© 2017 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 044/17 Bestandsschutz für Landschaftsschutzgebiete nach Art. 11 des Naturschutzprotokolls zur Alpenkonvention Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Mai 2017 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 044/17 Seite 3 Die Alpenkonvention ist ein Rahmenübereinkommen, welches durch mehrere Durchführungsprotokolle – darunter das Protokoll „Naturschutz und Landschaftspflege“ (NatSchProt)1 – konkretisiert wird.2 Die Alpenkonvention und ihre Protokolle sind von Deutschland ratifiziert worden .3 Die Alpenkonvention enthält eine Reihe von Vorschriften, die sich in erster Linie an den Gesetzgeber des jeweiligen Vertragsstaates richten. Die Konvention als solche stellt somit kein unmittelbar anwendbares Recht dar; sie ist nicht „self-executing“, d.h. aus sich heraus vollziehbar.4 Aus der Alpenkonvention selbst lassen sich daher keine für deutsche Behörden unmittelbar anwendbaren und rechtsverbindlichen naturschutzrechtlichen Regelungen entnehmen.5 Fraglich ist dagegen, ob Art. 11 NatSchProt eine solche unmittelbare rechtliche Wirkung entfaltet . Dies ist generell der Fall, wenn eine Norm nach Inhalt, Zweck und Formulierung hinreichend bestimmt ist und keiner weiteren Ausführungsbestimmung bedarf. Art. 11 NatSchProt betrifft Landschafts- und Naturschutzgebiete und bestimmt: (1) „Die Vertragsparteien verpflichten sich, bestehende Schutzgebiete im Sinne ihres Schutzzwecks zu erhalten, zu pflegen und, wo erforderlich, zu erweitern sowie nach Möglichkeit neue Schutzgebiete auszuweisen. Sie treffen alle geeigneten Maßnahmen, um Beeinträchtigungen oder Zerstörungen dieser Schutzgebiete zu vermeiden.“ 1 Text verfügbar unter: http://www.alpconv.org/de/convention/framework/Documents/protokoll_d_naturschutz.pdf?AspxAutoDetectC ookieSupport=1. 2 Vgl. dazu näher Schroeder, Werner, Die Alpenkonvention – Inhalt und Konsequenzen für das nationale Umweltrecht , in: Natur und Recht, NuR (Zeitschrift) 2006, S. 133 (136), https://link.springer.com/article/10.1007/s10357-006-0908-0. 3 Zustimmungsgesetze vom 29. September 1994 (BGBl II, S. 2538) und vom 16. August 2002 (BGBl II, S. 1785). 4 Schroeder, Werner, Die Alpenkonvention – Inhalt und Konsequenzen für das nationale Umweltrecht, Natur und Recht, NuR (Zeitschrift) 2006, S. 133 (137). 5 Herrschende Auffassung, vgl. Fischer-Hüftle; in: Engelhardt/Brenner/Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt, 36. Auflage 2014, Art. 2 BayNatSchG, Rn. 6; Norer, Die Alpenkonvention aus rechtlicher Sicht. Ein Beitrag zum Jahr der Berge 2002, in: AgrarR 2002, 205, 206; Schroeder, Die Alpenkonvention - Inhalt und Konsequenzen für das nationale Umweltrecht, in: NuR 2006, 133, 137; Söhnlein, 20 Jahre Alpenkonvention - Bilanz und Perspektiven aus juristischer Sicht, in: BayVBl 2013, 105. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 044/17 Seite 4 Während der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVGH) die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 11 Abs. 1 NatSchProt verneint,6 wird sie von der Literatur sowie durch das Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste vom 4. Juli 2016 bejaht.7 Vor dem Hintergrund einer unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 11 Abs. 1 NatSchProt vertritt die Literatur zum Teil die Auffassung, dass aus der Formulierung „bestehende Schutzgebiete erhalten“ folgt, dass spürbare Verkleinerungen der Schutzgebietsfläche ausgeschlossen sind. Teilweise wird sogar angenommen, dass Art. 11 NatSchProt zum Bestandsschutz (im Sinne eines absoluten Erhaltungsgebotes) verpflichtet.8 Diese Auslegung ist indes nicht zwingend. So ließ der BayVGH in seinem Urteil vom 13. September 2012 eine – maßvolle – Verkleinerung von Flächen eines Landschaftsschutzgebietes zu. Dem Urteil lag eine Popularklage zugrunde, bei der es um Eingriffe in das Naturschutzgebiet „Gartenlandschaft um Miesbach“ ging. Durch die bayerische Landschaftsschutzgebietsverordnung , die der BayVGH am Maßstab der bayerischen Verfassung zu überprüfen hatte, sollten bestimmte Flächen aus dem Landschaftsschutzgebiet herausgenommen werden. Der Gerichtshof untersuchte mit Blick auf das Rechtsstaatsgebot, ob sich ein Verbot, Flächen aus dem Geltungsbereich von Landschaftsschutzgebieten herauszunehmen, aus der Alpenkonvention und Art. 11 NatSchProt entnehmen lässt und stellte zur unmittelbaren Anwendbarkeit des NatSchProt fest: „Ob dieser Bestimmung ein zwingendes Verbot entnommen werden kann, Schutzgebiete zu verkleinern, wird in der Literatur nicht eindeutig beantwortet. Nach Schroeder (BayVBl 2004, 161/165) ist Art. 11 ProtNatSch gegenüber anderen Regelungen dieses Protokolls „klarer formuliert“. An anderer Stelle (NuR 2006, 133/137) meint Schroeder, dass die Protokolle zur Durchführung der Alpenkonvention grundsätzlich über die notwendigen Eigenschaften eines völkerrechtlichen Vertrags mit „self-executing“-Charakter verfügen. Sie seien unmittelbar durch nationale Behörden und Gerichte anwendbare Vorschriften. 6 Bayerischer Verfassungsgerichtshof (BayVGH), Entscheidung vom 13. September 2012 – Vf. 16-VII-11 –, juris Rn. 89, http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2012-N-57002?hl=true. 7 Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste vom 4. Juli 2016, WD 2 - 3000 - 080/16, „Zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Durchführungsprotokolle zur Alpenkonvention“, S. 11 (Anlage). Vgl. aus der Literatur Söhnlein , 20 Jahre Alpenkonvention – Bilanz und Perspektiven aus juristischer Sicht, in: Bayerische Verwaltungsblätter (BayVBl.) 2013, S. 105 (106); für eine unmittelbare Anwendung auch Markus, Till, Verbindlicher internationaler Bodenschutz im Rahmen der Alpenkonvention, in: Zeitschrift für Umweltrecht (ZUR) 2015, S. 214-221 (218). Vgl. grundsätzlich auch Rainer Wolf, Völkerrechtliche Grundlagen des deutschen Naturschutzrechts, ZUR 2017, S. 3-16 (15). 8 So Söhnlein, 20 Jahre Alpenkonvention – Bilanz und Perspektiven aus juristischer Sicht, in: Bayerische Verwaltungsblätter (BayVBl.) 2013, S. 105 (110). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 044/17 Seite 5 Diese Aussage wird aber sogleich eingeschränkt durch die Anforderung, dass sie nach Inhalt, Zweck und Formulierung hinreichend bestimmt sein müssen und keiner weiteren Anwendungsvorschriften bedürfen. Fischer-Hüftle (a.a.O., RdNr. 8 zu Art. 2 BayNatSchG) führt einerseits aus, die teilweise oder völlige Aufhebung eines Schutzgebiets zugunsten anderer Nutzungen sei wegen Art. 11 ProtNatSch nicht möglich. Andererseits räumt er ein, dass sich bei großflächigen Landschaftsschutzgebieten das Problem ergebe, dass manche Gebietsteile von minderer Schutzwürdigkeit sein könnten und ihre Ausgliederung nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt sein könnte, um eine Nutzung zu ermöglichen, für die schwerwiegende Gründe sprächen. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH vom 16.3.2010 Az. 15 N 04.1980) erfüllt das nationale Recht grundsätzlich die in den Durchführungsprotokollen der Alpenkonvention formulierten Anforderungen. Im Regelfall ist somit durch die Anwendung der nationalen Gesetze die Umsetzung der Alpenkonvention seitens der Exekutive und der Gerichte gewährleistet. Unmittelbare Rechtswirkung entfaltet Art. 11 Abs. 1 ProtNatSch danach nicht. Bereits der Wortlaut der Bestimmung, der zur Erhaltung von bestehenden Schutzgebieten im Sinn ihres Schutzzwecks verpflichtet, spricht dafür, dass insbesondere bei großflächigen Schutzgebieten, bei denen die Schutzwürdigkeit der erfassten Flächen nicht einheitlich zu bestimmen ist, die Herausnahme von Flächen zulässig ist. Auch erscheint es nicht naheliegend, dass die vertragsschließenden Staaten weite Teile ihres Staatsgebiets derart unter zwingenden Schutz stellen wollten, dass jede Verkleinerung von Landschaftsschutzgebieten zugunsten anderer Staatsziele, wie der Verbesserung der Infrastruktur, Schaffung von Bauland, Ansiedlung von Gewerbe, ausgeschlossen wäre. So umfassen beispielsweise Landschaftsschutzgebiete etwa 30 v. H. der Gesamtfläche Deutschlands (vgl. Leisner, BayVBl 2012, 353). Der Anteil der Landschaftsschutzgebiete an der Gesamtfläche der Alpenregion dürfte jedenfalls nicht darunter liegen. Da die Änderungsverordnungen aber gerade ein großflächiges Schutzgebiet betreffen, lässt sich nicht feststellen, dass der Normgeber offensichtlich den Bereich der Rechtsordnung des Bundes verlassen hat.“9 Zu diesem Urteil ist folgendes anzumerken: Entscheidungen des BayVGH binden formell nur die Behörden und Instanzgerichte des Bundeslandes Bayern; sie stellen keine für die Vertragsparteien der Alpenkonvention völkerrechtlich verbindliche Auslegung des NatSchProt dar. Gleichwohl sind die staatlichen Behörden und Gerichte gem. Art. 22 NatSchProt dazu aufgerufen, die „Durchführung des Protokolls im Rahmen der geltenden staatlichen Ordnung sicherzustellen“. Die Interpretation von Völkervertragsrecht durch staatliche Gerichte leistet als Teil der deutschen Völkerrechtspraxis einen entscheidenden Beitrag zur Inkorporation des Völkerrechts in die staatliche (deutsche) Rechtsordnung. 9 BayVGH München, Entscheidung v. 13.09.2012 – Vf. 16-VII/11, Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 044/17 Seite 6 Folgt man insoweit der Auslegung von Art. 11 NatSchProt durch den BayVGH, so lässt sich aus dieser Norm kein verbindlicher Bestandschutz im Sinne eines absoluten Erhaltungsgebotes für Landschaftsschutzgebiete herleiten. Indes erscheint die Rechtsprechung des BayVGH nicht per se „naturschutzfeindlich“. Das Gericht verkennt nicht, „dass punktuelle Eingriffe in das Landschaftsschutzgebiet ohne koordinierte Planung die Gefahr einer schleichenden Erosion des Schutzgebiets in sich bergen. Gleichwohl erscheint angesichts der Größe der verbleibenden, unter Schutz gestellten Flächen die Grenze noch nicht überschritten, von der an der Schutzzweck der Landschaftsschutzgebietsverordnung nicht mehr zu erreichen ist“ (vgl. den amtlichen Leitsatz). Sinn und Zweck des Art. 11 NatSchProt – also die Erhaltung von Naturschutzgebieten – bleiben bei dem Judikat des BayVGH nicht unberücksichtigt; sie erfahren aber im Ergebnis eine zulässige Einschränkung. Der Gerichtshof geht nämlich mit Blick auf den Wortlaut von Art. 11 NatSchProt („Schutzgebiete … erhalten“) zwar nicht von einem absoluten, wohl aber von einem relativen Erhaltungsgebot für Naturschutzgebiete aus. Dies bedeutet, dass die Verkleinerung von Flächen eines Schutzgebietes zwar nicht generell verboten ist, aber mit Blick auf die Gesamtgröße des Naturschutzgebietes verhältnismäßig bleiben muss. ***