© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 047/20 Politische und gerichtliche Auseinandersetzungen um Venezuelas Goldreserven und die US-Sanktionen gegen das Land im Kontext der Corona-Krise Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 047/20 Seite 2 Politische und gerichtliche Auseinandersetzungen um Venezuelas Goldreserven und die US-Sanktionen gegen das Land im Kontext der Corona-Krise Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 047/20 Abschluss der Arbeit: 12. Juni 2020 (zugleich letzter Zugriff auf Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 047/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Venezuelas Goldreserven bei der Bank of England 4 2. Vermittlertätigkeit des United Nations Development Programme 5 3. Stand des Verfahrens vor dem Londoner High Court 6 4. Untersuchungen vor dem Internationalen Strafgerichtshof 7 4.1. Stadium der Untersuchungen („Venezuela II“) 8 4.2. Verfahrensrechtliche Hürden für die Untersuchung 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 047/20 Seite 4 1. Venezuelas Goldreserven bei der Bank of England Die Debatte um Venezuelas weltweit gelagerte Goldreserven1 hat Fragen nach der Rechtmäßigkeit einer möglichen Herausgabe von mutmaßlich ca. 31 Tonnen venezolanischem Gold mit einem Marktwert von etwa 1,7 Milliarden Dollar aufgeworfen, die bei der Bank of England lagern.2 Weil sowohl die britische als auch die US-amerikanische Regierung Nicolás Maduro seit 2018 nicht mehr als Staatschef anerkennen3 und die USA Venezuela seit 2014 mit weitreichenden Sanktionen belegen – seit 2017 bestehen auch Sanktionen gegen den Handel mit venezolanischem Gold –, weigert sich die Bank of England seit 2018, die Reserven an die Regierung Maduro auszuhändigen. Aufgrund der anhaltenden Krise im Land sucht die Regierung Venezuelas nach Möglichkeiten, auf andere Weise an das Gold oder an einen seinem Wert entsprechenden Geldbetrag zu gelangen. Aus aktuellen Presseberichten geht hervor, dass Venezuela die Bank of England gebeten hat, einen Teil der Goldreserven zu verkaufen und den erlangten Geldbetrag an das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme, UNDP) zu senden, sodass es der venezolanischen Bevölkerung im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie zugutekommen kann.4 1 Venezolanische Goldreserven waren bis 2011 noch in Tresoren weltweit verteilt. Der damals amtierende Präsident Hugo Chávez änderte dies. Seitdem sind nur noch knapp 60 Tonnen im Ausland verblieben, u.a. in Russland, vgl. DW vom 7. Juni 2019, „Venezuela: Die Spur der Goldreserven“, https://www.dw.com/de/diespur -der-goldreserven-von-venezuela-f%C3%BChrt-um-die-welt/a-49098510. The Guardian vom 28. Mai 2020, „UK court must decide which leader to recognize in Venezuela gold case“, https://www.theguardian.com/world/2020/may/28/uk-court-must-decide-which-faction-to-recognise-invenezuela -gold-case. 2 Reuters vom 27. Mai 2020, „Exclusive: Venezuela reaches deal with U.N. to buy food, medicine with gold - central bank“, https://www.reuters.com/article/us-venezuela-politics-centralbank-exclus/exclusive-venezuelareaches -deal-with-u-n-to-buy-food-medicine-with-gold-central-bank-idUSKBN23333N. Die Bank of England bietet Entwicklungsländern u.a. Goldverwahrungsdienste an, vgl. The Guardian vom 28. Mai 2020, „UK court must decide which leader to recognize in Venezuela gold case“, https://www.theguardian.com/world/2020/may/28/uk-court-must-decide-which-faction-to-recognise-invenezuela -gold-case. 3 Vgl. dazu das Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste WD 2 – 3000 – 017/19 vom 15. Februar 2019 „Rechtsfragen zur Anerkennung des Interimspräsidenten in Venezuela“, https://www.bundestag.de/resource/blob/595056/c8bf53d8fb2a3f163e104a725c732b15/wd-2-017-19-pdfdata .pdf. 4 The New York Times vom 27. Mai 2020, „Exclusive: Venezuela Reaches Deal with U.N. To Buy Food, Medicine with Gold - Central Bank“, https://www.nytimes.com/reuters/2020/05/27/world/americas/27reuters-venezuelapolitics -centralbank-exclusive.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 047/20 Seite 5 Ein Vertreter des UNDP erklärte, Venezuela habe darum gebeten, Möglichkeiten zu prüfen, die im Ausland gehaltenen Ressourcen der venezolanischen Nationalbank für eine Finanzierung der Maßnahmen gegen die Pandemie einzusetzen.5 2. Vermittlertätigkeit des United Nations Development Programme Das UNDP, Exekutivausschuss6 der Generalversammlung mit Sitz in New York, fördert insbesondere die sog. Least Developed Countries durch die Bereitstellung von Beratungskapazitäten, Trainings und finanziellen Mitteln, die überwiegend von den G-7-Staaten bereitgestellt werden.7 Um die globale Entwicklung voranzutreiben, konzentriert sich UNDP u.a. auf Armutsbekämpfung (Förderung internationaler Handelsbeziehungen und ausländischer Investitionen), demokratische Regierungsführung, Energie, Umwelt, den Schutz der Menschenrechte und die allgemeine Krisenprävention.8 Das Entwicklungsprogramm koordiniert UN-Förderprogramme auf nationaler Ebene, u.a. durch die Bereitstellung systemrelevanter Dienstleistungen, und unterstützt die Staaten bei der Umsetzung ihrer Ziele im Hinblick auf nachhaltige Entwicklung.9 Angesichts der COVID-19-Pandemie unterstützt UNDP Venezuela durch den Kauf von Material zur Aufrechterhaltung des Betriebs von 43 Krankenhäusern im Land, in denen Covid-19- Patienten versorgt werden, sichert die medizinische Versorgung der Patienten und erwirbt Schutzmasken und Desinfektionsmittel.10 Zur Unterstützung der Regierung arbeitet UNDP an 5 Ntv online vom 29. April 2020, „Corona-Krise und die Folgen: Venezuela will Gold-Reserven verkaufen“, https://www.n-tv.de/politik/Venezuela-will-Gold-Reserven-verkaufen-article21749575.html. 6 Als Exekutivausschuss kommt dem UNDP eine wichtige Koordinationsfunktion im Entwicklungshilfebereich zu, vgl. Artikel 55 und Artikel 60 der UN-Charta; dazu auch Werner Meng, Kap. IX. Int. Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem u. sozialem Gebiet, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen – Kommentar, München: Beck 1991, Art. 60 Rdnr. 9. 7 UNDP, „UNDP and the UN“, https://www.undp.org/content/undp/en/home/partners/undp-and-the-un.html. UNDP, „Our Funding“, „Top Contributors“, https://www.undp.org/content/undp/en/home/funding/topcontributors .html. 8 Alynna J. Lyon, „Die Entwicklung des UNDP“, in: Zeitschrift Vereinte Nationen 3/2019, S. 124 (125, 127), https://elibrary.bwv-verlag.de/article/99.105025/vn201903012401. 9 UNDP, „UNDP and the UN“, https://www.undp.org/content/undp/en/home/partners/undp-and-the-un.html. 10 UNDP Venezuela Support to the National Response and Recovery to Contain the Impact of COVID-19, vom 1. Mai 2020, https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:egTaUs7va5EJ:https://www.latinamerica.undp.org/co ntent/dam/rblac/docs/COVID-19-Country-Programme/UNDP-RBLAC- VENResponseFiche_CV19.pdf+&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl=de. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 047/20 Seite 6 einem wirtschaftlichen und sozialen Reaktions- und Wiederherstellungsplans, um die sozioökonomischen Auswirkungen während und nach der Pandemie abzuschwächen.11 Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung um die in London gelagerten Goldreserven wird das VN Entwicklungsprogramm als Vermittler zwischen Venezuela und der Bank of England agieren12: UNDP soll das venezolanische Gold verwalten und die britische Zentralbank so dazu bewogen werden, das Gold zum Verkauf freizugeben. Diese Finanzierungsbrücke soll der venezolanischen Bevölkerung zugutekommen und die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie abmildern.13 Vor dem sanktionsrechtlichen Hintergrund sind die Erfolgsaussichten der Vermittlertätigkeit derzeit allerdings noch ungewiss. 3. Stand des Verfahrens vor dem Londoner High Court Darüber hinaus reichte die Banco Central de Venezuela (BCV) am 14. Mai 2020 einen Antrag auf gerichtliche Anordnung einer Zahlung von 930 Mio. EURO,14 entsprechend dem Wert des von der Bank of England gehaltenen Goldes, beim Londoner High Court ein.15 Die Summe solle direkt an das VN Entwicklungsprogramm überwiesen werden.16 11 Daniel Barráez /Ana María Chirinos-Leañez, „The economic impact of COVID-19 on Venezuela: the urgency of external financing“, UNDP Latin America and the Caribbean, Covid-19 Policy Document Series No. 3, März 2020, S. 5 ff., https://www.latinamerica.undp.org/content/rblac/en/home/library/crisis_prevention_and_recovery/el-impactoeconomico -del-covid-19-en-venezuela--la-urgencia-del-.html. 12 Vgl. Law 360, „Competing Venezuelan Gold Claims Slow €930M BoE Dispute“, vom 21. Mai 2020, https://www.law360.com/articles/1275758/competing-venezuelan-gold-claims-slow-930m-boe-dispute. 13 Reuters vom 27. Mai 2020, „Exclusive: Venezuela reaches deal with U.N. to buy food, medicine with gold - central bank“, https://www.reuters.com/article/us-venezuela-politics-centralbank-exclus/exclusive-venezuelareaches -deal-with-u-n-to-buy-food-medicine-with-gold-central-bank-idUSKBN23333N. 14 The Guardian vom 28. Mai 2020, „UK court must decide which leader to recognize in Venezuela gold case“, https://www.theguardian.com/world/2020/may/28/uk-court-must-decide-which-faction-to-recognise-invenezuela -gold-case. 15 High Court of Justice of England and Wales, Banco Central de Venezuela v. The Governor and Company of the Bank of England, Case number CL-2020-000304, vgl. https://www.law360.com/articles/1273107/uk-litigationroundup -here-s-what-you-missed-in-london. Financial Times vom 21. Mai 2020, „Venezuela sues Bank of England over refusal to release gold“, https://www.ft.com/content/b03977ed-4f69-4e55-a3b6-77a8befdd5f3. 16 Law 360, „Competing Venezuelan Gold Claims Slow €930M BoE Dispute“, vom 21. Mai 2020, https://www.law360.com/articles/1275758/competing-venezuelan-gold-claims-slow-930m-boe-dispute. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 047/20 Seite 7 Das Anhörungsverfahren zum Antrag begann am 28. Mai 2020 und wird am 22. Juni 2020 mit den Stellungnahmen zur Vorfrage, welche Partei Venezuela im Verfahren vertreten könne – die Regierung Maduro oder Guaidó – fortgesetzt. Eine Entscheidung über diese Vorfrage wird noch im Juni oder Juli 2020 erwartet.17 Die Erfolgsaussichten des laufenden Gerichtsverfahrens sind völlig offen, die Schriftsätze der Parteien während des Verfahrens vertraulich.18 Vor diesem Hintergrund sei an dieser Stelle festzuhalten, dass die Wissenschaftlichen Dienste sich nicht zu laufenden Gerichtsverfahren äußern können. 4. Untersuchungen vor dem Internationalen Strafgerichtshof Ferner reichte ein Vertreter der venezolanischen Regierung Maduro am 13. Februar 2020 einen Antrag auf Untersuchung der Umstände in Venezuela im Hinblick auf das Sanktionsregime der USA gegen das Land beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag, Niederlande, ein.19 Die Regierung Maduro begehrt damit die Einleitung eines Verfahrens vor dem Gerichthof gegen die Vereinigten Staaten aufgrund umfangreicher Sanktionen, mit welchen diese das Land seit 2014 (einseitig) belegen. Nach Ansicht der Regierung Maduro stellt diese Sanktionspolitik und ihre Folgen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Artikel 7 des Römischen Statuts dar.20 In seinem Antrag bringt Venezuela vor, die US-amerikanischen Sanktionen beträfen auch die Einfuhr von Nahrungsmitteln, Medikamenten und medizinischer Ausrüstung, sodass insbesondere vorerkrankte Menschen (AIDS/HIV, Diabetes) keine Medikamente mehr erhalten könnten. Die Situation im Land gleiche daher einer humanitären Katastrophe.21 17 Financial Times vom 31. Mai 2020, „UK would ‘finance torture’ by giving gold to Venezuela, warns Guaidó“, https://www.ft.com/content/10e7e06f-cfa2-4ba6-aed1-bee2fc4d1c46. The Guardian vom 28. Mai 2020, „UK court must decide which leader to recognize in Venezuela gold case“, https://www.theguardian.com/world/2020/may/28/uk-court-must-decide-which-faction-to-recognise-invenezuela -gold-case. 18 Der Fortgang des Verfahrens kann unter der Fallbezeichnung und Nummer „High Court of Justice of England and Wales, Banco Central de Venezuela v. The Governor and Company of the Bank of England, case number CL-2020-000304“ sowie unter: https://www.law360.com/articles/1273107/uk-litigation-roundup-here-s-whatyou -missed-in-london nachverfolgt werden. 19 Vgl. Pressemitteilung des IStGH, Preliminary examination, Venezuela II, https://www.icc-cpi.int/venezuelaII. 20 Art. 7 IStGH-Statut. Die aktuelle Fassung des IStGH-Statuts in englischer Sprache findet sich unter, https://www.icc-cpi.int/resource-library/Documents/RS-Eng.pdf. 21 Vgl. den Antrag der venezolanischen Regierung an den IStGH vom 12. Februar 2020 in spanischer Sprache („Referral submitted by the Government of Venezuela”), https://www.icc-cpi.int/itemsDocuments/200212- venezuela-referral.pdf. Sowie das Supporting document submitted by the Government of Venezuela zum Antrag in englischer Sprache, https://www.icc-cpi.int/RelatedRecords/CR2020_00802.PDF. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 047/20 Seite 8 4.1. Stadium der Untersuchungen („Venezuela II“22) Der IStGH prüft den Antrag Venezuelas (sog. Unterbreitung einer Situation an den Gerichtshof, „referral“) derzeit daraufhin, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Dabei handelt es sich lediglich um eine vorläufige Überprüfung der Umstände.23 Artikel 14: Unterbreitung einer Situation durch einen Vertragsstaat „(1) Ein Vertragsstaat kann eine Situation, in der es den Anschein hat, dass ein oder mehrere der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen begangen wurden, dem Ankläger unterbreiten und diesen ersuchen, die Situation zu untersuchen, um festzustellen, ob eine oder mehrere bestimmte Personen angeklagt werden sollen, diese Verbrechen begangen zu haben.“24 Insbesondere muss die Anklagebehörde des IStGH gemäß Artikel 53 Abs. 1 des Römischen Statuts Fragen der Zuständigkeit, Zulässigkeit und der Justiziabilität bei seiner Entscheidung über die Einleitung von Ermittlungen berücksichtigen. Dabei bewertet und analysiert sie alle verfügbaren Informationen sowie alle ihr übermittelten Stellungnahmen und Ansichten, Im Rahmen der Generalversammlung der Vereinten Nationen finden immer wieder Debatten zur Frage der Zulässigkeit der Verhängung unilateraler Zwangsmaßnahmen („unilateral coercive measures“) in Einzelfällen statt, etwa im Falle Kubas vgl. Pressemitteilung der VN-Generalversammlung, 73rd Session, 29th Meeting, GA/12085 vom 31. Oktober 2018, https://www.un.org/press/en/2018/ga12085.doc.htm. Ferner Pressemitteilung des Zweiten Hauptausschusses der VN-Generalversammlung, 74th Session, 23rd Meeting, GA/EF/3527 vom 21. November 2019, https://www.un.org/press/en/2019/gaef3527.doc.htm. 22 Die Bezeichnung „Venezuela II“ rührt daher, dass bereits ein Vorgang „Venezuela I“ existiert. Zu Beginn des Jahres 2018 leitete der IStGH bereits eine Voruntersuchung wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen die Regierung Maduro ein, vgl. IStGH-Pressemitteilung, Preliminary examination, Venezuela I, https://www.icc-cpi.int/venezuela; Pressemitteilung der Anklagebehörde des IStGH vom 17. Februar 2020, https://www.icc-cpi.int/Pages/item.aspx?name=200217-otp-statement-venezuela. Geprüft wird hierbei, ob die Regierung seit April 2017 „exzessive Gewalt“ zur Auflösung und Unterdrückung von Demonstrationen angewendet hat und inhaftierte Oppositionelle misshandelt wurden, vgl. ZEIT-online vom 8. Februar 2018, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-02/den-haag-strafgerichtshof-philippinen-venezueladrogenkrieg -anklage. Im Frühjahr und Sommer 2017 waren Zehntausende Demonstranten gegen die Regierung Maduro auf die Straße gegangen; 120 Menschen wurden bei Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften getötet . Dabei könnte es sich um systematische Angriffe gegen die Zivilbevölkerung gehandelt haben – so NZZ online vom 9. Februar 2018, „Der Internationale Strafgerichtshof ermittelt gegen die Philippinen und Venezuela“, https://www.nzz.ch/international/der-weltgerichtshof-ermittelt-gegen-die-philippinen-und-venezuelald .1355714. 23 Die Überweisung einer Situation durch einen Vertragsstaat führt nicht automatisch zur Einleitung von Ermittlungen , vgl. Pressemitteilung des IStGH, Preliminary examination, Venezuela II, https://www.icccpi .int/venezuelaII. 24 Eine deutsche Übersetzung der Vorschriften des IStGH-Statuts findet sich unter, https://www.auswaertigesamt .de/blob/203446/c09be147948d4140dd53a917c2544fa6/roemischesstatut-data.pdf, vgl. Artikel 14, S. 8. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 047/20 Seite 9 einschließlich etwaiger Erkenntnisse der zuständigen nationalen Behörden zu relevanten Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen auf nationaler Ebene. 4.2. Verfahrensrechtliche Hürden für die Untersuchung Verfahrensrechtlich problematisch für die Zulässigkeit des IStGH-Antrags könnte sein, dass die Vereinigten Staaten sich – im Gegensatz zu Venezuela25 – nicht der Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofs unterworfen haben. Die US-Regierung hat das Statut im Jahr 2000 zwar unterzeichnet, zwei Jahre später allerdings die Rücknahme der Unterzeichnung erklärt und es daher auch nicht ratifiziert.26 Allerdings ließ die Berufungskammer des IStGH im März 2020 Ermittlungen hinsichtlich möglicher Kriegsverbrechen in Afghanistan zu, wobei die Anklagebehörde in diesem Fall erstmals auch gegen US-Soldaten und CIA-Mitarbeiter ermitteln kann.27 Daraus könnte man schließen, dass es auch in dieser Sache zu Ermittlungen kommen könnte. Diese können dabei jedoch lediglich im Staatsgebiet eines Mitgliedsstaats erfolgen. 25 „Venezuela signed on 14 October 1998 and deposited its instrument of ratification of the Rome Statute on 7 June 2000“, vgl. States Parties to the Rome Statute, https://asp.icccpi .int/en_menus/asp/states%20parties/latin%20american%20and%20caribbean%20states/Pages/venezuela.as px. 26 Vgl. Coalition for the International Criminal Court Website, „The International Criminal Court and the United States“, http://www.coalitionfortheicc.org/country/united-states. Human Rights Watch vom 6. Mai 2002, „United States ´Unsigning` Treaty on War Crimes Court“, https://www.hrw.org/news/2002/05/06/united-states-unsigning-treaty-war-crimes-court. Eine Übersicht aller Mitgliedsstaaten des Römischen Statuts findet sich unter: https://asp.icccpi .int/en_menus/asp/states%20parties/Pages/the%20states%20parties%20to%20the%20rome%20statute.aspx . Allerdings ließ die Vorverfahrenskammer des IStGH im März 2020 Ermittlungen hinsichtlich möglicher Kriegsverbrechen in Afghanistan zu, wobei die Anklagebehörde in diesem Fall erstmals auch gegen US-Soldaten und CIA-Mitarbeiter ermitteln kann, vgl. IStGH-Pressemitteilung, „Afghanistan: ICC Appeals Chamber authorises the opening of an investigation“, vom 5. März 2020, https://www.icc-cpi.int/Pages/item.aspx?name=pr1516. Ferner ZEIT-online vom 5. März 2020, „Weltstrafgericht lässt Afghanistan-Ermittlungen gegen US-Bürger zu“, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-03/internationaler-strafgerichtshof-afghanistan-kriegsverbrechenermittlungen . 27 Vgl. IStGH-Pressemitteilung vom 5. März 2020, „Afghanistan: ICC Appeals Chamber authorises the opening of an investigation“, https://www.icc-cpi.int/Pages/item.aspx?name=pr1516. Ferner ZEIT-online vom 5. März 2020, „Weltstrafgericht lässt Afghanistan-Ermittlungen gegen US-Bürger zu“, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-03/internationaler-strafgerichtshof-afghanistan-kriegsverbrechenermittlungen . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 047/20 Seite 10 Rein prozessual erscheint es allerdings unwahrscheinlich, dass es zu einer Verurteilung US-amerikanischer Staatsbürger kommt. In materiell-rechtlicher Hinsicht listet Artikel 7 des Römischen Statuts eine Vielzahl einzelner Handlungen auf – etwa Tötung, Ausrottung, Versklavung –, die jeweils ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen, wenn sie im Zuge eines „ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung“ erfolgen.28 So umfasst etwa die „Ausrottung" im Sinne von Artikel 7 Abs. 1 lit. b) des IStGH-Statuts gemäß Abs. 2 lit. b) der Vorschrift „die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen – unter anderem das Vorenthalten des Zugangs zu Nahrungsmitteln und Medikamenten –, die geeignet sind, die Vernichtung eines Teiles der Bevölkerung herbeizuführen“.29 Im Gegensatz zu Kriegsverbrechen können Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch außerhalb bewaffneter Konflikte begangen werden. In der vorliegenden Sache werden sich allerdings Schwierigkeiten in subjektiver Hinsicht ergeben, wonach erforderlich ist, dass ein Täter bezüglich der einzelnen Tathandlung vorsätzlich sowie in Kenntnis des ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung handelt.30 *** 28 William A. Schabas, “Crimes against humanity”, in: ders. (Hrsg.), International Criminal Law, Cambridge University Press 2015, S. 203 (204). Douglas Guilfoyle, International Criminal Law, Oxford University Press 2016, S. 243, 246 ff. 29 Artikel 7 des IStGH-Statuts, https://www.auswaertigesamt .de/blob/203446/c09be147948d4140dd53a917c2544fa6/roemischesstatut-data.pdf, vgl. dort auf S. 4. Vgl. Douglas Guilfoyle, International Criminal Law, Oxford University Press 2016, S. 250 f. 30 Douglas Guilfoyle, International Criminal Law, Oxford University Press 2016, S. 265.