© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 055/16 Die Nahostpolitik Deutschlands und Russlands seit 1991 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 2 Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Die Nahostpolitik Deutschlands und Russlands seit 1991 Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 055/16 Abschluss der Arbeit: 25. April 2016 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung und Begriffsklärung 4 2. Die Nahostpolitik Deutschlands 4 2.2. Nahostpolitik der EU 5 2.3. Besonderes Verhältnis Deutschlands zu Israel und deutsche Position zum Nahostkonflikt 7 2.4. Verhältnis zu Saudi-Arabien als Beispiel deutscher „Arabienpolitik“ 9 2.5. Verhältnis zum Iran 10 2.6. Verhältnis zu Syrien und Position zum Syrienkrieg 11 3. Die Nahostpolitik Russlands 13 3.1. Prinzipielle Wirtschaftsinteressen Russlands in der Region 14 3.2. Verhältnis zu Israel und Position zum Nahostkonflikt 15 3.1. Verhältnis zu Saudi-Arabien 17 3.2. Verhältnis zum Iran 18 3.3. Verhältnis zu Syrien und Position zum Syrienkrieg 18 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 4 1. Einführung und Begriffsklärung Dieser Sachstand beleuchtet die Grundzüge der Politik Deutschlands sowie Russlands gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten seit Ende 1991.1 Das Gebiet, das in der deutschen Sprache als Naher Osten bezeichnet wird, umfasst traditionell die arabischsprachigen Länder Vorderasiens sowie Israel, manchmal werden auch Ägypten und der Iran hinzugezählt. Der Mittlere Osten umfasst im deutschen Sprachgebrauch in der Regel Iran, Afghanistan und Südasien. Beide Begriffe überschneiden sich – ohne jedoch synonym zu sein – mit dem im Englischen gebräuchlichen Middle East (ein Near East ist im heutigen Englisch ungebräuchlich). Historisch gesehen umfasst der Nahe Osten die außerhalb Europas liegenden Territorien des Osmanischen Reiches, schließt also auch die Türkei und Ägypten mit ein. Der Einfachheit halber wird in dieser Arbeit der Begriff Nahostpolitik verwendet, um die Außenpolitik gegenüber den arabischsprachigen Staaten Vorderasiens, Ägypten, Israel sowie dem Iran zusammenzufassen. Die Türkei wird dabei ausgeklammert. Im betrachteten Gebiet liegen somit 14 Staaten sowie die beiden palästinensischen Autonomiegebiete. Dies entspricht dem Gebiet, das im Englischen als Middle East bezeichnet wird. Die arabischsprachigen Staaten Nordafrikas werden mittlerweile auch häufig im Rahmen eines „erweiterten Nahostbegriff“ genannt. In der englischsprachigen Literatur setzt sich daher immer mehr die Bezeichnung MENA (Middle East and Northern Africa) für die Region durch. Um den Rahmen dieser Ausarbeitung jedoch nicht zu sprengen, wird der Fokus auf folgende Themen bzw. Staaten gelegt: Konflikt zwischen Israel und Palästina, Iran, Syrien und der dortige Krieg sowie Saudi-Arabien. Im Hinblick auf den Syrienkrieg wird darauf verzichtet, den Verlauf des nunmehr seit fünf Jahren andauernden Krieges bzw. die diesbezüglichen Handlungen der Bundesrepublik bzw. Russlands detailliert zu erläutern. 2. Die Nahostpolitik Deutschlands Bei Betrachtung der langfristigen Politik der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens lassen sich nur wenige konstant verfolgte Linien ausmachen: 1. Solidarität mit dem Staat Israel bei gleichzeitigen 2. Bemühungen um eine friedliche Lösung des Nahostkonfliktes, 3. Aufbau und Beibehaltung guter wirtschaftliche Beziehungen zu den Ländern der Region sowie 4. eine Politik gegenüber dem Iran im Einklang mit anderen westlichen Staaten. 1 Am 31. Dezember 1991 löste sich die Sowjetunion auf und die Russische Föderation (in dieser Ausarbeitung: Russland) entstand als unabhängiger Staat. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 5 Hierbei muss aber beachtet werden, dass Deutschland mindestens bis zur Wiedervereinigung ohnehin außenpolitisch stets zurückhaltend auftrat und sich aufgrund der weltpolitischen Lage, ihrer eingeschränkten Souveränität und Verpflichtungen gegenüber den westlichen Partnern auch gar nicht in der Lage befand, eine völlig eigenständige, „deutsche“ Außen- oder gar Geopolitik zu betreiben. Außerdem hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten die gemeinsame Außenpolitik der EU an Gewicht gewonnen, weshalb diese im folgenden Abschnitt kurz dargestellt wird. Ein erstes starkes Anzeichen außenpolitischer Eigenständigkeit war die Weigerung Deutschlands , sich an der US-geführten Invasion des Irak im Jahre 2003 zu beteiligen. Andererseits wird gerade das deutlich erkennbare Widerstreben gegen die Beteiligung an militärischen Einsätzen von vielen Kommentatoren als Beleg für die Fortführung der jahrzehntelangen zurückhaltenden Außenpolitik Deutschlands und seinen Verzicht auf Geopolitik betrachtet.2 Eine ausführliche Betrachtung würde allerdings den Rahmen dieser Ausarbeitung sprengen. Ein deutlicher Einschnitt in die Beziehungen zu zahlreichen Staaten der Region mit bis heute andauernder Wirkung war der Arabische Frühling von 2011. Die Proteste der Bevölkerung in vielen arabischen Staaten führten in einigen zum Sturz der jeweiligen Regierung, so etwa in Ägypten3 oder Tunesien4. In Syrien führten sie dagegen zu einem bis heute andauernden Bürgerkrieg , in dessen Rahmen sich der sogenannte „Islamische Staat“ ausbreiten konnte und der zahlreiche Staaten zu militärischem Eingreifen bewegte. Die Bundesrepublik stand den Protesten des Arabischen Frühlings generell wohlwollend gegenüber und unterstützt die Forderungen nach mehr Demokratie und der Einhaltung der Menschenrechte . Im Hinblick auf Syrien (mehr im Abschnitt 2.6) erkannte sie der Regierung von Präsident Bashar al-Assad die Legitimation ab und erkennt die demokratische Opposition als legitime Vertretung des syrischen Volkes an.5 2.2. Nahostpolitik der EU Die Nahostpolitik der EU umfasst in einem engen Sinne das Engagement der EU und ihrer Mitgliedstaaten im Konflikt zwischen Israel, den Palästinensern und den arabischen Nachbarländern . In einem weiteren Sinne beschreibt der Begriff auch die seit den 1990er-Jahren wachsenden 2 Vgl. Eric Gujer, Ein deutsches Märchen, Neue Zürcher Zeitung am 27. November 2015, http://www.nzz.ch/meinung/ein-deutsches-maerchen-1.18653971 (zuletzt abgerufen am 18. April 2016). 3 Wobei sich nach einem kurzen Intermezzo, in dem die demokratisch gewählten Islamisten in Ägypten regierten, heute wieder eine Militärregierung über das Land herrscht. 4 Tunesien ist bisher das einzige Land, in dem sich nach dem Arabischen Frühling demokratische Strukturen etablieren konnten. 5 "Blutige Unterdrückung": Europas Erklärung gegen Assad im Wortlaut, Spiegel Online am 18.August 2011, Wiedergabe der gemeinsamen Erklärung der Regierungen von Frankreich, Großbritannien und Deutschland, http://www.spiegel.de/politik/ausland/blutige-unterdrueckung-europas-erklaerung-gegen-assad-im-wortlaut-a- 781051.html (zuletzt abgerufen am 21. April 2016 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 6 weiteren Aktivitäten der EU in der Region. Diese beinhalten etwa den Barcelona-Prozess und die europäische Nachbarschaftspolitik sowie die Verhandlungen mit dem Iran über dessen Atomprogramm . Der Bürgerkrieg in Syrien und die dadurch ausgelöste Flucht von Millionen Menschen stellt die gesamte EU vor eine große Herausforderung und belastet sie auch im Innenverhältnis ihrer Mitglieder deutlich. Im Nahostkonflikt ist die EU als Akteur im sogenannten Nahostquartett vertreten. Dieses ist ein Forum zur Unterstützung von Friedensverhandlungen zwischen den Konfliktparteien und umfasst außerdem die Vereinten Nationen (VN), Russland und die USA. Wie die übrigen Akteure im Nahostquartett sieht die EU in einer Zweistaatenlösung für Israel und die Palästinenser den Schlüssel zum Frieden. So stellen die Ratsschlussfolgerungen zum Nahostfriedensprozess vom 16. Dezember 2013 ein präzedenzloses Maßnahmenpaket für die Parteien in Aussicht, sollten sie sich auf ein Abkommen verständigen. Auch die Hohe Repräsentantin der EU Federica Mogherini hat die Lösung des Nahostkonfliktes zur Priorität ihrer Amtszeit erklärt. Seit dem 15. April 2015 ist Fernando Gentilini EU-Sonderbeauftragter für den Nahostfriedensprozess.6 Er ist der fünfte Sonderbeauftragte seit 1996.7 Die Lage im Nahen und Mittleren Osten hat seit der Jahrtausendwende insbesondere durch den Krieg im Irak und das iranische Atomprogramm deutlich an Komplexität gewonnen. Hier stößt die europäische Nahostpolitik an Grenzen. So ist es nicht immer einfach, unter den 28 Mitgliedern eine gemeinsame Position zu finden, insbesondere, wenn es um ein mögliches militärisches Engagement geht. Dies zeigte sich insbesondere bei der Intervention in Libyen im Jahre 2011 nach dem Sturz Gaddafis: während Frankreich und Großbritannien sich an dem Einsatz beteiligten , lehnte Deutschland diesen ab und enthielt sich bei Resolution 1973 des VN-Sicherheitsrates (Deutschland war 2011 – 2012 nichtständiges Mitglied).8 Schon zuvor war Libyen zum Problem bei der gemeinsamen EU-Politik geworden: Italiens damaliger Premierminister Silvio Berlusconi pflegte ein intensives Verhältnis zum Libyen Gaddafis und schloss neben Wirtschaftsverträgen schon 2008 ein bilaterales Freundschaftsabkommen, das dezidiert die Zahl der von Libyen über das Mittelmeer nach Italien kommenden Migranten reduzieren sollte.9 Auch Frankreich unter Präsident Nicolas Sarkozy bemühte sich um ein neues Ver- 6 Auswärtiges Amt, Der Nahostkonflikt, 2016, http://www.auswaertigesamt .de/sid_2A593A91A61694CE56F667B99EA9DF7B/DE/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/NaherMittler erOsten/IsraelPalaestinensischeGebiete/IsraelischPalaestinensischerKonflikt_node.html (zuletzt abgerufen am 14. April 2016). 7 Seine Vorgänger waren Miguel Ángel Moratinos (1996–1997), Nils Eriksson (1997–2002), Marc Otte (2003- 2011) und Andreas Reinicke (2012–2014). State Gift, Juni 2015, http://state.gift/sonderbeauftragter_1486182.html (zuletzt abgerufen am 21. April 2016). 8 Richard Adams und David Batty, Libya resolution: UN security council air strikes vote - as it happened, The Guardian vom 17. März 2011, http://www.theguardian.com/world/2011/mar/17/libya-united-nations-airstrikes -live (zuletzt abgerufen am 15. April 2016). 9 Deutsche Welle am 30. August 2010, Gaddafi und Berlusconi feiern Freundschaft, http://www.dw.com/de/gaddafi-und-berlusconi-feiern-freundschaft/a-5955588 (zuletzt abgerufen am 15. April 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 7 hältnis zum Diktator von Libyen. Zusammen mit Spanien, Malta und Zypern war Frankreich dann auch treibende Kraft bei einer neuen Libyenpolitik der EU, die neben der Erschließung neuer Märkte auch das Ziel der Abwehr von Migranten verfolgte.10 Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen der EU und Israel ist es oft Deutschland, das innerhalb der EU um besonderes Verständnis für israelische Positionen wirbt. Andere Staaten, zum Beispiel Schweden, nehmen zu Problemen wie der israelischen Siedlungspolitik einen oft konfrontativeren Standpunkt ein. So erkannte Schweden z.B. im Jahre 2014 Palästina als Staat an und warb auch für eine entsprechende Maßnahme der EU. Die Bundesregierung lehnte diesen Schritt ab und warb erfolgreich für die Weiterverfolgung von Verhandlungen, um eine Zweistaatenlösung zu erreichen.11 2.3. Besonderes Verhältnis Deutschlands zu Israel und deutsche Position zum Nahostkonflikt12 Das Verhältnis der Bundesrepublik zu Israel ist von besonderer Bedeutung. Aufgrund der NS- Vergangenheit bekannten sich alle Bundesregierungen zur moralischen Verantwortung gegenüber dem Staat Israel. Dennoch waren Fragen wie die deutsche Aufarbeitung der Shoah, Wiedergutmachungszahlungen der Bundesrepublik und auch deren Verhältnis zu den mit Israel verfeindeten arabischen Staaten zu Beginn der bilateralen Beziehungen eine große Belastung. Im Laufe der Jahrzehnte verlor dieser Faktor an Brisanz und stellt heute keine Gefährdung der deutschisraelischen Beziehungen mehr dar. Unbestritten ist die Shoah jedoch ein Punkt, der diese Beziehungen prägt und sie sowohl für Israel als auch für Deutschland von denen zu jedem anderen Staat unterscheidet. Der israelisch-arabische bzw. israelisch-palästinensische Konflikt bedeutete für Deutschland eine Zwickmühle zwischen moralischer Verantwortung (gegenüber Israel) und ökonomischem Nutzen (durch gute Wirtschaftsbeziehungen zu den arabischen Staaten der Region). Dieser Antagonismus wurde entschärft, indem die beiden Stränge weitgehend unabhängig voneinander gestaltet wurden . Deutschland war stets bestrebt, beide Interessen wahrzunehmen und die politische Unterstützung Israels nicht mit den Wirtschaftsbeziehungen zu den arabischen Staaten zu vermischen. Im Rahmen internationaler Entwicklungen richtete die Bundesregierung ihre Politik zunächst an den Erwartungen der Westmächte aus. In den siebziger Jahren gewann der europäische Einheits- 10 Andrea Böhm, Unser Türsteher, Die Zeit vom 25. November 2010, http://www.zeit.de/2010/48/Europa- Fluechtlinge-Libyen (zuletzt abgerufen am 15. April 2016). 11 Stefan Kreitwolf, EU-Parlament diskutiert Status Palästinas, Handelsblatt vom 26. November 2014, http://www.handelsblatt.com/politik/international/europas-nahostpolitik-eu-parlament-diskutiert-statuspalaestinas /11037056.html (zuletzt abgerufen am 15. April 2016). 12 Sofern nicht anders vermerkt, entstammen die Informationen dieses Abschnittes Markus A. Weingardt, Deutsche Israelpolitik: Etappen und Kontinuitäten, 4. April 2005, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 15/2005, http://www.bpb.de/apuz/29124/deutsche-israelpolitik-etappen-und-kontinuitaeten?p=all (zuletzt abgerufen am 13. April 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 8 prozess an Bedeutung, der Deutschland die Möglichkeit bot, seine israelpolitische Sonderstellung allmählich um den Aspekt einer gemeinsamen europäischen Nahostpolitik zu ergänzen. Die Wiedervereinigung und das Ende des Ost-West-Konfliktes zu Beginn der 1990er Jahre ermöglichten es der Bundesrepublik, zum einen das Verhältnis zu Israel konstanter, d.h. auf staatlichdiplomatischer Ebene formalisierter, aber dafür auf anderen Ebenen persönlicher und intensiver zu gestalten13, zum anderen, seine Position zum Nahostkonflikt im Rahmen der erstarkenden europäischen Außenpolitik zu „normalisieren“, also an die anderer europäischer Staaten anzugleichen . Somit ist es heute z.B. nicht mehr ungewöhnlich, wenn die Bundesrepublik in Einklang mit der EU und EU-Staaten Teile der Politik Israels gegenüber den Palästinensern öffentlich kritisiert . Gleichzeitig sind das Existenzrecht des Staates Israel und die Solidarität mit Israel Teil der deutschen Staatsräson, was auch gegenüber europäischen Partnern vertreten wird. In Hinblick auf die Palästinenser verfolgt die Bundesrepublik spätestens seit 1993 eine Unterstützung einer Zweistaatenlösung. Die Bundesrepublik errichtete als einer der ersten Staaten eine Vertretung in Jericho und unterstützte den Aufbau von Wirtschaft und Infrastruktur in den palästinensischen Gebieten, um auf ausdrücklichen Wunsch der israelischen Regierung auf diese Weise den Friedensprozess zu stärken. Die Bundesregierungen unter Kohl verfolgten eine Politik gegenüber Palästinensern und arabischen Staaten, die immer mehr vom Nahostkonflikt losgelöst war. So gelang es, das nahostpolitische Dilemma - den Antagonismus von israelischen und arabisch -palästinensischen Erwartungen - wenn nicht aufzulösen, so doch in stabile und politisch praktikable Strukturen zu fassen. Diese Strukturen wurden auch von den Nachfolgeregierungen unter Schröder und Merkel weitergepflegt und sind weiterhin tragfähig, wenn auch die Kritik an Israels Vorgehen im Nahostkonflikt in den letzten Jahren schärfer geworden ist. Mit dem deutschpalästinensischen Lenkungsausschuss besteht ein Gremium, das ganz offiziell die Zusammenarbeit auf „bilateraler“ (als Staat ist Palästina von der Bundesrepublik nicht anerkannt) Ebene steuert und koordiniert und dessen Existenz die Ernsthaftigkeit deutschen Engagements in den palästinensischen Gebieten unterstreicht. Heute formuliert die Bundesrepublik ihre Position zum Nahostkonflikt so: „Ein unabhängiger, demokratischer und lebensfähiger palästinensischer Staat, der Seite an Seite in Frieden und Sicherheit mit Israel lebt, ist nach Überzeugung Deutschlands und seiner Partner nur durch Verhandlungen zu erreichen. Nur eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung kann die legitimen Forderungen beider Seiten erfüllen und den israelisch-palästinensischen Konflikt endgültig beilegen. Langfristiges Ziel Deutschlands ist nicht nur eine Verhandlungslösung für den israelischpalästinensischen Konflikt, sondern eine umfassende israelisch-arabische Friedenslösung, die auch andere Konfliktfelder im Nahen Osten einbezieht: Die ungelösten Konflikte zwischen Israel und Syrien und Israel und dem Libanon.“14 Bei einem Besuch von Mahmoud Abbas am 19. April 13 Vgl. die Ausführungen Rudolf Dreßlers: „Deutschland gilt heute für viele israelische Führungskräfte politisch und wirtschaftlich, wissenschaftlich und technologisch als zweitwichtigster Partner nach den USA und darüber hinaus als einer der wichtigsten Partner in der kulturellen und zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit“, in: Gesicherte Existenz Israels - Teil der deutschen Staatsräson – Essay, 4. April 2005, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 15/2005, http://www.bpb.de/apuz/29118/gesicherte-existenz-israels-teil-der-deutschen-staatsraesonessay ?p=all (zuletzt abgerufen am 13. April 2016). 14 Auswärtiges Amt (Anm. 6). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 9 2016 bekräftigte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Unterstützung für eine Zweistaatenlösung und kritisierte dabei auch die israelische Siedlungspolitik.15 Ein Nebenaspekt der deutschen Israelpolitik ist, dass die Bevölkerung in Deutschland sie anders wahrnimmt, als sie ist: Umfragen zufolge hält der Großteil der Deutschen sie für einseitig proisraelisch . Eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger wünscht sich, dass Deutschland Palästina als Staat möglichst umgehend anerkennt und seine so von ihnen empfundene „Bevorzugung“ Israels aufgibt.16 Israelis wiederum haben von Deutschland ein überwiegend neutrales bis positives Bild. Deutschland wird dabei von einer Mehrheit der Israelis als Fürsprecher innerhalb der EU wahrgenommen.17 2.4. Verhältnis zu Saudi-Arabien als Beispiel deutscher „Arabienpolitik“18 Das Verhältnis der Bundesrepublik zum Königreich Saudi-Arabien kann exemplarisch für die Beziehungen zu vielen weiteren arabischen Staaten dienen. Diese spielen, verglichen mit dem Verhältnis zu Israel und der Türkei, für Deutschland eher eine Nebenrolle. Obwohl sich das politische und gesellschaftliche System Saudi-Arabiens, einer Monarchie, in der der Wahhabismus herrscht, diametral von den europäischen Werten unterscheidet, war die Bundesrepublik stets um gute, insbesondere wirtschaftliche, Beziehungen zum ölreichen Saudi- Arabien bemüht. Die herrschende Dynastie, das Haus al-Saud, wird dabei in erster Linie als Stabilitätsanker wahrgenommen und vor allem als verlässlicher Partner des Westens, was lange Zeit durchaus auch zutraf. Das Königshaus hat – zum Teil bei großem innenpolitischem Risiko – stets eine prowestliche Außenpolitik gemacht. Es wurde und wird daher trotz der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen im Lande selbst von westlichen Staaten unterstützt. Ähnliche Wahrnehmungen gab es in der Außenpolitik Deutschlands (und zahlreicher anderer Staaten) bis zum Arabischen Frühling im Jahre 2011 auch von zahlreichen anderen arabischen Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas, z.B. von Ägypten, den anderen Golfmonarchien, Tunesien oder Algerien. Das oberste Prinzip der Beziehungen zu diesen Staaten war (bzw.: ist) Pragmatismus; die Beziehungen sind primär wirtschaftlicher und weniger politischer Natur. 15 Zeit Online am 19. April 2016, Merkel verurteilt Israels Siedlungspolitik, http://www.zeit.de/politik/2016- 04/nahostkonflikt-israel-angela-merkel-palaestina-politik (zuletzt abgerufen am 19. April 2016). 16 Bertelsmann-Stiftung, Deutschland und Israel heute - Verbindende Vergangenheit, trennende Gegenwart?, S. 32 ff., https://www.bertelsmann stiftung .de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/Studie_LW_Deutschland_und_Israel_heute_201 5.pdf (zuletzt abgerufen am 19. April 2016). 17 Bertelsmann-Stiftung, S.34 ff. 18 Sofern nicht anders vermerkt, stammen alle Informationen dieses Abschnittes aus: Guido Steinberg, Saudi- Arabien als Partner deutscher Politik, 5. November 2014, Aus Politik und Zeitgeschichte 46/2014, http://www.bpb.de/apuz/194442/saudi-arabien-als-partner-deutscher-politik?p=all (zuletzt abgerufen am 15. April 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 10 Erst seit dem Erstarken des islamistischen Terrorismus und der Destabilisierung des Nahen Ostens nach der amerikanischen Invasion des Irak rücken die arabischen Golfstaaten und Saudi-Arabien auch als mögliche (sicherheits-) politische Partner in den Fokus. Seither hat sich insbesondere die sicherheitspolitische Zusammenarbeit deutlich intensiviert, und es gibt immer wieder Rüstungsgeschäfte mit Saudi-Arabien, die von der deutschen Öffentlichkeit und der gegenwärtigen Opposition aber mehrheitlich abgelehnt werden.19 Die Sicherheitspartnerschaft mit Saudi-Arabien ist dabei ambivalent, weil das Land zwar einerseits großen Einfluss in der Region ausüben kann und ein Gegengewicht zum Iran bildet, aber auch immer wieder als (finanzieller und ideologischer) Förderer20 des islamistischen Terrors kritisiert wird. Ein interessanter Nebenaspekt der jüngsten Entwicklungen in der Region ist die Konvergenz saudischer und israelischer Interessen angesichts des Aufstiegs des Iran. Hiervon könnte auch die Nahostpolitik westlicher Staaten, die sich um eine Annäherung zum Iran bemühen (also auch der Bunderepublik), beeinflusst werden. Die saudische Intervention im Jemen, bei der Saudi- Arabien inoffiziell eng mit Israel kooperiert, hat die Bundesregierung als legitim bezeichnet. Hier (wie auch in der Frage deutsch-saudischer Rüstungsgeschäfte) ist die Opposition anderer Ansicht als die Bundesregierung.21 Allerdings üben auch Vertreter der Großen Koalition öffentlich Kritik am saudischen Vorgehen gegen die schiitischen Huthi und weisen Saudi-Arabien eine Teilschuld am Entstehen des Konfliktes zu.22 2.5. Verhältnis zum Iran23 Die bilateralen Beziehungen von Iran und Deutschland waren traditionell (seit dem 19. Jahrhundert ) gut, haben sich aber nach der Islamischen Revolution 1979 und dann noch einmal ab 2003 infolge des iranischen Nuklearprogramms deutlich abgekühlt und waren teils heftigen Spannungen ausgesetzt. An den Verhandlungen um das Ende des iranischen Atomprogrammes war 19 Spiegel Online am 3. Januar 2016, Reaktion auf Massenhinrichtungen: Opposition fordert Ende der deutschen Waffenlieferungen an Saudis, http://www.spiegel.de/politik/ausland/opposition-fordert-ruestungsexport-stoppan -saudi-arabien-a-1070282.html (zuletzt abgerufen am 21. April 2016). 20 Dabei wird zumeist der Vorwurf erhoben, Saudi-Arabiens Regierung lasse saudische Förderer und Unterstützer etwa des sogenannten „Islamischen Staates“ gewähren, solange diese nicht in Saudi-Arabien selbst die islamistische Opposition zum Haus al-Saud stärkten. Zudem fördert Saudi-Arabien aber auch ganz offiziell in vielen Ländern der Welt den Bau von Moscheen und die Weiterverbreitung des Wahhabismus. 21 Bettina Marx, Does Germany have a Middle East Policy?, DW am 11. April 2014, http://www.dw.com/en/doesgermany -have-a-new-middle-east-policy/a-18375040 (zuletzt abgerufen am 18. April 2016). 22 Namentlich Rolf Mützenich, MdB, bis 2015 außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Siehe Bettina Marx (Anm. 21). 23 Sofern nicht anders vermerkt: Auswärtiges Amt, Iran: Beziehungen zu Deutschland, 2016, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Iran/Bilateral_node.html (zuletzt abgerufen am 15. April 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 11 Deutschland intensiv beteiligt. Vor allem die wirtschaftlichen Beziehungen sind aktuell von Interesse : nach Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen den Iran gibt es viele Anzeichen, dass sich die früher ausgezeichneten Handelsbeziehungen zwischen den beiden Staaten wieder intensivieren werden und Deutschland zum größten europäischen Handelspartner des Iran werden wird.24 Auch der kulturelle Austausch zwischen dem Iran und Deutschland ist lebhaft.25 Dennoch übt die Bundesregierung im Einklang mit anderen westlichen Staaten Kritik an der schlechten Menschenrechtslage im Iran.26 Am 12. Dezember 2005 hatte z.B. der Bundestag einstimmig in einer Resolution das Existenzrecht Israels bekräftigt und dabei ausdrücklich Äußerungen des damaligen iranischen Präsidenten Ahmadinedschad verurteilt.27 Zu der heftigen Kritik der israelischen Regierung an dem „Atomdeal“ von 2014 äußerte sich die Bundesregierung jedoch offiziell nicht. 2.6. Verhältnis zu Syrien und Position zum Syrienkrieg28 Die diplomatischen Beziehungen zwischen Syrien und der Bundesrepublik Deutschland waren durch Hochs und Tiefs geprägt. In Folge der Anerkennung Israels waren sie von 1965 bis 1974 unterbrochen. Seither hatten sie sich ähnlich entwickelt wie die zu anderen arabischen Staaten: im Vordergrund standen wirtschaftliche Beziehungen. Im Jahre 2002 wurde Syrien Partnerland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Mit der vorsichtigen Annäherung Syriens an die USA im Jahre 2009 (die amerikanisch-syrischen Beziehungen waren wegen der Allianz Syriens mit dem Iran sowie der Rolle Syriens im Nahostkonflikt und im Libanon jahrelang schwer belastet ), vertiefte sich auch das Verhältnis zu anderen westlichen Staaten. Deutschland hatte seine Beziehungen zu Syrien allerdings schon ab Ende der 1970er Jahre deutlich verbessern können: 1979 wurde das Goethe-Institut in Damaskus (eröffnet 1955) wieder eröffnet, 1980 wurde der langjährige wissenschaftliche Austausch insbesondere auf dem Gebiet der Archäologie wieder 24 Tobias Kaiser, Deutschland hat im Iran einen entscheidenden Vorteil, Die Welt am 19. Juli 2015, http://www.welt.de/wirtschaft/article144196129/Deutschland-hat-im-Iran-einen-entscheidenden-Vorteil.html (zuletzt abgerufen am 15. April 2016). 25 Auswärtiges Amt, Iran: Kultur- und Bildungspolitik, 2016, http://www.auswaertigesamt .de/sid_E0F70B4132C9E72DF899DB70B699CFE2/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Iran/Kultur- UndBildungspolitik_node.html (zuletzt abgerufen am 21. April 2016). 26 Auswärtiges Amt, Iran: Innenpolitik, 2016, http://www.auswaertigesamt .de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Iran/Innenpolitik_node.html (zuletzt abgerufen am 15. April 2016) sowie Auswärtiges Amt, Iran: Kultur- und Bildungspolitik, 2016, http://www.auswaertigesamt .de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Iran/Kultur-UndBildungspolitik_node.html (zuletzt abgerufen am 15. April 2016). 27 BT.-Drs. Nr. 16/197 28 Sofern nicht anders vermerkt, entstammen die Informationen dieses Absatzes aus: Auswärtiges Amt, Syrien – Beziehungen zu Deutschland, 2016, http://www.auswaertigesamt .de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Syrien/Bilateral_node.html (zuletzt abgerufen am 19. April 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 12 aufgenommen. In den beiden Jahrzehnten zwischen Wiedervereinigung und Ausbruch des Krieges pflegten beide Staaten ein konfliktfreies Verhältnis, das sich ab etwa 2005 deutlich intensivierte . Mit dem Ausbruch des Syrienkrieges im Jahre 2011 verschlechterten sich die Beziehungen zwischen der syrischen Regierung unter Bashar al-Assad und Deutschland drastisch. Die deutsche Bundesregierung verurteilte die syrische Regierung für ihre Angriffe auf die Demonstranten. Die Bundesregierung unter Angela Merkel strebte seit Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien eine diplomatische Lösung an. Ab September 2014 gehörte sie der US-geführten Koalition aus 10 Nationen (den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Dänemark, Türkei, Polen, Kanada und Australien) an. Im Rahmen dieser Koalition unterstützte Deutschland die kurdischen Peschmerga im Nordirak mit Waffen.29 Im November 2015 umfasste die Koalition 64 Staaten und verfolgte eine umfassende Strategie mit den Handlungslinien „Militär“, „Unterbrechung der Finanzströme“, „Unterbrechung des Zulaufs von ausländischen Kämpfern“, „Kommunikationsstrategie“ und „Stabilisierung“.30 Die Bundesregierung war in allen fünf Bereichen eingebunden, einschließlich der Arbeitsgruppe „Militär“ und hatte, zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, den Vorsitz der zivilen Arbeitsgruppe „Stabilisierung“ inne, deren Ziel die Stabilisierung der von der Terrororganisation befreiten Gebiete in Syrien und Irak war.31 Bis Ende September 2015 lehnte die Bundesregierung ein eigenes militärisches Engagement jedoch stets ab.32 Nach den Terroranschlägen am 13. November 2015 in Paris, die dem IS zugerechnet werden, begann Frankreich seine Luftschläge auf Stellungen des „Islamischen Staates“ in dem Bürgerkriegsland zu intensivieren, warb für eine internationale Koalition gegen die Organisation und bat die EU-Mitgliedstaaten offiziell um Beistand nach Artikel 42. Absatz 7 des EU–Vertrages von Lissabon. Die Bundesregierung kündigte daraufhin Anfang Dezember 2015 an, sich mit einem Bundeswehreinsatz am Kampf gegen den „Islamischen Staat“ zu beteiligen.33 29 Christian Dewitz, Parlament erlaubt Einsatz der Bundeswehr gegen den IS, Bundeswehr-Journal am 6. Dezember 2015, http://www.bundeswehr-journal.de/2015/parlament-erlaubt-einsatz-der-bundeswehr-gegen-den-is/ (zuletzt abgerufen am 18. April 2016). 30 Christian Dewitz (Anm. 29). 31 Christian Dewitz (Anm. 29). 32 DW am 5. September 2014, Kerry will Kernkoalition gegen IS-Miliz bilden, http://www.dw.com/de/kerry-willkernkoalition -gegen-is-miliz-bilden/a-17903904 (zuletzt abgerufen am 18. April 2016). 33 Christian Dewitz (Anm. 29). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 13 Am 4. Dezember 2015 beschloss der Deutsche Bundestag die Beteiligung Deutschlands am Kampf gegen den „Islamischen Staat“. Es ist zunächst vorgesehen, die Bundeswehr mit bis zu 1.200 Soldaten außerhalb Syriens zur Unterstützung einzusetzen.34 Der Krieg in Syrien ist derzeit der Kristallisationspunkt verschiedenster Interessen im Nahen Osten. Hier kollidieren die Interessen der westlichen Staaten mit denen Russlands, des Irans und Saudi-Arabiens. Eine besonders herausgehobene und von widerstreitenden internationalen Verpflichtungen und Interessen geprägte Rolle hat überdies die Türkei inne. Sowohl die direkten Nachbarn Syriens – die Türkei, Jordanien und der Libanon – als auch die Staaten der EU sind von der durch den Krieg ausgelösten Flüchtlingswelle betroffen. Durch das grenzüberschreitende Territorium des „Islamischen Staates“ ist außerdem der Irak direkt betroffen. Zusätzliche Komplexität gewinnt der Konflikt durch die verschiedenen kurdischen Akteure in Syrien selbst, im Irak und in der Türkei. Dazu kommen die verschiedenen Bürgerkriegsparteien: die Truppen der Regierung Assad, die Freie Syrische Armee, verschiedene islamistische Gruppierungen (z.B. Al Nusra, syrischer Arm der Al Kaida), die syrischen Kurden und die Kämpfer des „Islamischen Staates“ ringen um die Vorherrschaft im Land. Unterstützt wird die Assad-Regierung insbesondere durch Russland sowie ihrem ältesten und engsten Verbündeten, dem Iran. Die westlichen Staaten, also auch die Bundesrepublik, erkennen die Legitimation der Regierung Assad nicht mehr an, aber ihr Hauptinteresse in Syrien ist die Bekämpfung des „Islamischen Staates“, nicht der Sturz der Regierung. Bundeskanzlerin Merkel schloss dementsprechend Friedensgespräche unter Beteiligung Präsident Assads explizit nicht aus.35 3. Die Nahostpolitik Russlands Russlands aktuelle Nahostpolitik begann erst Anfang der 2000er Jahre, Gestalt anzunehmen. Mit dem Beginn seiner Entstehung als unabhängiger Staat in der heutigen Form im Jahre 1991, d.h. als Russische Föderation, hatte sich Russland, der Rechtsnachfolger der aufgelösten Sowjetunion , fast völlig aus dem Nahen Osten zurückgezogen und betrieb dort neben „gewöhnlichen“ diplomatischen Beziehungen keine erkennbar strukturierte Interessenspolitik oder gar Geopolitik .36 Allerdings war und ist Russland als Vetomacht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen stets an allen Entscheidungen dieses Gremiums beteiligt und verfügte so dennoch über ein gewisses Gewicht. Im Nahostkonflikt war Russland damals kein gewichtiger Akteur. Dies änderte sich, als es im Jahre 2002 zum Mitglied des Nahost-Quartetts wurde. Ungefähr seit diesem Jahr wurde die Nahostpolitik Russlands deutlicher erkennbar. 34 Christian Dewitz (Anm. 29). 35 Stefan Braun und Christian Wernicke, Merkel will Gespräche mit Assad, Süddeutsche Zeitung am 24. September 2015, http://www.sueddeutsche.de/politik/syrien-merkel-will-gespraeche-mit-assad-1.2662914 (zuletzt abgerufen am 18. April 2016). 36 Hannes Adomeit, Russische Nahostpolitik, Stiftung Wissenschaft und Politik, Februar 2008, http://www.swpberlin .org/fileadmin/contents/products/arbeitspapiere/adm_Russische_Nahostpolitik_ks.pdf (zuletzt abgerufen am 18. April 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 14 Zur Invasion des Irak durch die USA und ihre damaligen Verbündeten im Jahre 2003 äußerte Russland sich sehr kritisch und votierte im Sicherheitsrat wie Deutschland (damals nichtständiges Mitglied des VN-Sicherheitsrates) und Frankreich dagegen.37 Im Hinblick auf den Iran verfolgte Russland stets eine eigenständige Politik, die sich von der des Westens unterschied und auf Wirtschaftsbeziehungen mit dem Nachbarland abzielte. Letztlich hat aber erst der Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien Russland wieder zu einem unumgänglichen Akteur im Nahen Osten gemacht.38 Russlands Militärbasis in Syrien musste das politische Überleben Präsident Assads (oder wenigstens die Dauerhaftigkeit des syrischrussischen Bündnisses) zwangsläufig zum außenpolitischen Interesse Russlands machen. Folgerichtig musste Russland sich hier gegen den Westen, der frühzeitig auf Ablösung Assads gedrängt hatte, stellen, wobei es beim militärischen Vorgehen in Syrien durchaus auch Absprachen mit den USA gab. Dabei kam es zum abrupten Ende einer in den 20 Jahren davor immer besser werdenden Beziehung zur Türkei.39Aus russischer Sicht ist es jedoch vor allem begrüßenswert, dass Russland sich in Syrien wieder als Ordnungsmacht profilieren konnte, was im Einklang mit der von Putin seit geraumer Zeit verfolgten außen- und geopolitischen Strategie steht.40 Anders als die USA, die Israel unterstützen und sich auf Saudi-Arabien verlassen können, verfügt Russland über keinen festen Verbündeten in der Region (am ehesten ist dies noch Syrien), was aber derzeit auch in seinem Interesse liegt, weil es sich so mehr Optionen offenhalten kann.41 3.1. Prinzipielle Wirtschaftsinteressen Russlands in der Region42 Die MENA-Region ist für Russland auch wirtschaftlich sehr wichtig. Als einer der weltgrößten Rüstungsexporteure hat Russland großes Interesse an dieser Region, in die z.B. im Jahre 2015 über 36 Prozent der russischen Rüstungsexporte gingen. Seit Jahrzehnten sind Algerien, Ägypten, Iran, Irak und Syrien Hauptabnehmer von Waffen und anderen Rüstungsgütern, und diese Beziehungen haben auch den Untergang der UdSSR überdauert. Das russische Engagement im Syri- 37 Fydor Lukyanov, What Russia Learned From the Iraq War, Al-Monitor am 18. März 2013, http://www.almonitor .com/pulse/originals/2013/03/russia-iraq-10-year-anniversary-putin-bush-syria.html (zuletzt abgerufen am 18. April 2016). 38 Fydor Lukyanov, Russia's turnaround in the Middle East, Al-Monitor am 22. November 2013, http://www.almonitor .com/pulse/originals/2013/11/russia-syria-policy-real-interests.html# (zuletzt abgerufen am 18. April 2016). 39 Dmitri Trenin, Russia in the Middle East: Moscow’s Objectives, Priorities, and Policy Drivers, Carnegie Moscow Center, 5. April 2016, http://carnegie.ru/2016/04/05/russia-in-middle-east-moscow-s-objectives-priorities-andpolicy -drivers/iwni (zuletzt abgerufen am 18. April 2016). 40 Dmitri Trenin (Anm. 39). 41 Dmitri Trenin (Anm. 39). 42 Alle Informationen dieses Abschnittes: Dmitri Trenin (Anm. 39). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 15 enkrieg wird von russischen Rüstungsunternehmen dabei auch als – im wahrsten Sinne des Wortes – Werbefeldzug für russische Militärtechnik und russische Waffen betrachtet. Ein weiteres wirtschaftliches Interessensgebiet in der Region ist die Atomtechnik. Das russische Unternehmen Rosatom hat z.B. den Reaktor im iranischen Bushehr errichtet und arbeitet derzeit an Projekten in der Türkei und in Jordanien. Außerdem gehört Russland wie Katar und Iran zu den Hauptexporteuren von Erdgas und ist als Erdölexporteur auch an stabilen Beziehungen zu Saudi-Arabien und anderen nahöstlichen OPEC-Staaten interessiert. 3.2. Verhältnis zu Israel und Position zum Nahostkonflikt Erst im Jahre des Endes der UdSSR, 1991, nahmen Israel und die Sowjetunion wieder diplomatische Beziehungen auf. Sie waren wegen der sowjetischen Unterstützung von PLO, Hisbollah und Hamas sowie der Israel verfeindeten arabischen Staaten äußerst belastet gewesen. Die Auflösung der UdSSR führte zu einem massiven Anstieg der Einwanderung von Juden aus den ehemaligen Sowjetstaaten nach Israel. Zwischen 1989 und 2006 emigrierten 1,6 Millionen Menschen aus der Sowjetunion bzw. ihren Nachfolgestaaten nach Israel.43 Dies hatte einen profunden Einfluss auf die israelische Gesellschaft und somit auch die Beziehungen zwischen Israel und Russland.44 Kurzzeitig genossen beide Staaten ein ausgezeichnetes Verhältnis. So schloss z.B. im Jahre 1999 China ein Rüstungsgeschäft mit beiden Ländern ab; die Rüstungsgüter wurden gemeinsam von Russland und Israel produziert.45 Mehrfach bezog Russland israelische Rüstungsgüter, insbesondere Drohnen.46 Die Beziehungen verschlechterten sich 2006 kurzzeitig, als Israels Armee Beweise für russische Waffen im Besitz der Hisbollah fand.47 Auch damalige Waffenlieferungen Russlands an Syrien wurden von Israel kritisiert.48 43 Judy Maltz, One, two, three, four – we opened up the Iron Door, Haaretz 2014, http://www.haaretz.com/st/c/prod/eng/25yrs_russ_img/ (zuletzt abgerufen am 19. April 2016). 44 Judy Maltz (Anm. 43. 45 World Tribune am 21. Oktober 1999, China defense minister visits Israel, http://www.worldtribune.com/worldtribune/x238.html (zuletzt abgerufen am 19. April 2016). 46 Yael Fater, Israel Signs $400 Million Deal to Sell Spy Drones to Russia, Haaretz am 14. Oktober 2010, http://www.haaretz.com/print-edition/business/israel-signs-400-million-deal-to-sell-spy-drones-to-russia- 1.318972 (zuletzt abgerufen am 19. April 2016). 47 Ariel Cohen, Russia’s New Middle Eastern Policy: Back to Bismarck?, 20. März 2007, http://jcpa.org/article/russia%E2%80%99s-new-middle-eastern-policy-back-to-bismarck/ (zuletzt abgerufen am 19. April 2016). 48 Ariel Cohen (Anm. 47). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 16 Insgesamt haben beide Länder jedoch nicht zuletzt wegen der erwähnten starken persönlichen Verbindungen vieler Israelis nach Russland ein besonderes Verhältnis. Im Jahre 2011 sagte Wladimir Putin: "Tatsächlich ist Israel für uns ein besonderes Land. Es ist praktisch ein russischsprachiges Land. (…) Mehr als die Hälfte der Bevölkerung spricht russisch49 (…) Israel kann als Teil des russischen Kulturraumes betrachtet werden.“50 Er fügte hinzu, dass er russischsprachige Israelis als Landsmänner ansehe.51 Grundsätzlich haben beide Staaten ihre Außenpolitik sehr realpolitisch ausgerichtet. Beide Länder betrachten den islamistischen Terrorismus als große Bedrohung, haben die Umwälzungen des Arabischen Frühlings nicht unterstützt und wollen vor allem stabile Verhältnisse im Nahen Osten. Im Syrienkrieg koordinieren Israel und Russland ihre Militärtaktik.52 Wirtschaftlich sind die Beziehungen mittlerweile ebenfalls eng. Als Russland als Reaktion auf die westlichen Sanktionen wegen Annexion der Krim einen Importstopp von Lebensmitteln aus der EU, Kanada und Australien verhängte, intensivierte Israel seine Exporte nach Russland.53 Mit Blick auf den Nahostkonflikt unterstützt Russland als Teil des Nahostquartetts eine Zweistaatenlösung mittels friedlicher Verhandlungen. Es erkennt zwar Palästina nicht als Staat an, unterstützt jedoch die Regierung von Mahmoud Abbas und verurteilte zum Beispiel auch das israelische Vorgehen im Gazastreifen im Jahre 2008.54 49 Tatsächlich trifft dies nur auf etwa 20 Prozent der Israelis zu, vgl. Dmitri Trenin (Anm. 39). Viele „alteingesessene “ Israelis nehmen zudem die „russischen“ Israelis als Parallelgesellschaft wahr. Die Existenz zahlreicher russischsprachiger Zeitungen und Fernsehsender sowie von Lokalen mit Beschilderung in kyrillischer Schrift in Israel belegt, dass ein großer Teil der 1,6 Millionen „Russen“ beispielsweise primär Russisch anstatt Hebräisch spricht. Auch unter den jungen, in Israel geborenen „Russen“ ist der Stolz auf die russische Herkunft und den Gebrauch der russischen Sprache sehr ausgeprägt. Vgl. Philipp Reeves, On Multiple Fronts, Russian Jews Reshape Israel, NPR am 2. Januar 2013, http://www.npr.org/2013/01/02/168457444/on-multiple-fronts-russianjews -reshape-israel (zuletzt abgerufen am 22. April 2016). 50 Euro-Asian Jewish Congress am 20. Juli 2011, Russian Prime Minister Putin: Israel Is, in Fact, a Special State to Us, http://eajc.org/page84/news24995.html (zuletzt abgerufen am 19. April 2016). 51 Euro-Asian Jewish Congress (An. 50). 52 Dmitri Trenin (Anm. 39). 53 David Shamah, Sanctions propel Israel, Russia to expand agriculture ties, Times of Israel am 14. September 2014, http://www.timesofisrael.com/sanctions-propel-israel-russia-to-expand-agriculture-ties/ (zuletzt abgerufen am 19. April 2016). 54 Turkish Weekly am 28. Dezember 2008, Israel Kills at least 225 and wounded 700 People in Gaza, http://www.turkishweekly.net/2008/12/28/news/israel-kills-at-least-225-and-wounded-700-people-in-gaza/ (zuletzt abgerufen am 19. April 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 17 3.1. Verhältnis zu Saudi-Arabien55 Die UdSSR und Saudi-Arabien hatten keine diplomatischen Beziehungen. Saudi-Arabien war stets pro-westlich und während der sowjetischen Invasion Afghanistans einer der größten Spender an die Mujahidin. Nach dem Ende der UdSSR nahmen beide Staaten diplomatische Beziehungen auf. Seit etwa 15 Jahren betrachtet Russland mit Sorge, wie Saudi-Arabien in einigen ehemaligen Sowjetstaaten (und damit an seinen Grenzen) die Islamisierung fördert und hierbei insbesondere seine besonders extreme Staatsideologie, den Wahhabismus, verbreitet. Saudis und Russen sind zudem Konkurrenten auf dem Erdölmarkt. Bis heute hält sich unter einigen russischen Politikern und Akademikern die Vorstellung, Saudi-Arabien habe durch das Senken des Ölpreises in den 1980er Jahren die Auflösung der Sowjetunion56 beschleunigt. Derzeit ist der größte Streitpunkt zwischen den beiden Staaten der Syrienkrieg. Russlands militärisches Eingreifen bei gleichzeitigen Forderungen nach einem Waffenstillstand ist das Gegenteil des saudischen Verhaltens: eine Verstärkung des militärischen Engagements anzukündigen, ohne dies tatsächlich zu tun.57 Die de-facto-Allianz zwischen Russland und dem Iran im Syrienkrieg ist aus saudischer Sicht äußerst problematisch, stellt doch der Iran Saudi-Arabiens Erzfeind dar.58 Gleichzeitig will Russland seine Beziehungen zum Iran nicht gefährden und ist deswegen darauf bedacht, sich nicht zu sehr an Saudi-Arabien anzunähern.59 Dennoch bestehen mehr Kontakte als jemals zuvor. Im Hinblick auf die Unterstützung der ägyptischen Regierung unter al-Sisi und die angestrebte Stabilisierung des Ölpreises handeln beide Staaten pragmatisch. Für die Saudis sind die Verbindungen zu Russland Teil der Diversifizierung ihrer Außenpolitik, die sich von der früheren alleinigen Anlehnung an die USA wegbewegt. Trotzdem werden sich die Beziehungen zwischen Russland und Saudi-Arabien aufgrund des jahrzehntelangen Misstrauens in naher Zukunft wohl nicht besonders eng gestalten. Das Verhältnis Moskaus zu Teheran ist hier ebenso ein limitierender Faktor. Ebenso könnte die Annä- 55 Soweit nicht anders vermerkt, entstammen die Informationen dieses Abschnittes Dmitri Trenin (Anm. 39). 56 Ein Vorgang, der im heutigen Russland keineswegs positive Assoziationen weckt (vgl.: Putins Aussage, der Zusammenbruch der UdSSR sei „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ gewesen). 57 Jane Kinninmont, In dealing with Russia, Saudi is keeping its options open, Newsweek am 27. Februar 2016, http://europe.newsweek.com/saudi-and-russia-keeping-their-options-open-429921?rm=eu (zuletzt abgerufen am 19. August 2016). 58 Paul J. Saunders, What Russia's Syria shift means for Moscow-Riyadh ties, Al-Monitor am 18. März 2016, http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/russia-syria-military-withdrawal-ties-saudi-arabia.html# (zuletzt abgerufen am 19. April 2016). 59 Paul J. Saunders (Anm. 58). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 18 herung zwischen Saudi-Arabien und der Türkei sich für Russland als problematisch herausstellen .60 3.2. Verhältnis zum Iran61 Russlands Beziehungen zum Iran sind seit jeher vielschichtig. Schon das Zarenreich und Persien pflegten ein Verhältnis, das zwischen Konstruktivität und Feindschaft schwankte. Bis heute ist es vor allem der Iran, der Russland mit Misstrauen begegnet. Russland unterstützt das antagonistische Verhalten des Iran gegenüber den USA, hat aber bei der Frage des iranischen Atomprogramms denselben Standpunkt wie die westlichen Staaten vertreten, d.h., es bestand auf einer nachweislich friedlichen Nutzung der iranischen Atomtechnik und auf der Aufrechterhaltung der Sanktionen. Russland ist einer der größten Waffenlieferanten des Iran, hat aber mindestens einmal die Lieferung eines Luftabwehrsystems als Teil eines Deals mit den USA und mit Israel rückgängig gemacht, was in Teheran zu großer Verstimmung führte. Es gibt einige Gemeinsamkeiten: Russland betrachtet Hisbollah und Hamas nicht als Terrororganisationen , ist im Syrienkonflikt de facto Verbündeter des Iran und beide Staaten hatten stets ein konstruktives Verhältnis im Hinblick auf die Politik gegenüber den ehemaligen Sowjetstaaten in den Regionen Kaukasus und Zentralasien. Dennoch bleiben Irans Ideologie und seine regionale Agenda – insbesondere die Feindschaft zu Saudi-Arabien und das Anheizen sunnitisch-schiitischer Konflikte – Russland fremd. Umgekehrt teilt die aktuelle Regierung des Iran unter Präsident Ruhani, die sich um Entspannung im Verhältnis zum Westen bemüht, den konfrontativen Ansatz der russischen Außenpolitik nicht vollständig . 3.3. Verhältnis zu Syrien und Position zum Syrienkrieg62 Seit 1970, dem Jahr, in dem sich Hafez al-Assad, Vater des jetzigen syrischen Präsidenten, an die Macht putschte, unterhielt Syrien gute Beziehungen zur UdSSR, die auch deren Ende überdauerten und sich auf Russland übertrugen. Im Jahre 1971 gestattete Syrien der UdSSR den Bau eines Marinestützpunktes in Tartus, der heute im Besitz Russlands und für seinen Zugang zum Mittelmeer von entscheidender Bedeutung ist. Syrien unter der Familie Assad kann am ehesten als konstanter Verbündeter Russlands im Nahen Osten betrachtet werden. Der Syrienkrieg betrifft somit vitale Interessen Russlands. Er hat über die Region bzw. über die rein strategische Bedeutung hinaus für Russland politisches Gewicht. Er bietet Russland sowohl nach innen als auch nach außen die Gelegenheit, sich als resoluter Gegner des islamistischen 60 Paul J. Saunders (Anm. 58). 61 Alle Informationen des Absatzes: Dmitri Trenin (Anm. 39). 62 Soweit nicht anders vermerkt, entstammen die Informationen dieses Absatzes Dmitri Trenin (Anm. 39). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 055/16 Seite 19 Terrorismus zu inszenieren63 und dabei seinen Anspruch, wieder Ordnungsmacht von geopolitischem Rang zu sein, zu demonstrieren. Zudem zwingt Russlands Agieren andere Staaten, namentlich die USA, dazu, sich direkt mit ihm in Verbindung zu setzen und abzusprechen. Dies bedeutet für Putins Regierung einen Imagegewinn nach innen und verstärkt nach außen den angestrebten Eindruck, Russland agiere auf Augenhöhe mit der Weltmacht USA. Außerdem verbessert Russlands Eingreifen das Verhältnis zum Iran, der ebenfalls für den Machterhalt Präsident Assads kämpft. Der Preis dafür ist allerdings eine drastische Verschlechterung des Verhältnisses zur Türkei und eine Belastung der Beziehungen zu Saudi-Arabien (die aber, siehe Abschnitt 3.1, ohnehin für Moskau von eher nachrangiger Bedeutung sind). - Ende der Bearbeitung - 63 Internationale Beobachter sind sich darüber einig, dass Russland, entgegen der Propaganda in den russischen Medien, die das Militärengagement in Syrien fast durchweg als erfolgreichen Feldzug gegen den „Islamischen Staat“ präsentieren, primär für Assad kämpft als gegen den „IS“ und dabei keinen Unterschied zwischen dessen Gegnern macht.