© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3010 - 059/15 Zur Staateninsolvenz: Begriff, Rechtsfolgen, Beispiele, Kodifizierungsbestrebungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 2 Zur Staateninsolvenz: Begriff, Rechtsfolgen, Beispiele, Kodifizierungsbestrebungen Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 - 3010 - 059/15 Abschluss der Arbeit: 16. März 2015 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Der völkerrechtliche Begriff der Staateninsolvenz 4 3. Völkerrechtliche Folgen der Staateninsolvenz 6 3.1. Allgemeine Grundsätze 6 3.2. Menschenrechtliche Pflichten der Schuldner- und Gläubigerstaaten 8 3.3. Staateninsolvenz, Staatsnotstand und Staatenverantwortung 9 3.4. Internationaler Währungsfonds 10 3.5. Staatliche Gläubiger / Club von Paris 11 3.6. Private Gläubiger / Club von London 11 4. Zeitgeschichtliche Beispiele der Bewältigung von Staateninsolvenzen 12 4.1. Argentinien 13 4.2. Russland 15 4.3. Türkei 16 4.4. HIPC-Initiative 17 4.5. Insolvenzen US-amerikanischer Bundesstaaten 18 5. Kodifizierungsbestrebungen 18 5.1. Institutionelle und verfahrenstechnische Anforderungen an eine Insolvenzordnung für Staaten 18 5.2. Inhaltliche Anforderungen an eine Insolvenzordnung für Staaten 20 5.2.1. Leitprinzipien für die Vereinbarung einer Insolvenzordnung für Staaten 20 5.2.2. Einbeziehung und Rangfolge von Forderungen 21 5.2.3. Zum Haftungsumfang insolventer Staaten 21 6. Zusammenfassung 23 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 4 1. Einführung Die episodische Zahlungsunfähigkeit souveräner Staaten ist keine moderne Entwicklung. Historisch betrachtet sind wiederkehrende Zahlungskrisen eine stete Begleiterscheinung von Staatlichkeit . Die vorliegende Arbeit befasst sich vor diesem Hintergrund mit Staateninsolvenzen. Entsprechend dem Auftrag, der dem vorliegenden Sachstand zugrunde liegt, werden nachfolgend zunächst Begriff und Rechtsfolgen der Staateninsolvenz aus völkerrechtlicher Sicht erörtert. In einem weiteren Schritt werden Beispiele der Bewältigung von staatlichen Zahlungskrisen in den letzten Jahrzehnten dargestellt. Der Sachstand schließt mit einem kurzen Überblick über Vorschläge zur Entwicklung einer völkerrechtlichen Insolvenzordnung für Staaten, die in der aktuellen Fachliteratur diskutiert werden.1 2. Der völkerrechtliche Begriff der Staateninsolvenz Der Begriff des Staatenbankrotts2 bzw. der Staateninsolvenz ist aus völkerrechtsdogmatischer Sicht kein gefestigter Rechtsbegriff mit präzise umrissenen Voraussetzungen.3 Sachverhalte, die als Staateninsolvenz bezeichnet werden, zeichnen sich auf tatsächlicher Ebene durch folgende Kennzeichen aus: Kein Kreditgeber ist mehr bereit, einem Staat finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Der betroffene Staat kann fällige Forderungen faktisch nicht begleichen, und stellt seine Zahlungen ein. Dazu ist es nicht immer erforderlich, dass objektiv keine wirtschaftliche Möglichkeit von Zahlungen besteht, vielmehr zählen hierzu bereits auch Sachverhalte , in denen subjektiv für den Schuldnerstaat die Grenze der Zumutbarkeit von Zahlungen erreicht ist. 1 Das vorliegende Gutachten ist die Zusammenfassung einer dreiteiligen Serie von Sachständen des Fachbereiches WD 2 im thematischen Umfeld der Staateninsolvenz. Siehe , Zur Staateninsolvenz (Teil I): Begriff und Rechtsfolgen der Staateninsolvenz, WD 2 – 3000 – 031/15 vom 23. Februar 2015, , Zur Staateninsolvenz (Teil II): Zeitgeschichtliche Beispiele der Bewältigung von Staateninsolvenzen, WD 2 – 3000 – 035/15 vom 6. März 2015 und , Zur Staateninsolvenz (Teil III): Kodifizierungsbestrebungen, WD 2 – 3000 – 036/15, 12. März 2015. 2 Vertiefend siehe Jörn Axel Kämmerer, State Bankruptcy, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law- 9780199231690-e1105 (letzter Zugriff 10.02.2015). Eine Übersicht historischer Begriffsbestimmungen gibt Antonis Malagardis, Ein „Konkursrecht“ für Staaten? Zur Regelung von Insolvenzen souveräner Schuldner in Vergangenheit und Gegenwart, Baden-Baden 1990, S. 91 ff. [BT-Bibliothek P 551810]. 3 Statt vieler: Christoph Herrmann, Staatsbankrott in der EU: Versagen, Bewährung oder Chance der europäischen Währungsverfassung?, in: Kai von Lewinski (Hrsg.), Staatsbankrott als Rechtsfrage, Baden-Baden 2011, S. 29 ff, S. 30. [BT-Bibliothek P 5135973]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 5 Der völkerrechtliche Begriff der Staateninsolvenz ist im Lichte der Souveränität der Staaten, einem zentralen Grundsatz der internationalen Ordnung, zu verstehen.4 Die souveräne Gleichheit der Staaten schlägt sich u.a. in dem Rechtsgrundsatz „par in parem non habet imperium“ (Gleiche haben über Gleiche keine Macht) nieder.5 Dementsprechend impliziert der Begriff der Staateninsolvenz keineswegs das Vorhandensein durchsetzbarer, vollstreckbarer Ansprüche von Gläubigern gegen Schuldner. Analogien zur Insolvenz natürlicher und juristischer Personen des Privatrechts sind mithin nur in engen Grenzen tragfähig; trotz ihrer scheinbaren begrifflichen Ähnlichkeit sind Privatinsolvenz und Staateninsolvenz strikt voneinander zu trennen.6 In einem engen begrifflichen Zusammenhang mit der Staateninsolvenz steht der Staatsnotstand („state of necessity“)7. So kann – unter äußerst restriktiven Voraussetzungen – der sog. Staatsnotstand auch in wirtschaftlichen Notlagen und auf Fragen der Rückzahlung von Staatsschulden Anwendung finden.8 Ein Staat, der seine Zahlungen an Gläubiger einstellt, dürfte sich in aller Regel auf Staatsnotstand berufen. Der Staatsnotstand ist in Art. 25 Artikelentwurf für die Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln9 begrifflich festgelegt, wobei der genannte Artikel Völkergewohnheitsrecht wiedergibt.10 Nach Art. 25 (bzw. Völkergewohnheitsrecht ) setzt der Staatsnotstand voraus, dass ein Staat sich zu einem Verhalten gezwungen sieht, das für ihn die einzige Möglichkeit darstellt, ein wesentliches staatliches Interesse vor einer 4 Ausführlich hierzu Samantha Besson, Sovereignty, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e1472?rskey=ajVCVo&result=2&prd=EPIL (letzter Zugriff 12.02.2015). 5 Vgl. Juliane Kokott, States, Sovereign Equality, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e1113?rskey=ajVCVo&result=1&prd=EPIL (letzter Zugriff 10.02.2015), Rz. 21. 6 Vgl. zur Diskussion von Analogien Antonis Malagardis (Fn. 2), S. 173 f. Ebenso Hanno Beck/Dirk Wentzel, Elemente einer Insolvenzordnung für Staaten, in: Orientierungen zur Wirtschafts - und Gesellschaftspolitik 131 (1/2012), S. 29 ff., S. 31. 7 August Reinisch, Sachverständigengutachten zur Frage des Bestehens und der Wirkung des völkerrechtlichen Rechtfertigungsgrundes “Staatsnotstand”, in: ZaöRV 68 (2008), 3–43, http://www.zaoerv .de/68_2008/68_2008_1_a_3_44.pdf (letzter Zugriff 11.02.2015). 8 August Reinisch (Fn. 7), Abs. 24 ff., Abs. 141. 9 Artikelentwurf der Völkerrechtskommission, Die Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln , angenommen von der Völkerrechtskommission (International Law Commission – ILC) auf ihrer 53. Sitzung (2001), bestätigt durch das Protokoll der Generalversammlung, A/56/589 Corr. 1, Deutsche Übersetzung: John Richard Eydner, http://eydner.org/dokumente/darsiwaev.PDF (letzter Zugriff 12.02.2015). Vertiefend hierzu James C. Crawford, State responsibility, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law- 9780199231690-e1093?rskey=YSAFmd&result=1&prd=EPIL (letzter Zugriff 12.02.2015). 10 Attila Tanzi, State of necessity, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e1071?rskey=eUVfhV&result=1&prd=EPIL (letzter Zugriff 12.02.2015), Rz. 9. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 6 schweren und gegenwärtigen Gefahr zu schützen.11 Zu den schützenswerten, wesentlichen Interessen zählt auch die Wahrung der Menschenrechte, einschließlich der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte der eigenen Staatsangehörigen.12 Allerdings kann ein Staat sich nicht auf Staatsnotstand berufen, wenn er zu der Notstandssituation selbst wesentlich beigetragen hat.13 3. Völkerrechtliche Folgen der Staateninsolvenz 3.1. Allgemeine Grundsätze Im Hinblick auf die Rechtsfolgen von Staateninsolvenzen lassen sich einige allgemeine Leitprinzipien erkennen. So kann zunächst einmal ein souveräner Staat nicht von außen einem Insolvenzverfahren unterworfen oder „unter Konkursverwaltung gestellt“ werden.14 Wesentliche Rechtsfolge der souveränen Gleichheit der Staaten bzw. des Grundsatzes „par in parem non habet imperium“15 ist, dass kein Staat zur Abgabe einer Bankrotterklärung völkerrechtlich verpflichtet werden kann und kein Staat einseitig erwirken kann, dass ein anderer Staat als bankrott behandelt wird. Das völkerrechtliche Verbot der Einmischung in innere Angelegenheiten bleibt im Falle der Staateninsolvenz 16 grundsätzlich ich Kraft. Zu den inneren Angelegenheiten („domaine réservé“) zählt neben der Ausgestaltung der inneren Verfassungsordnung in einem umfassenden Sinne auch die Bestimmung des politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Systems innerhalb des eigenen Staates.17 11 Vgl. Art. 25 Abs. 1 a) Artikelentwurf für die Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln (Fn. 9). 12 Jörn Axel Kämmerer (Fn. 2), Rz. 5 und 9 mit weiteren Nachweisen. Siehe auch Thomas Hoppe, Entschuldung aus der Perspektive der Menschenrechte und eines Rechts auf Entwicklung , in: Martin Dabrowski u.a. (Hrsg.), Die Diskussion um ein Insolvenzrecht für Staaten, Berlin 2003, S. 63 ff. [BT-Bibliothek P 5101703]. 13 Vgl. Art. 25 Abs. 2 b) Artikelentwurf für die Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln (Fn. 9). 14 So auch Matthias Herdegen, Der Staatsbankrott: Probleme eines Insolvenzverfahrens und der Umschuldung bei Staatsanleihen, in: WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankenrecht, Heft 20/2011, S. 913 ff., S. 914 f. 15 S.o. (Fn. 4 und 5). 16 Vgl. hierzu (einschließlich der aktuellen Grenzen des Interventionsverbotes) Philip Kunig, Intervention, Prohibition of, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1434?rskey=SoqUQK&result =3&prd=EPIL (letzter Zugriff 20.02.2015). 17 , Menschenrechte und die Frage der „Einmischung in innere Angelegenheiten“, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Aktueller Begriff Nr. 16/08 (16. April 2008), mit Verweis auf den Internationalen Gerichtshof, Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Merits, Judgment of 27 June 1986, http://www.icj-cij.org/docket/files/70/6503.pdf (letzter Zugriff 20.02.2015), Rz. 205. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 7 Auch die Verpfändung – und im Falle der Zahlungsunfähigkeit: Abtretung – von Staatsgebiet zählen angesichts des im modernen Völkerrecht verankerten Grundsatzes des Selbstbestimmungsrechts der Völker18 nicht mehr zur Staatenpraxis der Gegenwart.19 Des Weiteren müssen aus völkerrechtlicher Sicht zentrale Aufgaben des Staates (Aufrechterhaltung der Staatsgewalt, Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit, Einhaltung der menschenrechtlichen Verpflichtungen) für einen Schuldnerstaat auch im Falle der Staateninsolvenz erfüllbar bleiben. Angesichts der menschenrechtlichen Verpflichtungen der einzelnen Staaten20 wäre es völkerrechtswidrig, wenn ein Gläubigerstaat einem Schuldnerstaat Bedingungen oktroyierte , die eine Gewährleistung der Menschenrechte, einschließlich der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte der Staatsangehörigen des Schuldnerstaates, unmöglich machten. Völkerrechtlich zulässiges Ziel der Gläubiger kann es daher nicht sein, ohne Rücksicht auf Staatsfunktionen ihre Auszahlungsquote zu maximieren.21 Ein souveräner Staat kann nicht liquidiert werden .22 In verfahrenstechnischer Hinsicht ist zu betonen, dass ein völkerrechtlich verbindliches Verfahren zur Bewältigung staatlicher Zahlungsunfähigkeit Einvernehmen zwischen Schuldnerstaaten und ihren Gläubigern erfordert23, sei es durch vertragliche Einigung, sei es durch einvernehmliche Unterwerfung unter ein schiedsgerichtliches Verfahren. Eine Verhandlungspflicht der Gläubiger- und Schuldnerstaaten wird in der Völkerrechtswissenschaft wohl nach wie vor überwiegend verneint.24 18 Art. 1 Nr. 2 Charta der Vereinten Nationen, UNTS Bd. XV (1945), S. 143, http://www.un.org/Depts/german /un_charta/charta.pdf (letzter Zugriff 18.02.2015). 19 Tobias H. Irmscher, Pledge of State Territory and Property, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law- 9780199231690-e1079#law-9780199231690-e1079-div2-3 (letzter Zugriff 18.02.2015), Rz. 11. 20 Statt vieler Thomas Hoppe (Fn. 12). 21 Siehe Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Hrsg.), Gutachten Nr. 01/11: Überschuldung und Staatsinsolvenz in der Europäischen Union, Berlin Januar 2011, http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion /PDF/Publikationen/Studien/gutachttext-ueberschuldung-staatsinsolvenz-in-der-eu-wissenschaftlicher-beirat ,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf (letzter Zugriff 12.02.2015), S. 20. 22 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, a.a.O. (Fn. 21). 23 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Fn. 21), S. 21. 24 Vgl. Rudolf Dolzer, Staatliche Zahlungsunfähigkeit: Zum Begriff und zu den Rechtsfolgen im Völkerrecht, in: Jürgen Jekewitz u.a. (Hrsg.), Des Menschen Recht zwischen Freiheit und Verantwortung, FS für Karl Josef Partsch , Berlin 1989, S. 531 ff., S. 536 f. [BT-Biblothek M 545439]. Anderer Auffassung Armin von Bogdandy/Matthias Goldmann, Die Restrukturierung von Staatsschulden als Ausübung internationaler öffentlicher Gewalt: Zur Möglichkeit der inkrementellen Entwicklung eines Staateninsolvenzrechts , in ZaöRV73 (2013), S. 61 ff., S. 85. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 8 Einzelne Stimmen der Literatur postulieren im Zusammenhang mit Staateninsolvenzen weitere verfahrensrechtliche Anforderungen. So fordere die Verfahrensgerechtigkeit u.a. die Inklusion sowie die prozessuale Gleichbehandlung aller betroffenen Gläubiger.25 Die Legitimität von Problemlösungen hänge (auch in diesem Fall) von der Transparenz der Verfahren ab.26 Die ebenso als Verfahrensgrundsatz geforderte gerichtliche oder schiedsgerichtliche Justiziabilität von Umschuldungsmaßnahmen dürfte wohl eher de lege ferenda eine Rolle spielen.27 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Völkerrecht wesentliche Rechtsfolge der Zahlungsunfähigkeit eines Staates in der Regel die Neuverhandlung der Darlehensverträge ist.28 3.2. Menschenrechtliche Pflichten der Schuldner- und Gläubigerstaaten Die Rechtsfolgen der Staateninsolvenz sind auch im Rahmen des menschenrechtlichen Handlungsrahmens der Staaten zu sehen. Eine Staateninsolvenz entbindet weder Schuldner- noch Gläubigerstaaten von ihren menschenrechtliche Verpflichtungen.29 Diese Verpflichtungen haben sich die Staaten selbst auferlegt, u.a. durch den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale Menschenrechte (IPwskR).30 Nach Art. 23 IPwskR stimmen dessen Vertragsstaaten darin überein, dass internationale Maßnahmen zur Verwirklichung der einzelnen im IPwskR verbürgten Rechte unter anderem den Abschluss von Übereinkommen einschließen. Dies lässt folgende Auslegung zu: Gläubiger- und Schuldnerstaaten bleiben an den IPwskR gebunden, wenn sie damit befasst sind, völkerrechtliche Vertragsinhalte zu gestalten, die der Bewältigung der Zahlungsunfähigkeit eines Schuldnerstaates dienen. In einer Allgemeinen Bemerkung führte der Ausschuss der Vereinten Nationen für wirtschaftliche , soziale und kulturelle Menschenrechte aus: A matter which has been of particular concern to the Committee […] is the adverse impact of the debt burden and of the relevant adjustment measures on the enjoyment of economic, social and cultural rights in many countries. The Committee recognizes that adjustment programmes will often be unavoidable and that these will frequently involve a major element of austerity. Under such circumstances, however, endeavours to protect the most basic economic, social and cultural rights become more, rather than less, urgent . States parties to the Covenant, as well as the relevant United Nations agencies, should thus make a particular effort to ensure that such protection is, to the maximum extent possible, built-in to programmes and policies designed to promote adjustment. 25 Armin von Bogdandy/Matthias Goldmann (Fn. 24), S. 86 ff. 26 Armin von Bogdandy/Matthias Goldmann (Fn. 24), S. 89 f. 27 Armin von Bogdandy/Matthias Goldmann (Fn. 24), S. 90. 28 Vgl. statt vieler Rudolf Dolzer (Fn. 24), a.a.O. 29 Vgl. statt vieler Armin von Bogdandy/Matthias Goldmann (Fn. 24), S. 90 ff. 30 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, http://www.sozialpakt.info/internationaler -pakt-ueber-wirtschaftliche-soziale-und-kulturelle-rechte-3111/ (letzter Zugriff 18.02.2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 9 Such an approach, which is sometimes referred to as “adjustment with a human face” or as promoting “the human dimension of development” requires that the goal of protecting the rights of the poor and vulnerable should become a basic objective of economic adjustment . Similarly, international measures to deal with the debt crisis should take full account of the need to protect economic, social and cultural rights through, inter alia, international cooperation. In many situations, this might point to the need for major debt relief initiatives.31 Die Allgemeinen Bemerkungen des Ausschusses sind nicht völkerrechtlich bindend, gelten jedoch als wichtigste Hilfe zur Auslegung der im IPwskR verbürgten Rechte.32 Spezifische Inhalte für völkerrechtliche Umschuldungs- oder Erlassverträge im Falle von Staateninsolvenzen lassen sich aus den allgemeinen Vorgaben des Ausschusses ohnehin nur beschränkt ableiten. 3.3. Staateninsolvenz, Staatsnotstand und Staatenverantwortung Wie bereits erwähnt, wird in Literatur und Rechtsprechung diskutiert, inwiefern einzelne Fälle der Zahlungsunfähigkeit von Staaten als Staatsnotstand angesehen werden können.33 In der Vergangenheit war die Rechtsprechung äußerst zurückhaltend hinsichtlich der Annahme, ein Staat werde von einer Darlehensschuld befreit, „wenn die Erfüllung die Störung der öffentlichen Ordnung , des sozialen Friedens oder der Durchführung der normalen Staatsaufgaben zur Folge hätte“.34 Gleichwohl finden sich in Literatur und Rechtsprechung Ausführungen, wonach die faktische Zahlungsunfähigkeit als (wirtschaftlicher) Staatsnotstand im Sinne von Art. 25 Artikelentwurf für die Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln (Artikelentwurf) zu bewerten sei.35 Unterstellt, dass (1.) der Schuldnerstaat nicht im Sinne von Art. 25 Abs. 2 b Artikelentwurf selbst zur Notstandssituation beigetragen hat sowie (2.) dass die im Einzelfall streitige Darlehensforderung aus einem bilateralen völkerrechtlichen Vertrag erwächst, hätte die Berufung auf einen Staatsnotstand zur Folge, dass die Nicht-Zahlung der Darlehensschuld nicht als völkerrechtswidrig angesehen würde. Die Berufung auf einen Staatsnotstand würde zwar gemäß Art. 27 b Artikelentwurf die Frage des Schadensersatzes für materielle Verluste, die durch 31 CESCR, General Comment No. 2, UN Doc E/1990/23, http://tbinternet.ohchr.org/_layouts/treatybodyexternal /Download.aspx?symbolno=INT%2fCESCR%2fGEC%2f4757&Lang=en (letzter Zugriff 18.02.2015), Abs. 9. 32 Eibe Riedel, Committee on Economic, Social and Cultural Rights (CESCR), in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e765#law-9780199231690-e765-div2-2 (letzter Zugriff 19.02.2015), Rz. 12 ff. 33 Rudolf Dolzer (Fn. 24), S. 544 f. mit Verweis auf Entscheidungen des Ständigen Gerichtshofes (1912) (Russland /Türkei) sowie des Ständigen Internationalen Gerichtshofes (1938) (Belgien/Griechenland). Vgl. Nachweise in Fn. 7 bis 13. 34 A.a.O. 35 Zur Bedeutung des Staatsnotstandes für private Gläubiger siehe im Einzelnen Alexander Szodruch, Staatsinsolvenz und private Gläubiger – Rechtsprobleme des Private Sector Involvement bei staatlichen Finanzkrisen im 21. Jahrhundert, Berlin 2008 [BT-Bibliothek P 5125927], S. 315 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 10 das fragliche Handeln verursacht wurden, ohnehin nicht berühren, doch dürfte in Fällen, in denen bereits der primäre völkerrechtliche Anspruch ein Zahlungsanspruch war, Art. 27 b Artikelentwurf ins Leere greifen. Im Ergebnis dürfte daher das Recht der Staatenverantwortung zur praktischen Bewältigung von Situationen der Zahlungsunfähigkeit von Staaten wenig beitragen.36 3.4. Internationaler Währungsfonds Zumindest seit Ende des 20. Jahrhunderts sind multilaterale Zusammenhänge von zentraler Bedeutung für die Bewältigung der Zahlungsunfähigkeit einzelner Staaten. Institutionell verankert sind die entsprechenden Bestrebungen in erster Linie im Rahmen des IWF. Damit bekommen die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft zum Umgang mit überschuldeten Staaten einen völkerrechtlichen, vor allem verfahrenstechnischen Rahmen.37 Bestrebungen der internationalen Gemeinschaft, im Rahmen des IWF Zahlungskrisen von Schuldnerstaaten zu bewältigen, bezogen sich bisher zumeist auf Entwicklungsländer. Gemeinsam mit der Weltbank startete der IWF 1996 ein Aktionsprogramm für „Heavily Indebted Poor Countries“ (HIPC), um deren Schuldenlast auf ein erträgliches Niveau zurückzuführen.38 Als umfassender Regelungsansatz erfasst das HIPC-Programm Schulden gegenüber einzelnen Staaten, multilateralen staatlichen Kreditgebern (vor allem der Weltbank und regionale Entwicklungsbanken ) sowie privaten Kreditgebern.39 Im Jahre 1999 wurde dieses Programm – u.a. auch auf Initiative der deutschen Bundesregierung hin – erweitert (HIPC II) und somit ein fester Rahmen für die multilaterale Lösung des Problems der Zahlungsunfähigkeit einzelner Schuldnerstaaten geschaffen .40 Das formalisierte Verfahren des IWF ermöglicht auf der Grundlage einer Schuldentragfähigkeitsanalyase wirtschaftspolitische Selbstverpflichtungen der Schuldner im Gegenzug zu Zahlungserleichterungen .41 Zugleich erleichtert der multilaterale Rahmen eine Gleichbehandlung der Gläubiger. 36 So im Ergebnis auch Alexander Szodruch (Fn. 35), S. 417 f. 37 Siehe im Einzelnen auch Thilo Marauhn, Nachhaltiges Schuldenmanagement: Völkerrechtliche Rahmenbedingungen für ein zwischenstaatliches Insolvenzverfahren, in: Martin Dabrowski u.a. (Hrsg.), Die Diskussion um ein Insolvenzrecht für Staaten, Berlin 2003, S. 283 ff., S. 284 f. [BT-Bibliothek P 5101703]. 38 Vgl. Sabine Schlemmer-Schulte, International Monetary Fund (IMF), in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law- 9780199231690-e492?rskey=jCpio0&result=1&prd=EPIL (letzter Zugriff 18.02.2015), Rz. 41, sowie Christian Walter, Debt Crisis, ebd., http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e1516#law-9780199231690-e1516-div1-3 (letzter Zugriff 18.02.2015), Rz. 39. 39 Thilo Marauhn (Fn. 37), a.a.O. 40 Thilo Marauhn (Fn. 37), a.a.O. 41 Thilo Marauhn (Fn. 37), a.a.O. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 11 3.5. Staatliche Gläubiger / Club von Paris Der Club von Paris fungiert seit 1956 als Forum für Verhandlungen zwischen Schuldnerstaaten und staatlichen Gläubigern.42 Er wurde als eigenständige Einrichtung ohne einen völkerrechtlichen Gründungsvertrag oder ein zwischenstaatliches Verwaltungsabkommen mit Sitz beim Schatzamt des französischen Finanzministeriums in Paris etabliert.43 Im Fokus stehen bilaterale Kreditforderungen. Die Rechtsfolgen der Zahlungsunfähigkeit von Staaten werden für die jeweiligen bilateralen Verhältnisse im Rahmen des Clubs von Paris nur für den jeweiligen Einzelfall ausgehandelt. Zumeist geht es um die Neuverhandlung von Fälligkeitsdaten, Zinsen und Tilgungsraten . Die entsprechenden Vereinbarungen werden in Form bilateraler völkerrechtlicher Verträge geschlossen. Besondere Leitlinien für den Inhalt dieser Verträge sind dem Völkergewohnheitsrecht nicht zu entnehmen, insbesondere gibt es keinen völkerrechtlichen Zwang zur Umschuldung oder zum Schuldenerlass.44 3.6. Private Gläubiger / Club von London Wie der Club von Paris ist auch der Club von London im Wesentlichen nur ein institutioneller Rahmen für ad hoc Vereinbarungen, die der Restrukturierung von Schulden im Falle der Staateninsolvenz dienen.45 Anders als bei dem Club von Paris, handelt es sich bei dem Club von London um ein Forum für private Gläubiger.46 Bisherige Umschuldungen im Rahmen des Londoner Clubs erfolgten in enger Zusammenarbeit mit multilateralen Finanzinstitutionen, insbesondere dem IWF.47 Dabei kam – nationalem Insolvenzrecht vergleichbar – zumeist eine informelle Rangordnung der Gläubiger zur Anwendung, wobei innerhalb der Rangstufen die einzelnen Gläubiger gleichbehandelt wurden.48 Neuere Entwicklungen im Verhältnis zwischen privaten Gläubigern und insolventen Staaten ergeben sich aus der Vereinbarung von „Collective Action Clauses“, die die Position der einzelnen Gläubiger innerhalb der Gläubigergesamtheit verbessern können, aber nach Einschätzung der Literatur wenig zur Schaffung einer verbindlichen Instanz mit dem Ziel eines wirksamen Gläubigerschutzes beitragen.49 42 Christian Walter (Fn. 38), Rz. 35 f. 43 Johannes Langen, Völker- und Europarechtliche Fragen des Staatsbankrotts, Hamburg 2014, S. 48 f. [BT-Bibliothek P 5145559]. 44 Vgl. Thilo Marauhn (Fn. 37), S. 289. 45 Johannes Langen (Fn. 43), S. 49. 46 Allgemein und umfassend zur Rolle privater Gläubiger siehe Alexander Szodruch (Fn. 35). 47 Alexander Szodruch (Fn. 35), S. 98. 48 Alexander Szodruch (Fn. 35), S. 99. 49 Alexander Szodruch (Fn. 35), S. 226 ff. (mit zahlreichen Nachweisen), S. 245, S. 419. Vgl. auch George E. Kodek, Collective Action Clauses und andere Detailfragen, in: ders./August Reinisch, Staateninsolvenz , 2. Auflage, Wien 2012 [BT-Bibliothek P 5138614], S. 305 ff., S. 318 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 12 In der Literatur wird die Einbeziehung der Heimatstaaten privater Gläubiger als Voraussetzung einer völkerrechtskonformen Kürzung der Kreditforderungen gegen einen zahlungsunfähigen Staat („haircut“) gesehen.50 Aus völkerrechtlicher Sicht führt die Betroffenheit privater Gläubiger u.a. zu der Besonderheit, dass diese eigene menschenrechtlich geschützte Positionen (insbesondere das Eigentumsrecht) geltend machen können.51 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass sich im Falle von Staateninsolvenzen bisher keine verbindlichen Verfahrensstrukturen und materiell-rechtlichen Standards etabliert haben, die für private Gläubiger ein Maß an Rechtssicherheit und finanzieller Berechenbarkeit herstellen würden, das einem Verfahren nach einer nationalen Insolvenzordnung gleichkäme. 4. Zeitgeschichtliche Beispiele der Bewältigung von Staateninsolvenzen Historische Beispiele für Staateninsolvenzen finden sich bereits in der Antike; zu aktuellen Fällen begrenzt analogiefähige Staateninsolvenzen lassen sich zumindest seit dem 14. Jahrhundert nachweisen.52 Historisch gesehen, begegneten Schuldnerstaaten ihren Zahlungsschwierigkeiten oft durch die Abwertung ihrer Währungen, d.h. durch Senkung des Edelmetallanteils bei gleichem Nennwert von staatlich geprägten Münzen.53 Die Einstellung von Zahlungen – bzw. das Bestreiten bestehender Kreditforderungen – löste bisweilen internationale Finanzkrisen aus und führte in einigen Fällen zum Bankrott privater Gläubigerbanken.54 Die Staatenpraxis zum Umgang mit zahlungsunfähigen souveränen Schuldnern im 19. und 20. Jahrhundert zeigt deutlichere Parallelen zum Ablauf aktueller Staateninsolvenzen.55 Im Mittelpunkt der Bewältigungsstrategien standen dabei zumeist vertraglich vereinbarte Umstrukturierungen der Staatsschulden.56 50 Vgl. Matthias Herdegen (Fn. 14), S. 916 51 Vgl. Armin von Bogdandy/Matthias Goldmann (Fn. 24), S. 91 (mit weiteren Nachweisen). 52 Michael Waibel, Staateninsolvenzen in historischer Sicht, in: Georg E. Kodek/August Reinisch (Hrsg.), Staateninsolvenz , 2. Auflage, Wien 2012 [BT-Bibliothek P 5138614], S. 55 ff., S. 59 ff. 53 Michael Waibel, a.a.O. (Fn. 52). 54 Michael Waibel, a.a.O. (Fn. 52). 55 Vgl. Antonis Malagardis (Fn. 2), S. 71 ff. [BT-Bibliothek P 551810]. Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, München 2014, S. 737, weist allerdings darauf hin, dass die Höhe der Staatsschulden im Verhältnis zum Nationaleinkommen historisch stark schwankte: So hatte zum Beispiel das Vereinigte Königreich nach den napoleonischen Kriegen und nach dem Zweiten Weltkrieg jeweils Staatsschulden in Höhe von 200% des Nationaleinkommens, ohne dass dies zur Zahlungsausfällen geführt hätte. 56 Michael Waibel (Fn. 52), S. 93. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 13 Historisch betrachtet ist die Häufigkeit von Staateninsolvenzen aktuell rückläufig.57 4.1. Argentinien Ende 2001 erklärte Argentinien seine Zahlungsunfähigkeit. Vorausgegangen waren mehrere Jahre finanzpolitischer und allgemein wirtschaftlicher Krise. Anhand der Staateninsolvenz Argentiniens lassen sich wesentliche Aspekte des Umgangs der internationalen Gemeinschaft mit Staateninsolvenzen beispielhaft erläutern: die Rolle des IWF bei der Auslösung und Bewältigung von staatlichen Zahlungskrisen; die Bedeutung internationaler Vereinbarungen sowie unilateraler Maßnahmen für Umschuldungsmaßnahmen; die rechtsdogmatische Bedeutung der staatlichen Souveränität; und schließlich die Anwendbarkeit des völkerrechtlichen Instituts des Staatsnotstandes .58 Die Struktur der Staatsschulden Argentiniens gegen Ende 2001 war überaus komplex: Über 150 Arten unterschiedlicher Schuldverschreibungen wurden nach den nationalen Rechtsordnungen diverser Ausgabeorte behandelt.59 In der Literatur wird von einem Gesamtnennwert der Anleihen von über 80 Milliarden USD, von aufgelaufenen Zinsansprüchen in Höhe von über 20 Milliarden USD, einer Nominierung in sechs verschiedenen Währungen, acht zuständigen nationalen Gerichtsbarkeiten sowie einer Gesamtzahl von mehr als 500.000 Gläubigern gesprochen.60 Eine entscheidende Rolle spielte, dass die Staatsanleihen keine „collective action clauses“ vorsahen, so dass eine Koordination der Gläubigerinteressen erschwert wurde. 61 Die Bewältigung der Schuldenkrise beruhte – abgesehen von strukturellen Reformen innerhalb Argentiniens – zu starken Anteilen auf dem weitreichendem Verzicht internationaler Gläubiger und auf dem massiven Wertverlust, den inländischen Inhaber von Staatsanleihen (und Inhaber von Bankguthaben62) 57 Nach Henrik Enderlein/Julian Schumacher/Christoph Trebesch, Schuldenkrisen im Wandel: Das neue Zeitalter von Staatsbankrotten und Umschuldungen, in: PVS 55 (2014), Heft 4, S. 674 ff., S. 685, http://www.nomos-elibrary .de/index.php?dokid=382506&tid=1083311 (letzter Zugriff 05.03.2015), habe sich die Häufigkeit von Staatsbankrotten in den vergangenen 40 Jahren fundamental verändert. Während es im Zeitraum 1980 bis 1995 im Durchschnitt zu fast 14 Staatsbankrotten pro Jahr gekommen sei, seien es im Jahrzehnt 1996 bis 2006 nur noch knapp drei gewesen (m.w.N.). 58 Eine umfassende Darstellung der Argentinischen Schuldenkrise findet sich bei Jörn Axel Kämmerer, Argentine Debt Crises, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1818?rskey=NjOq6m&result =1&prd=EPIL (letzter Zugriff 05.03.2015). 59 Angaben nach Jörn Axel Kämmerer (Fn. 58), Rz. 7. Eine Darstellung der juristischen Einzelheiten würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Zu den einzelnen Verfahren vgl. auch Henrik Enderlein/Julian Schumacher /Christoph Trebesch (Fn. 57), S. 689 f. und passim. 60 Alexander Szodruch (Fn. 35), S. 117. 61 Zu Gestalt und Funktion der „collective action clauses“ vgl. Alexander Szodruch (Fn. 35), S. 226 ff. (mit zahlreichen Nachweisen), S. 245, S. 419. 62 Im Einzelnen siehe Jörn Axel Kämmerer (Fn. 58), Rz. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 14 durch die Umwandlung in abgewertete, nicht mehr an den US Dollar gebundene Pesos erlitten.63 Da ein geringer Anteil der Gläubiger der Umschuldung nicht zustimmte, ist die Schuldenkrise Argentiniens nach wie vor nicht abschließend geregelt.64 Aus deutscher Sicht ist auf höchstrichterliche Entscheidungen zu verweisen, die Argentinien keine endgültige Befreiung von Verbindlichkeiten infolge seiner Insolvenz zubilligten. Im Zusammenhang mit Verfahren gegen Argentinien, die zum damaligen Zeitpunkt vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig waren65, holte das Gericht 2008 ein Sachverständigengutachten ein. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass die Berufung Argentiniens auf Staatsnotstand das Land nicht von der Erfüllung seiner Leistungspflicht befreite, sondern lediglich zu deren vorübergehender Aussetzung führte.66 Nach Auffassung des Gutachters blieben Entschädigungspflichten wegen Zahlungsverzuges von der Berufung auf den Staatsnotstand unberührt.67 Ein Urteil des Bundesgerichtshofes vom Februar 2015 bestätigt im Ergebnis diese Rechtsauffassung. Nach diesem Urteil kann die Republik Argentinien nicht „die Erfüllung von Zahlungsansprüchen privater Gläubiger aus von ihr begebenen Inhaberschuldverschreibungen unter Berufung auf den von ihr wegen Zahlungsunfähigkeit erklärten Staatsnotstand oder wegen der mit der Mehrheit der Gläubiger freiwillig zustande gekommenen Umschuldung verweigern.“68 Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht beschreibt eine aktuelle Veröffentlichung der SWP Argentinien als ein Beispiel für Wirtschaftswachstum nach Schuldenschnitt und Währungsabwertung . Im Einzelnen führt der Beitrag hierzu aus: “Schulden beim IWF werden stets bedient. Selbst Argentinien hat seine Verbindlichkeiten beim Fonds vollständig zurückgezahlt69 […] Aus der Entwicklungsökonomie ist 63 Kritisch – vor allem zu den Strukturreformen – vgl. Ana Estefanía Carballo/Hannah Franzki, Wirtschaftliche Rationalität vs. Menschenrechte und Autonomie: Die Republik Argentinien vor Gericht, Kritische Justiz 2012, S. 39 ff. (mit starker Betonung der menschenrechtlichen Pflichten der Staaten, siehe etwa S. 53). 64 Zur Rolle der sog. „vulture funds“ siehe Ana Estefanía Carballo/Hannah Franzki (Fn. 63), S. 47 ff. 65 Abgeschlossen durch Beschluss vom 8. Mai 2007 – 2 BvM 1/03, http://www.bundesverfassungsgericht .de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2007/05/ms20070508_2bvm000103.html (letzter Zugriff 05.03.2015). 66 August Reinisch, Sachverständigengutachten zur Frage des Bestehens und der Wirkung des völkerrechtlichen Rechtfertigungsgrundes “Staatsnotstand”, in: ZaöRV 68 (2008), S. 3 ff., http://www.zaoerv .de/68_2008/68_2008_1_a_3_44.pdf (letzter Zugriff 05.03.2015), S. 40. 67 August Reinisch (Fn. 66), S. 41. 68 BGH, Urteil vom 24.02.2015 - XI ZR 47/14; XI ZR 193/14, BGH, Urteil vom 24.02.2015 - XI ZR 47/14; XI ZR 193/14, https://beck-online.beck.de/default.aspx?vpath=bibdata/reddok/becklink /1037328.htm&pos=0&lasthit=true&hlwords=BGH%2c%c3%90Urteil%c3%90+bgh%2c%2curteil +%c3%90+bgh+%c3%90+urteil+%c3%90+bghurteil+#xhlhit (letzter Zugriff 05.03.2015). 69 Heribert Dieter, Kollateralschäden der EZB-Strategie: Die ultralockere Geldpolitik nutzt wenig – und schadet vielen, in: SWP-Aktuell 2, Januar 2015, S. 1 ff., S. 3, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products /aktuell/2015A02_dtr.pdf (letzter Zugriff 05.03.2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 15 wohlbekannt, dass Volkswirtschaften mit einem überbewerteten Wechselkurs häufig erhebliche Schwierigkeiten haben, Wachstum zu erzeugen. Umgekehrt gilt, dass eine unterbewertete Währung positive Effekte auf die ökonomische Entwicklung hat. […] Die Wirtschaftsgeschichte kennt zahlreiche Beispiele für die nützliche Wirkung von Abwertungen . Dramatisch war der Fall Argentiniens um die Jahrtausendwende. Lange hatte man dort an einem Wechselkurs-Regime festgehalten, das sogar in der Verfassung festgeschrieben war. Ähnlich wie zehn Jahre später in Griechenland hielt der IWF durch mehrere Kredite die Illusion aufrecht, Argentinien könne den Wechselkurs von 1:1 zum Dollar beibehalten. Und ähnlich wie heute in Griechenland waren die Folgen der Überbewertung dramatisch. Die Wirtschaft stagnierte, die Arbeitslosigkeit war hoch, und schließlich erkannte der von Horst Köhler geführte IWF die Aussichtslosigkeit seiner Politik. Der Fonds verweigerte Argentinien 2001 neue Kredite, das Kartenhaus brach zusammen, und turbulente Monate begannen. Allerdings waren es nur einige Monate. Durch die Abwertung des Peso um etwa 1:4 begann ein kleines argentinisches Wirtschaftswunder . Die nationale Wirtschaftsleistung war von 1999 bis 2001 um durchschnittlich 2,7 Prozent pro Jahr geschrumpft, bevor sie 2002 mit einem Minus von 11 Prozent abstürzte. Von 2003 bis 2007 wuchs die Wirtschaft dann aber um 8,6 Prozent pro Jahr. Bemerkenswert war, dass Argentinien entgegen der Erwartung vieler Beobachter nach der Abwertung und dem Zahlungsausfall von Kapitalzuflüssen überschwemmt wurde. Argentinier, die in den Jahren der Überbewertung ihr Kapital ins Ausland gebracht hatten, holten das Geld nach 2002 zurück und investierten es.“70 4.2. Russland 1917 stellt Sowjetrussland den Kreditdienst für Forderungen, die aus der zaristischen Zeit herrührten , ein; erst in den 1990 Jahren wurde die Umschuldung der Altforderungen durch völkerrechtlichen Vertrag abschließend geregelt.71 1998 stellte Russland abermals den Schuldendienst ein.72 Russland hatte nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 zwei Drittel der Altschulden übernommen und sich in den folgenden Jahren in erheblichem Umfang weiter im Ausland verschuldet.73 Zu den Ursachen der russischen Schuldenkrise zählten u.a. die Finanz- und Währungskrise in Teilen Asiens 1997, schwache makro- Alexander Szodruch (Fn. 35), S. 119 ff., verweist darauf, dass auch im Falle der Umschuldung von Staatsschulden Uruguays (2003), der Dominkanischen Republik (2005), Grenadas (2005), Serbien-Montenegros (2004) und des Irak (2005) im Wesentlichen nur die privaten Gläubiger Zahlungsausfälle hinnehmen mussten. 70 Heribert Dieter (Fn. 69), S. 1 ff., S. 5. 71 Michael Waibel (Fn. 52), S. 61 f. 72 Michael Waibel (Fn. 52), S. 63. Die nachfolgende Darstellung beruht im Wesentlichen auf , Entwicklung der Staatsschulden Russlands, Ausarbeitung WD4-156/06 vom 15. Juni 2006. 73 Zur Frage der Altschulden der Sowjetunion (und ihrer Umschuldung) siehe im Einzelnen Valery Tsybukov, Who Pays the Soviet Union’s Debts, in: International Affairs: A Monthly Journal of World Politics, Diplomacy and International Relations, Moskau 1994, Heft 12, S. 87 ff. [BT-Bibliothek R 60129]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 16 ökonomische Rahmenbedingungen, eine Abschwächung des Wirtschaftswachstums und strukturelle Schwächen im Bankensystem.74 Trotz verschiedener Absprachen zur Restrukturierung der Auslandsschulden, die u.a. im Rahmen der Clubs von London und Paris getroffen wurden, konnte Russland ab August 1998 seine Auslandsschulden nicht mehr bedienen und verhängte ein Zahlungsmoratorium.75 Durch die Verbesserung seiner gesamtwirtschaftlichen Lage, eine stabile Entwicklung der Preise bei den Rohstoffexporten, die Haushaltskonsolidierung und Reduktion der Neuverschuldung, einen Schuldenerlass der privaten Gläubiger von mehr als 50 Prozent 76 und eine umfassende Umschuldung der russischen Auslandsverbindlichkeiten im Rahmen des Pariser Clubs77 gelang es Russland, seine Zahlungsschwierigkeiten zu überwinden.78 4.3. Türkei Ende der 1970er Jahre erfuhr die Türkei eine Schulden- und Zahlungsbilanzkrise.79 Als Gründe der Krise werden u.a. der extreme Anstieg der Erdölpreise auf dem Weltmarkt, eine zu starke Binnenmarktorientierung in den 1970er Jahren, eine überzogene staatliche Ausgabenpolitik, ein technisch ungünstiges Schuldenmanagement (vor allem infolge zu kurzer Laufzeiten der Staatsanleihen ) sowie die im damaligen Zeitraum sehr hohe politische Instabilität genannt.80 Zu betonen ist allerdings, dass die türkischen Auslandsschulden – sowohl im Hinblick auf ihre absolute Gesamtsumme, als auch im Verhältnis zum türkischen Bruttosozialprodukt – im Vergleich zu aktuellen Zahlungskrisen in anderen Ländern eher gering waren.81 Zwischen 1978 und 1980 kam es in erheblichem Umfang zur Umschuldung.82 Die Türkei profitierte nach 1980 von einem Schuldenschnitt und neuen Krediten.83 In den folgenden Jahren 74 Kathrin Berensmann, Russische Währungs-, Finanz- und Schuldenkrise, Köln 1999, S. 5 ff. [BT-Bibliothek P 581700]. 75 Zu den Besonderheiten bei der Behandlung der Eigenwährungsschulden siehe Alexander Szodruch (Fn. 35), S. 115 f. 76 Angabe nach Henrik Enderlein/Julian Schumacher/Christoph Trebesch (Fn. 57), S. 686. 77 Tabellarische Übersichten zum Umfang der Verbindlichkeiten sowie Einzelheiten der Umschuldungsabkommen finden sich in: (ohne Autor), Russlands Auslandsverbindlichkeiten nach der Umschuldung, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Wochenbericht 28/1996, S. 470 ff. 78 Vgl. auch Kathrin Berensmann (Fn. 74), S. 32 ff., S. 42 f. 79 Sweder van Wijnbergen u.a., External Debt, Fiscal Policy and Sustainable Growth in Turkey, Baltimore 1992, S. 3 [BT-Bibliothek M 550890]. 80 Sweder van Wijnbergen u.a. (Fn. 79), S. 3. 81 Sweder van Wijnbergen u.a. (Fn. 79), S. 3. 82 Peter Wolff, Stabilisierungspolitik und Strukturanpassung in der Türkei 1980 – 1985, Berlin 1987, S. 49 ff. [BT- Bibliothek P 541027]. 83 Merih Celâsun, Fiscal Aspects of the Adjustment in the 1980s, in: Tosun Arıcanlı/Dani Rodrik, The Political Economy of Turkey: Debt, Adjustment and Sustainibilty, London u.a. 1990, S. 37 ff. [BT-Bibliothek M 547596], allerdings auch mit Zweifeln an der Nachhaltigkeit, vgl. S. 57 und passim. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 17 (1980 bis 1986) erfuhr die Türkei eine Phase starken Wirtschaftswachstums und außergewöhnlicher Exportzuwächse (u.a. infolge der Abwertung der Landeswährung).84 Während die Auslandsverschuldung von 1980 bis 1986 bezogen auf das Bruttosozialprodukt erheblich stieg, ging sie im Verhältnis zur Gesamtsumme der Exporte zurück;85 das Wiedererstarken der türkischen Wirtschaft war somit im Wesentlichen exportbasiert. In der Fachliteratur finden sich Hinweise, dass die Kapitalvernichtung durch die Abwertung der türkischen Lira die Kreditwürdigkeit der Türkei offensichtlich nicht beeinträchtigte.86 Des Weiteren findet sich die Einschätzung vertreten, dass die wirtschaftliche Erholung nicht zuletzt durch Rahmenbedingungen begünstigt wurde, die eine Repatriierung türkischen Kapitals und eine hohe Rentabilität (ausländischer Direkt-)Investitionen förderten.87 Ein wesentlicher Unterschied zwischen der türkischen Reaktion auf die Wirtschaftsund Finanzkrise und der Reaktion anderer Staaten in ähnliche Situationen wird darin gesehen, dass eine Umlenkung von zur Verfügung stehenden Mitteln weg vom Konsum, hin zu Investitionen gelang.88 Die Konsequenz, mit der die Türkei das Strukturanpassungsprogramm von IWF und Weltbank erfolgreich umsetzte, wird als außergewöhnlich eingeschätzt.89 Äußere Faktoren – wie etwa die Steigerung der U.S. amerikanischen Militär- und Wirtschaftshilfe für die Türkei zwischen 1977 und 1984 auf das nahezu Fünffache – könnten für die wirtschaftliche und politische Stabilisierung der Türkei ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt haben.90 4.4. HIPC-Initiative 1996 initiierten Weltbank und IWF angesichts der mangelnden Schuldentragfähigkeit einiger hoch verschuldeter armer Länder („Highly Indebted Poor Countries“, abgekürzt HIPC) eine weitreichende Schuldenreduktion zu deren Gunsten.91 Zurzeit zählen 39 Staaten zu den von der Initiative erfassten Staaten (Afghanistan, Äthiopien, Benin, Bolivien, Burkina Faso, Burundi, Côte d'Ivoire, Eritrea, Gambia, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Guyana, Haiti, Honduras, Kamerun, Komoren, Demokratische Republik Kongo, Republik Kongo, Liberia, Madagaskar, Malawi, Mali, Mauretanien, Mosambik, Nicaragua, Niger, Ruanda, Sambia, Sao Tomé e Principe, Senegal, Sierra Vgl. auch IBRD/World Bank (Hrsg.), Turkey: A Strategy for Managing Debt, Borrowings, and Transfers under Macroeconomic Adjustment, Washington D.C. 1990, [BT-Bibliothek P609714], der in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung privater Kreditgeber hinweist (S. iii). 84 Sweder van Wijnbergen u.a. (Fn. 79), S. 149. 85 Sweder van Wijnbergen u.a. (Fn. 79), S. 149. 86 Sweder van Wijnbergen u.a. (Fn. 79), S. 150. 87 Sweder van Wijnbergen u.a. (Fn. 79), S. 150 f. 88 Sweder van Wijnbergen u.a. (Fn. 79), S. 151 f. vergleicht in diesem Punkt die Türkei mit überschuldeten Staaten Lateinamerikas. 89 Peter Wolff (Fn. 82), S. 161. 90 Vgl. Tosun Arıcanlı, The Political Economy of Turkey’s External Debt: The Bearing of Exogenous Factors, in: Tosun Arıcanlı/Dani Rodrik, The Political Economy of Turkey: Debt, Adjustment and Sustainibilty, London u.a. 1990, S. 230 ff., S. 245. 91 Jörn Axel Kämmerer (Fn. 2), Rz. 14 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 18 Leone, Somalia, Sudan, Tansania, Togo, Tschad, Uganda, Zentralafrikanische Republik).92 Mit dem Ziel der Armutsbekämpfung93 werden den teilnehmenden Staaten – je nach Umständen des Einzelfalles – durchschnittlich etwa zwei Drittel ihrer Auslandsschulden erlassen. Zu betonen ist, dass die Initiative nicht allen zahlungsunfähigen Ländern offensteht, sondern nur Länder erfasst , die die Weltbank nach einem spezifischen Katalog als arm und überschuldet einstuft.94 4.5. Insolvenzen US-amerikanischer Bundesstaaten Das völkerrechts- und wirtschaftswissenschaftliche Schrifttum zum Thema der Staateninsolvenz zieht häufig Parallelen zu Fällen, in denen einzelne Gliedstaaten von Bundesstaaten zahlungsfähig wurden, selbstverständlich ohne dass hier Völkerrecht auch nur mittelbar zur Anwendung käme. So ergaben sich etwa in der Geschichte der Vereinigten Staaten wiederholt Situationen, in denen einzelne Bundesstaaten zahlungsunfähig wurden, wobei die Einstellung der Kreditrückzahlung in keinem Fall zu einem Verlassen des Währungsverbundes führte.95 5. Kodifizierungsbestrebungen 5.1. Institutionelle und verfahrenstechnische Anforderungen an eine Insolvenzordnung für Staaten Im Hinblick auf den institutionellen Rahmen eines Staateninsolvenzverfahrens ist es ein elementares Anliegen der Kodifizierungsbestrebungen, eine Institution zu schaffen bzw. die Kompetenzen einer bestehenden Institution dergestalt zu erweitern, dass diese „befugt und willens ist, Auseinandersetzungen zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern nach internationalem Recht bindend zu regeln.“96 Zu diesem Zweck wird zum Teil die Herausbildung einer internationalen Schiedsstelle überlegt .97 Die an sich naheliegende institutionelle Verankerung beim IWF ist keineswegs selbstverständlich : Interessenkonflikte, die sich aus der Doppelrolle des IWF – sowohl als Gläubiger, als auch 92 Siehe im Einzelnen BMZ, Die HIPC-Initiative, http://www.bmz.de/de/was_wir_machen/themen/entwicklungsfinanzierung /entschuldung/instrumente/hipc_initiative/index.html (letzter Zugriff 05.03.2015), mit weiterführenden Links. 93 BMZ, http://www.bmz.de/de/was_wir_machen/themen/entwicklungsfinanzierung/entschuldung/instrumente /hipc_initiative/prsp.html (letzter Zugriff 05.03.2015). 94 BMZ, a.a.O. (Fn. 93). 95 Benjamin M. Friedman, The pathology of Europe’s Debt, The New York Review, Vol. LXI, No. 15, October 9 – 22, 2014, S. 50 f. 96 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Fn. 21), S. 21. Zu den Gestaltungsmöglichkeiten der institutionellen Verankerung siehe auch Johannes Langen (Fn. 43), S. 175 ff. 97 Vgl. zur Rolle der Schiedsgerichtsbarkeit Antonis Malagardis (Fn. 2), S. 191 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 19 als Dialogforum – ergeben, sprechen für eine beschränkte funktionelle Eignung des IWF als Forum für Staateninsolvenzverfahren.98 Zu den elementaren Zielvorgaben eines zukünftigen Insolvenzverfahrens werden dessen Verlässlichkeit und Transparenz gezählt, um rationale und auf umfassender Information basierende Entscheidungen der Marktteilnehmer zu ermöglichen und die Glaubwürdigkeit der wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger zu wahren.99 Als Ausfluss des Transparenzgebotes werden u.a. Offenlegungspflichten der Schuldner hinsichtlich aller Verbindlichkeiten postuliert.100 Die bisherigen Überlegungen zur Kodifizierung eines Staateninsolvenzverfahrens stimmen weithin in dem Petitum überein, dass nur der Schuldnerstaat das Verfahren initiieren können solle;101 letztlich kommt in dieser Vorgabe der Gedanke der Souveränität des Schuldnerstaates zum Tragen .102 Sofern hingegen nach anderer Auffassung auch Gläubiger zur Verfahrenseinleitung berechtigt sein sollen, werden für einen entsprechenden Gläubigerantrag hohe Hürden gefordert.103 Als Ziel einer Verfahrensregelung wird vielfach gesehen, die Koordination zwischen den Gläubigern zu verbessern.104 Insgesamt zielen Kodifizierungsbestrebungen darauf ab, die einzelnen Gläubiger frühzeitig aktiv an Umschuldungsmaßnahmen zu beteiligen.105 Entsprechende Regelungen im Verfahrensrecht bei Staateninsolvenzen würden nicht nur der Gleichbehandlung der Gläubiger dienen, sondern auch verhindern, dass Kompromisslösungen scheitern, was unter Umständen zu einem schlechteren Ergebnis für alle Beteiligten führen kann.106 Sofern zu einzelnen 98 So im Ergebnis wohl letztlich auch IMF, The Design of the Sovereign Debt Restructuring Mechanism – Further Considerations Prepared by the Legal and Policy Development and Review Departments (in consultation with the International Capital Markets and Research Departments), Approved by François Gianviti and Timothy Geithner, November 27, 2002, https://www.imf.org/external/np/pdr/sdrm/2002/112702.pdf (letzter Zugriff 09.03.2015), Abs. 14 (S. 8). 99 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Fn. 21), S. 20. Hier wird eine Ordnung gefordert, die „die Erwartungen der Marktteilnehmer über das Verhalten der Politik und der anderen Marktteilnehmer effektiv [steuern kann]“ (a.a.O). Ebenso IMF (Fn. 98), Abs. 14 (S. 7). 100 IMF (Fn. 98), Abs. 19. 101 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Fn. 21), S. 20. Ebenso IMF (Fn. 98), Abs. 18. 102 IMF (Fn. 98), Abs. 14 (S. 7). 103 Johannes Langen (Fn. 43), S. 153 ff., S. 159 ff. 104 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Fn. 21), S. 19. Zur Bedeutung von „collective action clauses“ für die Gläubigerkoordination vgl. Alexander Szodruch (Fn. 35), S. 245, S. 419. 105 IMF (Fn. 98), Abs. 14 (S. 7). 106 Zum Regelungsziel der Gläubigergleichbehandlung vgl. auch Johannes Langen (Fn. 43), S. 140 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 20 Umstrukturierungsmaßnahmen die Zustimmung aller Gläubiger erforderlich ist, könnten Verfahrensregelungen verhindern, dass einzelne Gläubiger ihre Vetoposition ausnutzen, um sich in unredlicher Weise Vorteile zu sichern.107 Jedenfalls soll durch Verfahrensregelungen ein Wettlauf der Gläubiger, der staatliche Zahlungskrisen verschärfen kann, vermieden werden.108 Unweigerlich auftretende Konflikte zwischen einzelnen Gläubigern sollen nach aktuell diskutierten Vorstellungen im Rahmen eines unparteiischen und wirksamen Streitschlichtungsverfahrens bereinigt werden.109 5.2. Inhaltliche Anforderungen an eine Insolvenzordnung für Staaten 5.2.1. Leitprinzipien für die Vereinbarung einer Insolvenzordnung für Staaten Die fachliche Auseinandersetzung um die Kodifizierung einer Insolvenzordnung für Staaten dreht sich in weiten Zügen um die Leitprinzipien dieser Ordnung. Eine Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie führt hierzu aus: [E]in Insolvenzverfahren souveräner Schuldner, im Gegensatz zu privaten Schuldnern, [kann] nicht primär darauf abzielen, eine möglichst hohe Auszahlungsquote für die Gläubiger zu erlangen. Der Schuldner muss in der Lage bleiben, seine staatlichen Funktionen ausreichend wahrzunehmen. […] [Es kommt] darauf an, den Schuldner in eine Position dauerhaft tragfähiger öffentlicher Finanzen zurückzuversetzen. Das liegt auch im wohlverstandenen Interesse der Gläubiger. […] ein souveräner Schuldner [kann] nicht unter Konkursverwaltung gestellt werden, denn dies würde grundlegenden demokratischen Prinzipien widersprechen.110 Eine weitere grundsätzliche Erwägung, die in den Kodifizierungsüberlegungen wiederholt zum Ausdruck kommt, ist die Notwendigkeit von Garantien, dass nur tatsächlich überschuldete Staaten von dem Insolvenzverfahren Gebrauch machen können.111 107 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Fn. 21), S. 20 f. 108 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Fn. 21), S. 19. 109 IMF (Fn. 98), Abs. 19 sowie Abs. 14 (S. 8). 110 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Fn. 21), S. 20 f. Zum methodischen Problem der Übertragung innerstaatlicher Regelungsmuster auf die völkerrechtliche Ebene im insolvenzrechtlichen Zusammenhang vgl. auch Rudolf Dolzer (Fn. 24), S. 531 ff., S. 540 und S. 545. 111 IMF (Fn. 98), Abs. 14 (S. 6). Johannes Langen (Fn. 43), S. 70 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 21 Eine Insolvenzordnung für Staaten wird zumeist eher als flexibler Rahmen für die Verhandlung von Einzelfalllösungen („traité cadre“) denn als detaillierte völkerrechtliche Regelung („traité loi“) konzipiert.112 5.2.2. Einbeziehung und Rangfolge von Forderungen Die Fachliteratur widmet sich u.a. der Frage, welche Forderungen in ein Staateninsolvenzverfahren einzubeziehen wären. Die Definition umstrukturierungsfähiger Schulden könnte auf völkervertragsrechtlicher Ebene wohl nur in groben Umrissen erfolgen, während die Einbeziehung konkreter Forderungen weiterhin von Einzelfallvereinbarungen zwischen Schuldnern und Gläubigern abhängig bliebe.113 Ob es anzustreben ist, dass bilaterale Forderung nur im Rahmen des IWF in ein Insolvenzverfahren eingebracht werden können, ist in der Fachdiskussion nicht abschließend geklärt.114 Die Klassifizierung von Forderungen bzw. die Gruppierung der Gläubiger wäre – wie auch in nationalen Insolvenzordnungen – ein ebenso zentraler wie überaus komplexer Regelungspunkt einer Insolvenzordnung für Staaten.115 In der gegenwärtigen Praxis wird es bisweilen als problematisch angesehen, dass Kreditforderungen des IWF und öffentlicher Gläubiger als vorrangig gegenüber den Forderungen privater Gläubiger behandelt werden. Eine völkervertragsrechtlich vereinbarte Insolvenzordnung für Staaten sähe sich nicht zuletzt auch mit dieser Herausforderung konfrontiert . 5.2.3. Zum Haftungsumfang insolventer Staaten Zu den Regelungsgegenständen einer Insolvenzordnung, die in der Fachliteratur erörtert werden, zählt die Frage nach dem Haftungsumfang von Staaten im Insolvenzfall. In insolvenzrechtlicher Terminologie stellt sich das Problem, welche staatlichen Vermögensgegenstände zur Insolvenzmasse , aus der sich Gläubiger befriedigen können, zählen sollen.116 Der wirtschaftlich wichtigste Einzelposten des Staatsvermögens ist zumeist die Steuermacht der Staaten, das heißt ihr Recht, Steuern zu erheben.117 Gerade die Steuermacht entzieht sich vor dem 112 IMF (Fn. 98), Abs. 14 (S. 6 ff.). 113 Vgl. IMF (Fn. 98), Abs. 15 und 16. 114 Vgl. IMF (Fn. 98), Abs. 17. 115 Vgl. Johannes Langen (Fn. 43), S. 190 ff. 116 Siehe im Einzelnen Johannes Langen (Fn. 43), S. 209 ff. 117 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Fn. 21), S. 19. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 22 Hintergrund der staatlichen Souveränität118 weitgehend dem Zugriff der Gläubiger. Eine völkerrechtlich vereinbarte Insolvenzordnung stünde vor der Aufgabe, ein Verhältnis zwischen Steuermacht und insolvenzrechtlichem Haftungsumfang zu bestimmen. Dabei bestehen massive Interessenkonflikte zwischen Schuldnerstaaten und privaten sowie staatlichen Gläubigern. Da sich der Status als Schuldner- bzw. Gläubigerstaat durchaus wandeln kann, dürfte das staatliche Interesse an einer klaren und verbindlichen Regelung mit dem an einer möglichst flexiblen Regelung kollidieren. Zudem ist die Ermittlung des wirtschaftlichen Wertes der Steuermacht äußerst voraussetzungsvoll , hängt sie doch von so komplexen Bedingungen ab wie der Anpassungsfähigkeit der Bevölkerung, der administrativen Kapazität und der politischen Bereitschaft des (augenblicklichen ) Schuldnerstaates.119 In der Fachliteratur diskutierte Regelungsvorschläge für eine völkerrechtliche Insolvenzordnung stellen die Fortgeltung der (wirtschaftlichen und sozialen) Menschenrechte der Bevölkerung des Schuldnerstaates nicht in Frage.120 So wird z.B. die Sicherung des Existenzminimums der betroffenen Staatsbevölkerung als materielles Ziel einer etwaigen Kodifizierung gesehen.121 Überlegungen zur völkerrechtlichen Kodifizierung eines Staateninsolvenzverfahrens, die zur Orientierung auf die Rechtslage US-amerikanischer Bundesstaaten zurückgreifen, beziehen sich u.a. auf § 904 der US-amerikanischen Konkursordnung; danach ist es dem Konkursgericht verboten, „in die Entscheidungen eines öffentlichen Schuldners hinsichtlich der Art und des Umfangs öffentlicher Leistungen für seine Bürger einzugreifen“.122 Dadurch wird das dem Zugriff von Gläubigern ausgesetzte Staatsvermögen erheblich begrenzt. Im Ergebnis ist es schwer vorstellbar, dass ein konsensfähiger Kodifikationsvorschlag zum konkreten Haftungsumfang von Staaten im Insolvenzfall von der gegenwärtigen Staatenpraxis abwiche 123; vielmehr dürften das Souveränitätsprinzip und daraus resultierende Ermessensspielräume von Schuldnerstaaten wohl eher Bestätigung finden. 118 Vgl. zum völkerrechtlichen Grundsatz der Souveränität und dessen Konkretisierungen im Einzelnen Samantha Besson (Fn. 4) mit weiterführenden Nachweisen. 119 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Fn. 21), S. 18 ff. 120 Andererseits stellen auch die Eigentumsrechte der Gläubiger international menschenrechtlich geschützte Positionen dar, vgl. hierzu statt vieler Christoph Grabenwarter/Mathis Fister, Umschuldungsmaßnahmen für individuelle Gläubiger aus grundrechtlicher Sicht, in: Georg E. Kodek/August Reinisch (Hrsg.), Staateninsolvenz, 2. Auflage, Wien 2012 [BT-Bibliothek P 5138614], S. 321 ff., S. 335. 121 Johannes Langen (Fn. 43), S. 135 mit weiteren Nachweisen. 122 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Fn. 21), S. 21. Umfassend zu Kapitel 9 der Allgemeinen Konkursordnung der Vereinigten Staaten als Modell siehe Otto Fricke /Jan Wettlaufer, Staatsbankrott: Rechtsproblem oder Problem jenseits des Rechts, in: Kai von Lewinski (Hrsg.), Staatsbankrott als Rechtsfrage, Baden-Baden 2011, S. 19 ff, S. 25 f. [BT-Bibliothek P 5135973], sowie Antonis Malagardis (Fn. 2), S. 67 ff. Zu Kapitel 9 und/oder 11 der US-amerikanischen Konkursordnung als Modell vgl. a. Johannes Langen (Fn. 43), S. 70 ff., S. 80 ff. 123 Zur Staatenpraxis siehe statt vieler Johannes Langen (Fn. 43), S. 38 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3010 - 059/15 Seite 23 6. Zusammenfassung Der Begriff der Staateninsolvenz ist im Völkerrecht nicht klar und abschließend definiert. Im Falle von Staateninsolvenzen bleibt der Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten aufrecht erhalten. Die (Gläubiger- und Schuldner-)Staaten bleiben auch bei Staateninsolvenzen an ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen gebunden. Bi-oder multilaterale Maßnahmen zur Umstrukturierung von Staatsschulden (Erlass, Stundung, Zinsänderung) können de lege lata letztlich nur im Wege der freien Vereinbarung mit dem Schuldnerstaat getroffen werden. Die untersuchten Fälle von staatlichen Zahlungskrisen in den letzten Jahrzehnten ließen erkennen , dass bei der nachhaltigen Umstrukturierung von Staatsschulden zumeist folgende Faktoren eine wesentliche Rolle spielten: Schuldenschnitt, Währungsabwertung, Konkurrenzfähigkeit im Außenhandel, günstiges Umfeld für Investitionen, wirtschaftliche und politische Attraktivität der Repatriierung von Kapital, fiskalische Konsolidierung, externe gesamtwirtschaftliche Faktoren (z.B. Rohstoffpreise). Deutlich wurde, dass bei Staatsschuldenkrisen oft die privaten Gläubiger auf Kreditforderungen (zumindest teilweise) verzichten mussten, während Schulden beim Internationalen Währungsfonds weitgehend Bestand hatten. Die wirtschafts- und rechtswissenschaftliche Fachliteratur widmet sich ausführlich der Frage nach Inhalt und Durchsetzungsperspektiven einer völkerrechtlichen Insolvenzordnung für Staaten . Dabei ist zunächst zu bemerken, dass Ziel- und Interessenkollisionen das regulatorische Umfeld tiefgreifend prägen, so dass eine baldige Kodifizierung wenig wahrscheinlich sein dürfte. De lege ferenda werden als Leitprinzipien einer Insolvenzordnung für Staaten unter anderem die Wahrung der Souveränität und das Prinzip der Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten der Schuldnerstaaten genannt. Forderungen nach einem transparenten, fairen und berechenbaren Verfahren werden allenthalben geteilt. Im Übrigen werden in institutioneller, verfahrenstechnischer und materieller Hinsicht divergierende Regelungsvorstellungen erörtert.