2020 Deutscher Bundestag WD 2 – 3010 – 069/20 Extremismusprävention in der Bundeswehr Instrumente zum Schutz gegen Extremismus Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 069/20 Seite 2 Extremismusprävention in der Bundeswehr Instrumente zum Schutz gegen Extremismus Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 069/20 Abschluss der Arbeit: 9. September 2020 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 069/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Verfassungstreuepflicht und Verletzung der Soldatenpflichten 5 3. Anwendung der Dienstvorschrift „Extremismus – Vorbeugung und Bekämpfung“ und der „Leitlinie zur Extremismusprävention in den Bundeswehr- Dienstleistungszentren“ 6 4. Anwendung der Dienstvorschrift „Militärische Sicherheit in der Bundeswehr“ 7 5. Zweifel des/der Disziplinarvorgesetzten an der charakterlichen Eignung eines Soldaten aufgrund von extremistischer Betätigung, fehlender Verfassungstreue oder Verstößen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung 7 6. Über den Umgang mit Erkenntnissen des MAD 7 7. Über die Umsetzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit 8 8. Über die Anwendung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst 8 9. Informations- und Aufklärungsarbeit 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 069/20 Seite 4 1. Einführung In seinem Jahresbericht für das Jahr 2019 registrierte der Militärische Abschirmdienst1 482 neu hinzugekommene Verdachtsfälle im Phänomenbereich „Extremismus“. 2 Aus diesen 482 Fällen wurden 363 dem Rechtsextremismus zugeordnet, 77 dem Islamismus, 17 dem Ausländerextremismus, 16 der Reichsbürger- bzw. Selbstverwalter-Szene und 9 dem Linksextremismus.3 Insgesamt wurden im Berichtsjahr 14 Personen als erkannte Extremisten eingestuft4 (8 wegen Rechtsextremismus, 4 wegen Islamismus und 2 wegen Zugehörigkeit zur Reichsbürger- bzw. Selbstverwalter-Szene). Bei weiteren 39 Personen gab es vorhaltbare Erkenntnisse, die den Verdacht der fehlenden Verfassungstreue begründeten5 (in 27 Fällen wegen Rechtsextremismus, in 4 Fällen wegen Islamismus, in 3 Fällen wegen Zugehörigkeit zur Reichsbürger- bzw. Selbstverwalter -Szene, in 3 Fällen wegen Ausländerextremismus und in 1 Fall wegen Linksextremismus ). Der größte Anteil aus beiden Kategorien (erkannte Extremisten und Personen mit fehlender Verfassungstreue) entfiel auf das Heer mit 35 Fällen. Danach kamen die Luftwaffe und die Streitkräftebasis mit jeweils 6 Fällen. Bei der Marine gab es 3 Fälle. Im militärische Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum (CIR) sowie im Zentralen Sanitätsdienst wurde je 1 Fall registriert. Insgesamt führte der MAD im Jahr 2019 Ermittlungen im Rahmen von 743 Verdachtsfällen durch (diese Zahl beinhaltet 261 noch nicht abgeschlossenen Verdachtsfälle aus den Vorjahren sowie die 482 neu hinzugekommenen Verdachtsfällen aus dem Jahr 2019). Die überwiegende Mehrheit dieser Ermittlungen (600 Fälle) wurde wegen des Verdachtes auf Rechtsextremismus geführt.6 Ende 2019 zählte die Bundeswehr etwa 183.500 Soldaten. Rein rechnerisch kam demnach 1 Der Militärische Abschirmdienst (MAD) besteht aus dem Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) und dessen nachgeordnetem Bereich. 2 Jahresbericht des Militärischen Abschirmdienstes für das Jahr 2019, Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst, Köln, 2020, 36 S, (S. 13ff), abgerufen am 1. September 2020 unter https://www.bundeswehr .de/resource/blob/250916/4b7eaa170b1e399018d0c8f961f4233c/mad-report-2019-data.pdf 3 Einer besseren Lesbarkeit wegen wird in diesem Absatz darauf verzichtet, die Zahlen zwischen eins und zwölf auszuschreiben. 4 Sogenannte Stufe „rot“. 5 Sogenannte Stufe „orange“. 6 Bestandsaufnahme, Niemand, der in radikaler Art und Weise in unseren Streitkräften auffällt, hat in der Bundeswehr einen Platz, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesverteidigungsministerium , undatiert, abgerufen am 2. September 2020 unter https://www.bundeswehr.de/de/aktuelles /schwerpunkte/kein-platz-fuer-extremisten Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 069/20 Seite 5 ein Verdachtsfall auf knapp 250 Soldaten bzw. ein rechtsextremistischer Verdachtsfall auf etwa 300 Soldaten. In dieser Arbeit werden Instrumente vorgestellt, die der Bundeswehr zur Verfügung stehen, um gegen politischen Extremismus vorzugehen. 2. Verfassungstreuepflicht und Verletzung der Soldatenpflichten Soldaten obliegt (wie Richtern und Beamten) eine Verfassungstreuepflicht. Diese ergibt sich aus § 8 Soldatengesetz (SG): „Der Soldat muss die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung eintreten.“. Bei mangelnder Verfassungstreue kann eine Entlassung aus dem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis bewirkt werden.7 Es ist zu beachten, dass unterschiedliche Entlassungstatbestände je nach Dienstverhältnis gelten: § 468 SG „Entlassung“ gilt für Berufssoldaten/-innen; § 55 SG9 „Entlassung“ gilt für Soldaten/-innen auf Zeit und § 58h SG 10 gilt für freiwillig Wehrdienstleistende.11 Im Falle von Pflichtverletzungen durch freiwillig Wehrdienstleistenden kann der Dienstherr beim Vorliegen der rechtlichen Voraussetzung in einfacher Weise eine kurzfristige Entlassung erwirken. Soldatinnen und Soldaten auf Zeit können in den ersten vier Dienstjahren entlassen werden, wenn sie ihre Dienstpflichten schuldhaft verletzen und ihr Verbleib im Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr gefährden würde. Die Bundesregierung hat am 3. Juni 2020 einen Gesetzentwurf zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften beschlossen , in dem für besonders schwere Fälle die Anwendbarkeit des § 55 Absatz 5 SG (fristlose Entlassung ) auf acht Jahre erweitert werden soll. Weiterhin können Dienstpflichtverletzungen von Soldatinnen und Soldaten durch Disziplinarmaßnahmen geahndet werden und zu einem gerichtlichen Disziplinarverfahren führen, am Ende dessen die Entfernung aus dem Dienstverhältnis von einem Wehrgericht angeordnet werden 7 Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz - SG) § 55 Entlassung, abgerufen am 1. September 2020 unter https://www.gesetze-im-internet.de/sg/__55.html 8 Vgl. Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und § 75 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 9 Vgl. Abs. 4 S. 1 und Abs. 5 10 Vgl. Abs. 2 i.V.m. § 75 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 11 Die Bundeswehr zählt zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit etwa 54.000 Berufssoldaten, 122.500 Zeitsoldaten und 8.700 freiwillig Wehrdienstleistende. Vgl. Personalstärke der Bundeswehr, abgerufen am 9. September 2020 unter https://www.bundeswehr.de/de/ueber-die-bundeswehr/zahlen-daten-fakten/personalzahlen -bundeswehr Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 069/20 Seite 6 kann.12 Die Bundesregierung erläuterte die entsprechende Verfahrensweise schon 2014 im Rahmen einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE: „Bei Soldatinnen und Soldaten auf Zeit ab dem fünften Dienstjahr sowie bei Berufssoldatinnen und Berufssoldaten ist eine Entlassung regelmäßig nur im gerichtlichen Disziplinarverfahren möglich. Dabei handelt es sich um die gerichtliche Disziplinarmaßnahme „Entfernung aus dem Dienstverhältnis “, die in § 58 in Verbindung mit § 63 WDO [Wehrdisziplinarordnung , A.d.R.] geregelt ist. Die Maßnahme wird durch die Wehrdienstgerichte , die wie alle Gerichte in der Urteilsfindung unabhängig sind, ausgesprochen. Die zu verhängende Maßnahme bestimmt sich nach der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seinen Auswirkungen , dem Maß der Schuld sowie der Persönlichkeit, der bisherigen Führung und den Beweggründen der Soldatin oder des Soldaten (§ 38 Absatz 1 WDO). (…) Wenn sich das beobachtete Verhalten als schwerwiegender schuldhafter Verstoß gegen die politische Treuepflicht nach § 8 des Soldatengesetzes (SG) erweist, wird stets die Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens gemäß § 93 Absatz 1 WDO geprüft. Verwirklicht das extremistisch motivierte Fehlverhalten der Soldatin oder des Soldaten zugleich den Tatbestand einer Straftat nach dem Strafgesetzbuch (StGB) ergeben sich weitere Möglichkeiten zur Beendigung des Dienstverhältnisses.“13 3. Anwendung der Dienstvorschrift „Extremismus – Vorbeugung und Bekämpfung“ und der „Leitlinie zur Extremismusprävention in den Bundeswehr-Dienstleistungszentren“ Die Zentrale Dienstvorschrift (ZDv) A-2600/7 „Extremismus – Vorbeugung und Bekämpfung“ wird seit Veröffentlichung in der gesamten Bundeswehr angewandt. Sie unterliegt der regelmäßigen Aktualisierung und wird bei Bedarf an aktuelle Erfordernisse angeglichen. Ressortinterne Weisungen zu der Thematik existieren bereits seit geraumer Zeit (z.B.: ZDv A2600/7, Abschnitt 6.5). Die „Leitlinie zur Extremismusprävention in den Bundeswehr-Dienstleistungszentren (BwDLZ)“ ist vom Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr (BAPersBw) herausgegeben und ergänzt die ZDv A-2600/7. Sie geht im Speziellen auf Problemstellungen im Zuge der Personalgewinnung ein. Ebenfalls behandelt die Leitlinie ausgewählte Themen der Personalführung bei den BwDLZ in deren Funktion als personalbearbeitende Dienststellen und wird für Tarifbeschäftigte bis zur Entgeltgruppe 9a des Tarifvertrags über die Entgeltordnung des Bundes (TV EntgO) 12 Wie die Truppe Rechtsextreme loswerden kann, Simon Gauseweg, 12. Mai 2017, Legal Tribune Online, abgerufen am 9. September 2020 unter https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bundeswehr-truppe-armee-rechtsextremismus -radikale-militaer-franco-a-dienstrecht-disziplinar-massnahmen-entlassung/ 13 Rechtsextreme Vorfälle in der Bundeswehr und die Reaktion der Militärführung, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, 30. Juli 2014, Drucksache 18/2234, abgerufen am 9. September 2020 unter https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/022/1802234.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 069/20 Seite 7 Bund angewandt. Ziel und Zweck der Leitlinie ist es, eine Sensibilisierung des Personals für die Thematik zu erreichen und Handlungssicherheit zu vermitteln. 4. Anwendung der Dienstvorschrift „Militärische Sicherheit in der Bundeswehr“ Die Zentrale Dienstvorschrift A-1130/1, „Militärische Sicherheit in der Bundeswehr“, beinhaltet grundsätzliche Regelungen der Militärischen Sicherheit in der Bundeswehr, z.B. dass Handlungen sicherheitsgefährdender Kräfte, zu denen auch Extremisten zu rechnen sind, mit Maßnahmen der Absicherung und Abschirmung vorzubeugen und zu begegnen sind (Ziffer 106). Zu Voraussetzungen der Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses eines Soldaten „in Fällen extremistischer Betätigung, fehlender Verfassungstreue oder Verstößen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung“ werden mit dieser Regelung allerdings keine Aussagen getroffen. 5. Zweifel des/der Disziplinarvorgesetzten an der charakterlichen Eignung eines Soldaten aufgrund von extremistischer Betätigung, fehlender Verfassungstreue oder Verstößen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung Sobald Disziplinarvorgesetzte Zweifel an der Verfassungstreue unterstellter Soldatinnen und Soldaten haben, also der Verdacht eines Dienstvergehens (Verstoß gegen § 8 des Soldatengesetzes ) im Raum steht, sind sie gesetzlich verpflichtet, den Sachverhalt durch Ermittlungen aufzuklären. Dies ergibt sich aus § 33 Absatz 1 der Wehrdisziplinarordnung (WDO). Ein „Ignorieren“ entsprechender verdachtsbegründender Tatsachen durch die Disziplinarvorgesetzten wäre ein Verstoß gegen deren eigene soldatische Pflichten. Disziplinarvorgesetzte sind bei Bekanntwerden entsprechender Vorfälle ebenfalls verpflichtet, die Einleitung eines Entlassungsverfahrens nach § 55 Absatz 5 SG zu prüfen. Dies ergibt sich aus der Zentralen Dienstvorschrift A-2160/6 „Wehrdisziplinarordnung und Wehrbeschwerdeordnung “14. Darüber hinaus bestehen verschiedene Meldepflichten gegenüber mit der Thematik befassten Dienststellen, die sich aus den einschlägigen Vorschriften ergeben. 6. Über den Umgang mit Erkenntnissen des MAD Die Pflichten und Rechte von Disziplinarvorgesetzten werden durch Empfehlungen oder eigene Bewertungen des MAD nicht unmittelbar berührt. 14 Nr. 3065 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 069/20 Seite 8 Sofern Disziplinarvorgesetzte aufgrund einer Datenübermittlung oder sonstigen Meldung des MAD von einer entsprechenden Tatsache erfahren, sind sie zum Handeln verpflichtet. Dies umfasst im Wesentlichen die Pflichten, die unter Punkt 5 dieses Sachstandes aufgeführt werden. Die Bewertung, ob durch bestimmte Handlungen ein Dienstvergehen vorliegt oder ob die Voraussetzungen für eine Entlassung vorliegen, wird im Übrigen nicht durch den MAD getroffen, von dieser Seite wird auch keine entsprechende Empfehlung ausgesprochen. Eine Auslegung oder Abmilderung der durch den MAD im eigenen Zuständigkeitsbereich getroffenen Bewertungen steht den Disziplinarvorgesetzten nicht zu, ebenso steht dem MAD keine Auslegung oder Bewertung der im Zuständigkeitsbereich der Disziplinarvorgesetzten getroffenen Entscheidungen zu. 7. Über die Umsetzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit resultiert eine grundsätzliche Pflicht des Arbeitgebers , vor Ausspruch einer Kündigung der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmer bei einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung zunächst eine Abmahnung auszusprechen. Extremistische Betätigungen oder Verstöße gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung stellen dann eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar, wenn sie das dienstliche Verhalten der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers betreffen oder sich außerdienstliches Verhalten unmittelbar auf das Arbeits- und/oder Vertrauensverhältnis auswirkt. Auch bei außerdienstlichem extremistischem Verhalten ist regelmäßig davon auszugehen, dass sich dieses Verhalten negativ auf das Ansehen des Arbeitgebers Bundeswehr auswirkt und/oder das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer/-in zerrüttet, so dass auch in diesen Fällen eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vorliegen kann. Eine Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung ist dann entbehrlich, wenn erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach einer Abmahnung nicht zu erwarten ist oder wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme – auch für die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist. Ob diese Voraussetzungen bei Verstößen im Rahmen des Themenkomplexes vorliegen, ist stets im Einzelfall zu prüfen. Grundsätzlich sind Verstöße im Rahmen des Themenkomplexes geeignet, das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber endgültig zu zerstören, so dass eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt sein kann. 8. Über die Anwendung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst Nach § 41 Satz 2 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst – Besonderer Teil Verwaltung (TVöD BT-V) müssen sich Beschäftigte des Bundes und anderer Arbeitgeber, in deren Aufgabenbereich auch hoheitliche Tätigkeiten wahrgenommen werden, durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen (sogenannte Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 069/20 Seite 9 politische Treuepflicht). Auch Beschäftigte, die selbst nicht hoheitlich tätig werden und gegebenenfalls nicht einmal in den hoheitlichen Bereichen des Arbeitgebers beschäftigt sind, können unter diese Vorschrift fallen. Es reicht aus, dass der jeweilige Arbeitgeber auch hoheitlich tätig wird. Insofern obliegt allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Bundeswehr grundsätzlich eine politische Treuepflicht im Sinne des § 41 Satz 2 TVöD BT-V. Die konkreten Anforderungen an diese Treuepflicht ergeben sich nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem jeweiligen Amt bzw. der jeweiligen Tätigkeit (vgl. BAG, Urteil vom 31. März 1976 – 5 AZR 104/74). Auch hier bedarf es wieder einer Würdigung im Einzelfall. 9. Informations- und Aufklärungsarbeit Vielseitige Informations- und Aufklärungsinitiativen stärken die Wirkung der in den Punkten 2 bis 9 dieser Arbeit vorgestellten Instrumente. Zunächst sind die öffentlichen Klarstellungen der Bundesministerin der Verteidigung zu nennen „Niemand, der in radikaler Art und Weise in unseren Streitkräften auffällt, hat in der Bundeswehr einen Platz15.“ Die vom Bundesministerium der Verteidigung gewollte Verschärfung des Tons gegen Extremismus findet sich aber auch in einem Brief des KSK-Kommandeurs, Brigadegeneral Markus Kreitmayr, vom 18. Mai 2020 unmissverständlich wieder: „Verfassungspatriotismus ist unser Beruf. Damit rufe ich all diejenigen, die sich möglicherweise noch in unseren Reihen befinden und genau wissen , dass sie diesen verbindlichen Ansprüchen und Anforderungen nicht gerecht werden oder gar mit dem rechten Spektrum sympathisieren , klar, unmissverständlich und entschlossen zu: Sie verdienen unsere Kameradschaft nicht! Sie gehören nicht zu uns! Sie sollten aus eigenem Antrieb unseren Verband und die Bundeswehr verlassen! Tun Sie es nicht, werden Sie feststellen, dass wir Sie finden und entfernen werden !“16 15 Bestandsaufnahme, Niemand, der in radikaler Art und Weise in unseren Streitkräften auffällt, hat in der Bundeswehr einen Platz, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesverteidigungsministerium , undatiert, abgerufen am 2. September 2020 unter https://www.bundeswehr.de/de/aktuelles /schwerpunkte/kein-platz-fuer-extremisten 16 Brandbrief des KSK-Kommandeurs gegen Rechtsextremisten: „Sie gehören nicht zu uns!“, Thomas Wiegold, 26. Mai 2020, Augen geradeaus!, abgerufen am 2. September 2020 unter https://augengeradeaus.net/wp-content /uploads/2020/05/20200518_KSK-Brief_Kreitmayr-2.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 069/20 Seite 10 Die Bekundung des politischen Willens, sich des Phänomens anzunehmen, wird sowohl durch einen geschärften Diskurs als auch durch konkrete Maßnahmen, wie die Verkündung der „Leitlinie zur Extremismusprävention in den Bundeswehr-Dienstleistungszentren“ (Vgl. Punkt 3) untermauert . Darüber hinaus wurde mit einer Novellierung des Soldatengesetzes im Juli 2017 eine gesonderte Sicherheitsüberprüfung für Bundeswehr-Anwärterinnen und -Anwärter eingeführt.17 Weiterhin sollen punktuelle Maßnahmen Defizite erkennen und beseitigen. So stellte eine im Juni 2020 aufgestellte hochrangige „Arbeitsgemeinschaft Rechtsextremismus“18 schon Anfang Juli 2020 einen Maßnahme-Katalog vor, um die kurz davor öffentlich gewordenen Vorfälle beim Kommando Spezialkräfte (KSK) sinnstiftend und zukunftssicher aufzuarbeiten19. Flankierend zu den oben genannten Maßnahmen soll – zusätzlich zur schon erteilten politischen Bildung – eine verbesserte Sensibilisierung der Soldaten für den Themenkomplex „Extremismus“ erfolgen. Diese Sensibilisierung wird nicht zuletzt durch die Co-Publikation der Broschüre Die Verteidigung unserer Werte: Gemeinsam gegen Extremismus vom Zentrum für Innere Führung und vom Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst unterstützt.20 *** 17 Sicherheitsüberprüfung für neue Rekruten: In zwei Jahren 60 Bewerber abgelehnt, Thomas Wiegold, Augen geradeaus!, 15. Januar 2020, abgerufen am 2. September 2020 unter https://augengeradeaus.net/2020/01/sicherheitsueberpruefung -fuer-neue-rekruten-in-zwei-jahren-60-bewerber-abgelehnt/ 18 Mitglieder: Staatssekretär Peter Hoofe, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung Peter Tauber (CDU), Generalinspekteur Eberhard Zorn, Inspekteur des Heeres Alfons Mais und KSK-Kommandeur Brigadegeneral Markus Kreitmayr (Quelle: General Eberhard Zorn @BundeswehrGI, 9. Juni, Twitter, abgerufen am 2. September 2020 unter https://twitter.com/BundeswehrGI/status /1270313838005673986) 19 Bericht der Arbeitsgruppe Kommando Spezialkräfte, Bundesverteidigungsministerium, 2. Juli 2020, abgerufen am 2. September 2020 unter https://www.bmvg.de/resource /blob/273864/6ceb69f8b4b33c2c1393e21c61395dea/20200702-bericht-ag-ksk-data.pdf 20 Die Verteidigung unserer Werte: Gemeinsam gegen Extremismus, Mai 2020, Zentrum für Innere Führung in Kooperation mit dem Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst, Bundeswehr, 96 Seiten, abgerufen am 2. September 2020 unter https://www.bundeswehr.de/resource /blob/275608/04757e043a9eb2421dddce65ff60ca99/die-verteidigung-unserer-werte-gemeinsam-gegenextremismus -data.pdf