© 2017 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 063/17 Zugang von Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu klassifizierten Dokumenten internationaler Organisationen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 063/17 Seite 2 Zugang von Abgeordneten des Bundestages zu klassifizierten Dokumenten internationaler Organisationen Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 063/17 Abschluss der Arbeit: 6. Juli 2017 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 063/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Regelungskompetenzen von internationalen Organisationen 4 2. Anspruch auf Zugang zu Dokumenten internationaler Organisationen 5 3. Möglichkeiten, gegen ablehnende Entscheidungen internationaler Organisationen vorzugehen 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 063/17 Seite 4 1. Regelungskompetenzen von internationalen Organisationen Die VN und andere internationale Organisationen besitzen als Völkerrechtssubjekte eine eigene Organisationsgewalt, d. h. die Befugnis zur autonomen Gestaltung ihrer Verhältnisse nach innen und nach außen. Eine rechtliche Grundlage für die Kompetenz einer Organisation, bestimmte (schutzwürdige) Dokumente einzustufen, ergibt sich somit völkerrechtlich im Grunde schon aus ihrem Status als internationale Organisation. Darüber hinaus bestehen zwischen einer internationalen Organisation und ihrem Aufenthaltsstaat („Sitzstaat“) vertragliche Vereinbarungen (Headquarters Agreement), welche u.a. die Immunität der Organisation und ihre Regelungskompetenzen im Einzelnen festschreiben.1 So sieht etwa das Headquarters Agreement2 zwischen den Niederlanden und der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW)3 vom 14. Mai 1997 vor: “The OPCW shall have the power to make regulations, operative within the headquarters, for the purpose of establishing therein any conditions necessary for the full execution of its functions. No laws of the Kingdom of the Netherlands which are inconsistent with a regulation of the OPCW authorized by this Article shall, to the extent of such inconsistency , be applicable within the headquarters” (Art. 7). Art. 19 dieser OPCW-Headquarter-Vereinbarung garantiert der OPCW explizit die “inviolability of all papers, documents and other official material”. Daraus ergibt sich das Recht der OPCW, die Herausgabe von Dokumenten an Staaten bzw. deren Repräsentanten oder Bürgern verweigern.4 1 Vgl. allgemein Ruffert/Walter, Institutionalisiertes Völkerrecht, München, 2. Aufl. 2015, Rdnr. 176 ff. Die Immunität wirkt sich immer wieder auf Streitigkeiten zwischen dem Gastland und der internationalen Organisation aus – vgl. dazu etwa aus Praxis des Europäischen Patentamtes http://www.spiegel.de/politik/deutschland/proteste-zurueckgewiesen-europaeisches-patentamt-verweist-aufimmunitaet -a-66421.html. 2 https://www.opcw.org/fileadmin/OPCW/CSP/C-I/en/C-I_DEC.59-EN.pdf. 3 Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) mit Sitz in Den Haag ist keine Sonderorganisation der VN, sondern eine unabhängige internationale Organisation, die durch die Vertragsstaaten der Chemiewaffenkonvention begründet wurde, um deren Einhaltung zu überwachen. 4 In der Regel gewähren die internationalen Organisationen auf ihrer Homepage einen großzügigen Zugang zu ihren Dokumenten – insb. VN-Dokumente sind über die VN-Depositarbibliothek zugänglich. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 063/17 Seite 5 2. Anspruch auf Zugang zu Dokumenten internationaler Organisationen Einen mit dem deutschen Informationsfreiheitsgesetz (IFG) vergleichbaren Anspruch von Bürgern oder Abgeordneten auf Herausgabe von behördlichen Dokumenten – mit einer korrespondierenden Rechtfertigungspflicht der Behörde im Falle einer Einstufung des Dokuments – existiert auf völkerrechtlicher Ebene, d.h. im Recht der internationalen Organisationen, nicht. Weltweit hat nur ein Teil der Staaten – vor allem die EU-Mitgliedstaaten – einen Anspruch auf Zugang zu behördlichen Informationen gesetzlich bzw. verfassungsrechtlich geregelt.5 Von einem völkergewohnheitsrechtlich verfestigten Anspruch auf Informationszugang lässt sich also nicht sprechen. Auch ein internationales „Menschenrecht auf Akteneinsicht“ existiert nicht.6 Das durch Art. 42 der EU-Grundrechtecharta verbürgte Recht auf Zugang zu Dokumenten der Europäischen Union lässt sich auf den internationalen Bereich (insb. auf internationale Organisationen) nicht übertragen . Die Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes (EGMR) betreffend den Zugang auf behördliche Dokumente zeugt ebenfalls von einem nur auf die EMRK-Staaten begrenzten Informationsfreiheitsanspruch.7 Und auch dieser Informationsanspruch wird keinesfalls schrankenlos gewährt, sondern belässt den Staaten die Möglichkeit, diesen Anspruch aus Gründen der nationalen Sicherheit einzuschränken. 3. Möglichkeiten, gegen ablehnende Entscheidungen internationaler Organisationen vorzugehen Internationale Organisationen üben keine deutsche Hoheitsgewalt aus. Auch das vom BVerfG ausdifferenzierte Spannungsfeld zwischen Kernbereichen exekutiver Eigenverantwortlichkeit (insb. zur Geheimhaltung) und demokratischer Transparenz findet sich im Recht der internationalen Organisationen so nicht wieder. 5 Vgl. z.B. entsprechende Regelungen in Österreich, Schweden, Großbritannien, Niederlande, Belgien (Art. 32 belg.-Verf.), Italien, Irland, Frankreich sowie in den USA und Kanada (Freedom of Information Act). 6 Zudem sind internationale Organisationen keine Mitglieder von Menschenrechtsverträgen, gegen die sich ein Anspruch richten könnte. 7 Vgl. EGMR, Urteil vom 10. Juli 2006 – Sdruženi Jihoceské Matky gegen Tschechische Republik, Nr. 19101/03 – betreffend die Anwendung von Art. 10 EMRK auf den Fall einer Verweigerung eines Antrags auf Zugang zu öffentlichen oder behördlichen Dokumenten. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 063/17 Seite 6 Klagemöglichkeiten gegen die Entscheidung einer internationalen Organisation, Dokumente einzustufen und nicht herauszugeben, gibt es nach deutschem Recht regelmäßig nicht.8 Petenten könnten allenfalls organisationsinterne Beschwerdemöglichkeiten nutzen, soweit die Satzung der internationalen Organisation solche vorsieht. Auch aus dem OPCW-Headquarters Agreement vom 14. Mai 1997 ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Möglichkeit, rechtliche Schritte gegen die OPCW einzuleiten.9 Eine (verfassungsrechtliche) Verpflichtung der Bundesregierung, Abgeordnete des Deutschen Bundestages bei ihren Bemühungen um Einsichtnahme in (klassifizierte) Dokumente internationaler Organisationen zu unterstützen, ist nicht ersichtlich. Über eine Verpflichtung des Auswärtigen Amtes, sich auf diplomatischem Wege für die Herausgabe von Dokumenten einer internationalen Organisation einzusetzen, ließe sich allenfalls mit Blick auf den Sitzstaat ´Deutschland` (also: Internationaler Seegerichtshof mit Sitz in Hamburg, Europäisches Patentamt in München, etc.) und eine daraus möglicherweise resultierende „abgeschwächte Immunität“ solcher Organisation nachdenken. Für internationale Organisationen mit Sitz im Ausland (wie die OPCW) trägt dieser Argumentationsansatz nicht. Der Umstand, dass Deutschland Mitglied einer internationalen Organisation ist, reicht insoweit nicht aus. *** 8 Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen etwa Entscheidungen des Europäischen Patentamtes im Wege der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können, siehe BVerfG, Beschluss vom 3. Juli 2006 - 2 BvR 1458/03 - Rn. (1-25), http://www.bverfg.de/e/rk20060703_2bvr145803.html. 9 Art. 4 der Vereinbarung (s.o. Fn. 4) sieht vor: “Within the scope of its official activities the OPCW shall enjoy immunity from any form of legal process.”