© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 060/19 Zum Begriff der Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Der Begriff des Einsatzes im Parlamentsbeteiligungsgesetz Das Parlamentsbeteiligungsgesetz1 regelt, sofern kein Verteidigungsfall vorliegt, Form und Ausmaß der Beteiligung des Bundestages beim Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland . Zentrale Voraussetzung der Beteiligungsrechte des Bundestages ist das Vorliegen eines Einsatzes im Sinne des Gesetzes. Nach § 2 Abs. 1 Parlamentsbeteiligungsgesetz liegt ein Einsatz vor, „wenn Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist.“ Des Weiteren sieht § 2 Abs. 2 Parlamentsbeteiligungsgesetz vor: Vorbereitende Maßnahmen und Planungen sind kein Einsatz im Sinne dieses Gesetzes. Sie bedürfen keiner Zustimmung des Bundestages. Gleiches gilt für humanitäre Hilfsdienste und Hilfsleistungen der Streitkräfte, bei denen Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mitgeführt werden, wenn nicht zu erwarten ist, dass die Soldatinnen oder Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden. Nach dem Wortlaut der Norm kommt es bei Hilfsleistungen, wie z.B. bei reinen Ausbildungsmissionen , auf die objektive Erwartbarkeit der Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen an. Eine Beschränkung auf Fälle, in denen die Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen geplant ist, wird vom Gesetzestext nicht gestützt. Vielmehr reicht es aus, wenn die Erwartung aus der objektiven Gefährdungslage resultiert. Die Einschätzung der Gefährdungslage fällt in den Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung. Das bloße, präventive Mitführen von Waffen, die der Selbstverteidigung dienen, lässt nicht automatisch darauf schließen, dass eine Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen auch tatsächlich zu erwarten wäre. Die Gefahr, Opfer eines Terroranschlags zu werden, ist von der Erwartung der Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen begrifflich zu unterscheiden. 2. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung die Voraussetzungen der Parlamentsbeteiligung bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland konkretisiert.2 U.a. in seinem Urteil von 2015 zur Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen im Jahre 2011 bestätigt das Gericht seine Rechtsprechung, unter welchen Voraussetzungen eine Einbeziehung der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist.3 Einerseits liege ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte nicht erst dann vor, wenn eine Unternehmung im Ausland unter Einbeziehung deutscher Soldaten einen kriegerischen oder kriegsähnlichen Charakter aufweise. Angesichts der Rechtsnatur der Bundeswehr als Parlamentsheer könne „das Eingreifen des Parlamentsvorbehalts nicht unter Berufung auf Gestaltungsspielräume der 1 Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz), 18. März 2005 (BGBl. I S. 775). 2 Siehe BVerfGE 90, 286, 381 ff.; 100, 266, 269; 104, 151, 208; 108, 34, 43; 121, 135, 154; 123, 267, 422; 126, 55, 69 f.; 140, 160 3 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 23. September 2015, - 2 BvE 6/11 -, Rn. 66 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 060/19 Seite 5 Exekutive maßgeblich von den politischen und militärischen Bewertungen und Prognosen der Bundesregierung abhängig gemacht werden“.4 Grundsätzlich könnten auch Einsätze dem Parlamentsvorbehalt unterfallen, „die erkennbar von geringer Intensität und Tragweite oder politisch von untergeordneter Bedeutung sind“.5 Das Gericht stellt fest, dass humanitäre Zielsetzungen als solche das Erfordernis parlamentarischer Zustimmung nicht aufhöben.6 Im Übrigen erinnert das Gericht daran, dass es „[g]erade in politisch und militärisch instabilen Regionen […] zudem häufig nur eines geringen Anlasses [bedürfe], um eine eskalierende Konfliktdynamik in Gang zu setzen “.7 Andererseits betont das Gericht, dass die Erwartung, dass die eingesetzten Soldatinnen und Soldaten in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen werden, nicht der bloßen Möglichkeit einer solchen Einbeziehung gleichgesetzt werden könne. Die qualifizierte Erwartung setze zunächst hinreichend greifbare tatsächliche Anhaltspunkte voraus, dass „ein Einsatz nach seinem Zweck, den konkreten politischen und militärischen Umständen sowie den Einsatzbefugnissen in die Anwendung von Waffengewalt münden kann. Hierfür muss aus den Umständen des Falles und der politischen Gesamtlage heraus eine konkrete militärische Gefahrenlage bestehen, die eine hinreichende sachliche Nähe zur Anwendung von Waffengewalt und damit zur Verwicklung deutscher Streitkräfte in eine bewaffnete Auseinandersetzung aufweist.“8 Das Gericht verlangt eine besondere sachliche und zeitliche Nähe der potentiellen Einbeziehung .9 Die erforderliche Unmittelbarkeit sei erst dann zu bejahen, wenn sich tatsächliche Anhaltspunkte verdichteten, dass eine militärische Auseinandersetzung bevorstehe.10 Typischerweise ist die qualifizierte Erwartung erfüllt, wenn „eine gleichsam automatisch ablaufende Beteiligung deutscher Soldaten an der Anwendung bewaffneter Gewalt von der Gesamtsituation her wahrscheinlich ist und praktisch nur noch von Zufälligkeiten im tatsächlichen Geschehensablauf abhängt“.11 Grundsätzlich begründet die Ermächtigung zu bewaffneter Selbstverteidigung für sich genommen noch nicht die Erwartung, dass die eingesetzten Soldatinnen und Soldaten in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen werden.12 4 A.a.O., Rn. 70 (m.w.N.). 5 A.a.O. Rn 77 (m.w.N.). 6 A.a.O. Rn 80. 7 A.a.O. Rn 79. 8 A.a.O. Rn. 74 (m.w.N.). 9 A.a.O. Rn. 75 (m.w.N.). 10 A.a.O. 11 A.a.O. 12 A.a.O., Rn. 76 (m.w.N.). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 060/19 Seite 6 Das Gericht erinnert daran, dass im Streitfall die Feststellung einer Einbeziehung deutscher Soldatinnen und Soldaten in bewaffnete Unternehmungen der vollen verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliege.13 3. Position der Bundesregierung im vorliegenden Einzelfall Im vorliegenden Einzelfall, der der Frage des Auftraggebers zugrunde liegt, sieht die Bundesregierung die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Einsatzes im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes als nicht erfüllt an.14 Insbesondere erwartet die Bundesregierung keine Einbeziehung der entsandten Ausbilder in eine bewaffnete Unternehmung. Nach Ansicht der Bundesregierung handelt es sich bei dem Ausbildungseinsatz um eine Hilfeleistung, bei der zwar zur Selbstverteidigung Waffen mitgeführt würden, die Teilnahme an bewaffneten Auseinandersetzungen gleichwohl nicht zu gewärtigen sei. Die Prognose stützt sich im Wesentlichen darauf, dass die entsandten Soldaten Ausbildungsaufgaben wahrnähmen, sie auf Einladung der Regierung im Lande seien und auf einem geschützten Militärgelände Unterkunft fänden. *** 13 A.a.O., Rn. 89. 14 Siehe statt vieler „Mission ohne Mandat: Die Bundeswehr bildet in Niger Soldaten aus – Eine Zustimmung des Bundestags fehlt“, in: Süddeutsche Zeitung Nr 107., Donnerstag, 9 Mai 2019, S. 5.