Völkerrechtliche Rahmenbedingungen für Einsätze der Bundeswehr im Ausland - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 057/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Völkerrechtliche Rahmenbedingungen für Einsätze der Bundeswehr im Ausland Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 057/08 Abschluss der Arbeit: 13. Juni 2008 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. Inhalt 1. Einleitung 3 2. Parameter der Typologisierung 3 3. Grundzüge der rechtlichen Rahmenbedingungen 4 4. Einsätze ohne Einwilligung der Regierung 5 4.1. Völkerrechtliche Grundlage 5 4.2. Anwendbares Recht: Humanitäres Völkerrecht des internationalen bewaffneten Konflikts 5 5. Einsätze auf Einladung einer Regierung 6 5.1. Rechtsgrundlage: Mandat plus Zustimmung des betroffenen Staates 6 5.2. Rechtliche Rahmenbedingungen für den nicht-internationalen Konflikt 7 5.2.1. Einordnung internationalisierter Konflikte 7 5.2.2. Abgrenzung zum Stabilisierungseinsatz 7 5.2.3. Kerngehalte des anwendbares Recht 9 5.3. Rechtlicher Rahmen für Friedensmissionen mit Stabilisierungsauftrag 11 - 3 - 1. Einleitung Auslandseinsätze der Bundeswehr finden in diversen sicherheitspolitischen Kontexten statt. Ebenso vielfältig und mitunter verwirrend erscheinen die unterschiedlichen damit korrespondierenden völkerrechtlichen Rahmenbedingungen. Um eine Reduzierung der Komplexität zu erreichen, sollen im Folgenden verschiedene Einsatzformen typologisch vorgestellt werden. Diese Kategorisierung dient zugleich dazu, die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen in ihren Grundzügen darzustellen und auf jeweils besonders virulente Fragen hinzuweisen. Die Befugnisse der deutschen Soldaten bedürfen neben der völkerrechtlichen Grundlage auch immer einer verfassungsrechtlichen Verankerung. Die sich stellenden Fragen hinsichtlich des Umfangs des jeweiligen durch den Bundestag erteilten Einsatzmandats werden hier ausgeklammert, da sie zu weiten Teilen der politischen Gestaltung durch das Parlament unterliegen und insofern an die Situation anpassbar sind. 2. Parameter der Typologisierung Da die folgenden Ausführungen die rechtlichen Rahmenbedingungen für Auslandseinsätze in ihren Grundstrukturen darstellen wollen, folgt die Typologisierung zwei rechtlichen Parametern: Zum einen wird auf die Intensität des Konflikts abgestellt. Nach dieser entscheidet sich, ob ein Einsatz als Friedensmission gelten kann oder bereits als bewaffneter Konflikt angesehen werden muss.1 Zum anderen soll das Verhalten der Regierung des Einsatzstaates zur Typenbildung herangezogen werden. Nach diesem entscheidet sich z. B. nach herrschender Ansicht insbesondere, ob die Regeln des internationalen oder des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts Anwendung finden. Zwar ist in jüngerer Zeit ein Trend zur Vereinheitlichung dieser Regime festzustellen; dies hat aber noch nicht dazu geführt, dass diese Unterscheidung bedeutungslos geworden wäre.2 Bei Einsätzen unterhalb der Schwelle des bewaffneten Konflikts kann anhand dieses Kriteriums zwischen einer Stabilisierungsmission und der Etablierung eines (internationalen) Besatzungsregimes unterschieden werden.3 Diese Kategorisierung erfasst nicht alle möglichen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Nicht umfasst sind insbesondere Einsätze, bei denen keine Zwangsmittel angewendet 1 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Beurteilung der Intensität eines konkreten Einsatzes eine genaue Kenntnis der Lage vor Ort voraussetzt. 2 Dieter Fleck, The Law of Non-international Armed Conflicts, in: ders. (Hrsg.), The Handbook of International Humanitarian Law, 2. Auflage 2008, S. 603, Rn. 1201, 1204. 3 Hans F. Kiderlen, Von Triest nach Osttimor, 2008, S. 336. - 4 - werden dürfen, da sie nur auf einem Mandat des Sicherheitsrats nach Kapitel VI der VN-Charta beruhen. Die verschiedenen Einsatztypen können bildlich wie folgt dargestellt werden: Zustimmung des Einsatzstaates liegt vor Keine Zustimmung des Einsatzstaates Schwelle zum bewaffneten Konflikt überschritten Nicht-internationaler Konflikt Internationaler Konflikt Kein bewaffneter Konflikt Friedens- bzw. Stabilisierungsmission Besatzung durch internationale Truppen 3. Grundzüge der rechtlichen Rahmenbedingungen Für alle soeben eingeführten Einsatztypen stellen sich eine Reihe von gleichlautenden Fragen, die zunächst allgemein vorgestellt werden sollen. Auf das Recht der Besetzung wird im Folgenden nicht näher eingegangen, da derzeit kein entsprechender Anwendungsfall für einen solchen Einsatz unter Beteiligung der Bundeswehr absehbar ist. Bei jedem militärischen Einsatz stellt sich angesichts des grundsätzlichen Gewaltverbots des Art. 2 Nr. 4 VN-Charta die Frage, auf welcher völkerrechtlichen Grundlage die Einsätze stattfinden. Die Befugnis zur Anwendung von Gewalt kann sich zunächst bei allen Einsatztypen aus einem Mandat des VN-Sicherheitsrats ergeben, wenn dieses zu seiner Durchsetzung auch Zwangsmittel vorsieht. Darüber hinaus kommen in bestimmten Situationen das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 VN-Charta bzw. das Selbstverteidigungsrecht des einzelnen Soldaten als Rechtfertigungsgründe in Betracht. Steht die grundsätzliche Befugnis zur Anwendung militärischer Gewalt fest, schließt sich die Frage nach den Begrenzungen dieser Befugnis durch weitere rechtliche Normen an. Auf einer allgemeinen Ebene kommen hierfür insbesondere die Regeln des humanitären Völkerrechts sowie die Menschenrechte in Betracht. Zu beachten sind zudem die Normen des Völkerstrafrechts, die eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit für bestimmte Delikte begründen. Welche Delikte hier in Frage kommen, hängt wiederum von der Einordnung des Konflikts ab. Da Kampfhandlungen auch in erheblichem Umfang schädliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können, ist weiterhin proble- - 5 - matisch, inwieweit völkerrechtliche Verpflichtung zum Schutz der Umwelt im Rahmen von militärischen Einsätzen Beachtung finden müssen.4 Neben diesen allgemeinen Regelungen finden regelmäßig verschiedene weitere Vorschriften Anwendung, die speziell mit Blick auf den konkreten Konflikt normiert werden . Zu diesen gehören z. B. die Rules of Engagement und etwaige Verträge mit den Einsatzstaaten. 4. Einsätze ohne Einwilligung Regierung 4.1. Völkerrechtliche Grundlage Die Anwendung von Waffengewalt gegenüber anderen Staaten ist auf rechtlich gesicherter Basis nur zur Selbstverteidigung nach Art. 51 VN-Charta oder aufgrund einer Ermächtigung durch den VN-Sicherheitsrat nach Art. 42 VN-Charta möglich.5 Nach einer weitergehenden Ansicht, die insbesondere zur Rechtfertigung der Intervention der NATO im Kosovo herangezogen wurde, soll der Einsatz militärischer Gewalt auch ohne Resolution des Sicherheitsrats zum Schutz vor schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen möglich sein.6 Von der überwiegenden Ansicht in der Literatur wird die sog. humanitäre Intervention hingegen abgelehnt.7 Sehr streitig ist weiterhin, ob Einsätze zum Schutz eigener Staatsangehöriger im Ausland ohne die Zustimmung des betroffenen Staates zulässig sind.8 4.2. Humanitäres Völkerrecht des internationalen bewaffneten Konflikts Das Recht bewaffneter Konflikte hat vor allem eine gewaltbegrenzende Funktion.9 Auf internationale bewaffnete Konflikte finden insbesondere die Bestimmungen der vier 4 Dazu ausführlich Silja Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten, 2001. 5 Michael Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Auflage 2007, S. 637, Rn. 18 ff. 6 Claus Kress, Staat und Individuum in Krieg und Bürgerkrieg, NJW 1999, 3077, 3081 f.; Christopher Greenwood, International Law and the NATO Intervention in Kosovo, ICLQ 49 (2000), S. 929; Jochen Abr. Frowein, Der Schutz der Menschen ist zentral, in: ders., Völkerrecht - Menschenrechte – Verfassungsfragen Deutschlands und Europas, 2004, S. 165, 171. 7 Michael Bothe, Die NATO nach dem Kosovo-Konflikt und das Völkerrecht, SZIER 10 (2000) 177, 184 f.; Georg Nolte, Kosovo und Konstitutionalisierung: Zur humanitären Intervention der NATO- Staaten, ZaöRV 59 (1999), S. 941; Stephan Hobe/Otto Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 8. Auflage 2004, S. 340. 8 Gegen die Zulässigkeit z.B. Bothe, (Fn. 5), Rn. 21. Für die Zulässigkeit dagegen Nolte (Fn. 7), S. 950 f., sowie die US-Doktrin, vgl. dazu John D’Angelo, Resort to Force by States to Protect Nationals , Virginia Journal of International Law 21 (1981), S. 485. 9 Bothe (Fn. 5), Rn. 61. - 6 - Genfer Konventionen sowie des Ersten Zusatzprotokolls Anwendung. Wichtige Regelungsgehalte sind der Schutz der Zivilbevölkerung und von besonders geschützten Objekten bei Kampfhandlungen, die Festlegung, welche Mittel zur Schädigung des Gegners zulässig sind, das Heimtückeverbot, die Behandlung der Verwundeten und das Kriegsgefangenenrecht. Daneben existieren Verträge über das Verbot bestimmter Waffen .10 5. Einsätze auf Einladung der Regierung Findet ein Einsatz ausländischer Streitkräfte mit Zustimmung der Regierung des Einsatzstaates statt, können abhängig von der Intensität des Konflikts zwei Kategorien gebildet werden, die sich insbesondere dadurch unterscheiden, in welchem Umfang und auf welche Weise das Regime des humanitären Völkerrechts und die Menschenrechte gelten. Überschreitet der Konflikt eine gewisse, im Folgenden näher zu bestimmende Schwelle, wechselt der Einsatz vom Typ robuster Friedens- und Stabilisierungsmission in die Kategorie des bewaffneten Konflikts. Die Frage nach der Rechtsgrundlage für solche Einsätze und eine eventuelle Gewaltanwendung beantwortet sich aber für beide Einsatztypen in gleicher Weise und soll daher zunächst erörtert werden. 5.1. Rechtsgrundlage: Mandat plus Zustimmung des betroffenen Staates Die Resolutionen des Sicherheitsrats zur Stabilisierung von Konfliktregionen durch internationale Streitkräfte ermächtigen regelmäßig zur Anwendung von Zwangsmaßnahmen , um die Durchsetzung des Mandats zu gewährleisten. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass das Mandat einerseits weit genug gefasst sein müsse, um in einer sich entwickelnden Lage handlungsfähig zu bleiben. Andererseits erhöhe eine präzisere Fassung die Rechtssicherheit.11 In diesem Spannungsfeld ist jedes Mandat dann im Einzelfall zu analysieren. Daneben wird schon aus politischen Legitimitäts- und Effektivitätsgründen oftmals die Zustimmung des betroffenen Staates eingeholt. Der Erfolg einer Operation hängt in erheblichem Umfang von der Akzeptanz der Bevölkerung vor Ort ab. Die herrschende 10 Beispiele sind das Verbot von chemischen und baktoriologischen Waffen sowie von Landminen, vgl. die Aufstellung bei Bothe (Fn. 5), Rn 72 ff. 11 Ben F. Klappe, Chapter 13 – International Peace Operations, in: Fleck (Hrsg.), The Handbook of International Humanitarian Law, 2. Auflage 2008, S. 635, Rn. 1312. - 7 - Meinung nimmt an, dass diese beiden Rechtsgrundlagen unabhängig voneinander bestehen .12 Daraus ergibt sich, dass die ausländischen Streitkräfte über ein größeres Maß an Autonomie verfügen, da ein Einsatz auch dann rechtlich abgesichert bleibt, wenn der Fortbestand des Einverständnisses fraglich werden sollte.13 Üblich sind zudem vertragliche Regelungen über die Immunität der Streitkräfte des Entsendestaates vor der Hoheitsgewalt des Staates, in dem das Einsatzgebiet liegt. In verstärktem Umfang enthalten die Resolutionen des Sicherheitsrats Bestimmungen zur Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof.14 5.2. Rechtliche Rahmenbedingungen für den nicht-internationalen Konflikt 5.2.1. Einordnung internationalisierter Konflikte Die Bestimmung des anzuwendenden Rechts wird zunächst dadurch erschwert, dass durch den Einsatz ausländischer Kräfte auf Regierungsseite kein rein interner Konflikt mehr vorliegt. Konflikte dieser Art werden als gemischte bzw. internationalisierte Konflikte bezeichnet. Für diese Situation bestehen keine speziellen Regelungen. Nach der herrschenden Ansicht findet in dieser Konstellation das Recht des nicht-internationalen Konflikts Anwendung.15 Die Gegenansicht, die bei jeder Form internationaler Beteiligung an Kampfhandlungen das Recht des internationalen Konflikts anwenden will, begründet dies insbesondere mit den Unsicherheiten, die den Status der Konfliktparteien betreffen.16 Dies führt dann auch dazu, dass Zweifel an der Wirksamkeit der Einladung ausländischer Truppen geäußert werden.17 Für den Zweck der Typologisierung kann davon ausgegangen, dass jedenfalls bei einer wirksamen Zustimmung des Einsatzstaates das Recht des nicht-internationalen Konflikts Anwendung findet. 5.2.2. Abgrenzung zum Stabilisierungseinsatz In der hier gewählten Typologisierung unterscheidet sich ein Einsatz in einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt von einer Stabilisierungmission dadurch, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen die Schwelle zur Anwendbarkeit humanitären Völ- 12 Vgl. Kiderlen, S. 157 f.; Thilo Marauhn, Konfliktfolgenbewältigung in Afghanistan zwischen Utopie und Pragmatismus, ArchVR 40 (2002), S. 480, 500. 13 Marauhn (Fn. 12), 500 14 Klappe (Fn. 11), Rn. 1315. 15 Thomas Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht nach dem 1. September 2001, ArchVR 40 (2002), S. 383, 415 f.; US Supreme Court, Hamdan v. Rumsfeld, ILM 45 (2006) 1130. 16 Bothe (Fn. 5), Rn. 126; in diese Richtung tendierend auch Stefan Oeter, Terrorismus und Menschenrechte , ArchVR 40 (2002), S. 422, 439 f. 17 Bothe (Fn. 5), Rn. 23. - 8 - kerrechts überschreiten. Für deren Bestimmung können in vorliegenden Rahmen nur allgemeine Kriterien und mögliche Indizien aufgezeigt werden. Die Beurteilung eines konkreten Konflikts ist ohne genaue Kenntnis der Lage vor Ort nicht möglich. Zunächst scheinen für verschiedene im nicht-internationalen Konflikt anwendbare Regelungen unterschiedliche Anwendungsschwellen zu bestehen. Dieser Eindruck beruht vor allem darauf, dass Art. 1 Abs. 1 und 2 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (ZP II) eng gefasste Voraussetzungen enthält, unter denen die detaillierteren Bestimmungen des ZP II anwendbar sind. Diese Vorschrift verlangt, dass die an den bewaffneten Auseinandersetzungen beteiligten nicht-staatlichen Gruppen so organisiert sind, dass sie unter einer verantwortlichen Führung eine effektive Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende koordinierte Kampfhandlungen durchführen und das Zusatzprotokoll anwenden können. Ausgenommen werden zudem Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte und vereinzelt auftretende Gewalttaten. Demgegenüber findet der gemeinsame Art. 3 der Genfer Konventionen auf alle nichtinternationalen Konflikte Anwendung. Das Merkmal des bewaffneten Konflikts bewirkt jedoch, dass auch hier die Intensität der Kampfhandlungen eine gewisse Schwelle überschreiten muss. In der Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs für das frühere Jugoslawien (ICTY) wird die Existenz eines bewaffneten Konflikts dann angenommen, wenn in ausgedehnter bzw. andauernder Weise Waffengewalt („protracted armed violence“) zwischen den Beteiligten angewendet wird.18 Diese Formulierung wurde in der folgenden Rechtsprechung so interpretiert, dass sie mehr auf die Intensität des Konflikts als auf seine zeitliche Dimension verweist. Als mögliche, nicht notwendige, Faktoren für das Vorliegen einer hinreichenden Intensität werden u.a. die Zahl, Dauer und Intensität der einzelnen Konfrontationen, die eingesetzten Waffen, die Zahl und das Kaliber der verschossenen Munition, die Zahl der an den Kampfhandlungen Beteiligten, die Zahl der Opfer und das Ausmaß der Zerstörung sowie die Zahl der flüchtenden Zivilisten angesehen . Auch die Befassung des VN-Sicherheitsrats kann die Intensität des Konflikts widerspiegeln.19 18 ICTY, Appeals Chamber, IT-94-1-AR72 – Prosecutor v. Tadic, Entscheidung vom 2. Oktober 1995, Rn. 70. 19 Vgl. zuletzt, ICTY, Trial Chamber, IT-04-84-T – Prosecutor v. Haradinaj et al., Urteil vom 3. April 2008, Rn. 49, dazu Anthony Cullen/Marko Öberg, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia and the Threshold of Non-International Armed Conflict in International Humanitarian Law, ASIL Insight 12 (2008) Issue 7. - 9 - Eine an Bedeutung gewinnende Auffassung in der Literatur nimmt unter Verweis auf die Entscheidung des ICTY im Tadic-Fall an, dass die meisten materiellen Vorgaben des ZP II als Gewohnheitsrecht ebenfalls auf alle nicht-internationalen bewaffneten Konflikten anwendbar sind.20 Dadurch würden die formal unterschiedlichen Anwendungsbereiche in ihrer praktischen Bedeutung reduziert. Hinzuweisen ist allerdings darauf , dass das ZP II auch nicht unwichtige prozedurale Regeln umfasst. Die Differenzierung zwischen nicht-internationalen Konflikten unterschiedlicher Intensität spiegelt sich ein Stück weit auch in den völkerstrafrechtlichen Vorschriften des Statuts des Internationalen Strafgerichtshof (ICC-Statut) wieder. So normiert Art. 8 Abs. 2 lit. c ICC-Statut, dass schwerwiegende Verletzungen der Garantien des gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen Kriegsverbrechen darstellen. Darüber hinaus stellt Art. 8 Abs. 2 lit. e ICC-Statut weitere schwerwiegende Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche des nicht-internationalen Konflikts als Kriegsverbrechen unter Strafe. Nach Art. 8 Abs. 2 lit. f ICC-Statut finden die zuletzt genannten Tatbestände Anwendung , soweit zwischen den Beteiligten ein „lang anhaltender bewaffneter Konflikt“ besteht . Diese Übersetzung des englischen „protracted armed conflict“ ist nicht glücklich, da sie suggeriert, dass dem zeitlichen Aspekt vorrangige Bedeutung zukommt. Unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte geht eine gewichtige Meinung in der Literatur jedoch davon aus, dass die Formulierung „protracted“ keine Verengung des Anwendungsbereichs Art. 8 Abs. 2 lit. e ICC-Statut bewirke, sondern redundant sei.21 Für diese Ansicht ließe sich auch anführen, dass der Internationale Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien diesen Begriff zur Definition des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts herangezogen hat und gerade keine höhere Schwelle errichten wollte. 5.2.3. Kerngehalte des anzuwendenden Rechts Der gemeinsame Art. 3 der Genfer Konventionen enthält grundlegende Bestimmungen zum Schutz von Personen, die nicht oder nicht mehr an militärischen Auseinandersetzungen teilnehmen, in nicht-internationalen Konflikten. Er normiert lediglich einen Mindeststandard. Ein Kriegsgefangenenprivileg existiert nicht.22 Das 2. Zusatzprotokoll normiert mit Blick auf die an den Kampfhandlungen Beteiligten neben den grundlegenden Standards einer menschlichen Behandlung insbesondere detailliertere Garantien für die Personen, denen die Freiheit entzogen ist, sowie Vorgaben für die Strafverfolgung. Ferner werden ausführlichere Regelungen zum Schutz der Zi- 20 Fleck (Fn. 2), Rn. 1209. 21 Fleck (Fn. 2), Rn. 1201. 22 Bothe (Fn. 5), Rn. 124. - 10 - vilbevölkerung und zum Schutz von Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen getroffen . Weiterhin sind die Garantien der Menschenrechte für den Schutz der Opfer eines bewaffneten Konflikts von Bedeutung.23 Ihr Schutz ist allerdings weniger effektiv als in Friedenszeiten, da besonders wichtige Garantien im Notstandfall suspendiert werden können. So sieht Art. 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vor, dass u.a. bei einer Bedrohung durch Krieg von den meisten menschenrechtlichen Verpflichtungen abgewichen werden darf, soweit es die Lage unbedingt erfordert und die Maßnahmen nicht im Widerspruch zu anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen stehen . Art. 4 Abs. 1 des Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte (IPBPR) sieht ebenfalls eine Notstandsklausel vor. In der Literatur ist auch vorgeschlagen worden, über Art. 103 VN-Charta eine Derogation von menschenrechtlichen Verpflichtungen aus dem Mandat des Sicherheitsrats selbst abzuleiten.24 In eine ähnliche Richtung deutet die Entscheidung des EGMR in den Fällen Behrami und Saramati, die eine Zurechnung des Handelns der KFOR-Truppen zu den Vertragsparteien der EMRK ablehnte.25 Andere Stimmen hingegen haben darauf hingewiesen, dass die Resolutionen des Sicherheitsrats menschenrechtsfreundlich interpretiert werden sollten, solange sie keine explizite Außerkraftsetzung dieser Garantien enthielten.26 Weiterhin kann die Auslegung der Schrankenbestimmungen der Menschenrechtsverträge dazu führen, dass Einschränkungen möglich sind, die über das in Friedenszeiten akzeptierte Maß hinausgehen. Gegenüber diesem verringerten Schutz durch die Menschenrechte sichert das humanitäre Völkerrecht einen Mindeststandard ab, der auch in Situationen des bewaffneten Konflikts nicht unterschritten werden darf.27 Der völkerrechtliche Menschenrechtsschutz 23 Dies gilt unabhängig davon, dass über die Details der Anwendbarkeit einzelner menschenrechtlicher Regime erheblicher Streit besteht, vgl. dazu die ausführliche Ausarbeitung von Anja Schubert/Sara Jötten, Rechtliche Fragen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, WD 2 – 108/07 (Anlage 1), sowie Christopher Greenwood, Scope of Application of Humanitarian Law, in: Fleck (Hrsg.), The Handbook of International Humanitarian Law, 2. Auflage 2008, S. 45, Rn. 257. 24 Dieter Weingärtner, Menschenrechtsbindung bei Out-of-Area-Einsätzen der Bundeswehr, in: Weiß (Hrsg.), Menschenrechtsbindungen bei Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, 2006, S. 9, 11 mit Blick auf das KFOR-Mandat. 25 EGMR, Behrami und Behrami gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich, Deutschland und Norwegen, EuGRZ 2007, 522. 26 Anja Seibert-Fohr, The Relevance of International Human Rights Standards for Prosecuting Terrorists , in Walter u.a. (Hrsg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law. Security vs. Liberty?, 2004, S. 125, 159 f. 27 Oeter (Fn. 16), S. 448 ff. - 11 - kann umgekehrt aber auch zur Konkretisierung der Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts dienen, z.B. im Fall von Verfahrensgarantien.28 5.3. Rechtlicher Rahmen für Friedensmissionen mit Stabilisierungsauftrag Menschenrechtliche Gewährleistungen können vor allem auf dreierlei Weise für Friedensmissionen Bedeutung gewinnen. Zum einen ist denkbar, dass das Mandat des Sicherheitsrats ausdrücklich die Einhaltung und den Schutz der internationalen Menschenrechtsstandards fordert. Zum anderen sind die Friedenstruppen gehalten, das Recht des Einsatzstaates inklusive seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen zu achten. Schließlich kommt unter bestimmten Umständen auch noch eine extraterritoriale Anwendung der menschenrechtlichen Verpflichtungen des Entsendestaates in Betracht.29 Ein wichtiges Anwendungsfeld ist neben dem Einsatz von Waffengewalt und dem diesbezüglichen Schutz von Zivilisten auch die Festnahme und Übergabe von Personen, die verdächtig sind, Straftaten begangen zu haben oder zu planen.30 Während eines Friedenseinsatzes – solange es nur zu vereinzelten Gewaltakten kommt und die Schwelle zum bewaffneten Konflikt nicht überschritten wird – soll das humanitäre Völkerrecht regelmäßig nicht unmittelbar anwendbar sein, da es spezielle Regelungen für den bewaffneten Konflikt enthält.31 Es lassen sich jedoch verschiedene Indizien dafür finden, dass diese im Prinzip klare Bestimmung des Anwendungsbereichs nicht bedeutet, dass die Regeln des humanitären Völkerrechts im Kontext von Friedensmissionen unter VN-Mandat bedeutungslos wären . Es dürfte zunächst weitgehende Einigkeit darüber bestehen, dass die Regeln des humanitären Völkerrechts ursprünglich nicht in dem Wissen um militärische Einsätze unter dem Mandat der Vereinten Nationen konzipiert worden sind.32 Diese Art von Einsätzen bringt daher möglicherweise auch neuartige Probleme für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs des humanitären Völkerrechts mit sich. 28 Greenwood (Fn. 23), Rn. 255. 29 Klappe (Fn. 11), Rn. 1307; zur im einzelnen sehr streitigen extraterritorialen Anwendung der Menschenrechte vgl. auch die Nachweise in Fn. 23. 30 Dazu Klappe (Fn. 11), Rn. 1334 ff. 31 Alexandre Faite, Multinational Forces Acting Pursuant to a Mandate of the United Nations, International Peacekeeping: The Yearbook of International Peace Operations 11 (2007), 143, 144 f., 156; Michael Bothe, Peacekeeping and international humanitarian law: friends or foes?, International Peacekeeping 1996, 91, 92 ff. Zum speziellen Gehalt des humanitären Völkerrechts vgl. IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion , ICJ Reports 2004, S. 136, Rn. 106. 32 Faite (Fn. 31), 156. - 12 - So kommen Stimmen aus der völkerrechtlichen Literatur und aus der Völkerrechtspraxis für den Einsatz militärischer Gewalt im Wege eines „Erst-Recht-Schlusses“ zu dem Ergebnis, dass die relevanten Garantien des humanitären Völkerrechts jedenfalls als Mindeststandards auch bei Friedensmissionen Beachtung finden sollen.33 In die gleiche Richtung deuten Dienstvorschriften von an den Friedensmissionen beteiligten Staaten. So bestimmt die Zentrale Dienstvorschrift 15/2 der Bundeswehr in Nr. 208 ausdrücklich, dass „die Regeln des humanitären Völkerrechts […] auch bei friedenssichernden Maßnahmen und anderen militärischen Einsätzen der Vereinten Nationen zu beachten“ sind.34 Diese Vorschrift stellt nicht nur klar, dass auch die Vereinten Nationen an das humanitäre Völkerrecht gebunden sind, sondern lässt sich auch als Hinweis darauf lesen, dass für friedenssichernde Einsätze und Maßnahmen im bewaffneten Konflikt zumindest teilweise die gleichen Regeln gelten sollen.35 Diese Argumentation erscheint insbesondere dann zutreffend, wenn der Einsatz militärischer Gewalt oder das Verhalten von Friedenstruppen gegenüber Dritten, insbesondere der Zivilbevölkerung, in Rede stehen.36 Das humanitäre Völkerrecht normiert wie oben ausgeführt den Mindeststandard, der auch in Konfliktsituationen gewahrt werden muss. Dieser spiegelt im Prinzip den notstandsfesten Kern der Menschenrechte wieder.37 In Friedenszeiten darf daher aus Konsistenzgründen im Ergebnis jedenfalls kein geringerer Schutz gelten. Insofern sind die Menschenrechte im Lichte des humanitären Völkerrechts auszulegen.38 33 Sylvia C. Spies, Die Bedeutung von „Rules of Engagement“ in multinationalen Operationen, in: Weingärtner (Hrsg.), Einsatz der Bundeswehr im Ausland. Rechtsgrundlagen und Rechtspraxis, 2007, S. 115, 122; Ben F. Klappe (Fn. 11), Rn. 1308 f. 34 Abgedruckt in Dieter Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten , 1994, S. 39, dazu Christopher Greenwood, Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts , ebenda, S. 34, 40 (Erläuterung zu Nr. 208). 35 Vgl. nun auch Christopher Greenwood, Chapter 2 – Scope of Application of Humanitarian Law, in: Fleck (Hrsg.), The Handbook of International Humanitarian Law, 2. Auflage 2008, S. 45, Rn. 263. 36 Vgl. zu Letzterem den Report of the Secretary General to the Security Council on the Protection of Civilians in Armed Conflict, UN-Dok. S/1999/957, Empfehlung Nr. 30. 37 Hans-Peter Gasser, Humanitarian Law and Human Rights Law, GYIL 45 (2002), 149, 157. 38 Michael Bothe, Humanitäres Völkerrecht und Schutz der Menschenrechte, in: Dupuy u.a. (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Festschrift für Christian Tomuschat, 2006, S. 63, 77 ff.