© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 059/19 Demografische Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 059/19 Seite 2 Demografische Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 059/19 Abschluss der Arbeit: 20. Juni 2019 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 059/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Grundlagen und Probleme demografischer Projektionen 4 3. Demografie afrikanischer Staaten 5 4. Faktoren der demografischen Entwicklungen afrikanischer Staaten 8 4.1. Einkommen, Bildung und Arbeit 8 4.2. Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Gesundheit 9 4.3. Religion und Kultur 9 5. Mögliche Potenziale und Konsequenzen von Bevölkerungswachstum und -abnahme 11 5.1. Demografische Dividende 11 5.2. Youth bulge 12 5.3. Bevölkerungsentwicklung und Migrationsverhalten 12 6. Möglichkeiten der Beeinflussung der demografischen Entwicklung 14 7. Hauptquellen auf einen Blick 14 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 059/19 Seite 4 1. Einleitung In dieser Dokumentation werden verschiedene wissenschaftliche Publikationen und Presseberichte zu demografischen Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent präsentiert, ihre Ergebnisse zusammengefasst und kommentiert. Dabei ist folgendes zu beachten. Der Begriff Afrika wird insbesondere in Presse und Politik, aber auch in Publikationen aus dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) und bisweilen sogar der Wissenschaft benutzt, um eine sprachlich, ethnisch, kulturell, wirtschaftlich, naturräumlich und politisch sehr heterogene Weltregion zu bezeichnen. Der afrikanische Kontinent setzt sich aus 55 Staaten zusammen, die ihrerseits, d.h. in sich, oft ethnisch, kulturell, religiös und sozial heterogen sind. Dies gilt es zu beachten, wenn in den folgenden Ausführungen die Begriffe Afrika und afrikanisch gebraucht werden. Sie beziehen sich im Rahmen dieser Dokumentation entweder auf den Sprachgebrauch der dokumentierten Arbeiten oder werden gebraucht, wenn dies sinnvoll ist, weil bestimmte Zahlen oder Fakten sich tatsächlich auf den ganzen Kontinent beziehen. Sofern nicht durch Fußnote anderweitig vermerkt, beziehen sich alle Aussagen auf die zu Beginn jedes Abschnittes genannte Hauptquelle. Fußnoten vermerken in der Regel ergänzende bzw. klärende Informationen aus Nebenquellen. 2. Grundlagen und Probleme demografischer Projektionen Die verschiedenen Methoden, zugrundeliegende Motive und Ziele demografischer Projektionen, also die Fortschreibung demografischer Daten in die Zukunft, unterscheiden sich nicht zwischen Ländern oder Kontinenten. Ebenso sind die Schwächen jeder Methodologie prinzipiell dieselben. Einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Methoden, ihre Stärken und Schwächen sowie die unterschiedlichen Ziele und Motive demografischer Projektionen bieten Brian C. O'Neill, Deborah Balk, Melanie Brickman und Markos Ezra in ihrer 2001 vom Max- Planck-Institut für demografische Forschung veröffentlichten Arbeit „A Guide to Global Population Projections“.1 Diese konzentriert sich, wie ihr Titel nahelegt, auf Globalprojektionen, also den Versuch, die Entwicklung der Weltbevölkerung vorherzusagen. Dennoch bieten insbesondere die einleitenden Abschnitte einen guten Überblick über Probleme und Herausforderungen, die sich jeder Versuch demografischer Projektion, also auch für den afrikanischen Kontinent, stellen muss. Langfristige globale Projektionen beruhen alle auf der Kohorten-Komponenten-Methode, bei der eine gegebene Population in Kohorten gemäß Alter und Geschlecht geteilt wird. Die Entwicklung 1 Brian C. O'Neill, Deborah Balk, Melanie Brickman und Markos Ezra, A Guide to Global Population Projections, Max-Planck-Institut für demografische Forschung (Rostock), 2001, https://www.demographic-research.org/volumes /vol4/8/4-8.pdf (zuletzt abgerufen am 20. Mai 2019). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 059/19 Seite 5 dieser Kohorten wird dann hochgerechnet gemäß drei Variablen: Mortalität, Fertilität und Migration. Die Autoren benennen auch die grundlegenden Schwächen dieser Methode. Erstens beruhen die Variablen auf Annahmen, die sich keineswegs immer bewahrheiten. Zweitens sind die Variablen ihrerseits von zahlreichen Variablen abhängig, teils von solchen, die sich nicht sinnvoll messen oder abschätzen lassen, wie z.B. die Mortalität (Todesrate) bei unvorhersehbaren Ereignissen wie Naturkatastrophen, in Kriegen usw. Es wird deutlich, dass die Präzision von Vorhersagen mit zunehmender Anzahl von Variablen und zunehmender Länge der Zukunftszeiträume stark abnimmt. Insbesondere Projektionen, die über einen Zeitraum von 30 bis 40 Jahren hinausgehen, sind mit starker Unsicherheit behaftet, da sie auf Annahmen beruhen, die sich auf meist noch nicht geborene Menschen beziehen. Dies ist im Rahmen der vorliegenden Dokumentation besonders relevant, da Afrika, wie oben erläutert, so heterogen ist, was eine enorme Vielfalt potenzieller Variablen ins Spiel bringt. Entsprechend muss jede Aussage über die „zukünftige Bevölkerungsentwicklung Afrikas“ mit besonderer Vorsicht genossen werden. Vielmehr gibt es Stimmen aus der Wissenschaft, die die vorhergesagte „Überbevölkerung“2 kritisieren und versuchen, nachzuweisen, dass das gegenwärtige Wachstum der Weltbevölkerung viel früher stagnieren und sich umkehren wird, als von z.B. den VN prognostiziert.3 Dies schließt nicht aus, dass diejenigen, die von einer zukünftig schnelleren Abnahme ausgehen, Unrecht haben , wofür aber diverse Bedingungen erfüllt werden müssen (s.u.). Die Frage, welche Sichtweise korrekt ist, kann im Rahmen dieser Dokumentation nicht beantwortet werden. 3. Demografie afrikanischer Staaten Die Vereinten Nationen veröffentlichen auf der Webseite „World Population Prospects“ jährlich die aktuellen demografischen Projektionen für alle Länder. Die Projektionen gehen dabei bis in das Jahr 2095.4 2 Dieser Begriff ist sehr problematisch, da gar nicht sicher ist, ab welcher Bevölkerung bzw. Bevölkerungsdichte ein „Zuviel“ erreicht ist. Gerade im Hinblick auf Afrika ist es so, dass die meisten dortigen Staaten eine sehr viel geringere Bevölkerungsdichte aufweisen als Europa (vgl. Jack A. Goldstrom, Anm. 7). 3 So z.B. Darrell Bricker, der von einer schrumpfenden Weltbevölkerung ab ca. 2070 ausgeht. Siehe Hilmar Schmundt, Leerer Planet, Der Spiegel am 18. Mai 2019. Bricker erwähnt ausdrücklich Nigeria und Äthiopien als Beispiele für Länder, in denen die Fertilität sehr viel rascher sinke als von den VN vor wenigen Jahren vorhergesagt . 4 United Nations, World Population Prospects 2017, https://population.un.org/wpp/Maps/ (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2019). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 059/19 Seite 6 Bezogen auf Afrika erkennt man, dass laut VN - die Lebenserwartung in den Ländern Afrikas südlich der Sahara sowohl bei Männern als auch Frauen von allen Regionen der Welt am geringsten ist, - die Fertilitätsrate5 in den meisten Ländern Subsahara-Afrikas (mit Ausnahme des südlichen Afrikas) höher ist als im globalen Durchschnitt (und in Niger mit fast sieben Kindern pro Frau selbst für Afrika außergewöhnlich hoch), - die Fertilitätsraten in Afrika in den nächsten Jahren voraussichtlich deutlich sinken werden, aber langsamer als im Rest der Welt,6 - der Anstieg der Lebenserwartung in den nächsten Jahrzehnten deutlich langsamer voranschreitet als in anderen Regionen, - die relativ hohe Fertilität in vielen afrikanischen Staaten gepaart mit fallender Mortalität zu einer Bevölkerungszahl Afrikas von ca. 2,5 Mrd. im Jahre 2050 und 4,5 Mrd. im Jahre 2100 führen wird, sofern der Ist-Zustand in die Zukunft fortgeschrieben wird und - die afrikanischen Länder sich teils stark unterscheiden. Insbesondere die Maghreb- Region, das südliche Afrika (Südafrika, Botswana, Namibia) sowie Ruanda, Kenia und Äthiopien haben bereits jetzt eine deutlich geringere Fertilität bei ansteigender Lebenserwartung als andere afrikanische Staaten. Die grundlegenden Entwicklungen der Demographie Afrikas und ihre möglichen Gründe beschreibt Jack A. Goldstrom in „Africa 2050: Demographic Truth and Consequences“, einem Artikel für die Hoover Institution der Stanford University vom Januar 2019.7 Auch er beginnt mit der Aussage, dass die Variation zwischen den Staaten Afrikas zu groß sei, um klare Aussagen über den gesamten Kontinent treffen zu können. Goldstrom kommt zu dem Schluss, dass die Bevölkerung Afrikas bis Mitte des 21. Jahrhunderts auf mindestens (d.h. auch, wenn die Fertilität in den nächsten Jahren deutlich absänke) 2,3 Mrd. Menschen anwachsen wird, da alle Frauen, die bis 2030 Kinder bekommen werden, bereits geboren sind. Überdies erläutert Goldstrom, wie sich Subsahara-Afrika von anderen Regionen der Welt im Hinblick auf Fertilität und Wachstum unterscheidet. 5 D.h. die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau. 6 Dies wird auch von anderen Studien belegt, so z.B. David Shapiro und Andrew Hide, On the pace of fertility decline in sub-Saharan Africa, Demographic Research, 24. Oktober 2017, https://www.demographic-research .org/volumes/vol37/40/37-40.pdf (zuletzt abgerufen am 29. Mai 2019). Die Quelle ist allerdings rein deskriptiv und liefert keine Erklärungsmodelle für die Untersuchungsergebnisse. 7 Jack A. Goldstrom, Africa 2050: Demographic Truth and Consequences, Hoover Institution am 14. Januar 2019, https://www.hoover.org/research/africa-2050-demographic-truth-and-consequences (zuletzt abgerufen am 3. Juni 2019). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 059/19 Seite 7 Ebenso erläutert Goldstrom einige Probleme, die sich aus dem Bevölkerungswachstum ergeben könnten, nämlich - Landflucht und damit verbunden ein Anwachsen von Slums in den Städten, deren Infrastrukturinvestitionen mit dem schnellen Zuzug so vieler Menschen nicht mithalten, - Eine sehr große Zahl junger, arbeitsfähiger Menschen ohne Schul- oder Berufsausbildung, - Intensivierung von bestehenden Konflikten, unter anderem durch die Verfügbarkeit vieler junger, unterbeschäftigter und kampffähiger Menschen, und eine starke Tendenz zu autokratischen Systemen anstatt Demokratisierung.8 Darüber hinaus macht Goldstrom Vorschläge, welche Konsequenzen aus den demografischen Entwicklungen Subsahara-Afrikas zu ziehen seien, sowohl für die Staaten selbst als auch für die Industriestaaten. Er rät zu folgenden Anstrengungen: - die Fertilität in den subsaharischen Staaten deutlich zu senken, um höhere Pro-Kopf-Einkommen zu erreichen, und zwar vornehmlich durch - hohe Investitionen in den Bereich Bildung, vor allem von Mädchen und Frauen, sowie dazu, - Strukturen zu schaffen, die im Krisenfall schnelle humanitäre Hilfe leisten können und - Korruption, Misswirtschaft und Menschenrechtsverletzungen zu bekämpfen und stabile Demokratien zu fördern, und darüber hinaus - die Wirtschaft (inklusive Landwirtschaft) zu modernisieren und ihre Produktivität zu erhöhen . 8 Goldstrom verweist auf Studien, die belegen, dass nahezu jede Gesellschaft mit sehr vielen jungen Menschen zur politischen Instabilität neigt. Erreicht das Median-Alter einer Gesellschaft den Wert von 35 Jahren, liegt demzufolge die Wahrscheinlichkeit, dass eine Demokratie politisch stabil bleibt, bei 80 Prozent. Die meisten subsaharischen Staaten haben jedoch bis auf Weiteres ein weitaus geringeres Median-Alter ihrer Populationen. Hier ist jedoch auch die gerechte Verteilung von Ressourcen und Einkommen ein sehr wichtiger Faktor. Empfundene bzw. tatsächliche Ungerechtigkeit in Kombination mit einem sehr hohen Anteil junger Menschen führt mit höherer Wahrscheinlichkeit zu politischer Instabilität und als Reaktion darauf oft zu Autokratie. Goldstrom verweist hier auf die demografisch jungen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, die trotz wirtschaftlichen Wachstums in den letzten Jahrzehnten zahlreiche innere Konflikte erleben und sich generell eher von der Demokratie fort- anstatt darauf hinentwickeln. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 059/19 Seite 8 4. Faktoren der demografischen Entwicklungen afrikanischer Staaten In den meisten Staaten Afrikas südlich der Sahara nimmt die Bevölkerungswachstumsrate deutlich langsamer ab als in anderen Weltregionen. Hierfür gibt es verschiedene Gründe. Diese werden von dem im Folgenden genannten Quellen erläutert. 4.1. Einkommen, Bildung und Arbeit In zahlreichen Quellen wird darauf verwiesen, dass die Bevölkerungswachstumsraten Afrikas sich deutlich von allen anderen Weltregionen unterscheiden. Dies korreliert mit der Tatsache, dass die Realeinkommen sich in den meisten Staaten Afrikas südlich der Sahara seit den 1970er Jahren – anders als in Asien und Lateinamerika – ebenfalls nur geringfügig oder gar nicht erhöht haben.9 Es liegt daher nahe, einen Zusammenhang zu vermuten. Tatsächlich besteht dieser direkte Zusammenhang laut Goldstroms Darlegungen in „Africa 2050: Demographic Truth and Consequences“ (s.o.) für die meisten Staaten Subsahara-Afrikas aber nicht. Er zitiert mehrere Untersuchungen, die darlegen, dass der Effekt einer Einkommenserhöhung auf die Kinderzahl und die Länge der Gebärintervalle einer Frau in den meisten Subsahara-Staaten kaum signifikant ist. Dies unterscheidet diese Staaten von fast allen anderen Entwicklungsländern . Dort führt ein höheres Familieneinkommen in der Regel zu deutlich weniger Kindern pro Frau sowie zu größeren Zeitabständen zwischen den Geburten der Kinder. Allerdings hat ein höheres Einkommen dann einen Effekt, wenn es sich in besserer Bildung der Frauen niederschlägt. Hier unterscheidet sich Subsahara-Afrika nicht von anderen Regionen. Ein höherer Bildungsstand einer Frau bedeutet auch dort in der Regel eine geringere Kinderzahl und ist dort tatsächlich der wichtigste Faktor überhaupt, der zu einer geringeren Fertilität führt. Dies liegt daran, dass gebildetere Menschen über mehr Wissen über Verhütung, Familienplanung und deren ökonomischen Nutzen verfügen. Das Problem ist, dass in Subsahara-Afrika nur 24 Prozent aller Frauen einen formellen Bildungsabschluss haben. In einem weiteren Punkt unterscheidet sich Subsahara-Afrika jedoch wieder stark von anderen Regionen: die Berufstätigkeit von Frauen hat nur einen geringen Einfluss auf ihre Kinderzahl. Dies kann mit kulturellen Faktoren erklärt werden. Traditionell sind es in Agrargemeinschaften Subsahara-Afrikas – anders als in Nordafrika, Europa und Asien – die Frauen, die die Feldarbeit betreiben. Dies macht es notwendig, dass Kinder von anderen, meist Verwandten oder Nachbarn, betreut werden. Hierdurch hat sich ein starkes kulturelles Muster entwickelt, das Frauenarbeit und Kinderbetreuung entkoppelt, bzw. zu einer sehr guten Vereinbarkeit von Arbeit und Mutterschaft führt. Solange Mütter auf ein großes Netzwerk von Verwandten und Bekannten zurückgreifen können, das sich um ihre Kinder kümmert, wenn sie arbeiten, besteht allein durch die Arbeit kein Anreiz, weniger Kinder zu bekommen, zumal in traditionellen, dörflichen Gemeinschaften von den Kindern schon früh die Mithilfe auf dem Feld erwartet wird. Kurzgesagt, stellt sich in Subsahara-Afrika die Frage nach der Vereinbarkeit von Kindern und Beruf nicht. 9 John Bongaarts, Africa’s Unique Fertility Transition, Population and Development Review, vol. 43, 2017, S. 40. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 059/19 Seite 9 Diese Faktoren, zusammen betrachtet, lassen die Schlussfolgerung zu, dass in erster Linie eine Erhöhung des Bildungsgrades, insbesondere von Frauen, für eine Senkung der Fertilität subsaharischer Staaten sorgen kann. Wegen des bislang so geringen Anteils formell gebildeter Frauen und Mädchen gibt es hier auch ein sehr großes Potenzial. 4.2. Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Gesundheit Diese Tatsache und ihre Folgen sowie mögliche Konsequenzen für die Entwicklungspolitik stellt die Studie „Youth Can!“ der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung aus dem Jahre 2018 dar.10 Die Studie behandelt primär die Aspekte sexuelle Gesundheit und Aufklärung, doch erörtert sie anhand dieser Themen auch den erheblichen youth bulge (s.u., Abschnitt 5.2) fast aller afrikanischen Länder und seine Folgen, wie eine generell hohe Jugendarbeitslosigkeit, Kinderarmut und oft mangelhafte Bildung. Sexuelle Aufklärung, insbesondere über Verhütung, könne laut der Studie zu einer Senkung des Bevölkerungswachstums beitragen. Dies wiederum kann erhebliche entwicklungspolitische Vorteile bringen (s.u., Abschnitt 5.1). Tatsächlich ist das Wissen über Verhütung in vielen afrikanischen Staaten – vor allem in ländlichen Räumen – oft nur mangelhaft, oder aber es ist vorhanden, nicht jedoch die Möglichkeit, sichere Verhütungsmittel zu erhalten. Hier ist wiederum vor allem die Bildung von Mädchen und Frauen über sexuelle Gesundheit, Verhütung und Familienplanung ein Schlüsselelement, ebenso aber auch die generelle Bildung und die ‚Ermächtigung‘ (empowerment) von Mädchen und Frauen. Die Studie weist nach, wie verbesserte Eigenständigkeit - durch höhere Bildung, aber auch Berufstätigkeit - von Frauen zu einer Senkung ihrer Fertilität führt, indem sie die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen in ihrer Ehe vermehrt eigene Entscheidungen treffen, erhöht. 4.3. Religion und Kultur In der Studie „Religion and Reproductive Behavior in Sub-Saharan Africa“ der amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID gehen die Autoren Charles F. Westhoff und Kristin Bietsch der Frage nach, inwieweit Religion ein Faktor für Fertilitätsraten in 28 Staaten Subsahara-Afrikas ist.11 Sie kommen zu dem Schluss, dass Muslime in diesen Ländern meist – aber nicht immer – eine höhere Fertilitätsrate haben als Christen. Zwischen Katholiken und Angehörigen anderer christlicher Konfessionen gibt es trotz der offiziellen Lehre der katholischen Kirche in Bezug auf Verhütung in keinem der untersuchten Länder signifikante Unterschiede. Die Autoren ziehen folgende Schlüsse: - die Zahl der verheirateten muslimischen Frauen ist höher als die der nichtmuslimischen. - Mit der Ausnahme Ugandas und Malis haben muslimische Frauen einen durchschnittlich geringeren Bildungsgrad. 10 Deutsche Stiftung Weltbevölkerung, Youth Can! – Warum sich Deutschland für eine aufgeklärte und gesunde Jugend in Afrika engagieren sollte 11 Charles F. Westhoff und Kristin Bietsch, Religion and Reproductive Behavior in Sub-Saharan Africa, USAID, Februar 2015, https://dhsprogram.com/pubs/pdf/AS48/AS48.pdf (zuletzt abgerufen am 6. Juni 2019). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 059/19 Seite 10 - In einigen der untersuchten Staaten leben Muslime in den am wenigsten entwickelten und ärmsten Landesteilen. - In 15 der 28 untersuchten Staaten wünschen sich muslimische Frauen mehr Kinder als nichtmuslimische. - Polygamie scheint kein sehr signifikanter Faktor zu sein, da sie in den untersuchten Staaten auch bei Nichtmuslimen relativ häufig vorkommt. - Muslimische Frauen heiraten durchschnittlich früher als nichtmuslimische Frauen. - Dies geht einher mit durchschnittlich weniger Jahren, die muslimische Mädchen zur Schule gehen.12 Dies ist der statistisch signifikanteste Faktor für die durchschnittlich höheren Fertilitätsraten muslimischer Frauen in Subsahara-Afrika. - Höhere Bildung senkt auch bei muslimischen Frauen die Fertilitätsraten signifikant. Hierbei gilt aber zu beachten, dass der Islam keine einheitliche und homogene Religion ist und womöglich spezifische, lokale, kulturelle Muster ebenso ein gewichtiger Faktor sind. Dies lässt sich auch daran zeigen, dass die Fertilitätsraten in den fast ausschließlich muslimischen Staaten des Maghreb deutlich geringer sind als in den Staaten Subsahara-Afrikas. In den nordafrikanischen Staaten ist die Religion also entweder kein bestimmender Faktor, oder die lokalspezifischen Ausprägungen des Islam bzw. die lokalen Kulturen stehen Verhütung, Geburtenkontrolle und Familienplanung ganz anders gegenüber als die in den Ländern südlich der Sahara. Dafür spricht auch, dass in den meisten nichtafrikanischen muslimischen Staaten ebenfalls die Geburtenraten sinken. „Der“ Islam kann also nicht der einzige Faktor sein. Dies legt auch die Studie selbst nahe, da sie zeigt, dass sich auch sehr stark muslimisch geprägte subsaharische Staaten Afrikas deutlich voneinander unterscheiden – so sinkt die Fertilitätsrate in Senegal (95 Prozent Muslime), während sie in Niger (99 Prozent Muslime) ansteigt, wobei Niger (siehe World Populations Prospect der VN) generell einen Extremfall im Hinblick auf die Bevölkerungsentwicklung darstellt. Zudem erläutert die Studie, dass die höheren gewünschten Kinderzahlen bei den muslimischen Frauen in 15 der untersuchten Staaten sich beim Blick auf muslimische Frauen in anderen Weltregionen, z.B. in Asien, nicht zeigen. Die Autoren kommen daher zu dem Schluss, dass es in den meisten der untersuchten Staaten zwar eine Korrelation zwischen Religionszugehörigkeit und Fertilität gebe, diese aber nicht intrinsisch islamisch sei, sondern vielmehr aus einem komplexen Zusammenspiel religiöser, ökonomischer, sozialer und kultureller Faktoren entstehe. Gleichzeitig sei das „Gegenmittel“ zu hohen Fertilitätsraten ungeachtet der Religion immer dasselbe , nämlich die Verbesserung der Bildung von Mädchen und Frauen. 12 Mit Ausnahme von Mali, wo der Bildungsgrad von Frauen insgesamt relativ hoch ist (über 75 Prozent) und der von Muslimas höher als der von Nicht-Muslimas (78 Prozent gegenüber 76 Prozent). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 059/19 Seite 11 5. Mögliche Potenziale und Konsequenzen von Bevölkerungswachstum und -abnahme Die Konsequenzen demografischer Entwicklungen sind nur schwer absehbar, da sie von zahlreichen Faktoren abhängen. Einige der möglichen negativen Folgen wurden bereits in Abschnitt 3 erläutert. Im Folgenden einige grundsätzliche Erörterungen zu den ökonomischen Potenzialen und Herausforderungen, die sich aus demografischen Entwicklungen ergeben können. 5.1. Demografische Dividende Grundsätzlich akzeptiert ist das Potenzial positiver ökonomischer Auswirkungen eines Bevölkerungswachstums in den Kohorten der arbeitsfähigen Bevölkerung mit anschließender Bevölkerungsabnahme , die sogenannte demografische Dividende, wie sie in David Anthony, Danzhen You, Lucia Hug, Jan Beise, Yoonie Choi, Sinae Lee und Anastasia Mshvidobadze im Bericht „Generation 2030 – Africa 2.0“ für das VN-Kinderhilfswerk UNICEF auf den Seiten 4 - 5 erläutert wird.13 Die demografische Dividende lässt sich folgendermaßen erklären: Durch einen hohen Prozentsatz arbeitender Menschen in der Bevölkerung wächst das ökonomische Potenzial jedes Staates, das Einkommen der Bevölkerung erhöht sich. Bekommen diese arbeitenden Kohorten dann weniger Kinder als ihre Eltern, bleibt ihnen nach (finanzieller) Befriedigung der Grundbedürfnisse mehr Einkommen aus ihrer Arbeit. Dieses zusätzliche Einkommen kann dann investiert werden, bzw. dient bei rein konsumptiven Ausgaben zumindest der Erhöhung der Einkommen der konsumgüterproduzierenden Industrien. Für den Staat erhöht sich das Steuereinkommen. Bürger, Wirtschaft und Staat können Gelder investieren, was im Idealfall wiederum für höhere Einkommen, bessere Infrastruktur, Gesundheit und einen noch höheren Lebensstandard sorgt. Das Problem ist, dass für die Realisierung der demografischen Dividende bestimmte Voraussetzungen vorliegen müssen: Dies ist allen voran ein Arbeitsmarkt, der möglichst vielen arbeitsfähigen Menschen eine bezahlte Arbeit zur Verfügung stellen kann. In Bezug auf Afrika zeigt „Generation 2030 – Africa 2.0“, dass bzw. wie sich die afrikanischen Staaten deutlich voneinander unterscheiden, was ihr Potenzial zur Realisierung einer demografischen Dividende anbelangt. Tatsächlich sind in den meisten afrikanischen Staaten gerade junge Menschen unteroder unbeschäftigt bzw. arbeiten im informellen Sektor, wobei in einigen Staaten, insbesondere den sehr armen, auch Kinderarbeit oft vorkommt.14 Grundsätzlich verfügen alle afrikanischen Länder über einen hohen Anteil arbeitsfähiger Menschen. Fast keines der afrikanischen Länder hat aber einen offiziellen (d.h. gesetzlich regulierten und versteuerten) Arbeitsmarkt, der allen diesen Menschen eine Arbeitsstelle bieten kann. Zwar arbeiten die meisten arbeitsfähigen Menschen, doch sind sie oft im informellen Sektor tätig, verrichten Gelegenheitsarbeiten, betreiben Subsistenzwirtschaft oder sind unterhalb 13 David Anthony, Danzhen You, Lucia Hug, Jan Beise, Yoonie Choi, Sinae Lee und Anastasia Mshvidobadze, Generation 2030 – Africa 2.0, UNICEF, Oktober 2017, https://www.unicef.org/publications/files/Generation _2030_Africa_2.0.pdf (zuletzt abgerufen am 21. Mai 2019). 14 Siehe dazu auch das Factsheet der African Development Bank, Jobs for Youth in Africa – Catalyzing youth opportunity across Africa, März 2016, https://www.afdb.org/fileadmin/uploads/afdb/Images/high_5s/Job_youth _Africa_Job_youth_Africa.pdf (zuletzt abgerufen am 29. Mai 2019). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 059/19 Seite 12 ihrer Qualifikation beschäftigt. Die Potenziale der arbeitsfähigen Bevölkerung werden also nicht ausgeschöpft, was selbst dann, wenn die nachfolgenden Kohorten zahlenmäßig geringer ausfallen, die Realisierung der demografischen Dividende verhindert. Dazu müssten geregelte Arbeitsplätze vor allem im formellen Sektor geschaffen werden. Dies hängt wiederum von diversen Faktoren ab, wie Rohstoffvorkommen, Bildungsgrad, Investitionen aus dem In- und Ausland, Infrastruktur, Rechtssicherheit, wirtschaftsfreundliche Gesetze, Korruptionsbekämpfung usw. Nimmt man die demografischen Daten und Projektionen der VN als Grundlage, so haben in Afrika vor allem die Maghreb-Staaten, Gabun, Ruanda, Äthiopien, Kenia, Südafrika, Namibia, Simbabwe, Botswana und Sambia das Potenzial, in den nächsten Jahrzehnten eine demografische Dividende zu realisieren. 5.2. Youth bulge Die meisten afrikanischen Staaten sind von einer möglichen demografischen Dividende jedoch weit entfernt, da ihre Bevölkerungen bislang keineswegs abnehmen, sondern eher zunehmen. In den meisten afrikanischen Ländern ist jede neue Kohorte zahlenmäßig größer als die vorhergehende und ein sehr großer Teil der Gesamtbevölkerung ist jung (der sogenannte youth bulge). Diese Tatsache und ihre Folgen für die Entwicklung der betreffenden Staaten stellt die Studie „Africa’s Demographic Challenges“ von Lilli Sippel, Tanja Kiziak, Franziska Woellert und Reiner Klingholz für das Berlin Institute for Population and Development aus dem Jahre 2011 dar.15 Die Studie weist nach, dass und warum ein sehr hoher Anteil von Kindern und Jugendlichen die Entwicklung eines Staates hemmen kann, aber auch, dass und wie ein youth bulge entwicklungspolitisches Potenzial birgt. 5.3. Bevölkerungsentwicklung und Migrationsverhalten Kann die demografische Dividende nicht realisiert werden, kann eine wachsende Bevölkerung negative Folgen haben. Der Ressourcen- und Flächenverbrauch steigt immer weiter, gleichzeitig sinken – jedenfalls, wenn der Arbeitsmarkt nicht mitwächst – die Einkommen für große Teile der Bevölkerung, da der Anteil arbeitender und damit ein Einkommen erzielender Menschen an der Gesamtbevölkerung sinkt. Die Folgen können Verarmung, Landflucht, Verschärfung ethnischer, politischer und sozialer Spannungen sowie der Ausbruch von Konflikten und als Reaktion darauf die Etablierung fragiler, aber autokratischer Staatsformen sein.16 Diese wiederum können dann zu Push-Faktoren für Emigration werden. Die Möglichkeit der überregionalen Migration (z.B. von einem afrikanischen Land in ein europäisches), steht indes hauptsächlich den Mitgliedern der Mittelschicht offen. Die Ärmsten verfügen schlicht nicht über das Wissen, die Einkommen und Ersparnisse, die für eine erfolgreiche Auswanderung nötig sind. Zahlreiche wissenschaftliche 15 Lilli Sippel, Tanja Kiziak, Franziska Woellert und Reiner Klingholz, Africa’s Demographic Challenges, Berlin Institute for Population and Development, 2011, https://www.berlin-institut.org/fileadmin/user_upload/Afrika /Africas_demographic_challenges.pdf (zuletzt abgerufen am 6. Juni 2019). 16 Vgl. dazu die Ausführungen zu Goldstrom in Abschnitt 3. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 059/19 Seite 13 Untersuchungen belegen, dass die Emigration aus Ländern mit im globalen Vergleich mittleren Einkommen am höchsten ist und sich erst mit Überschreiten der Schwelle zum Hochlohnland wieder deutlich vermindert.17 Weil die Möglichkeit der Emigration in erster Linie den wohlhabenderen Menschen offensteht, ist aber wiederum auch eine Abnahme der Bevölkerung und eine Realisierung der demografischen Dividende ein möglicher Faktor für die Zunahme der Abwanderung. Tatsächlich weist die Empirie den Zusammenhang steigender Einkommen mit der Bereitschaft, ins Ausland auszuwandern, nach.18 Eine Erhöhung des Wohlstandes in den subsaharischen Staaten würde allen Untersuchungen zufolge mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einem Anstieg der Migration nach Europa19 führen als eine Abnahme des Wohlstandes (z.B. durch Naturkatastrophen, Konflikt oder eben Bevölkerungswachstum ohne demografische Dividende). In jedem Fall ist das Pro- Kopf-Einkommen der entscheidende Faktor. Ein direkter Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung und Migration lässt sich somit nicht herstellen. Entscheidend ist, wie sehr sich die demografische Entwicklung auf die Einkommen der Bürger auswirkt, und dies ist wiederum von einer Vielzahl politischer und sozialer Faktoren abhängig. Unter Umständen könnten die Bevölkerungsentwicklung Afrikas und Migration aus Afrika zukünftig in einem Punkte direkt zusammenhängen: wegen des großen youth bulge werden die meisten afrikanischen Länder in den kommenden Jahrzehnten über sehr viele arbeitsfähige junge Menschen verfügen, während die meisten Industrieländer aufgrund ihrer stark alternden Bevölkerungen diesbezüglich einen Mangel erleiden werden. In diesem Zusammenhang könnte ein Anreiz zur Aus- bzw. Einwanderung sowohl für junge Afrikanerinnen und Afrikaner als auch für die Industrieländer entstehen. Allerdings wären dafür enorme Anstrengungen für eine Verbesserung der schulischen, beruflichen und akademischen Bildung junger Menschen in Afrika notwendig. Goldstrom weist darauf hin, dass die Migration aus Subsahara-Afrika nach Europa bislang und auch in Zukunft, d.h. unter Einbeziehung der demografischen Projektionen, im Vergleich zur Migration aus anderen Regionen recht gering ausfällt bzw. ausfallen wird. Er beziffert sie selbst bei einer Verdoppelung auf weniger als 600.000 Personen pro Jahr. Allerdings könnte sich diese Schätzung deutlich erhöhen, wenn es z.B. zu Kriegen oder Katastrophen in Folge der globalen Klimakrise käme. 17 Vgl. Michael A. Clemens, Does Development Reduce Migration?, IZA Discussion Papers, No. 8592, S.5-11, Oktober 2014, https://www.econstor.eu/bitstream/10419/106535/1/dp8592.pdf (zuletzt abgerufen am 5. Juni 2019). 18 Ebd. 19 Bzw. in andere wohlhabendere Regionen. Es wird in Europa in der öffentlichen Debatte oft vergessen, dass das Ziel vieler Migranten aus Subsahara-Afrika, insbesondere aus Nigeria, Nordamerika ist. Desweiteren existiert mittlerweile auch in China eine Community vor allem westafrikanischer Migranten. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 059/19 Seite 14 6. Möglichkeiten der Beeinflussung der demografischen Entwicklung Für die Steigerung der Bevölkerungszahl gibt es im Wesentlichen zwei Wege: Erhöhung der Geburtenrate und Erhöhung der Immigration. Letztere ist in der Regel einfacher zu bewerkstelligen, erstere ist selbst durch hohe finanzielle und andere Anreize (Direkttransfers wie Kindergeld und Mütterrente, Steuervorteile wie Kinderfreibeträge, Möglichkeit des Mutterschutzes und der Elternzeit usw.) staatlicherseits oft nur schwer erreichbar, wobei die Gründe dafür nicht leicht zu ermitteln sind. Man vergleiche nur die niedrigen Geburtenraten in Deutschland (wo es zahlreiche staatliche Anreize zur Gründung einer Familie gibt) mit den hohen Geburtenraten der USA (wo staatliche Anreize weitgehend fehlen). Hier spielen oft kulturelle Gründe und Mentalitätsunterschiede eine Rolle (z.B. haben katholisch geprägte Gegenden in Deutschland höhere Geburtenraten als evangelische oder weitgehend religionslose Regionen; in den USA herrschen andere Vorstellungen von der Rolle des Staates und seinem Verhältnis zur Lebensplanung des Individuums vor). Diese lassen sich nicht einfach ändern. In Bezug auf Entwicklungsländer wird jedoch in aller Regel die Senkung der Wachstumsraten der Bevölkerung diskutiert. Dabei zeigt sich in der Forschung ein weitgehender Konsens darüber, was bereits oben mehrfach erläutert wurde: dass die effektivste und nachhaltigste Methode zur Senkung der Fertilität die Mädchen- und Frauenbildung ist. Hierin stimmen auch alle in dieser Dokumentation genannten Hauptquellen überein. Für nahezu jedes Land lässt sich belegen, dass gebildetere Frauen über mehr Wissen über Familienplanung verfügen und dieses dazu nutzen, weniger Kinder zu bekommen. In vielen sehr armen Staaten und auch in armen Regionen reicherer Länder sind Schwangerschaft und Geburt immer noch ein erhebliches Risiko für die Mutter. Bessere Gesundheitsversorgung kann zwar Mütterund Säuglingssterblichkeit senken, doch ist bessere Bildung von Frauen der Grund dafür, dass es gar nicht erst zu ungewollten Schwangerschaften kommt. Der Effekt der Bildung einer Frau auf die Zahl ihrer Kinder lässt sich auch in den hochentwickelten Staaten noch gut nachweisen; auch in Deutschland bekommen Akademikerinnen durchschnittlich weniger Kinder als weniger gut ausgebildete Frauen. Jack A. Goldstrom und andere in dieser Dokumentation erwähnte Autoren stimmen darin überein, dass zwecks Bewältigung der durch die demografischen Entwicklungen der afrikanischen Staaten anstehenden Herausforderungen die schulische und berufliche Bildung , insbesondere von Mädchen und Frauen, das Schlüsselelement ist. Bildung senkt nicht nur die Fertilität, sondern ist die Voraussetzung dafür, dass das ökonomische Potenzial des mindestens bis 2050 anhaltenden Bevölkerungswachstums Afrikas genutzt werden kann. 7. Hauptquellen auf einen Blick 1) Brian C. O'Neill, Deborah Balk, Melanie Brickman und Markos Ezra, A Guide to Global Population Projections, Max-Planck-Institut für demografische Forschung (Rostock), 2001, https://www.demographic-research.org/volumes/vol4/8/4-8.pdf (zuletzt abgerufen am 20. Mai 2019). 2) United Nations, World Population Prospects 2017, https://population.un.org/wpp/Maps/ (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2019). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 059/19 Seite 15 3) Jack A. Goldstrom, Africa 2050: Demographic Truth and Consequences, Hoover Institution, 14. Januar 2019, https://www.hoover.org/research/africa-2050-demographictruth -and-consequences (zuletzt abgerufen am 3. Juni 2019). 4) Deutsche Stiftung Weltbevölkerung, Youth Can! – Warum sich Deutschland für eine aufgeklärte und gesunde Jugend in Afrika engagieren sollte, Februar 2018, https://www.dsw.org/wp-content/uploads/2018/02/BI-Studie_Youth-Can_2018_web.pdf (zuletzt abgerufen am 7. Juni 2019). 5) Charles F. Westhoff und Kristin Bietsch, Religion and Reproductive Behavior in Sub- Saharan Africa, USAID, Februar 2015, https://dhsprogram.com/pubs/pdf/AS48/AS48.pdf (zuletzt abgerufen am 6. Juni 2019). 6) David Anthony, Danzhen You, Lucia Hug, Jan Beise, Yoonie Choi, Sinae Lee und Anastasia Mshvidobadze, Generation 2030 – Africa 2.0, UNICEF, Oktober 2017, https://www.unicef.org/publications/files/Generation_2030_Africa_2.0.pdf (zuletzt abgerufen am 21. Mai 2019). 7) Lilli Sippel, Tanja Kiziak, Franziska Woellert und Reiner Klingholz, Africa’s Demographic Challenges, Berlin Institute for Population and Development, 2011, https://www.berlininstitut .org/fileadmin/user_upload/Afrika/Africas_demographic_challenges.pdf (zuletzt abgerufen am 6. Juni 2019). 8) Michael A. Clemens, Does Development Reduce Migration?, IZA Discussion Papers, No. 8592, Oktober 2014, https://www.econstor.eu/bitstream/10419/106535/1/dp8592.pdf (zuletzt abgerufen am 5. Juni 2019). ***