Die Vereinbarkeit der Heranziehung von Asylbewerbern zu „gemeinnütziger Arbeit“ mit Internationalem Recht - Kurzinformation - © 2007 Deutscher Bundestag WD 2 - 050/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Die Vereinbarkeit der Heranziehung von Asylbewerbern zu „gemeinnütziger Arbeit“ mit internationalem Recht Kurzinformation WD 2 - 050/07 Abschluss der Arbeit: 29. März 2007 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - 1. Rechtslage Im internationalen Recht finden sich keine allgemeinen Regelungen zur Heranziehung von Asylbewerbern zu „gemeinnütziger Arbeit“. Einige internationale Übereinkommen, insbesondere im menschenrechtlichen Bereich, enthalten jedoch ein Zwangs- und Pflichtarbeitsverbot. Dieses gilt absolut, so dass ein Eingriff nicht zu rechtfertigen ist. Allerdings sehen die meisten Konventionen Tatbestandsbeschränkungen vor.1 Im Folgenden sollen einige der internationalen Normen zum Verbot der Zwangsarbeit kurz erläutert werden, bevor auf die nationale Rechtslage und die Heranziehung von Asylbewerbern zu „gemeinnütziger Arbeit“ eingegangen wird. 1.1. Ausgewählte Regelungen des Internationalen Rechts - Das Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organisation, ILO) über Zwangs- und Pflichtarbeit2 vom 28. Juni 1930 verpflichtet seine 161 Mitgliedstaaten, Vorkehrungen gegen Zwangs- oder Pflichtarbeit zu treffen. Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens definiert die Zwangs- oder Pflichtarbeit als „jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat.“ Ausgenommen von dieser Definition sind jedoch Arbeiten in Verbindung mit der Militärdienstpflicht, Arbeit oder Dienstleistung als „übliche Bürgerpflicht“, Zwangs- oder Pflichtarbeit infolge gerichtlicher Verurteilung, Dienstleistungen in Notstandsfällen sowie lokale Dienstleistungspflichten (vgl. Art. 2 Abs. 2).3 - Das Übereinkommen Nr. 105 der ILO über die Abschaffung der Zwangsarbeit4 vom 25.6.1957 gilt für 159 Mitgliedstaaten und weist einen gegenüber dem Übereinkommen von 1930 erweiterten Schutzbereich auf.5 Gemäß Art. 1 der Konvention verpflichten sich die Vertragsparteien die „Zwangs - oder Pflichtarbeit zu beseitigen und in keiner Form zu verwenden 1 Heintschel von Heinegg, Wolff, Casebook Völkerrecht, 2005, S. 512 Rn. 1080. 2 BGBl. 1956 II, S. 640. 3 Ipsen, Knut, Völkerrecht, 5. Aufl., München 2004, S. 777 f. Rn. 8. 4 BGBl. 1959 II, S. 441. 5 Ipsen, Knut, Völkerrecht, 5. Aufl., München 2004, S. 779 Rn. 12. - 4 - a) als Mittel politischen Zwanges oder politischer Erziehung oder als Strafe gegenüber Personen, die gewisse politische Absichten haben oder äußern oder die ihre ideologische Gegnerschaft gegen die bestehende politische, soziale oder wirtschaftliche Ordnung bekunden; b) als Methode der Rekrutierung und Verwendung von Arbeitskräften für Zwecke der wirtschaftlichen Entwicklung; c) als Maßnahme der Arbeitsdisziplin; d) als Strafe für die Teilnahme an Streiks; e) als Maßnahme rassischer, sozialer, nationaler oder religiöser Diskriminierung.“ - Die europäische „Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)“6 vom 4. November 1950 verbietet nach Art. 4 Abs. 2 die Verrichtung von Zwangs- oder Pflichtarbeit. Die Tatbestandseinschränkungen, die denen des ILO- Übereinkommens im Wesentlichen entsprechen, werden in Art. 4 Abs. 3 EMRK genannt . - Art. 8 Abs. 3 des „Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR)“7 vom 19. Dezember 1966 regelt, dass niemand gezwungen werden darf, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten. 1.2. Nationales Recht Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland enthält in Art. 12 Abs. 2 GG ebenfalls ein Zwangsarbeitsverbot. Danach darf niemand zur Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig (Art. 12 Abs. 3 GG). 6 BGBl. 1952 II, S. 685, 953 (i.d.F. vom 11. Mai 1994, BGBl. 2002 II, S. 1054). 7 BGBl. 1973 II, S. 1534. Dieser bildet gemeinsam mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte als Grundlage des VN- Menschenrechtssystems die sog. International Bill of Rights. - 5 - 2. Heranziehung von Asylbewerbern zu „gemeinnütziger Arbeit“ Ist der Asylbewerber in einer Aufnahmeeinrichtung i.S.d. § 44 des Asylverfahrensgesetzes oder einer vergleichbaren Einrichtung untergebracht, sollen gemäß § 5 Asylbeweberleistungsgesetz (AsylbLG)8 so genannte „Arbeitsgelegenheiten“ zur Aufrechterhaltung und Betreibung der Einrichtung zur Verfügung gestellt werden. Arbeitsfähige, nicht erwerbstätige Leistungsberechtigte, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, sind zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet. Bei unbegründeter Ablehnung einer solchen Tätigkeit besteht kein Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz (vgl. § 5 Abs. 4 AsylbLG).9 Ähnliche Einschränkungen werden im Rahmen der Sozialhilfe vorgenommen, wenn der Betroffene entgegen seiner Verpflichtung die Aufnahme einer Tätigkeit oder die Teilnahme an einer erforderlichen Vorbereitung ablehnt (vgl. § 39 Sozialgesetzbuch XII). Asylbewerber, die unter § 1 des AsylbLG fallen, erhalten jedoch keine Leistungen der Sozialhilfe (vgl. § 23 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches XII).10 Ob die Heranziehung von Asylbewerbern zu gemeinnütziger Arbeit Zwangsarbeit i.S.d. der oben genannten Konventionen und damit einen Verstoß gegen das Verbot der Zwangsarbeit darstellt, wird unterschiedlich beurteilt: 8 I.d.F. der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I, S.2022); zuletzt geändert durch Artikel 82 der Neunten Zuständigkeitsanpassungsverodnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I 2006 Nr. 50 S. 2407). 9 Leistungsberechtigt nach diesem Gesetz sind Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die 1. eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz besitzen, 2. über einen Flughafen einreisen wollen und denen die Einreise nicht oder noch nicht gestattet ist, 3. eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 oder § 24 wegen des Krieges in ihrem Heimatland oder nach § 25 Abs. 4 Satz 1 oder Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, 4. eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes besitzen, 5. vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist, 6. Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährige Kinder der in den Nummern 1 bis 5 genannten Personen sind, ohne daß sie selbst die dort genannten Voraussetzungen erfüllen oder 7. einen Folgeantrag nach § 71 des Asylverfahrensgesetzes oder einen Zweitantrag nach § 71a des Asylverfahrensgesetzes stellen. 10 BT-Drs. 10/2698 v. 10/2698 v. 4. Januar 1985, S. 35 f. - 6 - Bereits im Jahr 1983 entschied das Bundesverwaltungsgericht11, dass ein asylsuchender Ausländer, der Sozialhilfe begehrt (empfängt), zur Leistung gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit […] herangezogen werden darf. Dagegen hat der Sachverständigenausschuss der ILO, der mit der Überwachung der Durchführung des Übereinkommens Nr. 29 befasst ist, auf der 70. Internationalen Arbeitskonferenz im Jahr 1984 festgestellt, dass die Heranziehung von Asylsuchenden, die dem Arbeitsaufnahmeverbot unterliegen, zu gemeinnützigen und zusätzlichen Arbeiten dann als Zwangsarbeit zu werten ist, wenn ihnen im Fall der Weigerung die Hilfe zum Lebensunterhalt gekürzt oder ganz vorenthalten wird.12 Damit wurde die Praxis deutscher Sozialämter, Sozialhilfe empfangende Asylbewerber zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten, als „nicht mit den Bestimmungen [der ILO-Konvention Nr. 29] zum Verbot der Zwangsarbeit“ bezeichnet. Die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland nahm in den Jahren 1984 und 198513 zu der Frage Stellung und wies darauf hin, dass sie „in der Heranziehung von Asylbewerbern zu gemeinnützigen und zusätzlichen Arbeiten und einer damit eventuell verbundenen Kürzung oder Versagung der Hilfe zum Lebensunterhalt […] keinen Verstoß gegen das Verbot der Zwangsarbeit nach dem Übereinkommen Nr. 29 über Zwangs- oder Pflichtarbeit“ sieht.“ Zweck der […] angebotenen Gelegenheiten zu gemeinnütziger Arbeit sei es, die Arbeitsfähigkeit und -bereitschaft auch im Hinblick auf eine künftige Erwerbstätigkeit zu fördern. Zugleich werde damit die sich aus dem Nachrang der Sozialhilfe ergebende Verpflichtung zum Einsatz der Arbeitskraft konkretisiert. Dies gelte nach dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung aller Sozialhilfeempfänger auch für Asylbewerber, die aus rechtlichen Gründen an einer Arbeitsaufnahme gehindert sind. Sie sehe daher keinen Anlass, aus der Bemerkung des Sachverständigenausschusses der ILO rechtliche Konsequenzen zu ziehen. 11 BVerwGE v. 13. Oktober 1983 - BVerwG 5 C 67.82. 12 BT-Drs. 10/1880 v. 17. August 1984 (Frage 77). 13 Vgl. BT-Drs. 10/1880 v. 17. August 1984, S. 31 .f sowie BT-Drs. 10/2698 v. 4. Januar 1985, S. 35.