© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 046/19 „Globale Partner“ der NATO Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 046/19 Seite 2 „Globale Partner“ der NATO Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 046/19 Abschluss der Arbeit: 3. April 2019 (zugleich letzter Zugriff auf die Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 046/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Globale NATO-Partner 4 2. Aufnahme von lateinamerikanischen Staaten bzw. globalen NATO-Partnern in die NATO 6 2.1. Bestimmung des NATO-Vertrags 6 2.2. Vertragsänderung 6 2.3. Vertragsrevision 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 046/19 Seite 4 1. Globale NATO-Partner Das Konzept von „Global NATO“ ist vor über einem Jahrzehnt entwickelt worden.1 Dabei handelt es sich um eine Weiterentwicklung der Neuausrichtung der NATO nach dem Ende des Kalten Krieges. Zusätzlich zur Osterweiterung des Bündnisses wurde ein Netz von weltweiten Partnerschaften mit Staaten und Institutionen aufgebaut.2 Eines der dazu entwickelten Formate ist das eines „Globalen Partners“. Zum Kreis dieser Staaten gehört neben Afghanistan, Australien, Irak, Japan, Südkorea, Neuseeland, Pakistan und der Mongolei auch Kolumbien als erstes lateinamerikanisches Land.3 Die einzelnen Partnerstaaten entscheiden selbst über ihr jeweiliges Engagement, sie tragen direkt zu den NATO-geführten Operationen bei und können an den entsprechenden Abstimmungen im Bündnis teilnehmen. Nach dem Willen Washingtons sollen sie auch die nötigen Fähigkeiten , Ressourcen und den politischen Willen für kommende Einsätze aufbauen. Demgegenüber befürchten die europäischen Mitglieder eine Marginalisierung der eigenen Stellung – könnten solche globalen Partner außerhalb der NATO doch einfacher zu US-geführten Missionen herangezogen werden.4 Im Fall Kolumbiens begann der Dialog im Jahr 2013 und führte zu einem im Mai 2017 unterzeichneten individuellen Partnerschafts- und Kooperationsprogramm. Als „gemeinsame Prioritäten “ bewertet man in der NATO: „to develop common approaches to global security challenges such as cyber security, maritime security, and terrorism and its links to organized crime; 1 Ivo H. Daalder/James Goldgeier, Global NATO, in: Brookings, 1.9.2006; https://www.brookings.edu/articles/global-nato/. Zur zwischenzeitlichen Diskussion siehe Michael Clarke, The Global NATO Debate, in: Politique Étrangère 5/2009, S. 57-67; https://www.cairn.info/revue-politique-etrangere-2009-5-page-57.htm. 2 Zu einer detaillierten Übersicht der verschiedenen Formate und jeweiligen Mitglieder siehe NATO: Partners, 11.11.2015; https://www.nato.int/cps/en/natohq/51288.htm. 3 Kolumbien wird "globaler Partner" der NATO, ZDF online vom 26.5.2018, https://www.zdf.de/nachrichten/heute/nato-militaerbuendnis-kolumbien-wird--globaler-partner-100.html Kolumbien wird als erster Staat Lateinamerikas «globaler Partner» der Nato“, NZZ vom 26.5.2018, https://www.nzz.ch/international/kolumbien-wird-als-erster-staat-lateinamerikas-globaler-partner-der-natold .1388972 Roland Peters, „Bürgerkrieg und Kokain. Was will die Nato plötzlich mit Kolumbien?“, ntv vom 4.6.2018, https://www.n-tv.de/politik/Was-will-die-Nato-ploetzlich-mit-Kolumbien-article20462185.html. 4 Henning Riecke/Simon Koschut, Globale NATO – aber wie?, in: Internationale Politik 3, März 2008, S. 63-65; https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/jahrgang-2008/maerz/globale-nato-%E2%80%93- aber-wie, Karl-Heinz Kamp, Partnerschaftsagentur NATO. Wie kann das Bündnis auf die Veränderungen in der arabischen Welt reagieren?, in: Internationale Politik 4, Juli/August 2011, S. 80-85; https://zeitschriftip .dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/jahrgang-2011/juli-august/partnerschaftsagentur-nato. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 046/19 Seite 5 to support peace and security efforts, including human security and to build the capacities and capabilities of the Colombian armed forces.“5 Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Juni 2018 begründete der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos den Schritt damit, der Nordatlantikpakt sei „ein strategischer Partner für Kolumbien, um den Aufbau dieses modernen, neuen Landes weiterzuführen, das wir den nächsten Generationen überlassen wollen“.6 Stoltenberg betonte, man teile gemeinsame Werte und Interessen, zudem habe sich die Kooperation bereits durch die Beteiligung Kolumbiens an der NATO-Operation Ocean Shield am Horn von Afrika als erfolgreich erwiesen. In Anspielung auf den Friedensprozess innerhalb des lateinamerikanischen Staates hoffte er, diese Erfahrung könnte dem Friedens- und Versöhnungsprozess in Afghanistan zugutekommen.7 Zeitgleich zur Vereinbarung mit der NATO trat Kolumbien der OECD bei.8 Beides erklärte Santos in einer Fernsehansprache Ende Mai 2018: „Colombia benefits a lot from being an active part of the international community, many of the problems we face are increasingly global and need the support and collaboration of other countries for their solution,“9 Die konkreten Inhalte der Zusammenarbeit und damit auch die Grenzen einer solchen Partnerschaft sind Gegenstand entsprechender Verhandlungen zwischen der NATO und Kolumbien. Als Orientierung könnten dabei die bestehenden NATO-Partnerschaften (z.B. die seit 1994 existierende Partnership for Peace) dienen. 5 “NATO: Relations with Colombia”, 6.12.2018; https://www.nato.int/cps/en/natohq/topics_143936.htm?selectedLocale=en. Siehe dort auch die Entwicklungsgeschichte der „Globalen Partnerschaft“. 6 Zitiert nach Georg Sturm/Jan Marinko, „Kolumbien tritt OECD und Nato bei; Santos spricht vor Europaparlament “, in: amerika21, vom 4.6.2018, https://amerika21.de/2018/06/202664/santos-eu-parlament-frieden. 7 Ebd. 8 Colombia become a member of the OECD international economic organization, in: DW vom 26.5.2018, https://www.dw.com/en/colombia-to-become-a-member-of-the-oecd-international-economic-organization/a- 43935215. 9 Zitiert nach Reuters, 26.5.2018: “Colombia to be NATO's first Latin American global partner”, https://www.reuters.com/article/us-colombia-nato/colombia-to-be-natos-first-latin-american-global-partnerid USKCN1IR0E8. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 046/19 Seite 6 2. Aufnahme von lateinamerikanischen Staaten bzw. globalen NATO-Partnern in die NATO 2.1. Bestimmung des NATO-Vertrags Die Aufnahme von lateinamerikanischen Staaten in die NATO wäre nach Maßgabe des NATO- Vertrages10 in seiner heutigen Fassung rechtlich nicht möglich. Der Vertrag gilt – darauf deuten u.a. der Vertragsname („Nordatlantikvertrag“), die Präambel11 sowie Art. 6 NATO-Vertrag12 hin – nur für das nordatlantische Gebiet (Europa und Nordamerika) nördlich des Wendekreises des Krebses. 2.2. Vertragsänderung Die Vertragsparteien sind die „Herren der Verträge“. Völkerrechtliche Verträge können gemäß Art. 39 und 40 der Wiener Vertragsrechtskonvention grundsätzlich durch Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien geändert werden, sofern der Vertrag selbst nichts anderes vorsieht . Die Modalitäten für eine Änderung bzw. Überprüfung des NATO-Vertrages sind in Art. 12 NATO-Vertrag vorgesehen, welcher lautet: „Nach zehnjähriger Gültigkeitsdauer des Vertrages und zu jedem späteren Zeitpunkt werden die vertragschließenden Staaten auf das Verlangen eines von ihnen miteinander in eine Beratung über die Abänderung des Vertrages eintreten und hierbei die Faktoren berücksichtigen , die alsdann von Einfluss auf den Frieden und die Sicherheit im nordatlantischen Gebiet sein werden, unter Einschluss der Entwicklung allgemeiner und gebietsmäßig beschränkter Abkommen zur Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit unter den Völkern im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen.“ 10 Nordatlantikvertrag vom 4.4.1949, BGBl. 1955 II, S. 289, deutsche Fassung online abrufbar: http://www.staatsvertraege.de/natov49.htm. 11 Gemäß der Präambel des NATO-Vertrages sind die Vertragsparteien „bestrebt, die Stabilität und Wohlfahrt im nordatlantischen Gebiet zu fördern“ (…). 12 Artikel 6 NATO-Vertrag umreißt den territorialen Anwendungsbereich des Vertrages und lautet: „Als ein bewaffneter Angriff auf einen oder mehrere der vertragschließenden Staaten im Sinne des Artikels 5 gilt ein bewaffneter Angriff auf das Gebiet irgendeines dieser Staaten in Europa oder Nordamerika, auf die algerischen Departements Frankreichs, auf die Besatzungen, die irgendein Vertragsstaat in Europa unterhält, auf die der Gebietshoheit eines Vertragsstaates unterliegenden Inseln im nordatlantischen Gebiet nördlich des Wendekreises des Krebses oder auf die Schiffe und Flugzeuge irgendeines Vertragsstaates innerhalb dieses Gebietes.“ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 046/19 Seite 7 Der NATO-Vertrag ist bislang noch nicht nach Maßgabe von Art. 12 NATO-Vertrag geändert worden.13 Die territoriale Erweiterung der NATO um neue Mitgliedstaaten (zuletzt: Montenegro am 5. Juni 2017) auf derzeit 29 Mitglieder erfolgt durch Unterzeichnung und Ratifizierung der entsprechenden Beitrittsprotokolle. Art. 12 NATO-Vertrag, der wie eine Art „Meta-Norm“ des Vertrages die Modalitäten einer Vertragsänderung regelt und daher selber nicht abgeändert werden kann, sieht vor, dass die Vertragspartner anlässlich einer Vertragsänderung „die Faktoren berücksichtigen, die von Einfluss auf den Frieden und die Sicherheit im nordatlantischen Gebiet sein werden – und zwar unter Einschluss der Entwicklung (…) gebietsmäßig beschränkter Abkommen.“ Art. 12 NATO-Vertrag macht damit deutlich, dass es sich beim NATO-Vertrag um einen gebietsmäßig auf das nordatlantische Gebiet beschränkten Vertrag handelt, dessen Kernelement – die ratio pacti – die Sicherheit im nordatlantischen Gebiet darstellt. Diesen Charakter darf der NATO-Vertrag auch durch eine Vertragsänderung nicht verlieren. Mit seiner gebietsmäßigen Beschränkung unterscheidet sich ein Bündnisvertrag (wie der NATO-Vertrag) von einem auf Universalität angelegten kollektiven Sicherheitsvertrag (wie die VN-Charta). Nur eingedenk der territorialen Beschränkung der NATO-Mitgliedschaft lässt sich wohl auch eine Beistandsverpflichtung (wie in Art. 5 NATO-Vertrag) politisch und militärisch sinnvoll aufrechterhalten.14 Die ratio des NATO-Vertrages stünde damit nicht nur der Aufnahme von Staaten außerhalb des nordatlantischen Gebietes, sondern auch einer Änderung des Vertrages, die eine solche Aufnahme ermöglichen soll, entgegen. 2.3. Vertragsrevision Von der Vertragsänderung (amendment), die sich auf einzelne Vertragsbestimmungen bezieht, ist die sog. Vertragsrevision zu unterscheiden, welche den gesamten Vertrag betrifft.15 13 Durch Beschluss des Nordatlantikrates vom 16. Januar 1963 wurden im Artikel 6 (i) NATO-Vertrag die Worte „auf die algerischen Departements Frankreichs“, mit Wirkung vom 3. Juli 1962 für gegenstandslos erklärt. Nach der Unabhängigkeit Algeriens im Juli 1962 war diese „Vertragsanpassung“ notwendig geworden. Diese erfolgte durch „internen“ Beschluss der Vertragsorgane (NATO-Rat), ohne dass es dafür eines Vertragsänderungsverfahrens (mit Ratifikation etc.) i.S.v. Art. 12 NATO-Vertrag bedurft hätte. 14 So löste die militärische Besetzung der von Argentinien (seit 1833) beanspruchten, aber als Britisches Überseegebiet (British Overseas Territories) unter der Souveränität Großbritanniens stehenden Falklandinseln (span.: Islas Malvinas) durch Argentinien am 2.4.1982 den NATO-Bündnisfall zugunsten des NATO-Mitglieds Großbritannien nicht aus, da sich die Falklandinseln auf der südlichen Halbkugel (Südatlantik) befinden. 15 Näher Heintschel v. Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München: Beck, 7. Aufl. 2018, §16 Rdnr. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 046/19 Seite 8 Eine Vertragsrevision, die aus einem „Nordatlantikvertrag“ einen „Atlantikvertrag“ machen und damit praktisch einen „neuen“ Vertrag schaffen würde, der auch offen für den Beitritt lateinamerikanischer Staaten wäre, ist juristisch zwar denkbar, politisch aber doch eher abwegig. ***