© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 041/20 Zu Fragen der Stationierung von taktischen Atomwaffen in Deutschland im Rahmen der nuklearen Teilhabe Ergänzungsmaterial zum Sachstand WD2 - 3000 - 035/20 Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 041/20 Seite 2 Zu Fragen der Stationierung von taktischen Atomwaffen in Deutschland im Rahmen der nuklearen Teilhabe Ergänzungsmaterial zum Sachstand WD2 - 3000 - 035/20 Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 041/20 Abschluss der Arbeit: 20. Mai 2020 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 041/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Polens Botschafterin in den USA: Polen könnte Atomwaffen von Deutschland übernehmen 4 3. US-Botschafter Grenell fordert Investitionen Deutschlands in die nukleare Teilhabe 5 4. Die Bundesregierung bekennt sich zur NATO und zur nuklearen Teilhabe 6 5. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich spricht sich gegen Atomwaffen in Deutschland aus 7 6. ECFR: Verzicht auf die nukleare Teilhabe würde den Einfluss Deutschlands schmälern 8 7. RUSI kritisiert die geplante Anschaffung der F-18 durch Deutschland 9 8. NATO-Russland Grundakte: Keine Atomwaffen im Hoheitsgebiet neuer Mitglieder 10 9. Europäische Option 10 10. Zahlen im Überblick 12 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 041/20 Seite 4 1. Einführung Diese Dokumentation versteht sich als Ergänzung zum gleichnamigen Sachstand vom 29. April 2020 und greift Argumente der aktuellen Debatte auf.1 2. Polens Botschafterin in den USA: Polen könnte Atomwaffen von Deutschland übernehmen Am 15. Mai 2020 teilte die polnische Botschafterin in den USA Georgette Mosbacher auf Twitter mit, dass Polen US-Atomwaffen übernehmen könne: „Wenn Deutschland die nuklearen Fähigkeiten verringern und die NATO schwächen will, vielleicht könnte Polen – das seinen gerechten Anteil zahlt, die Risiken versteht und sich an der Ostflanke der NATO befindet – die Fähigkeiten hier unterbringen“.2 3 1 Zu Fragen der Stationierung von taktischen Atomwaffen in Deutschland im Rahmen der nuklearen Teilhabe, Sachstand, Bundestag, Drucksache WD 2 - 3000 - 035/20 vom 29. April 2020. 2 Übersetzung des Verfassers. 3 Georgette Mosbacher (@USAmbPoland). Offizielles Twitter-Konto der polnischen Botschaft in den Vereinigten Staaten, 30.467 Verfolger zum 19. Mai 2020, Beitrag abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://twitter .com/USAmbPoland?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm %5E1261322708572409856&ref_url=https%3A%2F%2Fnews.ru%2Fen%2Fworld%2Fpoland-ready-tohost -us-nuclear-weapons%2F Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 041/20 Seite 5 In einem Beitrag vom 18. Mai 2020 für die Denkfabrik Brookings Insitution betitelt „US nukes in Poland are a truly bad idea“ nannte der Analyst Steven Pifer, vier Gründe, die aus seiner Sicht gegen einen solchen Schritt sprechen: 4 - Erstens würde eine Verbringung und Lagerung von Atomwaffen nach Polen kostenintensiv sein. - Zweitens würde die Stationierung von Atomwaffen nah an der russischen Grenze deren Vulnerabilität erhöhen. - Drittens wäre eine solche Maßnahme eine Provokation gegenüber Russland. - Viertens würde eine solche Maßnahme zu einer Spaltung der NATO führen, zumal die NATO-Mitglieder sich im Jahr 1997 mit Russland darauf geeinigt hatten, keine Atomwaffen in den neuen Mitgliedstaaten zu positionieren.5 3. US-Botschafter Grenell fordert Investitionen Deutschlands in die nukleare Teilhabe In einem Gastbeitrag, überschrieben „Deutschland muss in die nukleare Teilhabe der NATO investieren“6 und publiziert am 14. Mai 2020 in der Tageszeitung Die Welt, fordert der US- Botschafter (und US-Geheimdienstkoordinator)7, Richard A. Grenell, Deutschland auf, sich an der nuklearen Teilhabe der NATO zu beteiligen, denn es sei: „Ziel der nuklearen Teilhabe der NATO (…), Bündnispartner, die nicht über Atomwaffen verfügen, an der Entwicklung der Abschreckungspolitik zu beteiligen. Die Mitwirkung Deutschlands an der nuklearen Teilhabe stellt sicher, dass seine Stimme zählt. Wenn Deutschland eine wahre Kraft für den Frieden sein will, ist jetzt die Zeit, dies durch Solidarität zu zeigen“. 4 US nukes in Poland are a truly bad idea, Steven Pifer, 18. Mai 2020, Brookings Insitution, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.brookings.edu/blog/order-from-chaos/2020/05/18/us-nukes-in-poland-are-atruly -bad-idea/ 5 Vgl. dazu Punkt 7. 6 Deutschland muss in die nukleare Teilhabe der Nato investieren, Richard A. Grenell, Die Welt, 14. Mai 2020, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.welt.de/debatte/article207954987/Nato-Buendnis-Deutschlandmuss -in-die-nukleare-Teilhabe-der-Nato-investieren.html 7 Seit seiner Ernennung zum Geheimdienstkoordinator (Acting Director of National Intelligence) durch den US-Präsidenten Donald J. Trump am 20. Februar 2020, soll sich Grenell nur noch in den USA aufhalten. Vgl.: Trump macht Botschafter Grenell zum Geheimdienstkoordinator, 20. Februar 2020, Süddeutsche Zeitung, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.sueddeutsche.de/politik/trump-botschafter-grenell-geheimdienstkoordinator -1.4805921 und Grenell bleibt Botschafter für Deutschland – in Washington, Silke Mülherr & Daniel Friedrich Sturm, Die Welt, 20. Februar 2020, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.welt.de/politik/ausland /article206019257/USA-Richard-Grenell-bleibt-Botschafter-fuer-Deutschland-in-den-USA.html Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 041/20 Seite 6 Deswegen sei es: „jetzt an der Zeit, dass Deutschland seinen Verpflichtungen gegenüber seinen Bündnispartnern nachkommt und kontinuierlich in die nukleare Teilhabe der Nato investiert .“ 4. Die Bundesregierung bekennt sich zur NATO und zur nuklearen Teilhabe Am 7. Mai 2020 erklärte die Bundesministerin der Verteidigung Annette Kramp-Karrenbauer (CDU) gegenüber der Presseagentur Reuters: „Solange es Staaten mit Atomwaffen gibt, die nicht zu unserer Wertegemeinschaft gehören wollen, brauchen wir eine starke Verhandlungsposition“.8 Am 4. Mai 2020 schrieb Der Spiegel: „Außenminister Heiko Maas (SPD) wendet sich gegen die Forderungen aus seiner eigenen Partei nach einem Abzug der US-Atomwaffen von deutschem Territorium ‚Unsere Außen- und Sicherheitspolitik darf nie ein deutscher Sonderweg sein‘.“9 Schon während der Bundespresskonferenz vom 20. April 2020 bekräftigte Oberst im Generalstabsdienst Arne Collatz, Stellvertreter des Sprechers im Verteidigungsministerium und Leiter des Bereichs „Presse“, bezugnehmend auf das Weißbuch von 2016, dass die nukleare Teilhabe im Rahmen der Bündnisverpflichtung eine große Rolle spielt, und dass dies dementsprechend auch bei der Technik abgebildet werden müsse. Das Weißbuch legt folgendes Postulat zugrunde: „Solange nukleare Waffen ein Mittel militärischer Auseinandersetzungen sein können, besteht die Notwendigkeit zu nuklearer Abschreckung fort. Die strategischen Nuklearfähigkeiten der Allianz, insbesondere die der USA, sind der ultimative Garant der Sicherheit ihrer Mitglieder. Die NATO ist weiterhin ein nukleares Bündnis. Deutschland bleibt über die nukleare Teilhabe in die Nuklearpolitik und die diesbezüglichen Planungen der Allianz eingebunden. Dies geht einher mit dem Bekenntnis Deutschlands zu dem Ziel, die Bedingungen für eine nuklearwaffenfreie Welt zu schaffen.“10 8 CDU-Chefin wirft SPD im Streit über US-Atomwaffen Schwächung Deutschlands vor, 7. Mai 2020, Reuters, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://de.reuters.com/article/deutschland-atomwaffen-kramp-karrenbauerid DEKBN22J2SI 9 Maas gegen "deutschen Sonderweg" bei Atomwaffen, Christoph Schult, Der Spiegel, 4. Mai 2020, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.spiegel.de/politik/deutschland/heiko-maas-gegen-deutschen-sonderweg-beiatomwaffen -a-52e164f1-5f3a-4d84-8e31-357df9432a18?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxp- PYDCQgO1dEMph 10 Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr, Bundesministerium der Verteidigung, S. 65, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.bmvg.de/resource /blob/13708/015be272f8c0098f1537a491676bfc31/weissbuch2016-barrierefrei-data.pdf Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 041/20 Seite 7 5. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich11 spricht sich gegen Atomwaffen in Deutschland aus In einem Interview (nachstehend in Auszügen) mit dem Tagesspiegel betitelt: „Es wird Zeit, dass Deutschland die Stationierung zukünftig ausschließt“ fordert der Chef der SPD-Bundestagsfraktion Rolf Mützenich am 3. Mai 2020 den Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland.12 Tagesspiegel: „Was hat sich denn verändert im Vergleich zu jener Zeit, als die SPD die Idee der nuklearen Teilhabe noch verteidigte?“ Rolf Mützenich: „Die Idee der nuklearen Teilhabe ist ein Konstrukt aus der Zeit des Kalten Krieges. Dabei ging es auch um Lastenausgleich und Einbindung. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts wurde auf dem Feld der Nuklearwaffen leider nur temporär und unzureichend abgerüstet. Das müssen wir nun nachholen, nicht allein wegen des Übermaßes an Waffen, sondern auch wegen der Überlegungen in den Hauptstädten , diese Waffen in einem Krieg einzusetzen. Donald Trump hat 2018 die Nukleardoktrin der USA deutlich verändert. (…)“ Tagesspiegel: „Warum ist Trumps Nukleardoktrin so gefährlich?“ Rolf Mützenich: „Trumps Regierung hat verkündet, dass Atomwaffen nicht mehr nur der Abschreckung dienen, sondern Waffen sind, mit denen man Kriege führen kann. Die USA behalten sich vor, auf Bedrohungen, zum Beispiel auch durch Cyber- Angriffe, mit nuklearen Vergeltungsschlägen zu reagieren. Auch der Ersteinsatz ist nicht vom Tisch. Trumps Regierung hat zudem angekündigt, die in Deutschland lagernden Atomwaffen durch modernisierte, zielgenauere atomare Lenkwaffen zu ersetzen. Das Eskalationsrisiko ist damit unüberschaubar geworden.“ Tagesspiegel: „Handelt sich Deutschland nicht ein Recht auf Mitsprache bei der Nuklearstrategie der NATO dadurch ein, dass es diese Tornados zur Verfügung stellt?“ Rolf Mützenich: „Diesen Zusammenhang bestreite ich energisch. Die politische nukleare Teilhabe besteht darin, dass alle NATO-Staaten die Nuklearstrategie des Bündnisses mitbestimmen. Auch Kanada, das keinerlei Kernwaffen auf seinem Territorium stationiert hat, nimmt an dieser Diskussion teil. Wir sollten als Deutsche 11 Rolf Mützenich wurde 1991 mit der Doktorarbeit "Atomwaffenfreie Zonen und internationale Politik – historische Erfahrungen, Rahmenbedingungen, Perspektiven" an der Universität Bremen promoviert. 12 Es wird Zeit, dass Deutschland die Stationierung zukünftig ausschließt, Interview von Rolf Mützenich mit Hans Monath, 3. Mai 2020, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.tagesspiegel.de/politik/spd-fordert-abzugaller -us-atomwaffen-aus-deutschland-es-wird-zeit-dass-deutschland-die-stationierung-zukuenftig-ausschliesst /25794070.html Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 041/20 Seite 8 selbstbewusst fordern, die Nuklearstrategie der NATO auch dann mit zu prägen, wenn keine Nuklearwaffen mehr auf unserem Gebiet lagern. “ Tagesspiegel: „Im Koalitionsvertrag bekannte sich auch die SPD zur nuklearen Teilhabe . Wollen Sie nun zunächst nur eine Debatte über die nukleare Teilhabe führen oder den technischen Teil der nuklearen Teilhabe beenden, nämlich die Lagerung von US-Atomwaffen in Deutschland und die Fähigkeit der Bundeswehr, sie einzusetzen ?“ Rolf Mützenich: „Ich will beides. Die USA haben ihre Nuklearstrategie so einschneidend verändert, dass ein Einsatz dieser Waffen hier in Europa wieder viel wahrscheinlicher geworden ist. Und ich bin der Meinung, dass wir auch auf diesem Feld abrüsten müssen. Atomwaffen auf deutschem Gebiet erhöhen unsere Sicherheit nicht, im Gegenteil. Es wird Zeit, dass Deutschland die Stationierung zukünftig ausschließt . Das haben schließlich auch andere Staaten getan, ohne dabei die NATO infrage zu stellen. Weil Sie den Koalitionsvertrag13 erwähnten: Die SPD hat dafür gesorgt, dass darin von der technischen nuklearen Teilhabe ausdrücklich keine Rede ist, sondern nur von der politischen nuklearen Teilhabe. Deshalb bewege ich mich mit meinen Vorschlägen im Rahmen dieser Abmachung.“ 6. ECFR: Verzicht auf die nukleare Teilhabe würde den Einfluss Deutschlands schmälern In einer Analyse für die Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR), betitelt „Germany, the Tornado, and the future of NATO“, vom 30. April 2020 postuliert der Analyst Rafael Loss, dass ein Verzicht auf die nukleare Teilhabe den friedens- und verteidigungspolitischen Einfluss Deutschlands negativ beeinträchtigen würde: „Today, it is Germany’s eastern neighbours that are on the frontline. And many of these neighbours consider extended nuclear deterrence essential for their own security. They would interpret Germany’s dual-capable aircraft renewal as a direct expression of solidarity. Without dual-capable aircraft in its arsenal Germany could still contribute to the alliance’s SNOWCAT (Support of Nuclear Operations With Conventional 13 Im Koalitionsvertrag von 2018 zwischen der CDU/CSU und der SPD steht: „Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben. Erfolgreiche Abrüstungsgespräche schaffen die Voraussetzung für einen Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen .“ Vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD „Ein neuer Aufbruch für Europa, Eine neue Dynamik für Deutschland, Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“, 19. Legislaturperiode, S.148, Z. 7013-7017, abgerufen am 20. Mai 2020 unter: https://www.bundesregierung.de/resource /blob/656734/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertragdata .pdf?download=1 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 041/20 Seite 9 Air Tactics) programme by having its non-nuclear Eurofighters escort allied dual-capable aircraft. It could also continue to participate in the high-level Nuclear Planning Group and related forums in which all NATO members apart from France confer on issues associated with nuclear forces. But its influence on nuclear matters within the alliance, including arms control and disarmament, would diminish considerably. The “détente” portion of NATO’s basic policy of combining deterrence and détente – traditionally of great interest to Germany’s political left – would lose an important champion. The loss of Germany’s influence might even extend beyond the nuclear realm: the US, France, and the United Kingdom would be unlikely to continue consulting with Germany in the informal Quad group if it is unwilling to share either the financial or the nuclear burdens of collective defence and deterrence. Germany abandoning its dual-capable aircraft could even mark the beginning of the end for nuclear burden sharing in NATO. Public opinion in the three other countries that contribute dual-capable aircraft to the nuclear mission – Italy, Belgium, and the Netherlands – is even less enthusiastic about nuclear deterrence than it is in Germany. If Germany were to quit, such allies may eventually follow suit.“ 7. RUSI kritisiert die geplante Anschaffung der F-18 durch Deutschland Der Analyst Justin Bronk von der britischen Denkfabrik Royal United Services Institute (RUSI) kritisiert in einem Beitrag vom 26. März 2020 die Absicht Deutschlands14, 45 Boeing F/A-18E/F Super Hornet und 15 Boeing EA-18 Growler zu beschaffen15: „German Decision to Split Tornado Replacement is a Poor One“16 und kommt zur folgenden Bewertung: „Germany’s apparent move to purchase a split fleet of Eurofighters, Super Hornets and Growlers is the worst possible outcome – it imposes all the additional costs and availability challenges of small additional fleets on top of the main Eurofighter force, without any of the additional operational credibility in the DCA17 role and whole force enabler benefits of a spit buy which included the F-35.“ 14 Dokumentation: Verteidigungsministerium zur Tornado-Nachfolge (m. Transkript), Autor: Thomas Wiegold, Augen geradeaus, 20. April 2020 abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://augengeradeaus.net/2020/04/dokumentation -verteidigungsministerium-zur-tornado-nachfolge/ 15 Geplant ist außerdem die gleichzeitige Beschaffung von 90 Eurofighter Typhoon. 16 German Decision to Split Tornado Replacement is a Poor One, Justin Bronk, 26. März 2020, RUSI Defence Systems , abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://rusi.org/publication/rusi-defence-systems/german-decision-splittornado -replacement-poor-one 17 Dual-Capable Aircraft (DCA). Dies bedeutet, dass das Flugzeug sowohl als Abfangjäger/Jagdbomber als auch als Träger für eine Atomwaffe eingesetzt werden kann. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 041/20 Seite 10 8. NATO-Russland Grundakte: Keine Atomwaffen im Hoheitsgebiet neuer Mitglieder In der NATO-Russland Grundakte (Grundakte über Gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertrags-Organisation und der Russischen Föderation) vom 27. Mai 1997 wird eine Stationierung von Atomwaffen im Hoheitsgebiet der neuen NATO-Mitglieder ausgeschlossen. Unter dem IV. Punkt (Politisch-Militärische Angelegenheiten) beschlossen die Parteien: „Die NATO und Russland bekräftigen ihren gemeinsamen Wunsch, mehr Stabilität und Sicherheit im euro-atlantischen Raum zu erreichen. Die Mitgliedstaaten der NATO wiederholen, dass sie nicht die Absicht, keine Pläne und auch keinen Anlass haben, nukleare Waffen im Hoheitsgebiet neuer Mitglieder zu stationieren, noch die Notwendigkeit sehen, das Nukleardispositiv oder die Nuklearpolitik der NATO in irgendeinem Punkt zu verändern - und dazu auch in Zukunft keinerlei Notwendigkeit sehen. Dies schließt die Tatsache ein, dass die NATO entschieden hat, sie habe nicht die Absicht, keine Pläne und auch keinen Anlass, nukleare Waffenlager im Hoheitsgebiet dieser Mitgliedstaaten einzurichten, sei es durch den Bau neuer oder die Anpassung bestehender Nuklearlagerstätten (…).“18 9. Europäische Option Im Falle einer Kündigung der nuklearen Teilhabe Deutschlands unter der Ägide der US-Amerikaner innerhalb der NATO wäre eine ähnliche Kooperation mit Frankreich denkbar. Präsident Charles de Gaulle unterbreitete Bundeskanzler Ludwig Erhard schon in den 1960er Jahren ein Angebot, sich an den französischen Nuklearwaffen zu beteiligen. Präsident Nicolas Sarkozy bot Bundeskanzlerin Angela Merkel 2007 ebenfalls die Teilhabe an. In beiden Fällen wurde der Vorstoß abschlägig beschieden .19 18 Grundakte über Gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertrags- Organisation und der Russischen Föderation vom 27. Mai 1997 , NATO eLibrary / Official texts, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_25468.htm?selectedLocale=de 19 Braucht die EU die Bombe?, Peter Dausend und Michael Thumann, Die Zeit, 16. Februar 2017, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.zeit.de/politik/ausland/2017-02/trump-nato-atomwaffen-europa/komplettansicht Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 041/20 Seite 11 An der Münchener Sicherheitskonferenz 2019 wurde ausgelotet, ob ganz Europa unter den französischen Atomschirm schlüpfen könnte.20 Anfang Februar 2020 bot Präsident Emmanuel Macron den anderen Europäern die „Eröffnung eines strategischen Dialogs über die Rolle der französischen Atomwaffen innerhalb des kollektiven Sicherheitssystems [Europas]“21.22 Frankreich erhofft sich daraus sicherlich auch die Übernahme eines Teils der Gesamtkosten der sogenannten „Force de frappe stratégique“. Diese belaufen sich auf 37,5 Milliarden Euro für den Zeitraum 2018-2015, also in etwa 5,35 Milliarden Euro pro Jahr. Frankreich verfügt heute über geschätzte 300 Nuklearköpfe. 48 Atomraketen vom Typ M51 können auf insgesamt vier nuklearangetriebenen U-Booten23 verteilt werden. Hinzu kommen 54 Luft-Boden-Raketen vom Typ ASMP-A, die von einem Flugzeug aus gestartet werden können. 24 25 . Die ASMP-A-Raketen haben eine Sprengkraft von ca. 300 Kilotonnen TNT-Äquivalent (Etwa 20-mal die Sprengkraft der Hiroshima-Bombe).26 20 Französische Atomraketen für Europa?, Christian F. Trippe, Christian F. Trippe, Deutsche Welle, 16. Februar 2019, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.dw.com/de/franz%C3%B6sische-atomraketen-f%C3%BCreuropa /a-47547729 21 Übersetzung des Verfassers 22 Dissuasion nucléaire : Emmanuel Macron tend la main à ses partenaires européens, Actualités, DiCOD, Ministère des Armées, 10. Februar 2020, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.defense.gouv.fr/actualites /articles/dissuasion-nucleaire-emmanuel-macron-tend-la-main-a-ses-partenaires-europeens 23 U-Boot mit ballistischen Raketen, englische Bezeichnung: SSBN (Ship Submersible Ballistic Nuclear); französische Bezeichnung SNLE (Sous-marin Nucléaire Lanceur d’Engins). 24 Air-sol moyenne portée amélioré 25 Le président Hollande dévoile les capacités nucléaires françaises, Laurent Lagneau, 19. Februar 2015, OPX360.com, abgerufen am 20. Mai 2020 unter http://www.opex360.com/2015/02/19/le-president-hollandedevoile -les-capacites-nucleaires-francaises/ 26 Dissuasion nucléaire. La France a testé un missile air-sol de moyenne portée amélioré, Philippe Chapleau, Ouest-France, 5. Februar 2019, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.ouest-france.fr/politique/defense /dissuasion-nucleaire-la-france-teste-un-missile-air-sol-de-moyenne-portee-ameliore-6211070 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 041/20 Seite 12 10. Zahlen im Überblick Die erste Atombombe27 „Little Boy“28 wog rund vier Tonnen. Sie wurde von den Amerikanern am 6. August 1945 auf die japanische Stadt Hiroshima (340.000 Einwohner) und zerstörte 80 Prozent der Stadt mit einer Sprengkraft von 13 Kilotonnen TNT-Äquivalent. Am 9. August 1945 zerstörte die Atombombe „Fat Man“29 die Stadt Nagasaki (195.000 Einwohner) mit der Kraft von 21 Kilotonnen TNT-Äquivalent. In beiden Fällen starb eine Vielzahl von Menschen, sogenannte Hibakusha (Explosionsopfer) auch an den (Spät-)Folgen der Strahlung: In Hiroshima starben insgesamt geschätzte 90.000 bis 150.000 Menschen und in Nagasaki starben rund 40.000 bis 80.000 Menschen.30 Die stärkste jemals gezündete Atombombe war die „Zar-Bombe“31 aus russischer Produktion, die am 30. Oktober 1961 im Rahmen eines Testes zur Explosion gebracht wurde. Diese 27 Tonnen schwere Bombe hatte eine Sprengkraft von knapp 60 Megatonnen TNT-Äquivalent. Somit war sie rund 4000-mal so stark wie die Hiroshima-Bombe. Die Träger mit der größten Zerstörungskraft waren die sechs sowjetischen (russischen) U-Boote der „Akula“-Klasse32 (NATO-Bezeichnung „Typhoon“), die zwischen 1981 und 1989 in Dienst gestellt wurden. Diese konnten bis zu 200 Ziele bekämpfen, wobei jeder Gefechtskopf33 die etwa zehnfache Sprengkraft der Hiroshima- Bombe besaß. Im Jahr 1986, am Höhepunkt des Kalten Krieges, gab es weltweit um die 70.500 Atomwaffen34. Schätzungen zufolge lagerten Atomwaffen in mehr als 150 27 Atomic bombings of Hiroshima and Nagasaki, Wikipedia, Artikel vom 17. Mai 2020 um 01:13 (UTC), abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://en.wikipedia.org/wiki/Atomic_bombings_of_Hiroshima_and_Nagasaki 28 Little Boy, Wikipedia, Artikel vom 19. Mai. 2020 um 16:01 (UTC), abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://en.wikipedia.org/wiki/Little_Boy 29 Fat Man, Wikipedia, Artikel vom 16. Mai 2020 um 08:47 (UTC), abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://en.wikipedia .org/wiki/Fat_Man 30 Zahlen geschätzt und abgerundet. 31 Tsar Bomba, Wikipedia, Artikel vom 20. Mai 2020, um 04:55 (UTC), abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://en.wikipedia.org/wiki/Tsar_Bomba 32 Projekt 941, Wikipedia, Artikel vom 26. Februar 2020 um 02:35 (UTC), abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Projekt_941 33 Jede der zwanzig R-39-Raketen eines U-Boots besaß zehn Gefechtsköpfe (Submunition) mit einer geschätzten Sprengkraft von je 100 bis 200kt. 34 Global nuclear stockpiles, 1945–2006, Nuclear Notebook, in Natural Resources Defense Council (2006), Robert S. Norris & Hans M. Kristensen, Bulletin of the Atomic Scientists, 2006, S. 64-66, (Zahlen abgerundet), abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/00963402.2006.11461005?needAccess =true Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 041/20 Seite 13 Standorten im Hoheitsgebiet der BRD und in mehr als 30 Standorten im Hoheitsgebiet der DDR.35 Anfang 2019 besaßen dem Stockholmer Forschungsinstitut SIPRI36 zufolge weltweit neun Staaten knapp 14.000 Atomwaffen. Davon befinden sich rund 2.000 in einem hohen Bereitschaftszustand.37 Atomwaffen in der Welt Anfang 2019 (Daten vom SIPRI) USA 6.185 Russland 6.500 France 300 China 290 Vereinigtes Königreich 200 Pakistan 150-160 Indien 130-140 Israel 80-90 Nordkorea 20-30 35 Standorte, Atomwaffen A-Z, Bearbeitungsstand 2012, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.atomwaffena-z.info/?id=150 36 Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) 37 World nuclear forces in Yearbook 2019, (Zahlen abgerundet) abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.sipri.org/yearbook/2019/06 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 041/20 Seite 14 Sowohl die USA als auch die Sowjetunion haben mit Beendigung des Kalten Krieges eine sehr spürbare Reduzierung der Anzahl taktischer Nuklearwaffen vorgenommen. Die Anzahl der taktischen Nuklearwaffen Russlands ging von 13.000 bis 22.000 Ende der 1980er Jahre auf weniger als 2.000 im Jahr 2018 zurück. Die Anzahl der taktischen Nuklearwaffen der Amerikaner ging noch spürbarer von 9.000 Ende der 1980er Jahre auf weniger als 230 im Jahr 2018 zurück.38 Die B61 ist die standardisierte taktische Freifallatombombe aus amerikanischer Produktion. Die neueste Iteration, die B61-1239 (eine modernisierte B61-4), soll zwischen 2020 und 2025 sukzessive in den Dienst gestellt werden. Sie verfügt im Gegensatz zu den Vorgängermodellen über einen antriebslosen Steuerungsaufsatz , um eine höhere Zielgenauigkeit zu erzielen. Durch die Erhöhung der Zielgenauigkeit geht eine Verringerung der Sprengkraft beim gleichen Einsatztypus einher. Schätzungsweise verfügt die B61-12 auf eine nach Einsatzbedarf skalierbare Sprengkraft von 0,3 bis 50 Kilotonnen.40 *** 38 Tactical nuclear weapons, 2019, Nuclear Notebook, Hans M. Kristensen & Matt Korda in Bulletin of the Atomic Scientists, Vol. 75 N°. 5, S. 252-261, 2019, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.tandfonline .com/doi/full/10.1080/00963402.2019.1654273 39 B61-12 Life Extension Programm, National Nuclear Security Administration, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://www.energy.gov/sites/prod/files/2018/12/f58/B61-12%20LEP%20factsheet.pdf 40 The B61 family of nuclear bombs in Nuclear Notebook, Hans M. Kristensen and Robert S. Norris, Bulletin of the Atomic Scientists, Vol. 70(3), S. 79-84, 2014, abgerufen am 20. Mai 2020 unter https://journals.sagepub .com/doi/full/10.1177/0096340214531546