WD 2 - 045/20 (11. Mai 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unilaterale Sanktionen gegenüber einem anderen Staat (völkerrechtlich spricht man von sog. „Gegenmaßnahmen“) setzen gem. Art. 49 ff. des ILC-Artikelentwurfs über das Recht der Staatenverantwortlichkeit (2001)1 zunächst einmal ein vorwerfbares völkerrechtswidriges Vorverhalten des sanktionierten Staates (hier ggf. China) voraus.2 Art. 51 ILC-Artikelentwurf verlangt in der Folge ein verhältnismäßiges Vorgehen des sanktionierenden Staates (hier ggf. die USA);3 eine Gegenmaßnahme darf überdies nicht gegen zwingendes Völkerrecht verstoßen. Auch Repressalien zur „Bestrafung“ des sanktionierten Staates wären unzulässig. Wirtschafts- und Handelssanktionen wären rechtlich grundsätzlich möglich; militärische Sanktionen sind dagegen regelmäßig völkerrechtswidrig (Art. 50 Abs. 1 lit. a) ILC-Artikelentwurf). Über die noch ungeklärte „Schuldfrage“ Chinas (insb. ein völkerrechtswidriges Verhalten im Zusammenhang mit der Pandemie Anfang 2020) lassen sich angesichts der aktuellen Faktenlage allerdings derzeit nur Spekulationen anstellen.4 Auch etwaige Sanktions-Absichten der USA gegen China erscheinen noch zu unkonkret, um sich etwa zur Frage nach der Verhältnismäßigkeit rechtlich äußern zu können. VN-Sanktionen gegen die Vetomacht China sind dagegen politisch kaum realisierbar. 1 Artikelentwurf für die Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln, angenommen von der Völkerrechtskommission (International Law Commission - ILC) auf ihrer 53. Sitzung (2001). Text auf Deutsch abrufbar unter: http://eydner.org/dokumente/darsiwaev.PDF. Der Artikelentwurf spiegelt weitgehend Völkergewohnheitsrecht im Bereich der Staatenverantwortlichkeit wider. 2 Art. 49 Abs. 1 ILC-Artikelentwurf lautet: „Ein benachteiligter Staat kann nur Gegenmaßnahmen gegen einen Staat, der für ein völkerrechtswidriges Handeln verantwortlich ist, ergreifen, um diesen Staat zu veranlassen, seine Verpflichtungen nach dem Zweiten Teil einzuhalten.“ Zu den weiteren rechtlichen Voraussetzungen einer Gegenmaßnahme vgl. v. Arnauld, Völkerrecht, Heidelberg: Müller, 4. Aufl. 2019, Rdnr. 421 ff. 3 Art. 51 ILC-Artikelentwurf lautet: „Gegenmaßnahmen müssen unter Berücksichtigung der Schwere des völkerrechtswidrigen Handelns und der fraglichen Rechte in einem angemessenen Verhältnis zu dem erlittenen Nachteil stehen.“ 4 Vgl. dazu Gutachten WD 2 – 3000 – 037/20 vom 5. Mai 2020, „Die Corona-Pandemie im Lichte des Völkerrechts (Teil 1). Zum rechtlichen Rahmen für Schadensersatzklagen gegen die Volksrepublik China“, S. 16 ff. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Zu möglichen US-Sanktionen gegen China wegen COVID-19 Kurzinformation Zu möglichen US-Sanktionen gegen China wegen COVID-19 Fachbereich WD 2: (Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Auf etwaige unilaterale Sanktionen der USA wird China aller Wahrscheinlichkeit nach mit entsprechenden Gegenmaßnahmen (Handelssanktionen, Zölle u.a.m.) reagieren. Ein möglicher sanktionsbewehrter „Schlagabtausch“ zwischen den Supermächten wird mangels gerichtlicher Zuständigkeit (Jurisdiktion) voraussichtlich nie vor dem IGH rechtlich überprüft werden. „Drittstaaten“ (z.B. Deutschland) könnten theoretisch als unbeteiligte Mediatoren (Vermittler) in einem Sanktionen-Streit zwischen zwei Staaten hinzugezogen werden, wenn die Streitparteien dazu bereit sind. Dies erscheint bei etwaigen „COVID-19 Sanktionen“ der USA gegen China politisch aber nur schwer vorstellbar. Ansonsten haben Drittstaaten – ebenso wie der IWF oder die Weltbank – rechtlich keine Kompetenzen, bilaterale Sanktionsstreitigkeiten zwischen zwei anderen Staaten zu schlichten oder ihnen in welcher Weise auch immer „entgegenzuwirken“. Solche „Schlichtungs“-Aufgaben fallen nach dem Willen der VN-Charta in die Zuständigkeit des VN-Sicherheitsrats, dessen Möglichkeit zur friedlichen Streitbeilegung nach Art. 33 ff. VN-Charta aber letztlich von der Zustimmung der Streitparteien (hier: der Vetomächte USA und China) abhängt. Auch der VN-Generalsekretär hat gewohnheitsrechtlich (obwohl in der VN-Charta nicht erwähnt) die Möglichkeit, sog. „gute Dienste“ (good offices) im Sinne friedlicher Streitvermittlung anzubieten.5 *** 5 Vgl. zur Streitbeilegung im VN-Rahmen v. Arnauld, Völkerrecht, Heidelberg: Müller, 4. Aufl. 2019, Rdnr. 441 ff.