© 2017 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 046/17 Verbot der Durchführung eines türkischen Referendums in Deutschland zum Thema „Einführung der Todesstrafe in der Türkei“ Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Durchsetzung einer möglichen Genehmigungsverweigerung der Bundesregierung gegenüber der Türkei, ein Referendum in Deutschland abzuhalten 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 046/17 Seite 4 1. Völker- und verfassungsrechtliche Beurteilung einer Genehmigung der Bundesregierung zur Durchführung eines türkischen Referendums in Deutschland Die Durchführung von Wahlen und Referenden ausländischer Staaten auf deutschem Boden bedarf einer Genehmigung durch die Bundesregierung.1 Diese trifft insoweit eine politische Ermessensentscheidung, die in der Vergangenheit meist positiv ausgefallen ist.2 Im Fall eines möglichen Todesstrafen-Referendums könnte dieser Spielraum an seine Grenzen stoßen. Ein verfassungsrechtliches Verbot für die deutsche Regierung, ein solches Referendum zu genehmigen, könnte sich aus Art. 102 GG ergeben. Die Norm stellt zwar nur fest, dass „die Todesstrafe abgeschafft (ist).“ Gleichwohl begründet das Grundgesetz eine Werteordnung, in dessen Lichte seine Bestimmungen auszulegen sind.3 An dieser Werteordnung – dazu zählt u.a. das Bekenntnis zu den internationalen Menschenrechte (Art. 1 Abs. 2 GG) und die Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) – müssen sich die Akte deutscher Staatsgewalt messen lassen; dazu zählt auch eine vom Auswärtigen Amt auszusprechende Genehmigung für die Durchführung eines ausländischen Referendums in den jeweiligen Auslandsvertretungen auf deutschem Boden. Die Werteordnung des Grundgesetzes strahlt aber unter bestimmten Umständen auch ins Ausland aus (vgl. insbesondere die sog. extraterritoriale Wirkung deutscher Staatsgewalt). Diese rechtsdogmatische Konstruktion findet sich etwa beim sog. „refoulement“-Verbot,4 also dem Verbot der Auslieferung eines Straftäters durch deutsche Behörden in ein Land, wo dem Auszuliefernden eine unmenschliche Behandlung, Folter oder die Todesstrafe droht. Die extraterritorialen Folgen deutscher Genehmigungen sind über dies u.a. bei den Genehmigungen von Rüstungsexporten nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz (Art. 26 Abs. 2 GG) zu bedenken.5 1 Vgl. Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste v. 21.4.2017, WD 2 - 3000 - 039/17, „Mitwirkung einer ausländischen konsularischen Vertretung bei Wahlen und Abstimmungen des Entsendestaates“, S. 3. 2 Schorkopf weist in einem Interview in Spiegel-online v. 9.5.2017 („Dürfte Erdogan in Deutschland über die Todesstrafe abstimmen lassen?“, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/tuerkei-duerfte-erdogan-indeutschland -ueber-todesstrafe-abstimmen-lassen-a-1146781.html) darauf hin, dass das Auswärtige Amt 2014 die Durchführung der syrischen Präsidentschaftswahlen in den syrischen Auslandsvertretungen in Deutschland mit der Begründung abgelehnt habe, es handele sich nicht um eine demokratisch legitimierte Wahl. 3 Dazu Sachs, in: Ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, München, 7. Aufl. 2014, vor Art. 1, Rdnr. 66. 4 Dazu näher Sinner, in: Karpenstein/Mayer (Hrsg.), EMRK-Kommentar, München, 2. Aufl. 2015, Art. 3, Rn. 24 f. 5 So darf eine kriegswaffenrechtliche Genehmigung durch die Bundesregierung auf keinen Fall erteilt werden, wenn die Gefahr droht, dass mit den Waffen friedensstörende Handlungen i.S.v. Art. 26 Abs. 1 GG vorgenommen werden sollen (so Jarass/Pieroth, Grundgesetz-Kommentar, München, 13. Aufl. 2014, Art. 26, Rdnr. 11). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 046/17 Seite 5 Anknüpfungspunkt für die etwaige Verfassungswidrigkeit einer Auslieferung ins Ausland oder der Exportgenehmigung von Rüstungsgütern bleibt zwar formal der Akt deutscher Staatsgewalt; gerade das „refoulement“-Verbot macht jedoch deutlich, dass unter bestimmten Umständen die Situation im Ausland am Maßstab auch der deutschen Werte und des deutschen Grundgesetzes gemessen werden muss. Zwar lässt sich die Werteordnung des deutschen Rechts nicht ohne weiteres auf ein ausländisches Rechtssystem übertragen (gewissermaßen: „aufoktroyieren“).6 Doch im Falle der Türkei ist festzuhalten, dass diese selber Mitglied der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist und das 6. Zusatzprotokoll zur EMRK vom 22.10.20107 unterzeichnet hat, welches in seinem Art. 1 die Abschaffung der Todesstrafe statuiert. Der Durchsetzungsmechanismus der EMRK, insbesondere die Möglichkeit einer Staatenbeschwerde nach Art. 33 EMRK, machen deutlich, dass es sich bei der EMRK um eine Rechts- und Wertegemeinschaft handelt, die zwischen den Vertragsstaaten gegenseitig „eingeklagt“ werden kann. Es widerspräche dem „Geist“ der Konvention, wenn ein Staat daran mitwirken würde, einen Konventionsverstoß in einem anderen Mitgliedstaat zu ermöglichen oder gar zu fördern. Die Abhaltung eines Referendums ist zwar für sich genommen eine „neutrale“ – und demokratisch legitimierte – Angelegenheit; doch kann ein Referendum nicht losgelöst von seinem Gegenstand betrachtet werden. Legt man die Regelung des Art. 102 GG (Unzulässigkeit der Todesstrafe) im Lichte der Menschenrechtsverpflichtungen Deutschlands aus der EMRK, im Lichte der Völkerrechtsfreundlichkeit unserer Verfassung8 und im Lichte der Werteordnung des Grundgesetzes aus, so kann man zu dem Ergebnis kommen, dass ein Akt deutscher Staatsgewalt – d.h. die Genehmigung eines Referendums – nicht an der Einführung der Todesstrafe in einem anderen EMRK-Mitgliedstaat mitwirken darf.9 6 Vgl. zur Diskussion um einen deutschen „Grundrechtsimperialismus“, um einen sog. „Grundrechtsoktroi“ (insb. einen octroi der Wertung des Art. 102 GG) bzw. um eine „planetarische Grundrechtsverantwortung“ Becker, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts (HBdStR) Bd. XI, Internationale Bezüge, Heidelberg : Müller, 3. Aufl. 2013, § 240 (Grenzüberschreitende Reichweite deutscher Grundrechte), Rdnr. 24 ff. Das BVerfG wollte in einer frühen Auslieferungsentscheidung (E 18, 112 (117 f.)) offenbar noch ein moralisches Urteil über Staaten vermeiden, welche die Todesstrafe vollstrecken (anders aber schon BVerfGE 60, 348, 354). Für eine extraterritoriale Grundrechtsverantwortung auch Geck, JuS 1965, 221 (227 ff.); einschränkend Gusy, in: v.Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III. Art. 102, Rdnr. 26. 7 BGBl. II, S. 1198 (1223). 8 Zum Auslegungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit vgl. Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar , München, 7. Aufl. 2014, Art. 24, Rdnr. 6. 9 Vgl. zur extraterritorialen Wirkung im Zusammenhang mit dem Verbot der Todesstrafe Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, München, 7. Aufl. 2014, Art. 102, Rdnr. 4 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 046/17 Seite 6 2. Durchsetzung einer möglichen Genehmigungsverweigerung der Bundesregierung gegenüber der Türkei, ein Referendum in Deutschland abzuhalten Es scheint derzeit eher unwahrscheinlich, dass der türkische Präsident überhaupt ein Referendum über die Einführung der Todesstrafe in Deutschland abhalten will und das Auswärtige Amt dahingehend um eine Genehmigung ersuchen wird. Die Bundesregierung hat sich – vorsorglich – dahingehend positioniert, dass sie ein solches Referendum in Deutschland nicht genehmigen würde.10 Eine Genehmigungsverweigerung bezüglich eines Referendums in den türkischen Auslandsvertretungen in Deutschland wäre nur schwer durchzusetzen, sollte sich die türkische Seite dem Verbot widersetzen und ein Referendum ohne Genehmigung in den türkischen Auslandsvertretungen durchführen.11 Die Türkei würde damit gegen ihre völkerrechtlichen Pflichten aus Art. 55 Abs. 2 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (WÜK) vom 24. April 196312 verstoßen, aber es gibt keine festgeschriebenen Rechtsfolgen für diesen Fall. Ein gewaltsames Eindringen auf das Gelände des türkischen Konsulats durch deutsche Sicherheitskräfte würde die Unverletzlichkeit der ausländischen Mission verletzen. Nach Auffassung von Schorkopf wäre es theoretisch möglich, dass man die Wähler davon abhält, überhaupt auf das Gelände der türkischen Vertretungen zu gelangen. Die Reaktion läge aber allein im Ermessen der Bundesregierung .13 *** 10 „Regierung würde Todesstrafen-Referendum in Deutschland verbieten“, Spiegel-online v. 5.5.2017, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/recep-tayyip-erdogan-bundesregierung-wuerde-tuerkischestodesstrafen -referendum-in-deutschland-verbieten-a-1146290.html; „Merkel lehnt türkisches Todesstrafen- Referendum in Deutschland ab“, Focus-online v. 9.5.2017,http://www.focus.de/politik/deutschland/todesstrafein -der-tuerkei-merkel-lehnt-tuerkisches-todesstrafen-referendum-in-deutschland-ab_id_7107610.html. 11 Es ist fraglich äußerst zweifelhaft, ob die Türkei diplomatisch soweit eskalieren würde. Immerhin bedarf ein Referendum einer gewissen Vorbereitung (Ankündigung in den Medien etc.). Einfacher wäre es für die Türkei, die Briefwahl verfassungsrechtlich wieder zu ermöglichen. Die Beteiligung an einem Referendum per Briefwahl sieht Deutschland nicht als hoheitlichen Akt an und stellt sie deshalb nicht unter Erlaubnisvorbehalt. 12 BGBl. 1969 II, S. 1585 (1587). 13 Schorkopf in einem Interview in Spiegel-online v. 9.5.2017 („Dürfte Erdogan in Deutschland über die Todesstrafe abstimmen lassen?“), http://www.spiegel.de/politik/deutschland/tuerkei-duerfte-erdogan-in-deutschlandueber -todesstrafe-abstimmen-lassen-a-1146781.html.