© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 067/19 Diplomatische Missionen und Regimewechsel Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/19 Seite 2 Diplomatische Missionen und Regimewechsel Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 067/19 Abschluss der Arbeit: 6. Juni 2019 (zugleich letzter Zugriff auf Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Rechtliche Grundlagen des diplomatischen Verkehrs zwischen Staaten 4 2. Einfluss eines Regimewechsels auf die diplomatischen Beziehungen zwischen Empfangsstaat und Entsendestaat 4 2.1. Zum Vorfall in der venezolanischen Botschaft in Washington D.C. 6 2.2. Zum Vorfall in der venezolanischen Botschaft in San José, Costa Rica 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/19 Seite 4 1. Rechtliche Grundlagen des diplomatischen Verkehrs zwischen Staaten Die diplomatischen Beziehungen zwischen Staaten sowie die sich daraus ergebenen Rechte und Pflichten von Empfangs- und Entsendestaat sind – anders als die Anerkennung von Staaten und Regierungen – weitgehend formalisiert und völkerrechtlich geregelt. So wird etwa der Missionschef durch das Agrément des Empfangsstaates akkreditiert (Art. 4 des Wiener Diplomatenübereinkommens, WÜD1), seine genaue Ankunft und Abreise wird dem Außenministerium des Empfangsstaates gegenüber notifiziert (Art. 10 WÜD). Über die Person des Missionschefs muss zwischen Empfängerstaat und Entsendestaat Einvernehmen hergestellt werden: Zwar hat der Entsendestaat hinsichtlich der Wahl und Entsendung seines diplomatischen Personals freies Ermessen (Art. 7 WÜD); der Empfangsstaat kann aber ohne Angabe von Gründen eine bestimmte Person für nicht genehm erklären, noch ehe sie sein Hoheitsgebiet betreten hat (Art. 9 Abs. 1 WÜD). Der Missionschef ist mit Amtsantritt (Art. 13 WÜD) „Hausherr“ seiner Mission und übt dort das Hausrecht aus (Art. 22 WÜD). Die Räumlichkeiten der Mission – egal ob gekauft oder gemietet – sind „unverletzlich“, d.h. sie genießen völkerrechtliche Immunität (Art. 22 Abs. 3 WÜD), gehören aber nicht zum Territorium des Entsendestaates (Art. 21 Abs. 1 WÜD). Jedweder Ausübung von Hoheitsgewalt (z.B. Einsatz von Polizeikräften oder Staatsanwaltschaft) seitens des Empfangsstaates in den Räumlichkeiten der diplomatischen Mission darf nur mit Zustimmung des Missionschefs erfolgen; gegen seinen Willen wäre selbst ein Feuerwehreinsatz in den Räumlichkeiten der Mission rechtlich fragwürdig. Die Rechtsstellung des Missionschefs endet mit Beendigung seiner dienstlichen Tätigkeit im Empfangsstaat (Art. 10 Abs. 1a WÜD) oder mit einer Notifizierung des Empfangsstaates gegenüber dem Entsendestaat, dass der Missionschef persona non grata ist (Art. 9 WÜD).2 2. Einfluss eines Regimewechsels auf die diplomatischen Beziehungen zwischen Empfangsstaat und Entsendestaat Ein sich abzeichnender Regimewechsel im Empfangsstaat – bzw. wie im Fall Venezuelas – die Anerkennung eines Oppositionsführers als Interims-Präsidenten durch den Entsendestaat (u.a. durch die USA, Deutschland, Costa Rica) zieht nicht automatisch und notwendigerweise eine Neubesetzung des Botschaftspersonals in beiden Staaten nach sich. 1 Wiener Übereinkommen vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen, BGBL. 1964 II, S. 959 ff., Text abrufbar unter: https://www.justiz.nrw.de/Bibliothek/ir_online_db/ir_htm/frame_wued_18-04-1961.htm. 2 Gem. Art. 9 Abs. 2 WÜD kann der Empfangsstaat eine angemessene Frist zur Ausreise des Missionschefs setzen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/19 Seite 5 Erkennt ein Staat den faktisch amtierenden Staatschef eines anderen Staates nicht länger als (legitimes) Staatsoberhaupt an, sondern fördert mit der Anerkennung z.B. eines Oppositionspolitikers einen Regimewechsel in diesem Staat, so kann in den diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Staaten eine „Unwucht“ entstehen. Davon zeugen u.a. die Fallbeispiele aus den venezolanischen Botschaften in Washington D.C. (dazu 2.1) und San José / Costa Rica (dazu 2.2.). So kann ein Oppositionspolitiker, der von einem ausländischen Staat als Staatschef anerkannt worden ist, obwohl er im Heimatland faktisch keine Macht ausübt, im Verhältnis zu diesem Staat diplomatische Beziehungen aufnehmen und pflegen (dies schließt die Einsetzung von Botschaftern ein). Umgekehrt kann ein als Staatschef anerkannter Oppositionspolitiker, der im Heimatland keine Hoheitsgewalt ausübt, dort auch keine ausländischen Diplomaten akkreditieren (also das Agrément erteilen) oder „unliebsame“ Diplomaten zur persona non grata erklären. Dagegen kann ein Staat auf seinem Territorium den Regimewechsel in einem anderen Staat dadurch fördern,3 dass er die diplomatischen Beziehungen allein zu dem von ihm anerkannten Staatschef pflegt und nur das von diesem eingesetzte Botschaftspersonal bei sich akkreditiert. Für den Fall „Venezuela“ bedeutet das konkret: Die Vereinigten Staaten von Amerika, die nicht mehr Maduro, sondern Guaidó als venezolanischen Staatspräsidenten anerkennen, dürfen einen venezolanischen Botschafter „von Maduros Gnaden“ (einschließlich des gesamten venezolanischen Botschaftspersonals in Washington) als persona non grata des Landes (d.h. aus den USA) verweisen und stattdessen einen von Guaidó eingesetzten neuen Missionschef (konkret: Carlos Vecchio) in der venezolanischen Botschaft in Washington akkreditieren.4 Dieser ist im Verhältnis zu den USA der „legitime“ Botschafter Venezuelas in den USA.5 Er hat aus Sicht der USA auch das Hausrecht in der venezolanischen Botschaft in Washington und könnte im Falle einer „Störung des Missionsfriedens“ (= Hausfriedensbruch) die amerikanischen Sicherheitskräfte um Unterstützung bitten und einer „Intervention“ auf dem venezolanischen Botschaftsgelände zustimmen . 3 Zur Frage der Anerkennung eines Interimspräsidenten, der faktisch keine Macht in seinem Staat ausübt, vgl. das Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste WD 2 - 3000 - 017/19 vom 15.2.2019, „Rechtsfragen zur Anerkennung des Interimspräsidenten in Venezuela“, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/595056/c8bf53d8fb2a3f163e104a725c732b15/wd-2-017-19-pdfdata .pdf. 4 “Venezuela opposition takes control of diplomatic properties in U.S.”, Reuters, 18. März 2019, abrufbar unter: https://www.reuters.com/article/us-venezuela-politics-vecchio/venezuela-opposition-takes-control-ofdiplomatic -properties-in-us-idUSKCN1QZ2FH. 5 Auf einem anderen Blatt steht, wie die diplomatischen Beziehungen der USA zu Venezuela durch einen von Guaidó eingesetzten Botschafter praktisch gepflegt werden. Denn die in Venezuela faktisch noch amtierende Maduro-Regierung erkennt den neuen Guaidó-Botschafter in Washington nicht als legitimen Vertreter Venezuelas in den USA an. Die Maduro-Regierung wird dem neuen Botschafter also weder ein Gehalt bezahlen, noch vertrauliche Informationen zukommen lassen, geschweige denn bereit sein, die laufenden Kosten der venezolanischen Mission in Washington zu tragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/19 Seite 6 2.1. Zum Vorfall in der venezolanischen Botschaft in Washington D.C. In Washington wurde die venezolanische Botschaft nach Abzug der venezolanischen Diplomaten der Maduro-Regierung von sympathisierenden Aktivisten des Maduro-Regimes besetzt. Das Botschaftsgebäude in Washington wurde von US-Sicherheitskräften Mitte Mai geräumt und an Carlos Vecchio, den von Guaidó eingesetzten neuen venezolanischen Botschafter in den USA, übergeben.6 Dieser konnte daraufhin samt Personal die Botschaft wieder beziehen. Bei der rechtlichen Bewertung des amerikanischen Vorgehens in der venezolanischen Botschaft in Washington ist zu berücksichtigen, dass die USA Guaidó bereits am 23. Januar 2019 als venezolanischen Interimspräsidenten anerkannt haben. Überdies war Carlos Vecchio, der von Guaidó eingesetzte neue Botschafter Venezuelas in Washington, zum Zeitpunkt der „Intervention “ amerikanischer Sicherheitskräfte Mitte Mai 2019 bereits durch die US-Regierung als venezolanischer Botschafter in Washington akkreditiert worden (Art. 4 WÜD). Das Vorgehen der USA in Bezug auf Venezuela erfolgten also im (mutmaßlichen) Interesse bzw. mit (mutmaßlichem) Einverständnis Guaidós sowie des von ihm eingesetzten und in den USA akkreditierten Missionschefs Carlos Vecchio. Das venezolanische Botschaftsgelände in Washington ist überdies kein Territorium Venezuelas; die Mission genießt völkerrechtlich (lediglich) diplomatische Immunität (Art. 22 WÜD), welche aus Sicht der USA allein von Guaidó und des von ihm eingesetzten Botschafters C. Vecchio abgeleitet wird. Mit deren Einverständnis durften die US-Sicherheitskräfte den Missionsfrieden wieder herstellen und die Botschaft räumen. 2.2. Zum Vorfall in der venezolanischen Botschaft in San José, Costa Rica Die Regierung Costa Ricas unter Präsident Carlos Alvarado Quesada hatte als Teil der sog. Lima-Gruppe den venezolanischen Parlamentspräsidenten und Oppositionsführer Guaidó als Interimspräsidenten Venezuelas anerkannt.7 Den Abgesandten des Maduro-Regimes wurden 60 Tage (bis zum 16. April 2019) eingeräumt, um die venezolanische Botschaft und Costa Rica zu verlassen. Presseberichten zufolge habe die von Guaidó als neue venezolanische Botschafterin eingesetzte Diplomatin María Faría diese Frist nicht abgewartet, sondern die venezolanische Botschaft noch vor Abzug des alten Maduro-Botschaftspersonals übernommen. Die Regierung Costa Ricas bezeichnete die Übernahme der Botschaft als inakzeptabel. Das Verhalten von Faría 6 “Police forcibly remove activists living in the Venezuelan Embassy in Washington”, Washington Post v. 16.5.2019, https://www.washingtonpost.com/local/police-forcibly-remove-activists-living-in-the-venezuelanembassy -in-washington/2019/05/16/80d464be-77cf-11e9-b3f5- 5673edf2d127_story.html?utm_term=.72d68d72e167. “Protesters want Guaidó appointees barred from Venezuela’s Washington embassy”, Miami Herald v. 22.4.2019, abrufbar unter: https://www.miamiherald.com/news/nationworld /world/americas/venezuela/article229548044.html. 7 https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/venezuela-eu-staaten-erkennen-guaido-an/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/19 Seite 7 verletze diplomatische Normen des Respekts und Vertrauens in die internationale Gemeinschaft, betonte Costa Ricas Vize-Außenministerin Lorena Aguilar.8 Der vorliegende Fall macht deutlich, dass es bei einem Botschafterwechsel in der Praxis immer wieder zu „Friktionen“ bei der Übergabe der Geschäfte kommen kann, die durch fehlende Terminabsprachen und unzureichende Kommunikation, durch schlechte Koordination oder mangelnde Rücksichtnahme zwischen den Beteiligten verursacht werden. In der Praxis wird man solche Vorfälle – vor allem wenn mehrere Ursachen zusammenkommen – nur einvernehmlich und politisch lösen können. Insbesondere der Fall Costa Rica lässt sich rechtlich nur schwer bewerten: Zum einen gibt es für einen Botschafterwechsel, der durch die Anerkennung eines alternativen Staatschefs im Entsendestaat politisch notwendig geworden ist, keinen vergleichbaren Präzedenzfall. Zum anderen existiert auch keine gesandtschaftsrechtliche Regelung für derartige „Friktionen“ bei der Übergabe der Missionsgeschäfte an einen neuen Botschafter. Bezüglich der Beendigung der dienstlichen Tätigkeit eines ausscheidenden Missionschefs sieht etwa die deutsche Praxis vor, dass der neue Botschafter mit seinem Beglaubigungsschreiben das Abberufungsschreiben seines Vorgängers überreicht.9 Doch ist die „geordnete “ deutsche Praxis auf Situationen eines „Regimewechsels“, wie er in der venezolanischen Botschaft in Costa Rica vorgeführt wurde, rechtlich kaum übertragbar. Im Fall Costa Rica war den Maduro-Diplomaten eine 60 Tage-Frist für das Verlassen der venezolanischen Botschaft gesetzt worden, bis zu deren Ablauf sie wohl noch diplomatische Vorrechte genossen. Zumindest nach der deutschen Staatspraxis zu Art. 10 WÜD (betreffend die Notifikation von An- und Abreise des Botschaftspersonals) werden die Mitglieder der Mission erst abgemeldet, nachdem sie den Empfangsstaat verlassen haben. Dadurch wird ihnen längst möglicher Schutz nach dem WÜD zuteil.10 Ein Vorgehen, bei dem Missionsmitglieder des Entsendestaates aus gegebenem Anlass direkt aufgefordert werden, den Empfangsstaat unter Gewährung einer angemessenen Frist zu verlassen, ist jedenfalls international durchaus üblich.11 8 „Juan Guaidós Botschafterin in Costa Rica übernimmt die venezolanische Botschaft“, NZZ v. 21.2.2019, abrufbar unter: https://www.nzz.ch/international/juan-guaidos-botschafterin-in-costa-rica-uebernimmt-dievenezolanische -botschaft-ld.1461557; “Venezuela's opposition ambassador takes control of embassy in Costa Rica”, Reuters v. 20.2.2019, abrufbar unter: https://www.reuters.com/article/us-venezuela-politics-costa-rica/venezuelas-opposition-ambassadortakes -control-of-embassy-in-costa-rica-idUSKCN1Q92RY; “Presión de Costa Rica saca a diplomática de Juan Guaidó de Embajada de Venezuela”, La Nación, v. 21.2.2019, abrufbar unter: https://www.nacion.com/el-pais/politica/diplomatica-de-juan-guaido-abandonara-embajadade /GTW47P7G3FEZPN7K2QXSTV5VXE/story/. 9 Wagner / Raasch / Pröpstl, Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961. Kommentar für die Praxis, Berlin 2018, Art. 10 WÜD, S. 103. 10 Ebda. Für eine Fortgeltung der Immunität bis zum Verlassen des Landes spricht auch Art. 9 Abs. 2 WÜD. 11 Wagner / Raasch / Pröpstl, Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961. Kommentar für die Praxis, Berlin 2018, Art. 43 WÜD, S. 346. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/19 Seite 8 Die Übernahme einer Botschaft durch einen neuen Missionschef erfolgt dagegen regelmäßig erst mit dessen Amtsantritt (vgl. Art. 13 WÜD).12 Dem Außenministerium des Empfangsstaates ist die Ankunft der Botschaftsmitglieder zu notifizieren (Art. 10 Abs. 1 lit. a WÜD). Die genannten Vorschriften dienen einer geordneten Übergabe der Botschaftsgeschäfte im Falle eines Botschafterwechsels sowie der Rechtssicherheit in Bezug auf die Privilegien und Handlungen des Missionschefs als Stellvertreter des Entsendestaates. Ob diese Vorschriften im Fall Costa Rica eingehalten worden sind, lässt sich auf der Grundlage der vorliegenden Fakten nicht eindeutig klären. Schon das genaue Datum der Akkreditierung bzw. des Amtsantritts von Guaidós Botschafterin Faría in San José lässt sich Medienberichten nicht entnehmen. Ganz offensichtlich hat die neue venezolanische Missionschefin Faría, sofern sie denn über die Fristsetzung bzw. die Zusagen der costa-ricanischen Regierung gegenüber dem „alten“ Maduro- Botschaftspersonal informiert gewesen ist, bereits im Vorfeld ihres Amtsantritts gewisse Formen und Usancen der „diplomatischen Rücksichtnahme und des Respekts“ gegenüber dem Empfangsstaat verletzt. Eine allgemeine, rechtlich verbindliche Pflicht eines Botschafters zur Rücksichtnahme und Respekt – womöglich noch vor seinem Amtsantritt (im Sinne einer vorvertraglichen Pflicht) – findet indes in der Wiener Diplomatenkonvention keinen expliziten Niederschlag.13 Zu prüfen bleibt insoweit ein möglicher Rückgriff auf allgemeine Grundsätze und Rechtsprinzipien des Völkerrechts. Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen i.S.v. Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH- Statut, die der IGH – weil von allen nationalen Rechtsordnungen anerkannt – als Völkerrechtsquelle heranzieht, gehört nach Auffassung von Literatur und Rechtsprechung u.a. der Grundsatz von Treu und Glauben.14 Eine völkerrechtliche Verpflichtung, Verträge nach Treu und Glauben auszulegen und anzuwenden, findet sich überdies in Art. 31 Abs. 1 der Wiener Vertragsrechtskonvention . 12 Art. 13 WÜD lautet: „Als Zeitpunkt des Amtsantritts des Missionschefs im Empfangsstaat gilt der Tag, an welchem er nach der im Empfangsstaat geübten und einheitlich anzuwendenden Praxis entweder sein Beglaubigungsschreiben überreicht hat oder aber dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten oder einem anderen in gegenseitigem Einvernehmen bestimmten Ministerium des Empfangsstaats seine Ankunft notifiziert hat und diesem eine formgetreue Abschrift seines Beglaubigungsschreibens überreicht worden ist.“ 13 Gem. 41 Abs. 1 WÜD ist das Botschaftspersonal lediglich verpflichtet, die Gesetze des Empfangsstaates zu beachten. 14 Vgl. etwa Dörr, in: Ipsen, Knut (Hrsg.), Völkerrecht, München: Beck, 7. Aufl. 2018, § 20 Rdnr. 6 f.; Kotzur, Good Faith (Bona fide), in: MPEPIL online 2009, abrufbar unter: https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1412. Auch internationale Spruchkörper wie der IGH (im Nicaragua-Urteil) und der WTO Appellate Body im sog. Shrimps-Fall (WT/DS58/AB/R v. 12.10.1998) haben den Grundsatz von Treu und Glauben als völkerrechtliches Prinzip bemüht. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 067/19 Seite 9 So lässt sich etwa im deutschen Mietrecht sogar eine vorvertragliche Verpflichtung der Mietparteien ,15 auf den anderen und seine Interessen Rücksicht zu nehmen und sich redlich und loyal zu verhalten, aus den allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) herleiten.16 Ob bestimmte Usancen der „diplomatischen Rücksichtnahme und des Respekts“, wie sie im Fall Costa Rica in Rede stehen, als rechtsverbindlich anzusehen sind – z.B. als Ausprägung des Treuund Glaubensgrundsatzes oder als Völkergewohnheitsrecht – muss im Ergebnis allerdings stark bezweifelt werden. Gerade im diplomatischen Verkehr zwischen Staaten existieren weite Bereiche der internationalen (diplomatischen) Courtoisie (Höflichkeit, zeremonielle Handlungsweisen etc.).17 Die Abgrenzung zwischen Courtoisie und verbindlichem Recht ist nicht immer trennscharf und eindeutig; jedoch regelt die Wiener Diplomatenkonvention das Diplomatenrecht weitgehend abschließend, so dass vielen Usancen, die auf internationalem Parkett gepflegt werden, nicht ohne weiteres rechtliche Bindungswirkung zugesprochen werden kann. *** 15 Vorvertragliche Sorgfalts-, Rücksichtnahme- und Aufklärungspflichten können z.B. in Fällen relevant werden, in denen ein neuer Mieter bereits einige Tage vor Beginn des eigentlichen Mietverhältnisses die gemietete Wohnung nutzen darf. 16 https://www.promietrecht.de/Allgemeines/Treu-und-Glauben/Treu-und-Glauben-im-Mietrecht-fuer- Wohnungen-E3168.htm. Vgl. zu dem römisch-rechtlich tradierten Treu und Glaubensgrundsatz aus historischer Sicht bereits die auf lateinisch verfasste Dissertation von Christian Casimir Radefeldt, De Bona Fide in Praescriptionibus tam Jure Civili quam Canonico necessaria Jenae: Werther, 1696. 17 Zum Begriff der (Völker-)courtoisie (im Gegensatz zum Völkerrecht) vgl. Dörr, in: Ipsen, Knut (Hrsg.), Völkerrecht , München: Beck, 7. Aufl. 2018, § 19 Rdnr. 14.