icj-cij.org/files/case-related/164/164-20190213-JUD-01-00- EN.pdf; für weitere Verfahrensdokumente s. https://www.icj-cij.org/en/case/164. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 20 Juni 2016 und dem Urteil im Februar 2019 hatte die Islamische Republik Iran im Juli 2018 außerdem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen kurz zuvor verhängte US-Sanktionen gestellt . Diese verstießen nach Ansicht Irans ebenfalls gegen den Freundschaftsvertrag von 1955.66 Das US-amerikanische Außenministerium lehnte auch in diesem Verfahren die Zuständigkeit des IGH ab: Die Klage richte sich gegen die im Rahmen des Atomabkommens von 2015 verhängten Sanktionen; für dieses Abkommen gelte aber ausdrücklich keine Zuständigkeit des IGH, sondern ein anderer Schlichtungsmechanismus.67 Der IGH erkannte im einstweiligen Rechtsschutzverfahren dennoch auf die Anwendbarkeit des Freundschaftsvertrags und seine eigene Zuständigkeit .68 Hierauf basierend gab er den Vereinigten Staaten auf, vorläufige Maßnahmen zu ergreifen, um Hindernisse für die freie Ausfuhr von Waren, die zur Befriedigung humanitärer Bedürfnisse erforderlich sind (insb. medizinische Versorgungsgüter und Lebensmittel), zu beseitigen.69 Eine Hauptsachenentscheidung steht noch aus. Es ist zu erwarten, dass die Vereinigten Staaten die Entscheidungen des IGH mit derselben Argumentation wie in den früheren Verfahren und Verfahrensschritten ablehnen. Inzwischen wurde der Freundschaftsvertrag von US-amerikanischer Seite aufgekündigt.70 4.4.2. WTO-Streitschlichtungsmechanismus Auch vor den Streitschlichtungsorganen der WTO (Dispute Settlement Body, Appellate Body)71 wurden bereits Verfahren gegen die Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit Handelssanktionen angestrengt. Bereits 1996 leitete die EU ein Verfahren gegen die Vereinigten Staaten ein, in welchem sie einen Verstoß des Helms-Burton Act gegen verschiedene Bestimmungen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (General Agreement on Tariffs and Trade, GATT) und des Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS) rügte. Das Verfahren wurde jedoch aufgrund der Suspendierung der strittigen 66 IGH, Alleged violations of the 1955 Treaty of Amity, Economic Relations, and Consular Rights (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Verfahrensdokumente zum neuen Verfahren unter: https://www.icjcij .org/en/case/175. S. außerdem: Iran klagt gegen amerikanische Sanktionen, FAZ vom 17. Juli 2018, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/vor-un-gericht-iran-klagt-gegen-us-sanktionen-15696061.html. 67 US Rejects ICJ Jurisdiction in Sanctions Case, Financial Tribune, 28. August 2018, https://financialtribune.com/articles/national/92624/us-rejects-icj-jurisdiction-in-sanctions-case. 68 IGH: Summary of the Order of 3 October 2018, S. 3, https://www.icj-cij.org/files/case-related/175/175- 20181003-SUM-01-00-EN.pdf. 69 A.a.O. (Fn. 68), S. 6 f. 70 US terminates 1955 Treaty of Amity with Iran, DW vom 4. Oktober 2018, https://www.dw.com/en/usterminates -1955-treaty-of-amity-with-iran/a-45742464. 71 Zum Streitschlichtungsmechanismus der WTO vgl. https://www.wto.org/english/thewto_e/whatis_e/tif_e/disp1_e.htm. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 071/19 Seite 21 Vorschriften 1998 eingestellt.72 Kommentatoren des damaligen WTO-Verfahrens vertraten die Auffassung, dass Titel III des Helms-Burton Act mit den handelsvertraglichen Übereinkommen der WTO unvereinbar sein könne.73 Die Vereinigten Staaten hatten damals offenbar bereits angekündigt , eine etwaige negative Entscheidung der WTO über den Helms-Burton Act ignorieren zu wollen. Der Ausgang einer möglichen Neuauflage beim WTO-Dispute Settlement Body, wie ihn die Ankündigung der Außenbeauftragten der EU möglich erscheinen lässt (s.o.), bleibt abzuwarten . *** 72 Dokument WT/DS38/1-6, UN States – The Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act. Request for Consultations by the European Communities, Lapse of the Authority for Establishment of the Panel, https://docs.wto.org/dol2fe/Pages/FE_Search/FE_S_S006.aspx?Query=(@Symbol=%20wt/ds38/*)&Language=E NGLISH&Context=FomerScriptedSearch&languageUIChanged=true. 73 Vgl. Harck-Oluf Nissen, Helms-Burton-Act vor der WTO, in: RIW 1999, S. 350 ff., https://online.ruw.de/suche/riw/Der-Helms-Burton-Act-vor-der-WTO-2438f9f1a4356dd7e3e9b74d6eccc1b4.