© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 049/15 Lehren aus dem Ausland und Argumente für die Erarbeitung einer nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik Deutschland Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 049/15 Seite 2 Lehren aus dem Ausland und Argumente für die Erarbeitung einer nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik Deutschland Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 049/15 Abschluss der Arbeit: 13. März 2015 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 049/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Die nationalen Sicherheitsstrategien europäischer Partner und der USA 4 2.1. Zielsetzung und Inhalte 4 2.1.1. USA 5 2.1.2. Großbritannien 6 2.1.3. Spanien 7 2.1.4. Defizite der untersuchten nationalen Sicherheitsstrategien 8 2.2. Die Praxis der Erstellung und Umsetzung nationaler Sicherheitsstrategien 8 3. Sicherheits- und finanzpolitische Argumente für eine nationale Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik Deutschland 9 3.1. Orientierungslosigkeit deutscher Außen- und Sicherheitspolitik versus zunehmende Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung 9 3.2. Zunehmende Anzahl, Komplexität und Interdependenz sicherheitspolitischer Herausforderungen versus begrenzte Ressourcenverfügbarkeit 10 4. Argumente für eine deutsche nationale Sicherheitsstrategie im Kontext ihrer konzeptionellen Einordnung 12 4.1. Nationale Sicherheitsstrategie versus Europäische Sicherheitsstrategie 12 4.2. Nationale Sicherheitsstrategie versus Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr 13 4.3. Nationale Sicherheitsstrategie versus föderatives Prinzip 14 5. Zusammenfassung 14 Literatur- und Quellenverzeichnis 17 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 049/15 Seite 4 1. Einführung Seit mehreren Jahren wird in Deutschland von Vertretern aus Politik und Wissenschaft wiederholt die Ausarbeitung einer nationalen Sicherheitsstrategie für die Bundesrepublik Deutschland gefordert, die im Gegensatz zu vielen ihrer Partner in Europa und jenseits des Atlantiks noch kein solches Grundlagendokument herausgegeben hat, das politisch verbindliche Leitlinien für alle sicherheitspolitisch relevanten Ressorts formuliert. Die vorliegende Ausarbeitung wirft zunächst einen Blick ins Ausland und analysiert in einigen ausgewählten Staaten, die bereits über eine nationale Sicherheitsstrategie verfügen, die Prozesse, die dort zur Entwicklung eines solchen Dokuments geführt haben. In diesem Zusammenhang werden die Zielsetzungen und Inhalte sowie die Erstellungspraxis der jeweiligen nationalen Sicherheitsstrategien dargestellt. Anschließend setzt sich dieses Papier, und dies bildet den Kern der vorliegenden Arbeit, mit den Argumenten auseinander, mit denen in Deutschland das bisherige Fehlen einer Sicherheitsstrategie kritisiert und die Notwendigkeit eines solchen Grundlagendokuments begründet wird. 2. Die nationalen Sicherheitsstrategien europäischer Partner und der USA In ihrem Artikel „Auf der Suche nach best practice? Die Entstehung nationaler Sicherheitsstrategien im internationalen Vergleich“ 1 haben die Autoren Bastian Giegerich und Alexandra Jonas, beide sind wissenschaftliche Mitarbeiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr, unter anderem die nationalen Sicherheitsstrategien der USA, Großbritanniens, Frankreichs 2, Spaniens und der Niederlande analysiert. Die folgenden beiden Unterabschnitte fassen ihre wesentlichen Analyseergebnisse zusammen. 2.1. Zielsetzung und Inhalte Laut Giegerich und Jonas haben diejenigen Staaten, die bereits über eine nationale Sicherheitsstrategie verfügen, ein weitgehend einheitliches Verständnis über die Zielsetzung einer nationalen Sicherheitsstrategie: „Als gesamtstaatlicher Masterplan dient diese dazu, die sicherheitspolitischen Verantwortungsbereiche innerhalb der jeweiligen nationalen Regierung zu klären und die ressorteigenen Strategien und Politiken so zu formen, dass keine Doppelungen, Widersprüche und Lücken entstehen. Dabei gliedert sich eine nationale Sicherheitsstrategie üblicherweise in drei Bereiche: die Definition sicherheitspolitisch relevanter Bedrohungen und Gefahren für die 1 Giegerich, Bastian; Jonas, Alexandra (2012): Auf der Suche nach best practice? Die Entstehung nationaler Sicherheitsstrategien im internationalen Vergleich. In: Sicherheit und Frieden S+F (30. Jg.) 3/2012, S. 129–134. Abrufbar unter: http://www.sicherheit-und-frieden.nomos.de/fileadmin/suf/doc/Aufsatz_SuF_12_03.pdf (letzter Zugriff: 9. März 2015). 2 In Frankreich wurde bis heute kein Dokument herausgegeben, das den Namen „nationale Sicherheitsstrategie“ trägt. Stattdessen wurde im Jahr 2013 ein neues Weißbuch mit dem Titel „Le livre blanc sur la défense et la sécurité nationale“ erarbeitet. Dieses Dokument zeigt, dass eine gesamtstaatliche Sicherheitsstrategie mit den entsprechenden Inhalten (vgl. Ziff. 2.2) auch in einem Weißbuch verankert werden kann. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 049/15 Seite 5 jeweilige Nation, die Formulierung sicherheitspolitischer Ziele und Interessen sowie die Identifikation geeigneter Instrumente und Mittel, um die gesetzten Ziele zu erreichen und die definierten Interessen zu verteidigen.“ 3 Diese inhaltliche Ausrichtung nationaler Sicherheitsstrategien sei im Folgenden am Beispiel der strategischen Grundlagendokumente der USA, Großbritanniens und Spaniens demonstriert. 2.1.1. USA Für die USA hat Präsident Barack Obama die neueste Nationale Sicherheitsstrategie (NSS) 4 am 7. Februar 2015 vorgestellt. Die jährliche Ausarbeitung einer solchen Strategie ist seit 1986 für jede U.S.-Regierung gegenüber dem Kongress verpflichtend. Allerdings erfolgte diese Vorlage de facto nur ein Mal pro Amtszeit. Zuletzt hatte Obama am 27. Mai 2010 eine Nationale Sicherheitsstrategie herausgegeben. 5 Das neue Strategiepapier stellt die globale Führungsrolle der USA bei der Erlangung von Frieden und Wohlstand heraus. Während das Vorgängerdokument noch auf die Beendigung der Kriege im Irak und in Afghanistan sowie auf die Beendigung der globalen Finanzkrise fokussierte, weist das neue Dokument auf die sicherheitspolitischen Veränderungen der zurückliegenden fünf Jahre hin. Die neue NSS unterstreicht das Interesse der USA am asiatisch-pazifischen Raum, an einem stabilen Nordafrika sowie Nahen und Mittleren Osten und – vor dem Hintergrund der Ukraine- Krise – insbesondere an einer Stärkung seiner weltweiten Bündnisse. Die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates, Bernadette Meehan, äußerte sich bei der Vorstellung des Dokuments zu seiner Zielsetzung wie folgt: „It serves as a compass for how this administration, in partnership with Congress, will lead the world through a shifting security landscape toward a more durable peace and a new prosperity.“ 6 Im Mittelpunkt der 29 Seiten umfassenden NSS steht die Priorisierung der eigenen Maßnahmen zur Minimierung solcher strategischer Risiken, die die Verwirklichung bzw. Durchsetzung amerikanischer Interessen gefährden könnten. Entlang der vier Interessen – Sicherheit, Wohlstand, Werte und internationale Ordnung – benennt die NSS als strategische Risiken der USA einen katastrophalen Angriff auf das Territorium der USA oder auf ihre kritische Infrastruktur , gegen amerikanische Bürger im Ausland oder gegen Verbündete gerichtete Angriffe, eine globale Wirtschaftskrise oder eine umfassende Konjunkturabschwächung, die Verbreitung und/oder den Einsatz von Massenvernichtungswaffen, 3 Giegerich; Jonas (2012), Auf der Suche nach best practice?, a.a.O., S. 130. 4 The White House (2015): National Security Strategy 2015. Februar 2015. Abrufbar unter: https://www.whitehouse .gov/sites/default/files/docs/2015_national_security_strategy.pdf (letzter Zugriff: 11. März 2015). 5 WD 2 (2010): Nationale Sicherheitsstrategie. Sachstand WD 2 - 3000 - 210/10 der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 23. November 2010, S. 8 f. 6 The Diplomat (2015): The White House Releases a New National Security Strategy. Abrufbar unter: http://thediplomat .com/2015/02/the-white-house-releases-a-new-national-security-strategy/ (letzter Zugriff: 12. März 2015). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 049/15 Seite 6 Pandemien, den Klimawandel, starke Störungen des Energiemarktes sowie ernsthafte Konsequenzen für die Sicherheit im Zusammenhang mit schwachen oder zerfallenden Staaten (einschließlich Kriegsverbrechen, der Gefahr einer regionalen Ausweitung von Krisen und transnationaler Organisierter Kriminalität). 7 2.1.2. Großbritannien Die in Großbritannien letztmalig herausgegebene nationale Sicherheitsstrategie mit dem Titel „A Strong Britain in an Age of Uncertainty: The National Security Strategy“ 8 hat Premierminister David Cameron am 18. Oktober 2010 an das Parlament übergeben. Diese laut Cameron „erste echte“ nationale Sicherheitsstrategie dient dem Ziel, die britischen Interessen unter Berücksichtigung der heimischen und internationalen Bedrohungen zu definieren und sie damit als über dem tagespolitischen Geschehen stehende Leitlinien der britischen Außen- und Sicherheitspolitik zu verankern. 9 Die britische NSS gliedert sich in die Kapitel 1 „Strategischer Kontext“, das die strategischen Ziele Großbritanniens, im Einzelnen die - Sicherstellung eines sicheren und belastbaren Vereinigten Königreiches durch Schutz der Menschen, der Wirtschaft, der Infrastruktur, des Territoriums und der Lebensart vor allen bedeutenden Risiken, die einen direkten Einfluss auf Großbritannien und seine Bürger nehmen könnten, sowie die - Gestaltung einer stabilen Welt durch Maßnahmen jenseits der britischen Grenzen, um die Wahrscheinlichkeit zu reduzieren, dass spezifische Risiken Großbritannien oder seine Überseeterritorien gefährden. 10 benennt und die bestimmenden sicherheitspolitischen Herausforderungen wie den internationalen Terrorismus, die unkontrollierte Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen (WMD), die transnationale Organisierte Kriminalität, die stete Gefahr durch Spionage sowie die kaum abschätzbaren Folgen von Naturkatastrophen anspricht, 7 Vgl. The White House (2015), National Security Strategy 2015, a.a.O., S. 2. 8 HM Government (2010): A Strong Britain in an Age of Uncertainty: The National Security Strategy. Presented to Parliament by the Prime Minister by Command of Her Majesty, Oktober 2010. Abrufbar unter: https:// www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/61936/national-security-strategy.pdf (letzter Zugriff: 12. März 2015). 9 Wolf, Christian (2010): A Strong Britain in an Age of Uncertainty – Die aktuelle Sicherheitsstrategie des Vereinigten Königreichs. In: Österreichische Militärzeitschrift ÖMZ-Online 3-2012, S. 9–20. Abrufbar unter: http://www.bundesheer .at/pdf_pool/omz/oemz2012_03.pdf (letzter Zugriff: 11. März 2015). 10 Ebenda, S. 10 f. und S. 22. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 049/15 Seite 7 Kapitel 2 „Großbritanniens besondere Rolle“, das die sicherheitspolitischen Möglichkeiten analysiert, die sich für Großbritannien aus den Bedingungen seines strategischen Umfeldes ergeben, Kapitel 3 „Sicherheitsrisiken“, das eine nach Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkungen priorisierte Auflistung möglicher Risiken und Bedrohungen enthält, 11 sowie Kapitel 4 „Unsere Antwort“, das die strategischen Antworten auf die Bedrohungen und Herausforderungen in einem unsicheren Zeitalter anspricht. 2.1.3. Spanien Die erste spanische Sicherheitsstrategie „Eine Aufgabe für alle“ (Estrategia Española de Seguridad : Una responsabilidad de todos) wurde nach einem umfassenden Konsultationsprozess am 24. Juni 2011 von der spanischen Regierung herausgegeben. Sie gliedert sich in die folgenden fünf Kapitel: Kapitel 1 „Eine notwendige Strategie“, das die Garantie der Sicherheit Spaniens und seiner Einwohner und Bürger als essenzielle Aufgabe der Regierung unterstreicht, an der auch regionale und lokale Behörden, Unternehmen und die Zivilgesellschaft mitwirken. Da die Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit zunehmend verwische, sei eine integrierte Sicherheitsstrategie notwendig, Kapitel 2 „Sicherheit Spaniens in der Welt“, das die Prinzipien der spanischen Außenpolitik erläutert, Kapitel 3 „Risikoverstärker“, das grundlegende Entwicklungen (z.B. Fehlentwicklungen der Globalisierung, demografische Ungleichgewichte, Armut und Ungleichheit, Klimawandel, technologische Gefahren z.B. im Cyberspace, radikale und anti-demokratische Ideologien) beschreibt, die zu einer Verstärkung und Veränderung von Risiken führen können, Kapitel 4 „Bedrohungen, Risiken und Maßnahmen“, das zunächst alle potentiell schädlichen Einflüsse, die aus spanischer Sicht eine Bedrohung darstellen (z.B. bewaffnete Konflikte , Terrorismus), sowie die Risiken (z.B. Eingriffe in die wirtschaftliche und die Energiesicherheit ) mit ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit benennt sowie anschließend die Maßnahmen erläutert, wie die spanische Regierung diesen Bedrohungen und Risiken zu begegnen beabsichtigt, sowie Kapitel 5 „Ein integriertes institutionelles Modell“, das Rückschlüsse auf organisatorische Reformen präsentiert. Darüber hinaus enthält die spanische Sicherheitsstrategie Aussagen zu gegenwärtigen und geplanten Forschungsschwerpunkten sowie zu nationalen und internationalen Kooperationsinteressen . 12 11 Ebenda, S. 27. 12 Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT / Europäische Sicherheitsforschung (2011): Estrategia Española de Seguridad 2011. Abrufbar unter: http://www.sicherheitsforschung-europa.de/servlet /is/14396/ (letzter Zugriff: 11. März 2015). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 049/15 Seite 8 2.1.4. Defizite der untersuchten nationalen Sicherheitsstrategien Während die vorgestellten nationalen Sicherheitsstrategien der USA, Großbritanniens und Spaniens Aussagen zu den jeweiligen sicherheitspolitischen Zielen und Interessen, den sicherheitspolitisch relevanten Bedrohungen und Gefahren sowie zu den zur Bewältigung der identifizierten und priorisierten Bedrohungen und Gefahren erforderlichen Instrumenten und Mitteln enthalten , fehlt in diesen Dokumenten der Hinweis auf die Notwendigkeit eines Controlling-Dokuments zur Durchführung eines regelmäßigen Abgleich zwischen den festgelegten Zielen und deren Umsetzung in der Praxis. Die Schaffung eines solchen Überprüfungsmechanismus sollte nach Auffassung der Autoren des von der Stiftung „Neue Verantwortung“ herausgegebenen Policy Briefs (08/09) mit der Erarbeitung einer nationalen Sicherheitsstrategie einhergehen. 13 2.2. Die Praxis der Erstellung und Umsetzung nationaler Sicherheitsstrategien Aus den Erfahrungen mit der Erstellung und Umsetzung nationaler Sicherheitsstrategien lassen sich für die Erarbeitung einer nationalen deutschen Sicherheitsstrategie laut Giegerich und Jonas folgende Lehren ableiten: 14 i. Die kürzlich von den europäischen Partnern und den USA erarbeiteten nationalen Sicherheitsstrategien sind von einem umfassenden Ansatz geprägt, bei dem innere und äußere Sicherheit zunehmend als Kontinuum verstanden werden und Sicherheit nicht mehr nur als Schutz von Bevölkerung und Territorium angesehen wird, sondern sich hin zum vernetzten Management von Risiken für die Gesellschaft insgesamt bewegt. ii. Die Erarbeitung einer nationalen Sicherheitsstrategie bedarf einer engen interministeriellen Zusammenarbeit, die idealerweise durch das Regierungsoberhaupt gesteuert werden sollte, da stets die Gefahr besteht, dass ressortspezifische Interessen den Prozess der Strategiefindung dominieren. Nach der Phase der Strategiefindung sollten institutionelle Maßnahmen ergriffen werden, mit denen die Implementierung der nationalen Sicherheitsstrategie überwacht und die Kohärenz der notwendigen untergeordneten Teilstrategien sichergestellt werden kann. iii. Externe Experten sollten in den Prozess der Strategieentwicklung mit dem Ziel eingebunden werden, einerseits einen kritischen Denkprozess zu befördern und neue Ideen zu generieren sowie andererseits die staatliche Risikoanalyse zu verbessern. Aufgrund fehlender Konzepte zur effektiven Beteiligung einer breiten Öffentlichkeit an der Entwicklung einer nationalen Sicherheitsstrategie blieb der wünschenswerte Gedankenaustausch im Rahmen des Entstehungsprozesses der nationalen Sicherheitsstrategien von Partnerländern bisher nur schwach ausgeprägt, obwohl dies die Transparenz des Prozesses unterstützen würde. 13 Bruhns, Malte; Bunde, Tobias; Irrgang, Astrid et al. (2009): Die strategische Kultur der deutschen Sicherheitspolitik: Brauchen wir eine nationale Sicherheitsstrategie? In: Policy Brief – Globale Fragen 08/09, S. 3. Hrsg.: Stiftung Neue Verantwortung. Abrufbar unter: http://www.stiftung-nv.de/sites/default/files/0809_policy_brief_strategische_kultur .pdf (letzter Zugriff: 9. März 2015). 14 Giegerich; Jonas (2012), Auf der Suche nach best practice?, a.a.O., S. 134. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 049/15 Seite 9 iv. Der Prozess der Strategieentwicklung ist nicht mit der Veröffentlichung eines Grundlagendokumentes abgeschlossen. „Flexibilität und die Fähigkeit zur Adaption sind Wesensmerkmale jüngerer Strategiedokumente. Hierin spiegelt sich, dass die nationale Sicherheitsstrategie als Rahmendokument zu verstehen ist, das nicht versucht allgemein gültige Lösungen zu definieren, sondern sich in einen fortlaufenden Prozess der Priorisierung und haushälterischen Planung einfügen kann.“ 15 3. Sicherheits- und finanzpolitische Argumente für eine nationale Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik Deutschland 3.1. Orientierungslosigkeit deutscher Außen- und Sicherheitspolitik versus zunehmende Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung In jüngster Vergangenheit haben führende Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland mehrfach, so bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014, unterstrichen, dass deutsche Politik, das Weltgeschehen „nicht nur kommentieren“ (Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier) und „nicht wegsehen“ (Bundesministerin der Verteidigung Ursula von der Leyen) dürfe, sondern sich „substanzieller einbringen“ (Bundespräsident Joachim Gauck) müsse. Diese Aussagen geben allerdings weder eine präzise Vorstellung darüber, wie ein verstärktes Engagement Deutschlands aussehen könnte, noch wird zwischen den Einsatzarten und Szenarien differenziert. 16 Die immer häufiger von den Verbündeten gestellte Frage, wie ein stärkeres deutsches Engagement in der internationalen Sicherheitspolitik aussehen könnte und welche Rolle die Bundesrepublik hier künftig zu spielen beabsichtigt, ist bis heute unbeantwortet geblieben. Aus diesem Grund „gerät Deutschland in der internationalen Sicherheitspolitik zunehmend in die Kritik. Mittlerweile gilt unser Land als schwieriger sicherheitspolitischer Partner. Zu oft haben Deutsche in den vergangenen Jahren nur reagiert statt agiert. Zu oft haben sich deutsche Politiker an veralteten verteidigungspolitischen Konzeptionen und Denkmustern entlanggehangelt und zu selten haben sie deutsche Vorstellungen frühzeitig in die internationale sicherheitspolitische Debatte eingebracht.“ 17 Gleichzeitig bedarf es auch innerhalb der deutschen Bevölkerung eines verbesserten breiten Verständnisses für die wachsenden globalen Herausforderungen und ihre sicherheitspolitischen Konsequenzen als Voraussetzung für eine größere Akzeptanz und Unterstützung sicherheitspolitischer Entscheidungen der Bundesregierung. 18 15 Ebenda. 16 Pradetto, August (2014): Strategische Orientierungslosigkeit – Humanitärer Anspruch, Opportunität und Prestigedenken . In: WeltTrends: Zeitschrift für internationale Politik, 22. Jg. (2014), 97, S. 80 f. 17 Bruhns; Bunde; Irrgang et al. (2009): Die strategische Kultur der deutschen Sicherheitspolitik, a.a.O., S. 1. 18 Schockenhoff, Andreas † (2008): Die Debatte ist eröffnet und Streit erwünscht: Warum Deutschland eine Sicherheitsstrategie braucht. In: Internationale Politik 5, Mai 2008, S. 89. Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Abrufbar unter: https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/jahrgang-2008/mai/die-debatte -ist-er%C3%B6ffnet (letzter Zugriff: 9. März 2015). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 049/15 Seite 10 In diesem Zusammenhang wies der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, am 7. März 2015 in der Sendereihe „Streitkräfte und Strategien“ des Norddeutschen Rundfunks (NDR) darauf hin, dass das bundesrepublikanische Publikum eine Antwort darauf suche und auch einen Anspruch darauf habe, „eine verbindliche Antwort zu bekommen zu der Frage: Was sind eigentlich die Ziele deutscher Außen- und Sicherheitspolitik?“ 19 Die Autoren des von der Stiftung „Neue Verantwortung“ herausgegebenen Policy Briefs (08/09) kommen zu dem Ergebnis, dass es in Deutschland an grundsätzlichen Strategien mangele, „die der Sicherheitspolitik Verortung und Halt geben und die Richtung zum Umgang mit neuen Herausforderungen weisen könnten.“ 20 Wolle sich die Bundesrepublik gegenüber ihren Verbündeten , aber auch gegenüber ihren Bürgern künftig als ein strategiefähiger Partner erweisen, bedürfe es der klaren Formulierung sicherheitspolitischer Ziele und Interessen, die von einem ausreichend großen politischen und gesellschaftlichen Konsens getragen werden, sowie des Willens zu ihrer Durchsetzung. 21 Dies müsse die Formulierung klarer Kriterien für die Entscheidung über internationale Einsätze der Streitkräfte einschließen. 22 3.2. Zunehmende Anzahl, Komplexität und Interdependenz sicherheitspolitischer Herausforderungen versus begrenzte Ressourcenverfügbarkeit Die sicherheitspolitische Landschaft hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges fundamental verändert : Zur Gefahr zwischenstaatlicher, mit konventionellen Streitkräften geführter Kriege, die vorübergehend – zumindest innerhalb Europas – nahezu ausgeschlossen worden war und deren Bedeutung erst vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse auf der Krim und in der Ostukraine und der dortigen Anwendung hybrider Kriegsführungsmethoden neu zu bewerten ist, ist eine große Anzahl diffuser Risiken und nicht-militärischer Gefahren hinzugekommen, von denen hier einige genannt seien: 23 Zu diesen neuartigen Herausforderungen zählen insbesondere die von transnationalen Bedrohungen wie Terrorismus, Organisierter Kriminalität oder Piraterie ausgehenden Gefahren für die internationale Sicherheit. Diese transnationalen Bedrohungen sind nicht neu, haben aber in den letzten 25 Jahren deutlich zugenommen. Dabei geht die eine wesentliche Bedrohung von kriminellen und extremistischen, in den illegalen Waffenhandel verwickelten und den Zugang zu Massenvernichtungswaffen suchenden Gruppierungen aus, von denen einige mit ihren netzwerkartigen und weit verzweigten Strukturen (al-Qaida, Islamischer Staat) direkt in die westlichen Gesellschaften hinein wirken wollen und können (9/11, Charlie Hebdo). 19 NDR Info – Das Forum. Streitkräfte und Strategien. Moderator: Joachim Hagen. Ausgestrahlt am 7. März 2015, 19:20–19:50 Uhr und am 8. März 2015, 12:30–13:00Uhr. 20 Bruhns; Bunde; Irrgang et al. (2009): Die strategische Kultur der deutschen Sicherheitspolitik, a.a.O., S. 9. 21 Ebenda, S. 1. 22 Vgl. General Lather: Wir sind keine Sparkommission. Rhein Zeitung vom 26. Oktober 2010. Abrufbar unter: http://blog.rhein-zeitung.de/tag/weissbuch/ (letzter Zugriff: 9. März 2015). 23 Meier-Walser, Reinhard; Wolf, Alexander (2011): Neue Dimensionen internationaler Sicherheitspolitik. Hrsg.: Hanns-Seidel-Stiftung, Berichte & Studien 93. Abrufbar unter: http://www.hss.de/uploads/tx_ddceventsbrowser /BS-93.pdf (letzter Zugriff: 9. März 2015). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 049/15 Seite 11 Es ist zu erwarten, dass durch die ungleiche Verteilung des Wohlstands zwischen den Entwicklungs - und Industrieländern sowie in den Entwicklungsländern selbst vor dem Hintergrund der dortigen Perspektivlosigkeit, nicht zuletzt wegen eines erwarteten weiteren Anstiegs der Weltbevölkerung auf rund 8 Mrd. Menschen im Jahr 2025 und der Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen durch Überbevölkerung und andere Faktoren, nicht nur Extremismus und Gewalt weiter zunehmen, sondern weitere und im Vergleich zu heute noch größere Migrationsbewegungen ausgelöst werden. Diese Migrationsbewegungen können zu neuen gesellschaftlichen, kulturellen, sprachlichen und religiösen Problemen und Konflikten führen. Die wachsenden Abhängigkeiten der industrialisierten Welt von fossilen Energieträgern wie Erdöl oder Erdgas bedeuten ein weiteres Sicherheitsrisiko. Vor dem Hintergrund eines weiteren Anstiegs des weltweiten Rohölbedarfs können sich aus diesen Abhängigkeiten sowie aus Veränderungen auf den internationalen Energiemärkten (Preisentwicklungen, Nutzung unkonventioneller Fördermethoden, konkurrierende Abnehmer) in sicherheitspolitischer Hinsicht neue Verhältnisse und Instabilitäten ergeben. Daneben stellt die illegale Nutzung von digitalen Technologien heute eine weitere große Herausforderung der. Durch den kriminellen, machtpolitischen und nachrichtendienstlichen Missbrauch des Cyber-Raums besteht für jedes Land – zum Beispiel mit Angriffen über digitale Netzwerke auf kritische Infrastrukturen wie die Stromversorgung oder die Telekommunikation – die Gefahr einer Destabilisierung. Aus der Darlegung dieser Herausforderungen folgt, „dass sich die […] Dreiteilung in innere, soziale und äußere/nationale Sicherheit [aus politikwissenschaftlicher Sicht] nicht länger aufrecht halten lässt. Äußere Geschehnisse können – ohne dass mit ihnen ein klar definierbares Feindbild verbunden wäre – Auswirkungen auf die soziale Sicherheit einer Gesellschaft haben. Zugleich wirkt […] der transnational operierende, internationale Terrorismus unmittelbar auf die innere Sicherheit von politischen Systemen, und stellen ökologische Probleme die Existenzgrundlagen von Gesellschaften und Staaten in Frage, ohne dass diesen im Rahmen nationaler Politik ausreichende Mittel gegeben wären, auf derartige Bedrohungen reagieren zu können.“ 24 Der Umgang mit diesen sehr komplexen und teilweise interdependenten Herausforderungen erfordert , da eben nicht nur das Verteidigungsministerium, sondern alle Ressorts betroffen sind, eine ressortübergreifende Analyse der Bedrohungen und Akteure. Darüber hinaus bedarf es bei der, wenn möglich, präventiven Bewältigung dieser Bedrohungen sowohl einer besseren Verzahnung und Zusammenarbeit aller betroffenen Ressorts unter Nutzung aller politischen, wirtschaftlichen , gesellschaftlichen, militärischen und ökologischen Instrumente als auch einer adäquaten Koordination zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sowie nichtstaatlichen Organisationen . Ein geeigneter (institutioneller) Rahmen, der eine solche Analyse, Zusammenarbeit und Koordination ermöglicht, formt sich aber nicht von selbst. Seine Ausgestaltung verlangt vielmehr von der betreffenden Regierung eine strategische Steuerung und strategische Vorgaben. 25 24 Waldmann, Jörg (2004): Risiken III. Umweltzerstörung, Ressourcenknappheit, Bevölkerungswachstum und Migration . In: Rinke, Bernhard; Woyke, Wichard (Hrsg.): Frieden und Sicherheit im 21. Jahrhundert: Eine Einführung, S. 103. 25 Vgl. Schockenhoff † (2008), a.a.O., S. 93. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 049/15 Seite 12 Strategische Vorgaben sind auch deshalb erforderlich, um allen Sicherheitsakteuren gegenüber die Prioritäten der Regierung bei der Bekämpfung der Bedrohungen oder der Abwehr von Gefahren zu kommunizieren, damit angesichts nur begrenzt verfügbarer Ressourcen die wenigen vorhandenen Mittel gezielt und zwischen den Ressorts, aber auch mit den internationalen Partnern , abgestimmt, eingesetzt werden können. 26 Dies ist die Voraussetzung dafür, dass sich beim Ressourceneinsatz zur Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen Synergien einstellen und Duplizierungen vermieden werden können. Gleichzeitig trägt diese Schwerpunktsetzung, mit der die Regierung kommuniziert, welche Bedrohungen und Akteure in welchen Regionen der Welt für sie von besonderer Bedeutung sind, dazu bei, der heimischen Rüstungsindustrie Handlungssicherheit im Hinblick auf ihre künftigen Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsaktivitäten zu geben. Im Zusammenhang mit den transnationalen Bedrohungen (Terrorismus, Organisierte Kriminalität , Cyber, etc.), die eine ernsthafte Bedrohung für die freien und pluralistischen Gesellschaften darstellen können, bedarf es darüber hinaus – analog der Forderung des Europäischen Parlaments , dass alle Instrumente mit den Prinzipien der Verhältnismäßigkeit, der Notwendigkeit und der Rechtmäßigkeit vereinbar sein müssen 27 – seitens der Regierung strategischer Vorstellungen, in wieweit und unter welchen Bedingungen der Gesetzgeber zur Bekämpfung dieser Bedrohungen Grundrechte einschränken können sollte. Auch in diesem Bereich könnte durch eine nationale Sicherheitsstrategie bereits im Voraus Verständnis für etwaige Maßnahmen des Gesetzgebers geweckt werden. 4. Argumente für eine deutsche nationale Sicherheitsstrategie im Kontext ihrer konzeptionellen Einordnung 4.1. Nationale Sicherheitsstrategie versus Europäische Sicherheitsstrategie Kritiker einer nationalen Sicherheitsstrategie merken an, dass mit der erstmaligen Herausgabe der Europäischen Sicherheitsstrategie im Jahr 2003, deren Überarbeitung die vom Centre for European Policy Studies erarbeitete und am 10. März 2015 präsentierte Studie „More Union in European Defence“ empfiehlt, 28 keine Notwendigkeit mehr zur Erarbeitung nationaler Sicherheitsstrategien bestünde. So äußerte sich bei einer durch das Deutsche Forum Sicherheitspolitik am 24. und 25. Juni 2013 in Berlin veranstalteten Konferenz in der Arbeitsgruppe 2 zur Anpassung sicherheitspolitischer Instrumente ein Fragesteller: „Eine nationale Sicherheitsstrategie wäre ein 26 Bundesakademie für Sicherheitspolitik (2005): Impulse zur Entwicklung einer nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik Deutschland. Seminar für Sicherheitspolitik 2005 an der Bundeakademie für Sicherheitspolitik Berlin, S. 2. Abrufbar unter: https://www.baks.bund.de/sites/baks010/files/suea2005.pdf (letzter Zugriff: 9. März 2015). 27 Vgl. hierzu: Europäisches Parlament (2014): Neue EU-Sicherheitsstrategie muss auch Rückkehr ausländischer Kämpfer berücksichtigen. Pressemitteilung vom 17. Dezember 2014. Abrufbar unter: http://www.europarl.europa .eu/news/de/news-room/content/20141212IPR01246/html/EU-Sicherheitsstrategie-muss-auch-R%C3%BCckkehr -ausl%C3%A4ndischer-K%C3%A4mpfer-ber%C3%BCcksichtigen (letzter Zugriff: 9. März 2015). 28 Kanzlerin Merkel sagt „Ja“ zu europäischer Armee. Die Welt vom 9. März 2015. Abrufbar unter: http://www.welt.de/politik/deutschland/article138223059/Kanzlerin-Merkel-sagt-Ja-zu-europaeischer-Armee.html (letzter Zugriff: 10. März 2015). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 049/15 Seite 13 Rückschritt. Es wäre ein Schritt von Re-Nationalisierung von Politik. […] Ich warne sehr davor, dass wir nun wieder 27 nationale Sicherheitsstrategien in Europa bekommen.“ 29 Diese Sichtweise verkennt nach Auffassung der Autoren des von der Stiftung „Neue Verantwortung “ herausgegebenen Policy Briefs, „dass eine deutsche Strategie nicht in Konkurrenz zur Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) tritt. Indem sie den deutschen Beitrag zur europäischen Sicherheitspolitik definiert und präzisiert, übersetzt sie die Ziele der Europäischen Sicherheitsstrategie für den deutschen Kontext. Über notwendige Strukturreformen und Fragen der Ressourcenverteilung auf nationaler Ebene trifft die ESS naturgemäß keine Aussage – das muss ein nationales Strategiedokument tun.“ 30 4.2. Nationale Sicherheitsstrategie versus Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr Der vor wenigen Wochen in Federführung des Bundesministeriums der Verteidigung begonnene Prozess zur Erstellung des neuen „Weißbuchs zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr “ wird in den Medien und von einigen Politikern als Weichenstellung auf dem Weg zu einer „zeitgemäßen nationalen Sicherheitsstrategie“ 31 dargestellt. Allerdings wird dieses Dokument , dessen Erstellung durch einen breit angelegten, öffentlichen Partizipationsprozess begleitet werden soll, voraussichtlich nicht den Charakter einer nationalen Sicherheitsstrategie aufweisen. Denn wie bei seinen Vorgängerdokumenten wird dieses Weißbuch, wie Hilmar Linnekamp und Christian Mölling in ihrer Studie prognostizieren, erneut „vor allem einen militärischen Bezug haben“, 32 und damit nicht dem Anspruch einer nationalen Sicherheitsstrategie genügen, die nach politikfeldübergreifender Analyse die sicherheitspolitischen Interessen und Ziele eines Landes festschreibt und diesen die erforderlichen sicherheitspolitischen bzw. zivilen, polizeilichen und militärischen Instrumente und Maßnahmen zuordnet. Da das neue Weißbuch dieses nicht leisten dürfte, ist es folgerichtig, dass die Bundesministerin der Verteidigung von ihm „als das strategische Grundlagendokument der Bundeswehr“ 33 spricht. 29 Vgl. Deutsches Forum Sicherheitspolitik – Konferenz 2013. Abrufbar unter: http://www.terrorschutzamt.com/derpolitische -kommentar/deutsches-forum-sicherheitspolitik-konferenz-2013-ag-2.html (letzter Zugriff: 10. März 2015). 30 Bruhns; Bunde; Irrgang et al. (2009): Die strategische Kultur der deutschen Sicherheitspolitik, a.a.O., S. 3. 31 Lorenz: Nationale Sicherheitsinteressen – Zeitgemäße Strategien – Verschlanktes Weißbuch. Presseerklärung vom 30. Oktober 2014. Abrufbar unter: http://lorenz-cdu.de/pressemitteillungen14103000.html (letzter Zugriff: 10. März 2015). 32 Linnekamp, Hilmar; Mölling, Christian (2015): Das Weißbuch zur Verteidigungspolitik. SWP-Aktuell 21, Februar 2015, S. 2. Abrufbar unter: http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A21_lnk_mlg.pdf (letzter Zugriff: 10. März 2015). 33 Rede der Bundesverteidigungsministerin Dr. Ursula von der Leyen anlässlich der Auftaktveranstaltung Weißbuch 2016 am 17. Februar 2015 in Berlin. Abrufbar unter: http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/04_SB8K8xLLM9 MSSzPy8xBz9CP3I5EyrpHK9pNyydL3y1Mzi4qTS5Az9cJDKlFS95Py81BIQWZKaV5IJJNOLEkvyi_QK8otKckAyp UVFQBm9zBT9SANDFycDQwMYMKyxDAlxs_A1MDZy8XQK0i_IzXUEAHkUMUI!/ (letzter Zugriff: 10. März 2015). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 049/15 Seite 14 Somit könnte der eingeleitete Prozess zur Erstellung des Weißbuchs zwar Grundlagenarbeit für die Erarbeitung einer nationalen Sicherheitsstrategie leisten. Für ihre Entwicklung bedarf es jedoch eines unter zentraler politischer Führung (Bundeskanzleramt) stehenden Prozesses, der unter Einbindung aller Ressorts eine Verbindungslinie von der Bedrohungsanalyse und den gesamtstaatlichen Interessen (Sicherheits-, Wirtschafts-, etc.) zu den für die Bewältigung der sicherheitspolitischen Herausforderungen erforderlichen Instrumenten (nicht nur Bundeswehr) bzw. Maßnahmen zieht. 34 4.3. Nationale Sicherheitsstrategie versus föderatives Prinzip Da der Bund in der Vergangenheit bereits durch Verfassungsänderungen im Bereich der inneren Sicherheit die Kompetenz der Länder beschnitten hat, 35 könnten Verfassungsrechtler befürchten, dass mit einer von der Bundesregierung erarbeiteten nationalen Sicherheitsstrategie der Bund wiederum in die Verantwortlichkeiten der Länder eingreifen könnte Ein gemeinsames Verständnis über die Zielsetzung einer nationalen Sicherheitsstrategie dürfte diese Befürchtungen ausräumen. In diesem Zusammenhang gilt es zu verdeutlichen, dass eine nationale Sicherheitsstrategie, die keinen legislativen Charakter hat, ausschließlich darauf abzielt , die jeweiligen sicherheitspolitischen Verantwortungsbereiche zu verdeutlichen und, ohne dabei den Föderalismus in Frage zu stellen, auf ein abgestimmtes und synergetisches Handeln aller Ressorts und Behörden auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene hinzuwirken. 36 5. Zusammenfassung Die vorliegende Ausarbeitung hat zunächst die bei ausländischen Partnern bereits vorhandenen nationalen Sicherheitsstrategien betrachtet und unter Berücksichtigung vorhandener Analysen deren Zielsetzung und Inhalte verglichen sowie die bei dem Prozess der Entstehung und Umsetzung dieser nationalen Sicherheitsstrategien gesammelten Erfahrungen aufbereitet. Hierbei wurde festgestellt, dass alle strategischen Grundlagendokumente 34 Vgl. Bruhns; Bunde; Irrgang et al. (2009): Die strategische Kultur der deutschen Sicherheitspolitik, a.a.O., S. 3. 35 Beispielsweise hat sich der Bund nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG von den Ländern die ausschließliche Kompetenz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das BKA in solchen Fällen verschafft, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht. aneignen Vgl. Hanning, August (2012): §53 Föderalismus im Politikbereich Innere Sicherheit. In: Härtel, Ines (Hrsg.): Handbuch Föderalismus – Föderalismus als demokratische Rechtsordnung und Rechtskultur in Deutschland, Europa und der Welt, S. 48. Abrufbar unter: http://www.springer.com/cda/content/document/cda_downloaddocument/ 9783642155246-c1.pdf?SGWID=0-0-45-1332701-p174033074 (letzter Zugriff: 10. März 2015). 36 In Anlehnung an: Arteaga, Felix (2008): Roadmap for a Spanish National Security Strategy. Royal Institute Elcano Working Paper ARI 112/2008. Aus dem Spanischen übersetzte, vom Royal Institute Elcano am 16. Januar 2009 online gestellte Englisch-Fassung, Abrufbar unter: http://www.realinstitutoelcano.org/wps/portal/web/rielcano_en/ contenido?WCM_GLOBAL_CONTEXT=/elcano/elcano_in/zonas_in/defense+security/ari112-2008#.VP8E7P6HhsI (letzter Zugriff: 10. März 2015). Vgl. Giegerich; Jonas (2012), Auf der Suche nach best practice?, a.a.O., S. 130. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 049/15 Seite 15 Sicherheit als umfassend ansehen und zunehmend als Kontinuum verstehen, in dessen Mittelpunkt das vernetzte Management von Risiken für die Bevölkerung steht und nicht mehr nur der Schutz von Bevölkerung und Territorium, auf die Klärung der sicherheitspolitischen Verantwortungsbereiche und der Vermeidung von Überschneidungen, Widersprüchen und Lücken abzielen, sicherheitspolitische Ziele und Interessen formulieren und priorisieren, sicherheitspolitische Herausforderungen analysieren und priorisieren sowie der Umsetzung der priorisierten Ziele und der Bewältigung priorisierter Herausforderungen Mittel und Instrumente zuordnen ; unter Führung des Regierungsoberhauptes, unter Einbindung aller Ressorts sowie unter Mitwirkung von Experten entwickelt worden sind, ohne dass die Bevölkerung umfassend an dem Prozess beteiligt wurde, was der Akzeptanz der Ergebnisse nachträglich sein könnte, sowie Wesensmerkmale von Flexibilität und Fähigkeit zur Adaption aufweisen, so dass die Strategie kurzfristig angepasst werden kann, wenn im Rahmen einer kontinuierlichen Strategieüberprüfung festgestellt wird, dass sich die strategischen Vorgaben mit den zugewiesenen Mitteln und Instrumenten nicht erreichen lassen. Der zweite Teil der vorliegenden Arbeit hat sich mit den Argumenten auseinandergesetzt, die die Notwendigkeit einer nationalen deutschen Sicherheitsstrategie unterstreichen. Hierzu lässt sich zusammenfassend festhalten, dass eine nationale deutsche Sicherheitsstrategie erforderlich ist, weil bisher kein strategisches, unter Führung des Bundeskanzleramtes entwickeltes und ressortübergreifend abgestimmtes Grundlagendokument existiert, das die Ziele und Interessen (Sicherheits-, Wirtschafts-, etc.) der Bundesrepublik Deutschland deutlich formuliert und priorisiert, das nach einer ressortübergreifenden Risiko- und Bedrohungsanalyse festlegt, welchen sicherheitspolitischen Herausforderungen, welchen Sicherheits- bzw. Gewaltakteuren sowie welchen geographischen Räumen der sicherheitspolitische Fokus der Bundesregierung gilt, das gegenüber den Ressorts und Behörden diese Prioritätensetzung bei der Bekämpfung der Bedrohungen oder der Abwehr von Gefahren kommuniziert, damit angesichts nur begrenzt verfügbarer Ressourcen die wenigen vorhandenen Mittel gezielt und zwischen den Ressorts und Behörden, aber auch mit den internationalen Partnern, abgestimmt, eingesetzt werden können, das Mittel und Instrumente den sicherheitspolitischen Herausforderungen, Akteuren bzw. geographischen Räumen zuordnet, auf die der sicherheitspolitische Fokus der Bundesregierung gerichtet ist, das damit mehr als die in Federführung des Bundesministeriums der Verteidigung erarbeiteten Weißbücher leistet, die bisher einen vorwiegend militärischen Bezug hatten und voraussichtlich auch weiterhin haben dürften, das festlegt und gegenüber den Verbündeten und Partnern sowie gegenüber der eigenen Bevölkerung kommuniziert, unter welchen Bedingungen (Einsatzarten, Szenarien) die Bundesregierung diese Mittel und Instrumente zur Durchsetzung von Interessen (Sicherheits-, Wirtschafts-, etc.) einzusetzen bereit ist, Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 049/15 Seite 16 das bei klarer Zuordnung der jeweiligen Verantwortungsbereiche in Sicherheitsfragen eine bessere Verzahnung und Zusammenarbeit aller betroffenen Ressorts und Behörden anstößt sowie auf ein abgestimmtes und synergetisches Handeln aller Ressorts und Behörden auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene hinwirkt, das Vorgaben zur adäquaten Koordinierung der Anstrengungen von Bund, Ländern und Gemeinden sowie nichtstaatlichen Organisationen im Bereich der Sicherheit macht, das Vorgaben für die Schaffung eines geeigneten (institutionellen) Rahmens macht, der eine ressortübergreifende Bedrohungs- und Risikoanalyse, Zusammenarbeit und Koordination ermöglicht, das in der Bevölkerung dafür für Verständnis weckt, dass in einzelnen Ausnahmefällen die Identifizierung und Bekämpfung von Bedrohungen mit einer vorübergehenden Einschränkung dieser Grundrechte verbunden sein könnte, das durch seine Schwerpunktsetzung auf bestimmte geographische Räume, Herausforderungen und Bedrohungen der heimischen Rüstungsindustrie in einem gewissen Rahmen Handlungssicherheit im Hinblick auf ihre künftigen Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsaktivitäten gibt, das die Ziele der Europäischen Sicherheitsstrategie für den deutschen Kontext übersetzt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 049/15 Seite 17 Literatur- und Quellenverzeichnis Arteaga, Felix (2008): Roadmap for a Spanish National Security Strategy. Royal Institute Elcano Working Paper ARI 112/2008. Aus dem Spanischen übersetzte, vom Royal Institute Elcano am 16. Januar 2009 online gestellte Englisch-Fassung, Abrufbar unter: http://www.realinstitutoelcano .org/wps/portal/web/rielcano_en/contenido?WCM_GLOBAL_CONTEXT=/elcano/ elcano_in/zonas_in/defense+security/ari112-2008#.VP8E7P6HhsI (letzter Zugriff: 10. März 2015). Bruhns, Malte; Bunde, Tobias; Irrgang, Astrid et al. (2009): Die strategische Kultur der deutschen Sicherheitspolitik: Brauchen wir eine nationale Sicherheitsstrategie? In: Policy Brief – Globale Fragen 08/09, S. 1–9. Hrsg.: Stiftung Neue Verantwortung. Abrufbar unter: http://www.stiftung -nv.de/sites/default/files/0809_policy_brief_strategische_kultur.pdf (letzter Zugriff: 9. März 2015). 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