WD 2 – 3000 - 057/19 (16. Mai 2019) © 2019 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Das Spannungsfeld zwischen klimaschützenden staatlichen Maßnahmen und Freihandel ist von Regelungskonflikten aber auch von Synergien geprägt. Dabei treffen zwei unterschiedlich stark verrechtlichte Regime – die des Klimaschutzes und des Freihandels – aufeinander. Das WTO- Recht beschränkt zwar die WTO-Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung ihrer klimaschützenden Handlungsmöglichkeiten, doch besteht kein grundsätzlicher Konflikt zwischen Klimaschutz und Handelsliberalisierung, der per se einseitig zulasten des Klimas gelöst würde. Im Folgenden werden schlaglichtartig einige rechtlich relevante Aspekte dieses Spannungsfeldes beleuchtet, die aber letztlich weitgehend abstrakt bleiben müssen. Konkretere Aussagen ließen sich dagegen vor dem Hintergrund konkreter nationaler Klimaschutzmaßnahmen treffen, die auf ihre WTO-Konformität hin zu überprüfen wären. 1. Klimaschützende Maßnahmen Klimaschützende Maßnahmen können indes ganz unterschiedlicher Natur sein – z.B. marktund preisbasierter Art (z.B. Energie- bzw. CO2-Steuer) oder ordnungspolitischer Art (z.B. Kennzeichnungspflichten ); sie können Anreizmaßnahmen enthalten bzw. von Subventionen flankiert sein (z.B. Förderung erneuerbarer Energien wie die Installation von Solarkollektoren u.a.m.) oder aber Maßnahmen zum Ausgleich von Kosten des Klimaschutzes darstellen.1 2. Vorrang Klimaschützende Verträge (z.B. Kyoto-Protokoll von 1997, Klima-Rahmenkonvention von 1992, Pariser Klimaschutzabkommen von 2015) und Freihandelsabkommen (z.B. GATT, JEFTA, CETA) stehen im Prinzip gleichberechtigt nebeneinander. Ein Spezialverhältnis (lex-specialis-Regel) existiert nicht. Es ist davon auszugehen, dass die Staaten auf ein möglichst konfliktloses 1 Vgl. im einzelnen Friedrich, Maike, WTO und Klimaschutz. Konflikte und Synergien zwischen nationalen Klimaschutzmaßnahmen und dem WTO-Recht, Frankfurt 2012, S. 33 ff., 140 ff. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Das Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und Freihandel Kurzinformation Das Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und Freihandel Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Nebeneinander der Vertragswerke abzielen wollen. Juristisch denkbar ist somit ein schonender Ausgleich (i.S.e. „praktischen Konkordanz“) durch eine Auslegung des WTO-Rechts im Lichte der Klimaschutzabkommen. 3. Ausnahmeregelungen Die Interessen des Freihandels gelten nicht absolut: Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen GATT2 sieht in Art. XX lit. b) und g) vielmehr allgemeine Ausnahmen vom Freihandel vor, die (auch) zur Rechtfertigung von Klimaschutzmaßnahmen herangezogen werden können. Art. XX GATT lautet: „Unter dem Vorbehalt, dass die nachstehenden Maßnahmen nicht in einer Weise durchgeführt werden, dass sie ein Mittel zur willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen den Ländern, bei denen die gleichen Verhältnisse vorliegen, oder eine verschleierte Beschränkung im internationalen Handel darstellen, soll keine Bestimmung des vorliegenden Abkommens so ausgelegt werden, dass sie einen Vertragspartner hindern würde, folgende Maßnahmen zu beschließen oder durchzuführen: b) Maßnahmen, die für den Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Personen und Tieren oder die Erhaltung des Pflanzenwuchses erforderlich sind. (…) g) Maßnahmen zum Schutz natürlicher Ressourcen, bei denen die Gefahr der Erschöpfung besteht [engl.: exhaustible natural ressources], wenn solche Maßnahmen gleichzeitig mit Beschränkungen der einheimischen Produktion oder des einheimischen Verbrauchs durchgeführt werden.“ Weitere spezielle Ausnahmetatbestände für den Klimaschutz kennt das GATT nicht. Bei der Auslegung von Art. XX GATT stellt sich die Frage, inwieweit man das Klima als „natürliche Ressource“ oder “Naturschatz“ bezeichnen kann. Nach Auffassung des WTO-Streitschlichtungsgremiums (Appelate Body) im Shrimp/Turtle-Fall3 ist der Begriff der “erschöpflichen Naturressourcen “ für Begriffswandlungen offen und somit einer dynamischen Interpretation zugänglich . Immerhin ist das Ziel der nachhaltigen Entwicklung und des Umweltschutzes bei der Gründung der WTO im Jahre 1994 in die Präambel des WTO-Übereinkommens eingebracht worden.4 In einem obiter dictum zur Entscheidung im Retreaded Tyres-Fall5 hat der Appellate 2 Text abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/classifiedcompilation /19470239/200308120000/0.632.21.pdf. 3 United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, Report of the Appellate Body v. 12.10.1998, para. 130, abrufbar unter: https://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/cases_e/ds58_e.htm. 4 Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation v. 15.4.1994, abrufbar unter https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19940094/201710190000/0.632.20.pdf. Dort heißt es: „(…) wobei gleichzeitig die optimale Erschließung der Ressourcen der Welt im Einklang mit dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung möglich sein soll, im Hinblick auf den Schutz und die Erhaltung der Umwelt (…).“ 5 Brazil – Measures Affecting Imports of Retreaded Tyres, WT/DS332/AB/R, Report of the Appellate Body v. 3.12.2007, para. 151, abrufbar unter: https://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/cases_e/ds332_e.htm. Kurzinformation Das Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und Freihandel Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Body signalisiert, dass er bereit ist, Fragen der globalen Erwärmung, die zugleich Tiere und Pflanzen gefährdet, unter Art. XX lit. b) GATT einzuordnen. 4. JEFTA Im neuen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union und Japan (JEFTA vom 12. Dezember 2018, in Kraft seit 1. Februar 2019) findet sich dagegen – erstmals in einem Freihandelsabkommen – explizit ein Kapitel zum Klimaschutz (vgl. Art. 16 JEFTA). Dabei handelt es sich inhaltlich (nur) um Absichtserklärungen bzw. Zielvereinbarungen sowie prozedurale Vorkehrungen zur Berücksichtigung des Klimaschutzes. Wie dieser sich im Konfliktfall mit dem Freihandelsrecht durchsetzen wird, lässt sich derzeit noch nicht absehen, da es noch keine Staatenpraxis bzw. schiedsgerichtliche Rechtsprechung dazu gibt. 5. „Necessity“-Test Rechtliche Probleme bei der Behandlung von Ausnahmetatbeständen im Freihandelsrecht zugunsten von klimaschützenden Maßnahmen wirft der sog. „necessity-Test“ auf. Dabei ist zu beurteilen, ob Klimaschutzmaßnahmen tatsächlich notwendig sind, um Leben und Gesundheit von Menschen sowie Tieren oder Pflanzen zu schützen – oder womöglich nur „einen Beitrag dazu leisten“. In diesem Zusammenhang geht es um die Frage, wie mit wissenschaftlichen Unsicherheiten betreffend die Kausalität umzugehen ist.6 Bedeutung kommt dabei dem umweltrechtlichen Vorsorgeprinzip zu, wonach der Staat präventiv tätig werden muss, wenn irreversible Schäden in Rede stehen. 6. Pariser Klimaschutzabkommen Das Pariser Klimaschutzabkommen7 vom 12. Dezember 2015 stellt überwiegend Zielvereinbarungen zur Emissionsreduktion („2%-Ziel“) auf und verpflichtet die Staaten zu entsprechenden nationalen Umsetzungsmaßnahmen (vgl. Art. 4 Abs. 2 Pariser Klimaschutzabkommens) einschließlich zur Erstellung nationaler Klimaschutzpläne. Art. 10 des Pariser Klimaschutzabkommens , der den Transfer klimafreundlicher Technologie regelt, könnte aufgrund seines grenzüberschreitenden Sachverhalts ggf. Konfliktpotential mit dem Freihandelsabkommen entfalten.8 6 Dazu näher Friedrich, a.a.O. (Anm. 1), S. 73 ff. 7 Text abrufbar unter https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/paris_abkommen_bf.pdf. 8 Dröge, S. / Asselt, H. / Das, K. / Mehling, M., “Mobilising Trade Policy for Climate Action under the Paris Agreement”, SWP Research Paper, Februar 2018, S. 17. Kurzinformation Das Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und Freihandel Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 4 7. Synergien Klimaschutz und Freihandel stehen potentiell nicht nur in einem Konflikt-, sondern unter Umständen auch in einem Synergieverhältnis. Ein Anreiz zur Stärkung des nationalen Klimaschutzes könnte dadurch gesetzt werden, dass (völkerrechtliche) Bemühungen in diesem Bereich (z.B. die Ratifikation eines Klimaschutzabkommens) die Gewährung von Zollpräferenzen durch andere Staaten nach sich ziehen. Dadurch ließe sich das WTO-Recht gleichsam „synergetisch“ als Anreiz für den Klimaschutz nutzen.9 Ob ein solcher Ansatz zu einer ungerechtfertigten Diskriminierung führt (Verstoß gegen das Meistbegünstigungsprinzip) oder im Rahmen des sog. Enabling Clause10 zulässig ist, bedarf einer Prüfung im Einzelfall. 8. Weiterführende Literatur Buck, Matthias / Verheyen, Roda, Nationale Klimaschutzmaßnahmen und Welthandelsrecht: Konflikte, Synergien und Entwicklungsperspektiven, in: Zeitschrift für Umweltrecht (ZUR) 2002, S. 89 ff. Carrapatoso, A., „WTO und der globale Umweltschutz - ein Beitrag zum Green New Deal?“, GIGA Focus Nr. 4, 2009, abrufbar unter https://www.gigahamburg .de/de/system/files/publications/gf_global_0904.pdf. Dröge, S. / Asselt, H. / Das, K. / Mehling, M., “Mobilising Trade Policy for Climate Action under the Paris Agreement”, SWP Research Paper, Febr. 2018, abrufbar unter https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/56828/ssoar-2018-droge_et_al- Mobilising_trade_policy_for_climate.pdf?sequence=1. Friedrich Maike, WTO und Klimaschutz. Konflikte und Synergien zwischen nationalen Klimaschutzmaßnahmen und dem WTO-Recht, Frankfurt 2012. 9 Näher Friedrich, a.a.O. (Anm. 1), S. 235 ff. 10 Bei den GATT-Verhandlungen zur Liberalisierung des Welthandels wurde 1979 (Ende der „Tokio-Runde“) vereinbart , das im GATT verankerte Prinzip der Meistbegünstigung für Entwicklungsländer auszusetzen (enabling clause als Ausnahme vom Prinzip der Gleichbehandlung). Die Ermächtigungsklausel ist eingebettet in das «generalisierte Präferenzssystem» (Generalized System of Preferences, GSP). Danach darf die Ermächtigungsklausel «generell, nicht-diskriminierend und nicht reziprok» angewandt werden. Die Entscheidung des GATT (L/4903) vom 28.11.1979, die heute Bestandteil des WTO-Rechts ist, ist abgedruckt unter https://www.wto.org/English/docs_e/legal_e/enabling1979_e.htm. Die EU verfolgt den Ansatz, Ländern, die die wichtigsten internationalen Übereinkommen in den Bereichen soziale Rechte, Umweltschutz, verantwortungsvolles Regieren und Bekämpfung der Drogenproduktion und des Drogenhandels anerkennen, spezielle Anreize zu bieten. Kurzinformation Das Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und Freihandel Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 5 Hufbauer, Gary Clyde / Charnovitz, Steve / Kim, Jisun, Global Warming and the World Trading System, Washington 2009. Voigt, Christina, WTO Law and international emissions trading: Is there potential for conflict?, in: Carbon and Climate Law Review (CCLR) 2008, S. 54 ff., https://cclr.lexxion.eu/article/CCLR/2008/1/28. „Handel und Klimaschutz. Ein Widerspruch? Wege zu einer gerechten und ökologisch nachhaltigen Globalisierung“ (Veranstaltungsbericht), Veranstaltung im Rahmen des Zukunftslabors „Gerechte Globalisierung“, 20. März 2019 (als PdF-Anlage). ***