WD 2 - 3000 - 051/19 (9. April 2019) © 2019 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Die NATO unterscheidet gemäß ihrer Statuten bei den Verteidigungsbeiträgen ihrer Mitgliedsstaaten zwischen „direkter“ und „indirekter“ Finanzierung. „Direkte“ Zahlungen decken in erster Linie die laufenden Kosten der NATO-Einrichtungen ab; die Beiträge hierzu werden mithilfe eines festen Verteilungsschlüssels ermittelt. Demnach übernehmen die USA etwa 22 Prozent des Militärbudgets, Deutschland zahlt etwa 14,5 Prozent. Die „indirekte“ Finanzierung stellt hingegen einen freiwilligen Beitrag der Mitgliedsländer zu Militäraktionen der NATO dar, der sich aus den allgemeinen Verteidigungsausgaben der einzelnen NATO-Länder speist. Hierauf zielt die Diskussion um die seit 2002 wiederholt getroffene Vereinbarung, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung und Militär auszugeben.1 Doch der Streit darüber, wer welche Lasten in der NATO tragen muss, ist so alt wie die NATO selbst. Bis zur Ukraine-Krise und der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 durch Russland sanken die Militärausgaben der Mitgliedstaaten. Auf dem Gipfel in Wales 2014 haben alle Mitgliedstaaten die politische Selbstverpflichtung getroffen, bis 2024 eine Trendwende hin zu mehr Ausgaben zu vollziehen. Der „Defense Investment Pledge (DIP)“ spricht jedoch nur von der „Bemühung“, das Zwei-Prozent-Ziel bis 2024 zu erreichen, und legt außerdem fest, dass die Staaten 20 Prozent in neue Ausrüstung, Forschung und Entwicklung investieren sollen.2 1 Peter Sawicki, NATO. Was kollektive Verteidigung kostet, in: dlf 24, 14.11.2016; https://www.deutschlandfunk .de/nato-was-kollektive-verteidigung-kostet.2852.de.html?dram:article_id=371316 [letzter Zugriff: 9.4.2019], Dyfed Loesche, Die Finanzierung der NATO, in: Statista, 27.2.2017; https://de.statista.com/infografik /8289/budget-und-finanzierungsstruktur-der-nato/ [letzter Zugriff: 9.4.2019]. 2 Claudia Major/Christian Mölling/Torben Schütz/Alicia von Voss, Hintergrundpapier: Was das 2% Ziel der NATO für die europäischen Verteidigungshaushalte bedeutet, in: Das Dialogforum Sicherheitspolitik, 12.8.2018, S. 2; http://www.dialogforumsicherheitspolitik.de/wp-content/uploads/2018/07/180710_GER-2-Prozent-Hintergrund -GER.pdf [letzter Zugriff: 9.4.2019], Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Zum Verhältnis der Militärausgaben der NATO-Mitgliedstaaten Kurzinformation Zum Verhältnis der Militärausgaben der NATO- Mitgliedstaaten Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Sowohl Politik- als auch Rechtswissenschaftler sind sich einig, dass die Zwei-Prozent-Zielvorgabe keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet, sondern ausschließlich eine politische Willensbekundung darstellt.3 Auch wenn eine Steigerung der Verteidigungsausgaben mittlerweile weitgehend akzeptiert ist, bleibt das Zwei-Prozent-Ziel inhaltlich umstritten.4 Dafür wird eine Reihe von Gründen angeführt : Die Effizienz des erhöhten Mitteleinsatzes spielt keine Rolle, es dreht sich rein um dessen Steigerung. Kriterien sollten aber nicht die Höhe der Investitionen bilden, sondern die dadurch erwerbbaren militärischen Fähigkeiten.5 Die Mitgliedstaaten bestreiten aus ihrem jeweiligen Verteidigungshaushalt unterschiedliche Ausgaben: Frankreich beispielsweise solche für seine Feuerwehr, Deutschland für die Pensionen seiner Bundeswehrangestellten. Daher sagt ein hoher Haushalt nur bedingt etwas über die Qualität des Militärs aus.6 Die willkürliche Kontextualisierung von BIP und Verteidigungsausgaben zeigt sich an folgendem Beispiel: „Würde Deutschland der 2%- Forderung nachkommen, so würde es Mehrinvestition von derzeit ca. 6,8 Mrd. Euro pro Jahr tätigen müssen. Der Verteidigungshaushalt Gipfelerklärung von Wales Treffen des Nordatlantikrats auf Ebene der Staats- und Regierungschefs in Wales. Veröffentlicht am 5. September 2014. Übersetzung; http://www.nato.diplo.de/contentblob/ 4325924/Daten /4919187/gipfelerklaerungwales.pdf (letzter Zugriff: 9.4.2019). 3 Kurzinformation: Zur Entstehungsgeschichte und rechtlichen Bindungswirkung der Zwei-Prozent-Zielvorgabe der NATO für den Anteil der nationalen Verteidigungsausgaben am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt, WD 2- 3000-034/17; https://www.bundestag.de/resource/blob/505886/e86b5eecc480c0415bff0d131f99789f/wd-2-034- 17-pdf-data.pdf [letzter Zugriff: 9.4.2019], Peter Vonnahme, Muss Deutschland den Rüstungshaushalt auf 2 % des Bruttoinlandsprodukts erhöhen?, in: telepolis, 8.1.2018; https://www.heise.de/tp/features/Muss-Deutschland-den-Ruestungshaushalt-auf-2-des-Bruttoinlandsprodukts -erhoehen-3935186.html [letzter Zugriff: 9.4.2019]. Peter Vonnahme ist Richter am Bayer. Verwaltungsgerichtshof i. R. 4 Anteil der Militärausgaben am Bruttoinlandsprodukt in den NATO-Staaten von 2012 bis 2018, in: Statista 2019; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/234725/umfrage/anteil-der-militaerausgaben-am-bruttoinlandsprodukt -der-natostaaten/ [letzter Zugriff: 9.4.2019], Höhe der Militärausgaben in den NATO-Staaten von 2012 bis 2018 (in Millionen US-Dollar), in: Statista 2019; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/5993/umfrage/militaerausgaben-der-wichtigsten-natostaaten/ [letzter Zugriff: 9.4.2019], 5 Major/Mölling/Schütz/Voss, Hintergrundpapier [wie Anm. 2], S. 6. Ähnlich argumentierte bereits Karl-Heinz Kamp, Verpflichtungen in der NATO. Mehr Geld für die Bundeswehr, BAKS-Arbeitspapier Sicherheitspolitik, Nr. 12/2016; https://www.baks.bund.de/sites/baks010/files/arbeitspapier _sicherheitspolitik_2016_12.pdf [letzter Zugriff: 9.4.2019]. 6 Major/Mölling/Schütz/Voss, Hintergrundpapier [wie Anm. 2], S. 6. Kurzinformation Zum Verhältnis der Militärausgaben der NATO- Mitgliedstaaten Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 3 stiege von derzeit 37 Mrd. auf 85 Mrd. Euro. All dies, weil Deutschlands BIP ein enormes Wachstum vorher gesagt wird. Im Umkehrschluss könnte Großbritannien möglicherweise seine 2% einfach halten, wenn im Rahmen des Brexits die Wirtschaftsleistung des Landes sinken sollte.“7 In der Konsequenz bedeutete dies für Deutschland eine Steigerung der Verteidigungsausgaben von insgesamt 129 Prozent zwischen 2017 und 2024. Es würde 2024 damit 27 Mrd. Euro mehr ausgeben als Frankreich und 30 Mrd. Euro mehr als Großbritannien. Deutschland hätte dann innerhalb der NATO den zweitgrößten Verteidigungshaushalt nach den USA.8 Laut dem SIPRI- Ranking der Staaten mit den höchsten Militärausgaben weltweit lag Deutschland bereits 2017 auf dem neunten Platz.9 Für die Wirtschaft vieler anderer Mitgliedstaaten - zumal jene, die hoch verschuldet sind, wie beispielsweise Griechenland, Italien oder Portugal - könnte sich ein solcher Anstieg der Verteidigungsausgaben vergleichsweise katastrophal auswirken.10 Dass eine isolierte Sicht allein auf die Verteidigungsausgaben zudem andere Aspekte von Sicherheit außer Acht lässt, darauf weisen neben verschiedenen Studien auch die Bundeskanzlerin und die Verteidigungsministerin hin. Werden jedoch die Bemühungen der Diplomatie und in der Entwicklungshilfe außerhalb der NATO berücksichtigt, über die Konflikte und Kriege vermieden und Frieden gesichert werden können, leisten gerade auch Staaten, die noch weit entfernt vom Zwei-Prozent-Ziel sind, teilweise mehr als die USA. Dagegen können jene ebenso wie Großbritannien und Frankreich die immensen Kosten für ihr jeweiliges Atom-Arsenal in die Quote einberechnen, ohne dass dies bei aktuellen Bündniseinsätzen eine Hilfe wäre, während Deutschland wiederum der jeweils zweitgrößte Truppensteller und Beitragszahler der NATO ist.11 7 Ebd. 8 Ebd. 9 Ranking der 15 Länder mit den weltweit höchsten Militärausgaben im Jahr 2017 (in Milliarden US-Dollar); in: Statista 2019; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157935/umfrage/laender-mit-den-hoechsten-militaerausgaben / [letzter Zugriff: 9.4.2019]. Siehe dazu auch DW-Interview mit SIPRI-Forscher über gestiegene Militärausgaben, in: Neue Entspannungspolitik jetzt, 2.5.2018; http://neue-entspannungspolitik.berlin/dw-interview-mit-sipri-forscher-ueber-gestiegenemilitaerausgaben / [letzter Zugriff: 9.4.2019] sowie SIPRI Yearbook 2018. Armaments, Disarmament and International Security (Kurzfassung auf Deutsch); https://www.sipri.org/sites/default/files/2018-09/sipri_yb18_summary_de_0.pdf [letzter Zugriff: 9.4.2019]. 10 Major/Mölling/Schütz/Voss, Hintergrundpapier [wie Anm. 2], S. 9; dort auch eine Tabelle zum Kontext Staatsverschuldung und Militärausgaben, Ebd., S. 10. 11 Marcus C. Schulte von Drach, NATO-Gipfel. Geld für die Verteidigung ist nicht alles, in: Süddeutsche Zeitung, 12.7.2018; https://www.sueddeutsche.de/politik/nato-ausgaben-einsaetze-1.4040856 [letzter Zugriff: 9.4.2019]. Dort finden sich auch entsprechend tabellarisch aufbereitete Zahlenvergleiche. Kurzinformation Zum Verhältnis der Militärausgaben der NATO- Mitgliedstaaten Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 4 Wiederholt in diesem Kontext auftauchende Rechenbeispiele, wer wie viel in die NATO investiert, sind daher schwer oder gar nicht nachzuvollziehen. Ein Beispiel: „Deutschland leistet einen bedeutenden Beitrag für eine glaubhafte Abschreckung, im letzten Jahr haben wir die Ausgaben für Verteidigung um 7,9 Prozent erhöht. Das sind 11 Prozent des Bundeshaushaltes. Der Löwenanteil daran fließt direkt in Verpflichtungen für die NATO. Das ist keineswegs bei allen Mitgliedern der Fall. So stellen die USA gerade mal viereinhalb Prozent ihres gigantischen Wehretats in den Dienst der anderen NATO-Staaten, circa 30 Milliarden von insgesamt rund 664 Milliarden US-Dollar. Im Gegenzug erhalten sie von den Europäern Stützpunkte, Kommunikationszentren und Lazarette, auch für Einsätze, die nicht von der NATO unterstützt werden.“12 Dass der „Löwenanteil“ der deutschen Verteidigungsausgaben „direkt in Verpflichtungen für die NATO“ fließt, ist ebenso wenig falsch wie eine bislang nie berechnete Größe. Tatsächlich berechenbar sind die direkten Zahlungen an die NATO. Dass die „indirekten“ hingegen variieren, liegt in der Natur der Sache. Außerdem ist es schwerlich auszurechnen, wie man zuvor ausgebildete militärische Fähigkeiten in ihrem Kostenanteil berücksichtigen will, wenn sie im Rahmen einer Militäroperation in den Dienst der NATO gestellt werden – zumal schwer vorhersehbar ist, wer in welcher Konstellation wann was zu einem NATO- Einsatz beitragen wird. Abgesehen davon erscheint der Wert einer solchen Größe – selbst man sie für eine bestimmte Momentaufnahme, und nur das ist wenigstens annäherungsweise möglich, ausrechnen würde – unklar. Es wäre also tatsächlich sinnvoller, „sicherzustellen, dass aus jedem investierten Euro mehr militärische Leistung entsteht als bislang“.13 Unnötig ist eigentlich, in Zeiten der Vernetzten Sicherheit darauf hinzuweisen, wie man rein militärische Ausgaben effizienter gestalten kann. Dass man die Rechnung im Übrigen auch umdrehen kann, zeigen die von Lucie Béraud-Sudreau und Nick Childs vom angesehenen British International Institute for Strategic Studies in London in der bereits 2017 veröffentlichten Zahlen. Demnach würden die USA ihre Militärausgaben hauptsächlich für die eigenen Bedürfnisse leisten: Aus ihrem Wehretat von 664 Milliarden entfielen auf Europa allenfalls 28,2 bis 30,2 Milliarden – das entspricht 4,2 bis 4,5 Prozent -, wofür Siehe außerdem Tom Körkemeier/Sabine Siebold, Wunsch und Wirklichkeit - Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO, in: Reuters, 12.7.2018; https://de.reuters.com/article/deutschland-usa-nato-idDEKBN1K20NE [letzter Zugriff: 9.4.2019]. 12 Contra 2-Prozent-Ziel der NATO: Mehr Geld ist nicht gleich mehr Effizienz. Interviewreihe Zukunft der NATO, Teil VII: Rainer Arnold, in: Atlantik-Brücke; https://www.atlantik-bruecke.org/meinungsbeitrag-arnold/ [letzter Zugriff: 9.4.2019]. 13 Major/Mölling/Schütz/Voss, Hintergrundpapier [wie Anm. 2], S. 9. Kurzinformation Zum Verhältnis der Militärausgaben der NATO- Mitgliedstaaten Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 5 sie im Gegenzug in Europa Stützpunkte, Aufmarschräume, Kommunikationszentren und Lazarette von bedeutendem strategischen Wert erhalten. 14 Insofern sind all diese Berechnungen zwar nicht ohne Belang, in ihrer jeweiligen Aussagekraft allerdings begrenzt. Weit größeres Potenzial für effizient eingesetzte Militärausgaben bieten noch immer jene Ansätze, die auf Pooling, Sharing oder andere Formen der internationalen Zusammenarbeit setzen, wie bei PESCO oder weiteren Formaten. Hier waren gerade die weniger zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel ein wesentlicher Anreiz und Motivator. *** 14 Lucie Béraud-Sudreau/Nick Childs, Hidden figures. US spending on EU security is only 4.5 percent of the Pentagon budget, in: The Security Times, Februar 2017, S. 6; https://www.securityconference.de/fileadmin /MSC_/2017/Sonstiges/ST_Feb2017_double_page.pdf [letzter Zugriff: 9.4.2019].