© 2015 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 066/15 Zur Reichweite des menschenrechtlichen Schutzes im Bereich der Gesundheitsversorgung unter besonderer Berücksichtigung von Artikel 9 und 12 ICESCR Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 2 Zur Reichweite des menschenrechtlichen Schutzes im Bereich der Gesundheitsversorgung unter besonderer Berücksichtigung von Artikel 9 und 12 ICESCR Verfasserin: Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 066/15 Abschluss der Arbeit: 28. April 2015 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Das Menschenrechtsschutzsystem der Vereinten Nationen (VN) im Bereich der Gesundheitsversorgung 5 2.1. Allgemeines 5 2.2. Bemerkung zur VN-Menschenrechtserklärung 7 2.3. Vorbemerkungen zu Besonderheiten sozialer Menschenrechte 9 2.4. Bemerkungen zur Durchsetzung von Menschenrechten der VN- Übereinkommen 10 2.5. VN-Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) 13 2.5.1. Recht auf Gesundheit 13 2.5.1.1. Inhalt und Reichweite im Bereich der Gesundheitsversorgung 14 2.5.1.2. Staatliche Pflichten im Bereich der Gesundheitsversorgung 16 2.5.1.3. Ressourcenvorbehalt (Art. 2 Abs. 1 ICESCR) 20 2.5.1.4. (Weitere) Beschränkungsmöglichkeiten 20 2.5.2. Recht auf soziale Sicherheit 21 2.5.2.1. Inhalt und Reichweite in Hinblick auf Gesundheitsversorgung 21 2.5.2.2. Staatliche Pflichten in Hinblick auf Gesundheitsversorgung 23 2.5.2.3. Ressourcenvorbehalt (Art. 2 Abs. 1 ICESCR) und (weitere) Beschränkungsmöglichkeiten 24 2.5.3. Kritik des Ausschusses an Deutschland im Rahmen der Gesundheitsversorgung 24 2.6. Weitere Menschenrechtsübereinkommen der VN 26 2.6.1. Antirassismus-Übereinkommen (ICERD) 26 2.6.2. Frauenrechtsübereinkommen (CEDAW) 27 2.6.3. Kinderrechtsübereinkommen (CRC) 29 2.6.4. Behindertenrechtsübereinkommen (CRPD) 32 2.6.5. Wanderarbeitskräfteübereinkommen (ICRMW) 35 2.7. Weitere VN-Rechtsquellen mit Bezügen zum Gesundheitsschutz 36 2.7.1. VN-Menschenrechtsrat (Human Rights Council) 37 2.7.2. Rechtsquellen der VN-Sonderorganisationen 38 2.7.3. Humanitäres Völkerrecht 40 2.7.4. Weitere Rechtsquellen 41 3. Exkurs: Europäische Rechtssysteme 43 3.1. Europarat 43 3.1.1. (Revidierte) Europäische Sozialcharta 44 3.1.2. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 46 3.2. Europäische Union 47 4. Bedeutung der menschenrechtlichen Vorgaben für das nationale Recht 50 5. Zusammenfassung 52 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 4 1. Einführung Das Bedürfnis von Menschen nach adäquater Gesundheitsversorgung spiegelt sich in vielfacher Hinsicht in internationalen Menschenrechtsinstrumenten wider. In welchem Rahmen und Umfang verbindliche menschenrechtliche Regelungen ein Recht auf Gesundheitsversorgung enthalten und inwiefern aus diesen Rechten ein Anspruch auf Gewährleitung von Gesundheitsversorgung gegenüber dem Staat erwachsen kann, ist Gegenstand des folgenden Überblicks. Bereits ein Blick in das Inhaltsverzeichnis lässt die Vielzahl möglicher Quellen erkennen. Dies machte das Setzen von Schwerpunkten erforderlich. So lädt die Fragestellung der Auftraggeberin dazu ein, das Menschenrechtsschutzsystem der Vereinten Nationen (VN) mit seinen verschiedenen Menschenrechtsübereinkommen in den Mittelpunkt zu stellen. Besonderes Augenmerk liegt daher auf den zentralen Gewährleistungen des Internationalen Paktes der Vereinten Nationen (VN) für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR bzw. ICESCR1), dem Recht auf Gesundheit (Artikel [Art.] 12 ICESCR; siehe dazu 2.5.1.) und dem Recht auf soziale Sicherheit (Artikel 9 ICESCR, siehe dazu 2.5.2.). Anhand ausgewählter Aspekte im Bereich des Gesundheitsschutzes sollen die wesentlichen Inhalte dieser beiden sozialen Menschenrechte (2.5.2.2.) sowie die damit einher gehenden staatlichen Pflichten (2.5.2.3.) vorgestellt werden. Zur Erleichterung des Verständnisses werden ferner die Besonderheiten der Ausgestaltung sozialer Menschenrechte (siehe dazu 2.3. und 2.4.) kurz erläutert. Neben den Texten der Übereinkommen wird vor allem die Auslegung durch den zuständigen VN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR) herangezogen. In Hinblick auf die Anliegen der Auftraggeberin wird auf die Situation von Nicht-Staatsangehörigen, insbesondere von Asylsuchenden und Flüchtlingen, eingegangen , soweit die zuständigen VN-Organe hierzu in Bezug auf Deutschland oder in allgemeingültigen Verlautbarungen Aussagen machten. An andere Staaten gerichtete Empfehlungen konnten nicht ausgewertet werden. Flankiert wird die Darstellung der Gewährleistungen des ICESCR durch einen kurzen Überblick über die Ansatzpunkte für ein Recht auf Gesundheitsversorgung in anderen VN-Menschenrechtsübereinkommen . Diese betreffen vornehmlich die Rechte bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Menschen mit Behinderungen, Frauen oder Kinder (siehe dazu ausführlich 2.6.), diese wiederum ausgelegt durch die zuständigen VN-Ausschüsse. Zur Orientierung folgt eine kurze Aufzählung weiterer – verbindlicher und unverbindlicher – VN-Rechtsquellen, die Bedeutung für den Bereich der Gesundheitsvorsorge erlangt haben oder erlangen können (siehe dazu 2.7.). Aufgrund ihrer Bedeutung sollen die menschenrechtlichen Gewährleistungen auf regionaler Ebene nicht ausgeklammert werden. Abschnitt 3 des Sachstandes widmet sich deshalb in aller Kürze Regelungen des Rechts auf Gesundheitsversorgung in den Rechtssystemen des Europarates und der Europäischen Union (EU). Zur Abrundung des Bildes und zur Einordnung wird in Abschnitt 4 abschließend kurz auf die Stellung völkerrechtlicher Verträge (nebst Verlautbarungen der VN-Organe) sowie anderer 1 Im Folgenden werden die gebräuchlicheren englischen Abkürzungen verwendet. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 5 Rechtsquellen im deutschen nationalen Recht eingegangen. Hiermit soll ein Überblick gewährleistet werden, wie Argumente aus der internationalen Rechtsordnung in das nationale Recht hineinwirken und innerhalb des deutschen Rechtssystems verwertet werden können. 2. Das Menschenrechtsschutzsystem der Vereinten Nationen (VN) im Bereich der Gesundheitsversorgung Um die Reichweite von internationalen Menschenrechtsregelungen zu verstehen, ist zunächst ein Überblick über das VN-Menschenrechtssystem erforderlich, bevor auf einzelne Elemente eingegangen werden kann. 2.1. Allgemeines Das Menschenrechtssystem der VN besteht aus Regelungen und Einrichtungen, von denen einige auf Grundlage der VN-Charta (charter-based mechanisms) operieren und andere aus völkerrechtlichen Übereinkommen (treaty-based mechanisms) hervorgegangen sind.2 Zur ersten Gruppe gehört der durch die VN-Generalversammlung eingesetzte VN-Menschenrechtsrat (Human Rights Council, HRC), der die Menschenrechtslage in den Mitgliedsstaaten periodisch überprüft, und für einzelne Sachbereiche oder Länder ergänzend VN-Sonderberichterstatterinnen und -erstatter (Special Procedures, darunter Special Rapporteurs, Independent Experts , Working Groups) einsetzt, die durch ihre thematischen Berichte und Staatenbesuche einzelne Themen besonders beleuchten können.3 Daneben bündeln der durch Resolution 48/141 (1993) der VN-Generalversammlung eingesetzte VN-Hochkommissar für Menschenrechte und sein Hochkommissariat (Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights, OH- CHR) die Aktivitäten der VN im Bereich Menschenrechte.4 Zur zweiten Gruppe gehören alle VN-Menschenrechtsübereinkommen der Mitgliedsstaaten sowie die zu ihrer Überwachung eingesetzten und durch unabhängige Expertinnen und Experten 2 Für einen Überblick siehe die Seite des VN-Hochkommissariats für Menschenrechte, http://www.ohchr .org/EN/HRBodies/Pages/HumanRightsBodies.aspx (letzter Zugriff: 10.04.2015). 3 Siehe ausführlich die einzelnen Verweise auf der Seite des VN-Hochkommissariats für Menschenrechte, http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/Pages/HumanRightsBodies.aspx (letzter Zugriff: 10.04.2015). 4 Siehe zu Mandat und Geschichte die Seite des VN-Hochkommissariats für Menschenrechte, http://www.ohchr .org/EN/AboutUs/Pages/WhoWeAre.aspx (letzter Zugriff: 10.04.2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 6 der Mitgliedsstaaten besetzten VN-Fachausschüsse.5 Im Bereich der Gesundheitsversorgung sind folgende Menschenrechtsübereinkommen der VN relevant: - VN-Sozialpakt, Art. 12 und 9 (siehe dazu 2.5.) - VN-Antirassismus-Übereinkommen, Art. 5 (siehe dazu 2.6.1.) - VN-Frauenrechtsübereinkommen, Art. 11, 12, 14 (siehe dazu 2.6.2.) - VN-Kinderrechtsübereinkommen, Art. 23–25, 27, 32, 33, 35 (siehe dazu 2.6.3.) - VN-Behindertenrechtsübereinkommen, Art. 16, 25, 26, 28 (siehe dazu 2.6.4.) - VN-Wanderarbeitskräfteübereinkommen, Art. 25, 27, 28, 43 (siehe dazu 2.6.5.) Mit zahlreichen weit verbreiteten, wenn auch unverbindlichen Berichten und Initiativen haben sich neben dem Hochkommissariat die VN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Gesundheit (VN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Genuss des maximal zu erreichenden Standards von leiblicher und seelischer Gesundheit/ Special Rapporteur on the right of everyone to the enjoyment of the highest attainable standard of physical and mental health) seit 2002 stark hervorgetan und zur Auslegung des Rechts beigetragen.6 Ihre Berichte werden deshalb ergänzend herangezogen . Des Weiteren widmen sich verschiedene VN-Sonderorganisationen im Rahmen ihres jeweiligen Mandats dem Recht auf Gesundheit. Unter ihnen ist neben der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO) die Weltgesundheitsorganisation hervorzuheben (World Health Organisation, WHO).7 Gemeinsam mit dem OHCHR hat die WHO eine umfassende 5 Für einen Überblick siehe die einzelnen Verweise auf der Seite des VN-Hochkommissariats für Menschenrechte , http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/Pages/HumanRightsBodies.aspx, ferner ausführlich die Fact Sheet der VN, The United Nations Human Rights Treaty System, Fact Sheet No. 30/Rev.1, New York und Genf: VN (2012), erhältlich unter http://www.ohchr.org/Documents/Publications/FactSheet30Rev1.pdf. Nach dem jeweiligen Übereinkommen werden die Ausschüsse aus 10–23 Angehörigen unterschiedlicher Mitgliedsstaaten für jeweils zwei bis vier Jahre bestimmt. Dabei stellen die einzelnen Mitgliedsstaaten – in der Regel sehr unterschiedlich profilierte – Kandidatinnen und Kandidaten auf. Der Generalsekretär übersendet sodann allen Mitgliedsstaaten die Gesamtliste. Die Versammlung der Mitgliedsstaaten, in der mindestens zwei Drittel von ihnen vertreten sind, wählt die Mitglieder des Ausschusses mit absoluter Mehrheit aus der Liste. Nach den Regulations Governing the Status, Basic Rights and Duties of Officials other than Secretariat Officials and Experts on Mission, Resolution 56/280 der VN-Generalversammlung vom 27.03.2002, ST/SGB/2002/9 ist dabei der höchstmögliche Standard an Effizienz, Kompetenz und Integrität zu gewährleisten. Obwohl die Hauptkriterien in der fachlichen Eignung und der Persönlichkeit der Kandidatinnen und Kandidaten bestehen, sind die Gewählten in der Regel von sehr unterschiedlicher Qualität und Erfahrung. Ein Sonderwahlverfahren besteht allein für ICESCR. Siehe zum Wahlverfahren neben den einzelnen Übereinkommen die Zusammenfassung des OHCHR, http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/Pages/ElectionsofTreatyBodiesMembers.aspx (letzter Zugriff jeweils: 28.04.2015). 6 Siehe hierzu die Seite des Sonderberichterstatters unter http://www.ohchr.org/EN/Issues/Health/Pages/SRRight HealthIndex.aspx (letzter Zugriff: 10.04.2015). 7 Für ausführliche Informationen siehe http://www.who.int/en/ (letzter Zugriff: 10.04.2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 7 Übersicht zum Recht auf Gesundheit herausgegeben, die zahlreiche wesentliche VN-Dokumente zusammenfasst.8 2.2. Bemerkung zur VN-Menschenrechtserklärung Ausgangspunkt für die Erarbeitung verbindlicher Menschenrechtsübereinkommen zwischen den Mitgliedsstaaten war die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) der VN-Generalversammlung vom 10. Dezember 1948 (Universal Declaration of Human Rights, UDHR).9 Diese Erklärung enthält in Art. 22 und Art. 25 Absatz 1 auch das Recht auf Gesundheit und soziale Sicherheit: „Artikel 22 Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuß der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.“ „Artikel 25 1. Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit , Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände. 2. Mütter und Kinder haben Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung. Alle Kinder, eheliche wie außereheliche, genießen den gleichen sozialen Schutz.“ Die AEMR ist als Erklärung der Generalversammlung nicht unmittelbar verbindlich, sondern vielmehr bis heute eine Interpretationshilfe für andere, spätere Vorschriften10; es lassen sich aus ihr also nicht automatisch Rechte und Pflichten von Staaten oder gar Bürgerinnen und Bürgern 8 OHCHR/WHO; The Right to Health, Human Rights Fact Sheet No. 31, Genf: VN (2008), http://www.ohchr.org/Documents/Publications/Factsheet31.pdf (letzter Zugriff: 10.04.2015). 9 Universal Declaration of Human Rights, Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10. Dezember 1948, verfügbar via Verweis auf http://www.ohchr.org/EN/UDHR/Pages/UDHRIndex.aspx (letzter Zugriff: 10.04.2015). Deutsche Übersetzung erhältlich unter http://www.ohchr.org/EN/UDHR/Documents/UDHR_Translations /ger.pdf (letzter Zugriff: 10.04.2015). 10 Zum prägenden Einfluss der AEMR auf spätere internationale und nationale Vorschriften siehe ausführlich Nettesheim , Martin, Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und ihre Rechtsnatur, in: Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band VI/2: Europäische Grundrechte II – Universelle Menschenrechte, C. F. Mueller (2009), S. 191–236, S. 206–216, Rn. 24–37. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 8 ableiten.11 Ausgehend von dieser Erklärung wurden sodann in einem langwierigen Prozess zunächst zwei Übereinkommen erarbeitet, eines zu bürgerlichen und politischen (VN-Zivilpakt, ICCPR)12 und ein weiteres zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten (VN-Sozialpakt, ICESCR)13. Beide Übereinkommen traten 1976 in Kraft und sind für diejenigen Mitgliedsstaaten verbindliches Recht, die sie ratifiziert haben.14 Zu ihnen gehört auch die Bundesrepublik Deutschland.15 Mittlerweile werden die Inhalte der AEMR – jedenfalls in einer Reihe von Bereichen – nahezu unangefochten als Völkergewohnheitsrecht und damit als verbindlich angesehen; einige Forschende wollen auch der Erklärung selbst Rechtscharakter beimessen.16 Da aber die VN-Übereinkommen konkretere und völkerrechtlich unbestreitbar verbindliche Regelungen vorsehen – unter anderem zum Inhalt der einzelnen Rechte und zu ihrer Einschränkbarkeit – werden sie im Folgenden ausschließlich herangezogen. 11 Nettesheim, Martin, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Fn. 10, S. 203, Rn. 21. 12 International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, adopted and opened for signature, ratification and accession by General Assembly resolution 2200A (XXI) of 16 December 1966, entry into force 3 January 1976, in accordance with article 27, UNTS Band 993, S. 3; https://treaties.un.org/ (letzter Zugriff: 10.04.2015). Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt) vom 16.12.1966. Resolution 2200A (XXI) der VN-Generalversammlung. In Kraft getreten am 03.01.1976. Deutsche Übersetzung erhältlich unter http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen /ICESCR/icescr_de.pdf (letzter Zugriff: 10.04.2015). 13 International Covenant on Civil and Political Rights, adopted and opened for signature, ratification and accession by General Assembly resolution 2200A (XXI) of 16 December 1966, entry into force 23 March 1976, in accordance with Article 49, UNTS Band 999, S. 171; https://treaties.un.org/ (letzter Zugriff: 10.04.2015). Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) vom 16.12.1966. Resolution 2200A (XXI) der Generalversammlung der UNO. In Kraft getreten am 23.03.1976. Deutsche Übersetzung erhältlich unter http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/IC- CPR/iccpr_de.pdf (letzter Zugriff: 10.04.2015). 14 Ausführlich zu den beiden Übereinkommen und dem Durchsetzungsverfahren Vedder, Christoph, Die allgemeinen UN-Menschenrechtspakte und ihre Verfahren, in: Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band VI/2: Europäische Grundrechte II – Universelle Menschenrechte , C. F. Mueller (2009), S. 237–301. 15 Siehe hierzu jeweils die Ratifikationsübersicht der VN unter https://treaties.un.org/ (letzter Zugriff: 10.04.2015). Zivilpakt unterzeichnet durch die Bundesregierung am 09.10.1968, Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde am 17.12.1973, in Kraft getreten am 23.03.1976, Art. 41 in Kraft seit dem 28.03.1979; Sozialpakt. Siehe ferner das Bundesgesetzblatt, BGBl 1973 II, 1533 (Zivilpakt) und BGBl. 1973 II S. 1569 (Sozialpakt). 16 Nettesheim, Martin, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Fn. 10, S. 204, Rn. 21 und S. 225, Rn. 54 (zu den betroffenen Bereichen), zu unterschiedlichen Ansichten hinsichtlich ihrer Rechtsnatur siehe S. 216 ff., Rn. 38 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 9 2.3. Vorbemerkungen zu Besonderheiten sozialer Menschenrechte Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte werden aus historischen und politischen Gründen zuweilen als eine besondere Kategorie von Menschenrechten eingeordnet, auch wenn sie – wie oben (2.2.) gesehen – noch in der AEMR gleichberechtigt neben den bürgerlichen und politischen Rechten standen.17 Diese Wahrnehmung hat sich auch in rechtlicher Hinsicht in den VN-Übereinkommen niedergeschlagen und später in regionalen Abkommen (siehe dazu kurz unter 3.1.) durchgesetzt: Vorsichtig einschränkende Begrifflichkeiten wie „progressive Umsetzung“, „Ressourcenvorbehalt“ bzw. „Einsatz der maximal verfügbaren Ressourcen“ (dazu ausführlich 2.5.1. und 2.5.2.) gibt es gewöhnlich in Übereinkommen zu bürgerlichen und politischen Rechten nicht. Bereits die VN- Menschenrechtskommission ging anlässlich der Aushandlung der (deshalb voneinander getrennten ) VN-Übereinkommen davon aus, dass bürgerliche und politische Rechte vor allem Abwehrrechte gegen den Staat seien, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte dagegen sein aktives Handeln – und damit Ressourcen und Zeit – erforderten und damit eher „Programmrechte“ wären .18 Gedacht werden kann hier beispielsweise an den kostenintensiven Aufbau und die Erhaltung eines Gesundheits- oder Sozialsystems, an den Unterhalt von Bildungseinrichtungen, die Bereitstellung von Wohnraum etc. Wegen des häufig weiten Beurteilungsspielraums der Staaten bei der Umsetzung ihrer Gewährleistungspflichten sind die Inhalte wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte oft als vage, schwer bestimmbar, kaum messbar – und daher nicht (gerichtlich ) durchsetzbar (justiziabel) – eingeordnet worden.19 Zwar haben viele Forschende und internationale Fachleute seitdem gezeigt, dass sich auch aus bürgerlichen und politischen Rechten kostenintensive Schutz- und Gewährleistungspflichten (etwa kontinuierliche Aus- und Fortbildung für Sicherheitskräfte zur Vermeidung von Folter und Misshandlung) ergeben können und dass viele dieser Rechte ohnehin unteilbar miteinander verwoben sind.20 An der Ausgestaltung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte, ihrer Wahrnehmung und den Schwierigkeiten bei ihrer Durchsetzung (siehe dazu später unter 4. und 2.4.) hat dies aber wenig geändert. 17 Zu dieser Diskussion siehe etwa Krennerich, Michael, Soziale Menschenrechte: zwischen Recht und Politik, Schwalbach: Wochenschau Verlag (2013), S. 339–342, sowie beispielhaft den aktuellen Bericht des VN-Sonderberichterstatters an die VN-Generalversammlung von 2014, Report by the Special Rapporteur on the right of everyone to the enjoyment of the highest attainable standard of physical and mental health, Anand Grover, 11.08.2014, A/69/299, Rn. 7 ff. 18 VN-Generalversammlung, Draft International Covenants on Human Rights, 01.07.1955, A/2929, http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/2929 (letzter Zugriff: 22.04.2015), Kap. II, Rn. 10. Kapitel 2 enthält eine Zusammenfassung des Diskussionsprozesses um die Ausgestaltung der beiden Übereinkommen. 19 Siehe hierzu etwa Krennerich, Soziale Menschenrechte, Fn. 17, S. 339; Report by the Special Rapporteur on the right of everyone to the enjoyment of the highest attainable standard of physical and mental health, Anand Grover, 11.08.2014, A/69/299, Rn. 6 ff. 20 Siehe etwa Krennerich, Soziale Menschenrechte, Fn. 17, S. 340 f. mit weiteren Nachweisen; Report by the Special Rapporteur on the right of everyone to the enjoyment of the highest attainable standard of physical and mental health, Anand Grover, 11.08.2014, A/69/299, Rn. 5–29. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 10 Die Zurückhaltung der verhandelnden Staaten spiegelt sich auf nationaler Ebene wieder – das Grundgesetz schweigt zur Frage wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte weit gehend. Das Bundesverfassungsgericht bedient sich etwa der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) oder des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) und beschränkt sich darüber hinaus zumeist auf die klassische abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte.21 2.4. Bemerkungen zur Durchsetzung von Menschenrechten der VN-Übereinkommen Bei der Frage nach der Durchsetzbarkeit von Menschenrechten sind wegen der genuinen Perspektivunterschiede die nationale und die internationale Ebene grundsätzlich zu trennen22: Auf internationaler Ebene beschränkt sich die Durchsetzbarkeit der VN-Übereinkommen rechtlich zunächst im Wesentlichen auf Verfahren vor dem zuständigen VN-Ausschuss.23 Je nach Abkommen bzw. den dazu ausgehandelten Zusatzprotokollen verfügen die zuständigen Ausschüsse über verschiedene Zuständigkeiten. So können sie etwa durch Allgemeine Bemerkungen oder Empfehlungen oder ihre Abschließenden Bemerkungen zu den periodischen Staatenberichten die Auslegung des jeweiligen Vertrages vorantreiben. Einige Ausschüsse können auch Individualbeschwerden einzelner Betroffener gegen Staaten bescheiden und entwickeln auf diese Weise eine Art eigener „Rechtsprechung“.24 Diese ist begrenzt, da viele Einzelfallmechanismen erst seit kurzem existieren, Protokolle noch nicht oder gerade erst in Kraft getreten sind und insgesamt das Beschwerdeaufkommen gering ist.25 Auch die Zusatzprotokolle, die beispielsweise Individualbeschwerdeverfahren vorsehen, müssen aber von den Staaten separat ratifiziert werden und 21 Siehe hierzu ausführlich den Beitrag von Franziska Brand und Lena Hantschke (WD 3), Grundgesetzlicher Anspruch auf gesundheitliche Versorgung, WD 3 - 3000 - 089/15, Berlin: Deutscher Bundestag (2015), zur Fragestellung der Auftraggeberin. Siehe ferner ausführlich Krennerich, Soziale Menschenrechte, Fn. 17, S. 78–84, der auch die geringe Berücksichtigung in der Rechtsliteratur kritisiert (S. 82 f.) und auf soziale Menschenrechte in den Landesverfassungen eingeht (S. 83 f.). 22 Einen vollständigen Überblick über die verschiedenen Durchsetzungsmöglichkeiten von Menschenrechten inkl. des VN-Institutionsgefüges bietet Dederer, Hans-Georg, Die Durchsetzung der Menschenrechte, in: Merten, Detlef /Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band VI/2, C. F. Müller (2009), S. 333–394. 23 Siehe zu den einzelnen Kontrollverfahren für Sozialrechte auf internationaler und regionaler Ebene Krennerich , Soziale Menschenrechte, Fn. 17, Kapitel 8, S. 381–417. 24 Siehe zusammenfassend die Fact Sheet der VN, The United Nations Human Rights Treaty System, Fact Sheet No. 30/Rev.1, New York und Genf: VN (2012), erhältlich unter http://www.ohchr.org/Documents/Publications /FactSheet30Rev1.pdf (letzter Zugriff: 10.04.2015). Siehe zu den einzelnen Begriffen auch die kurzen Erläuterungen des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR), http://www.institut-fuer-menschenrechte .de/menschenrechtsinstrumente/vereinte-nationen/menschenrechtsabkommen/ (letzter Zugriff: 24.04.2015), zu den Möglichkeiten nach den einzelnen Verträgen Dederer, Durchsetzung der Menschenrechte, Fn. 22, Rn. 74, zu den Voraussetzungen des Verfahrens S. 375 ff., Rn. 74 ff. 25 Krennerich, Soziale Menschenrechte, Fn. 17, S. 395 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 11 sind erst dann verbindlich. So hat etwa Deutschland das Fakultativprotokoll zum ICESCR bislang nicht ratifiziert, sodass Einzelpersonen keine Beschwerden gegen die Bundesrepublik vor dem Ausschuss einlegen können.26 Die einzige Möglichkeit, die Einhaltung der deutschen Verpflichtungen unter dem ICESCR direkt zu kontrollieren, ist damit das Staatenberichtsverfahren, das allerdings ebenfalls zu unverbindlichen Abschließenden Empfehlungen führt.27 Allerdings werden auch die Stellungnahmen der Ausschüsse in Einzelbeschwerdeverfahren zumeist von Regierungen und in der Literatur – unabhängig von der nicht zu unterschätzenden politischen Bedeutung – als rechtlich nicht verbindlich eingeordnet.28 Daneben besteht die Möglichkeit, dass internationale Gerichte – wie etwa der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)29– speziellere VN-Übereinkommen und ihre Auslegung durch die Ausschüsse heranziehen, um den aktuellen Stand der menschenrechtlichen Verpflichtungen in diesem Bereich zu konkretisieren (z.B. beim Diskriminierungsschutz).30 Vedder verweist darauf, dass zudem der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits mehrfach auf die VN- 26 Kritisch hierzu etwa das DIMR, aktuell 02/2011: Das Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt – Warum die Ratifikation durch Deutschland notwendig ist, http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload /Publikationen/aktuell/aktuell_2_2011.pdf (letzter Zugriff: 24.04.2015) und Krennerich, Michael, Wie lange grüßt das Murmeltier?: Deutscher Prüfbedarf und das Beschwerdeverfahren für den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, in: Zeitschrift für Menschenrechte, 8. Jahrgang (2014), Band 2, S. 158–167. Nachdem mehrere Staaten – darunter Frankreich, Spanien und Portugal – im Rahmen des Verfahrens der Universal Periodic Review Deutschland erneut zur Ratifikation aufgefordert haben, hat die Bundesregierung bekanntgegeben, einen Beitritt zum Zusatzprotokoll weiterhin zu prüfen. Siehe dazu die Zusammenfassung der Empfehlungen, http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/UPR/Pages/DESession16.aspx (Rubrik „Outcome of the Review – Working Group“) (dort S. 15, Empfehlungen 124.11, 124.12, 124.13, 124.18–124.21), die Antwort der Bundesrepublik, http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/UN-Dokumente /UPR_zu_Deutschland/A_HRC_24_9_Add_1_ENG__Reaktion_DEU_auf_UPR-Empfehlungen_.doc (dort S. 2), sowie die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (zu Frage 4), verlinkt beim DIMR: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien /UN-Dokumente/UPR_zu_Deutschland/UPR2013_Parlament_Kleine_Anfrage_der_Gruenen_de.pdf (letzter Zugriff jeweils: 27.04.2015). 27 Siehe hierzu die Materialsammlung des DIMR – einschließlich der Parallelberichte aus der Zivilgesellschaft – zum letzten Überprüfungszyklus vor dem CESCR 2011, http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsinstrumente /vereinte-nationen/menschenrechtsabkommen/sozialpakt-icescr/staatenberichtsverfahren-zudeutschland / (letzter Zugriff: 24.04.2015). 28 Dederer, Durchsetzung der Menschenrechte, Fn. 22, S. 383, 374 ff., 379 (Rn. 81) mit weiteren Nachweisen, auch allgemein zu den beschränkten Möglichkeiten der Ausschüsse und zur beschränkten Wirksamkeit des Individualbeschwerdeverfahrens ; Krennerich, Soziale Menschenrechte, Fn. 17, Kapitel 8, S. 396 f. mit weiteren Nachweisen . 29 Im äußersten Fall der Streitigkeiten zwischen Staaten auch vor dem Internationalen Gerichtshof, vgl. Vedder, Allgemeine UN-Menschenrechtspakte, Fn. 14, S. 301, Rn. 168. 30 Als Beispiel für einen solchen – eher seltenen – Fall siehe etwa EGMR, Urteil vom 13.11.2007, Beschwerde-Nr. 57325/00, D. H. und andere gegen die Tschechische Republik. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 12 Übereinkommen ICESCR und ICCPR zurückgegriffen habe.31 Ferner greifen einige Staaten Empfehlungen der Ausschüsse im Rahmen des allgemeinen Überprüfungsverfahrens Universal Periodic Review vor dem VN-Menschenrechtsrat auf und verleihen ihnen dadurch eine gewisse Autorität .32 Auf nationaler Ebene33 können internationale Übereinkommen und Verpflichtungen grundsätzlich vor den eigenen Behörden und Gerichten vorgebracht werden. Ob sie in einem Staat unmittelbar anwendbar sind bzw. bei der Auslegung des nationalen Rechts berücksichtigt werden und welche Bedeutung ihnen beigemessen wird, unterscheidet sich – unabhängig von der völkerrechtlichen Verpflichtung – in der Regel je nach Staat und Rechtstradition (für Deutschland siehe dazu später 4.).34 Einige Autorinnen und Autorin bestreiten jedoch – in Hinblick auf die unter 2.3. angeführten Unterschiede – die unmittelbare Anwendbarkeit des ICESCR (im Gegensatz zum ICCPR) generell und wollen nur (durch den Staat zu konkretisierende) Staatenpflichten, aber keine subjektiven Rechte daraus ableiten.35 Gerichtsentscheidungen auf nationaler Ebene sind im Gegensatz zur internationalen Ebene regelmäßig verbindlich und durchsetzbar.36 In der Literatur und von VN-Fachleuten wird eine Reihe 31 Vedder, Allgemeine UN-Menschenrechtspakte, Fn. 14, S. 298 f., Rn. 164 und Fn. 234. Er nennt die folgenden Urteile: Orkem ./. Kommission, Urteil vom 18.10.1989, Rs. 347/87, Slg. 1989, 3283, Rn. 31; Parlament ./. Rat, Urteil vom 27.06.2006, Rs. C-540/03, Slg. 2006, I-5769, Rn. 37; Dynamic Medien Vertriebs-Gmbh ./. Avides Media AG, Urteil vom 14.02.2008, Rs. C-244/06, Slg. 2008, I-505, Rn. 39. 32 Siehe zum Verfahren der Universal Periodic Review Dederer, Durchsetzung der Menschenrechte, Fn. 22, S. 357 ff., Rn. 47 ff. Insbesondere zur Überprüfung Deutschlands 2013, mit vielen Materialien und Zusatzquellen, siehe das DIMR, http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsinstrumente/vereinte-nationen /menschenrechtsrat/upr-deutschland-2013/ (letzter Zugriff: 24.04.2015). Siehe für ein Beispiel politischer Wirkung Fn. 26. 33 Siehe dazu ausführlich Trilsch, Mirja A., Die Justiziabilität wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Recht im innerstaatlichen Recht, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und zum Völkerrecht, Heidelberg: Springer (2012). 34 Geiger, Rudolf, Grundgesetz und Völkerrecht, 6. Auflage 2013, München: C.H.Beck, S. 165 ff., 150 ff., ; siehe auch den Vergleich von Deutschland, Südafrika und Kanada/Quebec bei Trilsch, Justiziabilität wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Recht, Fn. 33, Kapitel 2–4 und Auswertung der Rechtssysteme in Kapitel 5. 35 Langenfeld, Christine, Soziale Grundrechte, in: Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band VI/1: Europäische Grundrechte I, C. F. Mueller (2010), S. 1117– 1156, S. 1126 mit weiteren Nennungen zum Meinungsspektrum. 36 Siehe etwa Dederer, Durchsetzung der Menschenrechte, Fn. 22, S. 383 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 13 von Beispielen angeführt, in denen nationale Gerichte gerade im Bereich der Gesundheitsversorgung direkt von den VN-Konventionen Gebrauch gemacht haben.37 In Deutschland ist dies bislang kaum zu verzeichnen.38 2.5. VN-Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) Der ICESCR sieht im Kern zwei Rechte vor, die Art. 25 AEMR konkretisieren: das Recht eines bzw. einer jeden auf das für ihn/sie erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit (im Folgenden: Recht auf Gesundheit) in Art. 12 ICESCR (dazu 2.5.1.) und das Recht auf soziale Sicherheit in Art. 9 ICESCR (dazu 2.5.2.). Die Darstellung beschränkt sich im Wesentlichen auf Aspekte, die allgemein das Recht auf Gesundheitsversorgung betreffen; auf die zahllosen Einzelheiten wird mit Rücksicht auf den Umfang der Arbeit verzichtet. Auf allgemeine Beschränkungen (siehe dazu etwa Art. 2 Absatz 1 und Art. 4 ICESCR) sowie andere wichtige Grundsätze (siehe dazu Art. 2 Abs. 2 ICESCR: Grundsatz der Nicht-Diskriminierung) wird ergänzend eingegangen . 2.5.1. Recht auf Gesundheit39 In seiner deutschen Version lautet Art. 12 ICESCR wie folgt: „Artikel 12 (1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an. (2) Die von den Vertragsstaaten zu unternehmenden Schritte zur vollen Verwirklichung dieses Rechts umfassen die erforderlichen Maßnahmen a) zur Senkung der Zahl der Totgeburten und der Kindersterblichkeit sowie zur gesunden Entwicklung des Kindes; 37 Siehe etwa zum Recht auf Gesundheit die Sammlung beim VN-Sonderberichterstatter Anand Grover, Report by the Special Rapporteur on the right of everyone to the enjoyment of the highest attainable standard of physical and mental health, Anand Grover, 11.08.2014, A/69/299, Rn. 12–17, 20, 30 ff.; Krennerich, Soziale Menschenrechte , Fn. 17, jeweils bei den einzelnen Rechten. 38 Siehe dazu 4. und Krennerich, Soziale Menschenrechte, Fn. 17, S. 79–84; Vedder, Allgemeine UN-Menschenrechtspakte , Fn. 14, S. 297, Rn. 162. 39 Siehe zum Ganzen die gut verständliche Zusammenfassung bei Krennerich, Soziale Menschenrechte, Fn. 17, S. 203–227, insbesondere die Übersicht auf S. 226. Siehe zudem die ausführliche Zusammenstellung von OHCHR und Weltgesundheitsorganisation (WHO), The Right to Health, Fact Sheet No. 31 (2008), http://www.who.int/hhr/activities/Right_to_Health_factsheet31.pdf (letzter Zugriff: 21.04.2015), und den ausführlichen Kommentar bei Saul, Ben/Kinley, David/Mowbray, Jacqueline, The International Covenant on Economic , Social and Cultural Rights: Commentary, Cases, and Materials, Kapitel 14: Article 12: The Right to Health, S. 978–1083, der auch Auszüge aus den einzelnen Abschließenden Bemerkungen der Ausschüsse in verschiedenen Staatenberichtsverfahren sowie zahlreiche andere Quellen enthält. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 14 b) zur Verbesserung aller Aspekte der Umwelt- und der Arbeitshygiene; c) zur Vorbeugung, Behandlung und Bekämpfung epidemischer, endemischer, Berufs- und sonstiger Krankheiten; d) zur Schaffung der Voraussetzungen, die für jedermann im Krankheitsfall den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher Betreuung sicherstellen.“ 2.5.1.1. Inhalt und Reichweite im Bereich der Gesundheitsversorgung Während Absatz (Abs.) 1 zunächst zurückhaltend den Grundsatz der „Anerkennung“ des Rechts auf Gesundheit – mit seinen natürlichen Einschränkungen – enthält, widmet sich Abs. 2 konkret den Verpflichtungen des Staates. Neben konkreten Staatenpflichten in Hinblick auf Kinder (Buchstabe a) sowie Umwelt- und Arbeitsbedingungen (Buchstabe b) enthält Abs. 2 in den Buchstaben c und d für den Bereich der Gesundheitsversorgung besondere relevante Verpflichtungen. In seiner (nicht verbindlichen40) Allgemeinen Bemerkung (general comment) Nr. 14 betont der zuständige Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR), dass nach Art. 12 ICESCR neben dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf Selbstbestimmung auch ein Rechtsanspruch auf ein Gesundheitssystem bestehe, das allen Menschen gleichermaßen ermögliche , das (für sie persönlich jeweils) höchste Maß an Gesundheit zu erreichen: „By contrast, the entitlements include the right to a system of health protection which provides equality of opportunity for people to enjoy the highest attainable level of health.“41 Für den Ausschuss müssen staatliche Gesundheitsleistungen und -einrichtungen vier Kriterien erfüllen: Sie müssen verfügbar, zugänglich, annehmbar und qualitativ ausreichend sein, wobei die Mitgliedsstaaten bei Umsetzung dieser Prinzipien einen von den Bedingungen des jeweiligen Landes abhängigen Beurteilungsspielraum haben.42 40 Allgemeine Bemerkungen der VN-Fachausschüsse dienen der Auslegung des jeweiligen Übereinkommens; sie enthalten Maßstäbe und Rechtsauffassungen unabhängig vom Einzelfall. Sie sind nach allgemeiner Ansicht rechtlich nicht bindend, sondern haben – bei hinreichender Akzeptanz und entsprechend überzeugender Argumentation – Orientierungswirkung für die Staaten. Dies schließt allerdings nicht aus, dass sie auf längere Sicht zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht beitragen können. Siehe zum Ganzen Klein, Eckhardt, „Allgemeine Bemerkungen“ der UN-Menschenrechtsausschüsse, in: in: Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band VI/2: Europäische Grundrechte II – Universelle Menschenrechte , C. F. Mueller (2009), S. 395–418, insbesondere Rn. 27 und 37–40. Klein (Rn. 39, mit weiteren Nachweisen) betont allerdings, dass es „nicht mehr zulässig“ sei, die Allgemeinen Bemerkungen „bei der Feststellung dessen, was Völkerrecht ist“ nicht heranzuziehen. Dies dürfte insbesondere im Fall der viel zitierten, grundlegenden Allgemeinen Bemerkung Nr. 14 gelten, deren Strukturen und Inhalte in anderen Bereichen übernommen worden sind. 41 CESCR, General Comment No. 14: The Right to the Highest Attainable Standard of Health (Art. 12), 01.08.2000, E/C.12/2000/4, http://www.refworld.org/docid/4538838d0.html (letzter Zugriff: 15.04.2015), Rn. 8, 9. 42 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 12. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 15 Verfügbarkeit (availability) meint dabei, dass genügend funktionsfähige medizinische Einrichtungen und Dienstleistungen im Mitgliedsstaat vorhanden sein müssen, wobei die Anforderungen an ihre Art vom Entwicklungsstatus des jeweiligen Landes abhängen. Mindeststandards der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Hinblick auf Trinkwasser und Sanitärversorgung, Krankenhäuser , ausgebildetes, angemessen bezahltes medizinisches Personal und existentielle Medikamente müssen aber eingehalten werden.43 Zugänglichkeit (accessibility) versteht der Ausschuss sowohl im Sinne physischer Erreichbarkeit (in angemessener Nähe, insbesondere für verletzliche Gruppen und andere Randgruppen) als auch wirtschaftlich im Sinne von Bezahlbarkeit, auch für ärmere Haushalte. Es werden ausdrücklich öffentliche und private Gesundheitseinrichtungen erfasst. Zudem müssen Dienstleistungen und Einrichtungen gleichermaßen für verletzliche Gruppen und andere Randgruppen zugänglich sein; diese Gruppen dürfen nicht aufgrund verbotener Kriterien schlechter behandelt werden (Nichtdiskriminierung). Unzulässige Gründe für eine Ungleichbehandlung sind Hautfarbe , ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, Sprache, Religion, politische oder andere Auffassungen , nationale, soziale oder andere Herkunft oder Abstammung, Eigentum, Behinderung, Gesundheitszustand (inkl. HIV/Aids), sexuelle Orientierung und bürgerlicher, politischer, sozialer oder sonstiger Status.44 Zuletzt müssen ferner ausreichend Informationen hinsichtlich der vorhandenen Leistungen vorhanden sein.45 Annehmbarkeit (acceptability) bedeutet unter anderem, dass alle Einrichtungen medizinischethisch , kulturell wie geschlechterpolitisch geeignet sein müssen.46 Das Kriterium der Qualität (quality) zielt darauf ab, dass die Gesundheitseinrichtungen, Medikamente , Ausrüstung und Dienstleistungen medizinischen, wissenschaftlichen und hygienischen Standards genügen und gute Behandlungsqualität durch ausgebildetes und kompetentes Personal bieten müssen.47 43 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 12 a. 44 Art. 2 Abs. 2 und 3 ICESCR; CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 12 b, 18. Ausführlich setzte sich der Ausschuss in seiner Allgemeinen Bemerkung 20 mit dem Diskriminierungsverbot auseinander; CESCR, General Comment No. 20: Non-discrimination in economic, social and cultural rights (art. 2, para. 2, of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), 02.07.2009, E/C.12/GC/20, http://www.refworld.org/docid /4a60961f2.html (letzter Zugriff: 22.04.2015). In dessen Rn. 30 bekräftigt der Ausschuss, dass die Rechte des Übereinkommens für jeden Menschen gelten, dies schließe „Nicht-Staatsangehörige wie Flüchtlinge, Asylsuchende , Staatenlose, Wanderarbeitskräfte und Opfer von Menschenhandel, unabhängig von rechtlichem Status und Papieren“, ein. 45 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 12 b. 46 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 12 c. 47 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 12 d. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 16 2.5.1.2. Staatliche Pflichten im Bereich der Gesundheitsversorgung Der VN-Fachausschuss CESCR hat wiederholt klargestellt, dass er die Liste der Verpflichtungen in Art. 12 Abs. 2 ICESCR nicht als abschließend ansieht.48 Der Ausschuss unterscheidet im Bereich der staatlichen Pflichten - Kernpflichten (minimum core obligations) bzw. vergleichbare Verpflichtungen, - (sonstige) sofort anwendbare Verpflichtungen (obligations of immediate effect) und - sonstige Verpflichtungen, die – je nach vorhandenen Ressourcen – erst nach und nach (progressiv) umgesetzt werden müssen und dem sogenannten Ressourcenvorbehalt unterliegen (siehe dazu unten 2.2.1.3.) .49 Kernpflichten müssen alle Mitgliedsstaaten – nach Auffassung des Ausschusses – unabhängig von ihren Ressourcen von der Ratifikation an unmittelbar umsetzen; von ihnen dürfe nicht abgewichen werden.50 Zu diesen unverletzbaren Kernpflichten zählt der Ausschuss im Bereich der Gesundheitsversorgung unter anderem - das Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zu medizinischen Einrichtungen, Gütern und Dienstleistungen, insbesondere für verletzliche Gruppen oder andere gesellschaftliche Randgruppen (Buchstabe a) - die Pflicht, eine gleichmäßige Verteilung aller medizinischen Einrichtungen, Güter und Dienstleistungen zu gewährleisten (Buchstabe e).51 Eine gewisse Relevanz für die Gesundheitsversorgung entfalten auch die Kernpflichten, wesentliche Medikamente nach dem Action Programme on Essential Drugs der WHO bereitzustellen (Buchstabe d), sowie eine nationale Gesundheitsstrategie und einen nationalen Aktionsplan aufzustellen und umzusetzen, die die Belange verletzlicher Gruppen und anderer gesellschaftlicher Randgruppen besonders berücksichtigen (Buchstabe f).52 Sofort anwendbar ist die bereits in Art. 2 Abs. 1 und 2 ICESCR enthaltene Pflicht, gezielte, konkrete und von staatlichem Willen getragene Maßnahmen – ohne jede Diskriminierung – zu ergreifen , um das Recht auf Gesundheit letztendlich voll und ganz zu verwirklichen.53 Daraus 48 Siehe nur CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 7, 13. 49 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 30, 43 ff. 50 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 30. 51 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 43, mit Verweis auf die Allgemeine Bemerkung Nr. 3 und die Erklärung von Alma-Ata von 1978, Report of the International Conference on Primary Health Care, in: Weltgesundheitsorganisation (WHO), “Health for all”, Genf: WHO Serie Nr. 1 (1978). 52 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 43. 53 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 30. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 17 ergibt sich ein grundsätzliches Verbot rückwärtsschreitender Maßnahmen (retrogressive measures ). Baut der Staat im Gesundheitswesen dennoch gezielt ab, muss er beweisen, dass er alle Alternativen sorgfältig geprüft hat, dass er alle maximal verfügbaren Ressourcen verwendet und dass der Rückbau im Hinblick auf die Gesamtheit der Rechte des Übereinkommens gerechtfertigt ist.54 Im Übrigen muss das Recht auf Gesundheit – wie die anderen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte – nach und nach verwirklicht werden (progressive realization). Dies bedeutet aber, dass die Staaten eine besondere Verpflichtung haben, kontinuierlich weitere Maßnahmen zu treffen, um den maximal möglichen Gesundheitsschutz so effektiv und schnell wie möglich zu erreichen (siehe Näheres unten, 2.5.1.3.).55 Entsprechend den geläufigen Kategorien staatlicher Pflichten im Bereich des internationalen Menschenrechtsschutzes (respect – protect – fulfil) ordnet der Ausschuss die Verpflichtungen im Übrigen drei verschiedenen Untergruppen zu: - Achtungspflichten (to respect) - Schutzpflichten (to protect) - Gewährleistungspflichten (to fulfil).56 Zu den Achtungspflichten57 gehört im Bereich der Gesundheitsversorgung, dass Staaten den gleichberechtigten Zugang aller Personen zum Gesundheitssystem (in den Bereichen Vorsorge, Behandlung von Krankheiten und Palliativmedizin) im Regelfall nicht verweigern oder beschränken dürfen.58 Der Ausschuss stellt klar, dass dieser Grundsatz auch für Gefangene, Angehörige von Minderheiten und Asylsuchende gelte.59 Dies bestätigt er ausdrücklich in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 20 (2009). Danach gelten die Rechte des Übereinkommens für jeden Menschen, dies schließe „Nicht-Staatsangehörige wie Flüchtlinge, Asylsuchende, Staatenlose, Wanderarbeitskräfte und Opfer von Menschenhandel, unabhängig von rechtlichem Status und Papieren“, 54 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 32. 55 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 31. 56 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 33, 34 ff. 57 Diese Kategorie entspricht im Wesentlichen der im deutschen Recht dominierenden Vorstellung von Grundund Menschenrechten als Abwehrrechten. Siehe dazu den Beitrag von Franziska Brand und Lena Hantschke (WD 3), Grundgesetzlicher Anspruch auf gesundheitliche Versorgung, WD 3 - 3000 - 089/15, Berlin: Deutscher Bundestag (2015), zur Fragestellung der Auftraggeberin, und oben 2.3. 58 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 34. 59 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 34. Die Forderung des Ausschusses, Menschen ohne Papiere auch gleichen Zugang zu präventiver Gesundheitsversorgung zu gewähren, wird in der Literatur mit Hinblick auf die gegenteilige Praxis in den meisten Staaten zum Teil für zu weit gehend und utopisch gehalten, siehe etwa Nußberger , Angelika, Normenbestand zu sozialen Menschenrechtsstandards im gegenwärtigen internationalen Recht, in: Hoppe, Thomas/Knapp, Manfred (Hrsg.), Soziale Menschenrechte und katholische Soziallehre, Bonn 2012, S. 104 ff., zitiert nach Krennerich, Soziale Menschenrechte, Fn. 17, S. 207 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 18 ein.60 Ferner seien diskriminierende staatliche Praktiken in der Gesundheitsversorgung (z. B. gegenüber Frauen) nicht erlaubt.61 Krennerich arbeitet jedoch anhand von Beispielen aus Staatenberichten heraus, dass es in den meisten Staaten rechtlich und / oder faktisch zu Diskriminierungen , insbesondere von Asylsuchenden, Migrantinnen und Migranten sowie von Menschen ohne Papiere, komme.62 Als Verletzungen der Achtungspflichten nennt der Ausschuss beispielhaft unter anderem: - die Verweigerung des Zugangs zu medizinischen Einrichtungen, Gütern oder Dienstleistungen für Einzelne oder bestimmte Bevölkerungsgruppen aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Diskriminierung - die Aufhebung von Gesetzen bzw. die Verabschiedung von Gesetzen oder Praktiken, die die Inanspruchnahme einer Komponente des Rechts auf Gesundheit verhindern - die Nichtberücksichtigung des Rechts auf Gesundheit beim Abschluss bi- oder multilateraler Verträge mit anderen Staaten, internationalen Organisationen oder anderen Akteuren , z.B. multinationalen Unternehmen.63 Zur zweiten Gruppe der staatlichen Schutzpflichten zählt der Ausschuss die Verpflichtung, gleichberechtigten Zugang zum Gesundheitssystem oder zu medizinischen Dienstleistungen in privater Hand durch Gesetze oder andere Maßnahmen sicherzustellen. Die Privatisierung des Gesundheitssektors dürfe nicht dazu führen, dass die Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Annehmbarkeit oder Qualität der Gesundheitseinrichtungen, -waren oder -dienstleistungen eingeschränkt würden.64 Der Ausschuss betont, dass auch unzureichende Regulierung einen staatlichen Pflichtverstoß darstelle.65 Ferner seien die Staaten verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um verletzliche Gruppen oder sonstige Randgruppen der Gesellschaft – insbesondere Frauen, Kinder und 60 CESCR, General Comment No. 20: Non-discrimination in economic, social and cultural rights (art. 2, para. 2, of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), 02.07.2009, E/C.12/GC/20, http://www.refworld.org/docid/4a60961f2.html (letzter Zugriff: 22.04.2015), Rn. 30. 61 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 34. 62 Krennerich, Soziale Menschenrechte, Fn. 17, S. 207 ff., mit weiteren Nachweisen. Zudem verweist Krennerich (S. 208 f.) auf die faktischen Hemmungen von Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, die ihnen staatlich (siehe etwa §§ 4 Abs. 1, 6 AsylbLG) garantierten Leistungen auch in Anspruch zu nehmen. Siehe dazu und zur derzeitigen Rechtslage für Asylsuchende und andere Menschen ohne Papiere in Deutschland ferner Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Frauen, Männer und Kinder ohne Papiere in Deutschland – Ihr Recht auf Gesundheit: Bericht der Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität (2008), http://www.institut-fuer-menschenrechte .de/uploads/tx_commerce/studie_frauen_maenner_und_kinder_ohne_papiere_ihr_recht_auf_gesundheit .pdf (letzter Zugriff: 16.04.2015), sowie Mahler, Claudia, Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes (Juli 2014), http://www.institut -fuer-menschenrechte.de/uploads/tx_commerce/Stellungnahme_Deutsches_Institut_fuer_Menschenrechte _zum_Referentenentwurf_des_BMAS_Entwurf_eines_Gesetzes_zur_AEnderung_des_Asylbewerberleistungsgesetzes _und_des_Sozialgerichtsgesetzes.pdf (letzter Zugriff: 16.04.2015), S. 13–15. 63 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 50. 64 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 35. 65 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 48. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 19 Jugendliche sowie ältere Menschen – zu schützen.66 Ein Staat verstoße unter anderem dann gegen seine Schutzpflicht, wenn er die Aktivitäten Dritter – Einzelner, Gruppen, Unternehmen – nicht reguliere, durch die das Recht auf Gesundheit verletzt werde.67 Als Gewährleistungspflichten benennt der Ausschuss unter anderem, dass Staaten aufgrund rechtlich festgeschriebener Gesundheitsstrategien für die Existenz von Gesundheitsversorgung sorgen und parallel gleichen Zugang aller Menschen zu den zugrundeliegenden Faktoren (underlying determinants; sauberes Trinkwasser, Nahrungsmittel, grundlegende Sanitärversorgung, angemessene Wohn- und Lebensbedingungen) ermöglichen müsse. Ferner fordert er ein öffentliches , privates oder gemischtes Krankenversicherungssystem, das sich alle Teile der Bevölkerung leisten können.68 Staaten müssten Maßnahmen treffen, um einzelne Menschen und Bevölkerungsgruppen bei der Wahrnehmung ihrer Rechte zu unterstützen und ihren Gesundheitsstandard zu verbessern, insbesondere dann, wenn sie allein dazu nicht in der Lage wären.69 Der Staat verletze seine Gewährleistungspflicht, wenn er nicht alle notwendigen Schritte unternehme, um das Recht auf Gesundheit zu verwirklichen. Dies sei etwa der Fall, wenn der Staat - keine Gesundheitspolitik beschließe oder umsetze, die die Verwirklichung des Rechts für alle anstrebe, - zu wenig öffentliche Gelder dafür ausgebe oder diese falsch verwende und dadurch das Recht auf Gesundheit insbesondere verletzlicher oder sonstiger Randgruppen eingeschränkt werde - keine Maßnahmen ergreife, um Ungleichverteilung von medizinischen Einrichtungen, Gütern oder Dienstleistungen zu verringern - keine Rücksicht auf geschlechtsspezifische Fragestellungen nehme.70 Bei der Umsetzung seiner Pflichten behält der Staat einen Beurteilungsspielraum; insbesondere bleibt ihm bei der Entwicklung einer nationalen Strategie – diskriminierungsfrei und unter Beteiligung der Bevölkerung – die Einschätzung vorbehalten, welche Maßnahmen für die Bedingungen im Land am besten geeignet sind. Die Staaten sollen nicht nur Maßnahmen und Praktiken definieren, sondern zu Evaluationszwecken auch Indikatoren und Richtwerte sowie aufzuwendende Ressourcen festschreiben.71 Tut er dies nicht, verletzt er wiederum seine Gewährleistungspflicht .72 66 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 35. 67 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 51. 68 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 36. 69 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 37. 70 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 52. 71 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 53 f. 72 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 52. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 20 2.5.1.3. Ressourcenvorbehalt (Art. 2 Abs. 1 ICESCR) Wie die meisten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte steht auch das Recht auf Gesundheit unter dem Ressourcenvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 ICESCR.73 Dies bedeutet, dass die Mitgliedsstaaten das Maximum ihrer verfügbaren Ressourcen zur Realisierung der Rechte aus dem Übereinkommen einsetzen müssen. Nach Art. 2 Abs. 1 ICESCR sind jedoch alle Mitgliedsstaaten unabhängig von ihren Ressourcen verpflichtet, geeignete Schritte zu unternehmen, um das Recht aller auf den bestmöglichen Gesundheitszustand im vollen Maße zu realisieren (siehe dazu bereits oben, 2.5.1.2.).74 Der Ausschuss hat auch und gerade im Bereich des Rechts auf Gesundheit klargestellt, dass ein Staat dieses Recht verletze, wenn er nicht gewillt (unwilling) sei, die maximal verfügbaren Ressourcen zur Umsetzung des Rechts auf Gesundheit einzusetzen. Macht ein Staat beschränkte Mittel geltend, obliegt ihm die Beweislast, dass er dennoch alle verfügbaren Mittel dazu verwendet hat, um wenigstens seine unmittelbar anwendbaren Pflichten mit Priorität zu erfüllen. Unter keinen Umständen könne ein Staat mit Hinweis auf mangelnde Ressourcen die Verletzung einer Kernpflicht entschuldigen oder regressive Maßnahmen rechtfertigen.75 2.5.1.4. (Weitere) Beschränkungsmöglichkeiten Weitere allgemeine, für alle Rechte anwendbare, Beschränkungen ergeben sich unter anderem aus Art. 4 ICESCR. Danach müssen Beschränkungen „gesetzlich vorgesehen und mit der Natur dieser Rechte vereinbar“ sein; ihr „ausschließlicher Zweck“ muss darin bestehen, „das allgemeine Wohl in einer demokratischen Gesellschaft zu fördern.“ Nach Art. 5 Abs. 1 müssen Beschränkungen zudem verhältnismäßig sein. Der Ausschuss hat jedoch klargestellt, dass diese Vorschrift in erster Linie der Wahrung der Rechte anderer Menschen dient und nicht staatlichen Interessen wie der öffentlichen Sicherheit. Die Beweislast dafür, dass Beschränkungen von Leistungen für bestimmte Personengruppen (etwa politische Gegner, HIV-Infizierte) diesen Anforderungen genügt, trägt der Staat.76 73 Dies erkennt auch der Ausschuss unumwunden an: CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 30. 74 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 47, 49. 75 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 47 ff. 76 CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 28 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 21 2.5.2. Recht auf soziale Sicherheit77 Art. 9 ICESCR widmet sich dem Recht auf soziale Sicherheit: „Artikel 9 Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf Soziale Sicherheit an; diese schließt die Sozialversicherung ein.“ 2.5.2.1. Inhalt und Reichweite in Hinblick auf Gesundheitsversorgung Wie schon Art. 12 ICESCR (siehe oben, 2.5.1.) ist auch Art. 9 vorsichtig gefasst und sieht nach seinem Wortlaut nur die „Anerkennung“ des Rechts durch die Mitgliedsstaaten vor. Es wird aber vom Ausschuss – unter anderem in seiner Allgemeinen Bemerkung 19 (2008)78 – durchaus umfassend ausgelegt. Im Folgenden soll nur auf Bereiche eingegangen werden, die für die Gesundheitsversorgung maßgeblich sind. Laut des VN-Fachausschusses umfasst das Recht auf soziale Sicherheit das Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zu bzw. auf Unterstützung durch Geld- und Sachleistungen zum Schutze vor fehlendem Arbeitseinkommen (z.B. durch Krankheit, Behinderung, Mutterschaft, Arbeitsunfall , Alter, Arbeitslosigkeit, Tod eines Familienmitglieds), vor mangelndem Zugang zu (unerschwinglicher ) Gesundheitsversorgung oder fehlender familiärer Unterstützung.79 Es schließt zum einen das Recht ein, nicht willkürlichen oder unangemessenen Beschränkungen in Hinblick auf bestehende (öffentliche oder private) Sozialleistungen ausgesetzt zu sein, zum anderen das Recht auf gleichberechtigten, angemessenen Schutz bei Risiken und Notfällen.80 77 Siehe zum Ganzen die gut verständliche Zusammenfassung bei Krennerich, Soziale Menschenrechte, Fn. 17, S. 188–203, insbesondere die Übersicht auf S. 202, und den ausführlichen Kommentar bei Saul, Ben/Kinley, David /Mowbray, Jacqueline, The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights: Commentary, Cases, and Materials, Kapitel 11: Article 9: The Right to Social Security, S. 608–720, der auch Auszüge aus den einzelnen Abschließenden Bemerkungen der Ausschüsse in verschiedenen Staatenberichtsverfahren sowie zahlreiche andere Quellen enthält. 78 CESCR, General Comment No. 19: The right to social security (Art. 9 of the Covenant), 04.02.2008, E/C.12/GC/19, http://www.refworld.org/docid/47b17b5b39c.html (letzter Zugriff: 17.04.2015) 79 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 2. 80 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 9. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 22 Nach Auffassung des Ausschusses muss ein Sozialsystem verfügbar, zugänglich und adäquat sein (zu den Begriffsbestimmungen siehe oben, 2.5.1.1.). Verfügbarkeit setzt aus Sicht des Ausschusses voraus, dass das Sozialleistungssystem eine rechtliche Grundlage hat, dass der Staat die Verantwortung für die Verwaltung oder die effektive Kontrolle des Systems übernimmt und dass das System nachhaltig ist und auch kommenden Generationen offen steht.81 Unter die neun vom Ausschuss aufgeführten Bereiche des Sozialsystems fällt neben der Arbeitsunfähigkeitsrente auch die Gesundheitsversorgung. Hierunter versteht der Ausschuss angemessenen, bezahlbaren Zugang zum Gesundheitssystem – insbesondere zu Präventions- und Heilmaßnahmen bei allen krankhaften Zuständen, Schwangerschaft und Geburt sowie zu Maßnahmen allgemeiner und angewandter Medizin – für alle.82 Adäquat müssen aus Sicht des Ausschusses vor allem Höhe und Dauer der Sozialleistung sein; sie müssen insbesondere dazu ausreichen, ein Leben mit angemessenem Standard und Zugang zu Gesundheitsversorgung zu führen. Dabei müssten die Staaten sich an der Menschenwürde und am Diskriminierungsverbot ausrichten.83 Zugänglichkeit versteht der Ausschuss wiederum in körperlicher, zeitlicher, wirtschaftlicher, partizipativer und informationstechnischer Hinsicht. Besondere Schwerpunkte legt er auf den diskriminierungsfreien, zeitnahen, bezahlbaren Zugang aller Menschen – insbesondere von Angehörigen benachteiligter Gruppen und Randgruppen – auch zu steuerfinanzierten bzw. nichtbeitragsfinanzierten Leistungen. In diesem Sinne müssten Zugangsbedingungen transparent und verhältnismäßig sein; Voraussetzungen für den Widerruf von Leistungen müssten gesetzlich verankert und die Anfechtung von Widerrufsentscheidungen möglich sein.84 Neben den oben (2.5.1.2.) bereits erwähnten verbotenen Diskriminierungskriterien fordert der Ausschuss ausdrücklich die Beseitigung rechtlicher und faktischer Diskriminierung beim Zugang zu angemessenen Sozialleistungen, insbesondere für Gruppen, deren Zugang zu diesem Recht traditionell erschwert ist. Hierzu zählt der Ausschuss ausdrücklich unter anderem Minderheiten , Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge, Asylsuchende und Nicht-Staatsangehörige.85 Nach seiner Auffassung hätten alle Menschen, unabhängig von ihrem Rechts- oder Aufenthaltsstatus, in jedem Fall einen Anspruch auf medizinische Grund- und Notfallversorgung. Nicht-Staatsangehörige (inkl. Wanderarbeitskräfte) sollten Zugang zu Sozialleistungen haben, zu denen sie Beiträge entrichtet haben, zudem zu steuerfinanzierten Leistungen in den Bereichen Einkommensund Familienunterstützung sowie Gesundheit. In diesen Bereichen seien nur verhältnismäßige Beschränkungen und Fristen zulässig.86 Flüchtlinge, Staatenlose und Asylsuchende sollten wie 81 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 11. 82 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 12–21, insbesondere 13 und Fn. 9. 83 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 22. 84 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 23–27. 85 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 30 f, 35, 36–39. 86 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 36 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 23 andere Randgruppen diskriminierungsfreien Zugang zu steuerfinanzierten Sozialleistungen – inkl. Gesundheitsversorgung und Familienunterstützung – erhalten.87 2.5.2.2. Staatliche Pflichten in Hinblick auf Gesundheitsversorgung Als Kernpflichten ordnet der Ausschuss in Rn. 59 unter anderem folgende staatliche Verpflichtungen ein: - Gewährung von Zugang zu einem Minimalniveau von Sozialleistungen für alle Menschen, unter anderem im Bereich grundlegender Gesundheitsvorsorge88 (Buchstabe a) - Gewährleistung des Zugangs zu Sozialleistungen für Benachteiligte und Randgruppen ohne jede Diskriminierung (Buchstabe b) - Ergreifen gezielter Schritte zur Umsetzung sozialer Sicherungssysteme insbesondere für Benachteiligte und Randgruppen (Buchstabe e) Sofort anwendbar sei die Pflicht, alle verfügbaren Ressourcen einzusetzen, um effektive Maßnahmen zur Realisierung des – sodann progressiv zu erreichenden – Rechts auf soziale Sicherheit zu ergreifen (Art. 2 Abs. 1 ICESCR). Dies schließe Sozialversicherungen ein, wobei die Staaten in der Ausgestaltung viele Freiheiten und einen großen Beurteilungsspielraum haben.89 Jeder Staat sei aber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen so schnell wie möglich zu ergreifen.90 Laut CESCR dürfen diese Maßnahmen nicht im engen Sinne verstanden werden und müssten in jedem Fall einem Minimalstandard genügen.91 Dabei kritisiert der Ausschuss ausdrücklich den geringen Schutzstandard in den meisten Mitgliedstaaten.92 Im Übrigen benennt der Ausschuss unter anderem folgende sonstige Pflichten: Im Rahmen der Achtungspflichten dürften Staaten unter anderem den gleichberechtigten Zugang zu angemessenen Sozialleistungen nicht verweigern oder beschränken.93 Ferner umfassten die Schutzpflichten unter anderem die Pflicht, Dritte – ob Einzelne, Gruppen oder Unternehmen – durch effektive Gesetzgebung oder andere Maßnahmen von Beeinträchtigungen des Rechts oder des Zugangs abzuhalten. Insbesondere müssten Staaten Sorge tragen, 87 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 38. 88 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 59 Buchstabe a. Sei es einem Staat selbst bei Einsatz seiner maximal verfügbaren Ressourcen nicht möglich, alle Bereiche der grundlegenden Gesundheitsversorgung zu bedienen , könne er nach einem Konsultationsprozess einen Kernbereich von Risiken und Notfällen auswählen. 89 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 4, 66. 90 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 66. 91 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 4. 92 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 7 f. 93 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 44. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 24 dass Private keine ungerechtfertigten Zugangskriterien aufstellten; ihnen obliege unabhängig von einer Privatisierung die Verantwortung für die Verwaltung und Überwachung des Sozialsicherungssektors und die Verhinderung von Missbrauch inkl. möglicher Strafen.94 Unter die Gewährleistungspflichten falle die Verpflichtung, auf Grundlage nationaler Strategien und Aktionspläne alle erforderlichen Maßnahmen zur Errichtung und Umsetzung eines Sozialsystems zu treffen, das die vollständige Verwirklichung des Rechts auf soziale Sicherheit anstrebe und für alle zugänglich, adäquat und weitreichend genug sei. Dabei müsse der Staat auch nicht-beitragsfinanzierte Leistungen sicherstellen und Menschen und Gruppen, die dies allein nicht könnten, bei der Verwirklichung des Rechts auf soziale Sicherheit unterstützen. Besonderes Augenmerk sei auf Krisensicherheit des Systems und auf Inklusion benachteiligter Gruppen zu legen.95 Für allgemeine Erwägungen – etwa zu den einzelnen Pflichtenkategorien und Pflichtverletzungen , zu Rückschritten und Aktionsplänen, zum Beurteilungsspielraum sowie zu Indikatoren und Richtwerten und sonstigen Anforderungen – wird auf 2.5.1. sowie die Allgemeinen Bemerkungen 14 und 19 verwiesen. Ergänzend ist die Bemerkung des Ausschusses hervorzuheben, dass ein Staat durch Delegation der Umsetzung des Rechts auf soziale Sicherheit auf Länder, Regionen oder Kommunen oder andere föderale Unterstrukturen nicht von seinen Pflichten im Rahmen des Übereinkommens frei wird. Der Zentralstaat müsse in diesem Fall die Tätigkeit der föderalen Unterstrukturen effektiv überwachen und insbesondere dafür sorgen, dass deren Behörden nicht beim Zugang zu Sozialleistungen und Dienstleistungen diskriminierten.96 2.5.2.3. Ressourcenvorbehalt (Art. 2 Abs. 1 ICESCR) und (weitere) Beschränkungsmöglichkeiten Zum Ressourcenvorbehalt und zu weiteren hier relevanten Beschränkungsmöglichkeiten siehe die grundsätzlichen Ausführungen beim Recht auf Gesundheit (oben, 2.5.1.4.), die sich im Wesentlichen decken. 2.5.3. Kritik des Ausschusses an Deutschland im Rahmen der Gesundheitsversorgung Anhand der Allgemeinen Bemerkungen und anlässlich der Beurteilung von Staatenberichten zeigt sich, dass der Ausschuss in seinen Anforderungen an Staaten im Wege progressiver Verwirklichung sozialer Menschenrechte durchaus über das Recht auf medizinische Notfallversorgung und auf grundlegende Sozialleistungen hinausgehen kann – insbesondere dann, wenn ein Staat über ein ausgefeiltes Gesundheits- und Sozialsystem verfügt. So zeigte sich der CESCR in seinen Abschließenden Bemerkungen zum 5. Staatenbericht der Bundesregierung von Mai 2011 94 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 45 f. 95 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 47–51. 96 CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 73. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 25 „tief besorgt“ von der Gesundheits-, Arbeits- und Wohnsituation von Asylsuchenden und von ihrem mangelhaften Zugang zu Sozialleistungen. Unter Verweis auf das Diskriminierungsverbot des Art. 2 Abs. 2 ICESCR kritisierte er, dass Asylsuchende allein Zugang zu medizinischer Notfallversorgung genössen, und forderte die Bundesregierung auf, Asylsuchenden unter anderem gleichberechtigten Zugang zu nicht-beitragsfinanzierten Sozialleistungen und zur (vollen) medizinischen Versorgung zu verschaffen.97 Zudem bemängelte der Ausschuss unzureichende Sozialleistungen für Kinder und hohe Kinderarmut. Unter Verweis auf die Allgemeine Bemerkung 19 (zu Art. 9 ICESCR) wiederholte er seine Empfehlung von 2001, wonach die staatlichen Reformen im Sozialsektor nicht zu einer Schlechterstellung von Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen sowie anderer benachteiligter Gruppen und Randgruppen führen dürfe.98 Angesichts des „ausgedehnten Sozialsystems“ Deutschlands vertrat er die Auffassung, dass das Armutsniveau auf eine unzureichende Höhe von Sozialleistungen oder auf mangelhafte Zugänglichkeit bestehender Leistungen hinweisen könne.99 97 CESCR, Consideration of reports submitted by States parties under Articles 16 and 17 of the Covenant: Concluding Observations of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, E/C.12/DEU/CO/5, Rn. 13. Der nächste Staatenbericht ist im Sommer 2016 einzureichen. 98 CESCR, Fn. 97, Rn. 21. 99 CESCR, Fn. 97, Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 26 2.6. Weitere Menschenrechtsübereinkommen der VN Wie bereits in der Einleitung ausgeführt, enthalten eine Reihe von spezielleren Menschenrechtsübereinkommen der VN eigene Rechte im Bereich der Gesundheitsversorgung, die wiederum von den zuständigen Fachausschüssen ausgelegt werden. Im Folgenden werden die wichtigsten Übereinkommen und ihre Vorschriften zur Orientierung aufgeführt.100 Soweit die Abkommen selbst oder die zuständigen Fachausschüsse besondere Schwerpunkte gesetzt haben, die sich mit der Fragestellung decken, wird darauf gesondert hingewiesen. 2.6.1. Antirassismus-Übereinkommen (ICERD) Das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (VN- Antirassismus-Übereinkommen, ICERD)101 sieht in Art. 5 das Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zu öffentlicher Gesundheitsvorsorge und sozialer Sicherheit vor: „Artikel 5 Im Einklang mit den in Artikel 2 niedergelegten grundsätzlichen Verpflichtungen werden die Vertragsstaaten die Rassendiskriminierung in jeder Form verbieten und beseitigen und das Recht jedes einzelnen, ohne Unterschied der Rasse, der Hautfarbe, des nationalen Ursprungs oder des Volkstums , auf Gleichheit vor dem Gesetz gewährleisten; dies gilt insbesondere für folgende Rechte: […] e) wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, insbesondere […] iv) das Recht auf öffentliche Gesundheitsfürsorge, ärztliche Betreuung, soziale Sicherheit und soziale Dienstleistungen, …“ Der zuständige VN-Fachausschuss zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) hat in seiner Allgemeinen Empfehlung XXX zu Nicht-Staatsangehörigen (2002) die Vertragsstaaten aufgefordert, Barrieren abzubauen, die Nicht-Staatsangehörige an der Ausübung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, insbesondere ihres Rechts auf Gesundheit, hinderten.102 Die Staaten müssten das Recht Nicht-Staatsangehöriger auf einen angemessenen körperlichen und geistigen Gesundheitszustand achten und dürften insbesondere ihren Zugang 100 Einen ausführlichen und systematischen Überblick über die speziellen Menschenrechtspakte liefert Heintschel von Heinegg, Wolff, Spezielle Menschenrechtspakte, in: Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band VI/2: Europäische Grundrechte II – Universelle Menschenrechte , C. F. Mueller (2009), S. 303–331. 101 International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination vom 07.03.1966 (in Kraft: 04.01.1969), Resolution 2106 (XX) der VN-Generalversammlung, UNTS Band 660, S. 195, https://treaties .un.org/ (letzter Zugriff: 14.04.2015). Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung , deutscher Text verfügbar unter http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user _upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/ICERD/icerd_de.pdf (letzter Zugriff: 14.04.2015). Die Bundesrepublik Deutschland hat das Übereinkommen am 16.05.1969 ratifiziert, siehe dazu https://treaties.un.org/ und BGBl. 1969 II, S. 962. 102 CERD, General recommendation XXX on discrimination against non-citizens, 01.10.2002, http://www.refworld .org/pdfid/45139e084.pdf (letzter Zugriff: 22.04.2015), Rn. 29. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 27 zu Gesundheitsdienstleistungen im Bereich Vorsorge, Behandlung und Palliativmedizin nicht verhindern oder beschränken.103 Am 5. und 6. Mai 2015 wird der aktuelle Staatenbericht Deutschlands vom CERD überprüft. 2.6.2. Frauenrechtsübereinkommen (CEDAW) Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (Frauenrechtsübereinkommen , CEDAW)104 befasst sich in den Art. 11 und 12 mit Gesundheit und sozialer Sicherheit : „Artikel 11 (1) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau im Berufsleben, um ihr auf der Grundlage der Gleichberechtigung von Mann und Frau gleiche Rechte zu gewährleisten, insbesondere: […] e) das Recht auf soziale Sicherheit, insbesondere auf Leistungen bei Eintritt in den Ruhestand, bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität und im Alter oder bei sonstiger Arbeitsunfähigkeit sowie das Recht auf bezahlten Urlaub; f) das Recht auf Schutz der Gesundheit und auf Sicherheit am Arbeitsplatz, einschließlich des Schutzes der Fortpflanzungsfähigkeit. …“ „Artikel 12 (1) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau im Bereich des Gesundheitswesens, um der Frau gleichberechtigt mit dem Mann Zugang zu den Gesundheitsdiensten, einschließlich derjenigen im Zusammenhang mit der Familienplanung, zu gewährleisten. (2) Unbeschadet des Absatzes 1 sorgen die Vertragsstaaten für angemessene und erforderlichenfalls unentgeltliche Betreuung der Frau während der Schwangerschaft sowie während und nach der Entbindung und für die ausreichende Ernährung während der Schwangerschaft und der Stillzeit.“ „Artikel 14 (1) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau im Berufsleben, um ihr auf der Grundlage der Gleichberechtigung von Mann und Frau gleiche Rechte zu gewährleisten, insbesondere: […] 103 CERD, General recommendation XXX, Fn. 102, Rn. 36. 104 Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women vom 18.12.1979 (in Kraft: 03.09.1981), Resolution 34/180 der VN-Generalversammlung, UNTS Band 1249, S. 13, https://treaties.un.org/ (letzter Zugriff: 14.04.2015). Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau, deutscher Text verfügbar via http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien /Pakte_Konventionen/CEDAW/cedaw_de.pdf (letzter Zugriff: 14.04.2015). Die Bundesrepublik Deutschland hat die Konvention am 09.07.1985 ratifiziert, siehe dazu https://treaties.un.org/ und BGBl. 1985 II, 647. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 28 e) das Recht auf soziale Sicherheit, insbesondere auf Leistungen bei Eintritt in den Ruhestand, bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität und im Alter oder bei sonstiger Arbeitsunfähigkeit sowie das Recht auf bezahlten Urlaub; f) das Recht auf Schutz der Gesundheit und auf Sicherheit am Arbeitsplatz, einschließlich des Schutzes der Fortpflanzungsfähigkeit. …“ Darüber hinaus befasst sich Art. 14 CEDAW mit der Situation von Frauen in ländlichen Gebieten und sieht in Abs. 2 Buchstaben b und c besondere Zugangsrechte zu Systemen der Gesundheitsversorgung und der sozialen Sicherheit für diese Frauen vor. Der zuständige CEDAW-Fachausschuss hat dem Recht von Frauen auf Gesundheit seine Allgemeine Empfehlung Nr. 24 (1999) gewidmet.105 Im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung forderte der Ausschuss unter anderem die Beseitigung von rechtlichen, wirtschaftlichen, zeitlichen und faktischen Hindernissen für Frauen beim Zugang zum Gesundheitssystem, inklusive der Sexual - und Reduktionsmedizin, ferner die Überwachung der Gewährleistung von Leistungen durch staatliche Akteure und Nichtregierungsorganisationen, um gleichberechtigten Zugang und qualitativ angemessene Versorgung von Frauen aufgrund einer nationalen Strategie sicherzustellen .106 Schließlich müssten Staaten dafür Sorge tragen, dass alle Gesundheitsleistungen Frauenrechte und –belange, insbesondere ihr Persönlichkeitsrecht, ihr Recht auf Vertraulichkeit und ihre freie Selbstbestimmung, auf für Frauen annehmbare Weise berücksichtigten.107 Weitere staatliche Verpflichtungen – sortiert nach Achtungs-, Schutz- und Gewährleistungspflichten – erörtert der Ausschuss in den Rn. 13–17. In seiner aktuellen Allgemeinen Empfehlung Nr. 32 (2014) widmet sich der Ausschuss den Rechten von Migrantinnen mit unterschiedlichem Aufenthaltsstatus. Dabei fordert er unter anderem einen angemessenen Lebensstandard für anerkannte Flüchtlinge und Asylsuchende während des Asylverfahrens, der Zugang zu Gesundheitsversorgung und notwendigen Sozialleistungen erfasse .108 Er kritisiert ferner, dass staatenlose Frauen und Mädchen der Zugang zu öffentlichen Leistungen und Gesundheitsversorgung häufig verwehrt bliebe.109 105 CEDAW, General recommendation No. 24: Article 12 of the Convention (women and health), 1999, A/54/38/Rev.1, Kap. I, http://www.refworld.org/docid/453882a73.html (letzter Zugriff: 22.04.2015). Auch frühere Allgemeine Empfehlungen befassen sich mit gesundheitsrelevanten Themen wie Genitalverstümmelung , HIV/Aids, Gewalt gegen Frauen oder Gleichberechtigung, s. Rn. 5. 106 CEDAW, General recommendation No. 24, Fn. 105, Rn. 21, 29, 31 b und d. 107 CEDAW, General recommendation No. 24: Fn. 105, Rn. 22, 31 e. 108 CEDAW), General recommendation No. 32 on the gender-related dimensions of refugee status, asylum, nationality and statelessness of women, 05.11.2014, CEDAW/C/GC/32, http://www.refworld.org/docid /54620fb54.html (letzter Zugriff: 22.04.2015), Rn. 48. 109 CEDAW), General recommendation No. 32), Fn. 108, Rn. 53. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 29 2.6.3. Kinderrechtsübereinkommen (CRC) Das Übereinkommen der VN über die Rechte des Kindes (Kinderrechtsübereinkommen, CRC)110 verteilt die relevanten Rechte über mehrere Artikel: Art. 23–25, 32, 33 und 39 befassen sich mit dem Recht auf Gesundheit und Art. 26 CRC mit dem Recht von Kindern auf soziale Sicherheit. Zentralnormen sind Art. 24 und 26 CRC: „Art. 24: Gesundheitsvorsorge (1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit an sowie auf Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit. Die Vertragsstaaten bemühen sich sicherzustellen, dass keinem Kind das Recht auf Zugang zu derartigen Gesundheitsdiensten vorenthalten wird. (2) Die Vertragsstaaten bemühen sich, die volle Verwirklichung dieses Rechts sicherzustellen und treffen insbesondere geeignete Maßnahmen, um a) die Säuglings- und Kindersterblichkeit zu verringern; b) sicherzustellen, dass alle Kinder die notwendige ärztliche Hilfe und Gesundheitsfürsorge erhalten , wobei besonderer Nachdruck auf den Ausbau der gesundheitlichen Grundversorgung gelegt wird; c) Krankheiten sowie Unter- und Fehlernährung auch im Rahmen der gesundheitlichen Grundversorgung zu bekämpfen, unter anderem durch den Einsatz leicht zugänglicher Technik und durch die Bereitstellung ausreichender vollwertiger Nahrungsmittel und sauberen Trinkwassers, wobei die Gefahren und Risiken der Umweltverschmutzung zu berücksichtigen sind; d) eine angemessene Gesundheitsfürsorge für Mütter vor und nach der Entbindung sicherzustellen; e) sicherzustellen, dass allen Teilen der Gesellschaft, insbesondere Eltern und Kindern, Grundkenntnisse über die Gesundheit und Ernährung des Kindes, die Vorteile des Stillens, die Hygiene und die Sauberhaltung der Umwelt sowie die Unfallverhütung vermittelt werden, dass sie Zugang zu der entsprechenden Schulung haben und dass sie bei der Anwendung dieser Grundkenntnisse Unterstützung erhalten; f) die Gesundheitsvorsorge, die Elternberatung sowie die Aufklärung und die Dienste auf dem Gebiet der Familienplanung auszubauen. (3) Die Vertragsstaaten treffen alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen, um überlieferte Bräuche , die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen. (4) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die internationale Zusammenarbeit zu unterstützen und zu fördern, um fortschreitend die volle Verwirklichung des in diesem Artikel anerkannten Rechts zu erreichen. Dabei sind die Bedürfnisse der Entwicklungsländer besonders zu berücksichtigen. 110 Convention on the Rights of the Child vom 20.11.1989 (in Kraft: 02.09.1990), Resolution 44/25 der VN-Generalversammlung , UNTS Band 1577, S. 3, https://treaties.un.org/ (letzter Zugriff: 14.04.2015). Übereinkommen über die Rechte des Kindes, deutsche Textfassung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend verfügbar unter http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien /Pakte_Konventionen/CRC/crc_de.pdf (letzter Zugriff: 14.04.2015). Die Bundesrepublik Deutschland hat das Übereinkommen am 16.03.1992 ratifiziert, siehe dazu https://treaties.un.org/ und BGBl. 1992 II, S. 121. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 30 „Art. 26: Soziale Sicherheit (1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht jedes Kindes auf Leistungen der sozialen Sicherheit einschließlich der Sozialversicherung an und treffen die erforderlichen Maßnahmen, um die volle Verwirklichung dieses Rechts in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht sicherzustellen. (2) Die Leistungen sollen gegebenenfalls unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der sonstigen Umstände des Kindes und der Unterhaltspflichtigen sowie anderer für die Beantragung von Leistungen durch das Kind oder im Namen des Kindes maßgeblicher Gesichtspunkte gewährt werden.“ Art. 23, 25 und 39 widmen sich den Rechten von Kindern mit Behinderung, geistigen oder körperlichen Erkrankungen bzw. nach Misshandlungen gesundenden Kindern; Art. 32 und 33 enthalten spezielle Vorschriften zum Schutz von Kindern vor Ausbeutung und Sucht. Der VN-Kinderrechtsausschuss (CRC) hat seine ausführliche und gut strukturierte Allgemeine Bemerkung Nr. 15 (2013) dem Recht des Kindes auf Gesundheit gewidmet.111 Darin übernimmt er die vier Kriterien des CESCR (Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Annehmbarkeit, Qualität, siehe dazu oben 2.5.1.1.; Rn. 112–116) und viele seiner allgemeinen Ausführungen, etwa zur Überwachung der Umsetzung des Rechts (Rn. 117 f.). Einen großen Stellenwert nehmen Ausführungen zum Diskriminierungsverbot (Art. 2 CRC) – vor allem für Mädchen und benachteiligte Kinder – ein (Rn. 8–11). In der Folge (Rn. 23–70) legt der Ausschuss die einzelnen Vorschriften des Rechts auf Gesundheit ausführlich aus. Für die Gesundheitsversorgung besonders relevant sind dabei die Ausführungen zu Art. 24 Abs. 1, Abs. 2 Buchstaben b und f CRC: Aus Art. 24 Abs. 1 CRC leitet der Ausschuss das Recht von Kindern auf quantitativ ausreichende und qualitativ angemessene, erreichbare , bezahlbare und annehmbare Gesundheitsdienste mit Grundversorgung in den Bereichen Vorsorge, Behandlung, Rehabilitation und Pallativmedizin ab. Weitere medizinische Spezialversorgung (secondary level) und hoch spezialisierte Versorgung (tertiary level) sei im Rahmen des Möglichen zu gewährleisten. Ferner fordert der Ausschuss ganzheitliche Gesundheitsstrategien für Kinder und ausreichendes, gut ausgebildetes Gesundheitspersonal mit angemessenen Arbeitsbedingungen .112 Laut CRC enthält Abs. 1 ferner eine gewichtige Gewährleistungspflicht des Staates : Dieser müsse durch ein vollständiges Grundversorgungssystem und einen ausreichenden rechtlichen Rahmen dafür sorgen, dass die medizinischen und sonstigen Angebote für alle, insbesondere für benachteiligte, Kinder verfügbar und zugänglich sind. Dazu gehöre die Beseitigung aller finanziellen, institutionellen und kulturellen Hindernisse, was die parallele Gewährleistung von Sozialleistungen einschließe.113 111 CRC, General comment No. 15 (2013) on the right of the child to the enjoyment of the highest attainable standard of health (art. 24), 17.04.2013, CRC/C/GC/15, http://www.refworld.org/docid/51ef9e134.html (letzter Zugriff: 22.04.2015). 112 CRC, General comment No. 15 (2013), Fn. 111, Rn. 25–27. 113 CRC, General comment No. 15 (2013), Fn. 111, Rn. 28 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 31 Art. 24 Abs. 2 Buchstabe b CRC gebe den Staaten auf, den Zugang aller Kinder zu medizinischer Grundversorgung in ihrem Umfeld auszubauen und zu gewährleisten, wobei der genaue Rahmen sich von Staat zu Staat unterscheide. In jedem Falle müsse das Gesundheitssystem effektiv und funktionsfähig, von guter Leistung und robuster Finanzierung getragen und mit gut ausgebildetem Personal und gut gewarteten Einrichtungen angemessen ausgestattet sein. Er verweist ferner auf internationale Standards für medizinische Dienstleistungen und wesentliche Medikamente. Besonderen Wert legt der Ausschuss auf die staatliche Verpflichtung, die steigende Zahl von Kindern mit psychischen Problemen, Traumata und Verhaltensstörungen angemessen, insbesondere ohne Übermedikation, zu behandeln.114 Besonderen Wert legt der Ausschuss darüber hinaus auf Vorsorge und auf eine Politik der Verbesserung der Gesundheit, wie in Art. 24 Abs. 2 Buchstabe f CRC vorgesehen (Rn. 62–66). Sofort umzusetzen – unabhängig von staatlichen Ressourcen und staatlichem Entwicklungsniveau – ist nach Auffassung des Ausschusses die Verpflichtung, umgehend Maßnahmen zu treffen , um das Recht von Kindern auf Gesundheit zu schützen und ihre Ansprüche gegenüber öffentlichen und privaten Trägern durchzusetzen bzw. selbst zu erfüllen. Dies müsse mit hoher Priorität, ohne Rückschritte und ohne Diskriminierung geschehen. Auch bei geringen Ressourcen müssten Staaten noch immer gezielte Maßnahmen zur effektiven, möglichst schnellen und vollständigen Umsetzung des Rechts treffen.115 Als Kernpflichten ordnet der Ausschuss unter anderem folgende Pflichten ein: - Überprüfung von Rechtslage und Gesundheitsstrategien und Vornahme erforderlicher Änderungen - umfassende Gewährleistung grundlegender Gesundheitsversorgung in allen Bereichen (Vorsorge, Gesundheitsförderung, Behandlung, Palliativmedizin, wesentliche Medikamente ) und geografischen Gebieten, sowie der wesentlichen Faktoren für die Umsetzung des Rechts (angemessener Lebensstandard, Wohnraum, angemessene Nahrung, Sanitärversorgung etc.).116 Zudem fordert der Ausschuss ein nachhaltiges, stabiles Gesundheitssystem und hohe Priorität der Gesundheitsversorgung auch im Krisenfall (Rn. 74). Großen Raum widmet der CRC der Verantwortlichkeit nicht-staatlicher Akteure (Rn. 75–85). Dabei betont er die Verpflichtung des Staates, das Recht von Kindern auf Gesundheit unabhängig von jeder Delegation von Verantwortung und von jeder Privatisierung zu gewährleisten. Dies beinhalte die Verpflichtung, sicherzustellen, dass alle nicht-staatlichen Akteure (inkl. Gesundheits- 114 CRC, General comment No. 15 (2013), Fn. 111, Rn. 36–40. 115 CRC, General comment No. 15 (2013), Fn. 111, Rn. 71 f. 116 CRC, General comment No. 15 (2013), Fn. 111, Rn. 73. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 32 einrichtungen und -träger, Pharmaindustrie, Massenmedien, Banken und Finanzinstitute, Spender und private Stiftungen) ihrerseits ihre Verantwortlichkeiten gegenüber den Kindern anerkennen und umsetzen.117 In seinen Abschließenden Bemerkungen zum 3. und 4. Staatenbericht Deutschlands 2014 kritisierte der CRC Deutschland mehrfach im Hinblick auf seine Gesundheitsversorgung:118 Im Bereich des Diskriminierungsverbots kritisiert der Ausschuss ausdrücklich, dass Kinder mit Behinderungen und Kinder mit Migrationshintergrund (auch) bezüglich der Gesundheitsversorgung diskriminiert würden. Er regt weitere Programme zur Beseitigung des ungleichen Zugangs sowie zur Sensibilisierung und Stärkung von Inklusion an (Rn. 24 f.). Ferner zeigt er sich unter anderem besorgt über unzureichenden Zugang von asylsuchenden und illegal eingewanderten Kindern zu Gesundheitsversorgung, wobei er nicht nur medizinische Notfallbetreuung anspricht, sondern auch Vorsorgeuntersuchungen und psychosoziale Behandlung (Rn. 56 b). Der Ausschuss fordert die Bundesregierung auf, für Kinder und Jugendliche in fragiler Situation, insbesondere sozial benachteiligte Kinder und Kinder mit Migrationshintergrund, besondere Maßnahmen zu treffen (Rn. 57). Zudem solle Deutschland mehr gegen Kinderarmut vorgehen und benachteiligten Familien durch höhere materielle Zuwendungen und Unterstützungsleistungen einen besseren Lebensstandard ermöglichen (Rn. 64 f.). 2.6.4. Behindertenrechtsübereinkommen (CRPD) Das VN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtsübereinkommen , CRPD)119 enthält eine Reihe von Regelungen, die sich im weiteren Sinne mit der Gesundheit von Menschen mit Beeinträchtigungen befassen. Zentrale Norm ist jedoch Art. 25 CRPD: „Artikel 25 – Gesundheit Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung. Die Vertragsstaaten 117 CRC, General comment No. 15 (2013), Fn. 111, Rn. 75 ff. 118 CRC, Concluding observations on the combined third and fourth periodic reports of Germany, 25.02.2014, CRC/C/DEU/CO/3-4, http://www.refworld.org/pdfid/52f8a2074.pdf . Deutsche Arbeitsübersetzung verfügbar unter http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen /CRC/crc_state_report_germany_3_4_2010_cobs_2014_de.pdf (letzter Zugriff jeweils: 24.04.2015). 119 United Nations Convention on the Rights of Persons with Disabilities vom 13. Dezember 2006 (in Kraft: 03.05.2008), Resolution 61/106 der VN-Generalversammlung, A/RES/61/106, UNTS Band 2515, S. 3; https://treaties .un.org/ (letzter Zugriff: 10.04.2015). VN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen , deutscher Text verfügbar unter http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF- Dateien/Pakte_Konventionen/CRPD_behindertenrechtskonvention/crpd_b_de.pdf, die nicht-amtliche zivilgesellschaftliche Schattenübersetzung unter http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload /PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/CRPD_behindertenrechtskonvention/crpd_schattenuebersetzung_de.rtf (letzter Zugriff jeweils: 10.04.2015). Die Bundesrepublik Deutschland hat das Übereinkommen am 24. Februar 2009 ratifiziert, siehe dazu https://treaties.un.org/ und BGBl. 2008 II Nr. 35, S. 1419. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 33 treffen alle geeigneten Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu geschlechtsspezifischen Gesundheitsdiensten, einschließlich gesundheitlicher Rehabilitation , haben. Insbesondere a) stellen die Vertragsparteien Menschen mit Behinderungen eine unentgeltliche oder erschwingliche Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung wie anderen Menschen, einschließlich sexual- und fortpflanzungsmedizinischer Gesundheitsleistungen und der Gesamtbevölkerung zur Verfügung stehender Programme des öffentlichen Gesundheitswesens; b) bieten die Vertragsstaaten die Gesundheitsleistungen an, die von Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderungen benötigt werden, soweit angebracht, einschließlich Früherkennung und Frühintervention, sowie Leistungen, durch die, auch bei Kindern und älteren Menschen, weitere Behinderungen möglichst gering gehalten oder vermieden werden sollen; c) bieten die Vertragsstaaten diese Gesundheitsleistungen so gemeindenah wie möglich an, auch in ländlichen Gebieten; d) erlegen die Vertragsstaaten den Angehörigen der Gesundheitsberufe die Verpflichtung auf, Menschen mit Behinderungen eine Versorgung von gleicher Qualität wie anderen Menschen angedeihen zu lassen, namentlich auf der Grundlage der freien Einwilligung nach vorheriger Aufklärung, indem sie unter anderem durch Schulungen und den Erlass ethischer Normen für die staatliche und private Gesundheitsversorgung das Bewusstsein für die Menschenrechte, die Würde, die Autonomie und die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen schärfen; e) verbieten die Vertragsstaaten die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen in der Krankenversicherung und in der Lebensversicherung, soweit eine solche Versicherung nach innerstaatlichem Recht zulässig ist; solche Versicherungen sind zu fairen und angemessenen Bedingungen anzubieten; f) verhindern die Vertragsstaaten die diskriminierende Vorenthaltung von Gesundheitsversorgung oder -leistungen oder von Nahrungsmitteln und Flüssigkeiten aufgrund von Behinderung.“ Daneben befasst sich Art. 26 ergänzend mit Habilitation und Rehabilitation, Art. 16 mit der Freiheit von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch. Art. 28 CRPD widmet sich der sozialen Sicherheit: „Artikel 28 - Angemessener Lebensstandard und sozialer Schutz (1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf einen angemessenen Lebensstandard für sich selbst und ihre Familien, einschließlich angemessener Ernährung , Bekleidung und Wohnung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen und unternehmen geeignete Schritte zum Schutz und zur Förderung der Verwirklichung dieses Rechts ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung. (2) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf sozialen Schutz und den Genuss dieses Rechts ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung und unternehmen geeignete Schritte zum Schutz und zur Förderung der Verwirklichung dieses Rechts, einschließlich Maßnahmen, um Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 34 a) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigten Zugang zur Versorgung mit sauberem Wasser und den Zugang zu geeigneten und erschwinglichen Dienstleistungen, Geräten und anderen Hilfen für Bedürfnisse im Zusammenhang mit ihrer Behinderung zu sichern; b) Menschen mit Behinderungen, insbesondere Frauen und Mädchen sowie älteren Menschen mit Behinderungen, den Zugang zu Programmen für sozialen Schutz und Programmen zur Armutsbekämpfung zu sichern; c) in Armut lebenden Menschen mit Behinderungen und ihren Familien den Zugang zu staatlicher Hilfe bei behinderungsbedingten Aufwendungen, einschließlich ausreichender Schulung, Beratung , finanzieller Unterstützung sowie Kurzzeitbetreuung, zu sichern; d) Menschen mit Behinderungen den Zugang zu Programmen des sozialen Wohnungsbaus zu sichern ; e) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigten Zugang zu Leistungen und Programmen der Altersversorgung zu sichern. Der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD) hat bislang noch keine Allgemeinen Bemerkungen zum Recht von Menschen mit Behinderungen auf Gesundheit oder soziale Sicherheit verfasst. Jedoch hat er sich im Rahmen der Begutachtung von Staatenberichten damit bereits mehrfach auseinandergesetzt. So zeigt sich der CRPD in seinen am 17. April 2015 veröffentlichten Abschließenden Bemerkungen (concluding observations) zum ersten deutschen Staatenbericht besorgt über fortbestehende Barrieren beim Zugang von Menschen mit Behinderungen zu Gesundheitsversorgung, insbesondere in Bezug auf Asylsuchende und Flüchtlinge mit Behinderungen. Er empfahl der Bundesregierung , Aktionspläne für verbesserte Zugänglichkeit zum Gesundheitssystem zu entwickeln und Ressourcen dafür zur Verfügung zu stellen. Diese Ressourcen sollten gerade für Dienstleistungen für Flüchtlinge, Fortbildungen für Gesundheitspersonal, verbesserte Information über die Rechte und das freie Einverständnis sowie für geeignete Ausrüstung verwendet werden.120 Darüber hinaus kritisierte der Ausschuss, dass Menschen mit Behinderungen Eigenmittel zur Finanzierung von Zusatzkosten aufbringen müssten, um ihren Bedürfnissen gemäß unabhängig leben zu können, und forderte die Bundesregierung zur Änderung dieser Praxis auf. Er empfahl, Menschen mit Behinderungen Sozialleistungen zu gewähren, um ihnen im Verhältnis zu Menschen ohne Behinderungen ähnlichen Einkommens vergleichbare Lebensbedingungen zu ermöglichen .121 120 CRPD, Concluding observations on the initial report of Germany (vorläufige Vorversion vom 17.04.2015), CRPD/C/DEU/CO/1, http://tbinternet.ohchr.org/_layouts/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno =CRPD%2fC%2fDEU%2fCO%2f1&Lang=en (letzter Zugriff: 20.04.2015), Rn. 47 f. (zu Art. 25). 121 CRPD, Concluding observations on the initial report of Germany (vorläufige Vorversion vom 17.04.2015), CRPD/C/DEU/CO/1, http://tbinternet.ohchr.org/_layouts/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno =CRPD%2fC%2fDEU%2fCO%2f1&Lang=en (letzter Zugriff: 20.04.2015), Rn. 51 f. (zu Art. 28). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 35 2.6.5. Wanderarbeitskräfteübereinkommen (ICRMW) Das – von der Bundesrepublik Deutschland und den meisten anderen westeuropäischen Staaten nicht ratifizierte und daher auch nicht rechtlich bindende – Internationale Übereinkommen zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien (Wanderarbeitskräfteübereinkommen , ICRMW) 122 sieht in Art. 27 ein Recht auf soziale Sicherheit vor und befasst sich in den Art. 28, 43 und 45 mit verschiedenen Aspekten des Rechts auf Gesundheit, nämlich Gesundheit am Arbeitsplatz (Art. 25) sowie Zugang zum allgemeinen Gesundheitssektor für Wanderarbeitskräfte (Art. 43) und ihre Familien (Art. 45). Diese werden hier zur Information ebenfalls aufgeführt: „Artikel 27 1. Wanderarbeitnehmer und ihre Familienangehörigen genießen im Beschäftigungsstaat in Bezug auf die soziale Sicherheit die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit sie die nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften dieses Staates und den anzuwendenden zweiseitigen oder mehrseitigen Verträgen erforderlichen Voraussetzungen erfüllen. Die zuständigen Behörden des Herkunftsstaates und des Beschäftigungsstaates können jederzeit die erforderlichen Vorkehrungen treffen, um die Einzelheiten der Anwendung dieser Norm festzulegen. 2. Wenn Wanderarbeitnehmer und ihre Familienangehörigen nach den geltenden Rechtsvorschriften eine Leistung nicht erhalten können, prüfen die betreffenden Staaten die Möglichkeit, den Betroffenen die Beiträge in der für diese Leistung entrichteten Höhe zu erstatten, unter Zugrundelegung der Behandlung, die den eigenen Staatsangehörigen gewährt wird, die sich in einer ähnlichen Lage befinden.“ „Artikel 28 Wanderarbeitnehmer und ihre Familienangehörigen haben das Recht, jede ärztliche Versorgung, die für die Erhaltung ihres Lebens oder die Vermeidung einer nicht wiedergutzumachenden Schädigung ihrer Gesundheit dringend erforderlich ist, auf der Grundlage der Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des betreffenden Staates zu erhalten. Diese dringende ärztliche Versorgung darf ihnen wegen einer etwaigen Irregularität in Bezug auf Aufenthalt oder Beschäftigung nicht verweigert werden .“ Art. 43 enthält ein (eingeschränktes) Recht auf Gleichbehandlung auch für den Gesundheitssektor , Art. 45 ein solches für Familienmitglieder: „Artikel 43 1. Wanderarbeitnehmer genießen die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen des Beschäftigungsstaates in Bezug auf den: […] 122 International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of their Families vom 18.12.1990 (in Kraft: 01.07.2003), Resolution 45/158 der VN-Generalversammlung, UNTS Band 2220, S. 3, Doc. A/RES/45/158, https://treaties.un.org/ (letzter Zugriff: 14.04.2015). Internationales Übereinkommen zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien, deutscher Text verfügbar unter http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen /ICRMW/icrmw_de.pdf (letzter Zugriff: 14.04.2015). Die Bundesrepublik Deutschland hat das Übereinkommen bislang weder unterzeichnet noch ratifiziert. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 36 e) Zugang zu Sozial- und Gesundheitsdiensten, sofern die erforderlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Maßnahmen erfüllt sind; […] 2. Die Vertragsstaaten fördern die Voraussetzungen für eine wirkliche Gleichbehandlung, um es den Wanderarbeitnehmern zu ermöglichen, in den Genuss der in Absatz 1 genannten Rechte zu kommen, wenn die Bedingungen für ihren Aufenthalt, wie vom Beschäftigungsstaat genehmigt, den entsprechenden Anforderungen genügen. […]“ „Artikel 45 1. Die Familienangehörigen von Wanderarbeitnehmern genießen im Beschäftigungsstaat die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Staates in Bezug auf den: […] c) Zugang zu Sozial- und Gesundheitsdiensten, sofern die erforderlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Maßnahmen erfüllt sind; […]“ Der zuständige Fachausschuss hat sich bereits in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 2 (2013) mit dem Zugang irregulärer Migrantinnen und Migranten zu verschiedenen Konventionsrechten – darunter dem Recht auf Gesundheit (Notfallversorgung) und soziale Sicherheit – befasst.123 2.7. Weitere VN-Rechtsquellen mit Bezügen zum Gesundheitsschutz Im Bereich Gesundheitsschutz gibt es über die rein menschenrechtlichen Übereinkommen hinaus eine Vielzahl weiterer Rechtsquellen. Dies liegt zum einen daran, dass sich zahlreiche VN- Sonderorganisationen mit Gesundheitsfragen befassen (2.7.2.), zum anderen daran, dass etwa bewaffnete Konflikte häufig mit Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung bis hin zu humanitären Katastrophen einhergehen (2.7.3.). Einige dieser Rechtsquellen – etwa Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO)– sind für ihre Mitgliedsstaaten verbindlich oder können verbindlich sein. Andere sind zwar nicht verbindlich, enthalten jedoch internationale Standards und teilweise umfassende Regelungen, die wiederum anderen VN-Gremien (etwa bei der Ausarbeitung von verbindlichen Übereinkommen oder bei der Auslegung solcher Abkommen durch VN-Fachausschüsse) als Vorbild dienen. Es versteht sich vor diesem Hintergrund von selbst, dass der Versuch, alle internationalen Rechtsquellen und sonstigen relevanten Dokumente zum Thema aufzuzählen, zum Scheitern verurteilt wäre. Dieser Unterabschnitt soll deshalb nur ausgewählte Dokumente sammeln. 123 CRMW, General comment No. 2 on the rights of migrant workers in an irregular situation and members of their families, 28.08.2013, http://www2.ohchr.org/english/bodies/cmw/docs/CMW_C_GC_2_ENG.PDF (letzter Zugriff: 22.04.2015), Rn. 67–71, 72–74. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 37 2.7.1. VN-Menschenrechtsrat (Human Rights Council) Einleitend soll auf ausgewählte aktuelle Positionierungen des VN-Menschenrechtsrats (Human Rights Council) eingegangen werden, der viele dieser Quellen aufgreift und bündelt. So nahm er am 17.07.2014 ohne Abstimmung eine Erklärung zum Recht von Migrantinnen und Migranten auf Gesundheit an. In dieser Erklärung betonte er den hohen Stellenwert des Rechts auf Gesundheit für die Ausübung aller Menschenrechte und forderte die Staaten auf, das Recht aller Menschen auf den bestmöglichen – geistigen wie körperlichen – Gesundheitszustand zu achten und zu fördern. Insbesondere ermutigte er die Staaten, Migrantinnen und Migranten diskriminierungsfreien und gleichen Zugang zu medizinischen Diensten, zu Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsfürsorge zu verschaffen.124 Unter Hinweis auf die staatlichen Pflichten, die sich aus den verschiedenen VN-Übereinkommen ergeben (siehe dazu oben, 2.5. und 2.6.), wies er darauf hin, dass das souveräne Recht der Staaten, ihre Grenzen zu schützen und Einwanderung zu beschränken, diese nicht von ihrer Pflicht befreie, die Menschenrechte von Migrantinnen und Migranten zu gewährleisten.125 Deshalb müssten sie dafür sorgen, dass ihr Einwanderungsrecht den menschenrechtlichen Pflichten genüge, und unter anderem folgende Maßnahmen treffen: - Gewährleistung von diskriminierungsfreier medizinischer Notfallversorgung unabhängig vom rechtlichen Status der Migrantinnen und Migranten (Buchstabe a) - Beseitigung körperlicher, finanzieller, kultureller und sprachlicher Barrieren beim Zugang zu medizinischer Versorgung durch Einführung einer auf Migrantinnen und Migranten eingestellten Gesundheitspolitik (Buchstabe b) - Schutz von Gesundheitspersonal und Menschenrechtsverteidigerinnen und –verteidigern vor (rechtlicher) Unsicherheit und Hindernissen (insbesondere keine Bestrafung bei Nichtanzeige von Menschen ohne Papiere oder bei Versorgung dieser Menschen, keine Pflicht zur Vornahme einwanderungsbehördlicher Aufgaben, die der Medizinethik oder Patientenrechten widersprechen, keine Stigmatisierung, Kriminalisierung oder Beschränkung ihrer Tätigkeit entgegen menschenrechtlicher Standards) (Buchstaben a, c–f).126 Bei diesen Ausführungen stützte sich der Ausschuss zudem auf die Arbeit des VN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Gesundheit, der seinen umfangreichen Bericht 2013 dem Querschnittsthema Gesundheit und Migration gewidmet hatte.127 Auf die politische Rolle der Universal Periodic Review ist bereits hingewiesen worden (siehe dazu oben 2.4. sowie die in Fn. 26 verlinkten Dokumente). Hilfreich, wenn auch auf dem Stand 124 Human Rights Council, Promotion of the right of migrants to the enjoyment of the highest attainable standard of physical and mental health, Resolution 26/21 vom 17.07.2014, A/HRC/RES/26/21, verfügbar via http://ap.ohchr.org/documents/alldocs.aspx?doc_id=24000 (letzter Zugriff: 21.04.2015), Rn. 4 und 5. 125 Human Rights Council, Promotion of the right of migrants, Fn. 124, Rn. 7. 126 Human Rights Council, Promotion of the right of migrants, Fn. 124, Rn. 8. 127 Report of the Special Rapporteur on the right of everyone to the enjoyment of the highest attainable standard of physical and mental health, Anand Grover, Bericht vom 15.05.2013, A/HRC/23/41. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 38 von Februar 2013, ist die kurze Zusammenstellung aller von Deutschland ratifizierten Instrumente sowie Kritik der VN-Fachausschüsse und Sonderorganisationen an deren Umsetzung. Diese umfasst auch unter III. I. die (älteren) Stellungnahmen der Ausschüsse zum Recht auf Gesundheit , unter III. H. zum Recht auf soziale Sicherheit und unter III. M. die spezifische Situation von Migrantinnen und Migranten, Asylsuchenden und Flüchtlingen.128 2.7.2. Rechtsquellen der VN-Sonderorganisationen Vorreiter im Bereich des Gesundheitsschutzes auf internationaler Ebene ist die bereits seit 1919 bestehende ILO. In zahlreichen multilateralen Abkommen zwischen Mitgliedsstaaten hat sie Standards im Bereich des Arbeitsschutzes und darüber hinaus entwickelt, auf die auch im Menschenrechtsbereich Bezug genommen wird.129 So verweist etwa CESCR in seinen Allgemeinen Bemerkungen Nr. 14 zum Recht auf Gesundheit und Nr. 19 zum Recht auf soziale Sicherheit auf folgende ILO-Übereinkommen: - Übereinkommen Nr. 102 (1952, bestätigt 2002) zu Minimalstandards für soziale Sicherheit - Übereinkommen Nr. 121 (1964) zu Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten - Übereinkommen Nr. 155 (1981) zu Arbeitsschutz und Arbeitsumwelt - Übereinkommen Nr. 168 (1988) zu Beschäftigungsförderung und Schutz gegen Arbeitslosigkeit - Übereinkommen Nr. 169 (1989) zu indigenen Bevölkerungen in unabhängigen Ländern - Übereinkommen Nr. 177 (1996) zu Heimarbeit - Übereinkommen Nr. 183 (2000) zum Mutterschutz (Neufassung) - Seearbeitsübereinkommen (2006)130 Mitgliedstaaten der ILO sind nicht automatisch an die einzelnen Abkommen gebunden, sie müssen sie gesondert ratifizieren. Deutschland hat derzeit 85 Übereinkommen (darunter die acht grundlegenden Abkommen) und ein Protokoll ratifiziert, von denen nicht mehr alle in Kraft 128 HRC, Compilation prepared by the Office of the High Commissioner for Human Rights in accordance with paragraph 5 of the annex to Human Rights Council resolution 16/21: Germany, verlinkt beim DIMR, http://www.institut -fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/UN-Dokumente/UPR_zu_Deutschland /UPR_2013_germany_OHCHR_compilation_treaties.pdf (letzter Zugriff: 27.04.2015) 129 Alle im Folgenden aufgeführten Abkommen sind in englischer (und teilweise auch in deutscher) Sprache auf der Seite der ILO abrufbar: http://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=NORMLEXPUB:12000:0::NO::: . Des Weiteren finden sich dort alle Empfehlungen, http://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=NORMLEX- PUB:12010:0::NO:::, und sonstigen Standards des internationalen Arbeitsrechts in der Datenbank NORMLEX, http://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=NORMLEXPUB:1:0::NO:::, sowie diverse andere Datenbanken und Statistiken : http://www.ilo.org/global/statistics-and-databases/lang--en/index.htm (letzter Zugriff jeweils: 17.04.2015). 130 Weitere für die Rechte auf Gesundheit und soziale Sicherheit relevante Übereinkommen finden sich bei Krennerich , Soziale Menschenrechte, Fn. 17, S. 51 und 189. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 39 sind.131 Weitere Standards finden sich etwa im Handbuch Social Security Principles (1998).132 Zweite wichtige Quelle international anerkannter Standards im Bereich der Gesundheitsversorgung ist die WHO. Bereits die Präambel des Gründungsvertrages widmet sich dem Recht auf Gesundheit als Menschenrecht: „Die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Der Besitz des bestmöglichen Gesundheitszustandes bildet eines der Grundrechte jedes menschlichen Wesens, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Anschauung und der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung.“133 Die WHO entwickelt weltweite Fünf-Jahres-Strategien und Arbeitsprogramme zur bestmöglichen Umsetzung des Rechts auf Gesundheit, derzeit die 12. Strategie (2014–1019).134 Darüber hinaus kann sie verbindliche Standards setzen, was bislang jedoch erst einmal in einen völkerrechtlichen Vertrag (gegen Tabakkonsum) mündete.135 Große Autorität in der Fachwelt, bei Staaten und VN-Gremien genießen jedoch ihre weltweiten Gesundheitsstandards, darunter die – für 195 Staaten verbindlichen – International Health Regulations (2005), sowie eine Vielzahl von Richtlinien zu unterschiedlichen Bereichen.136 Daneben erhebt die WHO Daten und erstellt Statistiken.137 131 Eine Übersicht über die von Deutschland ratifizierten Abkommen und ihren Status findet sich hier: http://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=1000:11200:0::NO:11200:P11200_COUNTRY_ID:102643. 33 derzeit noch gültige Abkommen hat Deutschland dagegen nicht ratifiziert, siehe http://www.ilo.org/dyn/normlex /en/f?p=1000:11210:0::NO:11210:P11210_COUNTRY_ID:102643 (letzter Zugriff jeweils: 17.04.2015). 132 ILO/International Social Security Association (ISSA), Social Security Manual Vol. I – Social security principles (1998), Vol. II – Administration of social security (1998). 133 Constitution of the World Health Organization, http://apps.who.int/gb/bd/PDF/bd47/EN/constitution-en.pdf, Verfassung der Weltgesundheitsorganisation, unterzeichnet in New York am 22. Juli 1946, in Kraft getreten am 07. April 1948, AS 1948 1015, deutsche Übersetzung erhältlich bei den Schweizer Bundesbehörden, http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19460131/ (letzter Zugriff jeweils: 23.04.2015). 134 Siehe dazu Twelfth General Programme of Work: Not Merely the Absence of Disease, http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/112792/1/GPW_2014-2019_eng.pdf, und die aktuelle Agenda in Kurzfassung unter http://www.who.int/about/agenda/en/ (letzter Zugriff jeweils: 23.04.2015). 135 WHO Framework Convention on Tobacco Control (FCTC), http://www.who.int/fctc/text_download/en/ (letzter Zugriff: 23.04.2015), WHO-Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs, BGBl. 2004 II S. 1538, 1539. 136 WHO, International Health Regulations (2005), 2. Auflage 2008, http://whqlibdoc.who.int/publications /2008/9789241580410_eng.pdf. Zu weiteren Standards siehe die alphabetische Übersicht unter http://www.who.int/entity/en/ und http://www.who.int/publications/en/ (letzter Zugriff jeweils: 23.04.2015). 137 WHO, World Health Statistics, http://www.who.int/gho/publications/world_health_statistics/en/ (letzter Zugriff: 23.04.2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 40 ILO, WHO und die International Social Security Association (ISSA) liefern ferner Handreichungen zu den vom CESCR geforderten geeigneten Indikatoren und Studien zur Evaluation der Wirksamkeit von Gesundheitsmaßnahmen.138 2.7.3. Humanitäres Völkerrecht Weitere verbindliche Rechtsquellen finden sich im Humanitären Völkerrecht in allen vier Genfer Konventionen und den beiden Zusatzprotokollen: - (I.) Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde (dort Art. 32, 50)139 - (II.) Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See (Art. 51)140 - (III.) Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen (Art. 13, 15, 22, 26, 29, 31, 46, 130)141 - (IV.) Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten (Art. 37, 49, 56, 76)142 138 Siehe dazu CESCR, General Comment No. 19, Fn. 78, Rn. 74-76; CESCR, General Comment No. 14, Fn. 41, Rn. 57 f. 139 Geneva Convention (I) for the Amelioration of the Condition of the Wounded and Sick in Armed Forces in the Field vom 12. August 1949, in Kraft seit 21.10.1950, https://www.icrc.org/applic/ihl/ihl.nsf/xsp/.ibmmodres /domino/OpenAttachment/applic/ihl/ihl.nsf/4825657B0C7E6BF0C12563CD002D6B0B/FULLTEXT/GC- I-EN.pdf; (I.) Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde, deutsche Übersetzung der Schweizer Behörden verfügbar unter http://www.admin .ch/opc/de/classified-compilation/19490186/index.html (letzter Zugriff jeweils: 24.04.2015). 140 Geneva Convention (II) for the Amelioration of the Condition of Wounded, Sick and Shipwrecked Members of Armed Forces at Sea vom 12. August 1949, in Kraft seit 21.10.1950, https://www.icrc.org/applic /ihl/ihl.nsf/xsp/.ibmmodres/domino/OpenAttachment/applic /ihl/ihl.nsf/2F5AA9B07AB61934C12563CD002D6B25/FULLTEXT/GC-II-EN.pdf; Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See, deutsche Übersetzung der Schweizer Behörden verfügbar unter http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation /19490189/index.html (letzter Zugriff jeweils: 24.04.2015). 141 Geneva Convention (III) relative to the Treatment of Prisoners of War vom 12. August 1949, in Kraft seit 21.10.1950, https://www.icrc.org/applic/ihl/ihl.nsf/xsp/.ibmmodres/domino/OpenAttachment/applic /ihl/ihl.nsf/77CB9983BE01D004C12563CD002D6B3E/FULLTEXT/GC-III-EN.pdf; (III.) Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen, deutsche Übersetzung verfügbar unter http://www.admin .ch/opc/de/classified-compilation/19490187/201407180000/0.518.42.pdf (letzter Zugriff jeweils: 24.04.2015). 142 Geneva Convention (IV) relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War vom 12. August 1949, in Kraft seit 21.10.1950, https://www.icrc.org/applic/ihl/ihl.nsf/xsp/.ibmmodres/domino/OpenAttachment/applic /ihl/ihl.nsf/AE2D398352C5B028C12563CD002D6B5C/FULLTEXT/ATTXSYRB.pdf; (IV.) Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, deutsche Übersetzung der Schweizer Behörden verfügbar unter http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19490188/index.html (letzter Zugriff jeweils: 24.04.2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 41 - Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I; Art. 11, 55, 75, 85)143 - Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll II; Art. 4, 5, 17)144 Diese gelten ausschließlich im Rahmen (internationaler bzw. nicht-internationaler) bewaffneter Konflikte. 2.7.4. Weitere Rechtsquellen Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl unverbindlicher Erklärungen und anerkannter Standards, die teilweise von den Ausschüssen oder von internationalen Gerichten zur Auslegung oder Bestimmung von Verpflichtungen herangezogen werden. Einige davon sind ebenfalls dem humanitären Recht zuzuordnen. Für den Bereich des Rechts auf Gesundheit hat das OHCHR eine – nicht abschließende – Liste erstellt, die neben den bereits benannten Instrumenten unter anderem folgende Dokumente aufführt und einzeln verlinkt: - Basel Convention on the Control of Transboundary Movements of Hazardous Wastes and their Disposal (Art. 4, 13) - Declaration of Commitment on HIV/AIDS (Rn. 58-61) - Declaration on the Right to Development (Art. 8) - Declaration of Alma Ata (VI; VIII) - Programme of Action of the International Conference on Population and Development (1994, Kap. VII, VIII) - Declaration of the Rights of the Child (4. Grundsatz) - Declaration on the Elimination of Violence against Women (Art. 3 f) - Beijing Platform for Action – Women and Health - United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples (Art. 21, 23, 24) - Standard Rules on the Equalization of Opportunities for Persons with Disabilities (Nr. 22) 143 Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of International Armed Conflicts (Protocol I), vom 08. Juni 1977, https://www.icrc.org/applic/ihl/ihl.nsf/xsp/.ibmmodres /domino/OpenAttachment/applic/ihl/ihl.nsf/D9E6B6264D7723C3C12563CD002D6CE4/FULLTEXT/AP- I-EN.pdf; Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte, Stand vom 18.07.2014, deutsche Übersetzung der Schweizer Behörden verfügbar unter http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19770112/201407180000/0.518.521.pdf (letzter Zugriff jeweils: 24.04.2015). 144 Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts (Protocol II), vom 08. Juni 1977, https://www.icrc.org/applic /ihl/ihl.nsf/xsp/.ibmmodres/domino/OpenAttachment/applic /ihl/ihl.nsf/AA0C5BCBAB5C4A85C12563CD002D6D09/FULLTEXT/AP-II-EN.pdf; Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte, deutsche Übersetzung der Schweizer Behörden verfügbar unter http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation /19770113/index.html (letzter Zugriff jeweils: 24.04.2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 42 - Principles for the protection of persons with mental illness and the improvement of mental health care (1. Grundsatz) - The United Nations Principles of Older Persons (Nr. 1, 11) - Basic Principles for the Treatment of Prisoners (Nr. 9) - Body of Principles for the Protection of All Persons under Any Form of Detention or Imprisonment (22. Grundsatz) - United Nations Rules for the Protection of Juveniles Deprived of their Liberty (Nr. 31, 37, 49, 87) - Principles of Medical Ethics relevant to the Role of Health Personnel, particularly Physicians , in the Protection of Prisoners and Detainees against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (1. Grundsatz)145 145 OHCHR, http://www.ohchr.org/EN/Issues/Health/Pages/InternationalStandards.aspx (letzter Zugriff: 24.04.2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 43 3. Exkurs: Europäische Rechtssysteme Neben den afrikanischen146 und interamerikanischen147 Menschenrechtsschutzräumen sehen auch die europäischen Rechtssysteme des Europarates (3.1.) und der EU (Unionsrecht; 3.2.) Vorschriften vor, die für die Gesundheitsversorgung bedeutsam sind oder werden können.148 3.1. Europarat Im Bereich des Europarats ergibt sich wie auf VN-Ebene eine Zweiteilung: In der (Revidierten) Europäischen Sozialcharta sind wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte niedergelegt (3.1.1.), in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und ihren Zusatzprotokollen (3.2.2.) im Wesentlichen bürgerliche und politische Rechte. Der Europarat verfügt über eine Vielzahl weiterer menschenrechtlich relevanter Abkommen, die hier nicht im Einzelnen erörtert werden können.149 Diese Abkommen müssen von den Mitgliedsstaaten wiederum einzeln ratifiziert werden und lösen erst dann ggf. verbindliche Rechtswirkungen aus. 146 Siehe hierzu Art. 16 der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker (Banjul-Charta) vom 27.06.1981 (in Kraft: 21.10.1986), African Charter on Human and Peoples' Rights, http://www.achpr.org/instruments/achpr/ (letzter Zugriff: 14.04.2015), sowie ergänzend die Afrikanische Kinderrechtecharta (African Charter on the Rights and Welfare of the Child), http://www.achpr.org/instruments /child/ (letzter Zugriff: 14.04.2015) und das Protokoll zur Afrikanischen Charta über die Rechte der Frauen in Afrika (Protocol to the African Charter on Human and Peoples‘ Rights on the Rights of Women in Africa ), http://www.achpr.org/instruments/women-protocol/ (letzter Zugriff: 14.04.2015), sowie regionale Übereinkommen . Siehe für die arabischen Staaten Art. 39 (Recht auf Gesundheit) der Arabischen Menschenrechtscharta vom 22.05.2004 (in Kraft: 15.03.2008) 147 Siehe hierzu Art. 9 (soziale Sicherheit), 10 und 17 (Gesundheit) des Zusatzprotokolls zur Amerikanischen Menschenrechtskonvention (Protokoll von San Salvador) vom 17.11.1988 (in Kraft: 16.11.1999), Additional Protocol to the American Convention on Human Rights in the Area of Economic, Social and Cultural Rights („Protocol of San Salvador"), OAS, Treaty Series, No. 69, sowie Art. 11 (Gesundheit) und 16 (soziale Sicherheit) der Allgemeinen Erklärung der Rechte und Pflichten des Menschen vom 02.05.1948, American Declaration of the Rights and Duties of Man, siehe ferner Übereinkommen für einzelne Bevölkerungsgruppen. Englische Version der Übereinkommen abrufbar unter https://www.oas.org/en/iachr/mandate/basic_documents.asp (letzter Zugriff: 14.04.2015). 148 Interessant ist darüber hinaus das System der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (O- SZE). Siehe hierzu Giegerich, Thomas, Menschenrechtsschutz im Rahmen der OSZE, in: Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band VI/1: Europäische Grundrechte I, C. F. Mueller (2010), S. 569–592. 149 Siehe dazu Giegerich, Thomas, Menschenrechtsübereinkommen des Europarats, in: Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band VI/1: Europäische Grundrechte I, C. F. Mueller (2010), S. 509–567. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 44 3.1.1. (Revidierte) Europäische Sozialcharta Im Bereich des Europarats sind soziale Rechte in der Europäischen Sozialcharta150 enthalten, die in Art. 11 und 12 relevante Rechte enthält: „Artikel 11 – Das Recht auf Schutz der Gesundheit Um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Schutz der Gesundheit zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien, entweder unmittelbar oder in Zusammenarbeit mit öffentlichen oder privaten Organisationen geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die u. a. darauf abzielen: 1. soweit wie möglich die Ursachen von Gesundheitsschäden zu beseitigen; 2. Beratungs- und Schulungsmöglichkeiten zu schaffen zur Verbesserung der Gesundheit und zur Entwicklung des persönlichen Verantwortungsbewußtseins in Fragen der Gesundheit; 3. soweit wie möglich epidemischen, endemischen und anderen Krankheiten vorzubeugen.“ „Artikel 12 – Das Recht auf Soziale Sicherheit Um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Soziale Sicherheit zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien: 1. ein System der Sozialen Sicherheit einzuführen oder beizubehalten; 2. das System der Sozialen Sicherheit auf einem befriedigenden Stand zu halten, der zumindest dem entspricht, der für die Ratifikation des Übereinkommens (Nr. 102) der Internationalen Arbeitsorganisation über die Mindestnormen der Sozialen Sicherheit erforderlich ist; 3. sich zu bemühen, das System der Sozialen Sicherheit fortschreitend auf einen höheren Stand zu bringen; 4. durch den Abschluß geeigneter zwei- und mehrseitiger Übereinkünfte oder durch andere Mittel und nach Maßgabe der in diesen Übereinkünften niedergelegten Bedingungen Maßnahmen zu ergreifen , die folgendes gewährleisten: a. die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen anderer Vertragsparteien mit ihren eigenen Staatsangehörigen hinsichtlich der Ansprüche aus der Sozialen Sicherheit einschließlich der Wahrung der nach den Rechtsvorschriften der Sozialen Sicherheit erwachsenen Leistungsansprüche , gleichviel wo die geschützten Personen innerhalb der Hoheitsgebiete der Vertragsparteien ihren Aufenthalt nehmen; b. die Gewährung, die Erhaltung und das Wiederaufleben von Ansprüchen aus der Sozialen Sicherheit, beispielsweise durch die Zusammenrechnung von Versicherungs- und Beschäftigungszeiten , die nach den Rechtsvorschriften jeder der Vertragsparteien zurückgelegt wurden.“ Der Anwendungsbereich wird jedoch durch den Anhang beschränkt: Danach sind „Ausländer nur insoweit ein[geschlossen], als sie Staatsangehörige anderer Vertragsparteien sind und ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet der betreffenden Vertragspartei haben“. 150 Europäische Sozialcharta vom 18.10.1961 (in Kraft: 26.02.1965), CETS Nr. 035, offizieller deutscher Text verfügbar unter: http://conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/Html/035.htm (letzter Zugriff: 14.04.2015). Die Bundesrepublik Deutschland hat die Charta am 27.01.1965 ratifiziert, siehe hierzu BGBl. 1965 II S. 1261 und S. 1122). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 45 Die Rechte der ESC gelten also grundsätzlich nicht für irreguläre Migrantinnen und Migranten (zu einer maßgeblichen Erweiterung durch den Europäischen Sozialausschuss siehe unten). Auch die – von der Bundesrepublik Deutschland nicht ratifizierte und für sie deshalb nicht „bindende “ – Revidierte Europäische Sozialcharta (RESC)151 enthält in den Art. 11 und 12 die Rechte auf Gesundheitsschutz und soziale Sicherheit. Hinzu kommt in Art. 19 Nr. 2 RESC ein Recht der Wanderarbeitskräfte und ihrer Familien auf Schutz und Beistand auch im Gesundheitsbereich, das sich auf die Gewährleistung von „während der Reise notwendigen Gesundheitsdiensten, ärztlicher Betreuung und guten hygienischen Bedingungen“ im Rahmen der staatlichen Zuständigkeit beschränkt. Auch wegen ihres schwach formulierten ersten Teils zu den staatlichen Verpflichtungen wird die Sozialcharta allgemein als nicht als unmittelbar anwendbar angesehen; sie richtet sich nach der Mehrheitsmeinung allein an Staaten, sodass aus ihr nach überwiegender Auffassung keine einklagbaren Rechte abgeleitet werden können.152 Die Schwäche der Charta153 zeigt sich auch darin, dass die Mitgliedsstaaten bei der Ratifikation auswählen konnten, welche Kern- und Nebenrechte des zweiten Teils sie „als für sich bindend ansehen“ (Art. 20 Nr. 1 Buchstaben b und C ESC, Teil III Art. A Buchstaben b und c RESC). Diese Wahl kann nach Nr. 3 auch nachträglich geändert werden.154 Dennoch hat der Europäische Sozialrechtsausschuss in mehreren Kollektivbeschwerden155 mit dem Recht auf Gesundheit und soziale Sicherheit befasst. In der Kollektivbeschwerde „FIDH gegen Frankreich“ bestätigte der Ausschuss unter Bezugnahme auf die CRC etwa, dass auch Kindern ohne gesicherten Aufenthaltsstatus – etwa irregulär Migrierten – wegen ihrer besonderen 151 Revidierte Europäische Sozialcharta vom 03.05.1996 (in Kraft: 01.07.1999), CETS Nr. 163, nichtamtlicher deutscher Text verfügbar unter: http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/163.htm (letzter Zugriff: 14.04.2015). Die Bundesrepublik Deutschland hat die Charta am 29.06.2007 unterzeichnet, jedoch nicht ratifiziert . 152 Siehe dazu Krennerich, Soziale Menschenrechte, Fn. 17, S. 55 f., mit weiteren Nachweisen; Giegerich, Thomas, Menschenrechtsübereinkommen des Europarats, in: Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band VI/1: Europäische Grundrechte I, C. F. Mueller (2010), S. 509– 567, S. 554 f., Rn. 88. 153 Dazu ausführlich Krennerich, Soziale Menschenrechte, Fn. 17, S. 54 ff., mit weiteren Nachweisen; Giegerich, Thomas, Menschenrechtsübereinkommen des Europarats, in: Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band VI/1: Europäische Grundrechte I, C. F. Mueller (2010), S. 509–567, S. 554–564. 154 Siehe dazu auch Giegerich, Thomas, Menschenrechtsübereinkommen des Europarats, in: Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band VI/1: Europäische Grundrechte I, C. F. Mueller (2010), S. 509–567, S. 555 ff., Rn. 90 ff. 155 Zu dem Verfahren siehe neben dem Zusatzprotokoll zur ESC und der RESC Giegerich, Thomas, Menschenrechtsübereinkommen des Europarats, in: Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band VI/1: Europäische Grundrechte I, C. F. Mueller (2010), S. 509–567, S. 560 ff., Rn. 99. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 46 Verletzlichkeit über die Notfallversorgung hinaus ein Recht auf Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung aus Art. 17 RESC zustehe. Damit dehnte es den Anwendungsbereich der RESC aus, die ansonsten auf Menschen mit regulärem Aufenthaltsrecht beschränkt ist.156 Deutschland hat sich dem Kollektivbeschwerdemechanismus nach dem Zusatzprotokoll zur ESC nicht unterworfen.157 3.1.2. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention , EMRK)158 und ihre Zusatzprotokolle enthalten vordergründig kaum soziale Rechte und insbesondere kein Recht auf Gesundheit oder soziale Sicherheit. Dennoch ist zu erwähnen , dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in wenigen Einzelfällen in seinen (bindenden) Urteilen den Schutzbereich von Konventionsrechten so ausgedehnt hat, dass im Einzelfall soziale Rechte über das Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK) oder das Recht auf Eigentum (Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK) verletzt sein können. Zentrales Beispiel für diese Rechtsprechung ist das Urteil „Stec und andere gegen das Vereinigte Königreich ". In dieser Entscheidung unterwarf der EGMR erstmals – wenn auch in begrenztem Rahmen – nicht-beitragsfinanzierte Sozialleistungen seiner Kontrolle im Rahmen des Rechts auf Eigentum .159 Die weitere Entwicklung dieser Rechtsprechung bleibt jedoch abzuwarten; bislang handelt es sich um besonders gelagerte Einzelfälle, aus denen sich keine allgemeine Entwicklung ablesen lässt. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass EGMR-Urteile unmittelbar nur die beteiligten Parteien binden (Art. 46 Abs. 1 EMRK), auch wenn der EGMR damit entsprechend seiner Zuständigkeit die Normen der EMRK auslegt und sie fortentwickelt. 156 Europäischer Sozialrechtsausschuss, International Federation for Human Rights (FIDH) ./. France, Decision on the merits, Kollektivbeschwerde Nr. 14/2003, Entscheidung vom 08.09.2004, http://www.escr-net.org/sites /default/files/Committee_Social_Rights_Decision_Merits_0.pdf. Siehe auch die Zusammenfassung bei ESCR- Net – International Network for Economic, Social & Cultural Rights, http://www.escr-net.org/docs/i/400976, (letzter Zugriff: 24.04.2015). 157 Siehe zur Rolle und Auffassung der Bundesregierung zusammenfassend Giegerich, Thomas, Menschenrechtsübereinkommen des Europarats, in: Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band VI/1: Europäische Grundrechte I, C. F. Mueller (2010), S. 509–567, S. 563 f., Rn. 104 f. 158 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 (in Kraft: 03.09.1953), CETS Nr. 005, http://www.echr.coe.int/Documents/Convention_DEU.pdf (letzter Zugriff: 14.04.2015). 159 EGMR, Stec und andere gegen das Vereinigte Königreich, Urteil vom 12.04.2006, Beschwerde-Nrn. 65731/01 und 65900/01. Der EGMR ging allerdings ausdrücklich nicht so weit, einen Anspruch auf Schaffung von Sozialleistungen aus der EMRK abzuleiten. Er überlässt es insofern den Mitgliedsstaaten, ob diese überhaupt ein Sozialleistungssystem vorhalten und welche Leistungen davon erfasst sind, und befasst sich nur mit dem Zugang zu bestehenden – steuer- oder beitragsfinanzierten – Sozialleistungen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 47 3.2. Europäische Union Zunehmende Bedeutung in der wissenschaftlichen Debatte und in der rechtlichen Praxis erlangt das Recht der Europäischen Union (EU) (Unionsrecht). Auf dessen komplexes Regelungssystem soll hier der Vollständigkeit halber hingewiesen werden. Allerdings ergeben sich für ein vollständiges Bild zahlreiche weitere Fragen, die einer vertieften Erörterung bedürften. Ein Großteil des europäischen Sozialrechts ist in sogenanntem Sekundärrecht, dem europäischen koordinierenden Sozialrecht, festgelegt.160 Primärrechtliche Grundlage hierfür sind Art. 48 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedsstaaten und die Kompetenzregeln der Art. 151, 153 (siehe insbesondere Abs. 1 Buchstabe c) AEUV, vornehmlich zum Schutz Arbeitnehmender.161 Maßstab ist nach Art. 151 AEUV die ESC.162 Nach Artikel 168 AEUV wird ferner „[b]ei der Festlegung und Durchführung aller Unionspolitiken und -maßnahmen […] ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt. Die Tätigkeit der Union ergänzt die Politik der Mitgliedstaaten und ist auf die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von Humankrankheiten und die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der körperlichen und geistigen Gesundheit gerichtet.“ Besondere Bedeutung in der Rechtsprechung des EuGH entfaltet der Grundsatz der Nichtdiskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit bei der Gewährung von Sozialleistungen.163 Insoweit hat der EuGH bereits soziale Komponenten aus den Grundfreiheiten (insbesondere dem Freizügigkeitsrecht ) sowie aus dem Grundsatz der Unionsbürgerschaft (Art. 18 und 21 AEUV) beim Zugang zu Sozialleistungen abgeleitet.164 160 Siehe hierzu den Überblicksartikel von Eichenhofer, Eberhard, Soziale Rechte – von 2010, aber bereits auf dem Stand des Vertrags von Lissabon –, in: Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band VI/1: Europäische Grundrechte I, C. F. Mueller (2010), S. 825–857. Siehe hier die früheren Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und 574/72, sowie aktuell die Verordnung (EG) Nr. 883/2004, Abl. EU 2004 L 166/1 mit Geltung ab 01.05.2010, sowie die Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit, ABl. 1989 L 183/1. Darüber hinaus haben zahlreiche andere Richtlinien und Verordnungen Bedeutung für den Gesundheitsschutz, siehe aktuell etwa die EU-Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU). 161 Siehe ausführlich zur Geschichte und den Inhalten der Verordnungen Eichenhofer, Soziale Rechte, Fn. 161, S. 826 ff., 840 ff. 162 Siehe auch Eichenhofer, Soziale Rechte, Fn. 161, S. 826 ff., 841. 163 Siehe dazu Eichenhofer, Soziale Rechte, Fn. 161, S. 839 f. 164 Dazu grundlegend EuGH, Grzelczyk ./. Centre public d’aide sociale d’Ottignies-Louvain-la-Neuve, Urteil vom 20.0.2001, Rs. C-184/99, Slg. 2001, I-6193; Martínez Sala ./. Freistaat Bayern, Urteil vom 12.05.1998, Rs. C- 85/96, Slg. 1998, I-2691; Trojani ./. CPAS, Urteil vom 07.09.2004, Rs. 456/02, Slg. 2004, I-7573 sowie zahlreiche weitere Urteile; dazu aktuell Hilpold, Peter, Die Unionsbürgerschaft – Entwicklung und Probleme, EuR 2015, 133–148, auch zu den zuletzt wieder einschränkenden Urteilen des EuGH. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 48 In seinem „Kremzow“-Urteil hat der EuGH bereits in den 1990er Jahren zur damaligen Rechtslage entschieden, dass die Mitgliedsstaaten Grundrechte achten müssen, „wenn eine nationale Regelung in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts [jetzt: Unionsrecht] fällt“.165 Nunmehr ist die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtecharta; GRC) bei der Durchführung des Unionsrechts für EU-Organe und EU-Mitgliedstaaten anwendbar (Artikel 51). Die nach Art. 6 des EU-Vertrags (EUV) für Deutschland nunmehr verbindliche GRC enthält verschiedene Rechte, die für den Gesundheitsschutz relevant sind.166 Nach Abs. 6 der Präambel sind ESC und RESC zentrale Quellen der Charta. Hinzuweisen ist insbesondere auf Artikel 34 und 35 GRC, die grundsätzlich unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Person anwendbar sind: „Artikel 34 – Soziale Sicherheit und soziale Unterstützung (1) Die Union anerkennt und achtet das Recht auf Zugang zu den Leistungen der sozialen Sicherheit und zu den sozialen Diensten, die in Fällen wie Mutterschaft, Krankheit, Arbeitsunfall, Pflegebedürftigkeit oder im Alter sowie bei Verlust des Arbeitsplatzes Schutz gewährleisten, nach Maßgabe des Unionsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. (2) Jeder Mensch, der in der Union seinen rechtmäßigen Wohnsitz hat und seinen Aufenthalt rechtmäßig wechselt, hat Anspruch auf die Leistungen der sozialen Sicherheit und die sozialen Vergünstigungen nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten . […] Artikel 35 – Gesundheitsschutz Jeder Mensch hat das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. Bei der Festlegung und Durchführung der Politik und Maßnahmen der Union in allen Bereichen wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt.“ Langenfeld will – mit weiteren Nachweisen – Art. 34 Abs. 1 als reines Abwehr- und nicht als Leistungsrecht verstehen, da der Union in diesem Bereich keine weiten Kompetenzen zustehen (siehe Art. 51 Abs. 1 GRCh). Auch sie weist jedoch auf die weite Rechtsprechung des EuGH im Parallelbereich der Unionsbürgerschaft hin, die dieser noch ausdehnen könnte.167 Auch aus Art. 35 S. 1 ließen sich ihrer Meinung nach keine Behandlungs- und Kostenersatzansprüche ableiten, da nach dem Wortlaut allein die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten maßgeblich wären; Satz 2 sei als reiner unverbindlicher Programmsatz einzustufen.168 Nach anderer Ansicht sind einige Rechte 165 EuGH, Kremzow ./. Republik Österreich, Rs. C-299/95, Urteil vom 29. Mai 1997, Rn. 15. 166 Siehe zu den sozialen Grundrechten der Charta den Überblicksartikel von Langenfeld, Soziale Grundrechte, Fn. 35, S. 1117–1156 (noch vor Ratifikation des Lissabon-Vertrages). 167 Langenfeld, Soziale Grundrechte, Fn. 35, S. 1142 f. 168 Langenfeld, Soziale Grundrechte, Fn. 35, S. 1144 f., 1146 – es sei denn, der EuGH setze hieran seine Grzelcyk- Rechtsprechung fort. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 49 durchaus als Leistungsrechte zu verstehen. Allerdings fehlte es auch nach dieser Auffassung meist an der Zuständigkeit der Union.169 Der Umfang der Rechte und Pflichten wird insoweit von der Auslegung durch den EuGH abhängen.170 Welchen Gebrauch der EuGH von diesen Rechten in der Zukunft machen wird und welche Reichweite er ihnen beimisst, bleibt abzuwarten. Nach Auffassung von Vedder hat der EuGH die beiden VN-Übereinkommen ICCPR und ICESCR zudem bereits als allgemeine Rechtsgrundsätze (nunmehr Art. 6 Abs. 3 EUV) in das Unions(-primär -)recht aufgenommen, was den direkten Weg eröffnen würde, die Rechte aus dem ICESCR in Verfahren vor dem EuGH direkt vorzubringen, sofern unionsrechtliche Kompetenzen betroffen sind.171 Dies bestätigt Abs. 6 der Präambel, der den Weg direkt über Art. 6 Abs. 1 EUV eröffnen könnte. Im unverbindlichen Bereich sind die Veröffentlichungen der 2007 begründeten Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) zu erwähnen, die die Mitgliedsstaaten durch ihre Expertise und Forschung bei der Umsetzung der Menschenrechte unterstützen soll.172 Im Bereich des Rechts auf Gesundheit (Art. 35 GRCh) hat die FRA 2013 einen Bericht zu multipler Diskriminierung bei Zugang und Qualität der Gesundheitsversorgung herausgegeben, zu dem auch eine deutschsprachige Fact Sheet erhältlich ist.173 Ferner hat die FRA einen Schwerpunkt auf die Grundrechte von Migrantinnen und Migranten in irregulärer Situation in allen Mitgliedsstaaten gesetzt, zu dem unter anderem eine Vergleichsstudie zwischen zehn Ländern im Gesundheitsbereich gehört, die ebenfalls die Situation in Deutschland untersucht.174 Die Berichte geben in den einleitenden Kapiteln zudem nähere Auskunft über das Rechtsgefüge der EU im Menschenrechtsbereich und sind auch daher lesenswert. 169 Langenfeld, Soziale Grundrechte, Fn. 35, S. 1150 ff., mit weiteren Literaturnachweisen. 170 So auch (kritisch) Langenfeld, Soziale Grundrechte, Fn. 35, S. 1153 und 1144, mit Hinweis auf die Gefahren, die eine erweiterte Auslegung der EU-Kompetenzen in diesem Bereich bedeuten könnte. 171 Vedder, Allgemeine UN-Menschenrechtspakte, Fn. 14, S. 298 f., Rn. 164, mit Beispielen in Fn. 234. 172 Zu den Aufgaben und dem Status der FRA siehe die Verordnung (EG) Nr. 168/2007 des Rates vom 15. Februar 2007 zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, L 53/2, http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32007R0168&from=EN, sowie http://fra.europa.eu/de/about-fra (letzter Zugriff jeweils: 27.04.2015). 173 FRA, Inequalities and multiple discrimination in access to and quality of healthcare, März 2013, http://fra.europa .eu/sites/default/files/inequalities-discrimination-healthcare_en.pdf; Ungleichbehandlung und Mehrfachdiskriminierung im Gesundheitswesen, http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/1947-FRA-Factsheet _InequMultDiscrimination_DE.pdf (letzter Zugriff jeweils: 27.04.2015). 174 Siehe dazu den vergleichenden Bericht der FRA von 2011, Die Grundrechte von Migranten in einer irregulären Situation in der EU, http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra-11-002-05_migrants_de_webres_1.pdf, die dazugehörige Fact Sheet, http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/1848-FRA-Factsheet-fundamentalrights -irregular-migrants_DE.pdf, und eine Studie (2011), Migranten in einer irregulären Situation: Zugang zu medizinischer Versorgung in zehn Mitgliedstaaten der EU, http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra-2011-fundamental -rights-for-irregular-migrants-healthcare_de.pdf (letzter Zugriff jeweils: 27.04.2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 50 4. Bedeutung der menschenrechtlichen Vorgaben für das nationale Recht Rechtlich erfolgversprechend ist von vornherein im Wesentlichen nur die Berufung auf verbindliche Standards. Deswegen bleiben die folgenden Erörterungen auf völkerrechtliche Verträge, Völkergewohnheitsrecht oder auf einseitig verbindlich anerkannte Standards beschränkt. Besondere Optionen eröffnet jedoch wegen seiner Supranationalität das Unionsrecht (bzw. Teile davon , siehe dazu auch Art. 23 GG), worauf hier nicht eingegangen werden kann.175 Aus völkerrechtlicher Sicht sind völkerrechtliche Übereinkommen – ob im Rahmen der VN, des Europarats oder in jedem anderen Rahmen – mit ihrer Ratifikation verbindlich, sofern der Staat keine Vorbehalte gegen bestimmte Vorschriften eingelegt hat.176 Nach dem deutschen Recht bezieht der deutsche Bundesgesetzgeber eine internationale Verpflichtung durch sein Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 GG in das innerstaatliche Recht ein. Damit erhält ein völkerrechtlicher Vertrag in der deutschen Rechtsordnung den Rang eines Bundesgesetzes177; dieses entfaltet somit wie jedes andere Bundesgesetz unmittelbar innerstaatliche Geltung. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) unterliegen alle staatlichen Stellen der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt damit dem Rechtsanwendungsbefehl .178 Im Rahmen der deutschen Normenhierarchie stehen völkerrechtliche Verträge bzw. ihr Ratifikationsgesetz damit jedoch prinzipiell unter dem Verfassungsrecht (also dem GG) und auf gleicher Ebene wie das einfache Gesetzesrecht des Bundes (also z.B. dem Bürgerlichen Gesetzbuch, dem Strafgesetzbuch oder dem Baugesetzbuch). Auch internationale menschenrechtliche Verpflichtungen gehen deshalb nicht automatisch dem deutschen Bundesrecht vor, sondern die beiden gleichrangigen Rechtsquellen müssen miteinander in Einklang gebracht werden. Deswegen hat das BVerfG aufgrund von Art. 20 Abs. 3 GG eine Pflicht zur völkerrechtsfreundlichen Auslegung des deutschen Rechts entwickelt.179 Normen aus völkerrechtlichen Verträgen können damit vor Gericht und bei Behörden jederzeit angebracht werden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in ständiger Rechtsprechung zur EMRK anerkannt, dass deutsche Gerichte und Behörden die EMRK und ihre Auslegung durch den EGMR bei der Auslegung und Anwendung des deutschen 175 Siehe dazu etwa Vedder, Allgemeine UN-Menschenrechtspakte, Fn. 14, S. 297, Rn. 162. 176 Genauer gesagt wird dadurch die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschriften auf dem Staatsgebiet völkerrechtlich wirksam ausgeschlossen, siehe dazu Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, Fn. 34, S. 167. Die Bundesrepublik Deutschland hatte beispielsweise zunächst Vorbehalte im Rahmen der CRC eingelegt, diese aber mit Kabinettsbeschluss vom 03.05.2010 zurückgenommen und diese Erklärung am 01.11.2010 übermittelt. Siehe dazu die Übersicht zum CRC auf https://treaties.un.org/. 177 Siehe etwa Herdegen, Matthias, Europarecht, 14. Auflage, München: C.H.Beck (2012), § 3 Rn. 52 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, Fn. 34, S. 168. Kritisch dazu Vedder, Allgemeine UN-Menschenrechtspakte, Fn. 14, S. 298, Rn. 163, der unter Orientierung an der Rechtsprechung des BVerfG zur EMRK jedenfalls für die beiden VN-Pakte ICESCR und ICCPR wenigstens mittelbaren Verfassungsrang fordert. 178 Siehe etwa BVerfG, Urteil vom 22. November 2001, 2 BvE 6/99. 179 BVerfG, Beschluss vom 26. März 1987, 2 BvR 589/79; Beschluss vom 14. Dezember 2004, 2 BvR 1481/04. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 51 Rechts zumindest berücksichtigen und – wenn möglich – in das deutsche Rechtssystem einpassen muss (konventionsfreundliche Auslegung), selbst wenn die entsprechende Entscheidung nicht gegen Deutschland ergangen ist.180 Insoweit genießen sie jedenfalls dann eine Orientierungswirkung , wenn Deutschland den Vertrag ratifiziert hat und sich der Gerichtsbarkeit des internationalen Gerichts unterworfen hat.181 Ihre Grenze findet diese Pflicht aber, wenn diese „nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung nicht mehr vertretbar erscheint“.182 Eingeschränkter ist jedoch die Berücksichtigungspflicht bei Einzelfallentscheidungen (sog. „Auffassungen “) der VN-Fachausschüsse, da diese – im Gegensatz zu den Übereinkommen selbst – nicht als unmittelbar völkerrechtlich verbindlich gelten.183 Die Vertragsstaaten sind jedoch – wegen der Autorität des Ausschusses bei der Auslegung des Übereinkommens – verpflichtet, sich mit der Auffassung des jeweiligen Fachausschusses nach Treu und Glauben auseinanderzusetzen und Abweichungen jedenfalls zu begründen.184 Diese beschränkte Wirkung wird selbst dann angenommen, wenn sie eine Einzelfallentscheidung direkt gegen einen Staat treffen, der sich der Einzelfallbeschwerde unterworfen hat. Dies hat die Bundesrepublik Deutschland, wie bereits unter 2.4. erwähnt, im Rahmen des CESCR nicht getan; es hat das Zusatzprotokoll bislang nicht ratifiziert , sodass keine „Auffassungen“ gegen sie ergehen können. Wie oben (Fn. 40) gesehen, sind die Allgemeinen Bemerkungen der Fachausschüsse trotz aller Orientierungswirkung und Autorität rechtlich nicht bindend, auch wenn sie bei der Bestimmung des Inhalts eines Rechts nach Ansicht vieler kaum vernachlässigt werden können. Unmittelbare Ansprüche lassen sich daraus jedenfalls nicht ableiten. Auch nicht verbindliches, sogenanntes „soft law“ (wie z.B. völkerrechtliche Verhaltensstandards internationaler Organisationen) kann jedoch bei der Auslegung deutscher Rechtsvorschriften unter Umständen herangezogen werden, insbesondere dann, wenn es international eine hohe Autorität genießt.185 In der deutschen Rechtspraxis werden ICCPR und ICESCR kaum in Urteilen erwähnt.186 Vor diesem Hintergrund rügte der CESCR in seinen Abschließenden Bemerkungen zum 5. Staatenbericht der Bundesregierung von Mai 2011, dass deutsche Gerichte den Sozialpakt zu wenig anwendeten und forderte Deutschland unter Verweis auf seine Allgemeinen Bemerkungen Nr. 3 180 BVerfGE 111,307, 319, 323, 328; zuvor bereits BVerfGE 74, 358, 370; 82, 106, 120; zuletzt BVerfG, Beschluss vom 18.12.2014 – 2 BvR 209/14, 2 BvR 240/14, 2 BvR 262/14; NJW 2015, 1083 (1085). 181 Zum IGH BVerfG, 2 BVR 2115/01, Rn. 61 f.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, Fn. 34, S. 170. 182 BVerfGE 111, 307, 329; BVerfGE128, 326, 371; BVerfG, NZA 2014, 1387, Rn. 129; zuletzt BVerfG, Beschluss vom 18.12.2014 – 2 BvR 209/14, 2 BvR 240/14, 2 BvR 262/14; NJW 2015, 1083 (1085). 183 Siehe dazu oben 2.4. und Dederer, Durchsetzung der Menschenrechte, Fn. 22, S. 379 f. (Rn. 81). 184 Dederer, Durchsetzung der Menschenrechte, Fn. 22, S. 379 f. (Rn. 81). 185 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, Fn. 34, S. 179 f. 186 Vedder, Allgemeine UN-Menschenrechtspakte, Fn. 14, S. 297, Rn. 162, mit Beispielen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 066/15 Seite 52 (1990) und 9 (1998) auf, seinen Bekanntheitsgrad bei Richterinnen und Richtern, Rechtsanwältinnen und -anwälten und in der Verwaltung zu erhöhen.187 Ferner sind die Abschließenden Bemerkungen im Staatenberichtsverfahren rechtlich weder auf internationaler noch auf nationaler Ebene durchsetzbar.188 5. Zusammenfassung Das Recht auf Gesundheitsversorgung findet seinen Widerhall in den Menschenrechten auf Gesundheit und auf soziale Sicherheit, die nicht nur in VN-Menschenrechtsübereinkommen, sondern in einer Vielzahl von verbindlichen und unverbindlichen Standards niedergelegt sind. Auch die Bundesrepublik Deutschland ist völkerrechtlich an die Mehrzahl dieser Standards gebunden , aus denen sich neben unverletzbaren Kernpflichten und sofort anwendbaren Pflichten ferner die allgemeine Pflicht ergibt, im Rahmen verfügbarer Ressourcen stetig Maßnahmen zu ergreifen , um die Rechte auf Gesundheit und soziale Sicherheit progressiv umzusetzen. Aus den Allgemeinen und den Abschließenden Bemerkungen der maßgeblichen VN-Ausschüsse lässt sich ableiten, dass es mit dem Zugang zu grundlegender Gesundheits- und Notfallversorgung für alle, jedenfalls bei Staaten mit einem guten Gesundheitssystem, nicht getan ist. So ist Deutschland in den letzten Jahren mehrfach von Ausschüssen kritisiert worden, das es das völkerrechtlich jedenfalls sofort anwendbare Diskriminierungsgebot beim Zugang zu bestehenden Leistungen verletze. Vor dem Hintergrund des staatlichen Beurteilungsspielraums und des Ressourcenvorbehalts lassen sich jedoch – jenseits Abschließender Bemerkungen und, wo möglich, Einzelfallentscheidungen der Ausschüsse – kaum konkrete Ansprüche ableiten. Darüber hinaus gestaltet sich die Durchsetzung von internationalen Standards (insbesondere VN-Menschenrechtsstandards, wo diese über Anforderungen des BVerfG hinausgehen) vor deutschen Gerichten häufig noch immer als Herausforderung. 187 CESCR, Consideration of reports submitted by States parties under Articles 16 and 17 of the Covenant: Concluding Observations of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, E/C.12/DEU/CO/5, Rn. 7. 188 Zur möglichen politischen Bedeutung im Rahmen der Universal Periodic Review vor dem HRC siehe oben 2.4.