Deutscher Bundestag NATO und Energiesicherheit Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2010 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 055/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 055/12 Seite 2 NATO und Energiesicherheit Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 – 3000 – 055/12 Abschluss der Arbeit: 18. April 2012 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 055/12 Seite 3 Seite Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung 4 1. Strategisches Konzept der NATO 5 2. Rollenverständnis der NATO 6 3. Presse zur Rolle der NATO 7 4. Deutsche Position zur Energiesicherheit 9 Literaturhinweise 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 055/12 Seite 4 Zusammenfassung Die Staats- und Regierungschefs der NATO haben dem Thema Energiesicherheit in den vergangenen 12 Jahren zunehmend Bedeutung beigemessen und sehen dieses, ebenso wie die Fachpresse, auf der Ebene von Artikel 4 des Nordatlantikvertrages. Dieser besagt, dass die „Staaten in Beratungen miteinander eintreten (werden), wenn nach der Meinung eines von ihnen die Unversehrtheit des Gebietes, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit irgendeines der (Mitglieds-) Staaten bedroht ist.“1 Die Bundesregierung hat das Thema Energiesicherheit konkret 2006 in ihrem Weissbuch aufgegriffen. Ausformuliert wurde es 2011 in den Verteidigungspolitischen Richtlinien, und damit ein Jahr nach dem aktuellen Strategischen Konzept der NATO. Die Mitgliedstaaten der NATO beabsichtigen, am 20./21. Mai 2012 in Chicago zu ihrem 25. Gipfel zusammenkommen, um dort „die nächste Phase der Entwicklung der Allianz (zu beschließen), damit sie in einer sich wandelnden Welt gegen neue Bedrohungen, mit neuen Fähigkeiten und mit neuen Partnern weiterhin leistungsfähig ist.“2 Wesentliche Grundlage für die Tagesordnung ist das im November 2010 angenommene Strategische Konzept „Aktives Engagement, moderne Verteidigung“. Hierin haben die Staats- und Regierungschefs vorgegeben, dass die Allianz die Fähigkeit entwickelt, „zur Energiesicherheit beizutragen, auch durch den Schutz kritischer Energieinfrastruktur und von Transitgebieten und –routen,“ und dies auch „durch die Zusammenarbeit mit Partnern und durch Konsultationen unter den Bündnispartnern auf der Grundlage strategischer Einschätzungen und Notfallpläne.“3 Bedeutsam ist mit Blick auf die künftige Handhabung des Themas der Energiesicherheit, ob die NATO „durch eine fortschreitende Intensivierung der Kooperation (im Bereich) Energiesicherheit unter Umständen auch die bisher traditionellen Arbeitsabläufe auf Verteidigungsminister - und Außenministerebene um die Teilhabe von anderen Ministerien (erweitert), wie etwa dem Innen- und Wirtschaftsressort.“ Die künftige Bedeutung der NATO im Bereich der neuen Sicherheitsrisiken könnte davon abhängen, „wie überzeugt und ambitioniert sich ihre Mitgliedsstaaten dafür einsetzen, die NATO als Koordinator aufzubauen“ und wie „die Bereitschaft (ist), in diesem Kontext Informationen – besonders auch vertrauliche – auszutauschen.“4 1 „Der Nordatlantikvertrag“, Washington D.C., 4. April 1949, URL: http://www.nato.diplo.de/Vertretung/nato/de/04/Rechtliche__Grundlagen/Nordatlantikvertrag.html [17.04.2012]. 2 Strategisches Konzept der NATO „Aktives Engagement, moderne Verteidigung“, 30. November 2010, Vorwort, Internetportal der deutschen Vertretung in der NATO, URL: http://www.nato.diplo.de/contentblob/2970688/Daten/971427/strat_Konzept_Lisboa_DLD.pdf [26.03.2012]. 3 Strategisches Konzept der NATO, ebenda, Ziffer 19. 4 „Das neue Strategische Konzept der NATO, die NATO und das Thema Energiesicherheit“, 23. Februar 2012, Professor Dr. Johannes Varwick und Martin Schmid in: Reader Sicherheitspolitik, März 2012, Bun- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 055/12 Seite 5 1. Strategisches Konzept der NATO Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten haben 19915 als auch 19996 jeweils ein neues „Strategisches Konzept des Bündnisses“ beschlossen. Beide Konzepte stellen im Kapitel „Sicherheitspolitische Herausforderungen und Risiken“ wortgleich fest, dass „die Sicherheit des Bündnisses auch den globalen Kontext berücksichtigen (muss)“, und dass Sicherheitsinteressen des Bündnisses von „der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen“ berührt werden könnten. Weiter heißt es, dass es im Bündnis für „Reaktionen auf derartige Risiken […] Mechanismen für Konsultationen nach Artikel 4 des Vertrags von Washington sowie gegebenenfalls zur Koordinierung der Maßnahmen der Bündnispartner (gibt).“7 Das von den Staats- und Regierungschefs 2010 beschlossene aktuelle „Strategische Konzept “8 widmet sich der Thematik Energiesicherheit umfassender als die beiden Vorgänger . Im Kapitel „Das Sicherheitsumfeld“ wird erläutert, dass „alle Länder zunehmend auf desministerium der Verteidigung, URL: http://www.readersipo.de/portal/a/sipo/!ut/p/c4/JY1BD4IwDIV_0TYWPBBvEi7qSS6KFzOgQLOxka7IxR_ v0Lb5kpfXvKeeKq03bxwNY_DGqYdqOjy2m2y3Hl4RlyCZjI9DoPn3I7UYjOVA4AXQBshA6UTEbgKakpaE EW2ybfCDQ8sgPKwgLCGMsUXXA6n73tyD7IIH3sngGRNHMilcLoHY7c5KqYkl9qrJdFXqXOfZf_SnqG- Xa6WLQ3Uua7XM8-kLGyXNRQ!!/ [16.04.2012]. 5 „Das Neue Strategische Konzept des Bündnisses“, 8. November 1991, Internetportal der NATO, URL: http://www.nato.int/cps/en/natolive/official_texts_23847.htm . In deutscher Sprache, URL: http://www.agfriedensforschung .de/themen/NATO/1991-strategie.html [16.04.2012]. 6 „Das Strategische Konzept des Bündnisses“, 24. April 1999, Internetportal der NATO, URL: http://www.nato.int/cps/en/natolive/official_texts_27433.htm. In deutscher Fassung URL: http://www.nato.int/docu/pr/1999/p99-065d.htm. [16.03.2012]. 7 Ebenda, Ziffer 13 aus 1991 im vollständigen Wortlaut: „Im Fall eines bewaffneten Angriffs auf das Gebiet der Bündnispartner, aus welcher Richtung auch immer, finden Artikel 5 und 6 des Vertrags von Washington Anwendung. Die Sicherheit des Bündnisses muss jedoch auch den globalen Kontext berücksichtigen. Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken berührt werden, einschließlich der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen sowie von Terror- und Sabotageakten. Im Bündnis gibt es Mechanismen für Konsultationen nach Artikel 4 des Vertrags von Washington sowie gegebenenfalls zur Koordinierung der Maßnahmen der Bündnispartner einschließlich ihrer Reaktionen auf derartige Risiken.“ Ebenda, Ziffer 24 aus 1999 im vollständigen Wortlaut: „Im Fall eines bewaffneten Angriffs auf das Gebiet der Bündnispartner, aus welcher Richtung auch immer, finden Artikel 5 und 6 des Vertrags von Washington Anwendung. Die Sicherheit des Bündnisses muss jedoch auch den globalen Kontext berücksichtigen. Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken umfassenderer Natur berührt werden, einschließlich Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens sowie der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen. Die unkontrollierte Bewegung einer großen Zahl von Menschen, insbesondere als Folge bewaffneter Konflikte, kann ebenfalls Probleme für die Sicherheit und Stabilität des Bündnisses aufwerfen. Im Bündnis gibt es Mechanismen für Konsultationen nach Artikel 4 des Washingtoner Vertrags sowie gegebenenfalls zur Koordinierung der Maßnahmen der Bündnispartner einschließlich ihrer Reaktionen auf derartige Risiken.“ 8 Strategisches Konzept der NATO „Aktives Engagement, moderne Verteidigung“, ebenda. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 055/12 Seite 6 die lebenswichtigen Kommunikations-, Transport- und Transitwege angewiesen (sind), auf die sich der Welthandel, die Energiesicherheit und der Wohlstand stützen. […] Verstärkte internationale Anstrengungen (sind erforderlich), um sie gegen einen Anschlag oder eine Störung zu wappnen.“9 Weiter heißt es, dass „einige NATO-Staaten […] immer stärker von ausländischen Energieversorgern und in einigen Fällen von ausländischen Energieversorgungs- und Verteilernetzen abhängig (werden).“ Geschlussfolgert wird, dass „die Energieversorgung immer störungsanfälliger ist […], da ein immer größerer Teil des weltweiten Verbrauchs rund um den Globus transportiert wird.“10 2. Rollenverständnis der NATO Die Allianz stellt auf ihrem Internetportal mit Stand November 2011 fest, dass „die Sicherheitsinteressen durch eine Unterbrechung des Flusses von vitalen Ressourcen beeinträchtigt werden könnte.“11 Beim Gipfel 2008 sei ein Bericht „NATO´s Rolle im Bereich der Energiesicherheit“ zur Kenntnis genommen worden, der Leitprinzipien sowie Optionen und Empfehlungen für weitere Aktivitäten aufzeigen soll. In den folgenden fünf Bereichen sehe die NATO ihren Beitrag zur Sicherheit: 1. „Austausch und Zusammenführung von Informationen und Erkenntnissen“, 2. „Erhalt der Stabilität“, 3. „Förderung der internationalen und der regionalen Zusammenarbeit“, 4. „Unterstützung der Folgebewältigung und 5. Unterstützung beim Schutz kritischer Infrastrukturen.“12 Dieses Rollenverständnis werde nach Angaben der NATO bereits durch die „Operation Active Endeavour” seit Oktober 2001 im Mittelmeer umgesetzt. Maritime Streitkräfte würden die Sicherheit für Schlüsselrouten der Energie erhalten. Rund 65 % des in West Europa verbrauchten Öls und Gases würde jährlich durch das Mittelmeer transportiert, wobei wichtige Rohrleitungen Libyen mit Italien und Marokko mit Spanien verbinden. Ergänzend heißt es, dass die Allianz hierbei unter anderem kooperiere mit Partnerländern des „Euro-Atlantic Partnership Council” (EAPC), des „Mediterranean Dialogue” (MD), der „Istanbul Cooperation Initiative” (ICI) und des „NATO’s Science for Peace and Security Programme“.13 9 Strategisches Konzept der NATO „Aktives Engagement, moderne Verteidigung“, ebenda, Ziffer 13. 10 Strategisches Konzept der NATO „Aktives Engagement, moderne Verteidigung“, ebenda, Ziffer 13. 11 „NATO´s Rolle im Bereich der Energiesicherheit“, NATO Internetportal, 17. November 2011, URL: http://www.nato.int/cps/en/SID-D31B42F0-77245C82/natolive/topics_49208.htm?selectedLocale=en [19.04.2012]. Übersetzung erfolgte durch Verfasser. 12 „NATO´s Rolle im Bereich der Energiesicherheit“, ebenda. 13 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 055/12 Seite 7 3. Presse zur Rolle der NATO Johannes Varwick und Martin Schmid stellen mit Blick auf das Thema „die NATO und Energiesicherheit“ fest, dass „die Zeiten, in denen Rohstoffe wie Öl und Gas vorwiegend als wirtschaftliche Güter betrachtet wurden, vorbei (sind)“.14 Vielmehr werde „heute Energiepolitik als Teil der Außen- und Sicherheitspolitik verstanden und vermehrt unter einem strategischen Blickwinkel gesehen.“ Stichworte hierfür seien „politische Instabilität in zahlreichen Förderregionen fossiler Energieträger, Sicherheitsrisiken durch eine Verschiebung oder Verknappung der globalen Energieträgerströme aufgrund rasanter Nachfragesteigerungen unter anderem in China und Indien, gezielte Störung der Energieversorgung , Rohstoffe als strategische Waffen nichtdemokratischer Problemstaaten, antiwestliche Energieallianzen, Energieversorgung im Visier des internationalen Terrorismus (und) globale Umweltprobleme durch den Verbrauch fossiler Energieträger.“15 Bisher gäbe es keine NATO-Operation, die offiziell mit dem Thema Energiesicherheit begründet werde. Allerdings nenne die NATO selbst auf ihrer Internetseite die seit Oktober 2001 laufende Operation Active Endeavour in diesem Kontext. Auch die Anti-Piraten- Mission Operation „Ocean Shield“ ließe sich nach Auffassung der Autoren durchaus in diesem Kontext sehen. So habe etwa der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer, im November 2011 erklärt: „Der Kampf gegen die Piraterie am Horn von Afrika […] hat die Durchsetzung humanitärer Hilfe für die notleidende Bevölkerung in Somalia zur Hauptaufgabe. Beide Einsätze dienen aber gleichzeitig auch der Sicherung strategisch wichtiger und leicht zu gefährdender Handels- und Versorgungswege und damit der Energie- und Rohstoffsicherheit, da Piraten auch derartige Transporte angreifen .“16 Die NATO sei nach Auffassung von Varwick und Schmid „gefordert, Grundsätze im Umgang mit strategischen Fragen der Energiesicherheit zu entwickeln. Sie sollte sich dabei von dem Gedanken leiten lassen, dass sie die Arbeit anderer Organisationen nicht duplizieren , sondern vielmehr einen echten Mehrwert schaffen soll.“ Hierbei werden zwei Bereiche konkret angesprochen. So zum einen die „Sicherung der Seewege und der Pipelines “ und zum anderen eine stärkere Nutzung der Allianz „als politisches Gremium, in dem internationale Solidarität für den Fall einer Unterbrechung lebenswichtiger Energielieferungen organisiert wird.“17 14 „Das neue Strategische Konzept der NATO, die NATO und das Thema Energiesicherheit“, ebenda. 15 „Das neue Strategische Konzept der NATO, die NATO und das Thema Energiesicherheit“, ebenda. 16 „Das neue Strategische Konzept der NATO, die NATO und das Thema Energiesicherheit“, ebenda. 17 „Das neue Strategische Konzept der NATO, die NATO und das Thema Energiesicherheit“, ebenda. Die Argumentation der Autoren für die beiden Bereichen stellt sich wie folgt dar: Zu 1. „Zum Einen bestehe ein gewisser Bedarf für die NATO darin, dass bisher wenig in operativen Details über Schutz von Energieressourcen und ihren Transportwegen nachgedacht wird und jenseits von Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 055/12 Seite 8 Dass allerdings die NATO tatsächlich in absehbarer Zeit eine wichtige Rolle bei der Energiesicherheit einnehmen wird, ist nach Auffassung von Varwick und Schmid „alles in allem eher unwahrscheinlich“. Zum einen seien „zahlreiche Staaten der Auffassung, dass es ein falsches Signal aussenden würde, wenn sich ein Militärbündnis wie die NATO mit solchen Fragen beschäftigen würde. Denn damit könne der Eindruck entstehen , der ‚Westen‘ wolle sich Ressourcen militärisch sichern und anderen Akteuren angesichts einer absehbaren Verknappung lebenswichtiger Energieträger/Rohstoffe den Zugang zu diesen verweigern.“18 Insgesamt lassen sich nach Auffassung von Varwick und Schmid vor diesem Hintergrund drei Schlussfolgerungen ableiten: 1. Es „sollten unter der Beteiligung der NATO bzw. der NATO-Staaten politische Gremien geschaffen werden, in denen nicht exklusiv als westlicher Club über Fragen der Energiesicherheit beraten wird und bei denen nicht der Eindruck erweckt wird, der ‚Westen‘ wolle seine Rohstoffe und Energiezufuhr zunehmend militärisch sichern und sein nicht globalisierungstaugliches Wohlstands- und Energieverbrauchsmodell konfrontativ sichern .“19 einzelnen Staaten keine internationale Organisation oder institutionalisierte Kooperationsmechanismen für diese Fragen bereit stehen. Besondere Bedeutung beim Transport von Rohöl habe die Seewege. Etwa zwei Drittel des weltweiten Öltransports werden durch Tanker über See abgewickelt. Der Straße von Hormus (zwischen Oman und Iran) und der Straße von Malakka (zwischen Malaysia und Indonesien) kommt dabei neben dem Panama- und dem Suez-Kanal besondere Bedeutung zu. In allen genannten Fällen könnten terroristische Anschläge erhebliche Auswirkungen auf die Energieversorgung haben. Pipelines, über die fast 40 Prozent des Transportes laufen, seien nicht weniger anfällig. Operative Möglichkeiten für die Allianz bestünden auch in Fragen der Informationsgewinnung und Aufklärung. So wäre denkbar, dass die NATO nationale Aufklärungsergebnisse koordiniert und allen Mitgliedstaaten diese Informationen zugänglich macht. Für die USA sei es seit langen Jahren ein vitales Interesse, die Kontrolle über die Erdölressourcen, insbesondere im Persischen Golf, zu erhalten und dies mit allen erforderlichen Mitteln – einschließlich militärischer – zu gewährleisten. Die Kosten der militärischen Sicherung der Energieimporte betrage in den USA nach Expertenschätzungen seit etlichen Jahren mindestens ein Drittel der US-Militärausgaben. „Für die militärische Sicherung von Energie gibt es aus der jüngeren Geschichte bereits einige Präzedenzfälle. So haben sich einzelne NATO-Staaten – insbesondere Großbritannien, Frankreich und die Niederlande – während des Krieges zwischen Iran und Irak (1980-1988) im Rahmen der Operation Earnest Will (1987-1988) am Schutz des Tankerverkehrs im Persischen Golf beteiligt.“ Zu 2. „Chancen werden hinsichtlich der politischen Abstimmung im Rahmen des NATO-Programms Partnership for Peace (PfP) gesehen, dem zahlreiche wichtige energieproduzierende Staaten wie etwa Kasachstan und Turkmenistan angehören. Hier könnte zum Beispiel über Gemeinschaftsprojekte zum Bau von Pipelines unter NATO-Beteiligung nachgedacht werden. Hier wäre auch denkbar, Fragen der Energieinfrastruktursicherheit stärker bei den PfP-Ausbildungsprogrammen zu berücksichtigen.“ 18 „Das neue Strategische Konzept der NATO, die NATO und das Thema Energiesicherheit“, ebenda. 19 „Das neue Strategische Konzept der NATO, die NATO und das Thema Energiesicherheit“, ebenda. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 055/12 Seite 9 2. Es „kann auf dieser Basis über eine praktische Rolle der Allianz bei der Sicherung und Stabilisierung der Energielieferungen nachgedacht werden.“20 3. Es bleibe „allerdings notwendig, eine energiepolitische Revolution in Gang zu setzen, bei der Energiepolitik im Sinne eines erweiterten Sicherheitsbegriffes so umgesteuert wird, dass Investitionen in Energiespartechnologien und erneuerbare Energien sowie Diversifizierung der Energieträger als strategische Investitionen zur Vermeidung einer militärischen Konfliktformation betrachtet werden.“21 Michael Rühle als Chef der Abteilung für Energiesicherheit in der Allianz stellt fest, dass eine „stärkere, kohärentere Rolle der NATO für Energiesicherheit“ kein Selbstläufer sei. Vielmehr müsse sie Bestandteil eines breiteren Ansatzes sein, um „Konsultationsmechanismen jenseits von engen, traditionellen militärischen Operationen zu stärken“. Von daher müsse die NATO „eine Kultur der politischen Diskussion“ jenseits des militärischen als einen „umfassenden Sicherheitsansatz“ entwickeln.22 4. Deutsche Position zur Energiesicherheit Das Thema der Energiesicherheit wird für Deutschland in den aktuellen Verteidigungspolitischen Richtlinien „Nationale Interessen wahren – Internationale Verantwortung übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten“ vom 18. Mai 2011 angesprochen.23 Im Kapitel „Das strategische Sicherheitsumfeld“ heißt es, dass „Risiken und Bedrohungen heute vor allem … aus der Verknappung oder den Engpässen bei der Versorgung mit natürlichen Ressourcen und Rohstoffen (entstehen).“24 Im Kapitel „Werte, Ziele und Interessen “ heißt es weiter, dass sich „deutsche Sicherheitsinteressen aus […] der geographischen Lage in der Mitte Europas, den internationalen politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen des Landes und der Ressourcenabhängigkeit als Hochtechnologiestandort und rohstoffarme Exportnation (ergeben). […] Zu den deutschen Sicherheitsinteressen 20 „Das neue Strategische Konzept der NATO, die NATO und das Thema Energiesicherheit“, ebenda. 21 „Das neue Strategische Konzept der NATO, die NATO und das Thema Energiesicherheit“, ebenda. 22 „NATO and Energy security“, Michael Rühle, Internetportal der NATO, ohne Datum, URL: http://www.nato.int/docu/review/2011/Climate-Action/Energy_Security/EN/index.htm [19.03.2012]. Übersetzung erfolgte durch Th. Frisch. 23 Verteidigungspolitische Richtlinien „Nationale Interessen wahren – Internationale Verantwortung übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten“, 18. Mai 2011, Internetportal der deutschen Vertretung bei der NATO, URL: http://www.nato.diplo.de/contentblob/3149360/Daten/1316709/VM_deMaiziere_180511_DLD.pdf [16.04.2012]. 24 Ebenda, S. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 055/12 Seite 10 gehören, […] einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.“25 In den Verteidigungspolitischen Richtlinien 2003 finden sich keine vergleichbaren Feststellungen .26 Hingegen stellt die Bundesregierung im aktuellen Weissbuch 2006 unter dem Stichwort „Energiesicherheit“ fest, dass „die Sicherheit der Energieinfrastruktur gewährleistet werden (muss).“27 Mit Blick auf die laufende Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EUgeführten Operation ATALANTA28 erläuterte die Bundesregierung in der Antragsbegründung , dass „durch das Seegebiet vor Somalia und vor allem den Golf von Aden die wichtigste Handelsroute zwischen Europa, der arabischen Halbinsel und Asien (führt).“ Diese sicher und offen zu halten, sei „eine wichtige Aufgabe internationaler Sicherheitspolitik und liegt auch im unmittelbaren deutschen Interesse.“29 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 055/12 Seite 11 Literaturhinweise „Das neue Strategische Konzept der NATO, die NATO und das Thema Energiesicherheit “, 23. Februar 2012, Professor Dr. Johannes Varwick und Martin Schmid in: Reader Sicherheitspolitik, März 2012, Bundesministerium der Verteidigung, URL: http://www.readersipo.de/portal/a/sipo/!ut/p/c4/JY1BD4IwDIV_0TYWPBBvEi7qSS6KFz OgQLOxka 7IxR_v0Lb5kpfXvKeeKq03bxwNY_DGqYdqOjy2m2y3Hl4RlyCZjI9DoPn3I7UYjOVA4A XQBshA6UTEbgKakpaEEW2ybfCDQ8sgPKwgLCGMsUXXA6n73tyD7IIH3sngGRNHMilc LoHY7c5KqYkl9qrJdFXqXOfZf_SnqG-Xa6WLQ3Uua7XM8-kLGyXNRQ!!/ [16.04.2012]. Strategisches Konzept der NATO „Aktives Engagement, moderne Verteidigung“, 30. November 2010, Vorwort, Internetportal der deutschen Vertretung in der NATO, URL: http://www.nato.diplo.de/contentblob/2970688/Daten/971427/strat_Konzept_Lisboa_DLD.pdf [16.04.2012]. „Das Strategische Konzept des Bündnisses“, 24. April 1999, Internetportal der NATO, URL: http://www.nato.int/cps/en/natolive/official_texts_27433.htm. In deutscher Fassung URL: http://www.nato.int/docu/pr/1999/p99-065d.htm. [16.03.2012]. „Das Neue Strategische Konzept des Bündnisses“, 8. November 1991, Internetportal der NATO, URL: http://www.nato.int/cps/en/natolive/official_texts_23847.htm . In deutscher Sprache, URL: http://www.ag-friedensforschung.de/themen/NATO/1991-strategie.html [16.04.2012]. „NATO´s Rolle im Bereich der Energiesicherheit“, NATO Internetportal, 17. November 2011, URL: http://www.nato.int/cps/en/SID-D31B42F0- 77245C82/natolive/topics_49208.htm?selectedLocale=en [19.04.2012]. „NATO and Energy security“, Michael Rühle, Internetportal der NATO, ohne Datum, URL: http://www.nato.int/docu/review/2011/Climate- Action/Energy_Security/EN/index.htm [19.03.2012]. Verteidigungspolitische Richtlinien „Nationale Interessen wahren – Internationale Verantwortung übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten“, 18. Mai 2011, Internetportal der deutschen Vertretung bei der NATO, URL: http://www.nato.diplo.de/contentblob/3149360/Daten/1316709/VM_deMaiziere_180511 _DLD.pdf [16.04.2012]. Verteidigungspolitische Richtlinien 2003, Herunterladbar auf: Internetportal Bundesministerium der Verteidigung, URL: http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/NYyxDoMwDET_yCYSrUS3Vl06sJSB0i2AFSxIHAVDl358w9A76Q33pM M35ga7s7PKEuyCL-wGvvQf6P3uYOVhojQR6xplYeUZbHDUixKMMmegh K2x8tIMEggPah55kyXrEqCKEmXw2wpZQM8YleY-60wxT_mey7bpnxW5lTXjwaj99cfzhxv5A!!/ [19.04.2012]. „Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“, Oktober 2006, S. 22, herunterladbar auf: Internetportal Bundesministerium der Verteidigung , URL: http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/Dca7DYAwDAXAWVgg7unYAuicYCVP- Qrnsz7omqObfoUnPHfUwolOuhx2u4zN0xuFC_IGQddWEzqi4eLF1i7mqXFkKf-WQNUOF6jFY_sAY_7e5g!!/ [19.04.2012].