© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 056/19 Die Reservistenkonzepte in Frankreich, Großbritannien, Italien, Lettland, Norwegen und Polen unter besonderer Berücksichtigung der Anreize für Arbeitgeber Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 2 Die Reservistenkonzepte in Frankreich, Großbritannien, Italien, Lettland, Norwegen und Polen unter besonderer Berücksichtigung der Anreize für Arbeitgeber Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 056/19 Abschluss der Arbeit: 20. Mai 2019 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Reservistenkonzepte 5 2.1 Frankreich 5 2.2 Großbritannien 11 2.3 Italien 12 2.4 Lettland 13 2.5 Norwegen 15 2.6 Polen 16 3. Fazit 17 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 4 1. Einleitung Die deutsche Verteidigungsministerien Dr. Ursula von der Leyen postete am 21. Dezember 2018 auf Instagram: „Die Reserve hat eine höhere gesellschaftliche Aufmerksamkeit verdient. Dafür wurde nun ein wichtiger Schritt gemacht: Ich habe beschlossen, die Reservistenkordel abzuschaffen . Aktive und Reservisten leisten gemeinsam Dienst - mit derselben Uniform. Das bringen wir durch die Abschaffung noch stärker zum Ausdruck.“1 Damit kam das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) einem der vielen langjährigen Wünschen deutscher Reservistinnen und Reservisten entgegen. Der Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr (VdRBw), in dem alleine sich rund 115.000 Mitglieder organisieren, stellt indes deutlich weiterreichende Forderungen. Denn das Reserve-Konzept der Bundeswehr existiert bereits seit 2003 („Konzeption für die Reservistinnen und Reservisten der Bundeswehr 2003 / KResBw 2003“) und wurde 2012 mit der aktuellen „Konzeption der Reserve (KdR)“ grundsätzlich übernommen und weiterentwickelt.2 Auch der Wehrbeauftragte reklamiert hier regelmäßig Nachbesserungen.3 Dabei hat das BMVg insbesondere im Kontext der „Trendwende Personal“ das Potential von Reservistinnen und Reservisten durchaus erkannt und wurde bereits auf mehreren Ebenen aktiv.4 Ein erster Entwurf zu einer neuen Strategie für die Reserve wurde dort bis Ende 2019 angekündigt .5 Die Aufstellung eines ersten Landesregimentes Bayern zum 1. April 2019 erprobt dabei als 1 https://www.instagram.com/p/BrqFU5FhKRm/ [letzter Zugriff: 26.4.2019]. 2 Siehe hierzu grundsätzlich Armin Müller, The Bundeswehr reserve, in: Ina Wiesner (Hg.), German Defence Politics. Baden-Baden 2013 (Schriften der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation, 30), S. 181-192. 3 Deutscher Bundestag, Drucksache 19/7200 vom 29.1.2019, Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 2018 (60. Bericht), S. 38-40; http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/072/1907200.pdf [letzter Zugriff: 26.4.2019]. 4 Zu den verschiedenen Aktivitäten siehe BMVg, Personal: Reservistenangelegenheiten, 10.5.2019; https://www.personal.bundeswehr.de/portal/a/pers/start/reservisten/!ut/p/z1/hU5PC4IwHP0sHbzutxaadZt UVHgQFNJdYtqaxXIyl-vjZ3gKkt7t_eUBgxxYw_ub5PamG64GXrDgHIVxFpMVIVlANpgm NDr4uy3Bcx9O_wJssPEEKIb0IqAYNpaTG3sCKTBgd97zF2q1sUpYxKvPQyhq3lyUSHRFR-EIT- CpdjtdpUy5CCcyIqzDCoKcZ5Nratlt72MPOOSS1lkqgSj88_KtS685C_p2E9pE7vPBVH9PZG7- UYiY!/dz/d5/L2dBISEvZ0FBIS9nQSEh/#Z7_B8LTL2922T62D0APABI5FE20H2 [letzter Zugriff: 26.4.2019]. 5 So die Aussage des Beauftragten für die Reservistenangelegenheiten im BMVg, Vizeadmiral Volker Rühle, 22.10.2018; https://www.bmvg.de/de/aktuelles/reservisten-gefordert-und-gefoerdert-28542 [letzter Zugriff: 26.4.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 5 Pilotprojekt auch die Ergänzung des bisherigen Territorialverteidigungskonzeptes um Reservistenverbände .6 Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden ein Blick auf die entsprechenden Reservistenkonzepte in ausgewählten NATO-Staaten geworfen. 2. Reservistenkonzepte 2.1 Frankreich Nach Aussetzung der Wehrpflicht 2002 bestehen die französischen Streitkräfte aus Berufssoldatinnen und -soldaten.7 Zudem existiert eine militärische Reserve aus einer Bürgerreserve und einer „operationellen Reserve“, die auch im Heimat- und Katastrophenschutz eingesetzt werden kann. Daneben können auch bei der Gendarmerie, die sowohl dem Verteidigungs- als auch dem Innenministerium untersteht, Reservistinnen und Reservisten einberufen werden. Mit dem Gesetz Nr. 2006-449 vom 18. April 2006 wurde das Gesetz Nr. 99-894 vom 22. Oktober 1999 zur Organisation der militärischen Reserve und des Militärdienstes entsprechend geändert. Demnach besteht die militärische Reserve aus der Bürgerreserve („Réserve citoyenne“): Dabei handelt es sich um Freiwillige, die sich für die Förderung der Verteidigungswelt, die Aufrechterhaltung des Verteidigungsgeistes und den Erhalt der Verbindung zwischen den Streitkräften und der Zivilgesellschaft einsetzen, sowie der „operationellen Reserve“ („Réserve opérationelle“): Dabei handelt es sich um Freiwillige, die sich eigens hierfür verpflichten und ehemalige Angehörige der Streitkräfte, die sich jenen weiterhin zur Verfügung stellen. Am 13. Oktober 2016 traten beide Komponenten der neu geschaffenen Nationalgarde bei, zu der auch die Reserveorganisationen der Gendarmerie und der Polizei gehören.8 6 Die Bundeswehr startet das Pilotprojekt Landesregiment, in: Die Reserve, 7.1.2019; https://www.reservistenverband .de/magazin-die-reserve/die-bundeswehr-startet-das-pilotprojekt-landesregiment/ letzter Zugriff: 26.4.2019]. 7 Zu den Grundsätzen der französischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik siehe Olivier Schmitt/Sten Rynning, France, in: The Handbook of European Defence Policies and Armed Forces. Hrsg. von Hugo Meijer und Marco Wyss, Oxford 2018, S. 35-51. 8 Ministère Des Armées/Garde Nationale: Réservistes des Armées; https://www.reservistes.defense.gouv.fr/ [letzter Zugriff: 29.4.2019], Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 6 In der operationellen Reserve der Armee dienen Freiwillige, die ihren Dienst zeitweise und parallel zu ihrem persönlichen und beruflichen Leben versehen. Dafür unterzeichnen sie einen bezahlten Arbeitsvertrag für die Dauer von einem Jahr bis zu fünf Jahren. Sie erhalten eine spezifische Ausbildung und müssen durchschnittlich 37 Tage pro Jahr dienen. Sie sind dabei vollständig in die aktive Truppe integriert und verstärken sie durch ihre Präsenz oder ihre besonderen Fähigkeiten, die sie aus dem Zivilleben mitbringen.9 Inzwischen dienen rund 21.000 Frauen und Männer; zwischen 2015 und 2017 hat sich ihre Zahl im Kontext der terroristischen Anschläge in Frankreich nahezu verdoppelt. Aktuell dienen routinemäßig tagtäglich etwa 2.000 von ihnen aktiv in den Streitkräften: 42 Prozent von ihnen sind unter 30 Jahre alt, 75 Prozent unter 50 Jahre; 57 Prozent haben keinen militärischen Hintergrund; 33 Prozent sind ehemalige Soldatinnen oder Soldaten; jeder sechste Reservist ist eine Frau; bei etwa je einem Viertel handelt es sich um Studierende, Erwerbstätige und Arbeitslose sowie wenige Rentner. Das Reservistenkonzept ist regional verankert, wodurch die Verbindung zwischen den Streitkräften und der Zivilgesellschaft gestärkt werden soll. Reservistinnen und Reservisten dienen in allen Departements und werden auch im Ausland eingesetzt.10 Explizit werben die Streitkräfte dabei mit den Vorteilen für die Zivilgesellschaft: Die Menschen würden eine anspruchsvolle Ausbildung erhalten und Fähigkeiten erwerben, die explizit für Wirtschaftsunternehmen nützlich seien wie Führung, Management, Anpassung, Motivation, Zuverlässigkeit, Integrität, Loyalität zum Unternehmen, Disziplin oder Teamgeist. Außerdem würde der Dienst die körperliche Leistungsfähigkeit, insbesondere hinsichtlich der Ausdauer und des persönlichen Stressmanagements stärken.11 Décret no 2016-1364 du 13 octobre 2016 relatif à la garde nationale; https://www.legifrance .gouv.fr/jo_pdf.do?id=JORFTEXT000033234627&oldAction=rechExpTexteJorf [ letzter Zugriff: 29.4.2019]. 9 Zu den individuellen Voraussetzungen und Optionen siehe die umfangreichen Informationen https://www.defense .gouv.fr/reserve/presentation-generale/documentation/documentation [letzter Zugriff: 29.4.2019]. 10 Ministère Des Armées. La réserve, 19.6.2018; https://www.defense.gouv.fr/terre/thematiques-terre/la-reserve/lareserve /presentation [letzter Zugriff: 29.4.2019]. 11 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 7 Per Gesetz sind Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern diverse Pflichten in diesem Zusammenhang auferlegt: 12 Sie müssen ihre jeweiligen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen fünf Tage pro Kalenderjahr für Reservetätigkeiten freistellen. Sollten sie darüber hinaus beantragte Tage ablehnen, muss die Entscheidung nicht nur gegenüber dem jeweiligen Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin , sondern auch dessen militärischer Dienststelle gegenüber begründet werden. Jede Entlassung, berufliche Herabstufung oder Disziplinarstrafe gegen Reservistinnen oder Reservisten wegen Abwesenheit aufgrund einer Reservistentätigkeit ist verboten. Im Gegenzug muss der jeweilige Mitarbeiter beziehungsweise die jeweilige Mitarbeiterin den Arbeitgeber oder Arbeitgeberin über eine entsprechende Abwesenheit mindestens einen Monat vor deren Beginn schriftlich informieren; die Zustimmung des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin einholen, sofern die Reserveaktivitäten fünf Tage pro Kalenderjahr überschreiten. Um die Motivation der jeweiligen Unternehmen zu erhöhen, hat das Verteidigungsministerium zudem einen Preis der Nationalgarde gestiftet („Prix entreprise de la garde nationale“). Mit ihm werden einmal im Jahr Unternehmen ausgezeichnet, die nicht nur ihr eigenes Reservistenpersonal unterstützen, sondern auch eigene Initiativen starten oder entsprechende Aktionen und Demonstrationen durchführen. Dieser Preis wird einmal im Jahr durch das Generalsekretariat der Nationalgarde in zwei Kategorien vergeben: für Unternehmen, Verwaltungen oder Verbände mit weniger als 1.000 sowie für solche über 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die jeweiligen Preise werden in einer offiziellen Zeremonie überreicht, an der hochrangige zivile und militärische Behördenvertreter und- vertreterinnen sowie andere öffentliche Persönlichkeiten teilnehmen . Voraussetzung zur Teilnahme ist die Unterzeichnung eines Partnerschaftsvertrages.13 Schließt ein Unternehmen eine solche Vereinbarung ab, ernennt es einen sogenannten Verteidigungsreferenten („référent défense“). Dieser ist dann „der privilegierte Gesprächspartner des Generalsekretariats des Hohen Rates der Militärreserve für alle Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens und der Weitergabe von Informationen zwischen dem Verteidigungsministerium , dem Unternehmen und den Reservisten“. 12 Ministère Des Armées: Information employer, 1.12.2017; https://www.defense.gouv.fr/reserve/reserve-et-entreprises /information-employeur/information-employeur [letzter Zugriff: 29.4.2019]; Siehe dort grundsätzlich und ausführlich die offizielle Broschüre Performance Économique du Réservistes pour l‘entreprise et pour lui-même pdf-Download. 13 Ministère Des Armées: Le prix entreprise de la garde nationale; https://www.defense.gouv.fr/reserve/reserve-etentreprises /le-prix-entreprise-de-la-garde-nationale [letzter Zugriff: 29.4.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 8 In seiner Aufgabe wird er unterstützt durch das Generalsekretariat des Obersten Rates der Militärreserve, den Verteidigungskorrespondenten seiner Region und den Vertretern der Streitkräfte auf lokaler Ebene. In der strategischen Zielsetzung des französischen Verteidigungsministeriums soll durch diese enge Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften und der Zivilgesellschaft der Verteidigungsgedanke ebenso gestärkt werden wie die eigene Widerstandsfähigkeit.14 Der Abschluss eines solchen Partnerschaftsvertrages verfolgt mehrere Ziele: die Verfügbarkeit und Reaktionsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des jeweiligen Unternehmens, die in der Reserve dienen, zu erleichtern; die Vergütungsbedingungen für Arbeitnehmer-Reservistinnen und -Reservisten während ihrer militärischen Aktivitäten ganz oder teilweise beizubehalten; die Beziehungen zwischen dem jeweiligen Unternehmen und den Streitkräften durch diese Reservistinnen und Reservisten und den im Unternehmen entsprechend ernannten Verteidigungsreferenten zu stärken; die Grundlage für eine nachhaltige Partnerschaft zwischen dem Verteidigungsministerium und dem Unternehmen zu schaffen, die die Entwicklung verschiedener Formen der Zusammenarbeit ermöglicht. Dabei können die unterzeichnenden Unternehmen von bestimmten Vorteilen profitieren: Anpassung bestimmter Reservezeiten an die berufliche Weiterbildung und die Übernahme der entsprechenden Lohnkosten; Anmeldung für Ausbildungs- und Praktikumsangebote des Verteidigungsministeriums; Zuweisung des Status‘ eines „Partners der Landesverteidigung“ („de partenaire de la Défense Nationale“); Zugang zu Informationen über die nationale Verteidigung und Sicherheit; Anbindung an das Netzwerk der Partnerunternehmen; Zugang zum „Preis der Reserve der Streitkräfte“ („Prix de la Réserve militaire“), einer jährlichen Auszeichnung des Verteidigungsministeriums für ein Unternehmen, das sich um die Reserve besonders verdient gemacht hat. Alle getroffenen Vereinbarungen werden dabei vom Conseil supérieur de la réserve militaire (CSRM) überwacht, der gegebenenfalls Mediationsaufgaben gegenüber Arbeitgeberinnen und 14 Ministère Des Armées: Référents Défense, 3.4.2017; https://www.defense.gouv.fr/reserve/reserve-et-entreprises /referents-defense/referents-defense [letzter Zugriff: 29.4.2019]; siehe auch die Download-Möglichkeit auf dieser Seite. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 9 Arbeitgebern, Reservistinnen und Reservisten sowie den Streitkräften übernimmt.15 Dafür verfügt der Rat über ein Netz aus eigenen „Correspondantes Réserve Entreprise Défense (CRED)“. Zum 1. September 2016 waren 74 CRED aktiv, bis Ende 2019 soll ihre Zahl auf 100 erhöht werden.16 Im Herbst 2018 hatten bereits rund 500 Unternehmen einen solchen Partnerschaftsvertrag unterzeichnet .17 Daneben motivierte der französische Staat im Rahmen des Kampfes gegen den Terrorismus freiwillige Bürgerinnen und Bürger zum Dienst in der Reserve von Gendarmerie, Polizei und Armee. Die Polizei- und Gendarmeriereserve wurde dabei von 12.000 auf 15.000 Reservistinnen und Reservisten aufgestockt, die Reserve der Streitkräfte soll bis zum Jahresende 2019 von 28.000 auf 40.000 erhöht werden. Ziel war dabei von Anfang an die Aufstellung einer Nationalgarde, wie sie der damalige Staatspräsident François Hollande am 16. November 2015 in seiner Rede vor dem Kongress unter dem Eindruck der seinerzeitigen Anschläge in Aussicht gestellt hatte und am 20. Juli 2016 bekräftigte, dazu „alle Frauen und Männer heranzuziehen, die sich entschlossen haben, sich neben dem Studium oder dem Beruf dem Schutz der Franzosen zu verpflichten“.18 Dafür wurden bei Polizei und Gendarmerie die Zugangsmöglichkeiten erleichtert: Das Mindestalter für die Polizeireserve wurde auf 18 Jahre herab- und das Höchstalter für die Gendarmeriereserve von 30 auf 40 Jahre heraufgesetzt. Zudem erweiterte man die Optionen der Zusammenarbeit mit den Freiwilligen Feuerwehren. Über die sozialen Netzwerke und entsprechende Internetauftritte wie beispielsweise die Internetseite „La gendarmerie recrute“19 können sich alle Interessierten über die Möglichkeiten eines entsprechenden Engagements informieren. Darüber hinaus bildete man aus den rund 10.000 pensionierten Gendarmen, die seit höchstens zwei Jahren außer Dienst und noch einsatzfähig sind, eine zusätzliche Personalressource.20 15 Ministère Des Armées: Partenariat réserve-entreprise-défense, 18.12.2017; https://www.defense.gouv.fr/reserve /reserve-et-entreprises/partenariat-reserve-entreprise-defense/partenariat-reserve-entreprise-defense [letzter Zugriff: 29.4.2019]; siehe auch die entsprechenden Download-Möglichkeiten auf dieser Seite. 16 Ministère Des Armées: Correspondantes Réserve Entreprise Défense (CRED), 3.4.2017; https://www.defense .gouv.fr/reserve/reserve-et-entreprises/correspondants-reserve-entreprise-defense/correspondants-reserveentreprises -defense-cred [letzter Zugriff: 29.4.2019]. 17 Reuters: France-Les entreprises, vivier de choix de la Garde nationale, 12.10.2018, https://fr.reuters.com/article /frEuroRpt/idFRL8N1WS4VQ [letzter Zugriff: 26.4.2019]. 18 Die gesamte Rede findet sich unter Staatspräsident Hollande vor dem Kongress: Der Terrorismus wird die Republik nicht zerstören, 16.11.2015; https://de.ambafrance.org/Staatsprasident-Hollande-vor-dem-Kongress- Der-Terrorismus-wird-die-Republik [letzter Zugriff: 29.4.2019]. 19 Ministère de l’Intérieur: La Gendarmerie recrute; https://www.lagendarmerierecrute.fr/ [letzter Zugriff: 29.4.2019]. 20 Französische Botschaft in Berlin: Bildung einer Nationalgarde in Frankreich, 12.3.2019; https://de.ambafrance .org/Bildung-einer-Nationalgarde-in-Frankreich [letzter Zugriff: 29.4.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 10 Aktiv wirbt man außerdem um Spezialistinnen und Spezialisten wie Informatikerinnen und Informatiker, Ärztinnen und Ärzte oder Krankenschwestern und -pfleger. Wer für maximal 30 Tage im Jahr zur Polizeireserve gehen möchte, muss zwischen 18 und 65 Jahre alt, körperlich und geistig fit sein und darf keine Vorstrafen haben. Als Ausbildung wird an einer nationalen Polizeischule zehn Tage lang juristisches und technisches/funktionales Grundwissen erlernt. Die Polizeireserve geht in Zivil, trägt keine Waffen, bei Einsätzen im öffentlichen Raum müssen jedoch kugelsichere Westen angelegt werden.21 Bei der Gendarmerie erfolgt eine militärische Ausbildung von 15 bis 30 Tagen Dauer, an deren Ende die Vereidigung steht. Reservisten der Gendarmerie dürfen Waffen tragen und können auch in Anti-Terror-Einheiten eingesetzt werden. Sie verdienen wie die Reservistinnen und Reservisten der Streitkräfte rund 90 Euro netto am Tag; erlaubt sind bis zu 90 Einsatztage jährlich . Staatlicherseits ist man mit den bisherigen Erfahrungen zufrieden, aus den Polizeigewerkschaften und Militärkreisen wird indes durchaus Kritik geäußert. So sei es schwierig, Reservistinnen und Reservisten zu festen Bestandteilen einer Einheit zu machen; sie müssten für ihre Dienste bei ihren Arbeitgeberinnen und –gebern noch immer Urlaub beantragen, zudem sei die Ausbildungszeit zu kurz. In ihrer Wirksamkeit sind die Maßnahmen deswegen nicht unumstritten , politisch allerdings nicht: Positiv wird insbesondere die durch sie mögliche Erhöhung der Präsenz bewertet und die Übernahme von Routinetätigkeiten wie Fahrzeugkontrollen zur Entlastung der regulären Kräfte. Inzwischen werden solche Freiwilligen nach einer mindestens zweiwöchigen Ausbildung tatsächlich an der Seite von Soldatinnen und Soldaten beziehungsweise Polizistinnen und Polizisten zur Überwachung öffentlicher Plätze eingesetzt, sind dabei uniformiert und tragen Waffen. Die Freiwilligen bekommen für ihre Patrouillendienste 50 Euro am Tag.22 21 Siehe hierzu wie auch zum Folgenden Jürgen König, Innere Sicherheit: Frankreich will Zahl der Reservisten aufstocken, in: Deutschlandfunk, 3.8.2016; https://www.deutschlandfunk.de/innere-sicherheit-frankreich-willzahl -der-reservisten.795.de.html?dram:article_id=361984 [letzter Zugriff: 29.4.2019] Matthias Werth, Frankreich: Hilfe für die Gendarmerie, in: ARD-Weltspiegel, 22.1.2017; https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/frankreich-hilfe-fuer-die-gendarmerie -100.html [letzter Zugriff: 29.4.2019]. 22 Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr (VdRBw): Nationalgarden der Welt, 13.9.2016; https://www.reservistenverband.de/magazin-die-reserve/nationalgarden-der-welt/ [letzter Zugriff: 29.4.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 11 2.2 Großbritannien23 Die British Army besteht aus zwei Komponenten: den Land Forces aus Berufssoldaten und der Army Reserve aus freiwilligen Reservisten (bis 2014 Territorial Army). Im Jahr 2020 soll die British Army 120.000 Soldatinnen und Soldaten umfassen, davon 35.000 Reservistinnen und Reservisten. Deren Aus- und Weiterbildung findet grundsätzlich außerhalb der Arbeitszeiten statt, also in den Abendstunden oder an den Wochenenden. Die Streitkräfte werben explizit mit dieser Möglichkeit: „to fit in around your day job“. Flexibilität den Freiwilligen gegenüber wird dabei insgesamt groß geschrieben: „Further training also takes place in your spare time. It can take weeks or months depending on your role, course and how much time you can give. Your unit will be happy to support you during your training.“24 Dabei handelt es sich um ein regionales Reservistenkonzept. Grundsätzlich dienen die Freiwilligen in Einheiten, die im eigenen Lebensumfeld stationiert sind. Innerhalb dieser Einheiten trifft man sich einmal wöchentlich. Darüber hinaus werden Spezialistinnen und Spezialisten - explizit angesprochen wird medizinisches sowie IT-Personal - in überregionalen Einheiten zusammengefasst. Hier sind die Zeiträume der Zusammenkünfte wegen der weiteren Anreise in größeren Abständen. Während üblicherweise wenigstens 27 Tage pro Jahr vorgesehen sind, kommen die Spezialistinnen und Spezialisten auf 19 Tage. Bezahlt werden alle in Tagessätzen, die dem Sold der regulären Soldatinnen und Soldaten entsprechen . Den Freiwilligen wird zudem die Möglichkeit geboten, sich in zivilverwertbaren Ausbildungen für den Arbeitsmarkt weiter zu qualifizieren.25 Wer der Reserve beitritt, muss dies seinen/ihrem Arbeitgeber/Arbeitgeberin ebenso umgehend mitteilen wie Reservedienstleistungen rechtzeitig angemeldet werden müssen. Die Ableistungen solcher Dienste sind kein Kündigungsgrund. Reserveoffizieranwärterinnen und -anwärter können ihre Offiziersausbildung je nach Wunsch in Modulen oder in einem Ausbildungsgang an der Royal Military Academy Sandhurst absolvieren , Die Erstausbildung zum Offizier besteht aus einer Serie von vier Modulen: 23 Zu den Grundsätzen der britischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik Andrew M. Dorman, The United Kingdom, in: The Handbook [wie Anm. 7], S. 71-85. 24 British Army: Army Reserve Soldier; https://apply.army.mod.uk/what-we-offer/reserve-soldier#whatis %C2%A0the%C2%A0army-reserve? [letzter Zugriff: 2.5.2019]. 25 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 12 Modul A und B werden entweder auf sieben Wochenenden oder als zweiwöchiger Lehrgang durchgeführt; Modul C dauert zwei Wochen und findet in Sandhurst statt; Modul D besteht aus dem zweiwöchigen Army Reserve Commissioning Course in Sandhurst, der den Höhepunkt der Ausbildung darstellt. Optional kann die Ausbildung auch in einem einzigen achtwöchigen Paket absolviert werden. Als Reserveoffizier erhält man einen Tagessatz von £ 79.98 (Leutnant), £ 82.79 (Oberleutnant) oder £ 102.50 (Hauptmann).26 Dennoch werden die Rekrutierungsziele in Großbritannien seit Jahren nicht erreicht.27 2.3 Italien28 Zusammen mit der Aussetzung der Wehrpflicht in Italien zum 1. Januar 2005 wurde auch das Reservistenwesen auf vollständige Freiwilligkeit umgestellt.29 Zeitgleich hat man allerdings einen freiwilligen einjährigen Wehrdienst eingeführt, der mit 1.260,- Euro im Monat besoldet wird, und Voraussetzung für Bewerbungen bei der Polizei, den Carabinieri und anderen staatlichen Sicherheitsbehörden ist. Da die Streitkräfte jedoch weniger Nachwuchs benötigen als die anderen staatlichen Sicherheitsbehörden, gibt es temporäre Ausnahmen. Das „Nationale Amt für den Zivildienst“ bietet daneben einen freiwilligen einjährigen Zivildienst an.30 Die einschlägigen Bestimmungen regeln die Artikel 987 (für Offiziere) und 988 (für Unteroffiziere und Mannschaften.) des Militärgesetzes sowie der Erlass des Verteidigungsministeriums vom 15. November 2004. Der Eintritt in die „Ausgewählte Reserve“ unterliegt zudem der „Ernennung zum zusätzlichen Beamten“ gemäß Artikel 674 des Gesetzes Nr. 66 von 2010. Bis zum vollendeten 45. Lebensjahr können sich alle Italienerinnen und Italiener darüber hinaus der Reserve 26 British Army: Army Reserve Officer; https://apply.army.mod.uk/what-we-offer/reserve-officer [letzter Zugriff: 2.5.2019]. 27 Björn Müller, Großbritanniens Armee-Pläne. Militärmacht auf dem Weg ins Abseits, in: FAZ, 30.7.2017; https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/grossbritanniens-armee-plaene-militaermacht-auf-dem-weg-insabseits -15124514-p3.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 [letzter Zugriff: 2.5.2019]. 28 Zu den Grundsätzen der italienischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik siehe Fabrizio Coticchia, Italy, in: The Handbook [wie Anm. 7], S. 109-124. 29 Parlamento Italiano, Legge (Gesetz) Nr. 226, 23.8.2004; http://www.camera.it/parlam/leggi/04226l.htm [letzter Zugriff: 6.5.2019]. 30 Consolato Generale d’Italia, Wehrdienst in Italien, 11.5.2010; https://consstoccarda.esteri.it/consolato_stoccarda /de/i_servizi/per_i_cittadini/leva [letzter Zugriff: 6.5.2019], Wolfgang Pusztai/Anton Noggler/Heide Wassertheurer-Di Marzio, Die italienischen Freiwilligenstreitkräfte, in: Truppendienst 3/2011; http://www.bundesheer.at/truppendienst/ausgaben/artikel.php?id=1137 [letzter Zugriff: 6.5.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 13 zur Verfügung stellen; für Berufssoldaten nach deren Ausscheiden aus dem Dienst gelten Sonderregelungen . In jedem Fall bedarf es einer förmlichen Erklärung, die Anzahl der jährlichen Diensttage darf 180 Tage nicht überschreiten, die Dienstzeit hat einen zeitarbeitsähnlichen Charakter und wird durch ein seit 1955 implementiertes eigenes Arbeitsschutzgesetz geregelt.31 Ansonsten sind die dienstleistenden Reservistinnen und Reservisten den regulären Soldatinnen und Soldaten in jeder Hinsicht gleichgestellt, auch bezüglich der Besoldung. Jeder aktive Verband unterhält dabei eine eigene Reserveeinheit, deren Angehörige er nach eigener Maßgabe aus- und weiterbildet. Die Basisausbildung dauert dabei zwischen vier und sechs Wochen. Ausgenommen davon sind Spezialistinnen und Spezialisten – dezidiert angesprochen werden Ingenieure, Ärzte, Psychologen und Sprachmittler. Bei Bedarf nach entsprechenden Qualifikationen dienen solche Freiwillige in der „Ausgewählten Reserve“ (riserva selezionata); hier ist die Absolvierung eines vierwöchigen Basislehrgangs Voraussetzung. Der Personalumfang dieses Pools beschränkt sich jedoch auf nur wenige Hundert.32 2.4 Lettland33 Seit dem 1. Januar 2007 verfügt Lettland über eine völlig auf Einzelverträgen basierende Berufsarmee , die Lettischen Nationalen Streitkräfte (Nacionālie bruņotie spēki/NBS) mit etwa 6.000 Soldatinnen und Soldaten.34 Daneben existiert die am 23. August 1991 gegründete Nationalgarde (Zemessardze), die gleichwohl aus Freiwilligen besteht, derzeit rund 8.000, und sich auf drei Bezirke mit insgesamt 18 Bataillonen verteilt. Das Hauptquartier befindet sich in Riga. 1992 wurde sie um eine Jugendorganisation (Jaunsardze) erweitert. Nach dem Beitritt Lettlands zur NATO 2004 avancierte die Zemessardze zu einer Art Armeereserve.35 31 Ministero della Difesa: Forze di completamento volontarie; http://www.esercito.difesa.it/concorsi-e-arruolamenti /ufficiali/Documents/Modelli%20scaricabili/VADEMECUM%20RISERVA%20SELEZIONATA.pdf [letzter Zugriff: 6.5.2019], Ministero della Diffesa: Riserva selezionata 2019, http://www.carabinieri.it/cittadino/informazioni/riserva-selezionata [letzter Zugriff: 6.5.2019]. 32 Ebd. 33 Zu den Grundsätzen der lettischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik insbesondere im baltischen Kontext siehe Masha Hedberg/Andres Kasekamp, Baltic States, in: The Handbook [wie Anm. 7], S. 214-232. 34 Kārlis Krēsliņš/Aleksandrs Pavlovičs/Inese Krēsliņa, Defence of the Latvia: Past, Present and Future, in: Baltic Security and Defence Review 2/2011, S. 110-127, bes. S. 111-113. 35 Siehe hierzu grundsätzlich https://www.zs.mil.lv/ [letzter Zugriff: 6.5.2019] sowie Sarmīte Baltiņa, Dawn of the Restored Latvian National Armed Forces, in: Eesti Sõjaajaloo Aastaraamat / Estonian Yearbook of Military History 4/2014, S. 62-79 und Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 14 Der grundsätzliche Entwicklungsplan für die lettischen Streitkräfte von 2012 bis 2024 sieht vor, dass bis 2020 nicht nur die regulären Streitkräfte, sondern auch die Nationalgarde materiell besser ausgerüstet und personell bis auf 12.000 aufgestockt werden sollen. Dahinter steht ein sehr grundlegender Gedanke zur Landesverteidigung, der die gesamte Bevölkerung miteinbezieht : „Another critical issue for Latvia's military defence is individual willingness to resist occupation and proactive strengthening of weaker elements of resistance. This requires full government and citizen engagement. Every inhabitant of Latvia should be given a specific role and position in the resistance. From NAF perspective, if Latvia would fully or partly lose legitimate control over its territory during a crisis or armed conflict, resistance would be one of the ways to protect Latvia. Proactive development of dual use infrastructure, which can be utilised in times of crisis or war, planning and adoption of national defence and resistance models, are a part of a responsible approach.“36 In diesen Kontext gehört eine nationale Verteidigungsausbildung an den lettischen Schulen. Von deren Absolventinnen und Absolventen verspricht sich das lettische Verteidigungsministerium eine ausreichende Zahl an Freiwilligen. Um die Ausbildung des potentiellen Personals der Nationalgarde zu verbessern, werden seit 2017 eine Reihe von Grund- und Sammelausbildungen in Form von Bootcamps und Wochenendausbildungen durchgeführt. Bis 2021 sollen in sechs Bezirken jeweils ein weiteres Bataillon aufgestellt werden.37 Jede lettische Staatsbürgerin und jeder Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 55 Jahren kann den Dienst in der Nationalgarde leisten, wenn er körperlich und geistig fit ist. Der Nationalgarde beitreten darf indes niemand, der bereits in staatlichen Sicherheits- oder militärischen Diensten steht oder Strafverfolgungs- beziehungsweise Strafvollzugsbehörden angehört.38 Angehörige der Nationalgarde schließen wie die regulären Soldaten individuelle Verträge ab. Sie gelten für die Dauer von fünf Jahren, anschließend kann ein weiterer abgeschlossen werden. Ministry of National Defence Republic of Lithuania: NDVF History, 5.10.2017; http://kariuomene .kam.lt/en/structure_1469/national_defence_volunteer_forces_1357/ndvf_history.html [letzter Zugriff: 6.5.2019]. 36 Hierzu wie auch zum Folgenden Ministry of Defence of Latvia: Comprehensive National Defence in Latvia, S. 2-10; https://www.mod.gov.lv/en/dokumenti [letzter Zugriff: 6.5.2019]. 37 Olevs Nikers, Latvia Focuses on Improving Societal Resilience and Increasing Size of National Guard, in: Eurasia Daily Monitor Volume: 15 Issue: 17, 5.2.2018; https://jamestown.org/program/latvia-focuses-improvingsocietal -resilience-increasing-size-national-guard/ [letzter Zugriff: 6.5.2019]. 38 The National Guard of the Republic of Latvia Law vom 1.9.2010, einschließlich der ergänzenden Gesetze. Ins Englische übersetzt durch das Valsts valodas centrs (Staatliches Sprachenzentrum) 2015; http://www.vvc.gov.lv/export/sites/default/docs/LRTA/Likumi/The_National_Guard_of_the_Republic_of_Latvia _Law.pdf [letzter Zugriff: 6.5.2019] sowie auch zum Folgenden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 15 Die jährlichen Reservedienstleistungen umfassen regelmäßig 30 Tage, die innerhalb der Freizeit , also nicht während einer regulären Beschäftigung oder eines Studiums erbracht werden müssen. In Ausnahmefällen können bis zu 90 Tagen pro Jahr anfallen. Grundsätzlich müssen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber Nationalgardisten bis zu fünf Arbeitstagen pro Jahr für Ausbildungen und weitere fünf Tage für Dienstleistungen freistellen, brauchen für diese Zeit zwar das Gehalt nicht fort zu bezahlen, dürfen aber deswegen auch keine Kündigung aussprechen. Wird die Nationalgarde für einen Krisenfall eingesetzt müssen die Nationalgardisten bis zur Überwindung der Krise freigestellt werden. Ersetzt ein Nationalgardist einen abwesenden Soldaten der lettischen Nationalen Streitkräfte oder besetzt einen dort vakanten Dienstposten, muss er bis zu einem halben Jahr freigestellt werden, im Rahmen eines internationalen Einsatzes sogar bis zu anderthalb Jahren. Die Bezahlung von Nationalgardisten erfolgt nach Tagessätzen, deren Höhe und Modalitäten vom Kabinett festgelegt werden. Ersetzen Nationalgardisten reguläre Soldaten oder Soldatinnen im Friedensdienst oder im Einsatz, erhalten sie denselben Sold. Während der Dauer des Dienstes gilt außerdem die freie Heilfürsorge. 2.5 Norwegen39 Die norwegische Armee (Forsvaret) besteht aus den vier Teilstreitkräften Heer (Hæren), Marine (Sjøforsvaret), Luftwaffe (Luftforsvaret) und der Heimatschutzmiliz/Heimwehr (Heimevernet ). Es existiert eine zwölfmonatige Wehrpflicht für Männer und Frauen.40 Die Heimevernet wird von einem Generalinspekteur für die Heimwehr (Generalinspektøren for Heimevernet) im Range eines Generalmajors geführt. Von ihren rund 35.000 Angehörigen befinden sich ständig etwa 1.200 im aktiven Dienst, weitere 3.500 können rasch mobilisiert werden. Die Heimevernet besteht aus je einer Heeres-, Luftwaffen- und Marineheimwehr, die in vier Regionen, 11 Distrikte und 220 Gebiete gegliedert sind. In der Heimevernet wurde in den vergangenen Jahren die Zahl der Soldaten reduziert, die ältesten Soldaten durch jüngeres Personal ersetzt und Sondereinsatzkräfte aufgestellt: 12 Eingreifgruppen sind in der Lage schnell zu reagieren, um Objekte von entscheidender Bedeutung zu sichern, die Haupteinsatzkräfte haben hingegen eine längere Reaktionszeit, aber deutlich höhere Durchhaltefähigkeiten als die Eingreifgruppen. Neben der Unterstützung 39 Zu den Grundsätzen der norwegischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik siehe Magnus Petersson, Denmark and Norway, in: The Handbook [wie Anm. 7], S. 360-376. 40 Hierzu wie auch zum Folgenden siehe Forsvaret: The Home Guard, 4.9.2018; https://forsvaret.no/en/organisation /home-guard [letzter Zugriff: 9.5.2019] und Jarle Stockland, The Norwegian Home Guard's shape shown to be better than its reputation, 19.11.2017; http://sciencenordic.com/norwegian-home-guards-shape-shown-be-better-its-reputation [letzter Zugriff: 26.4.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 16 des norwegischen Heeres übernimmt die Heeresheimwehr Aufgaben im Bereich der Terrorprävention und des Katastrophenschutzes. Besondere Aufgabe der Luftwaffenheimwehr ist der Objektschutz der Luftwaffen-Einrichtungen, während die Marineheimwehr die regulären Marinekräfte und die Küstenwache hauptsächlich in der Überwachung der Hoheitsgewässer unterstützt; dafür verfügt sie über etwa 200 Einsatzboote. Die Heimevernet verfügt in Dombås über eine eigene Ausbildungseinrichtung und in Porsangmoen über eine eigene Offizieranwärterschule . 2.6 Polen41 Die Polnischen Streitkräfte (offiziell: Siły Zbrojne Rzeczypospolitej Polskiej, inoffiziell: Wojsko Polskie / WP) bestehen aus Heer, Marine, Luftwaffe, den Spezialkräften und der Territorialverteidigung (Wojska Obrony Terytorialnej / WOT) – einer Miliz, die auf der Basis der existierenden polnischen Freiwilligenverbände 2016 geschaffen worden ist. 2010 hat auch Polen die Wehrpflicht abgeschafft.42 Am 20. September 2016 hat Verteidigungsminister Antoni Macierewicz Oberst Wiesław Kukuła mit dem Oberkommando der zu gründenden WOT beauftragt. Er begründete seinen Idee mit dem russisch-georgischen Krieg von 2008 und dem russisch-ukrainischen Konflikt seit 2014, vor allen Dingen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim. Er sieht die WOT allerdings auch als Patriotismusschule, was zu erheblicher Kritik nicht nur in der polnischen Opposition und Öffentlichkeit führte.43 Am 4. November 2016 hat sich der Sejm mit dem Gesetz über die Aufstellung der Armee zur Territorialverteidigung befasst und den Entwurf in den Verteidigungsausschuss verwiesen, der diesen verabschiedete. Am selben Tag wurden auf dem Platz der Militärhochschule in Bres- 41 Zu den Grundsätzen der polnischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik siehe Andrew A. Michta, Poland, in: The Handbook [wie Anm. 7], S. 125-139, sowie Ministerstwo Obrony Narodowej (Verteidigungsministerium): The Defence Concept of the Republic of Poland; Mai 2017; https://www.gov.pl/web/national-defence/defenceconcept-publication [letzter Zugriff: 9.5.2019]. 42 Ministerstwo Obrony Narodowej (Verteidigungsministerium): Territorial Defence Forces; https://www.gov.pl/web/national-defence/territorial-defence-forces [letzter Zugriff: 9.5.2019]. 43 Wiktor Szary/Kacpar Pempel, Wyeing Russia nervously, Poles enrol in volunteer militias, in: Reuters Worldnews , 20.3.2015; https://www.reuters.com/article/us-ukraine-crisis-poland-militias-idUSKBN0MG24I20150320 [letzter Zugriff: 9.5.2019], Bürgerwehren sollen Polen verteidigen, in: Welt online; 21.3.2015; https://www.welt.de/politik/ausland/article 138653354/Buergerwehren-sollen-Polen-verteidigen.html [letzter Zugriff: 9.5.2019], Jan Puhl, Paramilitärs gegen Russland: Polens Heer der Freiwilligen, in: Spiegel online, 3.6.2016; https://www.spiegel.de/politik/ausland/paramilitaers-gegen-russland-polens-heer-der-freiwilligen-a- 1095722.html [letzter Zugriff: 9.5.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 17 lau die ersten 66 WOT-Offizierskandidaten, darunter 21 Frauen im Beisein von Vizeverteidigungsminister Wojciech Fałkowski vereidigt, obwohl es für die Bildung der Truppe noch keine gesetzliche Grundlage gab. Die Unteroffiziere hatten ihren Dienst am 3. Oktober 2016 begonnen. Sie werden zwölf Monate für ihren Dienst in der WOT ausgebildet. Die WOT ist dabei grundsätzlich nach dem Vorbild der US-amerikanischen Nationalgarde aufgebaut . Mehr als 12.000 Freiwillige haben sich ihr inzwischen angeschlossen; hinzukommen etwas mehr als 2.000 Berufssoldaten. Die Regierung geht von weiteren 10.000 Freiwilligen jährlich aus, so dass bis Ende 2021 eine personelle Stärke von rund 50.000 erreicht sein wird. Allein im Jahr 2018 gab das Verteidigungsministerium dafür 568 Mio. Zloty (132 Mio. Euro) aus und damit ebenso viel wie für seine Marine.44 Die Angehörigen der WOT werden einmalig 16 Tage sowie in der Folge je ein Wochenende pro Monat aus- und weitergebildet. Dafür erhalten sie 500 Zloty (120 Euro) im Monat. Bewerben können sich alle Polinnen und Polen, die mindestens 18 Jahre alt sind und eine Schulausbildung erfolgreich hinter sich gebracht haben, auch Frauen und Männer mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen , denen der Weg in die Berufsarmee verschlossen ist, sofern sie über besondere Kompetenzen verfügen. Zum Dienst kann man sich zwischen einem und sechs Jahren verpflichten ; der Kontrakt kann anschließend verlängert werden. Nach der Ausbildung bei der Bürgerwehr wachsen die Chancen für den Einstieg in die polnische Berufsarmee.45 3. Fazit Alle hier betrachteten Staaten haben sich in den vergangenen Jahren in durchaus bemerkenswerter Intensität dem Aufbau oder der Reformierung von Reservistenorganisationen gewidmet. Die Motive und Hintergründe variieren jedoch erheblich. Im Falle Frankreichs gaben die terroristischen Anschläge auf die Zivilgesellschaft den Anstoß, den Umfang der Sicherheitskräfte zu erhöhen; in Großbritannien bedarf die neue Strategie des „Global Britain“ umfangreicher Personalreserven. In Italien versucht man damit das Rekrutierungspotential zu erhöhen, während in Norwegen, Lettland und Polen das Landesverteidigungskonzept traditionell beziehungsweise aus historischen Erfahrungen heraus auf der Einbeziehung der Bevölkerung beruht. Norwegen hat dabei als einziger hier betrachteter Staat den Personalumfang verringert, dafür jedoch eine Spezialisierung beziehungsweise Professionalisierung eingeführt . Lettland und Polen haben dabei angesichts des völkerrechtswidrigen Auftretens des russischen Nachbarn die Einbeziehung der gesamten Bevölkerung (re)aktiviert. In Polen griff man auf 44 Justyna Pawlak/Kacpar Pempel, In training with Poland´s volunteer militia, in: Reuters, 18.10.2018; https://www.reuters.com/article/us-poland-nationalism-militia/in-training-with-polands-volunteer-militia-id USKCN1MS1OP [letzter Zugriff: 10.5.2019]. 45 Monika Sieradzka, Patriotische Bürgerwehren, in: mdr aktuell, 6.5.2017; https://www.mdr.de/nachrichten/osteuropa /ostblogger/buergerwehr-polen-100.html [letzter Zugriff: 10.5.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 056/19 Seite 18 traditionelle Freiwilligenverbände zurück, die vor allen Dingen in den östlichen Landesteilen seit dem Ende des Kalten Krieges regen Zulauf erhielten. Im Unterschied zu Deutschland ist besonders hervorzuheben, dass die Streitkräfte in allen hier betrachteten Staaten nahezu fraglos anerkannt sind, am ehesten noch in Frankreich fallweise in der Kritik stehen. Das ist vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ebenso wenig verwunderlich wie bei einem Vergleich entscheidend zu berücksichtigen. Denn regelmäßig müssen die Reservistinnen und Reservisten ihren Dienst in ihrer Freizeit oder im Urlaub ableisten. Insofern bedarf es in den hier betrachteten Ländern geringer oder gar keiner Anreize für Unternehmen, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für deren Dienst in den jeweiligen Reserveorganisationen freizustellen. Auch hier bildet Frankreich die Ausnahme, wo man sich intensiv um eine Zusammenarbeit bemüht. In Wirklichkeit handelt es sich aber vor allem um Rüstungsunternehmen, die die Kooperation suchen, wie die Liste der Preisträger des „Prix entreprise de la garde nationale“ beziehungsweise des „Prix de la Réserve militaire“ belegt.46 Hier dürfen wirtschaftliche Interessen auf beiden Seiten als motivierender Faktor durchaus unterstellt werden. *** 46 2011: Total et Cabinet Delaporte, Briard et Trichet, 2012: EADS France et Lycée François Truffaut, 2013: Latecoerre et SANITEC, 2014: Thales Group et Société de Banques et d'Expansion (SBE), 2015: Turbomeca et Scania France, 2016: ENGIE et communauté urbaine Creusot Montceau, 2017: Airbus et Hera-Cles; https://www.defense .gouv.fr/reserve/reserve-et-entreprises/le-prix-entreprise-de-la-garde-nationale [letzter Zugriff: 26.4.2019]. 2018 wurde der Preis an die Einzelhandelskette Casino Guichard-Perrachon verliehen; Reuters: France-Les entreprises , vivier de choix de la Garde nationale, 12.10.2018, https://fr.reuters.com/article/frEuroRpt/id- FRL8N1WS4VQ [letzter Zugriff: 26.4.2019].