© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 067/20 Rechtsfragen in Zusammenhang mit dem chinesischen Sicherheitsgesetz für die Sonderverwaltungszone Hongkong Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/20 Seite 2 Rechtsfragen in Zusammenhang mit dem chinesischen Sicherheitsgesetz für die Sonderverwaltungszone Hongkong Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 067/20 Abschluss der Arbeit: 10. September 2020 (zugleich letzter Zugriff auf Internetlinks) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Gerichtliche Überprüfung des chinesischen Sicherheitsgesetzes 4 1.1. IGH-Verfahren 4 1.2. IGH-Gutachten 5 1.3. Staatenbeschwerde vor dem VN-Menschenrechtsausschuss 5 2. Menschenrechtskonformität der Strafvorschriften des chinesischen Sicherheitsgesetzes 5 3. Extraterritoriale Anwendung des chinesischen Sicherheitsgesetzes 8 4. Suspendierung des Auslieferungsabkommens zwischen Deutschland und Hongkong 11 5. Zur Gesetzgebungskompetenz Chinas für das chinesische Sicherheitsgesetz 13 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/20 Seite 4 Zur Ergänzung der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste vom 17. Juni 2020 („Das chinesische Sicherheitsgesetz für die Sonderverwaltungszone Hongkong in der rechtlichen Diskussion “1) werden in diesem Sachstand auftragsgemäß weitere rechtliche Aspekte des chinesischen Sicherheitsgesetzes beleuchtet: Erörtert werden die gerichtliche Überprüfbarkeit des Gesetzes (dazu 1.), die Menschenrechtskonformität der Strafvorschriften des Sicherheitsgesetzes (dazu 2.), die extraterritoriale Anwendung des Sicherheitsgesetzes (dazu 3.), der Streit um die Suspendierung des Auslieferungsabkommens Deutschland-Hongkong als Reaktion auf das Sicherheitsgesetz (dazu 4.) sowie die Frage nach der chinesischen Gesetzgebungskompetenz für das Sicherheitsgesetz (dazu 5.). 1. Gerichtliche Überprüfung des chinesischen Sicherheitsgesetzes Eine gerichtliche Überprüfung des umstrittenen chinesischen Sicherheitsgesetzes für Hongkong2 erweist sich rechtlich als problematisch: 1.1. IGH-Verfahren Eine Klage Großbritanniens gegen die Volksrepublik China vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) wegen mutmaßlicher Verletzung der Britisch-Chinesischen Erklärung von 19843 – so wie sie etwa das Europäische Parlament angeregt hat4 – setzt zumindest eine ad hoc Unterwerfungserklärung Chinas voraus, um die Zuständigkeit des IGH für ein solches Verfahren zu eröffnen (vgl. Art. 36 IGH-Statut5). Eine solche Bereitschaft Chinas ist nicht zu erkennen. 1 Abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/706784/09c84d3a3a6e07595a99889dc98507cc/WD-2- 049-20-pdf-data.pdf. 2 The Law of the People's Republic of China on Safeguarding National Security in the Hong Kong Special Administrative Region, Text in englischer Sprache abrufbar unter ChinaDaily, 1. Juli 2020: https://www.chinadaily.com.cn/a/202007/01/WS5efbd6f5a310834817256495.html. 3 Joint Declaration of the Government of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland and the Government of the People’s Republic of China on the Question of Hong Kong, https://treaties.un.org/doc/Publication/UNTS/Volume%201399/v1399.pdf. 4 European Parliament, “The PRC national security law for Hong Kong and the need for the EU to defend Hong Kong's high degree of autonomy”, Resolution P9_TA(2020)0174, Rdnr. 9, https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2020-0174_EN.pdf. 5 Statut des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Juni 1945, BGBl. 1973 II, S. 505, abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19450070/index.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/20 Seite 5 1.2. IGH-Gutachten Der IGH kann von der VN-Generalversammlung oder dem VN-Sicherheitsrat um ein Rechtsgutachten ersucht werden (Art. 96 Abs. 1 VN-Charta i.V.m. Art. 65 IGH-Statut). Ein solches Gutachten ist aber völkerrechtlich nicht bindend. Das Ersuchen um ein Gutachten muss sich überdies auf eine völkerrechtliche Rechtsfrage beziehen.6 Hier käme es auf die genaue Formulierung der Fragestellung an. Eine Überprüfung nationaler Gesetze (und deren Implementierung im nationalen Rechtsraum) ist nicht genuine Aufgabe des IGH. 1.3. Staatenbeschwerde vor dem VN-Menschenrechtsausschuss Einigkeit besteht zwar über die Anwendung der Rechte aus dem VN-Zivilpakt auf dem Gebiet der Sonderverwaltungszone Hongkongs auch nach der Machtübernahme Chinas.7 Die Volksrepublik ist indes kein Mitglied des VN-Zivilpakts.8 Die Möglichkeit einer Staatenbeschwerde an den VN-Menschenrechtsausschuss (gem. Art. 41 VN-Zivilpakt) scheidet damit aus. 2. Menschenrechtskonformität der Strafvorschriften des chinesischen Sicherheitsgesetzes Kapitel III des chinesischen Sicherheitsgesetzes (offences and penalties) normiert eine Reihe von Straftaten (vgl. Art. 20-30) und regelt überdies einige strafprozessuale Fragen (Art. 31-34) sowie den Anwendungsbereich der Strafgesetze (Art. 36-39). Die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen – die Chilenin Michelle Bachelet – skizziert in einem Statement zum chinesischen Sicherheitsgesetz die allgemeinen menschenrechtlichen Anforderungen an Strafgesetze:9 6 Frowein/Oellers-Frahm, in: Zimmermann / Tomuschat/ Oellers-Frahm/ Tams (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice. A Commentary, Oxford Univ. Press, 2. Aufl. 2012, Art. 65 Rdnr. 21 ff. 7 “Upon resuming the exercise of sovereignty over Hong Kong, China notified the Secretary-General that the Covenant will also apply to the Hong Kong Special Administrative Region” https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-4&chapter=4&lang=en#4. Art. 39 Hong Kong Basic Law bestimmt: “The provisions of the International Covenant on Civil and Political Rights, the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (…) as applied to Hong Kong shall remain in force and shall be implemented through the laws of the Hong Kong Special Administrative Region.” (https://www.basiclaw.gov.hk/en/basiclawtext/images/basiclaw_full_text_en.pdf. 8 Ratifikationsstand des VN-Zivilpakts auf der Homepage der VN abrufbar unter: https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-4&chapter=4&lang=en. 9 UN Office of the High Commissioner, 19. Juni 2020, “China/Hong Kong SAR: Security law must meet human rights obligations, says Bachelet”, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=25978&LangID=E. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/20 Seite 6 “Any law on national security should be clear in scope and definition, and only permit restrictions to human rights that are strictly necessary and proportionate. There should be meaningful legislative and judicial oversight of the implementation of such legislation.” Zunächst einmal enthält der VN-Zivilpakt in den Art. 9, 10 und 14 bestimmte Verfahrensgarantien und Mindeststandards von Angeklagten und Gefangenen im Rahmen eines Strafverfahrens. Ob diese prozeduralen Rechte (z.B. Öffentlichkeit und Fairness des Verfahrens, Unabhängigkeit der Gerichte etc.), die in Art. 41 ff des chinesischen Sicherheitsgesetzes zumindest dem Grundsatz nach garantiert werden, auch tatsächlich respektiert werden, kann letztlich nur anhand der konkreten Anwendung des Gesetzes im Einzelfall beurteilt werden.10 Ins Auge fällt indes eine Vorschrift, welche die Untersuchungsbefugnisse der nach Art. 16 des Sicherheitsgesetzes neu eingerichteten Staatsschutzabteilung regelt. Art. 43 (7) des Sicherheitsgesetzes sieht vor: “When handling cases concerning offence endangering national security, the department for safeguarding national security of the Police Force of the Hong Kong Special Administrative Region may take the following measures: (…) requiring a person, who is suspected, on reasonable grounds, of having in possession information or material relevant to investigation, to answer questions and furnish such information or produce such material.” Das in Art. 14 Abs. 3 lit. g) VN-Zivilpakt verankerte Recht eines Angeklagten bzw. eines Verdächtigen zu schweigen und sich selber nicht zu belasten, gehört zu den rudimentären Postulaten der Rechtsstaatlichkeit und eines fairen Verfahrens.11 Dieses Recht, das jede Form von Zwang und psychologischem Druck auf den Angeklagten verbietet, wird durch Art. 43 des chinesischen Sicherheitsgesetzes in menschenrechtswidriger Weise weitgehend konterkariert.12 Im VN-Zivilpakt finden sich überdies generelle Vorgaben für nationale Strafgesetze wie z.B. das Verbot rückwirkender Strafgesetze (Art. 15 Abs. 1) oder das Verbot grausamer und unmenschlicher Strafen (Art. 7). Überdies müssen nationale Strafgesetze den rechtstaatlichen Anforderungen des Gesetzlichkeitsprinzips (also: Analogieverbot, Bestimmtheitsgebot, Rückwirkungsverbot, Gewohnheitsrechtsverbot) genügen, wie sie in dem lateinischen Rechtsgrundsatz „nullum crimen, nulla poena sine lege scripta, praevia, certa et stricta“ zum Ausdruck kommen. 10 Die Frage nach der künftigen Unabhängigkeit der Hongkonger Gerichte mit Blick auf die in Art. 44 des chinesischen Sicherheitsgesetzes geregelte Neubesetzungspraxis für Richter sei an dieser Stelle ausdrücklich dahingestellt . 11 Walter Kälin / Jörg Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, Basel, 3. Aufl. 2013, Rdnr. 1329 ff. (1345). 12 So auch Amnesty International vom 17. Juli 2020, „Hong Kong’s national security law: 10 things you need to know”, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/07/hong-kong-national-security-law-10-things-you-needto -know/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/20 Seite 7 Dieser Grundsatz gehört heute zu den allgemeinen Grundsätzen des (Völker)Strafrechts und ist z.B. in den Art. 22 bis 24 des Römischen Statuts für den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH- Statut) kodifiziert.13 Auch in den Artikeln 5 und 39 des chinesischen Sicherheitsgesetzes finden sich einige rechtsstaatliche Prinzipien zumindest dem Wortlaut nach verankert.14 Die Hongkong Bar Association kritisiert in einem Statement vom 1. Juli 202015 neben der mangelnden Gesetzesklarheit der chinesischen Strafgesetze vor allem deren Missbrauchsanfälligkeit und die potentielle Beeinträchtigung von Menschenrechten: “Four groups of criminal offences are created. These are widely drawn and absent a clear and comprehensive array of publicly accessible guidelines and basic safeguards as to legal certainty and fair treatment, are capable of being applied in a manner that is arbitrary, and that disproportionately interferes with fundamental rights, including the freedom of conscience , expression and assembly.” In der Tat weisen die Straftatbestände des chinesischen Sicherheitsgesetzes – wie z.B. die sog. „Zersetzung“ (subversion, Art. 22) – typische Merkmale des „politischen Strafrechts“ auf.16 So ließe sich wohl fast jede politische Demonstration auf den Straßen Hongkongs unter den Straftatbestand der „Zersetzung“ subsumieren. Auch regierungskritische Meinungsäußerungen erfüllen leicht den Straftatbestand der „Sezession“ (in Art. 20 Sicherheitsgesetz), der explizit auch nichtgewaltsame Handlungen mit einschließt. Dabei scheint es nach dem Wortlaut der Norm offenbar schon auszureichen, dass der status quo Hongkongs in Frage gestellt wird. 13 Näher Andreas v. Arnauld, Völkerrecht, Heidelberg: Müller, 4. Aufl. 2019, § 15 Rdnr. 1340. 14 Art. 5 des chinesischen Sicherheitsgesetzes lautet: “The principle of the rule of law shall be adhered to in preventing, suppressing, and imposing punishment for offences endangering national security. A person who commits an act which constitutes an offence under the law shall be convicted and punished in accordance with the law. No one shall be convicted and punished for an act which does not constitute an offence under the law. A person is presumed innocent until convicted by a judicial body. The right to defend himself or herself and other rights in judicial proceedings that a criminal suspect, defendant, and other parties in judicial proceedings are entitled to under the law shall be protected. No one shall be liable to be tried or punished again for an offence for which he or she has already been finally convicted or acquitted in judicial proceedings.” Art. 39 des chinesischen Sicherheitsgesetzes lautet: „This Law shall apply to acts committed after its entry into force for the purpose of conviction and imposition of punishment.” 15 The Law of the People’s Republic of China (“PRC”) on Safeguarding National Security in the Hong Kong Special Administrative Region (“HKSAR”): Statement of the Hong Kong Bar Association, online abrufbar: https://www.hkba.org/sites/default/files/20200701%20HKBA%20statement%20on%20Safeguarding%20Nation al%20%20Security%20in%20HKSAR.pdf. 16 Charakteristisch dafür sind „schwammige“ Rechtsbegriffe und „interpretationsoffene“ Tatbestände, unter die sich ohne weiteres auch grundrechtlich geschützte Handlungen (z.B. Meinungsäußerungs- oder Pressefreiheit) subsumieren lassen (vgl. etwa den Straftatbestand der „staatsfeindlichen Hetze“ nach § 106 DDR-StGB). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/20 Seite 8 Einer potentiellen Kriminalisierung von menschenrechtlich geschützten Handlungen (Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 19 VN-Zivilpakt, Versammlungsfreiheit nach Art. 21 VN- Zivilpakt), wie sie auch Menschenrechtsorganisationen befürchten und kritisieren,17 ist damit Tür und Tor geöffnet. Zur Verfolgung „politischer Straftaten“ sieht Art. 16 des chinesischen Sicherheitsgesetzes zudem die Einrichtung einer neuen „Staatsschutzabteilung“ innerhalb der Hongkonger Polizei vor („department for safeguarding national security“), die nach Art. 17 über weitreichende Kompetenzen verfügt. Im Ergebnis ist der Hohen Kommissarin für Menschenrechte der VN vollumfänglich zuzustimmen , wenn diese mit Blick auf das chinesische Sicherheitsgesetz anmerkt, dass „such laws can never be used to criminalize conduct and expression that is protected under international human rights law.”18 Bedenklich erscheinen schließlich auch strafprozessuale Vorschriften des chinesischen Sicherheitsgesetzes : So geht etwa Art. 33, der einem Angeklagten eine Strafmilderung in Aussicht stellt, wenn er mit den Strafverfolgungsbehörden „konspirativ“ zusammenwirkt und dabei andere Verdächtige „anschwärzt“,19 deutlich über die sog. „Kronzeugenregelung“ im deutschen Strafrecht20 hinaus, weil hier der Bezug zur eigenen Tat fehlt. 3. Extraterritoriale Anwendung des chinesischen Sicherheitsgesetzes Art. 38 des chinesischen Sicherheitsgesetzes besagt: “This Law shall apply to offences under this Law committed against the Hong Kong Special Administrative Region from outside the Region by a person who is not a permanent resident of the Region.” 17 Vgl. für viele Human Rights Watch vom 29. Juli 2020, “China: New Hong Kong Law a Roadmap for Repression”, https://www.hrw.org/news/2020/07/29/china-new-hong-kong-law-roadmap-repression. Amnesty International vom 28. Juni 2020, “China: National security law for Hong Kong risks turning city into police state”, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/06/china-national-security-law-for-hong-kongrisks -turning-city-into-police-state/. 18 UN Office of the High Commissioner, Statement vom 19. Juni 2020, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=25978&LangID=E. 19 Art. 33 des chinesischen Sicherheitsgesetzes lautet: “A lighter penalty may be imposed, or the penalty may be reduced or, in the case of a minor offence, exempted, if an offender, criminal suspect, or defendant (…) reports on the offence committed by other person (…).” 20 Vgl. § 46b StGB (Hilfe zur Aufklärung oder Verhinderung von schweren Straftaten), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__46b.html. Vgl. auch § 153e StPO (Absehen von der Verfolgung bei Staatsschutzdelikten wegen tätiger Reue). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/20 Seite 9 Art. 38 sieht eine extraterritoriale Anwendung des chinesischen Sicherheitsgesetzes vor. Es erstreckt die Anwendung von Strafgesetzen auf Auslandstaten, die von Ausländern gegen die Regierungsbehörden Hongkongs verübt werden. Davon umfasst sein könnten z.B. china-kritische Beiträge von Ausländern in ausländischen Medien oder Blogs, ferner Aufrufe zu Protesten usw. Fraglich ist, ob und inwieweit eine derartige Ausdehnung der nationalen Strafgewalt völkerrechtlich zulässig ist. Während die Strafrechtswissenschaft im 19. Jahrhundert noch einen absoluten Souveränitätsbegriff propagierte,21 geht das Völkerrecht spätestens seit der Lotus- Entscheidung22 des Ständigen Internationalen Gerichtshofes (StIGH) aus dem Jahre 1927 von einer territorial begrenzten Strafgewalt des Staates aus. Mit Blick auf den Nichteinmischungsgrundsatz 23 wird heute – ebenso wie die staatliche Souveränität – auch die Ausdehnung der nationalen Strafgewalt durch das Völkerrecht begrenzt. Allerdings finden sich in den nationalen Strafrechtsordnungen der meisten Staaten Geltungsbereichsausdehnungen über das eigene Staatsgebiet hinaus.24 Für die Ausdehnung der nationalen Strafgewalt ist aber ein legitimer Anknüpfungspunkt (genuin link) zwischen dem verfolgenden Staat und der verfolgten Straftat erforderlich. Zu den universell anerkannten Anknüpfungspunkten gehört insbesondere die Staatsangehörigkeit des Täters / Opfers (sog. aktives bzw. passives Personalitätsprinzip),25 das Flaggenprinzip26 oder das Weltrechtsprinzip.27 21 Vgl. etwa Karl Binding, Handbuch des Strafrechts Bd. I, Berlin: Duncker & Humblot 1885, S. 374: „Den Umfang seiner Strafrechte bestimmt jeder souveräne Staat souverän (…).“ 22 S.S. Lotus (Frankreich vs. Türkei), 1927, PCIJ Serie A No. 10, http://www.worldcourts.com/pcij/eng/decisions/1927.09.07_lotus.htm. 23 Dieser völkerrechtliche Grundsatz wird durch die Lotus-Entscheidung (PCIJ Serie A No. 10, S. 18) anerkannt: „Now the first and foremost restriction imposed by international law upon a State is that (…) it may not exercise its power in any form in the territory of another State.” 24 Nachweise bei Ambos, Kai, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, Vorbemerkung zu § 3 StGB, Völkerrechtliche Grundlagen, Rdnr. 20 m.w.N., online abrufbar unter: https://beckonli - ne.beck.de/?vpath=bibdata%2Fkomm%2FMueKoStGB_4_Band1%2FStGB%2Fcont%2FMueKoStGB%2EStGB %2Evor1%2Ep3%2EglII%2Egl2%2Egla%2Ehtm. 25 Vgl. näher Ambos, a.a.O. (Fn. 24), Rdnr. 28 ff. 26 Das Flaggenprinzip erlaubt die Ausübung der Staatsgewalt auf einem Schiff unabhängig davon, wo sich dieses zum Tatzeitpunkt befindet oder welche Staatsangehörigkeit die Täter haben. 27 Der Weltrechtsgrundsatz (Universalitätsprinzip, Weltrechtspflege) erlaubt die weltweite Verfolgung von (extraterritorialen ) Taten gegen international geschützte Rechtsgüter, unabhängig vom Tatort und der Staatsangehörigkeit von Täter bzw. Opfer. Der die Tat verfolgende Staat verteidigt insoweit das gemeinsame Sicherheitsinteresse aller Staaten (z.B. vor Piraterie, Terrorismus), vgl. näher Ambos, a.a.O. (Fn. 24), Rdnr. 46 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/20 Seite 10 Nach dem sog. Schutzprinzip (protective principle), auf das auch Art. 38 des chinesischen Sicherheitsgesetzes abstellt, kann sich die nationale Strafgewalt auch auf Taten erstrecken, die inländische Rechtsgüter verletzen oder gefährden, unabhängig davon, wo und durch wen sie begangen werden. Dem Schutzprinzip, das völkergewohnheitsrechtlich anerkannt28 ist, liegt die Überlegung zugrunde, dass es keinem Staat zugemutet werden könne, Angriffen auf seine staatliche Integrität oder auf sein politisches System tatenlos zuzusehen, vor allem wenn der Tatortstaat die Tat entweder mangels Strafbarkeit nicht verfolgen kann oder aus politischen Gründen nicht verfolgen will. Weil der Täter die Beziehung zu dem betroffenen Staat durch seine Tat selbst herstellt und der Staat – gleichsam in einer notwehrähnlichen Situation – sich dagegen verteidigen können muss, darf auf das Erfordernis der identischen Tatortnorm im Ausland verzichtet werden.29 Die Frage ist aber, welche Interessen ein Staat legitimerweise durch Ausdehnung seiner Strafgewalt abwehren darf. Dabei sind die Interessen des betroffenen Staates und die des „Tatort“- staates, dessen Souveränität durch die Ausdehnung fremder Strafgewalt berührt ist, gleichermaßen zu berücksichtigen. Über die Frage, welche Auslandstaten vom Schutzprinzip konkret umfasst sind, herrscht völkerrechtlich bis heute kein Konsens, auch wenn Wissenschaft und Praxis die Begrenzung des Schutzgrundsatzes auf einige wenige essentielle Rechtsgüter anstreben .30 Einiges spricht dafür, dem Schutzprinzip nicht alle erdenklichen Inlandsgüter, sondern nur ausgewählte Straftaten gegen „wesentliche wirtschaftliche oder Sicherheitsinteressen“ eines Staates zu unterstellen.31 § 5 des deutschen StGB, der Auslandstaten mit besonderem Inlandsbezug regelt und dabei auf das Schutzprinzip rekurriert, listet eine ganze Reihe von Straftatbeständen auf, auf die das deutsche Strafrecht auch dann anwendbar ist, wenn sie im Ausland von einem Ausländer begangen wurden. Dazu gehören gem. § 5 Nr. 3 StGB auch „Gefährdungen des demokratischen Rechtsstaates “, etwa in den Fällen der „Verunglimpfung des deutschen Staates und seiner Symbole“ (strafbar nach § 90a StGB). Art. 38 des chinesischen Sicherheitsgesetzes mag ein Rechtssystem „verteidigen“, das unserem demokratischen Rechtsstaat nicht entspricht. Ein „wertender Vergleich“ der Rechtssysteme und Strafgesetze (Stichwort: „politische Straftaten“) ist jedoch zur Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit einer extraterritorialen Anwendung dieser Gesetze irrelevant. Indem sich Art. 38 auf 28 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, Berlin, 3. Aufl. 1984, § 1184. Meng, Werner, „Regeln über die Jurisdiktion der Staaten im amerikanischen Restatement (Third) of Foreign Relations Law“, in: Archiv des Völkerrechts (AVR) Bd. 27 (1989), S. 156-194 (188), https://www.jstor.org/stable/40798422. 29 So Ambos, Kai, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, Vorbemerkung zu § 3 StGB Rdnr. 35 f. 30 Council of Europe (Hrsg.), „Extraterritorial Criminal Jurisdiction”, 1992, S. 441-480 (451), online abrufbar: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/BF01096364.pdf. 31 In Betracht kommen zweifellos Straftaten wie z.B. Hochverrat, Spionage oder die Fälschung der staatlichen Währung oder amtlicher Urkunden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/20 Seite 11 die im chinesischen Sicherheitsgesetz normierten Straftatbestände (Art. 20-28) bzw. auf die durch sie geschützten Inlandsgüter bezieht, erscheint auch eine hinreichende Konkretisierung der extraterritorialen Ausdehnung der Hongkonger Strafgewalt gegeben. Art. 38 ist damit völkerrechtskonform . Bislang ist (noch) kein Fall einer Anwendung des Art. 38 des chinesischen Sicherheitsgesetzes auf Ausländer bekannt geworden. Gleichwohl macht Art. 38 im Kern deutlich, dass sich China eine Einmischung in die politischen Vorgänge in Hongkong seitens ausländischer Akteure verbittet . Der mit Art. 38 reklamierte universelle Strafverfolgungsanspruch der Hongkonger Behörden für „politische Straftaten“ lässt sich zwar nur auf dem Territorium Hongkongs bzw. Chinas einlösen. Indes entfaltet Art. 38 gegenüber ausländischen Sympathisanten der Hongkonger Demokratiebewegung eine „Drohkulisse“, die etwa mit Blick auf eine geplante Einreise nach Hongkong ernst genommen werden sollte. Das Auswärtige Amt hat daher eine entsprechende Reisewarnung für Hongkong ausgesprochen.32 4. Suspendierung des Auslieferungsabkommens zwischen Deutschland und Hongkong Nach der Verschiebung der Parlamentswahl in Hongkong um ein Jahr setzte Deutschland die Abkommen über Rechtshilfe in Strafsachen und das Auslieferungsabkommen33 mit Hongkong aus. Außenminister Maas betonte in diesem Zusammenhang, dass Deutschland erwarte, dass China seine völkerrechtlichen Verpflichtungen einhält. Dazu gehöre auch das Recht auf freie und faire Wahlen, das den Menschen in Hongkong zustehe.34 Die chinesische Botschaft in Berlin 32 https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/hongkongnode /hongkongsicherheit/200854#content_0: „In Hongkong ist am 30. Juni 2020 ein neues Sicherheitsgesetz in Kraft getreten, das für neue und nicht klar definierte Tatbestände der Sezession, Subversion, Terrorismus sowie Zusammenarbeit mit ausländischen Staaten Strafandrohungen bis zu lebenslanger Haft vorsieht. Gleichzeitig werden auch Handlungen, die außerhalb des Territoriums von Hongkong von Ausländern begangen werden, in den Anwendungsbereich des Gesetzes einbezogen. Es kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass deutsche Staatsbürgerinnen oder Staatsbürger in Hongkong von Maßnahmen aufgrund des neuen Gesetzes betroffen werden: (…) Seien Sie besonders vorsichtig und seien Sie sich bewusst, dass politische Äußerungen, auch in den sozialen Medien, als relevant betrachtet werden können (…).“ 33 Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sonderverwaltungsregion Hongkong der Volksrepublik China über die gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen und über die Überstellung flüchtiger Straftäter vom 26. Mai 2006, BGBl. II 2009, S. 64-74 und S. 75-85, https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl209003.pdf%27%5D#_ _bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl209003.pdf%27%5D__1598945775454. 34 Welt vom 31. Juli 2020, „Deutschland setzt Auslieferungsabkommen mit Hongkong aus“, https://www.welt.de/politik/ausland/article212665305/Deutschland-setzt-Auslieferungsabkommen-mit- Hongkong-aus.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/20 Seite 12 kritisiert die Suspendierung des Auslieferungsabkommens zwischen Deutschland und der Sonderverwaltungszone Hongkong als Verstoß gegen internationales Recht.35 Ein solcher Verstoß Deutschlands lässt sich im Ergebnis aber nicht erkennen. Art. 20 Abs. 2 des Abkommens vom 26. Mai 2006 über die gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen sowie Art. 23 Abs. 3 des Abkommens vom 26. Mai 2006 über die Überstellung flüchtiger Straftäter sehen vielmehr die Möglichkeit zur jederzeitigen Suspendierung der Abkommen ohne Angabe von Gründen vor. Überdies ist die Suspendierung von Verträgen auch gewohnheitsrechtlich ein probates Vorgehen in den internationalen Vertragsbeziehungen. So sieht auch Art. 60 der Wiener Konvention über das Recht der Verträge (WVRK) die Möglichkeit der Suspendierung eines völkerrechtlichen Vertrags vor.36 Mit der Suspendierung eines Auslieferungsvertrages endet die völkerrechtliche Pflicht eines Staates, mutmaßliche Straftäter an einen anderen Staat zu überstellen. Es liegt dann im freien Ermessen des ersuchten Staates, ob er einem Auslieferungsersuchen eines anderen Staates nachkommt oder nicht. Eine völkergewohnheitsrechtliche Pflicht zur Auslieferung besteht nicht.37 Ungeachtet dessen ist bei Auslieferungen von mutmaßlichen ausländischen Straftätern nach Hongkong zu bedenken, dass Art. 34 des chinesischen Sicherheitsgesetzes als zusätzlich Strafandrohung die „Deportation“38 des Ausgelieferten an die Justiz in Festland-China vorsieht, sofern dieser kein Bürger Honkongs ist.39 Die Art. 55 ff. des chinesischen Sicherheitsgesetzes regeln sodann die Übernahme des „Falles“ durch die chinesische Justiz. 35 Stellungnahme der chinesischen Botschaft in Deutschland zur Pressemitteilung von Außenminister Heiko Maas am 31. Juli 2020, http://de.china-embassy.org/det/sgyw/t1803187.htm. Tagesschau vom 1. August 2020, „Kündigung des Auslieferungsabkommens: China wirft Deutschland Rechtsbruch vor“, https://www.tagesschau.de/ausland/hongkong-bundesregierung-auslieferungsabkommen-103.html. ZEIT online vom 1. August 2020, „China wirft Deutschland Rechtsbruch vor“, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-08/hongkong-china-auslieferungsabkommen-heiko-maas-kritik. 36 Der Rückgriff auf Art. 60 WVRK ist aber nur dann erforderlich, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag keine ausdrückliche Suspendierungs- oder Kündigungsklausel enthält. Indes verlangt Art. 60 WVRK als Voraussetzung für eine zulässige Vertragssuspendierung die „erhebliche Verletzung“ des Vertrages. 37 Häde, Ulrich, „Die Auslieferung – Rechtsinstitut zwischen Völkerrecht und Grundrechten“, in: Der Staat 1997, S. 1-28 (2) m.w.N. in Fn. 9. Kimminich, Otto, „Asylrecht und Auslieferungspflicht“, in: JZ 1980, S. 174 ff. (175). 38 Das Sicherheitsgesetz verwendet nicht den Begriff „Auslieferung“ (extradition), sondern deportation. 39 Davor warnt auch der Bericht von Amnesty International vom 17. Juli 2020, „Hong Kong’s national security law: 10 things you need to know”, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/07/hong-kong-national-securitylaw -10-things-you-need-to-know/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/20 Seite 13 5. Zur Gesetzgebungskompetenz Chinas für das chinesische Sicherheitsgesetz Die Gesetzgebungskompetenz des Chinesischen Volkskongresses zum Erlass des Sicherheitsgesetzes für Hongkong ist – legt man die Diskussion in den einschlägigen blogs zugrunde – nicht abschließend geklärt.40 Relevant sind offenbar zwei kontradiktorische Vorschriften des Hong Kong Basic Law.41 Art. 18 Basic Law sieht die Gesetzgebungskompetenz des Chinesischen Volkskongresses für Hongkong nach einem formalen Verfahren vor: Chinesische Gesetze, die in Hongkong Anwendung finden sollen, müssen in Annex III des Basic Law gelistet werden; die einschlägige Liste kann aber durch den Chinesischen Volkskongress ergänzt werden. Demgegenüber garantiert Art. 23 Basic Law die legislative Eigenständigkeit der Sonderverwaltungszone Hongkong („shall enact laws on its own“) als Ausfluss des Prinzips „one country – two systems“, welches durch das chinesische Sicherheitsgesetz ausgehöhlt zu werden droht.42 Zur Klärung der Frage, welche der beiden Verfassungsnormen Vorrang genießt oder wie die beiden Verfassungsnormen zu einem gerechten Ausgleich (im deutschen Recht spricht man von „praktischer Konkordanz“) gebracht werden können, müssen neben der Wortlautinterpretation auch rechtsmethodische,43 historische oder teleologische Auslegungskriterien herangezogen werden. Zu berücksichtigen wären neben den traveaux préparatoires zum Hongkong Basic Law auch die einschlägigen Kommentierungen chinesischer und Hongkonger Verfassungsrechtler sowie die Rechtsprechung des High Court of Hong Kong44 in Sachen Gesetzgebungskompetenz sowie die – möglicherweise kollidierenden – Judikate des Obersten Volksgerichtshofs der Volksrepublik China seit Inkrafttreten des Basic Law im Jahre 1997. Zu berücksichtigen wäre überdies die chinesische Staatspraxis zu Art. 18 Basic Law (einschließlich Annex III) im Hinblick auf die Listung von Gesetzen, die für Hongkong anwendbar sind. Eine Klärung der innerstaatlichen Verfassungs - und Kompetenzstreitigkeiten kann rechtlich verbindlich nur durch das zuständige (Verfassungs -)Gericht vor Ort erfolgen. 40 Vgl. zur Diskussion etwa Chan, Johannes M.M.: “Five Reasons to Question the Legality of a National Security Law for Hong Kong”, VerfBlog, 1. Juni 2020, https://verfassungsblog.de/five-reasons-to-question-the-legality-ofa -national-security-law-for-hong-kong/. 41 The Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region of the People´s Republic of China vom 4. April 1990 (in Kraft seit der Übernahme Hongkongs durch China am 1. Juli 1997), https://www.basiclaw.gov.hk/en/basiclawtext/images/basiclaw_full_text_en.pdf. 42 Ausländische und chinesische Juristen sehen hier insoweit eine Verletzung des Art. 23 Basic Law, vgl. Flaherty, Martin S., „Standing, Not-Standing with the Protesters: U.S.-Policy on Hong Kong and BLM“, Just Security, 8. Juni 2020, https://www.justsecurity.org/70609/standing-not-standing-with-the-protesters-u-s-policy-on-hongkong -and-blm/. 43 In Betracht kommt etwa die römisch-rechtliche Kollisionsregel lex specialis derogat legi generali, sofern man Art. 23 Basic Law tatsächlich als die speziellere Norm ansieht. 44 Zum Justizaufbau in der Sonderverwaltungszone Hongkong mit dem Court of Final Appeal an der Spitze vgl. die Homepage https://www.judiciary.hk/en/court_services_facilities/hc.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/20 Seite 14 Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages sind zur Klärung von Rechtsfragen, die allein ausländische Rechtsordnungen betreffen – und die im Gegensatz zu den oben erörterten Rechtsfragen auch keine Bezüge zum Völkerrecht einschließlich der Menschenrechte aufweisen 45 – nicht zuständig.46 China könnte es als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates auffassen, würde ein ausländischer Parlamentsdienst öffentlich seine Rechtsauffassung zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Gesetzgebungsorganen anderer Staaten kundtun . Vice versa würde man wohl auch in Deutschland z.B. angesichts von Bund-Länder- Kompetenzstreitigkeiten Zurückhaltung seitens ausländischer Verfassungsorgane erwarten dürfen . *** 45 Zur Klarstellung sei angemerkt: Die Verletzung von Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts über Zuständigkeiten und Kompetenzen wären völkerrechtlich nur insoweit relevant, als sie offenkundig sind (vgl. Art. 46 Abs. 1 WVRK). Eine Verletzung ist gem. Art. 46 Abs. 2 WVRK offenkundig, „wenn sie für jeden Staat (…) objektiv erkennbar ist.“ 46 In der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste vom 17. Juni 2020 („Das chinesische Sicherheitsgesetz für die Sonderverwaltungszone Hongkong in der rechtlichen Diskussion“ – WD 2 - 3000 - 049/20) wurde mit Blick auf die Kompetenzfragen des chinesischen Sicherheitsgesetzes daher auch nur der juristische Meinungsstand referiert (vgl. S. 11 f.).