© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 061/19 Parlamentsbeteiligung beim Ausbildungseinsatz deutscher Spezialkräfte in Niger Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 061/19 Seite 2 Parlamentsbeteiligung beim Ausbildungseinsatz deutscher Spezialkräfte in Niger Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 061/19 Abschluss der Arbeit: 14. Mai 2019 (zugleich letzter Zugriff auf die Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 061/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Position der Bundesregierung 4 2. Gesetzlicher Rahmen der Parlamentsbeteiligung 4 3. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 5 4. Mandatierungspflicht der Ausbildungsmission im Niger 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 061/19 Seite 4 1. Position der Bundesregierung Der Ausbildungseinsatz deutscher Spezialkräfte der Bundeswehr in Niger, der der Frage des Auftraggebers zugrunde liegt, unterfällt nach Ansicht der Bundesregierung nicht dem parlamentarischen Zustimmungsvorbehalt.1 So sieht die Bundesregierung die tatbestandlichen Voraussetzungen eines im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes2 zustimmungspflichtigen Einsatzes als nicht erfüllt an. Insbesondere erwartet die Bundesregierung keine Einbeziehung der entsandten Ausbilder in eine bewaffnete Unternehmung in Niger. Nach Ansicht der Bundesregierung handelt es sich bei dem Ausbildungseinsatz um eine Hilfeleistung, bei der zwar zur Selbstverteidigung Waffen mitgeführt würden, die Teilnahme an bewaffneten Auseinandersetzungen gleichwohl nicht zu gewärtigen sei. Die Prognose stützt sich im Wesentlichen darauf, dass die entsandten Soldaten Ausbildungsaufgaben wahrnähmen, sie auf Einladung der Regierung im Lande seien und auf einem geschützten Militärgelände Unterkunft fänden. 2. Gesetzlicher Rahmen der Parlamentsbeteiligung Das Parlamentsbeteiligungsgesetz3 regelt, sofern kein Verteidigungsfall vorliegt, Form und Ausmaß der Beteiligung des Bundestages beim Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland . Grundsätzlich bedarf der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes gem. § 1 Abs. 2 Parlamentsbeteiligungsgesetz der Zustimmung des Bundestages. Zentrale Voraussetzung der Beteiligungsrechte des Bundestages ist das Vorliegen eines Einsatzes im Sinne des Gesetzes. Nach § 2 Abs. 1 Parlamentsbeteiligungsgesetz liegt ein Einsatz vor, „wenn Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist.“ Ausnahmen vom Parlamentsvorbehalt sind in § 2 Abs. 2 Parlamentsbeteiligungsgesetz vorgesehen : Danach gelten vorbereitende Maßnahmen und Planungen nicht als Einsatz im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, sie bedürfen daher keiner Zustimmung des Bundestages. Gleiches gilt für humanitäre und andere Hilfe, bei der „Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mitgeführt werden, wenn nicht zu erwarten ist, dass die Soldatinnen oder Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden“ (§ 2 Abs. 2 Parlamentsbeteiligungsgesetz a.E.). Das Parlamentsbeteiligungsgesetz enthält keine Spezialregelung für Ausbildungsmissionen. Diese sind unter den Begriff der Hilfsleistungen der Streitkräfte, wie er in § 2 Abs. 2 Parlamentsbeteiligungsgesetz verwendet wird, zu subsumieren. Für die vom Auftraggeber aufgeworfene Frage kommt es daher nach dem Gesetzeswortlaut entscheidend darauf an, ob zu erwarten ist, dass die Soldatinnen und Soldaten, die sich in einem Ausbildungseinsatz in Niger befinden, in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden. Der Gesetzestext beschränkt den Zustimmungsvorbehalt nicht auf Fälle, in denen die Einbeziehung der eigesetzten Soldatinnen und Soldaten in bewaffnete Unternehmungen von vornherein geplant ist. Vielmehr reicht es zur Auslösung des parlamentarischen Zustimmungsvorbehalts 1 Siehe statt vieler „Mission ohne Mandat: Die Bundeswehr bildet in Niger Soldaten aus – Eine Zustimmung des Bundestags fehlt“, in: Süddeutsche Zeitung Nr 107., Donnerstag, 9 Mai 2019, S. 5. 2 Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz), 18. März 2005 (BGBl. I S. 775). 3 S.o. (Fn. 2). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 061/19 Seite 5 aus, wenn die Erwartung der Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen aus der objektiven Gefährdungslage resultiert. Dabei fällt die Einschätzung der Gefährdungslage zunächst in den Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung. Das bloße, präventive Mitführen von Waffen, die der Selbstverteidigung dienen, lässt nicht automatisch darauf schließen, dass eine Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen auch tatsächlich zu erwarten wäre. Die Gefahr, Opfer eines Terroranschlags zu werden, ist von der Erwartung der Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen begrifflich zu unterscheiden. 3. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung die Voraussetzungen der Parlamentsbeteiligung bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland konkretisiert.4 U.a. in seinem Urteil von 2015 zur Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen im Jahre 2011 bestätigt das Gericht seine Rechtsprechung, unter welchen Voraussetzungen eine Einbeziehung der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist.5 Einerseits liege ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte nicht erst dann vor, wenn eine Unternehmung im Ausland unter Einbeziehung deutscher Soldaten einen kriegerischen oder kriegsähnlichen Charakter aufweise. Angesichts der Rechtsnatur der Bundeswehr als Parlamentsheer könne „das Eingreifen des Parlamentsvorbehalts nicht unter Berufung auf Gestaltungsspielräume der Exekutive maßgeblich von den politischen und militärischen Bewertungen und Prognosen der Bundesregierung abhängig gemacht werden“.6 Grundsätzlich könnten auch Einsätze dem Parlamentsvorbehalt unterfallen, „die erkennbar von geringer Intensität und Tragweite oder politisch von untergeordneter Bedeutung sind“.7 Das Gericht stellt fest, dass humanitäre Zielsetzungen als solche das Erfordernis parlamentarischer Zustimmung nicht aufhöben.8 Im Übrigen erinnert das Gericht daran, dass es „[g]erade in politisch und militärisch instabilen Regionen […] zudem häufig nur eines geringen Anlasses [bedürfe], um eine eskalierende Konfliktdynamik in Gang zu setzen “.9 Andererseits betont das Gericht, dass die Erwartung, dass die eingesetzten Soldatinnen und Soldaten in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen werden, nicht der bloßen Möglichkeit einer 4 Siehe BVerfGE 90, 286, 381 ff.; 100, 266, 269; 104, 151, 208; 108, 34, 43; 121, 135, 154; 123, 267, 422; 126, 55, 69 f.; 140, 160 5 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 23. September 2015, - 2 BvE 6/11 -, Rn. 66 ff. 6 A.a.O., Rn. 70 (m.w.N.). 7 A.a.O. Rn 77 (m.w.N.). 8 A.a.O. Rn 80. 9 A.a.O. Rn 79. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 061/19 Seite 6 solchen Einbeziehung gleichgesetzt werden könne. Die qualifizierte Erwartung beruhe zunächst auf hinreichend greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass „ein Einsatz nach seinem Zweck, den konkreten politischen und militärischen Umständen sowie den Einsatzbefugnissen in die Anwendung von Waffengewalt münden kann. Hierfür muss aus den Umständen des Falles und der politischen Gesamtlage heraus eine konkrete militärische Gefahrenlage bestehen, die eine hinreichende sachliche Nähe zur Anwendung von Waffengewalt und damit zur Verwicklung deutscher Streitkräfte in eine bewaffnete Auseinandersetzung aufweist.“10 Das Gericht verlangt zudem eine besondere sachliche und zeitliche Nähe der potentiellen Einbeziehung .11 Die erforderliche Unmittelbarkeit sei erst dann zu bejahen, wenn sich tatsächliche Anhaltspunkte verdichteten, dass eine militärische Auseinandersetzung bevorstehe.12 Typischerweise ist die qualifizierte Erwartung erfüllt, wenn „eine gleichsam automatisch ablaufende Beteiligung deutscher Soldaten an der Anwendung bewaffneter Gewalt von der Gesamtsituation her wahrscheinlich ist und praktisch nur noch von Zufälligkeiten im tatsächlichen Geschehensablauf abhängt“.13 Grundsätzlich begründet die Ermächtigung zu bewaffneter Selbstverteidigung für sich genommen noch nicht die Erwartung, dass die eingesetzten Soldatinnen und Soldaten in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen werden.14 Das Gericht erinnert daran, dass im Streitfall die Feststellung einer Einbeziehung deutscher Soldatinnen und Soldaten in bewaffnete Unternehmungen der vollen verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliege.15 4. Mandatierungspflicht der Ausbildungsmission im Niger Im vorliegenden Sachverhalt spielen für die rechtliche Einordnung der Ausbildungsmission bestimmte Tatsachenfragen eine wesentliche Rolle, die von Seiten der Wissenschaftlichen Dienste nicht abschließend geklärt werden können. So kommt es auf tatsächlicher Ebene u.a. darauf an, ob es hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Einsatz in die Anwendung von Waffengewalt münden kann; ob die politischen Gesamtlage vor Ort die Annahme einer konkreten militärischen Gefahrenlage für die deutschen Ausbilderinnen und Ausbilder begründet; und ob die Beteiligung der eingesetzten deutschen Soldatinnen und Soldaten an bewaffneten Kampfhandlungen gewissermaßen vorprogrammiert ist und nur noch vom Zufall abhängt. 10 A.a.O. Rn. 74 (m.w.N.). 11 A.a.O. Rn. 75 (m.w.N.). 12 A.a.O. 13 A.a.O. 14 A.a.O., Rn. 76 (m.w.N.). 15 A.a.O., Rn. 89. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 061/19 Seite 7 Die landesspezifischen Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts (AA) zu Niger auf der Webseite des AA16 lassen darauf schließen, dass die Bundesregierung sich bestehender Risiken bewusst ist und sie die sicherheitsrelevanten politischen Aspekte (wie z.B. Terrorismus, innenpolitische Lage in einzelnen Regionen, Kriminalität, Landminen) fortwährend beobachtet. Die Erwartung , dass die Ausbilderinnen und Ausbilder nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden, dürfte also auf Kenntnis der Lage vor Ort beruhen. Auf der Grundlage der oben (unter Punkt 1.) ausgeführten Einschätzung der tatsächlichen Lage durch die Bundesregierung gibt es keine rechtlichen Bedenken gegen deren Einstufung der Ausbildungsmission in Niger als ein nicht dem Parlamentsvorbehalt unterfallender Einsatz. *** 16 Auswärtiges Amt, Niger: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), Stand - 13.05.2019, (unverändert gültig seit: 15.03.2019), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/niger-node/nigersicherheit /226384#content_0 .