© 2018 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 057/18 Zur Staatenlosigkeit von Palästinensern und zur Anerkennung Palästinas und der von seinen Behörden ausgegebenen Reisedokumente Sachstand Wissenschaftliche Dienste Wissenschaftliche Dienste WD 2 - 3000 - 057/18 Seite 2 Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Anstrengungen, die Staatenlosigkeit von Palästinensern zu überwinden 11 Wissenschaftliche Dienste WD 2 - 3000 - 057/18 Seite 4 1. Einführung In diesem Sachstand wird dargelegt, welche Gründe es für die Staatenlosigkeit von Palästinensern und Palästinenserinnen gibt und welche Folgen sie hat. Desweiteren wird dargelegt, welche Staaten Palästina nicht als eigenen Staat anerkennen und welche Bedeutung der sogenannte palästinensische Reisepass hat. „Palästina“ steht hierbei für die Palästinensischen Autonomiegebiete, d.h. die Westbank und den Gazastreifen. Der ursprünglichen Definition der Organisation für die Befreiung Palästinas (PLO) von 1988, dem Jahr der „Unabhängigkeitserklärung Palästinas“, wird nicht gefolgt, da diese keine klaren Grenzen Palästinas definiert, hingegen das gesamte Territorium des Staates Israel umfasst und nicht nur die modernen palästinensischen Gebiete.1 „Palästinensischer Pass“ steht für die Reisedokumente, die gemäß der Übereinkunft von Oslo (1994) an die Bewohner Palästinas2 ausgegeben werden können und die auch von Staaten, die die Eigenstaatlichkeit Palästinas nicht anerkennen, als legales Ausweis- und Reisedokument akzeptiert werden. 2. Staatenlosigkeit3 Als Staatenlose werden Menschen bezeichnet, die keine bzw. keine anerkannte Staatsangehörigkeit besitzen. Letzteres bedeutet, dass auch Menschen, die die Staatsangehörigkeit eines Staates nach dessen Gesetzen besitzen, in einem Staat, der ihren Heimatstaat nicht als Staat anerkennt, als Staatenlose betrachtet werden. Dies ist z.B. bei Menschen in Deutschland, die außer der palästinensischen Staatsangehörigkeit keine weitere besitzen, der Fall. Deutschland betrachtet solche Menschen als staatenlos (in Schweden z.B. wären sie palästinensische Staatsbürger). Es gibt zahlreiche Gründe für Staatenlosigkeit. 1. Rein juristische Gründe, etwa, wenn die Staatsbürgergesetze eines Ursprungsstaates mit denen eines Geburtslandes konfligieren. 2. Diskriminierung aufgrund der Ethnie oder Gruppenzugehörigkeit. 1 Jerome Segal, 'Land of the Three Faiths:' The Little-known History of the Palestinian Declaration of Independence, Haaretz am 15. November 2017, https://www.haaretz.com/middle-east-news/palestinians/the- 1988-declaration-of-independence-1.5150321 (zuletzt abgerufen am 4. Mai 2018). 2 Aber nicht an die Bewohner Ostjerusalems – diese besitzen jordanische Ausweise. Waseem Akram, The legal status of East Jerusalem Palestinian Residents, 25. März 2017, https://medium.com/@thepalestineproject/thelegal -status-of-east-jerusalem-palestinian-residents-35ab1f6964c4 (zuletzt abgerufen am 4. Mai 2018). 3 Alle Informationen dieses Abschnittes sowie weiterführende und detaillierte Ausführungen in: UNHCR, Handbook on Protection of Stateless Persons under the 1954 Convention relating to the Status of Stateless Persons, 2014, http://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2017/04/CH-UNHCR_Handbook-on- Protection-of-Stateless-Persons.pdf (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2018). Wissenschaftliche Dienste WD 2 - 3000 - 057/18 Seite 5 3. Genderbasierte Gründe. So können z.B. in einigen Staaten Mütter ihre Staatsangehörigkeit nicht ohne weiteres auf ihre Kinder vererben, da die Staatsangehörigkeit laut Gesetz allein über den Vater weitergegeben wird. Ist der Vater unbekannt oder selbst staatenlos, können die Kinder nach dem Recht ihres Staates nicht oder nur schwer die Staatsangehörigkeit der Mutter erhalten. 4. Administrative Gründe. In vielen Fällen werden Flüchtlinge in Aufnahmeländern nicht registriert oder können keinen Nachweis über ihre Staatsangehörigkeit erbringen. Fehlende Nachweisbarkeit ist an sich zwar kein Grund für Staatenlosigkeit, kann aber de facto zu ihr führen, vor allem auch bei im Aufnahmeland geborenen Kindern von Flüchtlingen. 5. Herkunft aus einem nicht als Staat anerkannten Territorium. Dies trifft, wie unten gezeigt wird, auf viele Palästinenser zu, die in einem Staat leben, der einen Staat Palästina nicht anerkennt. 3. Staatenlosigkeit von Palästinensern Mindestens etwa fünf Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser, nämlich die palästinensischen Flüchtlinge, die in arabischen Staaten leben, sind staatenlos, da sie weder als Staatsbürger Palästinas registriert, noch Staatsbürger ihrer Aufenthaltsländer sind. Weitere 1,4 Millionen4 Menschen, die in den Autonomiegebieten leben, gelten zumindest in den Staaten der Welt, die Palästina nicht als Staat anerkennen, als staatenlos (s.u.). Wie viele Menschen im Einzelnen in den unterschiedlichen arabischen Ländern, den Teilen der Autonomiegebiete sowie der globalen palästinensischen Diaspora staatenlos sind, konnte im Rahmen der Recherche für diese Arbeit nicht sicher eruiert werden. Einige Quellen sprechen vage von „der Hälfte aller Palästinenser weltweit“, wobei wiederum schwierig ist, die Zahl der Palästinenser insgesamt wegen der großen Zerstreutheit der Diaspora sowie ungenügenden oder unzuverlässigen Registrierungszahlen in arabischen Ländern festzustellen. Im Jahre 2015 gab das Statistikamt der Autonomiegebiete die Zahl der Palästinenser weltweit mit 12,37 Millionen an.5 Nimmt man die tatsächlichen Bewohner der Autonomiegebiete aus, die ja in den meisten Staaten nicht als staatenlos betrachtet werden, sowie die 1,23 Millionen Palästinenser, die in Israel leben, so ist die Angabe „die Hälfte aller Palästinenser“ ungefähr hinreichend. Für die etwa 200.000 4 Zahl von 2015. Siehe State of Palestine - Palestinian Central Bureau of Statistics, Number of Palestinians (In the Palestinian Territories Occupied in 1948) for Selected Years, End Year, 2016, http://pcbs.gov.ps/Portals/_Rainbow/Documents/Eng%20time%20series%20p.htm (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2018). 5 Palestinian population to exceed Jewish population by 2020, Ma’an News Agency, 1. Januar 2016, http://www.maannews.com/Content.aspx?id=769606 (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2018). Wissenschaftliche Dienste WD 2 - 3000 - 057/18 Seite 6 Palästinenser, die in Europa leben, spricht zumindest eine Quelle davon, dass „die Mehrheit“ Staatenlose mit Reisedokumenten des Libanons oder Ägyptens seien.6 Im Falle der palästinensischen Flüchtlinge, die in den Staaten des Nahen Ostens leben, kommen für ihre Staatenlosigkeit hauptsächlich drei Gründe zusammen. Zwar erkennen alle arabischen Staaten den Staat Palästina an, doch führt dies nicht zu einer Reduzierung der Staatenlosigkeit unter den Palästinensern. 1. Das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen von 1954 enthält eine Bestimmung, die bei UNRWA7 registrierte palästinensische Flüchtlinge von seinem Schutzbereich ausnimmt. Artikel 1(2)(i) der Konvention schließt Personen aus ihrer Zuständigkeit aus, denen ein Organ oder eine Organisation der Vereinten Nationen mit Ausnahme des UNHCR8 Schutz oder Beistand gewährt und das, solange sie diesen Beistand genießen. Daher kann die Konvention nicht auf von UNRWA betreute Palästinenser angewendet werden.9 2. Die Staaten der Arabischen Liga verfolgen seit 1965 die explizite Politik, palästinensischen Flüchtlingen nicht die jeweilige Staatsangehörigkeit zu verleihen.10 Damit soll das „Recht auf Rückkehr“ der Betreffenden unterstrichen werden. Die einzige Ausnahme stellt Jordanien dar, das bis 1967 alle nach Jordanien geflüchteten Palästinenser zu Jordaniern machte.11 Allerdings unterscheiden sich die Folgen der Staatenlosigkeit von Land zu Land sehr stark. In Syrien sind Palästinenser den Syrern rechtlich – mit Ausnahme des in Syrien ja ohnehin äußerst mangelhaften Wahlrechtes 6 Abbas Shiblak, Stateless Palestinians, Forced Migration Review 26, August 2006, http://www.fmreview.org/sites/fmr/files/FMRdownloads/en/palestine/shiblak.pdf (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2018). 7 Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, englisch United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA). 8 Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen bzw. Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (englisch United Nations High Commissioner for Refugees, UNHCR) 9 Susan W. Akram, Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA), Bundeszentrale für politische Bildung, 17. Juni 2016, https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/229614/unrwa?p=all (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2018). 10 Protocol for the Treatment of Palestinians in Arab States ("Casablanca Protocol"), 2018, http://www.refworld.org/docid/460a2b252.html (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2018). 11 Judith Miller und David Samuels, No way home: the tragedy of the Palestinian diaspora, The Independent am 21. Oktober 2009, https://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/no-way-home-the-tragedy-of-thepalestinian -diaspora-1806790.html (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2018). Nach Anzettelung eines Bürgerkrieges durch die PLO und die PLPF (Volksfront zur Befreiung Palästinas) verweigerte das Königreich Jordanien Palästinensern jahrelang die Staatsbürgerschaft, wobei die jordanische Bevölkerung z.B. im Jahre 1970 zu zwei Dritteln aus Menschen palästinensischer Herkunft bestand, was allerdings auch daher rührte, dass Jordanien damals noch das Westjordanland als Staatsgebiet beanspruchte. Als Jordanien diesen Anspruch 1988 aufgab, wurden die dort lebenden Menschen staatenlos. Wissenschaftliche Dienste WD 2 - 3000 - 057/18 Seite 7 – gleichgestellt; im Libanon werden sie aus innen- und religionspolitischen Erwägungen und aufgrund ihrer Rolle beim Libanesischen Bürgerkrieg rechtlich und faktisch sehr viel schlechter gestellt als Libanesen und verfügen über extrem eingeschränkte Rechte.12 Die Tatsache, dass der Flüchtlingsstatus der bei UNRWA registrierten Flüchtlinge patrilinear an ihre Nachkommen weitergegeben wird, stellt international einen juristischen Ausnahmefall dar und hat dafür gesorgt, dass die Zahl der palästinensischen Flüchtlinge sich über die Jahrzehnte von rund 700.000 auf etwa fünf Millionen erhöht hat.13 Die arabischen Staaten haben bislang keine Absichten erkennen lassen, den Status der palästinensischen Flüchtlinge zu verändern bzw. zu verbessern oder sich vom Casablanca-Protokoll zu verabschieden. 3. Selbst wenn ein Palästinenser aus einem arabischen Land in die Autonomiegebiete reisen kann, wird seine Registrierung als Staatsbürger scheitern, denn die Palästinensischen Autonomiegebiete haben kein umfassendes Staatsbürgerschaftsgesetz14. Derzeit gilt die israelische Regelung: um die palästinensische Staatszugehörigkeit zu erwerben, muss ein Elternteil des oder der Betreffenden ein/e arabische/r Palästinenser/in15 sein, der/die in der Westbank oder im Gazastreifen registriert ist und eine israelische Identitätskarte besitzt. Flüchtlinge aus arabischen Staaten können also, selbst wenn sie ethnische Palästinenser sind, derzeit legal keine Staatsbürgerschaft Palästinas erwerben. Zwar existiert seit 1995 ein Entwurf für ein Staatsbürgergesetz, das Gesetz wurde aber noch nicht verabschiedet.16 Überdies sieht auch der Entwurf keine umfassende Lösung für die palästinensischen Flüchtlinge bzw. die Palästinenser der Diaspora vor. Ohne Gesetz ist es einem Palästinenser aus einem Drittstaat nicht möglich, die „limitierte Staatsangehörigkeit“ Palästinas zu erhalten. Immerhin hat Israel im Jahre 2017 das Zeitfenster, in dem eine israelische Identitätskarte erhalten werden kann – ursprünglich bis zum 5. Lebensjahr – vergrößert. Die Beantragung ist nun bis zum 16. Lebensjahr möglich, was vielen im Ausland lebenden Palästinensern aus der Westbank und dem Gazastreifen die Beantragung einer palästinensischen Staatsangehörigkeit erleichtert, da sie nun z.B. 12 Judith Miller und David Samuels (Anm. 11). 13 UNRWA, Who we are, 2018, https://www.unrwa.org/who-we-are (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2018). 14 Alle Ausführungen dieses Absatzes: UNHCR, West Bank and Gaza Strip: Whether a person who was born stateless in Lebanon of Palestinian parents would be permitted to apply for Palestinian citizenship since the establishment of Palestinian autonomy in the West Bank and Gaza Strip, and if so, to whom must he or she submit his or her application, and what criteria must be met in order to be eligible for Palestinian citizenship, 11. Mai 1998, http://www.refworld.org/docid/3ae6ab8d5c.html (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2018). 15 Die Bezeichnung „arabischer Palästinenser“ entstammt den Gesetzen des Britischen Mandatsgebietes, die seinerzeit auch Nichtaraber (z.B. Juden), die im damaligen Mandatsgebiet Palästina lebten, als Palästinenser bezeichneten. 16 Nils August Butenschøn, Uri Davis und Manuel Sarkis Hassassian, Citizenship and the State in the Middle East, S. 219 -220, Syracuse University Press, 2000. Wissenschaftliche Dienste WD 2 - 3000 - 057/18 Seite 8 nicht mehr mit einem Kleinkind mehrere Tage lang in die Autonomiegebiete reisen müssen.17 Insgesamt sind vor allem die im Nahen Osten lebenden palästinensischen Flüchtlinge ein Spielball unterschiedlicher Interessen – sowohl der sie beherbergenden Staaten als auch der Führung der Autonomiegebiete, die sich bis heute weigert, die Zustände, in denen palästinensische Flüchtlinge in arabischen Staaten leben, zu verurteilen oder sich gar für eine „Repatriierung“ in die Autonomiegebiete einzusetzen. Grundsätzlich läge es primär an den arabischen Staaten, den rechtlichen Status der Palästinenser zu normalisieren und ihnen durch Verleihung der Staatsbürgerschaft Perspektiven zu eröffnen, die sie jetzt nicht haben.18 4. Folgen von Staatenlosigkeit Staatenlosigkeit kann vielfältige Folgen haben, die sich zumeist nach Gesetzeslage im Aufenthaltsland des betreffenden Menschen stark unterscheiden können. Menschenrechtlich ist Staatenlosigkeit ein Verstoß gegen das Recht auf eine Staatsangehörigkeit. Völkerrechtlich begründet Staatenlosigkeit bestimmte Schutzrechte des Betroffenen bzw. Schutzpflichten des Aufnahmestaates. Gleichzeitig führt sie – vor allem in weniger entwickelten Ländern – oft zu massiven Benachteiligungen. Ohne Staatsangehörigkeit kann z.B. in einigen Staaten keine Geburtsurkunde oder kein Personalausweis beantragt werden, was wiederum den Zugang zu Bildung, Sozialleistungen und dem Arbeitsmarkt erschwert. Für palästinensische Staatenlose, die als Flüchtlinge bei UNRWA registriert sind, gilt darüber hinaus, dass die Genfer Flüchtlingskonvention auf sie ausdrücklich keine Anwendung findet.19 Sie können daher auch nicht an Resettlement-Programmen der VN teilnehmen und müssen in Drittstaaten nicht als Flüchtlinge anerkannt werden.20 17 New rule allows thousands of Palestinians abroad to get ID card, Gulf News am 18. März 2017, https://gulfnews.com/news/mena/palestine/new-rule-allows-thousands-of-palestinians-abroad-to-get-id-card- 1.1995431 (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2018). 18 Vgl. die Ausführungen in Judith Miller und David Samuels (Anm. 11). 19 Artikel 1D der Genfer Flüchtlingskonvention lautet: „Dieses Abkommen findet keine Anwendung auf Personen, die zurzeit den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge genießen.“ Schutz und Beistand durch die UNRWA schließen die Geltung der Konvention für die als Flüchtlinge registrierten Palästinenser aus. Siehe Susan W. Akram, Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA), Bundeszentrale für politische Bildung, 17. Juni 2016, https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/229614/unrwa?p=all (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2018). 20 Abbas Shiblak (Anm. 6). Wissenschaftliche Dienste WD 2 - 3000 - 057/18 Seite 9 5. Anerkennung Palästinas und seiner Reisepässe Die große Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (VN), nämlich 143 von 193 Staaten, erkennt Palästina als eigenen Staat an.21 Deswegen werden am Ende dieses Abschnittes nur die 50 Staaten aufgeführt, die dies nicht tun.22 Alle VN-Mitgliedstaaten erkennen den sogenannten palästinensischen Reisepass an. Dies bedeutet nicht, dass diese Staaten einen Staat Palästina anerkennen, sondern lediglich, dass der Pass als legales Dokument der Identitätsfeststellung zu Reisezwecken akzeptiert wird. Es gibt mit Madagaskar und dem Libanon zwei Staaten, die Inhabern des palästinensischen Passes die Einreise grundsätzlich verweigern. Über die einzelnen Gründe dafür konnten im Rahmen der Recherche keine Erkenntnisse gewonnen werden. Eine Verweigerung der Einreise bedeutet jedoch weder, dass der Staat Palästina als solcher nicht anerkannt wird (der Libanon tut dies), noch, dass der Pass als solcher nicht anerkannt wird. Grundsätzlich steht es jedem Staat frei, die Einreisebestimmungen selbst festzulegen und dabei sowohl Einzelpersonen als auch Gruppen oder den Angehörigen eines bestimmten Staates die Einreise zu verweigern. Inhaber von palästinensischen Reisepässen können bislang in 14 Staaten visumfrei einreisen.23 In weiteren 19 Ländern kann mit diesem Pass ein Visa-onarrival ausgestellt werden.24 Ob ein Staat Palästina als Staat anerkennt und ggf. diplomatische Beziehungen aufnimmt, liegt ganz in seinem Ermessen. So erkennen auch einige Staaten der Europäischen Union (z.B. Schweden oder Polen) Palästina als Staat an, während die Mehrheit der EU-Staaten dies nicht tut. Auch die EU als solche hat Palästina nicht als Staat anerkannt. Grundsätzlich ist die Anerkennung eines Staates durch einen anderen eine Frage der Souveränität des letzteren. Es existiert keine völkerrechtliche Regelung, die Staaten zur Anerkennung eines Staates zwingen könnte. Die Tatsache, dass ein Territorium die Kriterien25, die nach mehrheitlicher Meinung einen Staat ausmachen, erfüllt, zwingt Staaten nicht zu seiner Anerkennung. 21 Außerdem hat der Heilige Stuhl, nicht VN-Mitglied, Palästina anerkannt. 22 Al Jazeera, Palestine: growing Recognition, 15. Januar 2017, https://www.aljazeera.com/indepth/interactive/2017/01/palestine-growing-recognition-170115201330185.html (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2018). 23 Es handelt sich um Bolivien, Dominica, Ecuador, Haiti, Indonesien, Iran, Jordanien, Malaysia, Mikronesien (das gleichzeitig Palästina nicht als Staat anerkennt), Nicaragua, Saint Vincent und die Grenadinen, Singapur, Swaziland (seit 2018 offiziell: eSwatini) und Venezuela. 24 Bangladesch, Djibouti, Guinea-Bissau, Kambodscha, Kapverden, Komoren, Laos, Malediven, Mauretanien, Palau, Saint Lucia, Samoa, Seychellen, Simbabwe, Somalia, Timor-Leste, Togo, Tuvalu und Uganda. 25 Neben der Drei-Elementen-Lehre nach Jellinek, die die Kriterien 1. Staatsgebiet, 2. Staatsvolk, 3. Staatsgewalt aufstellt, gibt es noch die vier Kriterien, die in der Konvention von Montevideo über die Rechte und Pflichten von Staaten von 1933 für die damaligen amerikanischen Vertragsstaaten festgelegt wurden: 1. Permanente Bevölkerung, 2. Festgelegtes Territorium, 3. Regierung, 4. Befähigung, mit anderen Staaten in Beziehung zu treten. Einige Staaten verweigern die Anerkennung Palästinas unter Verweis auf dessen angebliche Nichterfüllung des zweiten und/oder dritten Kriteriums. Wissenschaftliche Dienste WD 2 - 3000 - 057/18 Seite 10 Im Falle Palästinas haben die meisten der Staaten, die es nicht anerkennen, verlautbaren lassen, dass sie eine Zweistaatenregelung anstreben und die palästinensischen Gebiete demnach erst nach Abschluss einer entsprechenden Einigung mit Israel als Staat anerkennen wollen. Dies ist z.B. auch die Position der Bundesregierung.26 Die Nichtanerkennung bedeutet jedoch nicht zwingend die völlige Ignorierung Palästinas durch den jeweiligen Staat. Vielmehr gibt es de facto Abstufungen zwischen Anerkennung und Nichtanerkennung. So gilt die Palästinensische Autonomiebehörde auch der Bundesrepublik als offizielle Ansprechpartnerin etwa bei Fragen der Entwicklungszusammenarbeit, und die Vorsitzenden der Behörde gelten wie vor ihnen die Anführer der PLO als Vertreter des palästinensischen Volkes bei internationalen Verhandlungen. Und obwohl z.B. Norwegen Palästina nicht als Staat anerkennt, behandelt es die Vertretung der Autonomiebehörde in Oslo rechtlich wie eine Botschaft und deren Mitarbeiter wie ausländische Diplomaten.27 In mehreren der auf der folgenden Seite aufgelisteten Länder hat das Parlament die Regierung aufgefordert, Palästina als Staat anzuerkennen, ohne dass dies bislang geschehen ist. Dazu gehören Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Spanien und Portugal. 26 Auswärtiges Amt, Der Nahostkonflikt, 2018, https://www.auswaertigesamt .de/de/aussenpolitik/regionaleschwerpunkte/nahermittlererosten/-/203626 (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2018). 27 Michael Sandelson, Palestinians get embassy in Oslo, The Foreigner am 16. Dezember 2010, https://theforeigner.no/pages/news/palestinians-get-embassy-in-oslo/ (zuletzt abgerufen am 4. Mai 2018). Wissenschaftliche Dienste WD 2 - 3000 - 057/18 Seite 11 Folgende Staaten erkennen Palästina nicht als Staat an: Andorra Armenien Australien Bahamas Belgien Dänemark Deutschland Eritrea Estland Fiji Finnland Frankreich Griechenland Großbritannien Irland Israel Italien Jamaika Japan Kamerun Kanada Kiribati Kolumbien Süd-Korea Kroatien Lettland Liechtenstein Litauen Luxemburg Mazedonien Mexiko Mikronesien Moldawien Myanmar Nauru Niederlande Neuseeland Norwegen Österreich Panama Portugal St. Kitts and Nevis Salomonen Samoa Schweiz Singapur Slowenien Spanien Tonga Vereinigte Staaten 6. Anstrengungen, die Staatenlosigkeit von Palästinensern zu überwinden Wie oben ausgeführt, haben die Autonomiegebiete bislang kein modernes Staatsbürgerschaftsgesetz verabschiedet. Darüber hinaus weigern sich die Staaten der Arabischen Liga, palästinensischen Flüchtlingen die Staatsbürgerschaft zu verleihen. Beide Faktoren tragen stark zur Staatenlosigkeit vieler Palästinenser bei. Bislang sind kaum Anstrengungen, diesen Zustand zu beenden, erkennbar. Tatsächlich wird in der thematisch relevanten Literatur oft beklagt, dass die Frage der Rückkehr von Flüchtlingen nach Palästina bei internationalen Verhandlungen stets ausgeklammert wird. Generell wird davon ausgegangen, dass das Schicksal der Flüchtlinge bzw. ihrer Nachkommen erst nach Realisierung einer Zweistaatenlösung bzw. nach Lösung des Israel-Palästina-Konfliktes zu klären sei. Vertreter der palästinensischen Wissenschaftliche Dienste WD 2 - 3000 - 057/18 Seite 12 Diaspora werfen auch der Autonomiebehörde vor, sie ganz grundsätzlich im Stich zu lassen, was auch die Frage nach der Staatenlosigkeit mit einschließt.28 Die VN wiederum behandeln die Frage der Staatenlosigkeit von Palästinensern ganz explizit als Sonderfall und haben sie aus ihrer 2014 begonnenen Kampagne gegen die Staatenlosigkeit, „I Belong“, ausdrücklich ausgeklammert.29 Die Schutzlücken der Genfer Flüchtlingskonvention sowie des Übereinkommens über die Rechtsstellung von Staatenlosen wurden von den VN bislang ebenso nicht angegangen, und es ist derzeit nicht erkennbar, dass eine Ausweitung auf die palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten geplant ist.30 Dies schließt natürlich nicht aus, dass einzelne Länder sich durch Verleihung der Staatsbürgerschaft an bei ihnen lebende palästinensische Flüchtlinge (oder auch Bürger der Autonomiegebiete, sofern diese im Aufenthaltsstaat nicht als Staat anerkannt werden) deren Staatenlosigkeit beenden. *** 28 Ali Younes, Palestinian diaspora divided over right to return, Al Jazeera am 16. März 2017, https://www.aljazeera.com/indepth/features/2017/03/palestinian-diaspora-world-return-170313090704251.html (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2018). 29 Nina Larson, UN kicks off stateless people campaign, but omits Palestinians, Times of Israel am 4. November 2014, https://www.timesofisrael.com/un-kicks-off-stateless-people-campaign-but-omits-palestinians/ (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2018). 30 Susan W. Akram (Anm. 9).