© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 054/19 Die Traditionswürdigkeit von Rolf Johannesson für die Bundeswehr Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 054/19 Seite 2 Die Traditionswürdigkeit von Rolf Johannesson für die Bundeswehr Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 054/19 Abschluss der Arbeit: 17. Juni 2019 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 054/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Individuelle Traditionswürdigkeit im Sinne des „Traditionserlasses" 7 3. Lebenslauf Rolf Johannesson 8 4. Diskurs und Bewertung 10 5. Fazit 16 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 054/19 Seite 4 1. Einleitung Die Frage nach der Tradition der Bundeswehr ist so alt wie die Streitkräfte selbst. Sie ist eng verbunden mit der Diskussion um die Gültigkeit der Inneren Führung und die Entwicklung des politischen Gemeinwesens der Bundesrepublik insgesamt1. Ihr immanent sind die Bewertungen von historischen Persönlichkeiten hinsichtlich deren Traditionswürdigkeit für die Bundeswehr. Insbesondere an letzterem entzünden sich wiederholt Auseinandersetzungen vor allem dann, wenn es sich um vormalige Soldaten aus der Zeit des „Dritten Reiches“ handelt. Bezieht man dann in die Betrachtung mit ein, dass sie regelmäßig und mit den stets gleichen Argumenten polarisieren, wird zweierlei deutlich: Die Auseinandersetzung um das gültige Erbe des deutschen Soldaten ist in letzter Konsequenz nie etwas anderes gewesen als die Auseinandersetzung der bundesrepublikanischen Gesellschaft mit der nationalsozialistischen Vergangenheit.2 Gedanken um die Tradition der Bundeswehr machte man sich in der Vergangenheit innerhalb wie außerhalb der Streitkräfte immer nur dann, wenn allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen diese erforderten.3 In den vergangenen Jahren haben bekanntlich verschiedene Vorfälle zu einer grundsätzlichen Überarbeitung des Traditionserlasses der Bundeswehr geführt, in deren Gefolge in der breiten Öffentlichkeit wie innerhalb der Bundeswehr ein intensiver Diskurs entstand. Sein zwischenzeitlich formales Ende fand dieser Prozess am 28. März 2018, als die Bundesministerin der Verteidigung , Dr. Ursula von der Leyen, im Rahmen eines Festakts zur Umbenennung der Liegenschaft 1 Manfred Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Von der Gründung bis zur Gegenwart, München 1999; Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung 1945-1955. 5. Aufl., Bonn 1991, Christoph Kleßmann, Zwei Staaten, eine Nation. Deutsche Geschichte 1955-1970, Göttingen/Bonn 1988. 2 Ulrich de Maizière, Die Bundeswehr – Neuschöpfung oder Fortsetzung der Wehrmacht, in: Die Wehrmacht. Mythos und Realität. Im Auftrag des MGFA hrsg. von Rolf-Dieter Müller und Hans-Erich Volkmann, München 1999, S. 1171-1183, Hans-Adolf Jacobsen, Wehrmacht und Bundeswehr – Anmerkungen zu einem umstrittenen Thema soldatischer Traditionspflege, in: Die Wehrmacht, S. 1184-1191. 3 Zur Kritik am Traditionsverständnis der Bundeswehr siehe vor allem Jakob Knab, Falsche Glorie. Das Traditionsverständnis der Bundeswehr. Berlin 1995, Ralf Giordano, Die Traditionslüge. Vom Kriegerkult in der Bundeswehr . Köln 2000, Detlef Bald/Johannes Klotz/Wolfram Wette, Mythos Wehrmacht. Nachkriegsdebatten und Traditionspflege. Berlin 2001. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 054/19 Seite 5 der „Schule für Feldjäger und Stabsdienst der Bundeswehr“4 in Hannover den neuen Traditionserlass der Bundeswehr 5 in Kraft setzte. Er war ein wesentliches Ergebnis eines intensiven Denkprozesses innerhalb der Streitkräfteführung um die Wertebindung der Soldatinnen und Soldaten. In diesem Kontext wurden auch Kasernenbenennungen überprüft, insbesondere wenn Liegenschaften mit Bezug zu Wehrmachtsangehörigen benannt sind, inwieweit sie im Einklang mit dem Traditionsverständnis der Bundeswehr stehen. Ziel war und ist es, grundsätzlich zu prüfen, ob die Benennungen sinnstiftend im Sinne des Traditionsverständnisses der Bundeswehr sind.6 Auch die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages haben sich mit diesem Kontext wiederholt beschäftigt.7 Wird nach der Traditionswürdigkeit einzelner Personen gefragt, wie im vorliegenden Fall des ehemaligen Konteradmirals Rolf Johannesson (1900-1989), ist diese zuvorderst nach den geltenden „Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege“ zu bewerten. Die entsprechenden Passagen dieses Erlasses werden daher zunächst dargestellt, in einem zweiten Schritt erfolgt dann die Präsentation des Lebenslaufes von Johannesson sowie einer Bewertung in Abwägung mit den Bestimmungen des Traditionserlasses. Bei Johannesson handelt es sich heute ohne Frage um eine der zentralen Gestalten der Geschichte der Deutschen Marine. Er gilt heute als der entscheidende Gründervater der Marine der Bundeswehr; darauf wird später noch genauer eingegangen.8 Als sichtbares Beispiel dafür wird der Admiral-Johannesson-Preis an den oder die Jahrgangsbesten der Offizierlehrgänge an der Marineschule Mürwik verliehen. Der Preis selbst wird zwar von 4 Am 28. März 2018 wurde in Hannover die Liegenschaft der Schule für Feldjäger und Stabsdienst der Bundeswehr von Emmich-Cambrai-Kaserne in Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne umbenannt. Tobias Lagenstein ist ein im Jahr 2011 in Afghanistan gefallener Soldat der Bundeswehr; https://www.bmvg.de/de/aktuelles/ministerin -benennt-kaserne-in-hannover-um-23320 (letzter Zugriff: 15.6.2019). 5 Die Tradition der Bundeswehr – Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege. Traditionserlass der Bundesministerin der Verteidigung vom 28. März 2018; https://www.bmvg.de/resource /blob/23234/6a93123be919584d48e16c45a5d52c10/20180328-die-tradition-der-bundeswehr-data.pdf (letzter Zugriff: 15.6.2019). 6 BMVg, Überblick und Hintergrund: Kasernen mit neuem Namen; 16.5.2017; https://www.bundeswehr.de/portal /a/bwde/start/streitkraefte/grundlagen/geschichte/tradition/kasernennamen /!ut/p/z1/hU67DoIwFP0WB9beC4iiWx00IQwkmAhd- TIVaMIWSUsHPF8NkIvFs55kDDDJgLR9qyW2tW64mnrPN9RDG59jbeV6crE- Okp5BS9xi5iAiXfwE22bgAipCWAvJpY7u8EUAKDNiDD_xFOm2sEpbw4vMQ8oq3pRKJLugs- RMCk0rf5Om1vfiiBGXEXRhjyNJNcWdv1ewcdHMeRSK2lEqTQjYO_KpXuLWTfSeiab EQ_UENMV2_sSQ3e/dz/d5/L2dBISEvZ0FBIS9nQSEh/#Z7_B8LTL2922LP480AG8AA1FJ1005 [letzter Zugriff: 15.5.2019]. 7 Sachstand: Die Traditionswürdigkeit Erwin Rommels für die Bundeswehr; WD 2 - 3000 - 005/19, Sachstand: Synopse der Traditionserlasse der Bundeswehr vom 20. September 1982 und vom 28. März 2018; WD 2 - 3000 - 035/18, Sachstand: (Um)Benennung von Bundeswehr-Liegenschaften; WD 2 - 3000 - 169/18. 8 Siehe z.B. Rainer Blasius, Rolf Johannesson: Der Musteradmiral, in: FAZ, 22.8.2016; https://www.faz.net/aktuell /politik/politische-buecher/rolf-johannesson-der-musteradmiral-14389277.html [letzter Zugriff: 17.5.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 054/19 Seite 6 der Marineoffiziervereinigung e.V. verliehen, allerdings bislang in den Räumlichkeiten der Marineschule.9 Auch die Führung der Marineschule hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Darstellung der eigenen Geschichte und Tradition auseinandergesetzt. Im Ergebnis wurde ein neues Konzept erarbeitet und umgesetzt, innerhalb dessen drei Büsten vormaliger Marineoffiziere aufgestellt worden sind: Korvettenkapitän Alfred Kranzfelder, Admiral Dieter Wellershoff und eben Johannesson. Damit trägt die Marineschule der vielfach gebrochenen deutschen Geschichte Rechnung: Kranzfelder steht dabei für einen Marineoffizier im Widerstand gegen Hitler und das „Dritte Reich“, Johannesson für die eben auch kontaminierte Gründer- und Aufbaugeneration und Wellershoff für diejenigen, welche die Marine fest etablierten im Wertekonstrukt der Bundesrepublik sowie als Generalinspekteur der Deutschen Einheit.10 Gegen Johannesson regte sich in jüngerer Zeit erheblicher Widerstand. Dieser bezieht sich nicht alleine auf seine Dienstzeit in der Kriegsmarine des „Dritten Reiches“, sondern konkret auf ein dort von ihm als Gerichtsherr bestätigtes Todesurteil gegen drei Soldaten in der Endphase des Zweiten Weltkrieges 1945; auch dazu im Folgenden mehr.11 9 Jean-Philipp Baeck, Admiral Johannesson-Preis der Marine: Zweifelhafter Namensgeber, in: taz, 19.3.2019; http://www.taz.de/Admiral-Johannesson-Preis-der-Marine/!5578561/ [letzter Zugriff: 21.5.2019], Bei der Marineoffiziervereinigung (MOV) handelt es sich nach eigener Angabe um eine Werte- und Interessengemeinschaft aller Marineoffiziere und Personen, die den Zielen der MOV verbunden sind; https://deutschesmaritimes -institut.de/mov/ [letzter Zugriff: 21.5.2019]. Anna Rüb, Preisverleihung an der Marineschule Mürwik. Ist Admiral Rolf Johannesson traditionswürdig?, in: Flensburger Tageblatt, 22.3.2019; https://www.shz.de/lokales/flensburger-tageblatt/ist-admiral-rolf-johannesson -traditionswuerdig-id23086277.html [letzter Zugriff: 21.5.2019]. 10 Eine Zusammenfassung dieses Prozesses bietet Michael Epkenhans im Bericht über die Mitgliederversammlung 2017 der Marine-Offizier-Vereinigung e.V. am 13.5.2017, 30.5.2017; https://deutsches-maritimes-institut.de/wpcontent /uploads/2017/07/Bericht_MV_17_Hamburg.pdf [letzter Zugriff: 21.5.2019]. 11 Dieter Hartwig, Ein „Musteradmiral“ auf dem Prüfstand – eine ausführliche Antwort auf eine kurze Frage, in: Portal Militärgeschichte, 14.8.2017; http://portal-militaergeschichte.de/hartwig_mustergeneral [letzter Zugriff: 17.5.2019], Streit um Tradition an Marineschule Flensburg, in: NDR, Schleswig-Holstein Magazin, 25.5.2018; https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/schleswig-holstein_magazin/Schleswig-Holstein-Magazin,sendung 777144.html [letzter Zugriff: 21.5.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 054/19 Seite 7 2. Individuelle Traditionswürdigkeit im Sinne des „Traditionserlasses“ In ihrem Tagesbefehl zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege vom 28. März 2018, mit dem sie den neuen „Traditionserlass“ in Kraft setzte, hat von der Leyen unterstrichen, dass es sich bei der Überprüfung der Traditionswürdigkeit einzelner Personen stets um eine Einzelfallprüfung handeln muss: „Sinn- und traditionsstiftend für unsere Bundeswehr, die freiheitlichen und demokratischen Zielsetzungen verpflichtet ist, kann […] nur ein soldatisches Selbstverständnis sein, das auf dem Wertefundament unseres Grundgesetzes ruht. […] Es kommt auf die einzelne Person an, und wir müssen immer sorgfältig abwägen. Dabei stellt sich auch die Frage nach persönlicher Schuld. Die Aufnahme in unser Traditionsgut erfordert in solchen Fällen zudem eine Leistung, die vorbildlich und sinnstiftend in die heutige Bundeswehr wirkt. Etwa die Beteiligung am militärischen Widerstand gegen das NS-Regime oder besondere Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr.“12 Damit hat die Verteidigungsministerin die entsprechenden Aussagen im Traditionserlass erläutert. Dort heißt es: „Die Aufnahme einzelner Angehöriger der Wehrmacht in das Traditionsgut der Bundeswehr ist dagegen grundsätzlich möglich. Voraussetzung dafür ist immer eine eingehende Einzelfallbetrachtung sowie ein sorgfältiges Abwägen. Dieses Abwägen muss die Frage persönlicher Schuld berücksichtigen und eine Leistung zur Bedingung machen, die vorbildlich oder sinnstiftend in die Gegenwart wirkt, etwa die Beteiligung am militärischen Widerstand gegen das NS-Regime oder besondere Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr.“13 Auf das „Prinzip der Einzelfallbetrachtung und Abwägung“ rekurriert die Bundesregierung auch im Falle von Wehrmachtssoldaten, wenn diese sich dem „Nationalkomitee Freies Deutschland “, dem „Bund deutscher Offiziere“ oder Partisanenverbänden angeschlossen hatten.14 Und dies nicht alleine im Kontext des „Dritten Reiches“ und Zweiten Weltkrieges, sondern beispielsweise auch im Falle der (Mit)Organisatoren der Meutereien der deutschen Hochseeflotte 1917, Albin Köbis und Max Reichpietsch, beides Namenspatronen Berliner Straßen. Hier verwies sie dezidiert auf den zu beachtenden Kontext der handelnden Personen: „Der derzeitige Forschungsstand lässt jedoch nicht erkennen, dass sich Albin Köbis und Max Reichpietsch bei ihrem Handeln durch Maximen haben leiten lassen, die der freiheitlichen und demokratischen Wertebindung der Bundeswehr entsprechen.“15 12 Tagesbefehl der Bundesministerin der Verteidigung zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege, 28.3.2018; https://www.bmvg.de/de/aktuelles/tagesbefehl-zum-traditionsverstaendnis-und-zur-traditionspflege- 23258 [letzter Zugriff: 15.1.2019]. 13 Die Tradition der Bundeswehr [wie Anm. 5], S. 6. 14 Ebd. 15 Ebd., S. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 054/19 Seite 8 In Hagenow wurde trotz des Bewusstseins, dass man den namensgebenden Ernst Moritz Arndt wegen seiner antisemitischen und franzosenfeindlichen Aussagen äußerst kritisch sehen muss, als entscheidend bewertet, dass er „[a]ls Freiheitskämpfer und Kind des Landes […] aber gleichwohl viele positive Anknüpfungspunkte und Identifikationsmöglichkeiten [bietet]“, so der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Dr. Peter Tauber, am 2. August 2018 in der Wochenzeitung „Die Zeit“.16 Weil ohnehin kein Umbenennungsantrag gestellt worden ist, sieht das BMVg keinen Handlungsbedarf.17 Beide Beispiele unterstreichen, dass die Eindeutigkeit in der historischen Bewertung von Personen zwar stets die entscheidende Rolle im geltenden Verfahren zur Benennung von Bundeswehr -Liegenschaften spielt(e), grundsätzlich jedoch abgewogen werden muss(te). Im Falle von Wehrmachtssoldaten waren dabei regelmäßig drei Fragen für die Namensgebung entscheidend: Kann eine persönliche Beteiligung an (Kriegs)Verbrechen ausgeschlossen werden? Handelt es sich um eine beispielhafte militärische Leistung? Liegt eine Handlung vor, die beispielgebend und sinnstiftend in die Gegenwart hineinwirkt , wie insbesondere die Beteiligung am Aufbau der Bundeswehr? Entlang dieser Fragestellungen ist im Folgenden der Lebenslauf von Rolf Johannesson zu überprüfen . 3. Lebenslauf Rolf Johannesson Johannesson trat noch am 1. Juli 1918 als Seekadett in die Kaiserliche Marine ein, wurde aber bereits am 30. November 1918 wieder entlassen.18 Ende des Jahres nahm er ein Studium der Rechtswissenschaft und Nationalökonomie in Berlin auf, stellte sich im Februar 1919 jedoch einem Freikorps zum Kampf im Baltikum zur Verfügung. Im Juni schied er bereits wieder aus und nahm sein Studium erneut auf. Daneben absolvierte er eine Banklehre, nach deren Ende er erneut als Seekadett in die Marine eintrat. Nach seiner Offizierausbildung und verschiedenen Verwendungen erlebte er die Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 als Kommandant 16 Peter Tauber, Warum nicht eine Friederike Krüger-Kaserne?, in: Die Zeit Nr. 32/2018 vom 2.8.2018; https://www.zeit.de/2018/32/bundeswehr-frauen-ehrung-soldatinnen [letzter Zugriff: 15.6.2019]. 17 Deutscher Bundestag, Drucksache 19/3819 vom 15.8.2018: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der AfD, Drucksache 19/3559; http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/038/1903819.pdf [letzter Zugriff: 13.6.2019]. 18 Die Lebensdaten folgen Rolf Johannesson: Offizier in kritischer Zeit. Herausgegeben von Heinrich Walle. Hamburg 2016, S. 149f. sowie Hartwig, Ein „Musteradmiral“ [wie Anm. 11], Anm. 3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 054/19 Seite 9 eines Torpedobootes. Im Oktober 1934 wurde in die Abwehrabteilung des Reichswehrministeriums versetzt. Auf eigenen Wunsch nahm er aus dieser Funktion heraus als Angehöriger der berüchtigten „Legion Condor“ am Spanischen Bürgerkrieg teil. Von Juli bis Oktober 1937 leitete er dort deren Sabotage- und Spionage-Abwehr. Was genau er dort tat, ist nicht bekannt. Seinen veröffentlichten Erinnerungen nach widmete er der „mir übertragenen Tätigkeit […] bestenfalls meine halbe Kraft. Wichtiger war mir der Besuch an der Front.“19 Seine weitere Karriere führte über den Kommandanten einer Zerstörer-Ausbildungs-Abteilung zum Kommandanten eines Zerstörers (Mai 1938), als der er schließlich die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges erlebte. 1942 mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet und zum Kapitän zur See befördert, erhielt er im April 1943 das Kommando über die 4. Zerstörerflottille. Im Dezember 1944 wurde er – aus seiner Perspektive wegen seiner regimekritischen Haltung – auf einen höherwertigen , aber vergleichsweise bedeutungslosen Posten als Seekommandant Elbe-Weser versetzt, Ende Januar 1945 dort auch zum Konteradmiral befördert. In dieser Tätigkeit verhinderte er offenbar die in der Endphase des Krieges üblichen Zerstörungen der deutschen Infrastruktur. So war er beispielsweise aufgefordert worden, die Deiche zu öffnen, um das Land zu versalzen, oder Bauerngehöfte niederzulegen, um freie Schussbahn zu erhalten. Auch sollte er von in der Wesermündung liegenden Schiffen die Antriebswellen sprengen, um sie so, fahruntüchtig, als Schiffssperre zu verwenden. All dem widersetzte er sich mit dem Argument, er sei für den Schutz, nicht die Zerstörung des Landes verantwortlich.20 Allerdings fallen in diese Zeit auch die oben angeführten Urteile gegen fünf Soldaten auf Helgoland . Als kurz vor Kriegsende ein britischer Großangriff auf Helgoland bevorstand, beschlossen fünf Männer auf der Insel, die weiße Flagge zu hissen, um sinnlose Opfer zu vermeiden. Sie wurden verraten und festgenommen, ihr Todesurteil wurde von Admiral Johannesson bestätigt, sie wurden noch am selben Tag, am 21. April 1945, in Cuxhaven hingerichtet.21 Nach der Kapitulation wurde Johannesson von der britischen Besatzungsmacht ab Januar 1946 im belgischen Zedelghem inhaftiert. Im November von dort entlassen, stellte ihn sein Crewkamerad und Freund Martin Niemöller, der gerade Präsident des Außenamtes der Evangelischen Kirche Deutschlands geworden war, zunächst als Privatsekretär ein. Johannesson arbeite sich zum Bürochef und Finanzreferenten hoch, trat nach der Aufstellung der Bundeswehr aber erneut der Marine bei (1.1.1957). Mit dem Dienstgrad eines Flottillenadmirals amtierte er als Flottenchef, wurde bereits 1958 zum Konteradmiral befördert und 1961 schließlich aus dem Dienst verabschiedet. Nach eigener Aussage überlegte der seinerzeitige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, ihn noch zum Inspekteur der Marine vorzuschlagen; dagegen habe es aber „einige Widersacher“ gegeben: 19 Johannesson, Offizier [wie Anm. 18], S. 51. 20 Ebd., S. 114. 21 Jakob Knab, Helden, die keine waren, in: Süddeutsche Zeitung, 17.5.2018; https://www.sueddeutsche.de/politik /aussenansicht-helden-die-keine-waren-1.3983859 [letzter Zugriff: 21.5.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 054/19 Seite 10 „Erstens war ich in puncto Charme von der Natur etwas stiefmütterlich behandelt, und zweitens war ja unmöglich zu erwarten, dass meine recht einsame Position im Dritten Reich ohne Auswirkungen auf heute bleiben würde.“22 Bis 1965 arbeitete er als Berater der Kieler Howaldtswerke-Deutsche Werft und als Prokurist bei den Bamberger Greiff Werken. Vom 1. April 1965 bis zum 27. September 1983 war er Bundesbeauftragter beim Seeamt in Hamburg. Am 6. Dezember 1989 verstarb er in Hamburg. Sein Leitspruch, den er auch seinen Untergebenen immer wieder anriet, war ein Zitat von Perikles: „Sei überzeugt, das Geheimnis des Glückes ist Freiheit, das Geheimnis der Freiheit aber ist Mut.“ Für sich und sein (Vorgesetzten)Handeln wandelte er das ab: „Im Kriege Mut, im Frieden Zivilcourage zu haben als unabdingbare Eigenschaft einesOffiziers.“ Sich selbst sah er als kritisch, nicht immer aber als konsequent. So war er der einzige, der 1960 offen die Berufung von Großadmiral Karl Dönitz als Trauerredner beim Begräbnis von Admiral Erich Raeder als „unglückselige Maßnahme“ anprangerte. Aufgrund dieser Gesamteinstellung rief er 1957 die „Historisch-Taktische Tagung“ der Marine (HiTaTa) ins Leben. Sie sollte ein Forum sein, „das dem Selbstverständnis des Seeoffiziers unter besonderer Beachtung der historischen Wurzeln dienen soll".23 Ganz wesentlich bei der Aus- und Weiterbildung insbesondere von Offizieren war ihm, opportunistische Neigungen zu unterbinden, außerdem den Widerständlern des 20. Juli 1944 „Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und ihnen einen Platz im Traditions-Denken der Marine einzuräumen“.24 4. Diskurs und Bewertung In der Summe führte das Verhalten Johannesson nach dem Krieg, insbesondere beim Aufbau der Bundesmarine zu großer Verehrung bis heute, die allerdings auch innerhalb der Marine nicht zur Glorifizierung führte. In ihrem Vortrag bei der HiTaTa 2018 erklärte Kapitänleutnant Victoria Kietzmann vor der versammelten Marineführung und in Anwesenheit des Bundespräsidenten Dr. Frank-Walter Steinmeier: „Konteradmiral Rolf Johannesson – ein Marineoffizier, der die Gemüter spaltet, auch hier im Raum. Und damit meine ich nicht nur in diejenigen unter Ihnen, welche die Person Johannesson bereits einordnen können und in jene, die durch meinen Vortrag zum ersten Mal mit ihm 22 Johannesson, Offizier [wie Anm. 18], S. 131. 23 Rolf Johannesson – Flottenchef und Ritterkreuzträger; http://www.cuxhaven-seiten.de/johannesson_rolf/johannesson _rolf.htm [letzter Zugriff: 21.5.2019]. 24 Blasius, Rolf Johannesson [wie Anm. 8]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 054/19 Seite 11 in Berührung kommen. Nein, die „Causa Johannesson“ beeinflusst Jahrgänge von Marineoffizieren in ihrem Meinungsbild und ihrem Verständnis im Umgang mit der deutschen Nachkriegsgeschichte und ihrem Verhältnis zu der Vergangenheit einer ganzen Generation.“25 Diese kritische Auseinandersetzung schlägt sich offensichtlich in der Ausbildung des Marinenachwuchses nieder, wie folgender Auszug aus einer Prüfungsarbeit an der Marineschule belegt: „Johannesson setzt seinen Erinnerungen ein Zitat Perikles voran: ‚Seid überzeugt, das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit. Das Geheimnis der Freiheit aber ist der Mut.‘ Es bedeutet Mut, sich und der Institution, der man über Jahre diente, die Schuldfrage zu stellen. Und es war sein persönlicher Mut die alten und bei vielen weiterhin eingebrannten Prinzipien hinter sich zu lassen. Niemand außer Johannesson selbst vermag zu beurteilen, wie weit er wirklich mit sich und seinem Handeln im Reinen war. Das Unerwähnt lassen der Todesurteile mag hierfür einen Beweis darstellen. Doch das Erkennen und Eingestehen der eigenen Schuld und die der eigenen Generation sowie in Folge dessen den Aufbau einer Marine maßgeblich mit zu unterstützen , welche uns die heutige Freiheit gibt als Staatsbürger in Uniform in einer Demokratie zu dienen, zeichnen ihn aus. Und als […] uneingeschränkter Befürworter der Inneren Führung, ist es Johannessons Anliegen gewesen, den Blick kommender Offiziergenerationen zu schärfen und aus der Vergangenheit zu lernen – auch aus seiner.“26 Auf der Gegenseite sprechen die Kritiker Johannesson jegliche Vorbildfunktion ab, wie allen voran der ehemalige Marineoffizier und Politologe Dr. Dieter Hartwig: „Konteradmiral Rolf Johannesson kann für heutige Offiziere kein Vorbild sein. Denn er handelte nicht nur kurz vor Kriegsende seiner später behaupteten Distanz sowohl zum Nationalsozialismus als auch zu Dönitz zuwider, sondern er zeigte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht jene Zivilcourage, die er für sich als Lebensmaxime in Anspruch nahm und von anderen einforderte. Als Lehrbeispiel für einen ‚Offizier in kritischer Zeit‘ dagegen ist er sehr wohl geeignet.“27 Hier macht Hartwig auf eine entscheidende Nuance aufmerksam, die im oft dogmatisch geführten Diskurs um die Traditionswürdigkeit nachgerade ehemaliger Wehrmachtsoldaten regelmäßig nicht ausreichend berücksichtigt wird. Denn es ist schon ein wesentlicher Unterschied, ob es um „Vorbilder“ geht oder um „sinnstiftendes Handeln“ solcher historischer Persönlichkeiten, ob man eine Kaserne oder ein Schiff benennt oder sich – durchaus exponiert – mit dem Lebenslauf einer geschichtlichen Person auseinandersetzt. Was die Marine angeht, so hat sie letzteres getan, 25 Victoria Kietzmann, Rolf Johannesson – eine gebrochene Biographie zwischen Pflicht und Selbsterkenntnis. Vortrag auf der 58. Historisch-Taktischen-Tagung der Marine 2018, S. 2; https://deutsches-maritimes-institut .de/wp-content/uploads/2018/01/Vortrag-3-Kietzmann.pdf [letzter Zugriff: 17.5.2019]. 26 Luisa Winkler, Musteradmiral oder falsches Vorbild? Admiral Johannesson unter der Lupe des Traditionserlasses der Bundeswehr von 1982. Schriftliche Erfolgskontrolle PGW II im BLS 3/17, S. 11; zitiert nach Victoria Kietzmann, Rolf Johannesson – eine gebrochene Biographie zwischen Pflicht und Selbsterkenntnis. Vortrag auf der 58. Historisch-Taktischen-Tagung der Marine 2018, S. 7; https://deutsches-maritimes-institut.de/wp-content /uploads/2018/01/Vortrag-3-Kietzmann.pdf [letzter Zugriff: 17.5.2019]. 27 Hartwig, Ein „Musteradmiral“ [wie Anm. 11]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 054/19 Seite 12 Johannesson eingeordnet in die problematische, weil vielfach gebrochene Geschichte der deutschen Marine, und eben nicht nur in der Ausstellung im Schulgebäude, sondern viel wichtiger in der Lehre thematisiert. Wesentlich ist in diesem Kontext die Feststellung, dass „die Aula der MSM […] nach den geltenden Richtlinien Teil einer Lehrsammlung, kein Traditionsraum [ist]. Und die Büste von Johannesson ist in diesem Zusammenhang – wie in jedem Museum – ein Objekt, um kritische Fragen an die Geschichte zu stellen.“28 Diesen kritischen Kontext stellte der Vorsitzende der MOV, Vizeadmiral a.D. Wolfgang Nolting, bereits in seiner Ansprache zur Enthüllung der Büste Johannessons am 11. Januar 2017 heraus, als er den didaktischen Ansatz dabei betonte: „Nach Korvettenkapitän Kranzfelder und Admiral Wellershoff ist es die dritte Büste, die sich in das didaktische Gesamtkonzept der Neuausrichtung unserer Aula, dem Traditionsraum an der Marineschule Mürwik einfügt. Doch wie alle Gründerväter und […] Gründermütter der Bundesrepublik gehörte Johannesson zu jenen, die erkannt hatten, wie wichtig es war, aus der Geschichte auch wirklich zu lernen. Und der erste Schritt dazu war die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Die unheilvolle Rolle des Militärs in der Weimarer Republik, die diese gegen den Ansturm von rechts nicht verteidigt hatte und die Komplizenschaft der Wehrmacht im Vernichtungskrieg des NS-Regimes wurde für ihn in der kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zunehmend zur Mahnung, es in der Gegenwart endlich anders zu machen. Unbeirrt gegen manche Kritiker aus den eigenen Reihen unterstützte Johannesson daher jene, die wie General Baudissin oder später General de Maizière das Prinzip der Inneren Führung als eine wichtige Grundlage beim Aufbau einer anderen, einer neuen Bundeswehr verstanden. Der Staatsbürger in Uniform, der sich rückhaltlos als Teil wie auch als Beschützer der Demokratie verstand, war deren Ideal, nicht der unpolitische Soldat, der nicht wusste, warum es wichtig war, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu verteidigen. Aus der Geschichte zu lernen, bedeutete für Johannesson auch, mit der verbrecherischen Vergangenheit der eigenen Waffengattung zu brechen. Die Historisch-Taktische Tagung der Flotte, die er ins Leben rief und die wir bis heute mit großem Stolz als ein Mittel der eigenen Selbstverortung betrachten, ist seitdem ein Forum über diese Lehren offen zu diskutieren. Anders als viele seiner Kameraden betrachtete Johannesson auch die Großadmirale Erich Raeder und Karl Dönitz keineswegs als Vorbilder.“29 Dabei kritisierte er die historische Persönlichkeit Johannesson durchaus: „Aus heutiger Perspektive ist leicht zu kritisieren, dass Johannesson es in der NS-Zeit an Mut zum aktiven Widerstand und Distanz zum System hat missen lassen und später auch nicht mit der Offenheit über seine Rolle während des Krieges gesprochen hat, die wir uns aus der Rückschau wünschen würden. Vieles hat er in seinen Erinnerungen, die wir vor kurzem neu aufgelegt haben angesprochen, manches nur angerissen oder angedeutet, manches wohl auch, wie 28 Michael Epkenhans in Bericht über die Mitgliederversammlung 2017 der Marine-Offizier-Vereinigung e.V. am 13.5.2017, 30.5.2017; https://deutsches-maritimes-institut.de/wp-content/uploads/2017/07/Bericht _MV_17_Hamburg.pdf [letzter Zugriff: 21.5.2019]. 29 Vizeadmiral a.D. Wolfgang Nolting: Ansprache zur Enthüllung der Büste von Konteradmiral a.D. Rolf Johannesson am 11.1.2017; https://deutsches-maritimes-institut.de/wp-content/uploads/2017/07/Ansprache _Vors_MOV_Enhuellung_Bueste_KAdm_aD_Johannesson.pdf [letzter Zugriff: 21.5.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 054/19 Seite 13 seine Tätigkeit als Gerichtsherr, verdrängt, verschwiegen oder was auch denkbar wäre, er zwar um den Sachverhalt wusste, aber im Verfahren gar nicht zuständig gewesen ist.“30 So verstand Nolting gerade das Aufstellen der Büste als „eine Anregung zur Auseinandersetzung “: „Wir verstecken und archivieren nicht einen Admiral, den wir jedes Jahr als Gründungsvater der HiTaTa in Erinnerung rufen, dessen Regeln wir an dieser Stelle verkünden und dessen Vermächtnis einer kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wir durch die HiTaTa leben. Vielmehr zwingen wir uns dazu, sich mit ihm und seiner gebrochenen Biographie aktiv auseinander zu setzen. Gerade anhand dieses Beispiels kann - und muss - man Geschichte „begreifbar” machen! Der geistige Brückenschlag zu Kranzfelder und unseren Traditionslinien wird besonders einprägsam, wenn wir zur Kenntnis nehmen, dass Johannesson zu den wenigen gehört hat, die die Männer des 20. Juli geehrt haben. Seine Büste im Umfeld von Korvettenkapitän Kranzfelder und Admiral Wellershoff bietet eine ausgezeichnete Möglichkeit , zu Fragen an die Geschichte anzuregen und mögliche Antworten zu geben. […] Und stets ist das Gesamtbild einer Persönlichkeit ausschlaggebend, ohne dabei auf die ‚Schattenseiten‘ in der Vita verzichten zu dürfen.“31 Auch der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Andreas Krause, argumentierte identisch zur Aufstellung der Büste innerhalb des Gesamtkonzeptes: „Wir machen es uns nicht einfach. Wir sparen Sperriges, Belastendes und Belastetes nicht aus. Wir bekennen uns zu unserer Geschichte und setzen uns kritisch mit ihr auseinander. Nur so werden wir dem Anspruch an einen militärischen Führer und eines Staatsbürgers in Uniform gerecht.“32 Im ähnlichen Sinne äußerte sich der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Dr. Hans-Peter Bartels: „Aber wie traditionsstiftend ist heute die Gründergeneration der Steinhoffs, Baudissins, Kielmanseggs ? Darf eine Büste von Vizeadmiral Rolf Johannesson, zu Bundeswehrzeiten Befehlshaber der Flotte, zuvor Admiral in der Kriegsmarine, in der Aula der Marineschule Mürwik aufgestellt werden? Ich glaube, die lernende Auseinandersetzung mit „gebrochenen“ Biografien , mit Menschen, die dem Bösen gedient, aber dann das Gute mit aufgebaut haben, ist unbedingt erforderlich! Es begegnet uns mehr als einmal in der deutschen Geschichte. Also: aufstellen und daneben eine Tafel mit historischer Einordnung anbringen! Und darüber reden im Unterricht ! Deutsche Soldatinnen und Soldaten, die heute das Kämpfen lernen, müssen wissen wofür. Und sie haben einen Anspruch darauf zu lernen, in welcher Generationenfolge von 30 Ebd. 31 Ebd. 32 Rede des Inspekteurs der Marine auf der HiTaTa 2017. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 054/19 Seite 14 Kontinuitäten und Zivilisationsbrüchen sie stehen. Das Ganze zu kennen und das Gute als Eigenes auszuwählen bedeutet Traditionspflege.“33 Der Leitende Wissenschaftler am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw), Prof. Dr. Michael Epkenhans, fasste die Argumente zusammen: „Auch wenn Johannesson – aus heutiger Perspektive – im April 1945 ohne Wenn und Aber Schuld auf sich geladen hat, so lässt sein gesamter privater und amtlicher Nachlass eine andere Persönlichkeit deutlich werden. Dann erkennen wir einen Mann, der bereits seit 1938 auf Distanz zum NS-Regime gegangen war, der diese Distanz während des Krieges immer deutlicher hat hervortreten lassen, der auch in den letzten Kriegsmonaten keineswegs ein Durchhalteadmiral war wie viele Zeugnisse belegen, der aber den Sprung in den aktiven Widerstand nicht geschafft hat. Darunter hat er, anders als die meisten seiner Marinekameraden , Zeit seines Lebens gelitten. Diese Erkenntnis war dann auch die wesentliche Triebfeder dafür, mit den alten Traditionen bewusst zu brechen, der Inneren Führung und dem Staatsbürger in Uniform aktiv den Weg zu bereiten. ‚Das Gewissen steht über dem Befehl‘ war bis zu seiner letzten Teilnahme an der von ihm gegründeten HiTaTa 1987 sein Lebensmotto. Und bis zuletzt ist er dafür von seinen Kameraden als ‚Vaterlandsverräter‘ bezeichnet und behandelt worden. Ohne einen Admiral wie J. hätte es die junge Bundesmarine erheblich schwerer gehabt , sich in ihrer inneren Einstellung so zu entwickeln, wie es nach der Katastrophe von 1945 notwendig und unabdingbar war. Die Tagebuchaufzeichnungen der Generale Baudissin und de Maizière bestätigen dieses Urteil nachdrücklich.“34 Vor diesem Hintergrund sind die oben genannten drei wesentlichen Fragen zusammenfassend zu beantworten: Kann eine persönliche Beteiligung an (Kriegs)Verbrechen ausgeschlossen werden? Das Hissen der weißen Flagge während des Krieges wurde von Johannesson als strafwürdiges Verhalten der beteiligten Soldaten eingestuft. Deswegen hat er das von anderen gegen sie verhängte Todesurteil bestätigt. Noch 1953 unterstrich er seine damalige Einschätzung, von deren Richtigkeit er als militärischer Führer überzeugt war. Es erscheint glaubwürdig, dass dies seinem Verständnis vom Soldatsein entsprach, nicht einer etwaigen nationalsozialistischen Gesinnung. Das mag sein Handeln zwar erklären, aus seiner persönlichen Verantwortung dafür entlässt es ihn freilich nicht. Handelt es sich um eine beispielhafte militärische Leistung? Sein Eintreten für die Werte des Grundgesetzes, die Implementierung der Inneren Führung in der Marine, sein Eintreten für die Widerständler und sein eigenes Führungsverhalten, das er als einer der höchsten Marineoffiziere seiner Zeit in seiner Teilstreitkraft verankerte, sind ohne 33 Hans-Peter Bartels, Kein Pomp. Keine Helden. Nirgends Pracht, in: Welt online; 19.11.2017; https://www.welt.de/debatte/kommentare/article170746305/Kein-Pomp-Keine-Helden-Nirgends-Pracht.html [letzter Zugriff: 21.5.2019]. 34 Bericht über die Mitgliederversammlung 2017 der Marine-Offizier-Vereinigung e.V. am 13.5.2017, 30.5.2017; https://deutsches-maritimes-institut.de/wp-content/uploads/2017/07/Bericht_MV_17_Hamburg.pdf [letzter Zugriff : 21.5.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 054/19 Seite 15 Frage herausragende Leistungen. Militärisches Führungsverhalten ist eine militärische Leistung. Es basierte zudem auf einer glaubwürdigen kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten während der nationalsozialistischen Diktatur.35 Liegt eine Handlung vor, die beispielgebend und sinnstiftend in die Gegenwart hineinwirkt , wie insbesondere die Beteiligung am Aufbau der Bundeswehr? Ohne einen Mann wie Johannesson in seiner herausgehobenen Position wäre es mit Sicherheit weit schwerer gewesen, eine Marine im Werteverständnis des Grundgesetzes aufzubauen und das Personal in diesem Sinne auszubilden. Als Beispiel dafür, dass er im Gegensatz zu vielen anderen in der Demokratie angekommen war, lässt sich eine Begegnung anführen, die einer der „Väter der Inneren Führung“, der spätere Generalinspekteur Ulrich de Maizière, beschrieb, als er Ende August 1960 eine zweiwöchigen Reise zur Marine absolvierte. In einem vertraulichen Gespräch unter vier Augen schilderte ihm Johannesson nämlich die innere Situation der Marine. Seinem Tagebuch vertraute de Maizière anschließend an: „Positiv: geschlossenes Corps, fast wie ein Orden, hohes Maß an Kameradschaft und Zusammenhalt . Negativ: Vergangenheit ist nicht bewältigt. Mit wenigen Ausnahmen stammen die führenden Männer der Marine aus dem Stabe Dönitz. Fühlen Treueverpflichtung zu Dönitz und Raeder. Glauben nichts falsch gemacht zu haben, haben keinerlei Schuldgefühl, lehnen Männer des 20.7. (sic!) ab. Die innere Situation kann nur schrittweise – wenn überhaupt – abgebaut werden.“36 Drei Tage später ergänzte er nach seinem Besuch an der Marineschule Mürwik, vor allem nach einer Diskussion mit einigen Offizieren: „Gewisse Bestätigung der Sorgen von Johannesson. Einsicht in Fehler der Vergangenheit gering. Verständnis für notwendige politische Bildung ungenügend.“37 Auf einer anschließenden Fahrt auf einem Zerstörer bis vor die schwedische Küste begeisterte ihn, dass „[a]n Bord eine überzeugende Verbindung von freiem Ton u. ungezwungener Haltung mit genauester und rascher Befehlstreue [herrscht]“.38 Doch eine Diskussion mit Offizieren über die Innere Führung bestätigte ihm auch hier, wie sehr dort das 35 Siehe hierzu beispielhaft Johannesson, Offizier [wie Anm. 18], S. 126-129 und 132f. 36 Ulrich de Maizière, Dienstliche Tagebuchaufzeichnungen, Einträge vom 22. und 25.8.1960, zitiert nach John Zimmermann, Ulrich de Maizière. General der Bonner Republik, 1912-2006. München 2012, S. 205. 37 Ebd. 38 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 054/19 Seite 16 „Gefühl für Notwendigkeit der geistig-psychologischen Rüstung u. die Bereitschaft, sich mit der Zeit von 1933-1945 auseinanderzusetzen, [fehlt]“.39 De Maizière fand damit genau jene Mischung vor, die Johannesson ihm beschrieben hatte: Einerseits die ersten Erfolge der Inneren Führung, andererseits die fehlende Bereitschaft zur persönlichen Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Vergangenheit, oft auch der ganz individuellen . 5. Fazit Johannesson verschwieg tatsächlich zeitlebens seine Verantwortung für seine Bestätigung der Todesurteile. Dies wird von niemandem bestritten und von kaum einem oder einer Beteiligten am Diskurs entschuldigt.40 Auch dass es an der einen oder anderen Stelle des Lebenslaufes von Johannesson durchaus Forschungsbedarf gibt, ist unstreitig. Positiv wird hingegen bewertet – und als entscheidend beurteilt –, dass Johannesson nicht nur aus seinen persönlichen Fehlern, mitunter auch seinem moralischen und charakterlichen Versagen die richtigen Schlüsse gezogen und sie maßgeblich in der Alltagsroutine und Praxis der bundesrepublikanischen Marine umgesetzt hat.41 Umgekehrt verweisen Kritiker auf seine Zugehörigkeit zur „Legion Condor“, für deren Angehörige ein Bundestagsbeschluss aus dem Jahr 1998 ein ehrendes Gedenken ausschließt, vor allem aber auf seine Bestätigung der Todesurteile. In beiden Fällen und in ihrer Summe versagen sie Johannesson damit die Traditionswürdigkeit. Dieser Standpunkt ist zweifellos berechtigt, zumal unter formalen Kriterien. Für die Befürworter der Traditionswürdigkeit ist hingegen von weit wesentlicher Bedeutung, dass gerade diese Gebrochenheit der Biographie Johannessons den Zugang zum persönlichen Verhalten von Soldatinnen und Soldaten viel besser ermöglicht, als es bei eineindeutigen Lebensläufen oder besser –handeln der Fall wäre. Es lässt die historische Persönlichkeit menschlicher und dadurch mit der eigenen Existenz vergleichbarer erscheinen. Dieser Standpunkt dürfte gleichfalls unstrittig und berechtigt sein. Am Ende bleibt die Frage, wie sich ein Menschenleben bilanzieren lässt, denn alleine in der Bewertung dieser Bilanz findet sich bei nicht eindeutigen Lebensläufen die Antwort auf die 39 Ebd. 40 Deutscher Bundestag, Drucksache 18/13085 vom 30.1.2013: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 18/12864, NS- und Wehrmachttradition und Symbolik bei der Bundeswehr ; http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/130/1813085.pdf [letzter Zugriff: 21.5.2019]. 41 Deutscher Bundestag, Drucksache 17/12171 vom 10.7.2017: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 17/11915, Traditionslinien der Bundeswehr; http://dip21.bundestag .de/dip21/btd/17/121/1712171.pdf [letzter Zugriff: 21.5.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 054/19 Seite 17 Frage nach ihrer Traditionswürdigkeit. Ungeachtet der hier notwendigerweise individuellen Beantwortung lässt sich für den vorliegenden Fall von Rolf Johannesson zweierlei feststellen: Wenn es der Sinn jeder Auseinandersetzung mit der Geschichte ist, sich anhand historischer Beispiele Gedanken über seine eigene Identität und sein eigenes Verhalten zu machen , so hat die Diskussion um Johannesson diese Aufgabe absolut erfüllt. Das ehrende Andenken in der Marine gegenüber Johannesson ist eben kein unkritisches. Es überhöht ihn gerade nicht zum Vorbild, sondern zeigt die Persönlichkeit in all ihren Schattierungen. Manches wird als vorbildlich bewertet, anderes wiederum gar nicht. Die Innere Führung fordert allerdings den mündigen Staatsbürger und die mündige Staatsbürgerin jeweils in Uniform. Folglich kann es nicht im Sinne einer verstandenen Erwachsenbildung sein, festgeschriebene Meinungen vorzusetzen, wie sie bloße Namen an Kasernenwänden oder Schiffsrümpfen suggerieren. Der Umgang der Marine mit Johannesson, dessen bewusste Dekonstruierung und seine Verortung in die auch personifizierte – Kranzfelder, Johannesson, Wellershoff – Geschichte der Marine fordert demgegenüber die Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit heraus. Dass dieser Einzelfall außerdem nicht nur an herausgehobenem Ort – die Marineschule als höchste (Aus)Bildungseinrichtung der Teilstreitkraft –, sondern auch über herausgehobene Formate wie der HiTaTa zur Diskussion gestellt wird, zeugt eher von richtig als falsch antizipiertem Traditionsverständnis. ***