© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 061/16 Internationale Anerkennung einer libyschen „Regierung der nationalen Einheit“ im Kontext der EUNAVFOR MED Operation zur Bekämpfung von Schlepperbanden in libyschen Hoheitsgewässern Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Bedeutung der Zustimmung der libyschen Regierung für den Fortgang der Operation EUNAVFOR MED in Libyen 4 2. Bildung einer libyschen „Regierung der nationalen Einheit“ 5 3. Internationale Anerkennung der nationalen Einheitsregierung 5 3.1. Vereinte Nationen 6 3.2. Europäische Union 6 4. Völkerrechtliche Bewertung der internationalen Anerkennung und Folgen für die Operation EUNAVFOR MED 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 061/16 Seite 4 1. Bedeutung der Zustimmung der libyschen Regierung für den Fortgang der Operation EUNAVFOR MED in Libyen Die Völkerrechtskonformität der EUNAVFOR MED Operation SOPHIA1 zur Bekämpfung von Schleuserstrukturen in libyschen Hoheitsgewässern (Phase 2b und 3)2 hängt vom Vorliegen einer entsprechenden autorisierenden Resolution des VN-Sicherheitsrates oder von einer entsprechenden Zustimmung der libyschen Regierung (das wäre dann ein Eingreifen auf Einladung) ab. Völkerrechtlich stellt sich in der Folge von Bürgerkriegen, Interventionen oder Revolutionen immer wieder die grundlegende Frage, welche Regierung befugt ist, als (legitimes) Organ des Staates zu handeln und diesen „nach außen“ völkerrechtlich zu vertreten.3 Mit Blick auf Libyen war diese Frage in den letzten Jahren schwierig zu beantworten, da das „post-Gaddafi-Machtvakuum “ durch zwei rivalisierende Vertretungen gefüllt worden war: Eine (international anerkannte ) Regierung in Al Baida (an der nordöstlichen Küste Libyens) unter Ministerpräsident Abdullah Thenni, die sich wiederum auf das (international anerkannte) Parlament (Repräsentantenhaus ) im Tobruk (ganz im Nordosten des Landes) stützte,4 sowie eine islamistische „Gegenregierung “ unter Ministerpräsident Chalifa al-Ghawiin der Hauptstadt Tripolis.5 1 Vgl. zur Operation grundlegend die Entscheidung des Rates (GSVP) 2015/778 vom 18. Mai 2015 über die Mittelmeeroperation EUNAVFORMED, http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015D0778&qid=1435825940768&from=EN. Einzelheiten zur Operation finden sich im background sheet zur EUNAVFOR MED (Stand: 23.3.2016) http://www.eeas.europa.eu/csdp/missions-and-operations/eunavfor-med/pdf/factsheet_eunavfor_med_en.pdf; vgl. auch den Beitrag auf Tagesschau.de vom 18.4.2016: „EU will in libyschen Gewässern patrouillieren“, https://www.tagesschau.de/ausland/eu-libyen-105.html. 2 In der Phase 2a des EUNAVFOR MED-Einsatzes (mit dem Operationsnamen SOPHIA) erhalten die Schiffe die Möglichkeit, Boote von Schleppern in internationalen Gewässern anzuhalten, zu durchsuchen, zu beschlagnahmen und umzuleiten. Der Operationsplan für EUNAVFOR MED sieht vor, in Phase 2b in fremden Gewässern und in Phase 3 auf fremdem Territorium gegen von Schleppern genutzte Boote und zugehörige Gegenstände vorzugehen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie für Menschenschmuggel benutzt werden. Die völkerrechtlichen Voraussetzungen hierfür liegen derzeit nicht vor. Ein Übergang in weitere Phasen bedarf einer erneuten Entscheidung des Rats der EU für Auswärtige Angelegenheiten. Der Bundestag beschloss am 1. Oktober 2015, dass sich die Bundeswehr mit bis zu 950 Soldaten am aktiven Kampf gegen Schlepper im Mittelmeer beteiligt . 3 Vgl. dazu näher Nolte, Georg, Eingreifen auf Einladung, Springer: Berlin, Heidelberg u.a.1999, S. 150 ff.; vgl. im Kontext der Anerkennung von Regierungen auch Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München: Beck, 6. Aufl. 2014, § 5, Rdnr. 183 ff. 4 Das international anerkannte Parlament ist allerdings durch ein Urteil des Libyschen Verfassungsgerichts im November 2014 für „illegal“ erklärt worden. Die Regierung in Tobruk erkannte dieses Urteil aber nicht an, weil es unter Gewaltandrohung zustande gekommen sein soll. Der Gerichtshof hat seinen Sitz im von der Gegenregierung kontrollierten Tripolis (http://derstandard.at/2000007789075/Libysches-Parlament-fuer-illegal-erklaert). 5 Die Gegenregierung stützt sich auf den Neuen Allgemeinen Nationalkongress, ein selbst ausgerufenes Parlament von islamistischen Gruppierungen, das von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird, aber vom Libyschen Verfassungsgericht als rechtmäßig angesehen wird. Unterstützt wird die Gegenregierung zudem durch die „Operationszentrale der libyschen Revolutionäre“, die wiederum vom Parlament in Tobruk als „Terrororganisation “ eingestuft wird. Aufseiten der Gegenregierung steht auch der Großmufti Libyens. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 061/16 Seite 5 2. Bildung einer libyschen „Regierung der nationalen Einheit“ Nach monatelangen Verhandlungen zwischen den Bürgerkriegsparteien und rivalisierenden „post-Gaddafi-Institutionen“ hat sich schließlich im März 2016 auf der Grundlage eines am 17. Dezember 2015 im marokkanischen Skhirat unterzeichneten libyschen politischen Abkommens eine von der VN (unter Leitung des deutschen Diplomaten und VN-Sonderbotschafter für Libyen Martin Kobler) vermittelte „Regierung der nationalen Einheit“ unter Leitung des libyschen Premierministers Faiez Serraj gebildet. Die „Regierung der nationalen Einheit“ hat mittlerweile in Tripolis ihre Arbeit aufgenommen,6 kämpft aber weiterhin um eine effektive Kontrolle und Anerkennung im Land.7 So hat das libysche Parlament (Repräsentantenhaus) in Tobruk, das im Januar 2016 seine Anerkennung des VN- Plans zur Bildung einer Einheitsregierung zunächst verweigert hatte,8 sein Vertrauensvotum zugunsten der Einheitsregierung weiter verschoben.9 Auch Teile der Bevölkerung stehen der neuen Regierung kritisch gegenüber.10 Fehlende staatliche Strukturen, eine verarmte Bevölkerung, eine marode Wirtschaft und der sich in der Gegend um Sirte ausbreitende „Islamische Staat“ erschweren die staatliche Konsolidierung Libyens.11 3. Internationale Anerkennung der nationalen Einheitsregierung Ungeachtet der (noch) fehlenden effektiven Herrschaftsgewalt durch die Nationale Einheitsregierung in ganz Libyen hat diese bereits weitreichende Anerkennung durch die internationale Staatengemeinschaft erfahren. 6 „Einheitsregierung nimmt Arbeit in Tripolis auf“, Tagesschau.de vom 31.3.2016, https://www.tagesschau.de/ausland/libyen-255.html. 7 „Libysche Regierung ringt um Kontrolle“, Tagesschau.de vom 29.4.2016, https://www.tagesschau.de/ausland/libyen-einheit-regierung-101.html. 8 http://www.n-tv.de/politik/Parlament-lehnt-Libyens-Einheitsregierung-ab-article16849706.html. 9 ZEIT.de vom 18.4.2016, http://www.zeit.de/news/2016-04/18/libyen-libyens-parlament-verschiebtvertrauensvotum -zur-einheitsregierung-18211604. 10 Kritisch zum Regierungsbildungsprozess Dzsihad Hadelli, „Libyen-Analyse: Warum die UN-Einheitsregierung auf Widerstand stößt“, https://deutsch.rt.com/afrika/37919-libyen-analyse-warum-un-einheitsregierung/. 11 Vgl. zur Situation in Libyen Stocker, Valerie, Politische Krise in Libyen. Die gespaltene Nation, online Beitrag vom 28.4.2016, https://de.qantara.de/inhalt/politische-krise-in-libyen-die-gespaltene-nation. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 061/16 Seite 6 3.1. Vereinte Nationen Unterstützung erfährt die Einheitsregierung insbesondere durch den VN-Sicherheitsrat. Dieser betrachtet die „libysche Regierung der nationalen Einheit“ als alleinige legitime völkerrechtliche Vertretung Libyens und fordert die VN-Mitgliedstaaten zur Unterstützung der Einheitsregierung auf. In seiner einstimmig verabschiedeten Resolution 2278 (2016) vom 31. März 201612 führt der VN-Sicherheitsrat insoweit aus: „unter Hinweis auf die Resolution 2259 (2015) vom 23. Dezember 201513, (…) in dem die Regierung der nationalen Eintracht als alleinige rechtmäßige Regierung Libyens unterstützt wird, die ihren Sitz in Tripolis haben soll, und in dieser Hinsicht ferner seine Entschlossenheit bekundend, die Regierung der nationalen Eintracht zu unterstützen.“ 3.2. Europäische Union Neben den Vereinten Nationen erkennt auch die EU den Alleinvertretungsanspruch der „Nationalen Einheitsregierung“ als der legitimen Vertretung Libyens an. In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 18. März 2016 heißt es dazu:14 „Die EU ist bereit, die Regierung der nationalen Einheit als die einzige rechtmäßige Regierung Libyens zu unterstützen; auch – auf deren Ersuchen – bei der Wiederherstellung von Stabilität, der Bekämpfung des Terrorismus und der Steuerung der Migration im zentralen Mittelmeerraum.“ (Schlussfolgerung Nr. 9). In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 18. April 2016 zu Libyen heißt es weiter :15 „Die EU ist ebenso wie die Nachbarländer Libyens, die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft bereit, die Regierung der nationalen Einheit auf deren Ersuchen bei der Wiederherstellung von Frieden und Stabilität in Libyen zu unterstützen.“ (Schlussfolgerung Nr. 2). „Das libysche politische Abkommen wird von der EU, die die Regierung der nationalen Einheit für die einzige rechtmäßige Regierung in Libyen hält, uneingeschränkt unterstützt . 12 http://www.un.org/depts/german/sr/sr_16/sr2278.pdf. 13 http://www.un.org/depts/german/sr/sr_15/sr2259.pdf. 14 http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-12-2016-REV-1/de/pdf. 15 http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-7990-2016-INIT/de/pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 061/16 Seite 7 Die EU appelliert an alle Akteure, insbesondere an jene in der Region, weiterhin alle Parteien in Libyen nachdrücklich aufzufordern, konstruktiv mit der Regierung der nationalen Einheit und allen anderen im libyschen politischen Abkommen aufgeführten Institutionen zusammenzuarbeiten. Die EU betont, dass die Resolution 2259 (2015) des VN- Sicherheitsrates die Aufforderung enthält, die Unterstützung paralleler Einrichtungen, die den Anspruch erheben, als legitime Führung zu gelten, aber im libyschen politischen Abkommen nicht aufgeführt sind, sowie den offiziellen Kontakt mit ihnen einzustellen.“ (Schlussfolgerung Nr. 3). 4. Völkerrechtliche Bewertung der internationalen Anerkennung und Folgen für die Operation EUNAVFOR MED Für die Nationale Einheitsregierung in Tripolis stellt sich in den kommenden Monaten die schwere Aufgabe, ihren Alleinvertretungsanspruch und ihre Herrschaftsgewalt in Libyen auszubauen und zu festigen. Wichtig ist dabei die formelle Anerkennung durch das Parlament in Tobruk. Die EU begrüßt die Tatsache, dass die Autorität der Regierung der nationalen Einheit offenbar bereits von verschiedenen staatlichen Einrichtungen, einschließlich der Zentralbank, der nationalen Ölgesellschaft und der libyschen Investitionsbehörde, sowie von libyschen Gemeinden anerkannt wurde. Die EU fordert die bestehenden Milizen und bewaffneten Gruppen nachdrücklich auf, deren Autorität anzuerkennen.16 Die Anerkennung einer lokalen Regierung durch die internationale Gemeinschaft spiegelt die (vermeintliche) Legitimität und Effektivität dieser Regierung in den Augen der Staatengemeinschaft wider. Ob sich die lokale Regierung im eigenen Land auch langfristig etablieren wird, lässt sich nie mit Sicherheit vorhersagen.17 Die internationale Anerkennung einer lokalen Regierung – vor allem wenn sie politisch gewollt ist – beinhaltet daher immer auch die Erwartung einer „self-fulfilling-prophecy“. Die Anerkennung geht deshalb regelmäßig einher mit einer entsprechenden Unterstützung dieser Regierung durch das Ausland. Die Staatenpraxis zeigt, dass aus politischen Gründen auch Regierungen (nicht zuletzt Exilregierungen) anerkannt wurden, die über (noch) keine uneingeschränkte territoriale Herrschaftsgewalt im eigenen Lande verfügten.18 Die Nationale Einheitsregierung Libyens hat sich im Rahmen einer Vermittlung durch die VN gebildet und gilt aus Sicht der internationalen Staatengemeinschaft – und auch der Bundesrepublik Deutschland – als die legitime Vertretung Libyens. 16 Vgl. Schlussfolgerung Nr. 4 des Europäischen Rates zu Libyen vom 18.4.2016. 17 So kann auch die Anerkennung einer Regierung ebenso wie die Anerkennung von Staaten vorzeitig und damit völkerrechtswidrig sein (vgl. dazu Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München: Beck, 6. Aufl. 2014, § 5, Rdnr. 185). 18 Vgl. zuletzt auch die afghanische Regierung unter Karzai oder die irakische Regierung unter al-Maliki. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 061/16 Seite 8 Eine Zustimmung dieser Einheitsregierung zu Phase 2b der EUNAVFOR MED-Operation wäre damit eine hinreichende völkerrechtliche Rechtsgrundlage für die Bekämpfung von Schleuserstrukturen in libyschen Hoheitsgewässern. Gleichwohl bemüht Deutschland sich auch um eine entsprechende autorisierende Resolution des VN-Sicherheitsrats nach Kapitel VII der VN-Charta. Eine solche Resolution wird (mit Zustimmung Russlands) aber wohl nur dann zustande kommen, wenn zuvor eine Zustimmung seitens der libyschen Regierung vorliegt.19 Die EU überlegt derweil, inwieweit im Rahmen der EUNAVFOR MED SOPHIA Unterstützung geleistet werden kann, und zwar durch Verstärkung ihrer Fähigkeit, das Geschäftsmodell der Menschenschmuggler und Schleusernetze zu zerschlagen und zu mehr Sicherheit zur Unterstützung der rechtmäßigen libyschen Behörden – beispielsweise durch einen möglichen Kapazitätsaufbau für die libysche Küstenwache – beizutragen. Sollte Libyen ein entsprechendes Ersuchen stellen, so könnte überdies eine etwaige zivile GSVP-Mission der libyschen Regierung u. a. durch Beratung und Kapazitätsaufbau in den Bereichen Polizei und Strafjustiz, einschließlich Terrorismusbekämpfung , Grenzmanagement, Bekämpfung von irregulärer Migration, Schleusung von Migranten und Menschenhandel, im Rahmen einer breiter angelegten Unterstützung der Reform des Sicherheitssektors bei ihren Anstrengungen Hilfe leisten.20 Ende der Bearbeitung 19 So die telefonisch vermittelte Einschätzung des Völkerrechtsreferats des Auswärtigen Amtes. 20 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 18. April 2016 zu Libyen, a.a.O. (Schlussfolgerung Nr. 9).