© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 070/19 Zur Fraktionsbildung in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 – 070/19 Seite 2 Zur Fraktionsbildung in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats Aktenzeichen: WD 2 - 3000 – 070/19 Abschluss der Arbeit: 17. Juni 2019 (zeitgleich letzter Zugriff auf Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 – 070/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Rechtsfolgen einer Anerkennung als Fraktion 4 3. Rechtliche Voraussetzungen für die Fraktionsbildung 5 4. Rechtmäßigkeit der Geschäftsordnungsänderung 5 5. Mögliche Rechtsmittel 7 6. Fazit 7 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 – 070/19 Seite 4 1. Einleitung Gegenwärtig gibt es in der Parlamentarischen Versammlung (PV) des Europarats sechs Fraktionen : die Europäische Volkspartei (EVP-CD), die Sozialdemokratische und Grüne Fraktion (SOC), die Fraktion der Europäischen Konservativen (EC), die Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), die Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken (UEL) und die Fraktion der Freien Demokraten.1 Die Bildung einer neuen Fraktion u.a. aus Abgeordneten der AfD, der österreichischen FPÖ und der italienischen Lega, die den Namen Neue Europäische Demokraten/Europa der Nationen (NDE/ENL)2 tragen sollte, wurde im Mai vom Präsidium der Europarats-PV abgelehnt.3 Das Präsidium, das gemäß Art. 19 der Geschäftsordnung der PV (GO-PV) der Fraktionsbildung zustimmen muss, hatte die Entscheidung zunächst zweimal verschoben und dann den Geschäftsordnungsausschuss um seine Einschätzung gebeten. In der Folge erging die Resolution 2278 (2019)4 in der 16. Sitzung der PV im April 2019, mit der u.a. der entsprechende Abschnitt der GO-PV zu den Fraktionen geändert wurde. 2. Rechtsfolgen einer Anerkennung als Fraktion Bedeutsam ist die Anerkennung als Fraktion vor allem für die damit verbundenen Mitwirkungsrechte und Verteilung der Haushaltsmittel. Insbesondere betrifft dies die Besetzung und den Vorsitz der Ausschüsse (Art. 44.3, 46.3 GO-PV, zur Mitgliedschaft ex officio, vgl. die Artikel 14.4, 17.3, 19.5, 58.2 GO-PV), sowie das Mitwirken im Präsidium (Art. 14.3 GO-PV). Der Erhalt von Mittelzuweisungen für die Betriebskosten ist ebenfalls an die Anerkennung als Fraktion gebunden (vgl. Art. 19.6 GO-PV). Fraktionen in der PV kommt außerdem das Recht zu, eine Dringlichkeitsdebatte (Art. 51.1 GO-PV) oder eine Debatte über aktuelle Angelegenheiten (Art. 53.2 GO-PV) zu beantragen und einen Sprecher in jeder Debatte in der Versammlung zu nennen – einschließlich eines Sprechers, der eine Frage an den Vorsitzenden des Ministerkomitees und andere geladene Gäste stellen kann. 1 So zu entnehmen der Website der Parlamentarischen Versammlung unter http://websitepace .net/en_GB/web/apce/political-groups. 2 New European Democrats/Europe of Nations and Freedom (NED/ENF). 3 Mitteilung der Versammlung über Twitter am 23.5.2019, vgl. „Europarat lehnt Bildung rechter Fraktion ab“, ZEIT ONLINE vom 24.5.2019. 4 Resolution 2278 (2019): „Modification of various provisions of the Assembly’s Rules of Procedure“, verabschiedet am 11.4.2019, s. auch den dazugehörigen Report (Doc. 14849). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 – 070/19 Seite 5 3. Rechtliche Voraussetzungen für die Fraktionsbildung Maßgeblich für die Neubildung einer Fraktion in der Europarats-PV ist deren Geschäftsordnung. Seit der Geschäftsordnungsänderung durch Resolution 2278 im April 20195 sieht die geänderte GO-PV in Art. 19 die folgenden Voraussetzungen für die Anerkennung einer Fraktion vor: 19.1. Representatives and substitutes may form political groups according to their political affinities. To be acknowledged by the Bureau, political groups shall undertake, in particular in their political charter, statutes and activities, to promote and respect the values of the Council of Europe, notably political pluralism, human rights and the rule of law. 19.2. A political group shall have no fewer than 28 members of at least eight national delegations. No Assembly member may belong to more than one political group. […]6 Solange das Quorum des Art. 19.2 GO-PV nicht erfüllt wird, ist die Ablehnung der Fraktionsbildung durch Beschluss des Präsidiums nicht zu beanstanden. Es kommt dann nicht darauf an, ob der Fraktionsbildung gegebenenfalls auch ein Mangel hinsichtlich der Voraussetzung des Art. 19.1 GO-PV – der Förderung und Achtung der Werte des Europarates, insbesondere politischer Pluralismus, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit – entgegenstünde. Vor der Änderung der Geschäftsordnung lag das Quorum des Art. 19 GO-PV a.F. bei lediglich 20 Mitgliedern aus mindestens sechs Delegationen7 und wurde durch die Mitglieder, die die neue Fraktion bilden wollten, angabegemäß erfüllt. Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage der Rechtmäßigkeit der Änderung. 4. Rechtmäßigkeit der Geschäftsordnungsänderung Die Änderung ist sowohl an den Bestimmungen der Geschäftsordnung selbst, als auch der Satzung des Europarats8 zu messen. 5 A.a.O. (Fn. 4). 6 Art. 19 Geschäftsordnung der Europarats-PV inkl. der Änderung durch Resolution - Hervorhebungen des Verf. 7 Geschäftsordnung der Europarats-PV vom 4.11.1999 a.F. - ohne Resolution 2278 (2019). 8 Satzung des Europarates vom 5.5.1949. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 – 070/19 Seite 6 Gemäß Artikel 289 der Satzung des Europarats gibt sich die Parlamentarische Versammlung selbst eine Geschäftsordnung und kann diese jederzeit ändern. Damit obliegt der Versammlung die ausschließliche Zuständigkeit für den Erlass ihres eigenen Selbstorganisationsrechts. Die Tatsache, dass die Europaratssatzung bspw. in Art. 28 lit. c die Aufnahme bestimmter Verfahrenselemente in die Geschäftsordnung vorschreibt und in Art. 29 und 30 der Europaratssatzung die erforderlichen Mehrheitsverhältnisse für bestimmte Beschlüsse festlegt,10 kann nicht die Befugnisse der Versammlung einschränken, Regeln zu erlassen, die sie für ihr ordnungsgemäßes Funktionieren für notwendig hält. Die Versammlung ist folglich souverän in Bezug auf ihre Binnenorganisation.11 Die Geschäftsordnung selbst regelt in Art. 70 das Verfahren und die Voraussetzung für eine Änderung: Rule 70 - Revision of the Rules of Procedure 70.1. Motions for resolutions to amend the Rules of Procedure must be supported by twenty or more representatives or substitutes. They shall be referred to the Committee on Rules of Procedure, Immunities and Institutional Affairs which shall report on them as provided by Rule 50. 70.2. The Bureau may request the Committee on Rules of Procedure, Immunities and Institutional Affairs to report on questions of interpretation or modification of the Rules of Procedure. 70.3. The examination of the report of the committee shall be included in the agenda in accordance with the provisions of Rule 27. Eine Verletzung dieser Form- und Verfahrensvorschriften ist nicht ersichtlich, somit bestehen keine Gründe zur Annahme einer Unwirksamkeit der Geschäftsordnungsänderung durch Resolution 2278 (2019). Auch inhaltlich stehen der Rechtmäßigkeit die Werte des Europarats nicht entgegen. Insbesondere ist die Änderung nicht willkürlich, sondern wird mit der Funktionsfähigkeit der Versammlung begründet: 9 Artikel 28 lit. a Europaratssatzung: Die Beratende Versammlung gibt sich ihre Geschäftsordnung. Sie wählt aus dem Kreis ihrer Mitglieder ihren Präsidenten, der bis zur folgenden ordentlichen Tagung im Amte bleibt […]. 10 Aus Art. 29 und 30 Europaratssatzung ergibt sich das Erfordernis einer Zweidrittel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen für die Entscheidung über Geschäftsordnungsänderungen, vgl. Satzung des Europarates. 11 Vgl. insoweit den Bericht „Strengthening the decision-making process of the Parliamentary Assembly concerning credentials and voting“ vom 6.6.2019 auf S. 7 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 – 070/19 Seite 7 „In a context of fragmentation of politics and party allegiances which could fuel, in the Assembly, a temptation to increase the number of groups for reasons which are clearly political but undoubtedly also strategic, opportunistic and material, it is essential to have a politically representative, credible and effective Parliamentary Assembly that must be able to act, debate and decide on the basis of ideas and positions expressed by the representatives of the major European political families.“12 5. Mögliche Rechtsmittel Weder in der Geschäftsordnung der Parlamentarischen Versammlung noch in der Europaratssatzung findet sich ein spezielles Rechtsmittel gegen den Beschluss des Präsidiums, eine Fraktion nicht anzuerkennen. Offen steht den Abgeordneten damit nur die allgemeine Möglichkeit einer Beschwerde beim Geschäftsordnungsausschuss. 6. Fazit Entgegen einer zum Teil in den Medien vertretenen Auffassung13 liegt der Fraktionsbildung nach der Geschäftsordnungsänderung rechtlich kein Streit um die inhaltliche Ausrichtung der betreffenden Parteien zugrunde; vielmehr geht es allein um das auf 28 Mitglieder aus acht Delegationen erhöhte Quorum als formales Kriterium. Die entsprechende Geschäftsordnungsänderung ist Ausdruck einer demokratischen Mehrheitsentscheidung. Vor diesem Hintergrund bestehen rechtlich auch keine Bedenken gegen den Beschluss des Präsidiums , die Fraktionsbildung abzulehnen. Ein spezielles Rechtsmittel für solche Entscheidungen des Präsidiums besteht nicht; es steht der betreffenden Parlamentariergruppe aber frei, beim Geschäftsordnungsausschuss eine Beschwerde einzureichen. *** 12 S. 9 des Reports (Doc. 14849) zur Änderungsresolution 2278 (2019), a.a.O. (Fn. 4). 13 Vgl. vor allem rechtskonservative Medien wie JUNGE FREIHEIT vom 24.5.2019: „Europarat verbietet Bildung rechter Fraktion“; Die Tagesstimme vom 24.5.2019: „Europarat verbietet Bildung rechter Fraktion“. Missverständlich insoweit ZEIT ONLINE vom 24.5.2019 „Europarat lehnt Bildung rechter Fraktion ab“.