© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 062/20 Völker- und europarechtliche Vorgaben für das automatisierte Fahren Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 062/20 Seite 2 Völker- und Europarechtliche Vorgaben für das automatisierte Fahren Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 062/20 Abschluss der Arbeit: 1. Juli 2020 (zugleich letzter Zugriff auf Internetlinks) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 062/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr 4 3. ECE-Regelungen der VN-Wirtschaftskommission für Europa 5 4. Typgenehmigungs-Richtlinie 2007/46/EG 6 5. Automatisiertes Fahren 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 062/20 Seite 4 1. Einführung Auf internationaler Ebene gibt es Harmonisierungsbestrebungen im Hinblick auf Straßenverkehrs - und Fahrzeugstandards, um einen einheitlichen Rechtsrahmen für das Straßenverkehrsund Zulassungsrecht zu schaffen. Davon erfasst ist auch das automatisierte Fahren. Für ein künftiges autonomes Fahren bedarf es dagegen neuer Regelungen. Die wichtigsten derzeit existierenden Regelungen über automatisiertes Fahren finden sich erstens im Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr von 1968, zweitens in den auf der Grundlage des Fahrzeugteileübereinkommens von 1958 erarbeiteten Vorschriften sowie drittens – auf europarechtlicher Ebene – in der Typgenehmigungs-Richtlinie 2007/46/EG. 2. Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr Das Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr (WÜ) vom 8. November 19681 ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der seine aktuell 84 Vertragsparteien2 verpflichtet, einheitliche Zulassungs - und Verkehrsregeln zu erlassen3, und der damit Rahmenbedingungen für die Gestaltung des nationalen Verkehrsrechts schafft. Ziel ist es, den internationalen Straßenverkehr zu harmonisieren und die Sicherheit auf den Straßen durch die Annahme einheitlicher Verkehrsregeln zu erhöhen.4 1 Übereinkommen vom 8. November 1968 über den Straßenverkehr (BGBl. 1977 II S. 809), zuletzt geändert durch ÄndÜbk. vom 24. März 2014 (BGBl. 2016 II S. 1306). Der englische Vertragstext findet sich unter: https://treaties.un.org/doc/Treaties/1977/05/19770524%2000-13%20AM/Ch_XI_B_19.pdf. 2 Eine aktuelle Liste der Teilnehmerstaaten inkl. Unterschrifts- und Ratifikationsdatum findet sich unter: https://treaties.un.org/pages/ViewDetailsIII.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XI-B- 19&chapter=11&Temp=mtdsg3&lang=en. 3 Nach Artikel 3 Abs. 1 und Abs. 2 WÜ müssen die Vertragsstaaten sicherstellen, dass die innerstaatlichen Verkehrsregeln den Vorgaben des Übereinkommens entsprechen. 4 Ulrich Lange, „Automatisiertes und autonomes Fahren – eine verkehrs-, wirtschafts- und rechtspolitische Einordnung “, Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht (NZV) 2017, S. 345 (347), beck-online. Moritz Bach, „Autonomes Fahren und gesetzliche Grundlagen“, Universität Koblenz-Landau, vom 21. Juli 2016, S. 7, https://www.uni-koblenz-landau.de/de/koblenz/fb4/ist/AGZoebel/Lehre/sommer2016/SeminarASidA/A1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 062/20 Seite 5 3. ECE-Regelungen der VN-Wirtschaftskommission für Europa Für Zulassungsangelegenheiten von Fahrzeugen bildet das Fahrzeugteileübereinkommen (kurz: FTÜ) vom 20. März 19585 einen weiteren völkerrechtlichen Rahmen. Auf Grundlage des FTÜ wurde der Verwaltungsausschuss der VN-Wirtschaftskommission für Europa (United Nations Economic Commission for Europe), bestehend aus Mitgliedern aller Vertragsstaaten , ermächtigt, grenzüberschreitende technische Standards für die Zulässigkeit von Fahrzeugen, Teilen und Ausrüstungsgegenständen zu schaffen.6 Diese sog. ECE-Regelungen (von „Economic Commission for Europe“)7 bezwecken, die gegenseitige Anerkennung von Fahrzeuggenehmigungen zu erleichtern sowie überstaatliche Zulassungshemmnisse abzubauen. Die ECE- Regelungen beinhalten derzeit 152 einzelne technische Regularien, z.B. über Bremsanlagen, Scheinwerfer und Lenkanlagen.8 Die Vorschriften entfalten keine automatische Bindung, vielmehr kann jede Vertragspartei des FTÜ einzelne ECE-Regelungen annehmen. Die Europäische Union ist dem FTÜ mit Beschluss 97/836/EG des Rates vom 27. November 1997 beigetreten.9 Nach Art. 216 Abs. 2 AEUV binden die von der EU geschlossenen Übereinkünfte „die Organe der Union und die Mitgliedsstaaten“. 5 „Übereinkommen über die Annahme einheitlicher technischer Vorschriften für Radfahrzeuge, Ausrüstungsgegenstände und Teile, die in Radfahrzeuge(n) eingebaut und/oder verwendet werden können, und die Bedingungen für die gegenseitige Anerkennung von Genehmigungen, die nach diesen Vorschriften erteilt wurden“ vom 20. März 1958, http://www.unece.org/fileadmin/DAM/trans/main/wp29/wp29regs/2017/E-ECE-TRANS-505- Rev.3e.pdf. Dieses wird ergänzt durch das „Übereinkommen über die Festlegung globaler technischer Regelungen für Radfahrzeuge, Ausrüstungsgegenstände und Teile, die in Radfahrzeuge(n) eingebaut und/oder verwendet werden können“ vom 25. Juni 1998, https://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/?uri=celex:22000A0210(01). 6 Vgl. das Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste WD 2 – 3000 – 131/16 vom 29. September 2016, „Änderung des Wiener Übereinkommens vom 8. November 1968 über den Straßenverkehr“, S. 2, https://www.bundestag.de/resource/blob/478076/17128cdc1e877496a454de411b27a8af/wd-2-131-16-pdfdata .pdf. 7 Bei den ECE-Regelungen handelt es sich um einen Anhang zum FTÜ, dazu Moritz Bach, „Autonomes Fahren und gesetzliche Grundlagen“, Universität Koblenz-Landau, vom 21. Juli 2016, S. 8, https://www.uni-koblenzlandau .de/de/koblenz/fb4/ist/AGZoebel/Lehre/sommer2016/SeminarASidA/A1. 8 Vgl. UNECE, Addenda to the 1958 Agreement, Regulations 1-152, http://www.unece.org/trans/main/wp29/wp29regs.html. 9 Beschluss des Rates vom 27. November 1997 über den Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zu dem Übereinkommen der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen über die Annahme einheitlicher technischer Vorschriften für Radfahrzeuge, Ausrüstungsgegenstände und Teile, die in Radfahrzeuge(n) eingebaut und/oder verwendet werden können, und die Bedingungen für die gegenseitige Anerkennung von Genehmigungen , die nach diesen Vorschriften erteilt wurden („Geändertes Übereinkommen von 1958“) (97/836/EG) (ABl. L 346, 17. Dezember 1997, S.78), https://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/?uri=CELEX:01997D0836-20130917. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 062/20 Seite 6 Die Vorschrift ordnet demnach die Bindungswirkung auch für die Mitgliedstaaten an. Eines gesonderten Transformationsaktes in nationales Recht der Bundesrepublik Deutschland bedurfte es daher nicht.10 4. Typgenehmigungs-Richtlinie 2007/46/EG Nach ihrem Artikel 1 dient die Richtlinie 2007/46/EG vom 5. September 200711 der Schaffung eines rechtlichen Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten dieser Fahrzeuge . Art. 35 Abs. 1 RL 2007/46/EG verweist in Bezug auf die Anforderungen für die Zulassung auf die in Anhang IV Teil II aufgeführten ECE-Regelungen. Durch den Verweis auf das FTÜ mit dessen ECE-Regelungen ist das nationale Straßenverkehrszulassungsrecht abhängig von Bestimmungen des internationalen Rechts. 5. Automatisiertes Fahren Von besonderer Relevanz in Zusammenhang mit dem automatisierten Fahren sind insbesondere die Artikel 8 sowie Artikel 13 des Wiener Übereinkommens und ECE-Regelung Nr. 79. Das Wiener Übereinkommen basiert gemäß Artikel 8 Abs. 1, Abs. 5, Artikel 13 Abs. 1 auf der Vorstellung, dass jedes Fahrzeug einen menschlichen Fahrer hat, der es zu jeder Zeit beherrschen kann12, womit sich die Frage stellt, inwieweit sich die Fahrzeugautomatisierung mit der Pflicht 10 Vgl. Dieter Neumann, Rechtsgutachten zum Beweisbeschluss SV- 4 des 5. Untersuchungsausschusses der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestags, im Auftrag des 5. Untersuchungsausschusses der 18. Wahlperiode, vom 31. Oktober 2016, S. 45 f., https://www.bundestag.de/resource/blob/481324/f5b0951619abc129681080cab233cf5d/stellungnahme-dr-- neumann--sv-4--data.pdf. 11 Richtlinie 2007/46/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) (ABl. L 263 vom 9. Oktober 2007, S. 1, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L:2007:263:FULL&from=DE), zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2017/2400 der Kommission vom 12. Dezember 2017 (ABGl. L 349 vom 29. Dezember 2017, S. 1, https://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/HTML/?uri=OJ:L:2017:349:FULL&from=ES). 12 Thomas Schulz, „Sicherheit im Straßenverkehr und autonomes Fahren“, Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht (NZV) 2017, S. 548, beck-online. Bernd Wagner / Thilo Goeble, „Freie Fahrt für das Auto der Zukunft? - Kritische Analyse des Gesetzentwurfs zum hoch- und vollautomatisierten Fahren“, Zeitschrift für Datenschutz (ZD) 2017, S. 263, beck-online. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 062/20 Seite 7 zur dauernden Fahrzeugbeherrschung und dem Erfordernis eines Fahrers in Einklang bringen lässt.13 Durch die Änderung des Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr, das mit Wirkung vom 23. März 2016 für die Bundesrepublik in Kraft getreten ist14, wurde der Raum für das automatisierte Fahren jedoch deutlich erweitert.15 Daneben liefert die ECE-Regelung Nr. 79 hinsichtlich einheitlicher Bedingungen für die Genehmigung von Fahrzeugen mit Blick auf Lenkanlagen wichtige technische Details.16 Die Regelung Nr. 79 wurde bis Oktober 2018 überarbeitet und den technischen Entwicklungen des automatisierten Fahrens angepasst. Für den Einsatz von autonomen Systemen müssten das Wiener Übereinkommen sowie die Regelung Nr. 79 erneut überarbeitet werden.17 *** 13 Darunter fallen verschiedene Assistenzsysteme automatisierten Fahrens, etwa Park- und Rangier-, Notbremse-, Spurwechsel-, Spurhalte- und Kreuzungsassistenten oder Autobahn-, City- und Landstraßenpiloten, vgl. Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, „Intelligente Mobilität – Automatisiertes Fahren“, https://www.technik-zum-menschen-bringen.de/themen/intelligente-mobilitaet/automatisiertes-fahren. 14 Vgl. Gesetz zur Änderung der Artikel 8 und 39 des Übereinkommens vom 8. November 1968 über den Straßenverkehr vom 7. Dezember 2016 (BGBl. I S. 1306). 15 Vgl. dazu Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste WD 7 – 3000 – 111/18 vom 22. Mai 2018, „Autonomes und automatisiertes Fahren auf der Straße – rechtlicher Rahmen“, S. 5, https://www.bundestag.de/resource/blob/562790/c12af1873384bcd1f860%204334f97ee4b9/wd-7-111-18-pdfdata .pdf. 16 UN Regulation No. 79, Uniform provisions concerning the approval of vehicles with regard to steering equipment , E/ECE/324/Rev.1/Add.78/Rev.4, in Kraft getreten am 18. Oktober 2018, https://www.unece.org/fileadmin/DAM/trans/main/wp29/wp29regs/2018/R079r4e.pdf. 17 UN Regulation No. 79, Uniform provisions concerning the approval of vehicles with regard to steering equipment , E/ECE/324/Rev.1/Add.78/Rev.4, in Kraft getreten am 18. Oktober 2018, vgl. Introduction S. 4, https://www.unece.org/fileadmin/DAM/trans/main/wp29/wp29regs/2018/R079r4e.pdf. Moritz Bach, „Autonomes Fahren und gesetzliche Grundlagen“, Universität Koblenz-Landau, vom 21. Juli 2016, S. 7, https://www.uni-koblenz-landau.de/de/koblenz/fb4/ist/AGZoebel/Lehre/sommer2016/SeminarASidA/A1. Zum autonomen Fahren in den USA vgl. Tagesspiegel online vom 8. Mai 2018, „Unfall von Uber-Fahrzeug – Autonomes Auto verwechselte Frau mit Plastiktüte“, https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/unfall-von-uberfahrzeug -autonomes-auto-verwechselte-frau-mit-plastiktuete/21256792.html.